Index
24/01 Strafgesetzbuch;Norm
StGB §3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Mag. Dieter Kocher, Rechtsanwalt in St. Michael im Lungau, Murtalstraße 499, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Salzburg vom 10. Juni 1996, Zl. UVS-6/51/9-1996, in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom 27. Juni 1996, Zl. UVS-6/51/10-1996, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.830,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit seiner beim Unabhängigen Verwaltungssenat Salzburg erhobenen Beschwerde vom 24. Mai 1995 begehrte der Beschwerdeführer die Feststellung, er sei am 16. April 1995 dadurch, daß ihm zwei namentlich genannte Beamte des Gendarmeriepostens St. Michael im Lungau nach erfolgter Anhaltung seines PKW dreimal nachgeschossen hätten, wodurch sein Fahrzeug schwer beschädigt und er in seiner körperlichen Sicherheit gefährdet worden sei, in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unverletzlichkeit des Eigentums, auf persönliche Freiheit und Sicherheit, keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden sowie im einfachgesetzlichen Recht auf Einhaltung der Bestimmungen des Sicherheitspolizeigesetzes und des Waffengebrauchsgesetzes 1969 verletzt worden.
Mit dem angefochtenen Bescheid ("Erkenntnis") vom 10. Juni 1996 hat die belangte Behörde diese Beschwerde als unbegründet abgewiesen und den Beschwerdeführer (mit dem Berichtigungsbescheid vom 27. Juni 1996) zum Ersatz von Aufwendungen an das Land Salzburg verpflichtet.
Die belangte Behörde ging dabei von folgendem festgestellten Sachverhalt aus:
"Am 16.4.1996 "(richtig: 1995)" wurde M im Zuge einer Verkehrskontrolle von zwei Gendarmeriebeamten in der Gewerbestraße in St. Michael/Lg. mit seinem Fahrzeug ordnungsgemäß angehalten. Als er aufgefordert wurde, die Fahrzeugpapiere vorzuweisen, gab er zur Antwort, daß er diese zu Hause habe. Weil den Beamten auffiel, daß der Beschwerdeführer nach Alkohol roch, forderten sie ihn zu einem Alkomattest auf. Der Beschwerdeführer ersuchte, seinen PKW am vis a vis gelegenen Parkplatz der Firma Aigner abstellen zu können. Die Beamten stimmten dem nicht zu und wiesen ihn darauf an, sein Fahrzeug rechts abzustellen. Für den Fall eines Davonfahrens kündigten sie ihm an, daß sie von der Waffe Gebrauch machen würden. Dies aufgrund eines einige Tage zuvor sich ereignenden Vorfalles. M stieg daraufhin in seinen PKW und fuhr - energisch Gas gebend -auf BI W. zu, welcher drei Schüsse auf das Fahrzeug des Beschwerdeführers abgab, um den Lenker zum Anhalten zu veranlassen und zur Seite sprang, um von M nicht niedergefahren zu werden. Dabei wurde die Radnabe (rechts vorne), die rechte Türkante und die Stoßstange (rechts hinten) des PKW des Beschwerdeführers getroffen und beschädigt. Er flüchtete in weiterer Folge in rasender Fahrt Richtung Muhr."
Rechtlich vertrat die belangte Behörde die Ansicht, daß der lebensgefährdende Waffengebrauch gemäß § 7 Z. 3 Waffengebrauchsgesetz 1969 zulässig gewesen sei, weil aufgrund des Zufahrens auf den vor dem Fahrzeug postierten Gendarmeriebeamten der dringende Verdacht bestanden habe, daß der Beschwerdeführer den Tatbestand des Widerstandes gegen die Staatsgewalt gemäß § 269 Abs. 1 StGB begangen habe. Überdies habe für die Beamten aufgrund einer einige Tage zuvor stattgefundenen Amtshandlung eine "besondere Situation" bestanden. Der Schußwaffengebrauch gegen den Beschwerdeführer habe mangels verfügbarer gelinderer Mittel nicht gegen § 4 Waffengebrauchsgesetz 1969 verstoßen und entspreche auch dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit gemäß § 29 Sicherheitspolizeigesetz. Der Waffengebrauch sei zur Verhinderung des Entkommens des Beschwerdeführers notwendig gewesen. Unter den festgestellten Umständen sei die Annahme vertretbar, daß es notwendig gewesen sei, die Schüsse "in Richtung Kfz" abzugeben.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Der Beschwerdeführer macht geltend, daß die belangte Beörde das Waffengebrauchsgesetz 1969 unrichtig angewendet habe. Die Tatsache, daß sich der Beschwerdeführer der Festnahme widersetzt habe, mache ihn noch nicht zu einem gefährlichen Verbrecher. Die belangte Behörde habe keine Feststellungen dazu getroffen, warum die Beamten der Ansicht sein konnten, der Beschwerdeführer sei ein allgemein gefährlicher Mensch. Der Beschwerdeführer sei den Beamten bekannt gewesen und hätte sich deren Zugriff ohnehin nur kurzfristig entziehen können, sodaß ein Schußwaffengebrauch nicht notwendig gewesen sei. Dem Gendarmeriebeamten hätte spätestens nach dem ersten Schuß, den er abgegeben habe, als er zur Seite gesprungen sei, bewußt sein müssen, daß jeder weitere Schuß in keinem Verhältnis zum angestrebten Erfolg stehe.
Die hier maßgeblichen Bestimmungen des (durch § 50 Abs. 3 SPG rezeptierten) Waffengebrauchsgesetzes 1969, BGBl. Nr. 149, idF des Strafrechtsanpassungsgesetzes, BGBl. Nr. 422/1974, lauten:
"§ 2. Organe der Bundespolizei, der Bundesgendarmerie und der Gemeindewachkörper dürfen in Ausübung des Dienstes nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes von Dienstwaffen Gebrauch machen:
1.
im Falle gerechter Notwehr;
2.
zur Überwindung eines auf die Vereitlung einer rechtmäßigen Amtshandlung gerichteten Widerstandes;
3.
zur Erzwingung einer rechtmäßigen Festnahme;
4.
zur Verhinderung des Entkommens einer rechtmäßig festgehaltenen Person;
5.
zur Abwehr einer von einer Sache drohenden Gefahr.
§ 4. Der Waffengebrauch ist nur zulässig, wenn ungefährliche oder weniger gefährliche Maßnahmen, wie insbesondere die Aufforderung zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes, die Androhung des Waffengebrauches, die Verfolgung eines Flüchtenden, die Anwendung von Körperkraft oder verfügbare gelindere Mittel, wie insbesondere Handfesseln oder technische Sperren, ungeeignet scheinen oder sich als wirkungslos erwiesen haben.
§ 6. (1) Zweck des Waffengebrauches gegen Menschen darf nur sein, angriffs-, widerstands- oder fluchtunfähig zu machen. In den Fällen des § 2 Z. 2 bis 5 darf der durch den Waffengebrauch zu erwartende Schaden nicht offensichtlich außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen.
(2) Jede Waffe ist mit möglichster Schonung von Menschen und Sachen zu gebrauchen. Gegen Menschen dürfen Waffen nur angewendet werden, wenn der Zweck ihrer Anwendung nicht durch Waffenwirkung gegen Sachen erreicht werden kann.
§ 7. Der mit Lebensgefährdung verbundene Gebrauch einer Waffe gegen Menschen ist nur zulässig:
1.
im Falle gerechter Notwehr zur Verteidigung eines Menschen;
2.
...
3.
zur Erzwingung der Festnahme oder Verhinderung des Entkommens einer Person, die einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, überwiesen oder dringend verdächtigt ist, die für sich allein oder in Verbindung mit ihrem Verhalten bei der Festnahme oder Entweichung sie als einen für die Sicherheit des Staates, der Person oder des Eigentums allgemein gefährlichen Menschen kennzeichnet;
4.
...
§ 8. (1) Der lebensgefährdende Waffengebrauch gegen Menschen ist ausdrücklich, zeitlich unmittelbar vorangehend und deutlich wahrnehmbar anzudrohen. Gegenüber einer Menschenmenge ist die Androhung zu wiederholen. Als Androhung des Schußwaffengebrauches gilt auch die Abgabe eines Warnschusses.
(2) ...
(3) Im Falle gerechter Notwehr finden die Bestimmungen der Abs. 1 und 2 keine Anwendung."
Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit ist in § 29 Sicherheitspolizeigesetz normiert, der folgenden Wortlaut hat:
"(1) Erweist sich ein Eingriff in Rechte von Menschen als erforderlich (§ 28 Abs. 3), so darf er dennoch nur geschehen, soweit er die Verhältnismäßigkeit zum Anlaß und zum angestrebten Erfolg wahrt.
(2) Insbesondere haben die Sicherheitsbehörden und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes
1.
von mehreren zielführenden Befugnissen jene auszuwählen, die voraussichtlich die Betroffenen am wenigsten beeinträchtigt;
2.
darauf Bedacht zu nehmen, ob sich die Maßnahme gegen einen Unbeteiligten oder gegen denjenigen richtet, von dem die Gefahr ausgeht oder dem sie zuzurechnen ist;
3.
darauf Bedacht zu nehmen, daß der angestrebte Erfolg in einem vertretbaren Verhältnis zu den voraussichtlich bewirkten Schäden und Gefährdungen steht;
4.
auch während der Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt auf die Schonung der Rechte und schutzwürdigen Interessen der Betroffenen Bedacht zu nehmen;
5.
die Ausübung der Befehls- und Zwangsgewalt zu beenden, sobald der angestrebte Erfolg erreicht wurde oder sich zeigt, daß er auf diesem Wege nicht erreicht werden kann."
Aufgrund der unterschiedlichen gesetzlichen Voraussetzungen ist somit für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des vorliegenden Waffengebrauches wesentlich, ob es sich hiebei um einen mit Lebensgefährdung verbundenen Gebrauch einer Waffe gegen Menschen (lebensgefährdender Waffengebrauch) handelte oder um einen sonstigen Waffengebrauch. Die belangte Behörde hat lediglich die Abgabe von drei Schüssen "auf das Fahrzeug" - das vom Beschwerdeführer gelenkt wurde - und die Position der Einschüsse an der rechten Fahrzeugseite festgestellt. In ihrer rechtlichen Beurteilung ging sie davon aus, daß es sich hiebei um einen - gemäß § 7 Z. 3 Waffengebrauchsgesetz 1969 gerechtfertigten - lebensgefährdenden Waffengebrauch gehandelt habe. Sie vertrat somit offensichtlich die Ansicht, daß es sich bei einem Schußwaffengebrauch gegen ein Fahrzeug in jedem Fall auch um einen lebensgefährdenden Waffengebrauch gegen den Lenker handelt. Wenn auch mit dem Gebrauch einer Schußwaffe gegen eine Person im Regelfall immer Lebensgefahr verbunden ist, kann dies bei Schüssen gegen einen PKW, in dem sich der Lenker befindet, nicht ohne weiteres gesagt werden (vgl. dazu Mayerhofer, Der Gebrauch der Schußwaffe durch Sicherheitsorgane, ÖJZ 1977, Seite 449, und Erben-Szirba, Das Waffengebrauchsrecht in Österreich4, Juridica Kurzkommentare, Wien 1987, S. 52). Um beurteilen zu können, ob im konkreten Fall durch die auf den PKW abgegebenen Schüsse das Leben des Beschwerdeführers gefährdet war und daher ein lebensgefährdender Waffengebrauch vorlag, wäre es erforderlich gewesen, Feststellungen darüber zu treffen, aus welcher Entfernung und mit welcher Zielrichtung (etwa auf die Reifen) die Schüsse abgegeben wurden und mit welcher Geschwindigkeit das Fahrzeug dabei unterwegs war. Derartige Feststellungen fehlen jedoch im angefochtenen Bescheid.
Dieser - sekundäre - Verfahrensmangel würde nicht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führen, wäre die Beurteilung der belangten Behörde, daß vorliegend ein lebensgefährdender Waffengebrauch zulässig gewesen sei, frei von Rechtsirrtum.
Voraussetzung für die Zulässigkeit eines lebensgefährdenden Waffengebrauches ist - außer im Fall der Notwehr - die ausdrückliche, zeitlich unmittelbar vorangehende und deutlich wahrnehmbare Androhung. Eine Notwehrsituation bestand für BI W. schon deshalb nicht, weil er sich durch einen Sprung zur Seite davor retten konnte, vom Beschwerdeführer überfahren zu werden, und das Abgeben von Schüssen daher nicht zu seiner Verteidigung notwendig war. Es ist daher zunächst zu prüfen, ob die festgestellte Ankündigung der einschreitenden Beamten, von der Waffe Gebrauch zu machen, falls der Beschwerdeführer davonfahre (und sich auf diese Weise dem Alkoholtest entziehe) - eine andere Androhungsmaßnahme wurde nicht festgestellt, zumal es sich beim In-Anschlag-bringen einer Pistole, anders als bei Abgabe eines Warnschusses, um keine ausdrückliche Androhung handelt (Erben-Szirba, a.a.O., S. 57) - eine gesetzmäßige Androhung eines lebensgefährdenden Waffengebrauches darstellt.
Das ist nach Ansicht des Gerichtshofes nicht der Fall. Aus der Wortfolge "zeitlich unmittelbar vorangehend" in § 8 Abs. 1 Waffengebrauchsgesetz 1969 ergibt sich, daß zwischen Androhung und eventueller Ausführung des Waffengebrauches nur ein möglichst kurzer Zeitraum liegen darf, sodaß auf die Mißachtung der Androhung des Waffengebrauches dessen Ausführung prompt folgen kann (Erben-Szirba, a.a.O., S. 57). Keineswegs kann es ausreichend sein, den lebensgefährdenden Waffengebrauch schon zu einer Zeit (präventiv) anzudrohen, in der die Voraussetzungen gemäß § 7 Z. 2 bis 4 Waffengebrauchsgesetz 1969 noch gar nicht vorliegen, sondern nur die Möglichkeit besteht, daß eine Situation eintritt, die diese Voraussetzungen erfüllt. Die Androhung ist somit nur zulässig, wenn auch die Voraussetzungen für den unmittelbar nachfolgenden lebensgefährdenden Waffengebrauch gegeben sind (vgl. für die Androhung durch Abgabe eines Warnschusses, Erben-Szirba, a. a.O., S. 58).
Vorliegend haben die Beamten den Waffengebrauch bereits angedroht, als sie den Beschwerdeführer aufforderten, seinen Wagen abzustellen und sich anschließend einem Alkoholtest zu unterziehen. Zu dieser Zeit waren aber keineswegs die Voraussetzungen für den lebensgefährdenden Waffengebrauch gegeben, weshalb nach den obigen Ausführungen auch keine Androhung eines derartigen Waffengebrauches in Betracht kam. Der lebensgefährdende Waffengebrauch war daher schon mangels gesetzmäßiger Androhung nicht zulässig. Insofern hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt.
Es sei hinzugefügt, daß der vom Beschwerdeführer beim gegenständlichen Vorfall geleistete Widerstand gegen die Staatsgewalt - gemäß § 269 StGB eine mit mehr als einjähriger Strafe bedrohte strafbare Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann -, dessentwegen der Beschwerdeführer nach seinem eigenen Vorbringen im Verfahren vor der belangten Behörde rechtskräftig gerichtlich verurteilt worden ist, den lebensgefährdenden Waffengebrauch - ungeachtet der Frage der gesetzmäßigen Androhung - nach dem Gebot der Verhältnismäßigkeit nur dann rechtfertigen könnte, wenn es nicht möglich und zielführend gewesen wäre, den flüchtenden Beschwerdeführer etwa mit einem Kraftfahrzeug zu verfolgen. Dazu fehlt es jedoch an den notwendigen Feststellungen über die örtlichen Gegebenheiten und die Frage, ob den Beamten ein sofort einsatzbereites Fahrzeug zur Verfügung gestanden ist.
Der angefochtene Bescheid war wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996010640.X00Im RIS seit
18.02.2002