TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/14 W159 2183265-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.02.2020
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Entscheidungsdatum

14.02.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §75 Abs24
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W159 2183265-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.11.2017, Zl. XXXX RD Wien, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.01.2020, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Gem. § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Afghanistan, der Volksgruppe der Hazara zugehörig, im Iran geboren, schiitischen moslemischen Glaubens, volljährig und verheiratet gelangte mit ihren Eltern (spätestens) am 09.01.2016 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Am gleichen Tag erfolgte die Erstbefragung durch das XXXX .

Sie gab befragt zu dem Fluchtgrund an, ihr Vater sei bei der Religionsgemeinschaft " XXXX " gewesen. Die Taliban hätten deshalb Familienangehörige entführt und erpresst. Ein weitschichtiger Verwandter und Mitglied dieser Gemeinschaft sei entführt und getötet worden. Des Weiteren sei sie von ihrem Ehemann geschlagen und misshandelt worden, weswegen sie vor drei Jahren vom Iran nach Afghanistan geflüchtet sei. Ihr Ehemann habe sie bis nach Afghanistan verfolgt.

Am 31.10.2017 erfolgte die Niederschrift im Verfahren vor der belangten Behörde. Sie gab an, seit ihrer Geburt Herzprobleme zu haben (siehe auch Befunde medizinische Universität Wien, AKH). Sie brachte folgende Dokumente in Vorlage: eine Tazkira, Bestätigungen div. Deutschkurse, ein Zertifikat Deutschkurs A1 vom 22.12.2016, Teilnahmebestätigungen Polizei und Sicherheit vom 12.06.2017 bzw. Werte und Orientierung vom 09.06.2017. Sie gab zu dem Fluchtgrund befragt an, sie habe keine Probleme mit Behörden, den Sicherheitsbehörden, den Gerichten oder der Staatsanwaltschaft in Afghanistan gehabt. Sie sei kein Mitglied einer Partei oder Organisation gewesen. Sie habe sich nicht politisch oder religiös betätigt. Sie sei nicht konkreten persönliche Verfolgungshandlungen durch private Dritte und/oder heimatliche Behörden, staatliche Stellen aufgrund der politischen Gesinnung, religiösen Glaubenszugehörigkeit, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, Volksgruppenzugehörigkeit ausgesetzt gewesen. Die Beschwerdeführerin gab an, dass Familienangehörige ihres Mannes nach ihr gefragt hätten.

Nachgefragt gab die Beschwerdeführerin an, sie habe 12 Jahre Schulbildung und die Matura im Iran absolviert. Sie habe als Fotografin gearbeitet und sei von ihrer Mutter dabei unterstützt worden. Sie hätte gut davon leben können.

Mit dem im Spruch angeführten Bescheid von 17.11.2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § Abs. 8 abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Zif. 3 Asyl wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die Abschiebung nach Afghanistan sei zulässig. Es bestehe eine zweiwöchige Frist für eine freiwillige Ausreise.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, sie habe dem Fluchtgrund, auch aufgrund der persönlichen Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin, keinen Glauben geschenkt. Die Beschwerdeführerin, habe weder detailreich noch emotional von den Misshandlungen ihres angeblichen Ehemanns erzählt. Es habe das Leben in ihren Erzählungen gefehlt. Sie sei auch persönlich unglaubwürdig, weil sie bei der Aufzählung der Verwandten, ihren Cousin vergessen habe, obwohl er das Fluchtschicksal mit ihr und ihren Eltern geteilt habe.

In der Beschwerde (vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich), welche fristgerecht am 11.12.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte, wurde der Bescheid zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, mangelhafter bzw. unrichtiger Bescheidbegründung sowie Rechtswidrigkeit infolge von Verletzung wesentlichen Verfahrensvorschriften angefochten. Die Beschwerdeführerin sei afghanische Staatsangehörige, im Iran geboren worden und aufgewachsen. Sie habe sich vor der Flucht zwei Jahre in Afghanistan aufgehalten. Ihre Eltern hätten Afghanistan vor ihrer Geburt verlassen, weil der Vater als Kommandant gegen die Taliban gekämpft hätte. Die Beschwerdeführerin habe im Iran maturiert und als Fotografin gearbeitet. Sie leide an einer Herzkrankheit, sei operiert worden, müsse ständig Medikamente nehmen und sei in ärztlicher Behandlung. Sie habe im Iran einen afghanischen Staatsbürger geheiratet. Dieser hätte sie geschlagen und verboten arbeiten zu gehen. Die Beschwerdeführerin habe sich ihren Eltern anvertraut. Eine Scheidung sei nach islamischem Recht nicht möglich, so sei nur mehr die Flucht übriggeblieben. Die Beschwerdeführerin habe sich zwei Jahre in Afghanistan, in Herat aufgehalten und aus Furcht gefunden zu werden, nicht das Haus verlassen. Da die Brüder der Beschwerdeführerin sich bereits in Österreich aufgehalten hätten, seien die Beschwerdeführerin und ihre Eltern, schlepperunterstützt mit dem Cousin der Beschwerdeführerin nach Österreich eingereist.

Die belangte Behörde habe es unterlassen auf dieses individuelle Vorbringen der Beschwerdeführerin einzugehen und eine Gesamtbeurteilung anhand der aktuellen Herkunftsstaat-spezifischen Informationen verabsäumt. Die Beschwerdeführerin hätte sicherlich an der Sachverhaltsermittlung mitgewirkt um asylrelevant zu antworten. Außerdem wurde ergänzt, aufgrund des Stresses für die Beschwerdeführerin während der Einvernahme habe sie kurzfristig ein Blackout gehabt und ihren Cousin in der Aufzählung der Verwandten vergessen. Angesprochen auf ihren Cousin, habe sie selbstverständlich wahrheitsgemäß geantwortet.

Die Beschwerdeführerin erteilte zwischenzeitig XXXX Vollmacht.

An der öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 29.01.2020 nahmen die Beschwerdeführerin, ihre Rechtsvertretung, ihre Eltern ebenfalls als Beschwerdeführer, ein Vertreter der belangten Behörde, zwei Vertrauenspersonen und eine Dolmetscherin teil.

Die Beschwerdeführerin brachte ihre Tazkira, ein Deutschzertifikat A1, diverse Deutschkursbestätigungen A1, A2, B2, Bestätigung und Empfehlungsschreiben des XXXX , diverse Empfehlungsschreiben, Zeugnis der Integration A1 und A2 sowie div. Fotos mit Freunden und Freund in Vorlage.

Die Beschwerdeführerin erschien mit langen offenen Haaren, ohne Kopftuch mit einem grauen T-Shirt und schwarzen Leggins. Sie wirkte westlich gekleidet.

Die Beschwerdeführerin hielt die Beschwerde und ihr bisheriges Vorbringen aufrecht.

Sie gab an, sie sei afghanische Staatsangehörige, der Volksgruppe der Hazara zugehörig und schiitische Muslima. Sie würde ihre Religion in Österreich auch weiter ausüben. Nachgefragt gab sie an, sie sei im Iran geboren worden und habe dort gelebt. Sie sei für zwei Jahre in Afghanistan, in Herat aufhältig gewesen. Sie habe zwölf Jahre die Schule besucht und sechs Jahre als Fotografin gearbeitet und einen Fotoshop betrieben. Sie habe sich ihren Lebensunterhalt selbst verdient und sei gelegentlich von ihrer Mutter unterstützt worden.

Sie habe ihren früheren Mann nicht gekannt. Er sei gekommen und seine Familie habe um ihre Hand angehalten. Seine Schwester und seine Mutter seien zwei oder drei Mal zu der Familie der Beschwerdeführerin gekommen. Die Mutter der Beschwerdeführerin habe bemerkt, dass er eine gute Familie hätte und hätte deshalb ihr Einverständnis gegeben.

Auf die Frage des Richters, wann und wie die Beschwerdeführerin geheiratet habe, erzählte sie: "Ich habe 2012 nach afghanischer Tradition geheiratet. Zwei Jahre habe ich mit meinem Ehemann gelebt. ... Nach einem Monat hat es begonnen, dass mein Mann streng mit mir wurde. Er ließ mich nicht mehr aus dem Haus gehen und hat mich geschlagen. Er hat mein Handy kontrolliert und mir dann das Handy weggenommen. Er hat mir nicht mehr erlaubt zu arbeiten. Wenn ich arbeiten gegangen bin, habe ich mich immer geschminkt. Er hat mir diese Freiheit genommen, ich durfte mich nicht schminken."

Der Richter erkundigte sich, wie sich die Beschwerdeführerin von ihrem Ehemann getrennt habe. Die Beschwerdeführerin erzählte weiter: "Er hat mich geschlagen. Nach all diesen Belästigungen bin ich zu meiner Mutter gegangen. Ich erzählte ihr davon. Meine Mutter hat mit meinem damaligen Mann gesprochen. Es schien dann alles wieder in Ordnung zu sein. Er hat die Abmachungen nie eingehalten. Das letzte Mal war der Grund dafür, dass ich mich getrennt habe: Ich hatte meine Menstruation, wollte mir Binden kaufen. Seine Mutter hat im gesagt, dass ich draußen bin um für mich Sachen zu erledigen. Er erlaubte mir aber nicht hinauszugehen. Als er bemerkte, dass ich draußen bin, hat er mich am Kragen gepackt und die Stiegen hinuntergezogen. Er hat mich an den Haaren gezogen. Er legte seine Hand um meinen Hals, er würgte mich. Er hat mich mit heißem Wasser angeschüttet. Ich hatte Verbrennungen an meinem Oberarm ... Ich konnte es aber nicht mehr aushalten, habe mit meinen Eltern gesprochen und bin gemeinsam mit ihnen nach Afghanistan gegangen."

Die Beschwerdeführerin gab an, sie habe in Afghanistan keine Probleme mit staatlichen Organen (Polizei, Geheimdiensten etc.), mit bewaffneten Gruppierungen wie den Taliban oder selbst Probleme mit Privatpersonen gehabt. Sie habe ihren Ehemann in Afghanistan nicht gesehen. Ihr Ehemann hätte jedoch Verwandte in Afghanistan gehabt. Diese hätten nicht gewusst, dass sie sich von ihm getrennt habe. Sie seien zu der Mutter der Beschwerdeführerin gekommen, um sich nach der Beschwerdeführerin zu erkundigen. Die Beschwerdeführerin habe sich von ihrem Mann nicht scheiden lassen können, sie sei ihm weggelaufen.

Die Beschwerdeführerin führte weiter aus: "Ich hatte kein freies Leben in Afghanistan. Ich konnte nicht aus dem Haus gehen, mich nicht schminken und auch nicht arbeiten. Ich hatte Angst davor, dass mein Ehemann mich finden wird. Ich hatte kein Recht auf Freiheit, deswegen bin ich von dort weggegangen."

Nachgefragt gab sie an, sie habe keine Verwandte, sie habe niemanden mehr in Afghanistan, sie würden alle im Iran leben. In Österreich würde sich ihr jüngster Bruder, ein Onkel und ein Cousin aufhalten. Sie würde mit ihren Eltern in einem Haushalt leben. Ihre Eltern würden ihre Hilfe zur Bewältigung des Alltags benötigen.

Sie persönlich habe Herzprobleme - einen angeborenen Herzfehler - und stehe deshalb in ärztlicher Behandlung und nehme regelmäßig Medikamente. Es wurden entsprechende Befunde in Vorlage gebracht.

In Österreich besuche die Beschwerdeführerin einen Deutschkurs B1. Sie würde auch auch ins Sprachcafé und in das XXXX gehen. Dort würden auch Deutschkurse angeboten. Es gäbe freitags Farsi-Kurse. Die Beschwerdeführerin würde ehrenamtlich dort unterrichten.

Auf die Frage des Richters ob sie sich in einer Ehe oder Lebensgemeinschaft befände, antwortete sie, sie habe nicht geheiratet, sie hätte aber einen afghanischen Freund. Er würde in einem Handy-Shop arbeiten. Sie hätte sehr viel Kontakt zu ihm. Sie würden einander drei bis viermal in der Woche treffen, gemeinsam einkaufen gehen oder etwas gemeinsam unternehmen. Sie würde auch gelegentlich bei ihm übernachten. Ihr Freund sei ledig und habe keine Kinder.

Sie habe keine Ausbildungen in Österreich absolviert, wolle jedoch in ihrem Beruf als Photographin weiterarbeiten. Sie wolle die entsprechende Ausbildung machen und dann in ihrem Beruf arbeiten. Sie habe auch österreichische Freunde.

Die Beschwerdeführerin schildert dem Richter ihren Tagesablauf auf Deutsch: "Ich bin nur selten zuhause. Ich hatte Termine, ich bin um 06.00 Uhr aufgestanden. Ich habe gefrühstückt, bin um 08.00 Uhr zum Deutschkurs gegangen und anschließend wieder nach Hause. Ich habe gegessen. Nach dem Essen habe ich mich angezogen, da ich Termine hatte. Das war im XXXX . Ich habe Freunde im XXXX . Diese treffe ich dort. Meine Eltern hatten Termine und ich musste sie begleiten."

Die Beschwerdeführerin gab des Weiteren an, sie gehe viel spazieren und könne wegen ihrer Herzprobleme keine anderen Sportarten ausüben. Sie habe auch in Österreich schwimmen gelernt. Sie würde beim Schwimmen einen Bikini tragen. Die Beschwerdeführerin verwies auf die in Vorlage gebrachten Fotos. Sie könne ein bisschen Rad fahren, würde jedoch sehr schnell müde werden.

Sie persönlich sehe sich nicht als traditionsbewusste strenge Muslima, sie sei weder sehr streng noch sehr locker, sie sei "normal".

In Österreich habe sich ihr Leben als Frau verändert. "Als Frau habe ich hier sehr viele Freiheiten bekommen. Ich hatte diese nicht. Ich kann alleine meine Entscheidungen treffen, einkaufen gehen. Ich gehe auch schwimmen. Vielleicht ist das für österreichische Frauen etwas ganz Normales, mit Männern gemeinsam zu schwimmen. Für mich war es etwas Neues und Interessantes." Sie gehe alleine einkaufen und in die Deutschkurse.

Auf die Frage des Richters: "Möchten Sie in Österreich ein selbstbestimmtes Leben nach europäischen Muster führen oder die afghanischen Traditionen hinsichtlich des Rollenbildes bewahren?" antwortete sie: "Ich möchte alleine leben, Verantwortung übernehmen, mich wie eine europäische Frau schätzen. Ich möchte niemanden erlauben, sich in mein Leben einzumischen. ... .... ich möchte nicht heiraten." Sie könne sich vorstellen, eine gleichberechtigte Partnerschaft zuführen.

Auf die Frage des Behördenvertreters, welche Ausbildung bzw. welchen Beruf sie in Österreich anstrebe, antwortete sie: "Ich möchte Photographin werden. Ich habe großes Interesse daran, Menschen und die Natur zu fotografieren. Insbesondere möchte ich auf Veranstaltungen und Hochzeiten fotografieren." Sie habe sich schon erkundigt, wie sie diesen Beruf ausüben könne. Sie sei im XXXX und beim AMS im XXXX gewesen und habe dort nachgefragt. Es gäbe eine 3 1/2 jährige Ausbildung. Das Einkommen würde 1.340 bis 1.380 Euro betragen. Einmal in der Woche müsse man arbeiten. Die restliche Woche besuche man die Schule. Im Moment würde sie noch keine eigene Fotokamara besitzen. Ihre Freundin XXXX hätte ihr die Kamera geborgt. Sie hätte damit fotografiert.

Nachgefragt durch den Behördenvertreter antwortete sie, sie kenne Fotobearbeitungsprogramme, mit denen geschossene Fotos anschließend bearbeiten werden könnten. "Es gibt auch Programme, wo ich etwas ausschneiden kann, Filterprogramme für das Gesicht und ich konnte auch Fotos auf einen Hintergrund übertragen. Ich habe auch mit Bearbeitungsprogrammen gearbeitet, mit dem ich das Gesicht ausgeschnitten und auf ein anderes Bild übertragen habe. Auch mit unterschiedlichen Lichteffekten wie wenig Licht habe ich auch gearbeitet."

Die Rechtsvertretung gab nachfolgende Stellungnahme ab: "Die Beschwerdeführerin hat in der Zeit ihres Aufenthaltes in Österreich westliche Werte verinnerlicht. Sie konnte heute glaubhaft darlegen, dass sie nunmehr ein selbstbestimmtes und eigenständiges Leben führt. Sie war von Anfang an bemüht die deutsche Sprache zu erlernen und spricht bereits Deutsch auf Niveau A2. Sie möchte hinkünftig ihrem damaligen Beruf einer Photographin nachgehen und hat sich diesbezüglich auch schon informiert. Sie verfügt über ein dichtes Netz an österreichischen Freunden, mit welchen sie sich trifft und Aktivitäten unternimmt. Sie hat einen Freund, welchen sie regelmäßig trifft. Jedoch möchte sie ihn nicht wie eine traditionelle Afghanin sofort heiraten, sondern zunächst kennenlernen und erst später dazu entscheiden. Sie ist keineswegs gewillt sich den Unterdrückungen und Diskriminierungen gegenüber einer Frau in Afghanistan wieder zu unterwerfen und möchte die Freiheiten, die sie hier in Österreich auslebt, nicht aufgeben."

Im verlesenen Strafregisterauszug scheint keine Verurteilung der Beschwerdeführerin auf.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Beschwerdeführerin ist Staatsbürgerin von Afghanistan, der Volksgruppe der Hazara zugehörig, volljährig und Schiitin. Sie ist spätestens am 09.01.2016 mit ihren Eltern in das Bundesgebiet eingereist und hat gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Es besteht ein enger familiärer Zusammenhalt, sie lebt mit ihren Eltern in einem Haushalt. Ihre Eltern benötigen ihre Hilfe zur Bewältigung des Alltags.

Die Beschwerdeführerin ist westlich orientiert: Sie ist westlich gekleidet. Zur Verhandlung erschien sie mit offenen langen Haaren und westlich gekleidet (T-Shirt und Leggings). Sie hat sich einen Freundeskreis aus Österreicherinnen und Österreichern aufgebaut und steht im Kontakt mit ihnen. Sie arbeitet ehrenamtlich in XXXX .

Die Beschwerdeführerin wurde mit einem Herzfehler geboren. Sie betreibt trotz ihrer Krankheit mäßig Sport. Sie lernte in Österreich u.a. schwimmen und Fahrradfahren. Sie schwimmt im Bikini.

Die Beschwerdeführerin hat einen afghanischen Freund. Sie treffen sich etwa drei- bis viermal wöchentlich und die Beschwerdeführerin übernachtet auch bei ihm. Sie möchte zurzeit nichtmehr heiraten, jedoch eine gleichberechtigte Partnerschaft führen.

Ihr Ziel ist es die Ausbildung als Fotografin zu machen und dann in diesem Beruf zu arbeiten.

Die Beschwerdeführerin führt in Österreich ein selbstbestimmtes Leben, in welchem sie von ihren Eltern uneingeschränkt unterstützt wird.

Die Beschwerdeführerin ist nicht strafrechtlich verurteilt.

1.2. Zu Afghanistan wird verfahrensbezogen folgendes festgestellt:

Frauen

Die Lage afghanischer Frauen hat sich in den letzten 15 Jahren zwar insgesamt ein wenig verbessert, jedoch nicht so sehr wie erhofft. Wenngleich es in den unterschiedlichen Bereichen viele Fortschritte gab, bedarf die Lage afghanischer Frauen spezieller Beachtung. Die afghanische Regierung ist bemüht, die Errungenschaften der letzten eineinhalb Jahrzehnte zu verfestigen - eine Institutionalisierung der Gleichberechtigung von Frauen in Afghanistan wird als wichtig für Stabilität und Entwicklung betrachtet (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). In einigen Bereichen hat der Fortschritt für Frauen stagniert, was großteils aus der Talibanzeit stammenden, unnachgiebigen konservativen Einstellungen ihnen gegenüber geschuldet ist (BFA Staatendokumentation 4.2018). Viel hat sich seit dem Ende des Talibanregimes geändert: Frauen haben das verfassungsmäßige Recht an politischen Vorgängen teilzunehmen, sie streben nach Bildung und viele gehen einer Erwerbstätigkeit nach (TET 15.3.2018). Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (MPI 27.1.2004). In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. UNAMA/OHCHR 5.2018). Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Traditionell diskriminierende Praktiken gegen Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen weiter (AA 5.2018).

Bildung

Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014). Laut Verfassung haben alle afghanischen Staatsbürger/innen das Recht auf Bildung (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Öffentliche Kindergärten und Schulen sind bis zur Hochschulebene kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten sind kostenpflichtig. Aufgeschlossene und gebildete Afghanen, welche die finanziellen Mittel haben, schicken ihre Familien ins Ausland, damit sie dort leben und eine Ausbildung genießen können (z.B. in die Türkei); während die Familienväter oftmals in Afghanistan zurückbleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Eine der Herausforderungen für alle in Afghanistan tätigen Organisationen ist der Zugang zu jenen Gegenden, die außerhalb der Reichweite öffentlicher Bildung liegen. Der Bildungsstand der Kinder in solchen Gegenden ist unbekannt und Regierungsprogramme sind für sie unzugänglich; speziell, wenn die einzigen verfügbaren Bildungsstätten Madrassen sind (BFA Staatendokumentation 4.2018).

In den Jahren 2016 und 2017 wurden durch den United Nations Children's Fund (UNICEF) mit Unterstützung der United States Agency for International Development (USAID) landesweit 4.055 Dorfschulen errichtet - damit kann die Bildung von mehr als 119.000 Kindern in ländlichen Gebieten sichergestellt werden, darunter mehr als 58.000 Mädchen. Weitere 2.437 Ausbildungszentren in Afghanistan wurden mit Unterstützung von USAID errichtet, etwa für Personen, die ihre Ausbildung in frühen Bildungsjahren unterbrechen mussten. Mehr als 49.000 Student/innen sind in diesen Ausbildungszentren eingeschrieben (davon mehr als 23.000 Mädchen). USAID hat mehr als 154.000 Lehrer ausgebildet (davon mehr als 54.000 Lehrerinnen) sowie 17.000 Schuldirektoren bzw. Schulverwalter (mehr als 3.000 davon Frauen) (USAID 10.10.2017).

Sowohl Männer als auch Frauen schließen Hochschulstudien ab - derzeit sind etwa 300.000 Student/innen an afghanischen Hochschulen eingeschrieben - darunter 100.000 Frauen (USAID 10.10.2017).

Dem afghanischen Statistikbüro (CSO) zufolge gab es im Zeitraum 2016-2017 in den landesweit 16.049 Schulen, insgesamt 8.868.122 Schüler, davon waren 3.418.877 weiblich. Diese Zahlen beziehen sich auf Schüler/innen der Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren sowie Religionsschulen. Im Vergleich mit den Zahlen aus dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Studentinnen um 5,8% verringert (CSO 2017). Die Gesamtzahl der Lehrer für den Zeitraum 2016-2017 betrug 197.160, davon waren 64.271 Frauen. Insgesamt existieren neun medizinische Fakultäten, an diesen sind 342.043 Studierende eingeschrieben, davon 77.909 weiblich. Verglichen mit dem Zeitraum 2015-2016 hat sich die Anzahl der Frauen um 18.7% erhöht (CSO 2017).

Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (TE 13.8.2016; vgl. MORAA 31.5.2016). Im Jahr 2017 wurde ein Programm ins Leben gerufen, bei dem 70 Mädchen aus Waisenhäusern in Afghanistan, die Gelegenheit bekommen ihre höhere Bildung an der Moraa Universität genießen zu können (Tolonews 17.8.2017).

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (KP 18.10.2015; vgl. UNDP 10.7.2016). Im Jahr 2017 haben die ersten Absolvent/innen des Masterprogramms den Lehrgang abgeschlossen: 15 Frauen und sieben Männer, haben sich in ihrem Studium zu Aspekten der Geschlechtergleichstellung und Frauenrechte ausbilden lassen; dazu zählen Bereiche wie der Rechtsschutz, die Rolle von Frauen bei der Armutsbekämpfung, Konfliktschlichtung etc. (UNDP 7.11.2017).

Berufstätigkeit

Berufstätige Frauen sind oft Ziel von sexueller Belästigung durch ihre männlichen Kollegen. Die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen variiert je nach Region und ethnischer bzw. Stammeszugehörigkeit (AA 5.2018). Aus einer Umfrage der Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 geht hervor, dass die Akzeptanz der Berufstätigkeit von Frauen außerhalb des Hauses unter den Hazara 82,5% beträgt und am höchsten ist. Es folgen die Usbeken (77,2%), die Tadschiken (75,5%) und die Paschtunen (63,4%). In der zentralen Region bzw. Hazarajat tragen 52,6% der Frauen zum Haushaltseinkommen bei, während es im Südwesten nur 12% sind. Insgesamt sind 72,4% der befragten Afghanen und Afghaninnen der Meinung, dass Frauen außerhalb ihres Hauses arbeiten sollen (AF 11.2017). Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig erhöht und betrug im Jahr 2016 19%. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UNW o.D.).

Nichtsdestotrotz arbeiten viele afghanische Frauen grundlegend an der Veränderung patriarchaler Einstellungen mit. Viele von ihnen partizipieren an der afghanischen Zivilgesellschaft oder arbeiten im Dienstleistungssektor. Aber noch immer halten soziale und wirtschaftliche Hindernisse (Unsicherheit, hartnäckige soziale Normen, Analphabetismus, fehlende Arbeitsmöglichkeiten und mangelnder Zugang zu Märkten) viele afghanische Frauen davon ab, ihr volles Potential auszuschöpfen (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Die Einstellung gegenüber der Berufstätigkeit von Frauen hat sich in Afghanistan in den letzten Jahren geändert; dies hängt auch mit den NGOs und den privaten Firmen zusammen, die in Afghanistan aktiv sind. Die städtische Bevölkerung hat kaum ein Problem mit der Berufstätigkeit ihrer Ehefrauen oder Töchter. Davor war der Widerstand gegen arbeitende Frauen groß und wurde damit begründet, dass ein Arbeitsplatz ein schlechtes Umfeld für Frauen darstelle, etc. In den meisten ländlichen Gemeinschaften sind konservative Einstellungen nach wie vor präsent und afghanische Frauen sehen sich immer noch Hindernissen ausgesetzt, wenn es um Arbeit außerhalb ihres Heimes geht. Im ländlichen Afghanistan gehen viele Frauen, aus Furcht vor sozialer Ächtung, keiner Arbeit außerhalb des Hauses nach (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Das Gesetz sieht zwar die Gleichstellung von Mann und Frau im Beruf vor, jedoch beinhaltet es keine egalitären Zahlungsvorschriften bei gleicher Arbeit. Das Gesetz kriminalisiert Eingriffe in das Recht auf Arbeit der Frauen; dennoch werden diese beim Zugang zu Beschäftigung und Anstellungsbedingungen diskriminiert (USDOS 20.4.2018).

Dennoch hat in Afghanistan aufgrund vieler Sensibilisierungsprogramme sowie Projekte zu Kapazitätsaufbau und Geschlechtergleichheit ein landesweiter Wandel stattgefunden, wie Frauen ihre Rolle in- und außerhalb des Hauses sehen. Immer mehr Frauen werden sich ihrer Möglichkeiten und Chancen bewusst. Sie beginnen auch wirtschaftliche Macht zu erlangen, indem eine wachsende Zahl Teil der Erwerbsbevölkerung wird - in den Städten mehr als in den ländlichen Gebieten. Frauen als Ernährerinnen mit Verantwortung für die gesamte Familie während ihr Mann arbeitslos ist, sind keine Seltenheit mehr. Mittlerweile existieren in Afghanistan oft mehr Arbeitsmöglichkeiten für Frauen als für Männer, da Arbeitsstellen für letztere oftmals schon besetzt sind. In und um Kabul eröffnen laufend neue Restaurants, die entweder von Frauen geführt werden oder in ihrem Besitz sind. Der Dienstleistungssektor ist zwar von Männern dominiert, dennoch arbeitet eine kleine, aber nicht unwesentliche Anzahl afghanischer Frauen in diesem Sektor und erledigt damit Arbeiten, die bis vor zehn Jahren für Frauen noch als unangebracht angesehen wurden (und teilweise heute noch werden). Auch soll die Anzahl der Mitarbeiterinnen im Finanzsektor erhöht werden. In Kabul zum Beispiel eröffnete im Sommer 2017 eine Filiale der First MicroFinance Bank, Afghanistan (FMFB-A), die nur für Frauen gedacht ist und nur von diesen betrieben wird. Diese Initiative soll es Frauen ermöglichen, ihre Finanzen in einer sicheren und fördernden Umgebung zu verwalten, um soziale und kulturelle Hindernisse, die ihrem wirtschaftlichen Empowerment im Wege stehen, zu überwinden. Geplant sind zwei weitere Filialen in Mazar-e Sharif bis 2019. In Kabul gibt es eine weitere Bank, die - ausschließlich von Frauen betrieben - hauptsächlich für Frauen da ist (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Eine Position in der Öffentlichkeit ist für Frauen in Afghanistan noch immer keine Selbstverständlichkeit. Dass etwa der afghanische Präsident dies seiner Ehefrau zugesteht, ist Zeichen des Fortschritts. Frauen in öffentlichen bzw. semi-öffentlichen Positionen sehen sich deshalb durchaus in einer gewissen Vorbildfunktion. So polarisiert die Talent-Show "Afghan Star" zwar einerseits das Land wegen ihrer weiblichen Teilnehmer und für viele Familien ist es inakzeptabel, ihre Töchter vor den Augen der Öffentlichkeit singen oder tanzen zu lassen. Dennoch gehört die Sendung zu den populärsten des Landes (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Politische Partizipation und Öffentlichkeit

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9.2016; vgl. USDOS 20.4.2018). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Das per Präsidialdekret erlassene Wahlgesetz sieht eine Frauenquote von min. 25% in den Provinzräten vor. Zudem sind min. zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Indpendent Electoral Commission, IEC) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung veröffentlichte im Jänner 2018 einen Strategieplan zur Erhöhung des Frauenanteils im öffentlichen Dienst um 2% für das Jahr 2018 (AA 5.2018). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UNW o.D.). Im Winter 2017 wurde mit Khojesta Fana Ebrahimkhel eine weitere Frau zur afghanischen Botschafterin (in Österreich) ernannt (APA 5.12.2017). Dennoch sehen sich Frauen, die in Regierungspositionen und in der Politik aktiv sind, weiterhin mit Bedrohungen und Gewalt konfrontiert und sind Ziele von Angriffen der Taliban und anderer aufständischer Gruppen. Traditionelle gesellschaftliche Praktiken schränken die Teilnahme der Frauen am politischen Geschehen und Aktivitäten außerhalb des Hauses und der Gemeinschaft weiterhin ein. Der Bedarf einer männlichen Begleitung bzw. einer Arbeitserlaubnis ist weiterhin gängig. Diese Faktoren sowie ein Mangel an Bildung und Arbeitserfahrung haben wahrscheinlich zu einer männlich dominierten Zusammensetzung der Zentralregierung beigetragen (USDOS 20.4.2018).

Informationen zu Frauen in NGOs, den Medien und den afghanischen Sicherheitskräften können den Kapiteln 8. "NGOs und Menschenrechtsaktivisten", 11. "Meinungs- und Pressefreiheit" und 5. "Sicherheitsbehörden" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Strafverfolgung und rechtliche Unterstützung

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 5.2018; vgl. MPI 27.1.2004). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 5.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9.2016).

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 5.2018). Andere Frauen, die nicht zu ihren Familien zurückkehren können, erhalten in einigen Fällen Unterstützung vom Ministerium für Frauenangelegenheiten und Nichtregierungsinstitutionen, indem Ehen für diese arrangiert werden (USDOS 20.4.2018). Eine erhöhte Sensibilisierung seitens der afghanischen Polizei und Justiz führt zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen hatte positive Auswirkungen (AA 9.2016). Um Frauen und Kindern, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden, beizustehen, hat das Innenministerium (MoI) landesweit Family Response Units (FRU) eingerichtet. Die FRU sind mit Fachleuten wie Psychologen und Sozialarbeitern besetzt, welche die Opfer befragen und aufklären und ihre physische sowie psychische medizinische Behandlung nachverfolgen. Im Jahr 2017 existierten 208 FRU im Land (USDOD 12.2017).

EVAW-Gesetz

Das Law on Elimination of Violence against Women (EVAW-Gesetz) wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen - inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt (AA 5.2018). Das EVAW-Gesetz ist nach wie vor in seiner Form als eigenständiges Gesetz gültig (Pajhwok 11.11.2017; vgl. UNN 22.2.2018); und bietet rechtlichen Schutz für Frauen (UNAMA 22.2.2018).

Das EVAW-Gesetz definiert fünf schwere Straftaten gegen Frauen: Vergewaltigung, Zwangsprostitution, die Bekanntgabe der Identität eines Opfers, Verbrennung oder Verwendung von chemischen Substanzen und erzwungene Selbstverbrennung oder erzwungener Selbstmord. Dem EVAW-Gesetz zufolge muss der Staat genannte Verbrechen untersuchen und verfolgen, auch, wenn die Frau die Beschwerde nicht einreichen kann bzw. diese zurückzieht. Dieselben Taten werden auch im neuen afghanischen Strafgesetzbuch kriminalisiert (UNAMA/OHCHR 5.2018). Das EVAW-Gesetz wird jedoch weiterhin nur unzureichend umgesetzt. Frauen können sich grundsätzlich, abgesehen von großen Städten wie Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif nicht ohne einen männlichen Begleiter in der Öffentlichkeit bewegen. Es gelten strenge soziale Anforderungen an ihr äußeres Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, deren Einhaltung sie jedoch nicht zuverlässig vor sexueller Belästigung schützt (AA 5.2018).

Frauenhäuser

Nichtregierungsorganisation in Afghanistan betreiben etwa 40 Frauenhäuser, zu denen auch Rechtsschutzbüros und andere Einrichtungen für Frauen, die vor Gewalt fliehen, zählen. Alle Einrichtungen sind auf Spenden internationaler Gruppen angewiesen - diese Einrichtungen werden zwar im Einklang mit dem afghanischen Gesetz betrieben, stehen aber im Widerspruch zur patriarchalen Kultur in Afghanistan. Oftmals versuchen Väter ihre Töchter aus den Frauenhäusern zu holen und sie in Beziehungen zurückzudrängen, aus denen sie geflohen sind, oder Ehen mit älteren Männern oder den Vergewaltigern zu arrangieren (NYT 17.3.2018). Die EVAW-Institutionen und andere Einrichtungen, die Gewaltmeldungen annehmen und für die Schlichtung zuständig sind, bringen die Gewaltopfer während des Verfahrens oft in Schutzhäuser (z. B. Frauenhäuser) (UNAMA/OHCHR 5.2018).

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft für die Notlage (mit-)verantwortlich ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre (AA 5.2018). Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte (AA 5.2018; vgl. NYT 17.3.2018). Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden. Das Schicksal von Frauen, die auf Dauer weder zu ihren Familien noch zu ihren Ehemännern zurückkehren können, ist bisher ohne Perspektive. Für diese erste "Generation" von Frauen, die sich seit Ende der Taliban-Herrschaft in

den Schutzeinrichtungen eingefunden haben, hat man in Afghanistan bisher keine Lösung gefunden. Generell ist in Afghanistan das Prinzip eines individuellen Lebens weitgehend unbekannt. Auch unverheiratete Erwachsene leben in der Regel im Familienverband. Für Frauen ist ein alleinstehendes Leben außerhalb des Familienverbandes kaum möglich und wird gemeinhin als unvorstellbar oder gänzlich unbekannt beschrieben (AA 5.2018). Die EVAW-Institutionen konsultieren in der Regel die Familie und das Opfer, bevor sie es in ein Frauenhaus bringen (UNAMA/OHCHR 5.2018).

Gewalt gegen Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet und kaum dokumentiert. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzung und Misshandlung über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigung und Mord (AA 5.2018). Zu geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zählen außerdem noch die Praxis der badal-Hochzeiten (Frauen und Mädchen, die im Rahmen von Heiratsabmachungen zwischen Familien getauscht werden, Anm.) bzw. des ba'ad (Mädchen, die zur Konfliktlösung abgegeben werden, Anm.) (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 4.12.2017). Dem Bericht der AIHRC zufolge wurden für das Jahr 2017 4.340 Fälle von Gewalt gegen Frauen registriert. Die Anzahl der gemeldeten Gewaltvorfälle und der Gewaltopfer steigt (AIHRC 11.3.2018).

Soziale Medien in Afghanistan haben Frauen und Mädchen neue Möglichkeiten eröffnet, um ihr Schicksal zu teilen. In den Medien ist der Kampf afghanischer Frauen, Mädchen und Buben gegen geschlechtsspezifische und sexuelle Gewalt in all ihren Formen tiefgründig dokumentiert. Die afghanische Regierung hat anerkannt, dass geschlechtsspezifische Gewalt ein Problem ist und eliminiert werden muss. Das soll mit Mitteln der Rechtsstaatlichkeit und angemessenen Vollzugsmechanismen geschehen. Zu diesen zählen das in Afghanistan eingeführte EVAW-Gesetz zur Eliminierung von Gewalt an Frauen, die Errichtung der EVAW-Kommission auf nationaler und lokaler Ebene und die EVAW-Strafverfolgungseinheiten. Auch wurden Schutzzentren für Frauen errichtet und die Rekrutierung von Frauen in der Polizei verstärkt. Mittlerweile existieren für Frauen 205 Spezialeinsatzeinheiten, die hauptsächlich von weiblichen Mitarbeiterinnen der afghanischen Nationalpolizei geleitet werden (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Legales Heiratsalter:

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre (15 Jahre, wenn dies von einem Elternteil bzw. einem Vormund und dem Gericht erlaubt wird) und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 5.2018). Dem Gesetz zufolge muss vor dem Ehevertrag das Alter der Braut festgestellt werden. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung besitzt Geburtsurkunden. Quellen zufolge ist die frühe Heirat weiterhin verbreitet. Gemäß dem EVAW-Gesetz werden Personen, die Zwangsehen bzw. Frühverheiratung arrangieren, für mindestens zwei Jahre inhaftiert; dennoch hält sich die Umsetzung dieses Gesetzes in Grenzen (USDOS 20.4.2018). Im Rahmen von Traditionen geben arme Familien ihre Mädchen im Gegenzug für "Brautgeld" zur Heirat frei, wenngleich diese Praxis in Afghanistan illegal ist. Lokalen NGOs zufolge, werden manche Mädchen im Alter von sechs oder sieben Jahren zur Heirat versprochen - unter der Voraussetzung, die Ehe würde bis zum Erreichen der Pubertät nicht stattfinden. Berichte deuten an, dass diese "Aufschiebung" eher selten eingehalten wird. Medienberichten zufolge existiert auch das sogenannte "Opium-Braut-Phänomen", dabei verheiraten Bauern ihre Töchter, um Schulden bei Drogenschmugglern zu begleichen (USDOS 3.3.2017).

Familienplanung und Verhütung

Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22% (überwiegend in den Städten und gebildeteren Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten (AA 5.2018). Ohne Diskriminierung, Gewalt und Nötigung durch die Regierung steht es Paaren frei, ihren Kinderwunsch nach ihrem Zeitplan, Anzahl der Kinder usw. zu verwirklichen. Es sind u.a. die Familie und die Gemeinschaft, die Druck auf Paare zur Reproduktion ausüben (USDOS 3.3.2017). Auch existieren keine Berichte zu Zwangsabtreibungen, unfreiwilliger Sterilisation oder anderen zwangsverabreichten Verhütungsmitteln zur Geburtenkontrolle (USDOS 20.4.2018). Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 5.2018; vgl. USDOS 3.3.2017).

Orale Empfängnisverhütungsmittel, Intrauterinpessare, injizierbare Verhütungsmethoden und Kondome sind erhältlich; diese werden kostenfrei in öffentlichen Gesundheitskliniken und zu subventionierten Preisen in Privatkliniken und durch Community Health Workers (CHW) zur Verfügung gestellt (USDOS 3.3.2017).

Ehrenmorde

Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 3.7.2014) und kommen auch weiterhin vor (USDOS 3.3.2017). Laut AIHRC waren von 277 Mordfällen an Frauen im Jahr 2017 136 Eherenmorde (AIHRC 11.3.2018; vgl. Tolonews 11.3.2018).

Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist das Misstrauen eines Großteils der afghanischen Bevölkerung in das juristische System (KP 23.3.2016).

Reisefreiheit

Es existieren gewisse Sicherheitsbedenken, wenn Frauen alleine reisen: Manchmal ist es der Vater, der seiner Tochter nicht erlaubt alleine zu reisen und manchmal ist es die Frau selbst, die nicht alleine reisen will. In vielen Firmen, öffentlichen Institutionen sowie NGOs ist die Meinung verbreitet, dass Frauen nicht alleine in die Distrikte reisen sollten und es daher besser sei einen Mann anzustellen. Doch hat sich die Situation wesentlich verbessert. So kann nach eigener Aussage eine NGO-Vertreterin selbst in unsichere Gegenden reisen, solange sie sich dabei an die örtlichen Gegebenheiten hält, also lokale Kleidungsvorschriften einhält (z. B. tragen einer Burqa) und sie die lokale Sprache kennt (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Während früherer Regierungen (vor den Taliban) war das Tragen des Chador bzw. des Hijab nicht verpflichtend - eine Frau konnte auch ohne sie außer Haus gehen, ohne dabei mit negativen Konsequenzen rechnen zu müssen. In der Stadt Mazar-e Sharif wird das Tragen des Hijab heute nicht so streng gehandhabt, wie in den umliegenden Gegenden. Andere Provinzen sind bei diesem Thema viel strenger. In Mazar-e Sharif könnte es in Einzelfällen sogar möglich sein, ganz auf den Hijab zu verzichten, ohne behelligt zu werden. Garantie besteht darauf natürlich keine (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Frauen in Afghanistan ist es zwar nicht verboten Auto zu fahren, dennoch tun dies nur wenige. In unzähligen afghanischen Städten und Dörfern, werden Frauen hinter dem Steuer angefeindet etwa von Gemeindevorständen, Talibansympathisanten oder gar Familienmitgliedern. Viele Eltern unterstützen zwar grundsätzlich die Idee ihren Töchtern das Autofahren zu erlauben, haben jedoch Angst vor öffentlichen Repressalien. Die Hauptstadt Kabul ist landesweit einer der wenigen Orte, wo autofahrende Frauen zu sehen sind. In Kabul sowie in den Städten Mazar-e Sharif, Herat und Jalalabad gibt es einige Fahrschulen; in Kabul sogar mehr als 20 Stück. An ihnen sind sowohl Frauen als auch Männer eingeschrieben. In Kandahar zum Beispiel sind Frauen generell nur selten alleine außer Haus zu sehen - noch seltener als Lenkerin eines Fahrzeugs. Jene, die dennoch fahren, haben verschiedene Strategien um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Manche tragen dabei einen Niqab, um unerkannt zu bleiben (BFA Staatendokumentation 4.2018).

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 5.2018).

Beweis wurde erhoben durch Einvernahmen der Beschwerdeführerin

- durch Beamte des XXXX am 09.01.2016 sowie

- durch das BFA, Regionaldirektion Wien am 31.10.2017,

- durch Befragung der Beschwerdeführerin und ihrer Eltern im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 29.01.2020 sowie durch Vorhalt des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation (soweit verfahrensrelevant.)

2. Beweiswürdigung:

Die Länderfeststellungen beruhen auf den in das Verfahren eingebrachten Länderberichten, insbesondere dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, das basierend auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen - deren Zugrundelegung von Entscheidungen vom Verwaltungsgerichtshof in Vergangenheit in zahlreichen Fällen bestätigt wurde - einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Afghanistan gewährleistet.

Angesichts der Seriosität der genannten Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten.

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin wird wie folgt gewürdigt:

Das Vorbringen eines Asylwerbers ist dann glaubhaft, wenn es vier Grunderfordernisse erfüllt (diesbezüglich ist auf die Materialien zum Asylgesetz 1991 [RV 270 BlgNR 18. GP; AB 328 BlgNR 18. GP] zu verweisen, die wiederum der VwGH-Judikatur entnommen wurden).

1. Das Vorbringen des Asylwerbers ist genügend substantiiert. Dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen.

2. Das Vorbringen muss, um als glaubhaft zu gelten, in sich schlüssig sein. Der Asylwerber darf sich nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

3. Das Vorbringen muss plausibel sein, d.h. mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Diese Voraussetzung ist u.a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen und

4. Der Asylwerber muss persönlich glaubwürdig sein. Das wird dann nicht der Fall sein, wenn sein Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt ist, aber auch dann, wenn er wichtige Tatsachen verheimlicht oder bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet einsilbig und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in zahlreichen Erkenntnissen betont, wie wichtig der persönliche Eindruck, den das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde im Rahmen der Berufungsverhandlung von dem Berufungswerber gewinnt, ist (siehe z.B. VwGH vom 24.06.1999, 98/20/0435, VwGH vom 20.05.1999, 98/20/0505, u.v.a.m.).

Vorausgeschickt wird, dass im Asylverfahren das Vorbringen des Asylwerbers als zentrales Entscheidungskriterium herangezogen werden muss (so schon VwGH vom 16.01.1987, Zl. 87/01/0230, VwGH vom 15.03.1989, Zl. 88/01/0339, UBAS vom 12.05.1998, Zahl: 203.037-0/IV/29/98 u.v.a.m.)

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Herkunft, ethnischen und religiösen Zugehörigkeit sowie zu den Familienangehörigen, Sprachkenntnissen, der Schulbildung und Berufserfahrung der Beschwerdeführerin beruhen auf deren plausiblen, gleichbleibenden Angaben im Laufe des Asylverfahrens. Auch die Feststellungen zur Volljährigkeit, Arbeitsfähigkeit sowie zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin stützen sich auf deren plausible Angaben und vorgelegten Befunde.

Die Feststellungen zur Einreise, Antragstellung und dem Aufenthalt der Beschwerdeführerin in Österreich ergeben sich aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes und dem damit in Einklang stehenden Vorbringen der Beschwerdeführerin.

Betreffend das Privatleben und insbesondere die Integration der Beschwerdeführerin in Österreich wurden deren Angaben in der Beschwerdeverhandlung sowie die vorgelegten Unterlagen den Feststellungen zugrunde gelegt.

In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hinterließ die Beschwerdeführerin zu ihren Lebensumständen als Frau in Österreich befragt durch ihr Auftreten und die Spontanität ihrer Antworten einen in jeder Hinsicht glaubwürdigen und überzeugenden Eindruck. Durch ihr äußeres Erscheinungsbild, ihr Auftreten und ihre Erzählungen vermittelte die Beschwerdeführerin, dass sie sich der soziokulturellen Problematik der Stellung der Frau in Afghanistan bewusst ist. Aufgrund ihrer Abstammung und ihrer Lebenserfahrung kann sie den Unterschied zwischen ihrem jetzigen Leben und dem in Afghanistan selbst beurteilen. In diesem Zusammenhang ist ihre Aussage, dass sie ihr jetziges Leben in Österreich schätzt und sie sich ein Leben in Afghanistan unter den zwanghaften gesellschaftlichen Gepflogenheiten für die Frauen nicht mehr vorstellen kann, ein Umstand, der auf eine selbstbestimmte Lebensführung und Geisteshaltung hinweist.

Sie hat sich einen Freundeskreis aus Österreicherinnen und Österreichern aufgebaut und hat überdies einen in Österreich rechtmäßig aufhältigen afghanischen Freund, mit dem sie eine Beziehung führt. Sie hat berufliche Zukunftspläne und ist ehrenamtlich tätig. Sie treibt Sport und geht u.a. auch im Bikini schwimmen.

Die Umstände ihres Alltagslebens in Österreich lassen darauf schließen, dass die Beschwerdeführerin eine selbstbestimmte Lebensführung und Geisteshaltung angenommen hat, und diese ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden sind, die sie bei einer Rückkehr nach Afghanistan in einer die dortigen sozialen Normen verletzenden Weise exponieren würden.

Aufgrund der westlichen Orientierung der Beschwerdeführerin, hat das Bundesverwaltungsgericht von einer Auseinandersetzung mit der vorgebrachten Fluchtgeschichte abgesehen.

Die Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin ergibt sich aus Einsicht in den aktuellen Auszug aus dem Strafregister, wo keine strafrechtliche Verurteilung ausgewiesen ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 1 VwGVG regelt dieses Bundesgesetz das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der BAO, des AgrVG und des DVG und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte. Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt (§ 58 Abs. 2 VwGVG, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013).

§ 1 BFA-VG, BGBl. I 2012/87 idF BGBl. I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt. Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2004 Nr. L 304/12 [Statusrichtlinie] verweist). Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.03.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren." (vgl. VfSlg. 19.086/2010; VfGH 12.6.2010, U 613/10)

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011; 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771; 17.03.2009, 2007/19/0459; 28.05.2009, 2008/19/1031; 06.11.2009, 2008/19/0012). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011; 28.05.2009, 2008/19/1031). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 27.06.1995, 94/20/0836; 23.07.1999, 99/20/0208; 21.09.2000, 99/20/0373; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 12.09.2002, 99/20/0505; 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793; 23.02.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203; 23.02.2011, 2011/23/0064; 24.03.2011, 2008/23/1101). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 20.09.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203; 23.02.2011, 2011/23/0064; 24.3.2011, 2008/23/1101). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203; 23.2.2011, 2011/23/0064; 24.3.2011, 2008/23/1101).

Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. zB. VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; 15.03.2001, 99/20/

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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