TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/27 I401 2171290-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.02.2020
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Entscheidungsdatum

27.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I401 2171290-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard AUER über die Beschwerde des XXXX, StA. NIGERIA, vertreten durch Mag. Manuel DIETRICH, Rechtsanwalt, In der Wirke 3, 6971 Hard, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Vorarlberg, vom 11.09.2017, Zl. 1046087510 - 140202156, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der in Umumenike geborene, aus dem Bundestaat Imo, Nigeria, stammende Beschwerdeführer stellte am 24.11.2014 den Antrag auf internationalen Schutz, den er damit begründete, wegen seiner Homosexualität verfolgt worden zu sein. Bei der niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt am 27.08.2015 hielt er dieses Fluchtvorbringen aufrecht.

2. Mit Bescheid vom 11.09.2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Vorarlberg (in der Folge als Bundesamt bezeichnet), den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria ab (Spruchpunkt I. und II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz (FPG) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.) und gewährte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie Mangelhaftigkeit des Verfahrens rechtzeitig und zulässig Beschwerde vom 19.09.2017.

4. Am 14.02.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung statt, bei der der Beschwerdeführer, dessen rechtsfreundlicher Vertreter sowie ein Dolmetscher für die Sprache Ibo anwesend waren. Die belangte Behörde teilte zuvor mit, auf die Teilnahme an der Beschwerdeverhandlung zu verzichten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Nigeria und stammt aus dem Bundestaat Imo. Er bekennt sich zum christlichen Glauben. Er gehört der Volksgruppe der Ibo an. Seine Identität steht nicht fest. Er ist gesund und arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer reiste im Jänner 2012 aus Nigeria aus, im Juni 2012 illegal in die Türkei ein, wo er sich für ca. drei Tage aufhielt, und anschließend nach Griechenland weiter, wo er am 06.08.2012 zwar einen Antrag auf Asyl stellte, den Ausgang des Verfahrens jedoch nicht abwartete. Nach seinem ca. ein Jahr dauernden Aufenthalt in Griechenland fuhr er nach Ungarn weiter, wo er am 23.07.2013 mit einem anderen Vornamen einen weiteren Antrag auf Asyl stellte. Diesen Antrag nahm er am 12.11.2013 zurück, woraufhin er am 19.12.2013 an einen Grenzübertritt zu Serbien abgeschoben wurde. Für ca. ein Jahr war er in Serbien aufhältig, ehe er unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich einreiste und am 24.11.2014 den Antrag auf internationalen Schutz stellte. Er hält sich gegenwärtig seit ca. fünf Jahren und drei Monaten in Österreich auf.

Die Eltern des Beschwerdeführers leben in Nigeria. In Österreich hat er keine Verwandten und führt er weder ein Familienleben noch eine Beziehung.

Der Beschwerdeführer besuchte in Nigeria zwei Jahre eine Schule und absolvierte eine Ausbildung als "Autoelektriker", übte aber seinen erlernten Beruf vor seiner Ausreise aus Nigeria nicht aus.

Der Beschwerdeführer ist selbsterhaltungsfähig. Er ging in der Zeit vom 30.04.2015 bis 31.12.2017 und geht seit 31.07.2018 einer selbständigen, der Pflichtversicherung nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz (GSVG) unterliegenden Erwerbstätigkeit als Zusteller von Zeitungen nach. Obwohl er im zuerst angeführten Zeitraum erwerbstätig war, bezog er in diesem Zeitraum Leistungen aus der Grundversorgung, wie Krankenversicherung, Unterbringung, Taschengeld und Verpflegung. Die Landespolizeidirektion Vorarlberg lud den Beschwerdeführer als Beschuldigten zu einer Einvernahme am 08.10.2019 wegen "Sozialleistungsbetrug". Ob ein (Abschluss-) Bericht dieser Landespolizeidirektion an eine Staatsanwaltschaft, eine Einstellung des Strafverfahrens oder eine strafgerichtliche Verurteilung erfolgt ist, konnte nicht festgestellt werden. Zum gegebenen Zeitpunkt ist der Beschwerdeführer in Österreich nicht vorbestraft. Im Jahr 2019 erzielte er Einkünfte in der Höhe von ca. ? 1.200,-- monatlich, wobei er in diesem Jahr monatlich einen Betrag in der Höhe von ca. ? 95,-- an das Finanzamt B und einen Betrag in der Höhe von ca. ? 160,-- an die Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft abführte.

Der Beschwerdeführer weist in Österreich keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher und kultureller Hinsicht auf. Er spricht nicht Deutsch.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Im Verfahren ergaben sich keine Anhaltspunkte in Bezug auf eine homosexuelle Orientierung des Beschwerdeführers und konnte nicht festgestellt werden, dass er in Nigeria auf Grund seiner Homosexualität verfolgt wurde und er aus diesem Grund sein Herkunftsland verließ. Sonstige Fluchtgründe brachte er nicht vor.

1.3. Zur (auszugsweise wiedergegebenen) Lage im Herkunftsstaat (mit Angabe der Quellen):

Sicherheitslage

Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 10.12.2018). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt; sowie Spannungen im Nigerdelta (AA10.12.2018; vgl. EASO 11.2018a) und eskalierende Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten, (EASO 11.2018a; vgl. AA 10.12.2018), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a). Die 2017 deutlich angespannte Lage im Südosten des Landes ("Biafra") hat sich mit dem Eingriff des Militärs und der mutmaßlichen Flucht des Anführers der stärksten separatistischen Gruppe IPOB derzeit wieder beruhigt (AA 10.12.2018).

In den nordöstlichen Bundesstaaten Adamawa, Borno, Gombe und Yobe kommt es häufig zu Selbstmordanschlägen (BMEIA 12.4.2019). Außenministerien warnen vor Reisen dorthin sowie in den Bundesstaat Bauchi (BMEIA 12.4.2019; vgl. AA 12.4.2019; UKFCO 12.4.2019). Vom deutschen Auswärtige Amt wird darüber hinaus von nicht notwendigen Reisen in die übrigen Landesteile Nordnigerias abgeraten (AA 12.4.2019).

Zu Entführungen und Raubüberfällen kommt es im Nigerdelta und einigen nördlichen Bundesstaaten. Betroffen sind: Abia, Akwa Ibom, Anambra, Bauchi, Bayelsa, Cross River, Delta, Ebonyi, Enugu, Imo, Jigawa, Kaduna, Kano, Katsina, Kogi, Nasarawa, Plateau, Rivers und Zamfara. Für die erwähnten nordöstlichen und nördlichen Bundesstaaten sowie jenen im Nigerdelta gelegenen gilt seitens des österreichischen Außenministeriums eine partielle Reisewarnung; Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3) in den übrigen Landesteilen (BMEIA 12.4.2019).

Das deutsche Auswärtige Amt rät von Reisen in die Bundesstaaten Kaduna (insbesondere Süd- Kaduna), Plateau, Nasarawa, Benue, Delta, Bayelsa, Rivers, Imo (insbesondere die Hauptstadt Owerri), Abia, Anambra, Ebonyi, Edo, Enugu, Delta, Kogi, den südlichen Teil von Cross Rivers, Ogun und Akwa Ibom ab (AA 12.4.2019). Das britische Außenministerium warnt (neben den oben erwähnten nördlichen Staaten) vor Reisen in die am Fluss gelegenen Regionen der Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Akwa Ibom and Cross River im Nigerdelta. Abgeraten wird außerdem von allen nicht notwendigen Reisen in die Bundesstaaten Bauchi, Zamfara, Kano, Kaduna, Jigawa, Katsina, Kogi, Abia, im 20km Grenzstreifen zum Niger in den Bundesstaaten Sokoto und Kebbi, nicht am Fluss gelegene Gebiete von Delta, Bayelsa und Rivers (UKFCO 29.11.2018).

In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Meist dauern diese Auseinandersetzungen nur wenige Tage und sind auf einzelne Orte bzw. einzelne Stadtteile begrenzt. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, das Sokoto (Nordteil) und Plateau (Südteil) sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen (AA 12.4.2019).

In der Zeitspanne April 2018 bis April 2019 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (2.333), Zamfara (1.116), Kaduna (662), Benue (412), Adamawa (402), Plateau (391). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Jigawa (2), Gombe (2), Kebbi (3) und Osun (8) (CFR 2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

- AA - Auswärtiges Amt (12.4.2019): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/ 205788#content_6, Zugriff 12.4.2019

- BMEIA - Österreichisches Außenministerium (12.4.2019): Reiseinformationen - Nigeria, https:// www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/nigeria/, Zugriff 12.4.2019

- CFR - Council on Foreign Relations (2019): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/ nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 12.4.2019

- EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 12.4.2019

- UKFCO - United Kingdom Foreign and Commonwealth Office (12.4.2019): Foreign Travel Advice - Nigeria - summary, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 12.4.2019

Nigerdelta

Von 2000 bis 2010 agierten im Nigerdelta militante Gruppen, die den Anspruch erhoben, die Rechte der Deltabewohner zu verteidigen und die Forderungen auf Teilhabe an den Öleinnahmen auch mittels Gewalt (Sabotage der Ölinfrastruktur) durchzusetzen. 2009 gelang dem damaligen Präsidenten Yar'Adua mit einem Amnestieangebot eine Beruhigung des Konflikts. Unter Buhari lief das Programm am 15.12.2015 aus. Nach Wiederaufnahme der Attacken gegen die Ölinfrastruktur ist das Amnestieprogramm bis 2019 verlängert worden. Auch wenn Dialogprozesse zwischen der Regierung und Delta-Interessengruppen laufen und derzeit ein "Waffenstillstand" zumindest grundsätzlich hält, scheint die Regierung nicht wirklich an Mediation interessiert zu sein, sondern die Zurückhaltung der Aufständischen zu "erkaufen" und im Notfall mit militärischer Härte durchzugreifen (AA 10.12.2018).

Im Nigerdelta, dem Hauptgebiet der Erdölförderung, bestehen zahlreiche bewaffnete Gruppierungen, die sich neben Anschlägen auf Öl- und Gaspipelines auch auf Piraterie im Golf von Guinea und Entführungen mit Lösegelderpressung spezialisiert haben. Im Herbst 2016 konnte mit den bewaffneten Gruppen ein Waffenstillstand vereinbart werden, der bislang großteils eingehalten wird (ÖB 10.2018). Die Lage im Nigerdelta hat sich seit damals beruhigt, ist aber weiterhin volatil; die Bedrohung der dort angesiedelten Öl- und Gasförderung durch militante Gruppen und Piraten bleibt ein Risiko (AA 9.2018c). Im Berichtszeitraum 1.10.2017 bis 30.9.2018 registrierte ACLED, eine von einer NGO betriebene Datenbank sicherheitsrelevanter Vorfälle, in der Kategorie "Violence against civilians" in den Bundesstaaten des Nigerdeltas insgesamt 116 Vorfälle (insg. 350 sicherheitsrelevante Vorfälle). Die Exekutive war nicht in der Lage kommunale Gewalt zu verhindern. Daher wird auch die Armee im Zuge gemeinsamer Sicherheitsoperationen und -übungen eingesetzt (EASO 11.2018a). Das Militär hat auch die Federführung bei der zivilen Bürgerwehr Civilian Joint Task Force inne, die u.a. gegen militante Gruppierungen im Nigerdelta eingesetzt wird. Auch wenn sie stellenweise recht effektiv vorgeht, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 10.12.2018).

Bei den Auseinandersetzungen im Nigerdelta handelte es sich sowohl um einen Konflikt zwischen regionalen militanten Gruppen einerseits und der Staatsgewalt andererseits, als auch um Rivalitäten zwischen unterschiedlichen lokalen Gemeinschaften. Im ersten Fall stehen in der Regel finanzielle Partikularinteressen der bewaffneten Gruppen im Vordergrund, im zweiten Fall geht es um einen Verteilungskampf rivalisierender Gruppen (AA 10.12.2018).

Entführungen sind im Nigerdelta und in den südöstlichen Bundesstaaten Abia, Imo und Anambra besonders häufig. Politiker, Wohlhabende und Ausländer sind die häufigsten Opfer (FH 1.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

- AA - Auswärtiges Amt (9.2018c): Nigeria - Wirtschaft,

- https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205790, Zugriff 22.11.2018

- EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 12.4.2019

- FH - Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/1443869.html, Zugriff 7.11.2018

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

Nordnigeria - Boko Haram

"Boko Haram" ist seit Mitte 2010 für zahlreiche schwere Anschläge mit Tausenden von Todesopfern verantwortlich (AA 9.2018a). Dem Konflikt fielen unterschiedlichen unabhängigen Schätzungen zufolge zwischen 20.000 und 30.000 Menschen zum Opfer (AA 9.2018a; vgl. HRW 18.1.2018; EASO 11.2018a). Im August 2016 spaltete sich Boko Haram als Folge eines Führungsstreits in Islamic State West Africa (ISIS-WA) und Jama'atu Ahlis Sunna Lidda'awati wal- Jihad (JAS) auf (EASO 11.2018a). Diese Gruppen waren weiterhin für Tötungen, Bombenanschläge und Angriffe auf militärische und zivile Ziele in Nordnigeria verantwortlich. Diese Aktivitäten forderten tausende Todesopfer und Verletzte und verursachten bedeutende Zerstörung von Eigentum (USDOS 19.9.2018).

In den ersten eineinhalb Jahren Amtszeit hatte es Präsident Buhari geschafft, die Bedrohung durch Boko Haram weitgehend einzudämmen (AA 9.2018a). Die von Boko Haram betroffenen Staaten haben sich im Februar 2015 auf die Aufstellung einer 8.700 Mann starken Multinational Joint Task Force (MNJTF) zur gemeinsamen Bekämpfung von Boko Haram verständigt (AA 9.2018a). Im Vorfeld der Wahlen 2015 wurde die Militärkampagne gegen die Islamisten auf Druck und unter Beteiligung der Nachbarstaaten Kamerun, Niger und Tschad intensiviert und hat nach dem Amtsantritt von Staatspräsident Buhari zu einem von der Regierung behaupteten "technischen Sieg" geführt (ÖB 10.2018). Bis Oktober 2015 konnte Boko Haram aus allen von ihr kontrollierten Städten und aus fast allen Landkreisen im Nordosten Nigerias vertrieben werden, ohne das es den nigerianischen Sicherheitsbehörden bisher gelungen ist, diese Gebiete dann auch abzusichern und vor weiteren Angriffen der Islamisten zu schützen (AA 9.2018a; vgl. AA 1.12.2018). Nach dem Rückzug in unwegsames Gelände und dem Treueeid einer Splittergruppe gegenüber dem sogenannten "Islamischen Staat" ist Boko Haram mittlerweile zu seiner ursprünglichen Guerillataktik von Überfällen auf entlegenere Dörfer und Selbstmordanschlägen - oft auch durch Attentäterinnen - zurückgekehrt (ÖB 10.2018). Mit Selbstmordanschlägen auf Streitkräfte, Vertriebenenlager, Moscheen in ländlichen Bereich oder in Einzugsgebieten von größeren Städten im Nordosten, besonders Maiduguri, sowie Entführungen bleiben die Islamisten weiterhin regional aktiv (AA 9.2018a). Die seit 2015 erzielten Fortschritte im Kampf gegen Boko Haram nutzen sich langsam ab (erhöhte Anschlagsaktivitäten, insbesondere auf nigerianische Streitkräfte). Die nigerianischen Streitkräfte beschränken sich auf das Verteidigen einiger urbaner Zentren im Bundesstaat Borno (AA 10.12.2018). Die Zahl und Qualität der Anschläge, insbesondere auf nigerianische Streitkräfte und Polizei, hat 2018 wieder zugenommen (AA 9.2018a). Boko Haram verübte 2017 mindestens 65 Angriffe, bei denen insgesamt 411 Zivilpersonen getötet wurden. Außerdem entführte die Gruppe mindestens 73 Menschen (AI 22.2.2018). Im Jahr 2018 kamen zumindest 1.200 Personen durch Boko Haram ums Leben, knapp 200.000 Personen wurden intern vertrieben (HRW 17.1.2019).

Auch wenn die zivile Bürgerwehr Civilian Joint Task Force stellenweise recht effektiv gegen Boko Haram vorging, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 10.12.2018).

In Lagos gibt es keine Fälle von Tötungen durch Boko Haram. Die Terroristen sind nicht in der Lage, eine Person überall in Nigeria aufzuspüren. Wenn sich Menschen von Boko Haram bedroht fühlen, dann können sie im Land umsiedeln (VA1 16.11.2015). Zwar gibt es im Süden Schläferzellen der Boko Haram. Trotzdem können z.B. Deserteure der Boko Haram in den Süden umsiedeln, wo sie sicher sind (VA2 16.11.2015).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

- AA - Auswärtiges Amt (9.2018a): Nigeria - Innenpolitik,

- https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205844, Zugriff 7.11.2018

- AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425079.html, Zugriff 8.11.2018

- EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 12.4.2019

- HRW - Human Rigths Watch (18.1.2018): World Report 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/ dokument/1422531.html, Zugriff 28.11.2018

- HRW - Human Rigths Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/ document/2002184.html, Zugriff 11.4.2019

- USDOS - U.S. Department of State (19.9.2018): Country Report on Terrorism 2017 - Nigeria, https://www.refworld.org/docid/5bcf1f8e13.html, Zugriff 30.11.2018

- VA1 - Vertrauensanwalt 1 der Österreichischen Botschaft Abuja (16.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

- VA2 - Vertrauensanwalt 2 der Österreichischen Botschaft Abuja (16.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

Sicherheitsbehörden

Die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben obliegen der rund 360.000 Mann starken (Bundes-) Polizei (National Police Force - NPF), die dem Generalinspekteur der Polizei in Abuja untersteht (AA 10.12.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Zusätzlich zu der üblichen polizeilichen Verantwortung zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung in den Bundesstaaten und im Federal Capital Territory (FCT) unterstehen dem Generalinspekteur die Strafverfolgungsbehörden im ganzen Land, die in Grenzschutz, Terrorismusbekämpfung und Marineangelegenheiten (Navigation) involviert sind (USDOS 13.3.2019). Etwa 100.000 Polizisten sollen bei Personen des öffentlichen Lebens und einflussreichen Privatpersonen als Sicherheitskräfte tätig sein (AA 10.12.2018).

Neben der Polizei werden im Inneren auch Militär, Staatsschutz sowie paramilitärische Einheiten (sogenannte Rapid Response Squads) eingesetzt (AA 10.12.2018). Das Department of State Service(DSS), das via nationalem Sicherheitsberater dem Präsidenten unterstellt ist, ist ebenfalls für die innere Sicherheit zuständig. Polizei, DSS und Militär sind zivilen Autoritäten unterstellt, sie operieren jedoch zeitweise außerhalb ziviler Kontrolle (USDOS 13.3.2019). Die National Drug Law Enforcement Agency (NDLEA) ist für alle Straftaten in Zusammenhang mit Drogen zuständig. Der NDLEA, in deren Zuständigkeit Dekret 33 fällt, wird Professionalität konstatiert (ÖB 10.2018).

Die NPF und die Mobile Police (MOPOL) zeichnen sich hingegen durch geringe Professionalität, mangelnde Disziplin, häufige Willkür und geringen Diensteifer aus (ÖB 10.2018). Die Polizei ist durch niedrige Besoldung sowie schlechte Ausrüstung, Ausbildung und Unterbringung gekennzeichnet. Die staatlichen Ordnungskräfte sind personell, technisch und finanziell nicht in der Lage, die Gewaltkriminalität umfassend zu kontrollieren bzw. einzudämmen. Zudem sind nach allgemeiner Auffassung die Sicherheitskräfte teilweise selbst für die Kriminalität verantwortlich (AA 10.12.2018). Da die Polizei oft nicht in der Lage ist, durch gesellschaftliche Konflikte verursachte Gewalt zu unterbinden, verlässt sich die Regierung in vielen Fällen auf die Unterstützung durch die Armee (USDOS 13.3.2019). Jedoch sind im Allgemeinen die nigerianischen Behörden gewillt und fähig, Schutz vor nichtstaatlichen Akteuren zu bieten (UKHO 8.2016a).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

- UKHO - United Kingdom Home Office (8.2016a): Country Information and Guidance Nigeria: Women fearing gender-based harm or violence, https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/595734/CIG_-_Nigeria_-_Women.pdf, Zugriff 13.11.2018

- USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2004182.html, Zugriff 20.3.2019

Relevante Bevölkerungsgruppen

...

Homosexuelle

Homosexuelle Handlungen jeglicher Art sind - unabhängig vom Geschlecht der betroffenen Personen - sowohl nach säkularem Recht (AA 10.12.2018; vgl. GIZ 4.2019b) als auch nach Scharia-Recht (Körperstrafen bis hin zum Tod durch Steinigung in besonderen Fällen) strafbar. Allerdings sind kaum Fälle strafrechtlicher Verfolgung einvernehmlicher homosexueller Handlungen bekannt geworden (AA 10.12.2018). § 214 des Strafgesetzbuchs sieht 14 Jahre Haft für gleichgeschlechtliche Beziehungen vor (ÖB 10.2018). Der im Jänner 2014 verabschiedete Same Sex Marriage Prohibition Act (SSMPA) sieht zudem vor, dass homosexuelle Paare, die heiraten oder öffentlich ihre Zuneigung zeigen, mit Haft bestraft werden können. Das Gesetz sieht bis zu 14 Jahre Haft für Eheschließungen und zivilrechtliche Partnerschaften zwischen zwei Frauen oder zwei Männern vor (ÖB 10.2018; vgl. USDOS 13.3.2019, GIZ 4.2019b). Wer seine Liebesbeziehung zu einem Menschen des gleichen Geschlechts direkt oder indirekt öffentlich zeigt, soll dem Gesetz zufolge mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden können (ÖB 10.2018). Die gleiche Strafe ist für die Gründung und Unterstützung von Clubs, Organisationen oder anderen Einrichtungen für Schwule und Lesben vorgesehen (ÖB 10.2018; vgl. AA 10.12.2018).

In den zwölf nördlichen Bundesstaaten, wo das islamische Recht in Kraft ist, können homosexuelle Handlungen mit Haft, Stockschlägen oder Tod durch Steinigung bestraft werden (USDOS 13.3.2019; vgl. HL1 16.11.2015; DS1 20.11.2015). Aktivisten sind keine Fälle bekannt, bei denen die Todesstrafe umgesetzt wurde (USDOS 13.3.2019; vgl. HL1 16.11.2015; DS1 20.11.2015). Insgesamt kam es auch unter der Scharia nur zu wenigen Verurteilungen (HL1 16.11.2015; vgl. DS1 20.11.2015).

Homosexuelle versuchen auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen und weitverbreiteter Vorbehalte in der Bevölkerung, ihre sexuelle Orientierung zu verbergen (AA 10.12.2018). Der SSMPA hat zu einer weiteren Stigmatisierung von Lesben und Schwulen geführt. Diese werden oftmals von der Polizei schikaniert und misshandelt und von der Bevölkerung gemobbt oder mittels Selbstjustiz verfolgt (GIZ 4.2019b). Erpressung und Gewalt treten oft schon beim Verdacht auf, homosexuell zu sein (MSMA 17.11.2015; vgl. LLM 16.11.2015). Die meisten Menschenrechtsverletzungen gegen Homosexuelle gehen von nichtstaatlichen Akteuren aus (LLM 16.11.2015; vgl. MSMK 19.11.2015). Die Verfügbarkeit von staatlichem Schutz ist in Frage zu stellen, manchmal interveniert die Polizei gar nicht oder verhaftet das Opfer (MSMA 17.11.2015; vgl. DS3 18.11.2015; DS1 20.11.2015). Opfer von Menschenrechtsverletzungen haben es extrem schwer, Vergehen bei den Behörden zu melden, denn es herrscht Angst vor Stigmatisierung, weiterer Gewalt und Diskriminierung. Es gibt viele Fälle, in denen Polizeibeamte Personen, von denen angenommen wird, dass sie sexuellen Minderheiten angehören, willkürlich verhaften. In der Folge werden hohe Geldsummen für die Freilassung gefordert. Staatliche Stellen sind häufig selbst die Täter bei Menschenrechtsverletzungen oder handeln in Kooperation mit nichtstaatlichen Akteuren (TIERS 12.2018).

Im Rahmen der Verabschiedung des SSMPA 2014 kam es zu einer Zunahme an Fällen von Belästigung und Drohung. Es wurde von zahlreichen Verhaftungen berichtet. Allerdings wurden die Verhafteten in allen Fällen ohne eine formelle Anklage nach Zahlung einer Geldsumme freigelassen, die oftmals nichts anderes als ein Bestechungsgeld war. Im Jahr 2017 kam es erstmals zu Anklagen unter dem SSMPA. Im November 2017 wurden ein Hotelbesitzer und zwei seiner Mitarbeiter wegen Unterstützung homosexueller Aktivitäten angeklagt. Im Dezember 2017 wurden die drei Angeklagten auf Kaution freigelassen und im August 2018 wurde das Verfahren eingestellt. Ansonsten ist keine strafrechtliche Verfolgung gemäß dem SSMPA feststellbar (USDOS 13.3.2018). Nach anderen Angaben wurden vereinzelt langjährige Haftstrafen verhängt; als Beispiel wird ein Fall aus dem Bundesstaat Kano vom Dezember 2016 genannt (ÖB 10.2018). Eine generelle bzw. systematische "staatliche Verfolgung" ist derzeit nicht gegeben (ÖB 10.2018; vgl. AA 10.12.2018). Die Rechtsänderung hat bisher nicht zu einer flächendeckenden verschärften Strafverfolgung geführt (AA 10.12.2018). Allerdings dient das Gesetz zur Rechtfertigung von Menschenrechtsverletzungen wie Folter, sexueller Gewalt, willkürlicher Haft, Erpressung von Geld sowie Verletzung von Prozessrechten (USDOS 13.3.2019).

Gesellschaftliche Diskriminierung bei offenem Zurschaustellen der sexuellen Orientierung ist vorhanden (ÖB 10.2018; vgl. AA 10.12.2018). Die Community wird nicht überwacht (LLM 16.11.2015; vgl. HL1 16.11.2015; DS2 19.11.2015). Die Polizei wird nicht aus eigenem Antrieb aktiv und sucht gezielt nach Homosexuellen (HL1 16.11.2015; vgl. DS2 19.11.2015). Die Polizei verhaftet Verdächtige in erster Linie mit dem Ziel, Geld zu erpressen. Grundsätzlich kommen Verdächtige nach der Zahlung einer "Kaution" wieder frei (LLM 16.11.2015; vgl. HL1 16.11.2015). Aufgrund der bei der Polizei herrschenden Korruption ist es einfach, sich aus der Haft freizukaufen (VA1 16.11.2015).

Auch für betroffene Homosexuellen-NGOs hatte der SSMPA kaum Auswirkungen, keine der Organisationen musste die Arbeit einstellen (LLM 16.11.2015; vgl. MSMA 17.11.2015; DS2 19.11.2015). Im Gesundheitsbereich tätige NGOs mit Fokus auf Homosexuelle (v.a. HIV/AIDS) stellten zwar Anfang 2014 kurzfristig den Betrieb ein, doch wurde dieser nach wenigen Wochen wieder aufgenommen und läuft seither wie vor Inkrafttreten des SSMPA (IO1 20.11.2015).

Die meisten Homosexuellen-NGOs haben ihre Basis in den Hauptstädten der Bundesstaaten (DS3 18.11.2015; vgl. DS2 19.11.2015; MSMA 17.11.2015). Üblicherweise sind die Homosexuellen- NGOs den Betroffenen bekannt (DS3 18.11.2015; vgl. MSMA 17.11.2015). Es existieren auch eigene HIV/AIDS-Kliniken, die gezielt für homosexuelle Patienten eingerichtet wurden (IO1 20.11.2015; vgl. MSMA 17.11.2015).

Verschiedene NGOs bieten Angehörigen sexueller Minderheiten rechtliche Beratung und Schulungen in Meinungsbildung, Medienarbeit und Bewusstseinsbildung in Bezug auf HIV an (USDOS 13.3.2019). Es existieren Netzwerke von Menschenrechtsanwälten, welche - im Falle der Verhaftung eines Homosexuellen - unmittelbar kontaktiert werden und die Person gegen "Kaution" freizukaufen versuchen (IO1 20.11.2015). Die Anwälte sind organisiert, es gibt unterschiedliche Vereine, z.B. Lawyers League for Minorities, Lawyers Alert oder die Coalition of Human Rights Lawyers (LLM 16.11.2015; vgl. HL1 16.11.2015). Homosexuellen-Netzwerke verschiedener Landesteile bzw. Städte sind miteinander in Kontakt (MSMA 17.11.2015; vgl. LLM 16.11.2015). Die Netzwerke und Organisationen bieten auch Unterstützung und Zufluchtsmöglichkeiten an (USDOS 20.4.2018; vgl. MSMA 17.11.2015; LLM 16.11.2015).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

- DS1 - Diplomatic Source 1 (20.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

- DS2 - Diplomatic Source 2 (19.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

- DS3 - Diplomatic Source 3 (18.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

- DS4 - Diplomatic Source 4 (20.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/, Zugriff 10.4.2019

- HL1 - Human Rights Lawyer 1 (16.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

- LLM - Representative of the Lawyers League for Minorities (16.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

- MSMA - MSM-related NGO, Abuja (17.11.2015): Gruppendiskussion im Rahmen einer Fact Finding Mission

- MSMK - MSM-reltated NGO, Kaduna (19.11.2015): Gruppendiskussion im Rahmen einer Fact Finding Mission

- IO1 - International Health and Development Research Organisation (20.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

- TIERSs - The Initiative for Equal Rights (12.2018): 2018 Human Rights Violations Report, https://theinitiativeforequalrights.org/wp-content/uploads/2018/12/2018-Human-Rights- Report.pdf, Zugriff 2.4.2019

- USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2004182.html, Zugriff 20.3.2019

- VA1 - Vertrauensanwalt 1 der Österreichischen Botschaft Abuja (16.11.2015): Interview im Rahmen einer Fact Finding Mission

Meldewesen

Ein Meldewesen ist nicht vorhanden (AA 10.12.2018; vgl. ÖB 10.2018; EASO 24.1.2019), wie zahlreiche Quellen bei EASO angeben. Nur eine Quelle behauptet, dass es eine Art Meldewesen gibt. Es bestehen gesetzliche Voraussetzungen, damit Bundesstaaten ein Meldewesen einrichten können. Bislang hat lediglich der Bundesstaat Lagos davon Gebrauch gemacht (EASO 24.1.2019). Auch ein funktionierendes nationales polizeiliches Fahndungssystem existiert nicht. Daraus resultiert, dass eine Ausforschung einmal untergetauchter Personen kaum mehr möglich ist. Das Fehlen von Meldeämtern und bundesweiten polizeilichen Fahndungsbehörden ermöglicht es in den allermeisten Fällen, bereits in der näheren Umgebung "unterzutauchen" (ÖB 10.2018).

Im Sheriffs and Civil Process Act Chapter 407, Laws of the Federation of Nigeria 1990 sind Ladungen vor Gericht geregelt. Der Sheriff oder von ihm bestellte Bailiffs müssen die Ladungen in ganz Nigeria persönlich zustellen (ÖB 10.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

- EASO - European Asylum Support Office (24.1.2019): Query Response - Identification documents system in Nigeria

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

Grundversorgung

Die nigerianische Wirtschaft hat sich 2017 allmählich aus der schlimmsten Rezession seit 25 Jahren erholt, das BIP ist um 0,55 Prozent gestiegen. Mehrere Faktoren haben dazu beigetragen, dass sich die nigerianische Wirtschaft seit Ende 2017 allmählich wieder erholt, unter anderem eine Steigerung der Erdölförderleistung, die Erholung des Erdölpreises und eine verbesserte Leistung von Landwirtschaft und Dienstleistungssektor (GIZ 4.2019c).

Etwa 80 Prozent der Gesamteinnahmen Nigerias stammen aus der Öl- und Gasförderung (AA 10.12.2018). Neben Erdöl verfügt das Land über z.B. Zinn, Eisen-, Blei-, und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine, Phosphat - gesamtwirtschaftlich jedoch von geringer Bedeutung (GIZ 4.2019c). Von Bedeutung sind hingegen der (informelle) Handel und die Landwirtschaft, welche dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bieten (AA 10.12.2018). Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) machte 2016 ca. 20 Prozent des BIP aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Industrielle Entwicklung wird durch die unzureichende Infrastruktur (Energie und Transport) behindert (GIZ 4.2019c).

Über 60 Prozent der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt, in ländlichen Gebieten über 90 Prozent (AA 9.2018c). Der Agrarsektor wird durch die Regierung Buhari stark gefördert. Dadurch hat etwa der Anteil an Großfarmen zugenommen (GIZ 4.2019c; vgl. AA 9.2018c). Auch die Mais- und Reisproduktion wurde dadurch kräftig ausgeweitet. Dabei ist das Potenzial der nigerianischen Landwirtschaft bei Weitem nicht ausgeschöpft (AA 9.2018c) und das Land ist nicht autark, sondern auf Importe - v.a. von Reis - angewiesen (ÖB 10.2018; vgl. AA 9.2018c). Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt aus Subsistenzbetrieben (AA 9.2018c). Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. In Ernährungszentren nahe der nördlichen Grenze werden bis zu 25 Prozent der unter fünfjährigen Kinder wegen starker Unterernährung behandelt (ÖB 10.2018).

Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2018; vgl. GIZ 4.2019b). Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung leben in absoluter Armut (BS 2018; vgl. ÖB 10.2018), fast 50 Prozent unter der Armutsgrenze (GIZ 4.2019b).

Die Arbeitslosigkeit ist hoch, bei Jugendlichen wird sie auf über 20 Prozent geschätzt (GIZ 4.2019b). Offizielle Statistiken über Arbeitslosigkeit gibt es aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen und Absicherung nicht. Geschätzt wird sie auf 20 bis 45 Prozent - in erster Linie unter 30-jährige - mit großen regionalen Unterschieden (ÖB 10.2018). Der Staat und die Bundesstaaten haben damit begonnen, Programme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit umzusetzen. Die Resultate sind dürftig (BS 2018). Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als "self-employed" suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 4.2019b).

Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige (ÖB 10.2018). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 2018). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2018).

Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Nur eine geringe Anzahl von Nigerianern (2016 ca. fünf Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert (BS 2018).

Programme zur Armutsbekämpfung gibt es sowohl auf Länderebene als auch auf lokaler Ebene. Zahlreiche NGOs im Land sind in den Bereichen Armutsbekämpfung und Nachhaltige Entwicklung aktiv. Frauenorganisationen, von denen Women In Nigeria (WIN) die bekannteste ist, haben im traditionellen Leben Nigerias immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch Nigerianer, die in der Diaspora leben, engagieren sich für die Entwicklung in ihrer Heimat (GIZ 4.2019c).

Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für "peppersoup", "garri" oder "pounded yam", für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch "mini-farming" eine Möglichkeit, selbständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m² Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als "bushmeat" gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun "grasscutter" (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als "bushmeat" gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und "grasscutter" finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB 10.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

- AA - Auswärtiges Amt (9.2018c): Nigeria - Wirtschaft,

- https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205790, Zugriff 22.11.2018

- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427393/488302_en.pdf, Zugriff 19.11.2018

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/, Zugriff 10.4.2019

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019c): Nigeria - Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 11.4.2019

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

Rückkehr

Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Der pauschale Hinweis eines Asylwerbers auf die allgemein herrschende Situation in Nigeria reicht nicht aus, um eine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK darzustellen. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2018).

Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 10.12.2018). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations im Rahmen von FRONTEX als "lead nation" (ÖB 10.2018). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 10.12.2018). Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 10.12.2018). Die Erfahrungen seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2018). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 10.12.2018) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2018) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 10.12.2018; vgl. ÖB 10.2018). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2018).

Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im "Decree 33" nicht zu befürchten (AA 10.12.2018). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets "overstay" angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2018).

Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen hat im Herbst 2018 in Lagos das Migrationsberatungszentrum der GIZ seinen Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (AA 10.12.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)

- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria

In Nigeria herrscht keine landesweite Bürgerkriegssituation, die Rückkehr von abgeschobenen Personen ist in der Regel problemlos möglich und ist die Grundversorgung in Nigeria einschließlich einer medizinischen Basisversorgung in der Regel gewährleistet.

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid, in den Beschwerdeschriftsatz, in das aktuelle "Länderinformationsblatt der Staatendokumentation" zu Nigeria sowie durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung am 14.02.2020.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Berufsausbildung, seiner Herkunft, seiner Glaubens- und Volkszugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht. Dass der Beschwerdeführer in Österreich keine maßgeblichen persönlichen und familiären Beziehungen führt und seine Eltern in Nigeria leben, ergibt sich aus den Angaben des Beschwerdeführers anlässlich seiner Einvernahme durch das Bundesverwaltungsgericht.

Da der Beschwerdeführer den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorgelegt hat bzw. vorlegen konnte, steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest. Es liegt sohin eine bloße Verfahrensidentität vor.

Die Feststellungen zu den von ihm gestellten Anträgen auf Asyl in Griechenland im August 2012 und in Ungarn im Juli 2013 und zu seinen ca. ein Jahr in Griechenland, ca. fünf Monate in Ungarn sowie ca. ein Jahr in Serbien dauernden Aufenthalten gehen auf seine Aussagen im erstinstanzlichen Verfahren und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zurück.

Die Feststellung über die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich vom 12.02.2020. Die Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers und die Zeiten der Ausübung der der Vollversicherungspflicht nach dem GSVG unterliegenden selbständigen Erwerbstätigkeit als Zeitungszusteller und die Feststellung, dass er im Zeitraum vom 30.04.2015 bis 31.12.2017 Einkünfte aus der Tätigkeit der Zeitungszustellung erzielt und gleichzeitig Leistungen aus der Grundversorgung bezogen hatte, fußen auf dem Versicherungsdatenauszug und dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem vom selben Tag sowie dem vom rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Ladung der Landespolizeidirektion Vorarlberg vom 08.10.2019 betreffend die Einvernahme des Beschwerdeführers als Beschuldigten wegen "Sozialleistungsbetrugs". Im erstinstanzlichen Akt finden sich keine Hinweise, dass die Landespolizeidirektion Vorarlberg einen Abschlussbericht an die Staatsanwaltschaft wegen dieses "Sozialleistungsbetrugs" übermittelt hat. Die Feststellung der strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer aktuellen Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

Die Abfuhr von Beträgen an das Finanzamt B und an die Sozialversicherungsanstalt werden durch die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten "Quittungsausdrucke" der BAWAG PSK belegt.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer nicht bzw. nur ein "bisschen" Deutsch spricht, vermittelte er bei seiner Einvernahme vor dem Bundesverwaltungsgericht und beruht auf seinen eigenen Angaben. Daran kann auch die "Kursbestätigung" der Caritas, Flüchtlings- und Migrantenhilfe, vom 07.04.2016, wonach der Beschwerdeführer in der Zeit vom 19.01. bis 07.04.2016 den Kurs "Deutsch als Fremdsprache (Lesen & Schreiben 3)" mit 60 Unterrichtseinheiten besucht hatte, nichts ändern.

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer machte als Fluchtgrund seine Homosexualität geltend.

Entscheidungsrelevant war daher die Beurteilung der Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens.

Für die Glaubhaftigkeit eines Vorbringens spricht, wenn das Vorbringen genügend substantiiert ist. Das Erfordernis der Substantiierung ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Zudem muss das Vorbringen, um als glaubhaft zu gelten, in sich schlüssig sein. Der Asylwerber darf sich nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen. Ferner muss das Vorbringen plausibel sein, dh mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Diese Voraussetzung ist ua dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen. Außerdem muss der Asylwerber persönlich glaubwürdig sein. Das wird dann nicht der Fall sein, wenn sein Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt ist, aber auch dann, wenn er wichtige Tatsachen verheimlicht oder bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet einsilbig und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert. Außerdem ist - wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung betont (vgl zB 13.09.2016, Ra 2016/01/0070; 10.09.2015, Ra 2014/20/0142; ua, siehe auch bereits VwGH 24.06.1999, 98/20/0435; 20.5.1999, 98/20/0505) - der persönliche Eindruck den der erkennende Richter des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom Beschwerdeführer gewinnt, von wesentlicher Bedeutung. Gerade diese Kriterien sind im vorliegenden Fall, wie im Weiteren zu erörtern sein wird, nicht erfüllt und ist daher das Fluchtvorbringen als unglaubhaft zu werten.

Im gegenständlichen Fall ist dem entscheidungsrelevanten Vorbringen bei einer Gesamtbetrachtung, wie auch schon das Bundesamt die Ansicht vertrat, kein Glauben beizumessen. Auch in der mündlichen Verhandlung am 14.02.2020 gelang es dem Beschwerdeführer nicht, die Unstimmigkeiten und Widersprüchlichkeiten in seinem Vorbringen zu erklären. Er machte keine chronologischen und detaillierten Angaben zu den Ereignissen, die ihn veranlasst haben, Nigeria zu verlassen. Nur auf wiederholtes Nachfragen gab er - in Ansätzen - Informationen preis.

So waren seine Aussagen betreffend den Zeitpunkt seiner Ausreise aus Nigeria widersprüchlich. Bei seiner Erstbefragung am 26.11.2014 gab der Beschwerdeführer an, im Jänner 2012 mit dem Auto seinen Herkunftsstaat verlassen zu haben. Hingegen führte er bei der niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt am 27.08.2015 aus, dass ihn ein Vorfall (vom Beschwerdeführer in der Folge als intimer Kontakt zu I konkretisiert), der sich im Jahr 2009 in seinem Heimatdorf U zugetragen habe, 2009 oder Anfang 2010 zur Ausreise veranlasst habe. Generell ist davon auszugehen, dass den ursprünglich gemachten Aussagen im Vergleich zu den bei den folgenden Einvernahmen getätigten Angaben eine höhere Glaubwürdigkeit beizumessen ist. Die Erfahrung zeigt, dass die unmittelbar nach der Einreise in den Aufnahmestaat gemachten - unbeeinflussten - Aussagen am ehesten der Wahrheit entsprechen. Es ist daher die Annahme gerechtfertigt, dass der Beschwerdeführer bei seiner Erstbefragung die Wahrheit zum Zeitpunkt seiner Ausreise im Jänner 2012 geäußert hatte. Träfe es zu, dass das fluchtauslösende Ereignis bereits im Jahr 2009 vorgefallen ist, hätte sich der Beschwerdeführer für ca. zwei Jahre in seinem Geburtsort und Heimatdorf aufgehalten, ohne einer Bedrohungssituation durch die Polizei und/oder die Dorfbewohner ausgesetzt gewesen zu sein.

Darüber hinaus legte der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme am 27.08.2015 dar, dass I.k. und A, von ihm als Freunde bezeichnet, die aus demselben Dorf wie er kämen, einen Jungen missbraucht hätten. A sei verhaftet worden und habe den Beschwerdeführer bei der Polizei verraten. Gegenseitig hätten sie voneinander vermutet, homosexuell zu sein. Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer nur Mutmaßungen über ihre angebliche Homosexualität angedeutet hat, konnte er sich in der mündlichen Verhandlung am 14.02.2020 nicht mehr an A erinnern. Dies widerspricht der allgemeinen Erfahrung. Denn einer Person bleibt ein Dorfbewohner bzw. ein "Freund", der sie bei der Polizei verraten haben und verantwortlich für die ihr bzw. nahen Angehörigen gegenüber gesetzten Verfolgungshandlungen gewesen sein soll, als ein einprägsames Ereignis dauerhaft in Erinnerung, auch wenn eine gewisse Zeit verstrichen ist. In diesem Zusammenhang fällt auch ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme am 27.08.2015 erst nach mehrmaligem Nachfragen ausweichend angeben konnte, wie er über den Verrat des A bei der Polizei erfahren habe.

Im Folgenden werden die Fragen [F] und Antworten [A] wörtlich wiedergegeben (AS 76 f):

"F: "Woher wissen Sie, dass A Sie verraten hat?" A: "Auch wenn ich mit A keinen Kontakt hatte, weiß er, was ich bin."

F: "Nochmal, woher wissen Sie, dass A Sie bei der Polizei verraten hat?" A: "Ich habe genügend Leute, die mir erzählen was im Dorf passiert."

F: Wer sagte Ihnen wann, dass A Sie bei der Polizei verraten hat?" A: "Ein Freund von mir namens C hat es mir gesagt, im Jahr 2009."

F: "Woher wusste es dieser C?" A: C ist derjenige der mir erzählt hat, was im Dorf passiert. Er kennt meine Neigung."

F: "Das war nicht meine Frage. Nochmal woher wusste dieser C dass A Sie bei der Polizei verraten hat?" A: Nach dem Vorfall wurde bei uns im Dorf oft über besagten Vorfall gesprochen. C hat sehr viele Informationen für mich."

Diese Aussagen sind derart vage, dass das Vorbringen insgesamt als nicht glaubhaft einzustufen ist.

Im Übrigen war der Beschwerdeführer weder von der Dorfgemeinschaft, noch von anderen Personen Übergriffen ausgesetzt. Er hatte keine Probleme mit der Polizei oder anderen Behörden, die Anlass für seine Ausreise gewesen wären. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 27.08.2015 äußerte der Beschwerdeführer Mutmaßungen und Vermutungen zur "Verfolgung" seiner Eltern. Die Dorfbewohner hätten seine Eltern (im Jahr 2010) aus dem Dorf vertreiben wollen, weil das, was er gemacht habe, nicht gesetzeskonform gewesen sei (AS 71 f) bzw. wegen dem (gemeint: seiner sexuellen Neigung) hätten die Dorfbewohner bzw. die Polizei die Eltern verfolgen wollen (AS 77). Auch dieses Vorbringen blieb vage und unsubstantiiert. Insgesamt führte der Beschwerdeführer keine konkret gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlungen ins Treffen.

Darüber hinaus fällt auch ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer seit seinem Aufenthalt in Österreich keine homosexuelle Beziehung geführt hat bzw. führt. Seine bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 27.08.2015 und in der mündlichen Verhandlung am 14.02.2020 gemachten Angaben, er habe eine Beziehung zu einem Freund namens F gehabt, sind nicht glaubhaft. So antwortete er auf die Frage, ob er in Österreich nicht auch einen Mann kennenlernen wolle, zunächst, das sei sicher so, er wolle hier einen Freund kennenlernen. Auf die Frage, warum er das nicht gleich gesagt habe, gab er zur Antwort, er habe das nicht für wichtig erachtet, weil er wisse, hier einen Freund zu finden. Abweichend dazu äußerte der Beschwerdeführer auf die in der Folge an ihn gerichtete Frage, ob er dahingehend schon Bemühungen angestellt habe, dass er schon einen Freund habe. Zu diesem Freund F konnte der Beschwerdeführer, auch in der mündlichen Verhandlung, aber keine näheren Angaben machen. Er konnte weder den Vor- noch den Familiennamen des Freundes, sondern nur einen "Rufnamen" nennen, er konnte keine die Person des Freundes charakterisierenden Merkmale ("Er ist weiß. Er ist groß. Er ist nicht dick, aber auch nicht schlank.") und keine Informationen zu dessen ausgeübtem Beruf und seiner Wohnadresse angeben. Er hatte von seinem Freund auch keine Telefon- bzw. Handynummer. Auch seine Angaben zur Dauer der Beziehung zu F blieben völlig unbestimmt. So führte er zu der in der mündlichen Verhandlung gestellten Frage, wie lange die Beziehung gedauert habe, aus, sie habe so lange gedauert, bis er den Kontakt zu ihm verloren habe. Zur Aufforderung, er solle einen Zeitraum der Beziehung bekannt geben, äußerte er, die Beziehung habe nicht so lange gedauert. Auf erneute Nachfrage, ob die Beziehung wenige Tage, wenige Wochen oder wenige Monate gedauert habe, gab er an, die Beziehung habe nicht so lange gedauert, sicher nicht mal ein Jahr. Auch diese Aussagen des Beschwerdeführers widersprechen der allgemeinen Erfahrung. Denn die erste und einzige in Österreich geführte und noch nicht so lange zurückliegende intime Beziehung - so es eine solche gegeben hat - bleibt einer Person mit näheren Details in der Regel in Erinnerung.

Insgesamt rechtfertigen der gesamte Akteninhalt und insbesondere der in der mündlichen Verhandlung gewonnene persönliche Eindruck die Annahme, dass der Beschwerdeführer nicht homosexuell ist, sondern vielmehr davon auszugehen ist, dass der von ihm angegebene Fluchtgrund nicht den Tatsachen entspricht.

Abgesehen von dem nicht glaubhaft gemachten Fluchtgrund machte der Beschwerdeführer keine Rückkehrbefürchtungen geltend. Er gab an, gesund zu sein und eine Ausbildung als "Autoelektriker" abgeschlossen zu haben. Es ist daher von einer prinzipiellen Erwerbsfähigkeit auszugehen.

Auch das erst in der mündlichen Verhandlung getätigte Vorbringen des Beschwerdeführers, dass er bei einer Rückkehr aufgrund seiner sexuellen Neigung in eine bedrohliche Situation durch Boko Haram, den IS oder eine andere Terrororganisation geraten könnte (und es ihm daher auch an einer innerstaatlichen Fluchtalternative fehlen würde), ist als bloße Mutmaßung und Behauptung zu werten, sodass sich daraus, insbesondere auch aufgrund des Umstandes, dass sein Fluchtvorbringen insgesamt als nicht glaubwürdig zu werten ist, für den Beschwerdeführer nichts gewinnen lässt. Im Übrigen macht er betreffend seine Rückkehr keine auf seinen Herkunftsstaat bezogenen Bedenken geltend.

Zusammengefasst ist aufgrund der unplausiblen, widersprüchlichen und vagen Angaben des Beschwerdeführers davon auszugehen, dass sein gesamtes Vorbringen dazu gedient hat, einen Fluchtgrund zu erfinden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A):

3.1. Zur Nichtgewährung von Asyl (zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

3.1.1. Rechtslage:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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