TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/11 W261 2221910-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.02.2020
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Entscheidungsdatum

11.02.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W261 2221910-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Magistrat der Stadt Wien, Wiener Kinder- und Jugendhilfe als gesetzlicher Vertreter, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.06.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.11.2019 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der nunmehrige Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben am 15.02.2019 als unbegleiteter Minderjähriger Flüchtling in die Republik Österreich ein und stellte am selben Tag gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am 16.02.2019 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari an, dass sein Vater vor 10 Jahren getötet worden sei, und er aus Furcht vor den Feinden seines Vaters, des Kommandanten XXXX , geflohen sei. Auch sein Onkel sei bei dessen Rückkehr nach Afghanistan von diesem getötet worden.

Aufgrund von Zweifeln an den Altersangaben des BF veranlasste das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge belangte Behörde) eine medizinische Volljährigkeitsbeurteilung. Im Gutachten des medizinischen Sachverständigen vom XXXX kommt der medizinische Sachverständige zum Ergebnis, dass das höchstmögliche Mindestalter des BF zum Untersuchungszeitpunkt ( XXXX ) 16,17 Jahre betragen habe. Das fiktive Geburtsdatum des BF sei der XXXX , der BF sei zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig gewesen. Aufgrund der geringen Abweichungen zu den Angaben des BF hinsichtlich seines Geburtsdatums bei seiner Erstbefragung, beließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge belangte Behörde) das ursprünglich vom BF genannte Geburtsdatum.

Mit E-Mailnachricht vom 05.03.2019 teilte der Verein Menschenrechte aufgrund eines von der belangten Behörde veranlassten Family Tracings mit, dass die Mutter und die Schwester des BF im Iran leben würden. Eine Tante des BF würde samt deren Familie in Wien wohnen.

Der gesetzliche Vertreter des minderjährigen BF, die Kinder- und Jugendhilfe des Magistrates der Stadt Wien, übermittelte mit Eingabe vom 13.06.2019 Integrationsunterlagen.

Am 19.06.2019 erfolgte die niederschriftliche Ersteinvernahme des BF vor der belangten Behörde im Beisein seines gesetzlichen Vertreters sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari. Er gab an, er sei in der Provinz Daikundi geboren, er sei Hazara und schiitischer Moslem, wobei er nicht wirklich an den Islam glaube. Er habe die letzten neun bis 10 Jahre im Iran gelebt. Er widerholte sein Fluchtvorbringen und führte auch aus, dass er den Iran wegen eines Vorfalls in der Fabrik, in welcher er gearbeitet habe, verlassen habe. Er sei beschuldigt worden, daran schuld zu sein, dass es dort gebrannt habe.

Mit nunmehr angefochtenem Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) ab. Die belangte Behörde erkannte dem BF gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 21.06.2020.

Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. zu der Situation im Falle einer Rückkehr stellte die belangte Behörde insbesondere fest, der BF habe eine Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft gemacht. Es werde festgestellt, dass im Entscheidungszeitpunkt die Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Afghanistan eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde, oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen könnte. Es sei dem BF aufgrund seiner Minderjährigkeit der Status des Subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen.

Der BF erhob mit Eingabe vom 22.07.2019, durch seine gesetzliche Vertretung, den Magistrat der Stadt Wien, Wiener Kinder- und Jugendwohlfahrtshilfe, gegen diesen Bescheid fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde und führte begründend aus, dass sich der BF wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgrund einer mangelhaften Beweiswürdigung in seinen Rechten verletzt erachte. Die belangte Behörde habe nicht nur das Fluchtvorbringen des BF unzureichend gewürdigt, sondern habe sich auch in keiner Weise damit auseinandergesetzt, dass der BF angegeben habe, dass er nicht mehr an den Islam glaube. Der BF laufe Gefahr, als Mitglied der sozialen Gruppe der Familie Opfer von Blutrache zu werden, bzw. wegen Apostasie verfolgt zu werden, weswegen ihm der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen wäre.

Die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 31.07.2019 beim Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) ein.

Das BVwG hielt dem BF bzw. seiner gesetzlichen Vertretung mir Schreiben vom 06.08.2019 vor, dass er diese verspätet eingebracht habe, und räumte gleichzeitig eine Frist ein, sich dazu zu äußern. In seiner Stellungnahme vom 14.08.2019 machte der BF die Rechtzeitigkeit der Einbringung der Beschwerde glaubhaft.

Das BVwG führte am 14.11.2019 eine Abfrage im GVS System durch, wonach der BF seit 16.02.2019 Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung bezieht.

Aus dem vom BVwG am 14.11.2019 eingeholten Auszug aus dem Strafregister ist ersichtlich, dass im Strafregister der Republik Österreich für den BF keine Verurteilungen aufscheinen.

Das BVwG führte am 20.11.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch. Der BF wurde im Beisein eines Vertreters der belangten Behörde, seiner gesetzlichen Vertreterin und eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seinen Fluchtgründen und zu seiner Situation in Österreich befragt und wurde ihm Gelegenheit gegeben, zu den aktuellen Feststellungen zur Situation in Afghanistan Stellung zu nehmen. Der BF legte eine Reihe von Integrationsunterlagen, unter anderem auch Unterlagen zu seinem Religionsaustritt und seiner Teilnahme an einem Taufvorbereitungskurs der Iranisch Christlichen Gemeinde vor. Im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde auch der vom BF als Zeuge stellig gemachte Onkel des BF zu den Fluchtgründen des BF einvernommen.

Das BVwG legte im Rahmen der Verhandlung die aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan, genauer das Länderinformationsblatt Afghanistan in der Fassung vom 13.11.2019, die aktuelle UNHCR Richtlinie vom 30.08.2018 und die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation AFGHANISTAN, Christen, Konvertiten und Abtrünnige vom 12.07.2017 vor und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von drei Wochen eine schriftliche Stellungnahme abzugeben.

Der BF führte in seiner Stellungnahme durch seine gesetzliche Vertretung vom 11.12.2019 im Wesentlichen aus, dass bei den Aussagen des BF darauf Rücksicht zu nehmen sei, dass es sich bei ihm um einen Minderjährigen handle. Er führte zu Warlords in Afghanistan aus und zitierte dazu Länderinformationen. Schließlich habe der BF bei der mündlichen Verhandlung ausführlich dargelegt, dass er sich nicht mehr als Moslem sehe, und dass er sich seit seinem Aufenthalt in Griechenland begonnen habe, für das Christentum zu interessieren. Es werde ihm im Falle einer Rückkehr ein Abfall vom Glauben zumindest unterstellt werden. Der BF übermittelte auch Übersetzungen von Zeitungsartikeln, welche bereits gleichzeitig mit der Beschwerde in Dari vorgelegt worden waren.

Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Der BF führt den Namen XXXX , er ist am XXXX im Dorf XXXX , im Distrikt XXXX in der Provinz Daikundi geboren. Der BF ist afghanischer Staatsbürger, Hazara und schiitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari, er spricht auch Farsi. Der BF ist Zivilist, ledig und kinderlos.

Sein Vater hieß XXXX , er ist bereits verstorben, seine Mutter heißt XXXX . Der BF hat einen jüngeren Bruder und drei ältere Schwestern. Seine Mutter lebt mit zwei seiner Schwestern, XXXX und XXXX , und seinem Bruder XXXX im Iran, in Teheran, im Bezirk XXXX , Dorf XXXX . Seine Mutter arbeitet im Sommer in einer Ziegelfabrik.

Seine weitere Schwester, XXXX , lebt mit ihrer Familie seit dem Jahr 2015 in Deutschland.

Der BF hat auch eine Tante väterlicherseits, XXXX , welche mit ihrer Familie in Wien lebt.

Der BF wuchs als Kind bis zu seinem 6. Lebensjahr in seinem Heimatdorf auf. Seine Mutter verließ nach dem Tod ihres Ehemannes gemeinsam mit ihren Kindern und dem Onkel väterlicherseits des BF Afghanistan. Die Familie lebte danach ca. 9 oder 10 Jahre im Iran, wo der BF ca. ein Jahr lang die Schule besuchte. Der BF arbeitete im Iran in einer Fabrik.

1.2 Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Der BF verließ sein Heimatdorf als Kleinkind gemeinsam mit seiner Mutter und dem Onkel väterlicherseits, nachdem sein Vater von einem lokalen Warlord, Kommandant XXXX , getötet wurde. Dem BF konnte nicht glaubhaft machen, dass auch er Probleme mit diesem Warlord hat, bzw. dass auch er von diesem bedroht wird, bzw. dass er im Falle seiner Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Probleme mit diesem Warlord haben wird.

Der BF konnte nicht glaubhaft machen, dass er aus innerer Überzeugung nicht mehr Moslem ist.

Der BF selbst war in seinem Heimatland Afghanistan keiner psychischen oder physischen Gewalt aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgesetzt, noch hat er eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten.

Der BF verließ vor ca. eineinhalb Jahren den Iran, weil er bezichtigt wurde, in der Fabrik, in welcher er arbeitete, für einen Brand verantwortlich zu sein.

Der BF stellte am 15.02.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

1.3 Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Zur Lage in Afghanistan werden die im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 (LIB), in den UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 (UNHCR) und in der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation AFGHANISTAN, Christen, Konvertiten und Abtrünnige vom 12.07.2017 (Staatendokumentation) enthaltenen folgenden Informationen als entscheidungsrelevant festgestellt:

1.3.1 Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. (LIB)

1.3.1.1 Herkunftsprovinz Daikundi

Daikundi liegt in der Zentralregion Hazarajat und grenzt an Ghor im Norden und Westen, Bamyan im Osten, Ghazni im Südosten, Uruzgan im Süden und Helmand im Südwesten. Daikundi gehörte früher zur Provinz Uruzgan und ist mittlerweile eine eigenständige Provinz. Neben der Provinzhauptstadt Nili besteht Daikundi aus den folgenden Distrikten: Ishterlai, Pato, Kejran, Khedir, Kiti, Miramor, Sang-e-Takht und Shahristan. Der Distrikt Gizab/Pato wechselte in der Vergangenheit zwischen Uruzgan und Daikundi. Im Juni 2018 wurde Pato ein eigenständiger Distrikt. Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) führte Pato 2019 als "temporären" Distrikt von Daikundi. "Temporäre" Distrikte sind Distrikte, die nach Inkrafttreten der Verfassung im Jahr 2004 vom Präsidenten aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, jedoch (noch) nicht vom Parlament bestätigt wurden. Der von Hazara dominierte Distrikt Nawamish wurde auf Anordnung des Präsidenten im März 2016 vom mehrheitlich paschtunischen Distrikt Baghran in der Provinz Helmand abgespalten. Im Juni 2017 wurden die administrativen Angelegenheiten von Nawamish Daikundi zugeordnet, bzw. beschloss die Regierung 2018, dass Nawamish Teil von Daikundi werden würde. Zeitungsberichte vom Mai und Juli 2019 zählten Nawamish wieder zu Daikundi. Eine Quelle berichtet, dass es sich hierbei um einen Konflikt entlang ethnischer Grenzen handelt: Während Paschtunen fordern, dass Nawamish Teil von Daikundi sein soll, sprechen sich Hazara für eine Zugehörigkeit zu Helmand aus (LIB).

Im November 2018 erkannte Präsident Ashraf Ghani die Beförderung von Daikundi zu einer Provinz zweiter Klasse an, was eine höhere Mittelvergabe an die Provinz ermöglicht

Nach Schätzungen der CSO für den Zeitraum 2019-20 leben 507.610 Menschen in Daikundi. Als Teil des Hazarajats wird Daikundi mehrheitlich von Hazara bewohnt, wobei es eine Minderheit an Paschtunen, Belutschen und Sayeds/Sadats gibt (LIB).

In Daikundi gibt es nur eine gepflasterte Straße, einen Flughafen, der jedoch nach Angaben des Provinzgouverneurs keine Standards erfüllt und nur von kleinen Flugzeugen angeflogen werden kann. Von und nach Daikundi gibt es keinen Linienflugbetrieb (LIB).

Daikundi wird als eine relativ sichere Provinz, wobei der Mangel an Infrastruktur ein großes Problem für die Bevölkerung darstellt. Im Juli 2018 wurde von einer Zunahme an Fällen von Gewalt gegen Frauen berichtet (LIB).

Die Taliban waren 2018 und im ersten Halbjahr 2019 in der Provinz aktiv, wobei ACLED in diesem Zeitraum insgesamt 21 bewaffnete Zusammenstöße zwischen den Aufständischen und regierungsfreundlichen Kräften zählte. Die Vorfälle fanden hauptsächlich in den Distrikten Kejran, Gizab bzw. Pato und Nili statt. Gemäß einem Bericht vom März 2019 werden manche Gegenden in Pato von den Taliban kontrolliert (LIB).

Bewohner von Daikundi machten im April 2019 politische Parteien, bzw. "ungesunden" Wettbewerb zwischen diesen größtenteils für die Unsicherheit in der Provinz verantwortlich. Politische Gruppierungen, welche Teil von Jihadistengruppen seien, versuchten demnach, schwächere Rivalen zu unterdrücken (LIB).

Ghani ordnete im Herbst 2018 die Errichtung eines militärischen Bataillons in Daikundi an. Daikundi liegt im Verantwortungsbereich des 205. ANA Atal Corps, das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - South (TAAC-S) untersteht, welches von US-amerikanischen Streitkräften geleitet wird (LIB).

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 41 zivile Opfer (19 Tote und 22 Verletzte) in Daikundi. Dies entspricht einem Rückgang von 5% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe, gefolgt von Entführungen und improvisierten Bomben (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge). Die Regierungskräfte führten 2018 und 2019 Operationen in Daikundi durch. Die Taliban griffen beispielsweise Kontrollposten der Regierung im Distrikt Kejran an (LIB).

Daikundi zählt laut EASO zu jenen Provinzen, in denen willkürliche Gewalt auf einem so niedrigen Niveau stattfindet, dass im Allgemeinen kein reales Risiko besteht, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer einzelne Elemente berücksichtigt werden, da sie den Antragsteller in risikoreichere Situationen bringen könnten (EASO).

1.3.2 Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht. Schätzungen zufolge, sind: 40 bis 42% Paschtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (LIB).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ?Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet". Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen zu haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (LIB).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB).

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazaradjat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen sowie in Kabul (LIB).

Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri , Afshar und Kart-e Mamurin (LIB).

Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild. Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten, auch bekannt als Jafari Schiiten. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradjat lebt, ist ismailitisch. Ismailische Muslime, die vor allem, aber nicht ausschließlich, Hazara sind, leben hauptsächlich in Kabul sowie den zentralen und nördlichen Provinzen Afghanistans (LIB).

Die Lage der Hazara, die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgt waren, hat sich grundsätzlich verbessert und Hazara bekleiden inzwischen auch prominente Stellen in der Regierung und im öffentlichen Leben, sind jedoch in der öffentlichen Verwaltung nach wie vor unterrepräsentiert. Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung. Nichtsdestotrotz, genießt die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen (LIB).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Sollte der dem Haushalt vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist. Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen (LIB).

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen führen weiterhin zu Konflikten und Tötungen. Berichten zufolge halten Angriffe durch den ISKP und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen - inklusive der schiitischen Hazara - an (LIB).

Während des Jahres 2018 intensivierte der IS Angriffe gegen die Hazara. Angriffe gegen Schiiten, davon vorwiegend gegen Hazara, forderten im Zeitraum 01.01.2018 bis 30.9.2018 211 Todesopfer. Das von schiitischen Hazara bewohnte Gebiet Dasht-e Barchi in Westkabul ist immer wieder Ziel von Angriffen. Die Regierung hat Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen Sicherheitskräfte verlautbart. Angriffe werden auch als Vergeltung gegen mutmaßliche schiitische Unterstützung der iranischen Aktivitäten in Syrien durchgeführt (LIB).

In Randgebieten des Hazaradjat kommt es immer wieder zu Spannungen und teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Nomaden und sesshaften Landwirten, oftmals Hazara (LIB).

Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert. NGOs berichten, dass Polizeibeamte, die der Hazara-Gemeinschaft angehören, öfter als andere Ethnien in unsicheren Gebieten eingesetzt werden oder im Innenministerium an symbolische Positionen ohne Kompetenzen befördert werden (LIB).

1.3.3 Religion, Apostasie und Konversion

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus (LIB).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist. Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie. Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie.

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (LIB).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung. Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung. Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (LIB).

Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 bis 19% geschätzt. Zuverlässige Zahlen zur Größe der schiitischen Gemeinschaft sind nicht verfügbar und werden vom Statistikamt nicht erfasst. Gemäß Gemeindeleitern sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Unter den Schiiten gibt es auch Ismailiten (LIB).

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Gemäß Zahlen von UNAMA gab es im Jahr 2018 19 Fälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten, bei denen 223 Menschen getötet und 524 Menschen verletzt wurden; ein zahlenmäßiger Anstieg der zivilen Opfer um 34%. In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristischen Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt. Im Jahr 2018 wurde die Intensität der Attacken in urbanen Räumen durch den IS verstärkt (LIB).

Nichtmuslimische Gruppierungen wie Sikhs, Baha'i, Hindus und Christen machen ca. 0,3% der Bevölkerung aus. Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden. USDOS schätzte im Jahresbericht zur Religionsfreiheit 2009 die Größe der geheimen christlichen Gemeinschaft auf 500 bis 8.000 Personen. Religiöse Freiheit für Christen in Afghanistan existiert; gemäß der afghanischen Verfassung ist es Gläubigen erlaubt, ihre Religion in Afghanistan im Rahmen der Gesetze frei auszuüben. Dennoch gibt es unterschiedliche Interpretationen zu religiöser Freiheit, da konvertierte Christen im Gegensatz zu originären Christen vielen Einschränkungen ausgesetzt sind. Religiöse Freiheit beinhaltet nicht die Konversion (LIB).

Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (LIB).

Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung "religionsbeleidigende Verbrechen" verboten ist (LIB).

Es gibt keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Apostasie; auch auf höchster Ebene scheint die afghanische Regierung kein Interesse zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen - weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben und auch zur Strafverfolgung von Blasphemie existieren keine Berichte (LIB).

Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIB).

Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld. Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden. Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren. Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (LIB).

Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (LIB).

Abtrünnige bekennen sich üblicherweise in Afghanistan nicht öffentlich. Sollten sie ihre Meinung öffentlich kundtun und sich auf Diskussionen einlassen, um ihren abtrünnigen Glauben vergleichend mit dem Islam zu verteidigen, werden sie von der Gesellschaft schlecht behandelt. Staatliche Behörden werden nur dann eingreifen, wenn sich Abtrünnige öffentlich äußern und soziale Probleme hervorrufen (Staatendokumentation).

Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen. Es gibt in Afghanistan viele Menschen, die während des Ramadans nicht fasten und freitags nicht beten. In ländlichen Gebieten wird diesen Personen von der Gesellschaft nahegelegt, (zumindest) das Freitags- und Ramadan-Gebet einzuhalten. Die Gesellschaft behandelt das Nichtbeten als kleine Vergehen. Das Nicht-Fasten ist in ländlichen Gebieten eine heiklere Angelegenheit. Vorfälle schlechter Behandlung wegen Nicht-Fastens durch die Gesellschaft kommen vor. Es gibt keine Berichte zur offiziellen Strafverfolgung wegen des Nicht-Fastens zu Ramadan. In städtischen Gebieten ist die Gesellschaft flexibler und weniger streng (Staatendokumentation).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (Staatendokumentation).

1.3.4 Blutfehde

Gemäß althergebrachter Verhaltens- und Ehrvorstellungen töten bei einer Blutfehde die Mitglieder einer Familie als Vergeltungsakte die Mitglieder einer anderen Familie. In Afghanistan sind Blutfehden in erster Linie eine Tradition der Paschtunen und im paschtunischen Gewohnheitsrechtssystem Paschtunwali verwurzelt, kommen jedoch Berichten zufolge auch unter anderen ethnischen Gruppen vor. Blutfehden können durch Morde ausgelöst werden, aber auch durch andere Taten wie die Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen, Entführung oder Vergewaltigung verheirateter Frauen oder ungelöster Streitigkeiten um Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum. Blutfehden können zu langanhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Nach dem Paschtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Berichten zufolge Racheakte nicht an Frauen und Kindern verübt, doch soll der Brauch baad, eine stammesübliche Form der Streitbeilegung, in der die Familie des Täters der Familie, der Unrecht geschah, ein Mädchen zur Heirat anbietet, vor allem im ländlichen Raum praktiziert werden, um eine Blutfehde beizulegen. Wenn die Familie, der Unrecht geschah, nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann, wie aus Berichten hervorgeht, die Blutfehde erliegen, bis die Familie des Opfers sich für fähig hält, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen. Die Bestrafung des Täters im Rahmen des formalen Rechtssystems schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus. Sofern die Blutfehde nicht durch eine Einigung mit Hilfe traditioneller Streitbeilegungsmechanismen beendet wurde, kann Berichten zufolge davon ausgegangen werden, dass die Familie des Opfers auch dann noch Rache gegen den Täter verüben wird, wenn dieser seine offizielle Strafe bereits verbüßt hat. (UNHCR)

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft und ethnischen Zugehörigkeit sowie zu den Aufenthaltsorten, Familienangehörigen, Sprachkenntnissen, der Schulbildung und Berufserfahrung des BF beruhen auf dessen plausiblen, im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben im Laufe des Asylverfahrens. Die Angaben dienen zur Identifizierung im Asylverfahren.

Die Feststellung, wonach der BF schiitischer Moslem ist, gründet sich auf dessen eigenen Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung: "Ich bin zwar Moslem, aber nicht so fest gläubig." (vgl. S 6 der Niederschrift der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 20.11.2019). Nachdem die erkennende Richterin zu Beginn der Verhandlung Informationen über den BF zusammengefasst vortrug, welche auch den Satz "Ich bin afghanischer Staatsbürger, Hazara und schiitischer Moslem" enthielten, und ihn bat, etwaige Fehler zu korrigieren, bestätigte der BF die Richtigkeit der Angaben ("Das passt." vgl. S 5 der Niederschrift der mündlichen Beschwerdeverhandlung). Daran vermag auch sein Religionsaustritt am 25.10.2019 (siehe Beilage .1 der Niederschrift der mündlichen Beschwerdeverhandlung) nichts zu ändern.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 145/2017, (in der Folge: AsylG 2005) liegt es auch am BF, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Das Asylverfahren bietet, wie der VwGH erst jüngst in seinem Erkenntnis vom 27.05.2019, Ra 2019/14/0143-8, wieder betonte, nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

Mit der Glaubhaftmachung ist demnach die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

Die Glaubhaftmachung hat das Ziel, die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit bestimmter Tatsachenbehauptungen zu vermitteln. Glaubhaftmachung ist somit der Nachweis einer Wahrscheinlichkeit. Dafür genügt ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit als der, der die Überzeugung von der Gewissheit rechtfertigt (VwGH 29.05.2006, 2005/17/0252). Im Gegensatz zum strikten Beweis bedeutet Glaubhaftmachung ein reduziertes Beweismaß und lässt durchwegs Raum für gewisse Einwände und Zweifel am Vorbringen des Asylwerbers. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist eine objektivierte Sichtweise anzustellen.

Unter diesen Maßgaben ist das Vorbringen eines Asylwerbers also auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen. Dabei ist vor allem auf folgende Kriterien abzustellen: Das Vorbringen des Asylwerbers muss - unter Berücksichtigung der jeweiligen Fähigkeiten und Möglichkeiten - genügend substantiiert sein; dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Das Vorbringen hat zudem plausibel zu sein, muss also mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen; diese Voraussetzung ist u.a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Schließlich muss das Fluchtvorbringen in sich schlüssig sein; der Asylwerber darf sich demgemäß nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

Das BVwG hat bei der Würdigung der Aussagen des BF zu seinen Fluchtgründen im gegenständlichen Beschwerdefall ebenfalls zu berücksichtigen, dass der BF im Zeitpunkt des Verlassens seines Heimatlandes und auch zum Zeitpunkt seiner Einvernahme vor dem BVwG am 20.11.2019 minderjährig war. Entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine besonders sorgfältige Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen erforderlich und die Dichte dieses Vorbringens kann nicht mit "normalen Maßstäben" gemessen werden. Zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des BF ist entsprechend diesen höchstgerichtlichen Vorgaben eine besonders sorgfältige Beweiswürdigung erforderlich (Ra 2018/18/0150).

Der BF gibt als Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass sein Vater vor etwa zehn Jahren im Zuge eines Grundstücksstreits durch einen lokalen Warlord, Kommandant XXXX , getötet worden sei. Der BF sei daraufhin mit seiner Mutter, seinen Geschwistern und seinem Onkel in den Iran geflüchtet, wo er bis zu seiner Ausreise nach Europa gelebt habe. Sein Onkel sei vor etwa zwei Jahren in das Heimatdorf nach Afghanistan zurückgekehrt und ebenfalls getötet worden. Nach einem Brand in der Fabrik im Iran, in welcher der BF gearbeitet habe, sei er beschuldigt worden, das Feuer gelegt zu haben, weshalb er aus dem Iran geflüchtet sei. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde Kommandant XXXX glauben, der BF wolle Rache an der Tötung des Vaters und Onkels nehmen, weshalb der BF ebenfalls in Gefahr sei, von diesem bzw. dessen Gefolgsleuten getötet zu werden.

Insofern sich das Fluchtvorbingen auf den Iran bezieht, ist es schon aus diesem Grund nicht von asylrechtlicher Relevanz.

Der BF selbst, der seine Heimat Afghanistan im Alter von etwa fünf oder sechs Jahren verlassen hat, wurde in Afghanistan, wie er sowohl bei der Einvernahme durch das BFA als auch in der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG selbst bestätigte, nie persönlich bedroht und verfolgt und schilderte in der seinen Herkunftsstaat Afghanistan betreffenden Fluchtgeschichte keine persönlichen Erlebnisse, weshalb sich das Vorbringen während des gesamten Verfahrens vage und unsubstantiiert zeigte.

Das Vorbringen des BF zum Kommandanten XXXX und zum Ursprung dessen Konflikts mit seinem Vater stützt sich ausschließlich auf Hörensagen, wobei sich der BF hauptsächlich auf Erzählungen seiner Mutter berief (vgl. S 10 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung; S 9 der Einvernahme vor dem BFA am 19.06.2019). Befragt, ob er den Kommandanten kenne, verneinte er vor der belangten Behörde: "Nein, ich war zu klein, als ich Afghanistan verließ. Befragt gebe ich an, dass ich mich nicht erinnern kann, ob ich ihn jemals gesehen habe." (vgl. S 9 der Einvernahme vor dem BFA). In der Beschwerdeverhandlung zeigte er sich nicht einmal mehr sicher, was der Grund des Konflikts seines Vaters mit dem Kommandanten gewesen sei (vgl. S 9 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung: "Vor ca. 10 Jahren wurde mein Vater getötet wegen irgendeines Streits. Ich nehme an, dass es ein Grundstücksstreit oder so war."). Es ist, auch im Lichte der Aussage des in der mündlichen Beschwerdeverhandlung einvernommenen Zeugen, grundsätzlich glaubhaft, dass der Vater des BF von diesem Warlord getötet wurde, weswegen die entsprechende Feststellung getroffen wird. Nicht klar ist jedoch, weswegen diese Tötung erfolgte, so dass dazu keine Feststellung getroffen wird.

Der BF relativierte zudem seine früheren Angaben, wonach auch sein Onkel nach dessen Rückkehr nach Afghanistan von XXXX getötet worden sei und sprach nunmehr davon, sein Onkel und zwei bis drei Frauen seien von den Taliban getötet worden ("Alle wurden durch die Taliban getötet. Die Taliban oder die anderen, das weiß ich nicht genau." vgl. S 9 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Im Laufe der weiteren Befragung änderte der BF sein Vorbringen abermals und vermutete erneut, sein Onkel sei von Kommandant XXXX getötet worden: "Irgendwer hat das gesagt, dass das XXXX gewesen ist." (vgl S 11 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung).

Dem BF gelang es auch nicht, glaubhaft darzulegen, wie ihn der Kommandant im Falle einer Rückkehr finden könnte. Auf entsprechende Frage der erkennenden Richterin antwortete er ausweichend und führte Allgemeines zu einer Ausweispflicht bei Anmietung von Unterkünften aus, weiters würde er aufgrund seiner Abkehr vom islamischen Glauben als "kafer" bezeichnet und umgebracht werden. Kommandant XXXX würde denken, der BF sei zur Rache in Afghanistan und würde ihn suchen und finden. Wie er ihn finden würde, ließ der BF jedoch unbeantwortet (vgl. S 10 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung).

Auch bei hypothetischer Annahme der Glaubhaftigkeit des Vorbringens, wonach der BF aufgrund des Grundstückskonflikts und der Tötung seines Vaters vor zehn Jahren ebenfalls durch den Kommandanten XXXX verfolgt werden würde, ist nämlich nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass ihn dieser finden würde, zumal der BF bei seiner Ausreise noch ein Kind war. Der BF vermochte auch nicht darzutun, welches Interesse dieser Warlord am BF haben sollte.

Der als Zeuge in der Beschwerdeverhandlung einvernommene Bekannte des Vaters des BF, der vor etwa 20 Jahren - somit zehn Jahre vor der Tötung des Vaters des BF - aus Afghanistan ausreiste, vermochte ebenfalls nicht glaubhaft darlegen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in ganz Afghanistan Verfolgung durch den Kommandanten XXXX zu befürchten hätte. Er bestätigte zwar, dass es sich bei diesem um einen Warlord handle, der in der Heimatregion des BF in Daikundi für Angriffe verantwortlich sei und vermutete dessen Verbindungen zu anderen Kommandanten und den Taliban, konnte aber nicht klar beantworten, ob er darüber hinaus auch in ganz Afghanistan tätig sei ("Sie fragen mich eine Frage, die ein SV (Sachverständiger) schwer beantworten kann. (...) Ich kann nur meine Meinung dazu sagen." vgl. S 13 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Dass Kommandant XXXX im Hintergrund Unterstützung erfährt, wie dies vom Zeugen ins Treffen geführt wird, ist zwar durchaus plausibel, macht aber eine Verfolgung des BF - welcher seine Heimat als Kind verlassen hat und bei dem es sich um keine exponierte Person handelt, die dem Kommandanten gefährlich werden könnte - im gesamten Staatsgebiet Afghanistans nicht glaubhaft.

Im Gesamtzusammenhang betrachtet ist daher nicht davon auszugehen, dass dem BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Übergriffe durch den Kommandanten XXXX drohen werden.

Die Feststellung, wonach der BF nicht glaubhaft machen konnte, dass er aus innerer Überzeugung nicht mehr Moslem ist, stützt sich auf die eigenen Angaben des BF und den persönlichen Eindruck der erkennenden Richterin vom BF.

Zwar legte er in der mündlichen Beschwerdeverhandlung eine Abschrift der Niederschrift seines Religionsaustritts vom 25.10.2019 und ein Schreiben der Iranisch Christlichen Gemeinde vom 18.11.2019 vor, in welchem mitgeteilt wird, dass der BF seit September 2019 die dortigen Veranstaltungen besucht, Interesse für das Christentum gezeigt und seinen Wunsch, getauft zu werden, geäußert habe, die Ausführungen des BF in der Verhandlung zeigen jedoch, dass eine Abkehr vom islamischen und die Zuwendung zum christlichen Glauben keineswegs bereits Bestandteil seiner Identität geworden sind.

Wie bereits zuvor ausgeführt, bezeichnete sich der BF sowohl vor der belangten Behörde als auch in der Beschwerdeverhandlung als Moslem und Schiit, wenn er auch jeweils dazu anmerkte, nicht besonders religiös zu sein (vgl. S 5 der Einvernahme vor dem BFA am 19.06.2019: F: "Welche Religion haben Sie?" A: "Moslem, Schiit. Aber ich glaube nicht wirklich an den Islam"; S 6 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung: BF: "Ich bin zwar Moslem, aber nicht so fest gläubig."). In der Folge bejahte der BF hingegen die Frage, ob er an Gott glaube. Auf Nachfrage, ob Gott für Ihn Allah sei, antwortete der BF: "Ungefähr gibt es Allah nicht, oder gibt es ihn. Ich weiß es nicht." (vgl. S 6 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung).

Der BF gab auf Befragen der erkennenden Richterin an, nicht zu beten und zu fasten (vgl. S 6 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Laut den zitierten Länderinformationen haben Menschen, welche nicht beten und nicht fasten in Afghanistan nichts zu befürchten, sofern sie sich nicht öffentlich dazu bekennen, dass sie vom Islam abgefallen sind. Der BF gibt an, einigen seiner Freunde davon erzählt zu haben, nicht mehr an den Islam zu glauben, diese seien jedoch Konvertiten, mit denen er gemeinsam in die Kirche gehe. Die anderen Freunde wüssten es nicht, auch seiner Mutter sowie seiner in Österreich lebenden Tante und deren Familie habe der BF darüber nichts erzählt (vgl. S 7 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Befragt, ob der BF seine Abkehr vom Islam offen leben wolle, gab er an, in Österreich schon, in Afghanistan nicht, weil es dort gefährlich sei (vgl. S 7 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Auf Nachfrage seiner Rechtsvertreterin, ob er sich wünschte, er könnte in Afghanistan offen über den Glauben sprechen, wiederholte der BF "Wie gesagt: In Afghanistan darf man nicht über dieses Thema sprechen. Sie werden mich sofort umbringen. Auf der Stelle." Auf weitere Nachfrage der erkennenden Richterin "Ist Ihnen das Thema Religion so wichtig, dass Sie trotzdem darüber sprechen würden in Afghanistan?" antwortete er: "Dort ist es gefährlich. Man kann nicht darüber sprechen. Sie werden mich sofort, auf der Stelle, umbringen. Sie werden mich beschuldigen, dass ich aus meinem Glauben ausgetreten bin." (vgl. S 8 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung).

Dass ein öffentliches Bekenntnis zum Abfall vom Glauben in Afghanistan mit (Lebens-)gefahr verbunden ist, wird auch durch die Länderinformationen bestätigt. Ein grundsätzliches Bedürfnis, über seinen Glauben zu sprechen, machte der BF jedoch auch nach mehrmaligem Nachfragen nicht geltend, was dafürspricht, dass der BF im Kreise von Muslimen eben nicht öffentlich zu seiner Abwendung vom Islam stehen will. Hinzu kommt, dass er, wie schon oben ausgeführt, sich selbst nach wie vor als Moslem bezeichnet, so dass nicht von einem Abfall vom Glauben auszugehen ist.

Mit seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung vermittelte der BF glaubhaft den Eindruck, dass das Thema Religion für ihn, wie für viele andere Jugendliche in seinem Alter, einfach nicht wichtig ist. Auf die Frage, wie sich diese von ihm dargelegte Einstellung mit dem vorgelegten Schreiben der Iranisch Christlichen Gemeinde, wonach sich der BF für den christlichen Glauben interessiere, vereinbaren lasse, führte der BF aus, aktuell in die Kirche zu gehen und Informationen zu sammeln. Wenn es ihm gefalle, würde er die Religion annehmen. Auf erneute Nachfrage, warum der BF eine neue Religion annehmen wolle, wenn ihm Religion nicht wichtig sei, gab er an, dass der Islam ihm nicht wichtig sei (vgl. S 6 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Dass ihm jedoch eine andere Religion, insbesondere das Christentum, wichtig sei, brachte er hingegen ebenfalls in keiner Phase des Verfahrens vor. Er sprach ein ernsthaft bestehendes Interesse am Christentum von sich aus nicht an, sondern wird ein solches lediglich durch das vorgelegte Schreiben der Iranisch Christlichen Gemeinde in den Raum gestellt. Auf Frage seitens des Behördenvertreters, wie er mit dem Christentum in Berührung gekommen sei, schilderte der BF den Kontakt mit Missionaren in Griechenland, die Unterstützung für diejenigen in Aussicht gestellt hätten, die zum Christentum konvertieren (vgl. S 8 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Ein aus innerer Überzeugung erfolgtes Interesse am Übertritt zum Christentum vermochte der BF damit nicht glaubhaft darzulegen.

In einer Gesamtbetrachtung geht das erkennende Gericht somit davon aus, dass der BF zwar seinen Glauben derzeit nicht ausübt und sich emotional von ihm distanziert hat. Dass der BF seine Religionszugehörigkeit aus ideellen Gründen aufgegeben und abgelegt hätte und seine Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal verstünde, kann aus den dargelegten Gründen jedoch nicht festgestellt werden.

Die Feststellungen hinsichtlich einer nicht bestehenden Gefährdung des BF aufgrund seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, seiner Asylantragstellung sowie seiner rechtswidrigen Ausreise beruhen auf den ins Verfahren eingebrachten Länderberichten bzw. wurde vom BF auch keine über die oben dargestellten Fluchtgründe hinausgehende drohende Verfolgung substantiiert vorgebracht.

Wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid bereits richtig anführte, gibt es beim BF abseits dieser oben genannten Fluchtgründe, abgesehen von seiner Minderjährigkeit, welche per se kein Fluchtgrund ist, und welche auch dazu führte, dass der BF in Österreich subsidiären Schutz genießt, keine besonderen Vulnerabilitäten des BF, die eine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan wahrscheinlich erscheinen lassen.

2.3 Zu den Länderfeststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan

Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das BVwG kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem BVwG von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Die Parteien des Verfahrens haben alle genannten Länderinformationen mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme vom erkennenden Gericht übermittelt bekommen und haben von diesem Recht auch teilweise Gebrauch gemacht. Die vom BF in seinen Stellungnahmen zitierten Länderinformationen finden Großteils Deckung in dem von der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erstellten Länderinformationen zu Afghanistan. Insoweit es hier Abweichungen zu den dieser Entscheidung zugrunde gelegten Länderinformationen gibt, wird dem entgegengehalten, dass diese Länderinformationen der Staatendokumentation auf dem aktuellen Stand sind, und alle, für das gegenständliche Verfahren wesentlichen Aspekte berücksichtigen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1 Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Artikel 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling im Sinne des Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet.

Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Die Voraussetzung der "wohlbegründeten Furcht" vor Verfolgung wird in der Regel aber nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden, und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (vgl. VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Artikel 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. u.a. VwGH 20.06.2007, 2006/19/0265 mwN).

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. hiezu VwGH 21.01.1999, 98/18/0394; 19.10.2000, 98/20/0233 mwH). Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. VwGH 17.06.1993, 92/01/1081; 14.03.1995, 94/20/0798).

Wie oben ausgeführt ist es dem BF nicht gelungen, eine begründete Furcht vor Verfolgung durch den Feind seines Vaters, XXXX , darzutun. Eine Prüfung des Zusammenhanges mit einem Konventionsgrund erübrigt sich daher und kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass dem BF von dieser Person asylrelevante Verfolgung in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.

Es ist dem BF auch nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass er sich vom Islam abwandte und nun eine Konversion zum Christentum anstrebt. Auch wenn dem BF, wie viele andere Jugendlichen auch, Religion nicht besonders wichtig zu sein scheint, so bedingt diese Tatsache per se noch keinen Abfall vom Glauben. Daher wird dem BF in Afghanistan im Einklang mit den zitierten Länderinformationen auch keine asylrelevante Verfolgung aus diesem Grunde drohen.

Da sich weder aus dem Vorbringen des BF noch aus internationalen Länderberichten hinreichende Anhaltspunkte für eine Verfolgung des BF ergeben haben, ist kein unter Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention zu subsumierender Sachverhalt ableitbar.

Der Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde daher zu Recht abgewiesen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des VwGH ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die oben zitierte Judikatur des VwGH, aber auch des Verfassungsgerichtshofes und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des VwGH auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Christentum Fluchtgründe Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Konversion mündliche Verhandlung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W261.2221910.1.00

Im RIS seit

29.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

29.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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