TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/26 I403 2129210-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 26.02.2020
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Entscheidungsdatum

26.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2129210-1/32E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Irak, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.06.2016, Zl. 1050968504/150111140, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.12.2019, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsbürger, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte am 29.01.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag wurde die Erstbefragung durchgeführt, wobei der Beschwerdeführer angab, dass er in einem Lokal als Alkoholverkäufer gearbeitet habe und deshalb von Milizen verfolgt werde.

Am 12.05.2016 fand die Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden BFA / belangte Behörde) statt. Hierbei gab der Beschwerdeführer an, er habe nicht nur in diesem Geschäft Alkohol verkauft, sondern habe auch noch eine andere Person bewusstlos geschlagen und nun werde er von dieser verfolgt. Auf Nachfrage, ob es noch weitere Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates geben würde, verneinte dies der Beschwerdeführer.

Am 24.05.2016 legte der Beschwerdeführer der belangten Behörde eine Stellungnahme zu den Länderinformationen zum Irak vor.

Mit Bescheid des BFA vom 10.06.2016 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 urde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß §§ 55 und 57 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III). Gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV).

Gegen den am 14.06.2016 zugestellten Bescheid wurde fristgerecht am 23.06.2016 Beschwerde erhoben. Es wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer nicht nur in einem Alkoholgeschäft gearbeitet hätte, sondern auch als Polizist tätig gewesen sei und seinen Vater, welcher ein General beim Bundesinnenministerium gewesen sei, geschützt hätte.

Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 04.06.2016 vorgelegt; mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 04.06.2019 wurde der Akt der Gerichtsabteilung I403 der Kammer I neu zugewiesen und dieser am 02.07.2019 vorgelegt.

Am 05.07.2019 wurde der Beschwerdeführer erstmals zu einer Verhandlung am 10.09.2019 geladen.

Zu Beginn der Verhandlung am 10.09.2019 gab der Beschwerdeführer an, er könne an der Verhandlung nicht teilnehmen, da er sich in einem schlechten psychischen Zustand befinde. Die Verhandlung wurde auf den 27.09.2019 verschoben. Am 27.09.2019 wurde die für diesen Tag anberaumte Verhandlung abberaumt, da der Beschwerdeführer eine Arbeitsunfähigkeitsmeldung vorgelegt hatte.

Mit Beschluss vom 08.10.2019 wurde Dr. XXXX zum Sachverständigen aus dem Fachgebiet Psychiatrie bestellt. Am 06.11.2019 fand die Begutachtung des Beschwerdeführers statt. Das gegenständliche Gutachten langte am 14.11.2019 ein und attestierte dem Beschwerdeführer Verhandlungsfähigkeit.

Am 09.12.2019 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt.

Mit 11.12.2019 wurde eine Anfrage an die Staatendokumentation übermittelt, deren Beantwortung am 18.02.2020 beim Bundesverwaltungsgericht einlangte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer hat den Irak im Oktober 2013 verlassen. Er hielt sich etwa ein Jahr in der Türkei auf, ehe er im Jänner 2015 in Österreich einreiste. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Er ist irakischer Staatsbürger, gehört der Volksgruppe der Araber an und bekennt sich zum sunnitisch muslimischen Glauben. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer stammt aus einem sunnitischen Viertel von Bagdad. Er besuchte bis 2013 die Schule. Welchen Beruf er im Irak ausübte, kann nicht festgestellt werden. Seine Familie, jedenfalls seine Großeltern, seine Mutter und eine Schwester leben nach wie vor im Irak. Der Beschwerdeführer hat Kontakt zu seiner Mutter.

Der Beschwerdeführer leider an einer mittelgradigen depressiven Episode, an einer Panikstörung und an einer somatoformen Schmerzstörung. Der Beschwerdeführer leidet an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung und nimmt nur Medikamente gegen Kopfschmerzen und Schlafstörungen. Von einer Verschlechterung des Zustandes im Falle einer Rückkehr in den Irak ist nicht auszugehen. Der Beschwerdeführer ist in seiner Erwerbsfähigkeit leicht eingeschränkt, so dass ihm aktuell eine Arbeit mit erhöhtem Verletzungsrisiko nicht zumutbar ist.

Der Beschwerdeführer führt eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin, die im Ausland lebt und die er nur gelegentlich sieht. Der Beschwerdeführer hat den Deutschkurs auf Niveau A2 abgeschlossen und einen Werte- und Orientierungskurs absolviert. Er lebt von den Leistungen der staatlichen Grundversorgung.

1.2. Zu den Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer wurde nicht aufgrund seiner Tätigkeit in einem Alkoholgeschäft im Irak bedroht und verfolgt. Der Beschwerdeführer war nicht als Polizist tätig und sein Vater nicht als General des irakischen Staates. Es ist daher nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Tätigkeit als Polizist und als Sohn eines Generals im Irak verfolgt wird. Zudem ist auch nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer aufgrund einer Schlägerei verfolgt wird.

Der Beschwerdeführer wird bei einer Rückkehr in den Irak in keine die Existenz bedrohende Notlage geraten. Eine besondere Rückkehrgefährdung für den aus Bagdad stammenden und im Wesentlichen gesunden sowie erwerbsfähigen jungen Mann besteht nicht. In Bagdad leben auch noch Teile seiner Familie.

1.3. Zur Situation im Irak:

1.3.1. Zur Sicherheitssituation in Bagdad

Zur aktuellen Sicherheitssituation im Irak werden auf Basis des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation (Stand 30.10.2019) folgende Feststellungen getroffen:

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (The Portal 9.10.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken.

Seit 1. Oktober kam es in mehreren Gouvernements (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiya, Dhi Qar, Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen (ISW 22.10.2019, vgl. Joel Wing 3.10.2019). Die Proteste richten sich gegen Korruption, die hohe Arbeitslosigkeit und die schlechte Strom- und Wasserversorgung (Al Mada 2.10.2019; vgl. BBC 4.10.2019; Standard 4.10.2019), aber auch gegen den iranischen Einfluss auf den Irak (ISW 22.10.2019). Im Zuge dieser Demonstrationen wurden mehrere Regierungsgebäude sowie Sitze von Milizen und Parteien in Brand gesetzt (Al Mada 2.10.2019). Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) gingen unter anderem mit scharfer Munition gegen Demonstranten vor. Außerdem gibt es Berichte über nicht identifizierte Scharfschützen, die sowohl Demonstranten als auch Sicherheitskräfte ins Visier genommen haben sollen (ISW 22.10.2019). Premierminister Mahdi kündigte eine Aufklärung der gezielten Tötungen an (Rudaw 13.10.2019). Zeitweilig, vom 2. bis zum 5. Oktober, wurde eine Ausgangssperre ausgerufen (Al Jazeera 5.10.2019; vgl. ISW 22.10.2019; Rudaw 13.10.2019) und eine Internetblockade vom 4. bis 7. Oktober implementiert (Net Blocks 3.10.2019; FAZ 3.10.2019; vgl. Rudaw 13.10.2019). Nach einer kurzen Ruhephase gingen die gewaltsamen Proteste am 25. Oktober weiter und forderten bis zum 30. Oktober weitere 74 Menschenleben und 3.500 Verletzte. Insbesondere betroffen waren bzw. sind die Städte Bagdad, Nasiriyah, Hillah, Basra und Kerbala (vgl. Guardian 27.10.2019 und 29.10.2019). Am 28. Oktober wurde eine neue Ausgangssperre über Bagdad verhängt, der sich jedoch tausende Demonstranten. Über 250 Personen wurden seit Ausbruch der Proteste am 1. Oktober bis zum 29. Oktober getötet und mehr als 8.000 Personen verletzt (France24 28.10.2019).

Der IS versucht weiterhin seine Aktivitäten in Bagdad zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Fast alle Aktivitäten des IS im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019). Im Juli gelang es dem IS zwei Selbstmordattentate im Gouvernement auszuführen, weswegen Bagdad die Opferstatistik des Irak in diesem Monat anführte (Joel Wing 5.8.2019). Sowohl am 7. als auch am 16. September wurden jeweils fünf Vorfälle mit "Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen" (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Während der Proteste im Südirak im Oktober 2019, von denen auch Bagdad betroffen war, stoppte der IS seine Angriffe im Gouvernement (Joel Wing 16.10.2019). Im Juli 2019 wurden vom Irak-Experten Joel Wing im Gouvernement Bagdad 15 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 15 Toten und 27 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 5.8.2019). Im August 2019 wurden 14 Vorfälle erfasst, mit neun Toten und elf Verwundeten (Joel Wing 9.9.2019) und im September waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verwundeten (Joel Wing 16.10.2019).

Quellen:

- Al Jazeera (5.10.2019): Iraq PM lifts Baghdad curfew, https://www.aljazeera.com/news/2019/10/iraq-pm-lifts-baghdad-curfew191005070529047.html, Zugriff 28.10.2019

- Al Mada (2.10.2019): ...("Proteste werden zu Kriegsgebieten"), https://almadapaper.net/view.php?cat=221822, Zugriff 4.10.2019

- BBC News (4.10.2019): Iraq protests: 'No magic solution' to problems, PM says, https://www.bbc.com/news/world-middle-east-49929280, Zugriff 4.10.2019

- FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (3.10.2019): Die Wut der Iraker auf die Regierung, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/tote-bei-protesten-die-wut-der-iraker-auf-dieregierung-16415369.html, Zugriff 4.10.2019

- France 24 (28.10.2019): Iraq protesters defy Baghdad curfew as violence rocks Shiite holy city, https://www.france24.com/en/20191029-iraq-protesters-defy-baghdad-curfew-as-violencerocks-shiite-holy-city, Zugriff 30.10.2019

- ISW - Institute for the Study of War (22.10.2019): Iraq's Sustained Protests and Political Crisis, https://iswresearch.blogspot.com/2019/10/iraqs-sustained-protests-and-political.html, Zugriff 24.10.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-theirusual.html, Zugriff 17.10.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.10.2019): Iraq's October Protests Escalate And Grow, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/iraqs-october-protests-escalate-and-grow.html, Zugriff 4.10.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (9.9.2019): Islamic State's New Game Plan In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/09/islamic-states-new-game-plan-in-iraq.html, Zugriff 1.10.2019

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.8.2019): Islamic State's Offensive Could Be Winding Down, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/08/islamic-states-offensive-could-be.html, Zugriff 1.10.2019

- Military Times (7.7.2019): Iraqi forces begin operation against ISIS along Syrian border, https:// www.militarytimes.com/flashpoints/2019/07/07/iraqi-forces-begin-operation-against-isis-alongsyrian-border/, Zugriff 18.10.2019

- Net Blocks (3.10.2019, update am 7.8.2019): Heavily censored internet briefly returns to Iraq 28 hours after nationwide blackout, https://netblocks.org/reports/heavily-censored-internetbriefly-returns-to-iraq-28-hours-after-nationwide-blackout-7yNG1w8q, Zugriff 28.10.2019

- Reuters (12.7.2019): Iran strikes opposition positions on border with Iraqi Kurdistan - Tasnim, https://www.reuters.com/article/us-iran-iraq-security/iran-strikes-opposition-positions-onborder-with-iraqi-kurdistan-tasnim-idUSKCN1U71E7, Zugriff 2.10.2019

- Rudaw (13.10.2019): Iraq launches probe into killing of protesters, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/13102019, Zugriff 18.10.2019

- Standard, Der (4.10.2019): Irakischer Premier sieht Demonstranten im Recht, https://www.derstandard.at/story/2000109475503/mehr-als-30-tote-bei-protesten-im-irak, Zugriff 4.10.2019

- The Guardian (29.10.2019): Iraq's young protesters count cost of a month of violence, https:// www.theguardian.com/world/2019/oct/29/iraqi-protesters-demonstrations-month-of-violence, Zugriff 30.10.2019

- The Guardian (27.10.2019): Iraq clashes: at least 15 die as counter-terror police quell protests, https://www.theguardian.com/world/2019/oct/26/six-killed-as-iraq-protests-continue-inbaghdad-and-nasiriyah, Zugriff 28.10.2019

- The Portal (9.10.2019): Iraq launches a new process of "Will to Victory", http://www.theportalcenter.com/2019/10/iraq-launches-a-new-process-of-will-to-victory/, Zugriff 18.10.2019

In Ergänzung zu diesen Feststellungen des Länderinformationsblattes ergibt sich aus den Berichten, des Auswärtigen Amtes von EASO und UNHCR Folgendes:

Im Dezember 2017 wurde, nach einem dreijährigen Kampf, von der irakischen Regierung der Sieg über den Islamischen Staat (IS) erklärt. Seither gibt es keine großflächigen Militäraktionen mehr und wurden die Attacken des IS im Laufe des Jahres 2018 weniger. Trotzdem bleibt der IS als terroristische Organisation eine Gefahr und in der Lage, landesweit Anschläge zu verüben. Insbesondere in den zwischen der Zentralregierung in Bagdad und der Regierung der Autonomen Region Kurdistan umstrittenen Gebiete ist ein Sicherheitsvakuum entstanden und der IS wieder vermehrt aktiv (Auswärtiges Amt 4).

In Bagdad hat sich die Sicherheitssituation im Wesentlichen stabilisiert. 2018 blieb der IS noch in den kleinen Dörfern rund um Bagdad aktiv und hat gelegentlich zivile Ziele angegriffen; seine entsprechende Kapazität, um größere Anschläge zu verüben, hat sich aber stark reduziert (UNHCR, Considerations 19). Die Anzahl der Entführungen hat in den letzten Jahren in Bagdad massiv abgenommen, allerdings gibt es noch immer gezielte Tötungen von exponierten Personen (UNHCR, Considerations 19). Bagdad ist eine der wenigen Regionen des Irak, in der es noch eine gemischte Bevölkerung aus Sunniten, Schiiten und Christen gibt, wenn auch seit 2006 eine zunehmende Aufteilung der Stadtviertel anhand religiöser Grenzen erfolgt ist (EASO, Key socio-economic Factors 29).

Quellen:

Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, 12.01.2019.

EASO, Country of Origin Information Report: Iraq - Key socio-economic indicators, Februar 2019.

UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019.

1.3.2. Aktuelle Protestbewegung in Bagdad:

In Bagdad und im Süden des Irak protestieren Teile der Bevölkerung seit Anfang Oktober gegen Misswirtschaft und hohe Arbeitslosigkeit, Korruption und die nach Religion und Ethnie definierte Proporzregierung. Auch die Nähe der politischen Elite zum Iran steht im Fokus der Kritik (Deutsche Welle, 01.12.2019)

Von offizieller Seite wurde versucht, mit verschiedenen Maßnahmen zur Beruhigung der Situation beizutragen: Ministerpräsident Adel Abdel Mahdi reichte seinen Rücktritt, der eine zentrale Forderung der Demonstranten war, ein. Die oberste Justizbehörde des Irak erließ einen Haftbefehl gegen einen Militärchef, der für das tödliche Durchgreifen gegen Demonstranten in einer Provinz im Südirak verantwortlich war (Deutsche Welle, 01.12.2019).

Eine Beruhigung der Lage konnte damit aber nicht erreicht werden: Am Freitag, 6. Dezember 2019, schossen Bewaffnete aus vier Fahrzeugen auf regierungskritische Protestierende am zentralen Al-Chalani Platz und töteten mindestens 16 Personen (die meisten Quellen sprechen von 24 Toten) und verletzten über 100 Menschen. Bereits vor dieser "Gräueltat" (laut UN) war eine Menschenrechtskommission von mehr als 400 Toten und mehr als 20.000 Verletzten ausgegangen (Zeit online, 07.12.2019).

Die Zahl der spurlos Verschwundenen und der willkürlich Verhafteten hat in den letzten Monaten stark zugenommen (Al Jazeera, 19.12.2019). Zugleich wird von den Demonstranten befürchtet, dass "Saboteure" versuchen, die Protestes zu diskreditieren und mit Gewalttaten in Verbindung zu bringen. So wurde nach einem Lynchmord an einem Jugendlichen, der sich gegen die Demonstranten gewandt hatte, eine Erklärung veröffentlicht, dass man sich von dieser Tat distanziere. Dennoch wurde vom einflussreichen Prediger Moktada al-Sadr nach Bekanntwerden des Vorfalls erklärt, dass er, wenn die Täter nicht gefunden würden, seine Milizionäre abziehen werde, die er nach dem blutigen Angriff auf die Demonstranten am 06.12.2019 zu deren Schutz entsandt hatte (Spiegel online, 12.12.2019). Zugleich war auch das Büro von Al-Sadr, der sich gegen den Iran stellt, in Nadjaf Ziel eines Anschlages (Süddeutsche Zeitung, 08.12.2019)

Die USA haben gegen drei Milizführer Sanktionen ausgesprochen, da sie mit anderen für die brutale Vorgehensweise gegenüber den friedlichen Demonstranten verantwortlich gemacht werden (The Guardian 07.12.2019); sie hätten im Auftrag des Iran gehandelt (The New York Times, 06.12.2019). Aktuell steht auch die schiitische Geistlichkeit an einer Weggabelung; der innerschiitische Konflikt zwischen den beiden größten schiitischen Ländern Iran und Irak wird weiter zunehmen (Deutsche Welle, 30.11.2019)

Trotz des harten Durchgreifens der Sicherheitsbehörden und dem Vorfall am 06.12.2019 zeigen sich die Demonstranten entschlossener denn je, für ihre Forderungen einzutreten (The Guardian, 07.12.2019). Jeder Versuch des Irans zu intervenieren könnte zu massiven Problemen führen, das Konsulat in Nadjaf wurde bereits zerstört und angezündet. Auch gibt es die Befürchtung, dass es zu Kämpfen zwischen Milizen, die den Protest unterstützen, und jenen, die ihn bekämpfen, kommen könnte (The Guardian 07.12.2019).

In der Zwischenzeit wurde auch noch keine Lösung für eine neue Regierung gefunden; laut Verfassung leitete der zurückgetreten Al Mahdi die Regierungsgeschäfte interimsmäßig noch bis 19.12.2019, doch konnte kein Kandidat für das vakante Amt auf genügend Unterstützung zurückgreifen, so dass eine politische Einigung noch aussteht (Der Standard, 20.12.2019). Das Parlament schaffte es auch in seiner Sitzung am 18.12.2019 nicht, eine der zentralen Forderungen der Demonstranten, nämlich ein neues Wahlrecht, zu erlassen. Ayatollah Ali al-Sistani erklärte am 20.12.2019, dass baldige Neuwahlen der einzige Weg aus der Krise seien (Reuters, 20.12.2019).

Die Lage eskalierte um den Jahreswechsel: Hunderte schiitische Milizionäre attackierten die US-Botschaft in Bagdad. Als die Demonstranten am Silvestertag versuchten, die US-Botschaft zu stürmen, bekamen sie Besuch von hochrangigen Kadern der Volksmobilisierungseinheiten, darunter: Jamal Jafaar Ibrahimi, mächtiger Kommandeur der Hisbollah-Brigaden und Vize-Chef der Volksmobilisierungseinheiten. Es wird vermutet, dass der Iran für diese Aktionen die Verantwortung trägt (Spiegel online, 01.01.2020). Die USA wiederum töteten bei einem Luftangriff auf den Flughafen in Bagdad am 2. Jänner 2020 den Kommandanten der iranischen Elitetruppe Kassem Soleimani und den Kommandeur der irakischen Miliz Abu Mahdi al-Muhandis (Reuters, 03.01.2020).

Das Parlament des Irak hat den Abzug von US-Truppen aus dem Land gefordert. Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte für eine Resolution, die das Ende der ausländischen Militärpräsenz im Irak verlangt. Insbesondere wurde die Beendigung eines Abkommens mit den USA gefordert, in dem vor mehr als vier Jahren die Entsendung von US-Soldaten zum Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) vereinbart worden war. 5.000 US-Soldaten sind aktuell im Irak stationiert (Zeit online, 05.01.2020). US-Präsident Donald Trump wiederum drohte dem Irak für den Fall eines feindseligen Rauswurfs amerikanischer Soldaten aus dem Land mit massiven Sanktionen (Zeit online, 06.01.2020).

Quellen (Zugriff auf alle Quellen am 07.01.2020):

Deutsche Welle, Gastkommentar von Rainer Hermann (FAZ): Irak - Die Ordnung von 2003 ist gescheitert, 30.11.2019, abrufbar unter https://www.dw.com/de/gastkommentar-irak-die-ordnung-von-2003-ist-gescheitert/a-51476583

Deutsche Welle, Chaos oder Frieden: Welchen Weg nimmt der Irak?, 01.12.2019, abrufbar unter https://www.dw.com/de/chaos-oder-frieden-welchen-weg-nimmt-der-irak/a-51490474

The New York Times, U.S. Seeks to Punish Iraqi Militias That Targeted Protesters With Iran¿s Help, 06.12.2019, abrufbar unter https://www.nytimes.com/2019/12/06/us/politics/iraq-iran-sanctions.html

Zeit online, Unbekannte erschießen mindestens 16 Protestierende, 07.12.2019, abrufbar unter https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-12/irak-proteste-bagdad-regierung-tote

The Guardian, Defiant protesters back in Baghdad square within an hour of slaugther, 07.12.2019, abrufbar unter https://www.theguardian.com/world/2019/dec/07/protesters-return-baghdad-square-after-slaughter-iraq

Süddeutsche Zeitung, Gezielter Angriff auf Demonstranten, 08.12.2019, abrufbar unter https://www.sueddeutsche.de/politik/irak-gezielter-angriff-auf-demonstranten-1.4714665

Spiegel online, Jugendlicher in Bagdad von Menge gelyncht, 12.12.2019, abrufbar unter https://www.spiegel.de/politik/ausland/irak-jugendlicher-in-bagdad-von-demonstranten-gelyncht-a-1300975.html

Al Jazeera, Iraq protests: Increase in number of disappearances, 19.12.2019, abrufbar unter https://www.aljazeera.com/news/2019/12/iraq-protests-increase-number-disappearances-191219111900491.html

Der Standard, Neuer designierter Premier in Beirut, Patt in Bagdad, Artikel in der Printausgabe vom 20.12.2019

Reuters, Iraq's Sistani says early election only way out of crisis, 20.12.2019, abrufbar unter https://www.reuters.com/article/us-iraq-protests/iraqs-sistani-says-early-election-only-way-out-of-crisis-idUSKBN1YO104

Spiegel online, Neujahrsgrüße aus Teheran, 01.01.2020, abrufbar unter https://www.spiegel.de/politik/ausland/irak-sturm-auf-us-botschaft-in-bagdad-drahtzieher-ist-iran-a-1303278.html

Reuters, Irak - Raketenangriff auf Flughafen in Bagdad, 03.01.2020, abrufbar unter https://de.reuters.com/article/irak-flughafen-raketenangriff-idDEKBN1Z20DM

Zeit online, Irakisches Parlament fordert US-Truppenabzug, 05.01.2020, abrufbar unter https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-01/irak-resolution-us-truppen-abzug-iran-kassem-soleimani

Zeit online, Donald Trump droht Irak bei Rauswurf von US-Truppen mit Sanktionen, 06.01.2020, abrufbar unter https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-01/us-praesident-donald-trump-irak-truppenabzug-soldaten-sanktionen

1.3.3. Zu den Milizen im Irak:

Aus den Berichten des Auswärtigen Amtes, von ACCORD, von EASO und UNHCR ergibt sich Folgendes:

Als die Gruppe Islamischer Staat (IS) im Juni 2014 die Stadt Mossul einnahm, rief Ayatollah Ali al-Sistani, der einflussreichste schiitische Kleriker im Land, dazu auf, den Staat bei der Bekämpfung des IS zu unterstützen. Zehntausende Männer folgten dem Aufruf des Klerikers und sammelten sich unter dem losen Dachverband der Volksverteidigungskräfte (Popular Mobilization Forces, PMF). Circa 50 Milizen mit insgesamt 45.000 bis 142.000 Kämpfern sind unter diesem Dachverband gruppiert. Von manchen Quellen wird die arabische Bezeichnung der PMF, Al-Haschd Asch-Schaabi (Al-Hashd Al-Sha'abi), verwendet. Weitere gängige Bezeichnungen sind Popular Mobilization Units (PMU) oder einfach nur "Hashd" (ACCORD, Schiitische Milizen).

Im November 2016 wurde mit Unterstützung des schiitischen Blocks im Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Legalisierung der PMF und deren Einrichtung als separate militärische Einheit vorsieht, die dem Premierminister untersteht. Die PMF-Milizen erhalten ihren Sold aus der Staatskasse. Seit Ende 2017, als die irakische Regierung offiziell den Sieg über den IS verkündete, haben die PMF neben ihren kämpferischen Funktionen ihren Wirkungsbereich ausgeweitet. So verfügen sie über einen eigenen Parteienblock im Parlament und haben insbesondere in den vom IS zurückgewonnenen Gebieten im Zuge des Wiederaufbaus Wirtschaftssektoren übernommen, die sich der staatlichen Kontrolle entziehen. Nachdem der Parteienblock der PMF, genannt Fatah, bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 die zweitstärkste Kraft wurde, erließ das Parlament im November 2018 ein Gesetz, das den PMF-Kämpfern den gleichen Lohn und manche der Vorzüge von Soldaten der irakischen Armee garantiert. Im Jänner 2019 wurde den PMF laut lokalen Medienberichten die Kontrolle über eine der größten in Staatsbesitz befindlichen Baufirmen übertragen. Die PMF-Kämpfer könnten folglich in Zukunft dafür eingesetzt werden, Straßen zu bauen und Häuser wieder instand zu setzen. Anfang Juli 2019 erließ der damalige Premierminister Abd Al-Mahdi ein Dekret, in dem er alle PMF-Milizen dazu aufforderte, sich bis zum 31. Juli den regulären Sicherheitskräften anzugliedern oder nur mehr als politische Bewegung zu fungieren. Die Milizenführer der Badr-Organisation, der Asa'ib Ahl al-Haq sowie Milizenführer Muqtada Al-Sadr gaben ihre Zustimmung bekannt. Laut Renad Mansour von der britischen Denkfabrik Chatham House ist das Ziel der PMF-Führung, Teil des Staates zu werden, um so Kontrolle über diesen zu erlangen (ACCORD, Schiitische Milizen).

Dennoch variiert das Ausmaß der Integration in den Staatsapparat und gibt es Teile der Milizen innerhalb und außerhalb der formellen Sicherheitskräfte (UNHCR, Considerations 14). Der faktische Einfluss der Regierung und ihrer Sicherheitsorgane auf die Milizen ist nicht zuverlässig sichergestellt (Auswärtiges Amt 4).

Einige PMF Gruppen sind verantwortlich für Menschenrechtsverletzungen gegenüber IS-Verdächtigen, Kritikern und Personen, die sich nicht strikt an die Vorgaben einer konservativen Islamauslegung halten (UNHCR, Considerations 15). Die im Kampf gegen den IS mobilisierten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Strukturen (Auswärtiges Amt 16). Laut EASO werden die PMF generell auch als Kräfte des Staates angesehen (EASO, Guidance 43)

Milizen in Bagdad

Die Quellen deuten auf mehrere Wirkungsfelder der Milizen in Bagdad hin. Sie konkurrieren mit offiziellen Sicherheitskräften, haben Mitglieder beziehungsweise Verbündete in wichtigen politischen Ämtern und sind teilweise für Übergriffe auf StadtbewohnerInnen verantwortlich: Laut dem EASO-Bericht zur Sicherheitslage im Irak vom März 2019 befinden sich die Stadt Bagdad und ihre Vororte generell unter staatlicher Kontrolle, in der Praxis teilen sich jedoch die Behörden die Bereiche Verteidigung und Strafverfolgung mit den zumeist schiitischen PMF, was zu unvollständiger oder sich mit den Milizen überschneidender Kontrolle führt (EASO, Security Situation 75).

Im Juni 2018 berichtet das Long War Journal (LWJ) über Zusammenstöße zwischen Mitgliedern der irakischen Polizei und Kämpfern der irakischen Hisbollah-Brigaden (Kata'ib Hisbollah) in Bagdad. Bei dem Schusswechsel sind laut Angaben einer anonymen Quelle aus Sicherheitskreisen mindestens drei Personen verletzt worden. Im August 2018 räumen Asa'ib Ahl al-Haqq ein, dass rund 50 ihrer Milizkämpfer in Bagdad Verbrechen, darunter Plünderung, Erpressung, Entführungen und Morde verübt haben, um an Geld zu gelangen. Der irakische Innenminister gibt im Oktober 2018 bekannt, seine Mitgliedschaft in der Badr-Organisation auszusetzen. Zuvor hat der schiitische Kleriker Muqtada Al-Sadr verkündet, dass die Ministerien für Inneres und Verteidigung von unabhängigen Personen geleitet werden sollten. Al-Arabiya bezeichnet im Dezember 2018 den gerade vom Provinzrat gewählten Provinzgouverneur von Bagdad als Person mit Naheverhältnis zur Miliz Kata'ib Hisbollah. Im Jänner 2019 wird in Sadr City ein Restaurantbesitzer von einem Angreifer auf einem Motorrad erschossen. Zuvor ist laut Rudaw der Vorwurf an die PMF, für Verbrechen wie Erpressung, Entführung und Tötungen verantwortlich zu sein, nur verhalten vonseiten von Menschenrechtsorganisationen und BewohnerInnen sunnitischer Stadtteile geäußert worden. Dieses Mal hat jedoch ein Medium, das dem schiitischen Parteienblock Al-Hikma nahesteht, berichtet, dass der Täter später gefasst wurde und er Papiere bei sich trug, die dessen Mitgliedschaft bei Asa'ib Ahl al-Haqq bestätigen. Führende Mitglieder von Asa'ib Ahl al-Haqq lehnen diese Berichterstattung scharf ab und sehen sich als Opfer einer Verleumdungskampagne. Im Februar 2019 verweist Middle East Monitor unter Berufung auf Informationen der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu auf eine Operation der Sicherheitskräfte in Bagdad, bei der vier Stützpunkte der PMF durchsucht und geschlossen wurden. Im Februar 2019 kommt es innerhalb der PMF-Strukturen in Bagdad zu Auseinandersetzungen, was eine Welle von Festnahmen und Schließungen von PMF-Stützpunkten zufolge hat. Mehrere Stützpunkte der Abu Fadl Al-Abbas-Miliz sind von den Schließungen betroffen, der Aufenthaltsort des Anführers ist unbekannt. Die Durchsuchungen erfolgen, nachdem die Führung der Abu Fadl Al-Abbas-Miliz bestimmte Kräfte für die Ermordung eines Schriftstellers verantwortlich gemacht hat. Im Mai belagern zum Präsidentenregiment gehörende Sicherheitskräfte einen PMF-Stützpunkt in Bagdad im Stadtteil Dschadiriya und fordern die PMF dazu auf, ihren Stützpunkt zu verlassen. Laut einer Meldung auf Sumer News vom Juni 2019 ruft der Provinzrat von Bagdad dazu auf, die PMF zu Hilfe zu nehmen, um den Bagdad-Gürtel zu sichern. Im Dezember 2019 greifen bei gegen die Regierung gerichteten Protesten in Bagdad nicht identifizierte Milizen DemonstrantInnen an, wobei Dutzende getötet werden. Laut Angaben eines Koordinators der Proteste trugen ein paar Angreifer, die von DemonstrantInenn gefangen genommen wurden, Ausweise der Kata'ib Hisbollah bei sich. (ACCORD, Schiitische Milizen).

Quellen:

* UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing the Republic of Iraq, Mai 2019.

* Austrian Centre for Country of origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD), Schiitische Milizen im Irak, 11.12.2019.

* EASO, Country of Origin Information Report: Iraq - Security situation, März 2019.

* EASO, Country Guidance: Iraq (Juni 2019).

* Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, 12.01.2019.

1.3.4. Zur Versorgungslage im Irak und zur Rückkehr:

Auf Basis des aktuellen Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zum Irak vom 30.10.2019 wird festgestellt:

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 12.2.2018). Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten, sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich (K4D 18.5.2018).

Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die genannten Defizite werden durch die grassierende Korruption zusätzlich verstärkt. Nach Angaben des UN-Programms "Habitat" leben 70 Prozent der Iraker in Städten, die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums (AA 12.2.2018).

In vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wiederhergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 12.2.2018).

Wirtschaftslage

Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des sogenannten Islamischen Staates und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mosul zerstört worden. Dies trifft das Land, nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits, vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im Oktober 2018 für das Jahr 2019. Ob der Wiederaufbau zu einem nachhaltigen positiven Aufschwung beiträgt, hängt aus Sicht der Weltbank davon ab, ob das Land die Korruption in den Griff bekommt (GIZ 11.2018).

Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar (GIZ 11.2018). Rund 90 Prozent der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor (AA 12.2.2018).

Noch im Jahr 2016 wuchs die irakische Wirtschaft laut Economist Intelligence Unit (EIU) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) um 11 Prozent. Im Folgejahr schrumpfte sie allerdings um 0,8 Prozent. Auch 2018 wird das Wachstum um die 1 Prozent betragen, während für 2019 wieder ein Aufschwung von 5 Prozent zu erwarten ist (WKO 2.10.2018). Laut Weltbank wird erwartet, dass das gesamte BIP-Wachstum bis 2018 wieder auf positive 2,5 Prozent ansteigt. Die Wachstumsaussichten des Irak dürften sich dank der günstigeren Sicherheitslage und der allmählichen Belebung der Investitionen für den Wiederaufbau verbessern (WB 16.4.2018). Die positive Entwicklung des Ölpreises ist dafür auch ausschlaggebend. Somit scheint sich das Land nach langen Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen wieder in Richtung einer gewissen Normalität zu bewegen. Dieser positiven Entwicklung stehen gleichwohl weiterhin Herausforderungen gegenüber (WKO 2.10.2018).

So haben der Krieg gegen den IS und der langwierige Rückgang der Ölpreise seit 2014 zu einem Rückgang der Nicht-Öl-Wirtschaft um 21,6 Prozent geführt, sowie zu einer starken Verschlechterung der Finanz- und Leistungsbilanz des Landes. Der Krieg und die weit verbreitete Unsicherheit haben auch die Zerstörung von Infrastruktur und Anlageobjekten in den vom IS kontrollierten Gebieten verursacht, Ressourcen von produktiven Investitionen abgezweigt, den privaten Konsum und das Investitionsvertrauen stark beeinträchtigt und Armut, Vulnerabilität und Arbeitslosigkeit erhöht. Dabei stieg die Armutsquote [schon vor dem IS, Anm.] von 18,9 Prozent im Jahr 2012 auf geschätzte 22,5 Prozent im Jahr 2014 (WB 18.4.2018).

Jüngste Arbeitsmarktstatistiken deuten auf eine weitere Verschlechterung der Armutssituation hin. Die Erwerbsquote von Jugendlichen (15-24 Jahre) ist seit Beginn der Krise im Jahr 2014 deutlich gesunken, von 32,5 Prozent auf 27,4 Prozent. Die Arbeitslosigkeit nahm vor allem bei Personen aus den ärmsten Haushalten und Jugendlichen und Personen im erwerbsfähigen Alter (25-49 Jahre) zu. Die Arbeitslosenquote ist in den von IS-bezogener Gewalt und Vertreibung am stärksten betroffenen Provinzen etwa doppelt so hoch wie im übrigen Land (21,1 Prozent gegenüber 11,2 Prozent), insbesondere bei Jugendlichen und Ungebildeten (WB 16.4.2018).

Der Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 12.2.2018). Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Jobangebote sind mit dem Schließen mehrerer Unternehmen zurückgegangen. Im öffentlichen Sektor sind ebenfalls viele Stellen gestrichen worden. Gute Berufschancen bietet jedoch derzeit das Militär. Das durchschnittliche monatliche Einkommen im Irak beträgt derzeit 350-1.500 USD, je nach Position und Ausbildung (IOM 13.6.2018).

Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD pro Tag verdienen, zu unterstützen. .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 119 von 126

Aufgrund der derzeitigen Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt.

Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen

angeboten (IOM 13.6.2018).

Stromversorgung

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 12.2.2018). Sie deckt nur etwa 60 Prozent der Nachfrage ab, wobei etwa 20 Prozent der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Der verfügbare Stromvorrat variiert jedoch je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 22.12.2017). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten, wenn bei Temperaturen von über 50 Grad flächendeckend Klimaanlagen eingesetzt werden, häufig unterbrochen. Dann versorgt sich die Bevölkerung aus privaten Generatoren, sofern diese vorhanden sind. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig. In der Autonomen Region Kurdistan erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag. Kraftwerke leiden unter Mangel an Brennstoff und es gibt erhebliche Leitungsverluste (AA 12.2.2018).

Wasserversorgung

Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen (AA 12.2.2018). Der Irak befindet sich inmitten einer schweren Wasserkrise, die durch akute Knappheit, schwindende Ressourcen und eine stark sinkende Wasserqualität gekennzeichnet ist (Clingendael 10.7.2018). Die Wasserknappheit dürfte sich kurz- bis mittelfristig noch verschärfen. Besonders betroffen sind die südlichen Provinzen, insbesondere Basra. Der Klimawandel ist dabei ein Faktor, aber auch große Staudammprojekte in der Türkei und im Iran, die sich auf den Wasserstand von Euphrat und Tigris auswirken und zur Verknappung des Wassers beitragen. Niedrige Wasserstände führen zu einem Anstieg des Salzgehalts, wodurch das bereits begrenzte Wasser für die landwirtschaftliche Nutzung ungeeignet wird (UNOCHA 31.8.2018).

Parallel zur Wasserknappheit tragen veraltete Leitungen und eine veraltete Infrastruktur zur Kontaminierung der Wasserversorgung bei (UNOCHA 31.8.2018). Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser (AA 12.2.2018). Im August meldete Iraks südliche Provinz Basra 17.000 Fälle von Infektionen aufgrund der Kontaminierung von Wasser. Der Direktor der Gesundheitsbehörde Basra warnte vor einem Choleraausbruch (Iraqi News 28.8.2018).

Nahrungsversorgung

Laut Welternährungsorganisation sind im Irak zwei Millionen Menschen von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen (FAO 8.2.2018). 22,6 Prozent der Kinder sind unterernährt (AA 12.2.2018). Schätzungen des Welternährungsprogramms zufolge benötigen mindestens 700.000 Iraker Nahrungsmittelhilfe (USAID 23.2.2018).

Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Schätzungen zufolge hat der Irak in den letzten vier Jahren jedoch 40 Prozent seiner landwirtschaftlichen Produktion verloren. Im Zuge des Krieges gegen den IS waren viele Bauern gezwungen, ihre Betriebe zu verlassen. Ernten wurden zerstört oder beschädigt. Landwirtschaftliche Maschinen, Saatgut, Pflanzen, eingelagerte Ernten und Vieh wurden geplündert. Aufgrund des Konflikts und der Verminung konnten Bauern für die nächste Landwirtschaftssaison nicht pflanzen. Die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung wurde unterbrochen, die Nahrungsmittelpreise auf den Märkten stiegen (FAO 8.2.2018). Das Land ist stark von Nahrungsmittelimporten abhängig (AW 11.2.2018; vgl. USAID 1.8.2017).

Das Sozialsystem wird vom sogenannten "Public Distribution System" (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen. Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme, obwohl es von schweren Ineffizienzen gekennzeichnet ist (K4D 18.5.2018). Es sind zwar alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des PDS zu erhalten. Das Programm wird von den Behörden jedoch sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Außerdem hat der niedrige Ölpreis die Mittel für das PDS weiter eingeschränkt (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

-AW - The Arab Weekly (11.2.2018): Can Iraq's ailing economy liberate itself in 2018?, https://thearabweekly.com/can-iraqs-ailing-economy-liberate-itself-2018, Zugriff 15.10.2018

-Clingendael - Netherlands Institute of International Relations (10.7.2018): More than infrastructures: water challenges in Iraq, https://www.clingendael.org/sites/default/files/2018-07/PB_PSI_water_challenges_Iraq.pdf, Zugriff 15.10.2018

-Fanack (22.12.2017): Energy file: Iraq, https://fanack.com/fanack-energy/iraq/, Zugriff 15.10.2018

-FAO - Food and Agriculture Organization of the United Nations (8.2.2018): Iraq: Recovery and Resilience Programme 2018-2019, http://www.fao.org/3/I8658EN/i8658en.pdf, Zugriff 15.10.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak: Die wirtschaftliche Lage im Überblick, https://www.liportal.de/irak/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 20.11.2018

-Iraqi News (28.8.2018): Iraq's Basra declares 17000 infection cases from water pollution, https://www.iraqinews.com/features/iraqs-basra-declares-17000-infection-cases-from-water-pollution/, Zugriff 15.10.2018

-IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl_de.pdf;jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?__blob=publicationFile, Zugriff 16.10.2018

-K4D - Knowledge for Development Program (18.5.2018): Iraqi state capabilities, https://assets.publishing.service.gov.uk/media/5b18e952e5274a18eb1ee3aa/Iraqi_state_capabilities.pdf, Zugriff 15.10.2018

-UNOCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (31.8.2018): Iraq: Humanitarian Bulletin, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/OCHA%20Iraq%20Humanitarian%20Bulletin%20-%20August%202018.pdf, Zugriff 15.10.2018

-USAID - Unites States Agency for International Development (1.8.2017): Iraq: Agriculture https://www.usaid.gov/iraq/agriculture, Zugriff 16.10.2018

- USAID - Unites States Agency for International Development (23.2.2018): Food Assistance

Fact Sheet: Iraq, https://www.usaid.gov/sites/default/files/documents/1866/Iraq_-

_Country_Fact_Sheet.pdf, Zugriff 15.10.2018

- USDOS - United States Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights

Practices 2017 - Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430110.html, Zugriff 4.10.2018

- WB - The World Bank (16.4.2018): Iraq's Economic Outlook - April 2018,

https://www.worldbank.org/en/country/iraq/publication/economic-outlook-april-2018, Zugriff

16.10.2018

- WB - The World Bank (18.4.2018): Iraq: Overview,

http://www.worldbank.org/en/country/iraq/overview, Zugriff 15.10.2018

- WKO - Wirtschaftskammer Österreich (2.10.2018): Die irakische Wirtschaft,

https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/die-irakische-wirtschaft.html, Zugriff 15.10.2018

Medizinische Versorgung

Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt (AA 12.2.2018). Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 13.6.2018).

Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung. Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore (GIZ 11.2018).

Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD. Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind dann noch zusätzliche Kosten zu veranschlagen.

Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt

werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 11.2018).

In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.2.2018). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 12.2.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak - Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/#c37767, Zugriff 20.11.2018

-IOM - International Organization for Migration (13.6.2018): Länderinformationsblatt Irak (2017), https://www.bamf.de/SharedDocs/MILo-DB/DE/Rueckkehrfoerderung/Laenderinformationen/Informationsblaetter/cfs_irak-dl_de.pdf;jsessionid=0E66FF3FBC9BF77D6FB52022F1A7B611.1_cid294?__blob=publicationFile, Zugriff 16.10.2018

-WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html, Zugriff 16.10.2018

Rückkehr

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Autonome Region Kurdistan finden regelmäßig statt (AA 12.2.2018).

Studien zufolge ist die größte primäre Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017). In der Autonomen Region Kurdistan gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der Autonomen Region Kurdistan kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.2.2018).

Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Die Miete für 250m² in Bagdad liegt bei ca. 320 USD. In den Städten der kurdischen Autonomieregion liegt die Miete bei 300-600 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 11 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 7-18 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 22-29 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000 IQD für private oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom (IOM 13.6.2018).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser im Land. Jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote (GIZ 11.2018). Wohnen ist zu einem der größten Probleme im Irak geworden, insbesondere nach den Geschehnissen von 2003 (IOM 13.6.2018). Die Immobilienpreise in irakischen Städten sind in den letzten zehn Jahren stark angestiegen (IEC 24.1.2018). Im Zuge des Wiederaufbaus nach dem IS stellt der Wohnungsbau eine besonders dringende Priorität dar (Reuters 12.2.2018). Im November 2017 bestätigte der irakische Ministerrat ein neues Programm zur Wohnbaupolitik, das mit der Unterstützung von UN-Habitat ausgearbeitet wurde, um angemessenen Wohnraum für irakische Staatsbürger zu gewährleisten (UNHSP 6.11.2017). Öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht für Rückkehrer nicht (IOM 13.6.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (12.2.2018): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1437719/4598_1531143225_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2017-12-02-2018.pdf, Zugriff 12.10.2018

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (11.2018): Irak - Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/#c28570, Zugriff 20.11.2018

1.3.6. Zu einer Gefährdung von Polizisten und Alkoholverkäufern im Irak:

Aus dem EASO, Country of Origin Information Report ergibt sich Folgendes:

2016 wurden der Import und Verkauf von Alkohol verboten. Generell wird der Verkauf von Alkohol als etwas Unmoralisches, gegen den Islam Verstoßendes angesehen und ist nicht auszuschließen, dass dies auch zur Verfolgung von Gruppen wie den Christen, die damit verbunden werden, geführt hat. Alkoholgeschäfte in Bagdad wurden in der Vergangenheit auch angegriffen. Im Juli 2017 wurden etwa 2 Jesiden in ihrem Geschäft in Bagdad erschossen.

Angehörige der irakischen Sicherheitskräfte und der lokalen Polizei sind Hauptziele des IS. Nachdem die Kapazitäten des IS allerdings stark eingeschränkt sind, ist auch die damit verbundene Gefährdung für diese Personengruppen in den letzten Jahren stark gesunken.

Quelle:

* EASO, Country of Origin Information Report: Iraq - Targeting of individuals, März 2019, abrufbar unter https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/Country_Guidance_Iraq_2019.pdf, Zugriff am 26.02.2020

1.3.7. Behandlungsmöglichkeiten psychischer Erkrankungen (z.B. posttraumatischer Belastungsstörung, PTBS)

Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) geht in ihrem 2018 veröffentlichten Mental Health Atlas (Berichtszeitraum: 2017) auf die im Irak verfügbaren Ressourcen zur Behandlung psychischer Erkrankungen ein. Diesen Angaben zufolge gebe es insgesamt 639 Fachkräfte für psychische Gesundheit. Auf eine Bevölkerung von 100.000 Menschen kämen 0.34 PsychiaterInnen, 1.22 MitarbeiterInnen des psychiatrischen Pflegepersonals ("mental health nurses"), 0.11 PsychologInnen und 0.09 SozialarbeiterInnen. Im Irak befänden sich 610 Einrichtungen für die ambulante Behandlung psychiatrischer PatientInnen, davon seien 34 innerhalb eines Krankenhauses verortet und 575 gemeindebasierte ("community-based") Einrichtungen. Stationäre Behandlung von psychiatrischen PatientInnen sei in zwei psychiatrischen Kliniken sowie auf 22 Stationen allgemeiner Krankenhäuser verfügbar. Die Betreuung und Behandlung von Personen mit schwerwiegenden psychischen Störungen (Psychose, bipolare Störung, Depression) sei in den staatlichen Krankenkassen oder Erstattungssystemen nicht enthalten.

In einer E-Mail-Auskunft vom Februar 2019 führt Dr. Ameel Al Shawi von der medizinischen Hochschule an der Universität Falludscha an, dass es im Irak viele Probleme hinsichtlich der psychischen Gesundheit gebe. Es herrsche ein Mangel an SpezialistInnen, PsychologInnen und PsychiaterInnen vor. Es gebe nur wenige Tertiärkliniken, die sich mit psychischen Erkrankungen befassen würden. Diese seien zudem für die Bevölkerung schwer zugänglich. Es seien zudem keine Zentren für die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörung (posttraumatic stress disorder, PTSD) vorhanden, diese würden besonders in Regionen, die mit großer Gewalt und militärischen Operationen konfrontiert gewesen seien wie beispielsweise im Westen des Iraks, fehlen.

Das Al-Bayan Center for Planning and Studies, ein unabhängiger, gemeinnütziger Think Tank mit Sitz in Bagdad, veröffentlicht 2018 einen Bericht zum Wiederaufbau des irakischen Gesundheitssektors. Dem Bericht zufolge habe der Irak ein Defizit an ExpertInnen für die Behandlung von posttraumatischer Belastungsstörung und anderen Erkrankungen, die sich aufgrund eines Traumas oder Konflikts entwickeln. Die Ausbildung und Bereitstellung von geschultem Personal, das zur Heilung dieser Gemeinschaften und Einzelpersonen beitragen könne, hänge daher von der Bereitstellung ausreichender Mittel und einer koordinierten Reaktion auf diese Krise ab.

Die dänische Einwanderungsbehörde (Danish Immigration Service, DIS) verweist in einem gemeinsam mit dem norwegischen Herkunftsländerzentrum Landinfo im November 2018 veröffentlichten Bericht zur Sicherheitslage und Situation der Binnenvertriebenen in den umkämpften Gebieten auf Gespräche mit VertreterInnen der Weltgesundheitsorganisation. Diesen zufolge bestehe in Bezug auf die psychische Gesundheitsversorgung ein enormer Bedarf, die verfügbaren Dienste würden die Nachfrage aber nicht decken. Maßnahmen zur Unterstützung der psychischen Gesundheit seien zeit- und ressourcenaufwendig und würden qualifiziertes medizinisches Personal, das für diese Formen der Behandlung entsprechend ausgebildet sei, benötigen.

Eine Anfragebeantwortung der Internationalen Organisation für Migration (IOM) vom Jänner 2018 an die Zentralstelle für Informationsvermittlung zur Rückkehrförderung (ZIRF) des deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) befasst sich unter anderem mit der medizinischen Versorgung bei psychischen Erkrankungen in Bagdad. Auf die Frage nach Behandlungsmöglichkeiten einer posttraumatischen Belastungsstörung und nach Krankenversicherung und Kostenübernahme, antwortet IOM Folgendes:

"2. Es gibt ein Krankenhaus, in welchem eine Behandlung erfolgen kann:

AlRashad mental hospital

Baghdad - AlSadr city.

Zudem gibt es auch private Kliniken:

Dr.Qasim AlAboodi in AlHarthiya - AlKindi St

Dr. Mahdi AlTa'an in AlMagrib St.

[...]

4. Es gibt keine Krankenkasse, welche die Kosten tragen könnte. Patienten müssen für Behandlungen und Medikamente selbst aufkommen." (IOM, 17. Jänner 2018, S. 2)

Die BFA Staatendokumentation führt in einer Anfragebeantwortung zu Behandlungsmöglichkeiten von paranoider Schizophrenie und posttraumatischer Belastungsstörung vom Juni 2017 Folgendes an:

"Der Auskunft [vom Juni 2017] von IOM Bagdad zufolge gibt es in Bagdad zwei spezialisierte nationale Gesundheitszentren für die Behandlung von psychiatrischen Störungen. Diese Krankenhäuser bieten ihre Dienste unabhängig vom Wohnort des Patienten an. Die Kapazitäten dieser Krankenhäuser sind begrenzt, oft überfüllt, es gibt Wartelisten. Darüber hinaus ist die Qualität der Behandlung gering. Deshalb würde jeder, der sich das leisten k

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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