TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/11 W136 2205192-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.02.2020
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Entscheidungsdatum

11.02.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §75 Abs24
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W136 2205192-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Brigitte HABERMAYER-BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2018, Zl. 1112012808-160557935, zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und der XXXX gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass der XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin reiste gemeinsam mit ihren Familienangehörigen illegal nach Österreich ein und stellte am 19.04.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab sie an, Staatsangehörige Afghanistans und Angehörige des Sikhismus zu sein. Sie gehöre der Volksgruppe der Kalran an.

Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Beschwerdeführerin statt. Sie habe die Heimat vor ungefähr XXXX (etwa Anfang XXXX ) illegal von ihrem Wohnort aus mit einem Taxi verlassen und sei danach mit einem LKW über ihr unbekannte Staaten schließlich ins Bundesgebiet eingereist, wo sie am 19.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Sie sei die Tochter bzw. die Schwester der Beschwerdeführer zu W127 2205200-1/9E, W127 2205203-1/10E, W127 2205197-1/8E und W127 2205205-1/8E. Befragt, warum sie ihren Herkunftsstaat verlassen habe, gab die Beschwerdeführerin zusammenfassend an, dass ihre Familie als Angehörige einer Minderheit oft erniedrigt und belästigt worden sei. Ihr Vater sei zweimal geschlagen und ihr Bruder sei auch misshandelt worden. Seit sie im heiratsfähigen Alter sei, sei sie auch immer wieder verfolgt und belästigt worden. Bei einer Rückkehr in ihre Heimat habe sie Angst um ihr und das Leben ihrer Familie.

Am 18.04.2018 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Punjabi niederschriftlich einvernommen. Dabei brachte sie zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen vor, dass ihre Familienangehörigen nicht aus dem Haus gehen hätten können und dass sie nicht zur Schule gegangen sei, weil man ihren Großvater umgebracht habe. Weiters sei ihr Vater zwei- bis dreimal verprügelt und dabei am Ohr verletzt worden. Sie hätten jeden Abend Angst gehabt, ob ihr Vater von der Arbeit heil zurückkehrt. Ihr Großvater sei wegen ihr gestorben, weil sie darauf bestanden habe, lesen und schreiben zu lernen. Die Leute hätten sie als "Kartoffel" beschimpft und belästigt. Als der Großvater ihr helfen habe wollen, sei er gegen eine Wand gestoßen worden und in der Folge gestorben. Befragt, erklärte sie, dass ihr Vater mehrmals verprügelt worden sei, weil er Sikh sei. Es seien vier bis fünf Männer gewesen. Ob es jedes Mal dieselben Männer gewesen seien, wisse sie nicht. Auch ihr Großvater sei von vier bis fünf Männern angegriffen worden, von denen zwei maskiert gewesen seien. Es seien Leute, die immer wieder durch die Straßen gehen. Der Vorfall sei fünf Minuten von ihrem Haus passiert. Die Männer seien unbewaffnet gewesen, sie habe sie nicht gekannt. Ein Mann habe sie an der Hand gepackt und der Großvater sie gestoßen, damit dieser sie loslässt. Der Mann habe dann aber ihren Großvater gegen die Wand gestoßen. Auf die Frage, ob die Männer ihr danach nichts mehr getan hätten, erklärte sie, dass sie weggelaufen seien, weil die Nachbarn gleich zu schreien begonnen hätten. Auf Nachfrage teilte sie mit, dass ihr Großvater stark gegen die Wand gestoßen worden und schon fünfundachtzig Jahre alt gewesen sei. Befragt, verneinte sie, persönlich bedroht worden zu sein. Aber ihre Familie sei von den Leuten mit dem Umbringen bedroht worden, die sie belästigt hätten. Zu ihren Rückkehrbefürchtungen gab sie an, sie habe Angst, umgebracht zu werden.

Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2018, dem rechtsfreundlichen Vertreter zugestellt am 06.08.2018, wurde der gegenständliche Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihr gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für eine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan, stellte die Identität der Beschwerdeführerin fest und begründete die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass in ihren und den Aussagen ihrer Familie Widersprüche bestehen würden bzw. dass diese nicht plausibel seien. So habe sie etwa als einziges Mitglied ihrer Familie die Tötung ihres Großvaters im Rahmen der Erstbefragung gar nicht erwähnt, obwohl dies von der einzigen Augenzeugin zu erwarten wäre. Ebenfalls als einziges Mitglied habe sie von einer Misshandlung ihres Bruders gesprochen, wobei davon auszugehen wäre, dass eine solche jedenfalls auch von dessen Eltern vorgebracht wird. Davon abgesehen könnten Erwägungen bezüglich der vorgebrachten Bedrohung bzw. Verfolgung gänzlich unterbleiben, zumal festgestellt werden habe können, dass sie seit etwa XXXX und sohin jedenfalls auch in dem Zeitraum, in dem ihr Großvater ihren Angaben zufolge gestorben wäre, nicht in ihrem Herkunftsstaat aufhältig gewesen sei. Es könnte demzufolge, selbst im rein hypothetisch unterstellten Wahrheitsfall ihrer Aussagen zur Tötung ihres Großvaters und den tätlichen Übergriffen gegen ihren Vater, festgestellt werden, dass sich diese nicht in Afghanistan ereignet hätten - sohin habe auch keine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat festgestellt werden können. Daher würde gemäß der GFK ihr Ausreisevorbingen und ihre damit verbundenen Befürchtungen für den Fall ihrer Rückkehr, welche sich auf Ereignisse beziehen würden, welche sich jedenfalls außerhalb Afghanistans zugetragen hätten, auch im Fall deren Wahrunterstellung nicht für eine Asylgewährung hinsichtlich ihres Herkunftsstaats in Betracht kommen.

Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 02.08.2018 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

Gegen den oben genannten Bescheid wurde fristgerecht eine (gemeinsame) Beschwerde erhoben, welche am 05.09.2018 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. In dieser wurde nach einem Verweis auf das gesamte bisherige Vorbringen und einer Abhandlung der seitens der belangten Behörde vorgebrachten Gründe für die Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin und ihrer Familienangehörigen bzw. die geäußerten Zweifel an ihrem Aufenthalt im Zeitpunkt der angeblichen Vorfälle in Afghanistan im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin und ihre Angehörigen eine asylrelevante Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe / Religion der Sikhs und die weiblichen Familienmitglieder darüber hinaus eine Verfolgung als Angehörige der sozialen Gruppe der Frauen geltend machen würden. Sie seien westlich orientiert und würden selbstbestimmt leben. Die Lage der Sikh-Frauen sei noch wesentlich schlechter, als die allgemeine Situation der übrigen Frauen in Afghanistan. Da die Sicherheitslage in ihrer Heimat prekär sei, würden zweifellos auch die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz vorliegen. Schließlich seien auch die Umstände für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gegeben.

Die gegenständliche (gemeinsame) Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 07.09.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässigen Beschwerden erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Antrags auf internationalen Schutz vom 19.04.2016, der Einvernahmen der Beschwerdeführerin durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der (gemeinsamen) Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, Fremdeninformationssystem, Strafregister und Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Afghanistans und Angehörige der Volksgruppe der Kalran. Sie bekennt sich zur Religionsgemeinschaft der Sikhs.

Die Beschwerdeführerin reiste gemeinsam mit ihren Familienangehörigen illegal nach Österreich ein und stellte am 19.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie war im Zeitpunkt ihrer Antragstellung ledig und minderjährig.

Die Beschwerdeführerin hat in ihrem Verfahren hauptsächlich von Problemen ihrer Familie wegen ihres Glaubens berichtet und dabei von wiederholten tätlichen Angriffen auf ihren Vater bzw. Misshandlungen ihres Bruders und der Tötung ihres Großvaters gesprochen. Seit sie das heiratsfähige Alter erreicht hat, ist auch sie selbst wiederholt verfolgt und belästigt worden.

Die Beschwerdeführerin ist die Tochter bzw. die Schwester von XXXX , XXXX , XXXX und XXXX , denen mit mündlich verkündeten Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.02.2019, W127 2205200-1/9E, W127 2205203-1/10E, W127 2205197-1/8E und W127 2205205-1/8E, insbesondere wegen der am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten Lebensweise der XXXX , welche zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, womit von ihr nicht erwartet werden kann, diese in Afghanistan zu unterdrücken oder überhaupt abzulegen, und einer damit drohenden Verfolgung durch konservative Kreise in ihrer Heimat gemäß § 3 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt wurde.

Im gegenständlichen Fall liegt ein Familienverfahren iSd § 34 AsylG 2005 vor.

Es ist nicht ersichtlich, dass der Beschwerdeführerin die Fortsetzung des bestehenden Familienlebens mit ihren asylberechtigten Eltern bzw. Geschwistern in einem anderen Staat möglich wäre.

Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin, ihrer Herkunft, ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin und ihrer Angehörigen. Ihre Identität wurde auch bereits vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl festgestellt.

Die Feststellungen zur Fluchtroute gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin und ihrer Angehörigen.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin und ihrer Angehörigen.

Die Zeitpunkte der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zur persönlichen und familiären Situation der Beschwerdeführerin ergeben sich aus ihren Angaben im Rahmen des Verfahrens sowie aus Abfragen in den entsprechenden amtlichen österreichischen Registern (Zentrales Melderegister, Fremdeninformationssystem, Grundversorgungs-Informationssystem). Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

Dass bei der Beschwerdeführerin keine eigenen individuellen Fluchtgründe vorliegen, ergibt sich aus ihrem und dem Vorbringen ihrer Familienangehörigen.

Die Feststellung, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um die Tochter bzw. die Schwester von XXXX , XXXX , XXXX und XXXX handelt, gründet sich auf die diesbezüglich übereinstimmenden sowie gleichbleibenden und damit glaubwürdigen Angaben der Beschwerdeführerin und ihrer Familienangehörigen im Verfahren.

Dass den Eltern bzw. Geschwistern der Beschwerdeführerin mit Erkenntnis vom 21.02.2019 gemäß § 3 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten zuerkannt wurde, ergibt sich aus den Gerichtsakten zu W127 2205200-1/9E, W127 2205203-1/10E, W127 2205197-1/8E und W127 2205205-1/8E.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Materiengesetzen (BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann - soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist - das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

In den vorliegenden Beschwerdefällen ergibt sich, dass aus den Akteninhalten der Verwaltungsakte die Grundlage der bekämpften Bescheide in Verbindung mit der (gemeinsamen) Beschwerde unzweifelhaft nachvollziehbar ist. Der maßgebliche Sachverhalt war aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt anzusehen. Auch die gebotene Aktualität ist unverändert gegeben, zumal die den Bescheiden zugrunde gelegten Länderfeststellungen unverändert die zur Beurteilung des konkreten Falls notwendige Aktualität aufweisen.

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH vom 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 3 mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt wurde, hat die Beschwerdeführerin eine sie betreffende auf den in der GFK taxativ aufgezählten Gründen beruhende Bedrohung oder Verfolgung in Afghanistan im Verfahren nicht ausreichend substantiiert vorgebracht, weshalb keine individuelle asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat festgestellt werden kann.

Im vorliegenden Fall liegt jedoch ein Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG 2005 bezüglich der Verfahren der Beschwerdeführerin und ihrer Eltern bzw. Geschwistern vor.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3); die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang.

Wie sich aus einer Entscheidung des VwGH vom 24.10.2018 ergibt, Ra 2018/14/0040, schließt eine nach den Bestimmungen des Familienverfahrens gemäß § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 erfolgte Zuerkennung des Status von Asylberechtigten an die Eltern im Fall minderjähriger lediger Kinder nicht aus, dass auch diesen wiederum im Weg des Familienverfahrens der Status von Asylberechtigten in Ableitung von ihren Eltern zuerkannt werden kann.

Nach einer weiteren Entscheidung des VwGH vom 28.11.2019, Ra 2018/19/0513, schließt eine nach den Bestimmungen des Familienverfahrens erfolgte Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an einen Elternteil eines Fremden nicht aus, dass auch dem (ledigen und im maßgeblichen Antragszeitpunkt noch minderjährigen) Fremden ungeachtet dessen mittlerweile eingetretener Volljährigkeit seinerseits im Weg des Familienverfahrens der Status des Asylberechtigten in Ableitung von diesem Elternteil zuerkannt werden könnte (vgl. VwGH 13.11.2019, Ra 2019/01/0143 und VwGH 29.4.2019, Ra 2018/20/0031).

Den Eltern bzw. Geschwistern der Beschwerdeführerin wurde mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 21.02.2019, W127 2205200-1/9E, W127 2205203-1/10E, W127 2205197-1/8E und W127 2205205-1/8E, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten insbesondere wegen der am westlichen Frauen- und Gesellschaftsbild orientierten Lebensweise der XXXX zuerkannt, welche zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, womit nicht erwartet werden kann, diese in Afghanistan zu unterdrücken oder überhaupt abzulegen, und einer damit drohenden Verfolgung durch konservative Kreise in ihrer Heimat zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG festgestellt, dass ihr kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Da den Eltern bzw. Geschwistern der Beschwerdeführerin der Status von Asylberechtigten zuerkannt wurde, ist gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 auch der Beschwerdeführerin der Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen, zumal keine Sachverhaltselemente, die unter einen der Tatbestände des § 34 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 zu subsumieren wären, erkennbar sind.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Beschwerde ist daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 stattzugeben und festzustellen, dass der Beschwerdeführerin kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 19.04.2016 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 ("Asyl auf Zeit") gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall bereits Anwendung finden.

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zu. Diese Aufenthaltsberechtigung verlängert sich kraft Gesetzes nach Ablauf dieser Zeit auf eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Aberkennungsverfahrens nicht vorliegen oder ein Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Dementsprechend verfügt die Beschwerdeführerin nun über eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Asyl auf Zeit Asylgewährung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung Familienangehöriger Familienverfahren Flüchtlingseigenschaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W136.2205192.1.00

Im RIS seit

29.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

29.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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