TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/3 W196 2138663-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.03.2020
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Entscheidungsdatum

03.03.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §54 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
FPG §52
IntG §11 Abs2
IntG §9 Abs4
NAG §14a Abs4
NAG §81 Abs36
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W196 2138662-1/12E

W196 2138663-1/11E

W196 2138659-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula SAHLING, als Einzelrichter über die Beschwerde von 1.) XXXX , geboren am XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX und 3.) XXXX geb. XXXX , alle StA: Ukraine, vertreten durch RA Mag. Julia KOLDA, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.09.2016, 1.) Zl. 1028478004-14878995, 2.) Zl. 1028478102-14879002 und 3.) Zl. 1028478701-14879037, nach der Durchführung einer mündlichen Verhandlung am XXXX zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerden werden gemäß §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Den Beschwerden wird hinsichtlich der Spruchpunkte III. bis IV. der angefochtenen Bescheide stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 52 FPG iVm. § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

III. XXXX , XXXX und XXXX wird gemäß §§ 54, 55 Abs. 1 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" jeweils für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) sind verheiratet und die Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers (BF3). Sie sind Staatsangehörige der Ukraine aus XXXX in Luhansk, ukrainischer Volksgruppenzugehörigkeit und christlich-orthodoxen bzw. - katholischen Glaubens. Sie reisten am 08.08.2014 legal mit ihren gültigen ukrainischen Reisepässen samt österreichischen Visa per Direktflug von Kiew nach Österreich, wo sie am 13.08.2014 gemeinsam jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz stellten.

Anlässlich seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.08.2014 gab der BF1 zu den Gründen für seine Antragstellung an, dass er am 18.07.2014 zu Hause von bewaffneten prorussischen Separatisten zur Zusammenarbeit aufgefordert und ansonsten mit der Ermordung seiner Familie bedroht worden sei. Deshalb sei er geflüchtet, andere Fluchtgründe gebe es nicht. Im Fall der Rückkehr habe er Angst um sein Leben und das seiner Familie. Weiters gab er an, im Herkunftsstaat seine Schulausbildung sowie Studien an der Militärakademie und der Wirtschaftsuniversität absolviert zu haben und als Finanzbeamter tätig gewesen zu sein. Seine Eltern würden noch leben.

Seine Ehefrau (BF2) gab anlässlich ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.08.2014 zu den Gründen für ihre Antragstellung an, dass der BF1 am 18.07.2014 von bewaffneten prorussischen Separatisten zur Zusammenarbeit aufgefordert worden sei, was dieser sofort abgelehnt habe, und darauf von diesen innerhalb von 2 Tagen ständig mit dem Umbringen seiner Familie bedroht worden sei. Andere Fluchtgründe gebe es nicht. Für den BF3 gelte derselbe Asylgrund wie für sie selbst. Im Fall der Rückkehr habe sie Angst um das Leben ihrer Familie. Ferner gab sie an, nach ihrer Schulausbildung ein Studium an der Wirtschaftsuniversität absolviert zu haben und als Bankangestellte tätig gewesen zu sein. Ihre Eltern und ihre Schwester würden noch in der Ukraine leben.

Am 08.04.2016 wurden die Beschwerdeführer (BF1 und BF2) durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

Dabei brachte der BF1 im Wesentlichen vor, dass er zuletzt als stellvertretender Leiter faktisch eine Finanzbehörde geleitet habe. Er sei am 08.08.2014 legal nach Österreich eingereist und habe im Herkunftsstaat keine strafrechtlichen Delikte begangen. Als er gearbeitet habe, sei kein offizieller Haftbefehl gegen ihn vorgelegen, nun möglicherweise. Das ukrainische Gesetz sehe auch eine Verurteilung in Abwesenheit vor. Zum Zeitpunkt seiner Ausreise sei sicher nicht nach ihm gefahndet worden. Zu seinem Fluchtgrund befragt gab er an, seit Ende Mai 2014 bis Juli 2014 Angebote von prorussischen Separatisten, welche geplant hätten, einen Staat zu etablieren, bekommen zu haben, dass er die Steuerbehörde der "Republik Lugansk" leiten hätte sollen. Hätte er diese Tätigkeit angetreten, wäre er damit zum Handlanger des Terrorismus geworden und man hätte ihn anklagen können. In der aktiven Phase der Anti-Terror-Organisation seien alle leitenden Beamten per Erlass des Präsidenten verpflichtet worden, das von den Separatisten kontrollierte Gebiet zu verlassen. Der BF1 hätte im Mai nach XXXX übersiedeln sollen, sei aber nicht hingefahren, weil ihm die Reise als zu gefährlich für seine Familie erschienen sei, da sich sein Sohn nach seiner Diagnose (Autismus) in einer Krise befunden habe. In Österreich sei sein Sohn behandelt worden und könne jetzt zur Schule gehen. In XXXX habe es keine Kriegshandlungen gegeben. Er sei letztlich doch weggefahren, weil er nicht für Terroristen arbeiten habe wollen, andererseits habe er "den Eid als Beamter verletzt, weshalb die Ukraine ihn nun als Staatsverräter betrachte". Er sei in der Arbeit drei bis vier Mal von (prorussischen Separatisten) aufgesucht worden, zu Hause einmal mit Maschinenpistolen, worauf er nach Österreich gereist sei. Bewaffnete hätten ihn zu viert aufgesucht und ihm vorgeworfen, dass er schon so lange Zeit nicht mit ihnen zusammenarbeite und ihn angeschrien. Er habe Angst bekommen. Da er seinen Eid als Staatsbeamter verletzt habe, hätte er auch nicht in einen anderen Teil der Ukraine gehen können, er sei wegen seiner Weigerung zum Zeitpunkt der Evakuierung zum Staatsverräter geworden. Von Mai bis August (2014) sei er in XXXX gewesen und habe nichts gemacht. Er sei ein Verräter gemäß § 111 Strafgesetzbuch. Im Fall der Rückkehr habe er eine bis zu lebenslange Gefängnisstrafe zu befürchten. Die Strafdrohung gemäß § 111 StGB betrage 10-15 Jahre, in Kumulation mit anderen Bestimmungen könne die Strafe bis zu lebenslang ausfallen. Es gebe mehrere Präzedenzfälle. Er habe sich vor seiner Ausreise bei seinem Studienkollegen und Taufpaten seines Sohnes in XXXX aufgehalten. Dieser Studienkollege sei Mitarbeiter des Geheimdienstes und vor einem Jahr verhaftet worden, als er nach XXXX gefahren sei, um sein Eltern zu besuchen. Der BF1 könne nicht in die Ukraine zurückkehren. Zuerst müsse sich die politische Führung in der Ukraine verändern. Er sei gesund und benötige keine Medikamente. Vorgelegt wurden ein ukrainischer Inlandsreisepass, eine ukrainische Geburtsurkunde sowie die Kopie einer Heiratsurkunde samt deutscher Übersetzung, ein Schreiben des Österreichischen Roten Kreuzes vom 08.01.2016 samt Mitgliedskarte, ein österreichischer Führerschein, ein ukrainisches Diplom zum Hochschulabschluss eines Juristen, ein Deutschzertifikat B1 vom 11.02.2016, ein ukrainisches Diplom der Hochschule für "Buchführung und Buchprüfung" und eine Bewertung des BMWFW der vom BF1 in der Ukraine absolvierten Studien.

Die BF2 gab im Zuge der Einvernahme am 08.04.2016 zusammengefasst an, sie sei gesund und dass sie im Herkunftsstaat keine finanziellen Probleme gehabt und sich eine teure Behandlung für den BF3 hätten leisten können. Zu den Fluchtgründen brachte sie vor, wegen der Probleme ihres Ehemannes ausgereist zu sein. Er habe in der Finanzbehörde gearbeitet, als Leiter der juristischen Abteilung. Ungefähr im Mai habe er infolge der politischen Wirren die Funktion des stellvertretenden Leiters übernommen, weil alle Vorgesetzten irgendwohin verschwunden seien. Damals hätte die Behörde in einen von der Ukraine kontrollierten Teil (des Landes) übersiedeln sollen, ihr Mann habe sich aber geweigert, mitzuübersiedeln. Er sei nervös gewesen. Es seine mehrere Anrufe und schließlich auch Uniformierte gekommen. Danach habe er sie nicht mehr aus dem Haus gelassen. Er habe nicht mehr in die Ukraine zurückkehren können, weswegen er als Beamter strafrechtlich verfolgt werden könne. Die Uniformierten seien nicht ins Haus gekommen, sie hätten angeläutet und ihr Mann sei zu ihnen hinausgegangen. Er habe ihr erzählt, dass er für die "Volksrepublik Luhansk" hätte arbeiten sollen, was er aber als ukrainischer Staatsbeamter nicht könne, weil diese als terroristisch eingestuft werde. Sie glaube, dass er die Übersiedlung nicht mitgemacht habe, weil er geglaubt habe, es komme wieder alles in Ordnung. In einem anderen Teil der Ukraine wäre ihr Mann als Verräter beschuldigt worden und es drohe ihm eine Gefängnisstrafe. Sie habe sich vor allem davor gefürchtet, dass ihr Mann verhaftet und inhaftiert werde. Es gebe viele ähnliche Fälle; er sei in einer Führungsposition gewesen. Im Fall der Rückkehr werde möglicherweise nach ihrem Mann gefahndet, man könnte ihn überall festnehmen. Der BF3 leide nach einer ukrainischen Diagnose an Autismus, jedoch habe sich diese als falsch herausgestellt, er sei gesund und müsse keine Medikamente nehmen. Er habe in der Ukraine deswegen die Schule nicht besucht, hier gehe er zur Schule und sei der Beste im Lesen. Der BF3 habe keinen eigenen Fluchtgrund. Vorgelegt wurden ein ukrainischer Inlandsreisepass, ein Deutschzertifikat A2 vom 30.03.2016 und ein ukrainisches Diplom der BF2, ferner ein klinisch-psychologischer Befund vom 21.02.2015 und eine Schulbesuchsbestätigung für das Schuljahr 2015/2016 betreffend den BF3.

Mit Schriftsatz vom 05.07.2016 wurde eine Stellungnahme zu den Länderberichten erstattet sowie zahlreiche Unterlagen (ua. ein klinisch-psychologischer Befund für den BF3 vom 21.02.2015 und zahlreiche ukrainisch-sprachige Artikel) vorgelegt.

Mit den im Spruch unter 1.) bis 3.) angeführten Bescheiden vom 15.09.2016 wurden die Anträge der Beschwerdeführer vom 13.08.2014 gemäß § 3 AsylG 2005 hinsichtlich Asyl (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 AsylG 2005 hinsichtlich subsidiärem Schutz in Bezug auf die Ukraine (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 wurde ihnen nicht erteilt und gemäß § 10 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG erlassen (Spruchpunkt III.) und festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Ukraine zulässig sei. Gemäß § 55 FPG wurde die Frist für ihre freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass eine asylrelevante Verfolgung des BF1 in der Ukraine nicht habe festgestellt werden können. Infolge des Fehlens einer individuellen Verfolgung habe sein Vorbringen keine asylrechtliche Relevanz. Eine Gefährdung seiner Person habe nicht glaubhaft dargelegt werden können. Die BF2 und der BF3 hätten keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht. Der BF1 sei gesund und arbeitsfähig, verfüge über Berufserfahrung und einen hohen Bildungsgrad und sei sehr gut in der Lage, sich wieder in den Arbeitsprozess einzugliedern. Er besitze ein Haus in XXXX und eine Wohnung in XXXX . Auch die BF2 sei gesund und arbeitsfähig und verfüge über ein Hochschulstudium samt Berufserfahrung. Der BF3 sei wieder gesund und besuche in Österreich die Schule. Es seien keine Umstände in der Ukraine amtsbekannt, wonach gleichsam jeder, der dorthin zurückkehre, einer Art. 2 und 3 EMRK-widrigen Gefährdung ausgesetzt wäre. Die Eltern des BF1 lebten in der Russischen Föderation. Die Eltern der BF2 lebten in der Ukraine, wo sie ein Haus besäßen. Der BF1 und die BF2 seien in Österreich nicht berufstätig und lebten von der Grundversorgung, Ersparnissen und finanziellen Zuwendungen der Eltern des BF1. Sie verfügten über kein dauerndes Aufenthaltsrecht in Österreich und besondere Bindungen zu Österreich hätten nicht festgestellt werden können.

Rechtlich wurde ausgeführt, dass das Vorbringen des BF1 nicht unter die in der GFK genannten Gründe zu subsumieren gewesen sei, sich die Kriegszustände nicht auf das gesamte Staatsgebiet der Ukraine beziehen würden, sondern in den übrigen Landesteilen die ukrainische Staatsgewalt die Kontrolle habe (zu Spruchpunkt I.). Mangels asylrelevanter Verfolgung und dem Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative habe der BF1 im Fall der Rückkehr in die Ukraine nicht mit einer realen Gefahr im Sinne von Art. 3 EMRK oder dem Verlust jeglicher Existenzgrundlage zu rechnen. Außergewöhnliche Umstände (etwa eine lebensbedrohliche Erkrankung) hätten nicht festgestellt werden können (Spruchpunkt II.). Auch im Rahmen des Familienverfahrens gemäß § 34 ASylG 2005 lägen die Voraussetzungen für Asyl oder subsidiären Schutz nicht vor. Eine Ausweisung der Beschwerdeführer stelle keinen Eingriff in das Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK dar. Im Verfahren hätten sich keine Anhaltspunkte für eine besondere Integration der Beschwerdeführer ergeben. Aufenthaltstitel aus besonderen Gründen seien nicht zu erteilen und eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen (Spruchpunkt III.). Die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Ukraine sei zulässig. Die Frist für die Ausreise sei zu Recht mit 14 Tagen festgesetzt worden (Spruchpunkt IV.).

Gegen diese Bescheide richtet sich die Beschwerde der BF1 bis BF3 vom 03.10.2016. Darin wurde vorgebracht, dass die Behörde es unterlassen habe, den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt zu erheben. Schließlich gehe aus den Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid hervor, dass Vertreter lokaler Behörden zu den besonders gefährdeten Personengruppen in den besetzten Gebieten der Ostukraine gehörten und dass Entführungen und Misshandlungen der Gefangenen an der Tagesordnung standen. Auch wäre die Behörde bei Führung eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens zum Schluss gelangt, dass es den Beschwerdeführern nicht zumutbar war, der Weisung folgend mit einem kranken Kleinkind durch das Kriegsgebiet zu fliehen. Auf Grund welcher Überlegung die Behörde zum Schluss gelangt sei, dass dem BF1 auf Grund seiner Weigerung, eine Behörde zu übersiedeln, nicht eine prorussische Gesinnung unterstellt werden könnte, die strafgesetzliche Verfolgung wegen Hochverrats nach sich ziehen würde, sei im angefochtenen Bescheid an keiner Stelle dargelegt worden. Auch seien die Rechtsschutzstandards in der Ukraine nicht mit jenen westlicher Staaten zu vergleichen. Die dort herrschenden Zustände würden wesentliche Grundrechte der EMRK verletzen. Jedenfalls entsprächen die dortigen Haftbedingungen nicht internationalen Standards. Eine Verurteilung des BF1 wegen Hochverrats stelle unter diesen Umständen einen ungerechtfertigten Eingriff von erheblicher Intensität in seine zu schützende persönliche Sphäre dar. Wegen der ihm vom Staat unterstellten pro-separatistischen Einstellung sei die ihm drohende Verfolgung auch asylrelevant. Beantragt werde ua. eine mündliche Verhandlung.

Am 29.08.2019 legte der BF1 erneut Kopien seines österreichischen Führerscheins, seiner ukrainischen Diplome, eines Sprachzertifikats für Deutsch auf dem Niveau B1 vom 11.02.2016, eines Schreibens des BMWFW vom 05.06.2015 sowie seines ukrainischen Dienstausweises vor.

Am XXXX fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung unter Zuhilfenahme einer geeigneten Dolmetscherin statt, an der sämtliche Beschwerdeführer und deren Rechtsvertreter teilnahmen.

Dem Beschwerdeprotokoll der Befragung sind folgende entscheidungswesentliche Passagen zu entnehmen:

"R: Wo haben Sie gelebt?

BF1 und BF2: Lugansk, Gebiet: XXXX .

R: Erzählen Sie mir von Ihrem Fluchtgrund.

BF1: Ich habe in der Ukraine, in der Stadt XXXX beim ukrainischen Steuerdienst gearbeitet. Ich begann eine Karriere bei der Finanzpolizei. Ich habe die Rechtsabteilung des Steuerdienstes für die Stadt und für den Bezirk XXXX geleitet. Zum Zeitpunkt meiner Ausreise war ich bereits der stellvertretende Leiter des gesamten Steuerdienstes. Als die Ereignisse in der Ukraine begannen. Damals hat mein Vorgesetzter und sein erster Stellvertreter das Gebiet verlassen, ich weiß nicht wohin, ich war de facto Leiter der Behörde. Unsere Region gehörte zur sogenannten Volksrepublik Lugansk. Die Leiter der sogenannten Volksrepublik Lugansk haben versucht eigene Behörden aufzustellen. Ich bekam das Angebot von den neuen Machthabern, dass ich den Steuerdienst leite. Wenn ich dieses Angebot annehmen würde, wäre es eine Katastrophe. Als der damalige Präsident der Ukraine Petro Poroschenko, ich glaube im Mai 2014 war das, die Verfügung erlassen hat, dass alle leitenden Beamten aus den besetzten Gebieten abziehen sollen und wir uns in die Stadt XXXX zu begeben haben.

R: Warum ist das eine Katastrophe?

BF1: Die offizielle Position der Staatsanwaltschaft der Ukraine ist, dass die Beamten, die mit den Separatisten zusammenarbeiten Terroristen sind. Wenn ich dortgeblieben wäre und das Angebot angenommen hätte, wäre ich so eine Person. Es war, dass im Mai 2014 ich diese Region nicht verlassen konnte. Ich hatte nicht das Recht, das Leben meiner Familie zu riskieren. Ich bin dann wegen Kampfhandlungen in den besetzten Gebieten geblieben und habe diese erst dann verlassen, als die Angebote seitens der Volksrepublik zu lästig wurden. Ich habe dann schließlich im Juni 2014 die Ukraine verlassen. Ich bitte um Entschuldigung, ich habe nicht die Ukraine verlassen, sondern die besetzten Gebiete. Ich kam nach Kiev und habe Visa für mich und meine Familie beantragt. Das war damals kein Problem für mich. Ein guter Freund hat damals beim Sicherheitsdienst der Ukraine gearbeitet. Er hat mir damals geholfen und mich auch beraten. Er hat mir damals auch geraten, die Ukraine zu verlassen, solange ich es noch kann.

R an RV: Haben Sie Fragen?

RV: Was hat diese Weigerung zur Folge gehabt, dass Sie nicht dieser Weisung Folge geleistet haben Lugansk zu verlassen?

BF1: Das ist ein Screenshot von der Staatsanwaltschaft von unserem Gebiet Lugansk, das betrifft einen Kollegen von mir. (BF zeigt einen Zettel). Die Staatsanwaltschaft im Gebiet Lugansk gibt eine Anklage an das Gericht weiter, wegen Beteiligung einer terroristischen Organisation, weil durch die Steuereinnahmen sozusagen Beschaffungskriminalität vorliegt.

Der BF1 meint, dass für ihn auch so eine Anklage besteht, obgleich er sie nicht vorlegen kann, weil er sie nicht im Internet gefunden hat.

Auf den Einwand der R, dass die Familie von BF1 ja nur sehr kurz in dieser Gegend geblieben ist, dass da auch schon unter den damaligen Umständen 1 Woche gereicht hat.

RV: Haben Sie sonst Folgen erlebt oder wurde Ihnen sonst irgendwas angeleistet bzw. hat es wirtschaftliche Folgen für Sie schon gehabt?

BF1: Meine 3 Bankkonten wurden gesperrt. Zwar erst 2015, wegen diesen terroristischen Aktivitäten.

R: In der Tat haben Sie aber keine terroristischen Aktivitäten gemacht.

BF1: Natürlich habe ich Terrorismus nicht finanziert, aber der Staat ist der anderen Meinung. Damals war ein totales Chaos, keiner kennte sich aus, was man tun sollte oder nicht. Es gab immer schon einen regionalen Haushalt. Ein Teil der Steuer ging nach Kiev, z.B. die MwSt. Die Steuern wurden in dieser Zeit so eingetrieben, dass man mit einem Korb von Person zu Person ging oder von Unternehmen zu Unternehmen. Das war tatsächlich so. Meine politische Einstellung ist die, dass ich gegen diese separatistischen Volksrepubliken bin. Ich bin ja auch dort weggegangen. Durch diese ganzen Umstände, war es so, dass ich einerseits das Angebot nicht angenommen habe und andererseits bin ich doch dortgeblieben. Das heißt, dass ich der Verfügung des Präsidenten nicht Folge gegeben habe. Es tut mir wahnsinnig leid, ich habe 12 Jahre meines Lebens für die Ukraine der Behörde gegeben und jetzt braucht mich mein Land, nur um mir diese sogenannten terroristischen Aktivitäten zu Last zu legen und irgendwo ein Bericht über mich zu veröffentlichen, dass ein Verräter gefangen genommen und verurteilt wurde.

R: Was denken Sie, wenn Sie in die Ukraine zurückübersiedeln würden, nicht nach Lugansk, sondern in den Westen?

BF1: Ich denke, dass ich die Zelle mit meinem Kollegen teilen würde, der eine Freiheitsstrafe von 8-15 Jahren bekommt.

R: Wieso finden Sie die Seite von Ihrem Kollegen und von Ihnen nicht?

BF1: Die Staatsanwaltschaft veröffentlicht nicht alle Verfahren, es sind sehr viele.

R: Haben Sie Ihren Dienstausweis vor dem BFA abgegeben?

BF1: Nein, ich habe meinen Ausweis selbst beim BVwG abgegeben. Ich war einmal im Oktober und einmal im November da. Es müsste eine Farbkopie sein.

R an BF2: Wollen Sie noch etwas ergänzen?

BF2: Wir sind hergekommen wegen den Gründen meines Mannes. Ich habe nichts hinzuzufügen.

Zur Integration:

RV legt zu BF1 vor:

- B1 Zeugnis

BF1: Mein Plan ist es, selbständig zu werden. Ich möchte Auto-Reinigungen durchführen. Ich war in der Wirtschaftskammer und habe es dort kurz besprochen. Ich brauche 25.000, -- Euro. In NÖ gibt es keine Konkurrenz. Ich habe auch mit anderen Autohändlern darüber gesprochen. Ich möchte diesen Plan mit meiner Frau tätigen. Vielleicht würde ich in Zukunft auch mit der Gemeinde zusammenarbeiten.

RV legt zu BF2 vor:

- 2 Arbeitszusagen XXXX und Fa. XXXX (Beilage ./1 und ./2)

RV legt zu BF3 vor:

- Ein klinisch-psychologischer Befund, daraus ist ersichtlich, Asperger-Syndrom

- Vereinbarung für eine Stützkraft für BF3

- Schulpsychologischer Befund".

Mit Schriftsatz vom 17.02.2020 langten weitere Integrationsunterlagen (Unterstützungsschreiben) sowie eine psychosoziale Darstellung vom 05.12.2019 betreffend den BF3, wonach bei diesem eine "Anpassungsstörung, Autismus-Spektrum-Störung und Traumafolgestörung" festgestellt wurden und er seit Mai 2018 eine Psychotherapie in Anspruch nimmt, ein. Danach könne eine von ihm nicht gewollte Rückkehr in die Ukraine das Wiederauftreten des Traumas bedingen und bereits bewältigte Symptome reaktivieren. Auch der Verlust seiner aktuellen sozialen Beziehungen könnte schlimmstenfalls dazu führen, dass er zukünftig keine weiteren sozialen Beziehungen mehr eingehen könne. Der Verlust der stabilisierenden Bedingungen sei unbedingt zu vermeiden. Ferner wurde eine Bestätigung der Leiterin der Volksschule vom 28.11.2019 vorgelegt, wonach der BF3 bei Schulveranstaltungen (Lehrausgänge, Wandertage) auf Grund des Asperger-Syndroms immer wieder Unterstützung durch seine Mutter brauche.

Mit weiterem Schriftsatz vom 17.02.2020 wurden weitere 25 Unterstützungsschreiben für die Beschwerdeführer nachgereicht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Aufgrund der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, der Anträge auf internationalen Schutz, den Erstbefragungen durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 13.08.2014, den niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 08.04.2016, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am XXXX sowie der zahlreichen in Vorlage gebrachten Unterlagen und Dokumente, werden die folgenden Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.Feststellungen:

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Ukraine und somit Drittstaatsangehörige im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Sie führen die im Spruch genannten Namen.BF1 und BF2 sind verheiratet und die Eltern des minderjährigen BF3.

Die Beschwerdeführer reisten am 08.08.2014 legal nach Österreich ein und stellten gemeinsam am 13.08.2014 unter Vorlage ihrer gültigen ukrainischen Reisepässe samt Visa jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz. Seither halten sich die Beschwerdeführer im Bundesgebiet auf.

Die BF1 bis BF3 haben bis zu ihrer Ausreise im August 2014 in der Ukraine im Gebiet Luhansk gelebt. Der BF1 hat nach seiner Schulausbildung zwei Studien (Rechtswissenschaften, Wirtschaft) absolviert und war zuletzt als stellvertretender Leiter einer Finanzbehörde tätig. Die BF2 hat ebenfalls ein Studium (Wirtschaft) absolviert und war zuletzt als Bankangestellte tätig. Außer dem BF3, welcher an einer "Anpassungsstörung, Autismus-Spektrum-Störung und Traumafolgeströrung" leidet, sind alle BF gesund. Der BF3 befindet sich seit Mai 2018 in einer psychotherapeutischen Behandlung. Die BF1 und BF2 sind arbeitsfähig und arbeitswillig. Die Eltern des BF1 leben in der Russischen Föderation und unterstützen die Beschwerdeführer bislang finanziell. Die Eltern der BF2 und ihre Schwester leben noch in der Ukraine, wo sie ein Haus besitzen. Die Existenzgrundlage der BF war in der Ukraine gesichert. Sie verfügen dort außer dem Haus im Gebiet Luhansk auch über eine Wohnung im nicht besetzten Teil der Ukraine sowie Ersparnisse.

Festgestellt wird, dass nicht glaubhaft ist, dass die Beschwerdeführer wegen der Weigerung des BF1 für die Separatisten in Lugansk eine Steuerbehörde zu leiten, von diesen bedroht bzw. verfolgt wurden oder werden. Es ist nicht glaubhaft, dass der BF1 von (west)ukrainischen Behördenorgangen gesucht wird oder ihm eine Gefängnisstrafe droht, weil er sich geweigert hat, eine Finanzbehörde in Luhansk als deren faktischer Leiter im Mai 2014 in den von der Ukraine kontrollierten Teil des Landes zu übersiedeln.

Festgestellt wird, dass die Ukraine ein sicherer Herkunftsstaat ist. Nicht festgestellt werden kann, dass es sich bei der Ukraine um einen Staat handelt, in dem keine Rechtsschutzeinrichtungen existieren oder der Staat schutzunfähig oder schutzunwillig wäre.

Die BF2 hat keine eigenen Fluchtgründe vorgetragen und auch für den BF3 keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht, sondern bezieht sich ausschließlich auf die Fluchtgründe des BF1.

Nicht festgestellt werden konnte, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung der Beschwerdeführer in die (West-)Ukraine eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde oder für diese als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

Die Beschwerdeführer leiden an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen (im Endstadium), bezüglich derer es keine Behandlungsmöglichkeiten in der Ukraine gibt.

Die unbescholtenen Beschwerdeführer führen im Bundesgebiet ein schützenswertes Privat- und Familienleben. Alle BF sind in Österreich bereits sehr gut gesellschaftlich integriert. Sie pflegen gute Kontakte zu vielen Österreichern. Der BF1 hat bereits am 11.02.2016 nachweislich Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1 erworben. Die BF2 hat am 30.03.2016 ebenfalls bereits nachweislich Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 erlangt. Sie haben bisher noch keinen Werte- und Orientierungskurs abgelegt. Der BF3 besucht im Bundesgebiet nach dem Kindergarten bereits mit Erfolg die 4. Klasse Volksschule. Der BF1 engagiert sich seit Jänner 2016 beim österreichischen Roten Kreuz. Die BF2 ist bislang im Bundesgebiet nicht in Vereinen oder sonstigen Organisationen aktiv. Der BF1 bemüht sich um die Erlangung seiner wirtschaftlichen Selbständigkeit mit einem Unternehmen für Autoreinigungen, welches er mit der BF2 gemeinsam im Bundesgebiet gründen und betreiben möchte. Die BF2 verfügt ihrerseits bereits über zwei (geringfügige) Jobangebote vom März bzw. November 2019 ( XXXX , Firma XXXX ) als Reinigungskraft im Ausmaß von 10 bzw. 12 Wochenstunden mit Einkünften in Höhe von 401,04 ? brutto/netto bzw. 510 ? brutto. Bei Bedarf begleitet sie den BF3 bei Unternehmungen seiner Schulklasse (Wandertage, Lehrausgänge). Die Beschwerdeführer beziehen seit der Antragstellung die staatliche Grundversorgung.

Der BF3 leidet an einer Anpassungsstörung, einer Autismus-Spektrum-Störung und einer Traumafolgeströung, welche aktuell psychotherapeutisch behandelt wird. Für die gesamte Familie wurden zahlreiche Unterstützungsschreiben (von Lehrerinnen, Nachbarn und sonstigen Bekannten abgegeben und vorgelegt.

Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vom 29.05.2019 (Stand 30.08.2019):

KI vom 30.08.2019 (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage)

Am 29.8.2019 ist die ukrainische Oberste Rada zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammengetreten. Die Partei von Präsident Wolodymyr Selenskyj, Diener des Volkes, hatte bei der Wahl mehr als 250 der insgesamt 450 Sitze gewonnen (DS 29.8.2019; vgl. Ukrinform 30.8.2019).

Sechs Fraktionen wurden gebildet: Diener des Volkes mit 254 Sitzen, die Oppositionsplattform "Für das Leben" mit 44 Sitzen, Europäische Solidarität (Ex-Block Poroschenko) mit 27 Sitzen, Batkivshchyna (Julia Timoschenkos Partei) mit 25 Sitzen, Holos (Stimme) mit 17 Sitzen und schließlich die aus unabhängigen Abgeordneten bestehende Fraktion "Für die Zukunft" mit 23 Sitzen (KP 29.8.2019).

Für die neue Regierung stimmten 281 Parlamentarier. Neuer Premierminister ist der 35-jährige Jurist Olexij Hontscharuk (DS 29.8.2019; vgl. Ukrinform 30.8.2019).

Zum neuen Ministerkabinett gehören: Vizepremierminister für europäische und euroatlantische Integration Dmytro Kuleba Vizepremierminister und Minister für IT-Transformation Mychailo Fedorow Minister des Ministerkabinetts Dmytro Dubilet Außenminister Wadym Prystaiko Verteidigungsminister Andrij Sahorodnjuk Innenminister Arsen Awakow (Bereits in der Vorgängerregierung tätig) Minister für Wirtschaftsentwicklung, Handel und Landwirtschaft Tymofij Mylowanow Justizminister Denys Maljuska Finanzministerin Oxana Markarowa (Bereits in der Vorgängerregierung tätig) Minister für Energiewirtschaft und Kohleindustrie Olexij Orschel Minister für Infrastruktur Wladyslaw Kryklij Ministerin für Entwicklung von Gemeinden und Territorien Olena Babak Ministerin für Bildung und Wissenschaft Hanna Nowosad Gesundheitsministerin Zorjana Skalezka Minister für Kultur, Jugend und Sport Wolodymyr Borodjanskyj Ministerin für Sozialpolitik Julia Sokolowska Ministerin für Angelegenheiten von Veteranen, vorläufig besetzen Gebieten und Binnenflüchtlingen Oxana Koljada (Ukrinform 30.8.2019)

Zu den unmittelbaren Vorhaben der neuen Regierung zählen nun wirtschaftspolitische Maßnahmen, die Aufhebung der Abgeordnetenimmunität (eine weithin geforderte Maßnahme zur Korruptionsbekämpfung, welche allerdings eine Zweidrittelmehrheit verlangt), die Schaffung einer Möglichkeit zur Absetzung des Präsidenten und ein Gesetz zum Whistleblowing in Korruptionsangelegenheiten (RFE/RL 30.8.2019).

Quellen: - DS - Der Standard (29.8.2019): Ukrainischer Präsident bekommt sein Wunschkabinett, https://www.derstandard.at/story/2000107945934/selenskyj-nominiert-ukrainischen-premier-undmehrere-minister, Zugriff 30.8.2019 - KP - Kyiv Post (29.8.2019): Ukraine's new parliament sworn in, Dmytro Razumkov becomes speaker, https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/ukraines-new-parliament-sworn-in.html?cnreloaded=1, Zugriff 30.8.2019 - RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (30.8.2019): Ukraine's Zelenskiy Inducts Politically Untested Government, https://www.rferl.org/a/ukraine-zelenskiy-new-government-honcharuk/ 30137220.html, Zugriff 30.8.2019 - Ukrinform (30.8.2019): Parlament billigt neue Regierung, https://www.ukrinform.de/rubric-polytics/ 2769759-parlament-billigt-neue-regierung.html, Zugriff 30.8.2019

KI vom 23.07.2019 (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage)

Die Partei "Sluha Narodu" (Diener des Volkes) von Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die ukrainische Parlamentswahl vom 21.07.19 gewonnen. Noch liegt das amtliche Endergebnis nicht vor, aber nach Auszählung von etwa 70% der Stimmen steht fest, dass die Partei auf rund 42,7% kommt. Es folgen die russlandfreundliche Oppositionsplattform mit etwa 13%, die Partei "Europäische Solidarität" des früheren Präsidenten Petro Poroschenko mit etwa 8,4%, die Vaterlandspartei der Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko mit 7,4% und die Partei "Holos" (Stimme) des Rocksängers Swiatoslaw Wakartschuk mit 6,2%. Dies sind die fünf Parteien, die die 5%-Hürde überwinden konnten. Die Wahlbeteiligung war mit knapp 50% geringer als vor fünf Jahren. Die OSZE sprach trotz des klaren Ergebnisses von einer fairen Konkurrenz. Zwar bemängelte sie fehlende Transparenz bei der Finanzierung des Wahlkampfs, insgesamt registrierten die Wahlbeobachter bei der Abstimmung allerdings keine gröberen Verstöße (BAMF 22.7.2019, DS 22.7.2019).

Zusammen mit den gewonnenen Sitzen aus den Direktwahlkreisen kommt Selenskyjs Partei auf knapp 250 der insgesamt 450 Sitze im Parlament. Das gute Ergebnis über die Parteiliste war vorausgesagt worden, jedoch überrascht der Gewinn von mehr als 120 Direktmandaten , da die Kandidaten durchwegs Polit-Neulinge sind und über keinerlei Erfahrung im Parlament verfügen. Die enorme Wählerzustimmung für Selenskyjs Partei bedeutet, dass das erste Mal in der Ukraine eine politische Kraft die absolute Mehrheit der Sitze in der Rada erreicht hat. Damit entfallen die komplizierten Koalitionsverhandlungen, mit denen im Vorfeld der Wahl viele Experten gerechnet hatten. Offenbar wurde auch Selenskyj selbst davon überrascht, denn noch am Wahlabend hatte er Wakartschuks "Holos", auch diese eine erst vor kurzem gegründete Partei mit ausschließlich politisch unerfahrenen Kandidaten und radikaler Antikorruptions-Agenda, Koalitionsverhandlungen angeboten. Dies dürfte nun unnötig geworden sein (BAMF 22.7.2019, DS 22.7.2019).

Quellen: - BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (22.7.2019): Briefing Notes, per E-Mail - DS - Der Standard (22.7.2019): Diener des Volkes werden Kiew regieren, https://www.derstandard.at/story/2000106566433/diener-des-volkes-werden-kiew-regieren, Zugriff 23.7.2019

2. Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Staatsoberhaupt ist seit 20.05.2019 Präsident Wolodymyr Selensky, Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman.

Das ukrainische Parlament (Verkhovna Rada) wird über ein Mischsystem zur Hälfte nach Verhältniswahlrecht und zur anderen Hälfte nach Mehrheitswahl in Direktwahlkreisen gewählt (AA 20.5.2019). Das gemischte Wahlsystem wird als anfällig für Manipulation und Stimmenkauf kritisiert. Auch die unterschiedlichen Auslegungen der Gerichte in Bezug auf das Wahlrecht sind Gegenstand der Kritik. Ukrainische Oligarchen üben durch ihre finanzielle Unterstützung für verschiedene politische Parteien einen bedeutenden Einfluss auf die Politik aus. Die im Oktober 2014 abgehaltenen vorgezogenen Parlamentswahlen wurden im Allgemeinen als kompetitiv und glaubwürdig erachtet, aber auf der Krim und in von Separatisten gehaltenen Teilen des Donbass war die Abstimmung erneut nicht möglich. Infolgedessen wurden nur 423 der 450 Sitze vergeben (FH 4.2.2019). Der neue Präsident, Wolodymyr Selensky, hat bei seiner Inauguration im Mai 2019 vorgezogene Parlamentswahlen bis Ende Juli 2019 ausgerufen (RFE/RL 23.5.2019).

In der Rada sind derzeit folgende Fraktionen und Gruppen vertreten:

Partei Sitze Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka) 135 Volksfront (Narodny Front) 81 Oppositionsblock (Oposyzijny Blok) 38 Selbsthilfe (Samopomitsch) 25 Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka) 21 Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna) 20 Gruppe Wolja Narodu 19 Gruppe Widrodshennja 24 Fraktionslose Abgeordnete 60 (AA 20.5.2019)

Nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 verfolgte die Ukraine unter ihrem Präsidenten Petro Poroschenko eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Zu den Schwerpunkten seines Regierungsprogramms gehörte die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassungs- und Justizreform. Dennoch wurden die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen nicht erfüllt. Die Parteienlandschaft der Ukraine ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ und nationalistisch über rechtsstaats- und europaorientiert bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Der Programmcharakter der Parteien ist jedoch kaum entwickelt und die Wähler orientieren sich hauptsächlich an den Führungsfiguren (AA 22.2.2019).

Der ukrainische Schauspieler, Jurist und Medienunternehmer Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj gewann am 21. April 2019 die Präsidentschaftsstichwahl der Ukraine gegen den Amtsinhaber Petro Poroschenko mit über 73% der abgegebenen Stimmen (Wahlbeteiligung: 61,4%). Poroschenko erhielt weniger als 25% der Stimmen (RFE/RL 30.4.2019). Beobachtern zufolge verlief die Wahl im Großen und Ganzen frei und fair und entsprach generell den Regeln des demokratischen Wettstreits. Kritisiert wurden unter anderem die unklare Wahlkampffinanzierung und die Medienberichterstattung in der Wahlauseinandersetzung (KP 22.4.2019). Selenskyj wurde am 20.5.2019 als Präsident angelobt. Er hat angekündigt möglichst bald parlamentarische Neuwahlen ausrufen zu lassen, da er in der Verkhovna Rada über keinen parteipolitischen Rückhalt verfügt und demnach kaum Reformen umsetzen könnte. Tatsächlich hat er umgehend per Dekret vorgezogene Parlamentswahlen bis Ende Juli 2019 ausgerufen (RFE/RL 23.5.2019).

Es ist ziemlich unklar, wofür Präsident Selenskyj politisch steht. Bekannt wurde er durch die beliebte ukrainische Fernsehserie "Diener des Volkes", in der er einen einfachen Bürger spielt, der eher zufällig Staatspräsident wird und dieses Amt mit Erfolg ausübt. Tatsächlich hat Selenskyj keine nennenswerte politische Erfahrung, ist dadurch jedoch auch unbefleckt von politischen Skandalen. Eigenen Aussagen zufolge will er den Friedensplan für den umkämpften Osten des Landes wiederbeleben und strebt wie Poroschenko einen EU-Beitritt an. Über einen Nato-Beitritt der Ukraine soll jedoch eine Volksabstimmung entscheiden (DS 21.4.2019; ZO 21.4.2019). Selenskyj hat sich vor allem den Kampf gegen die Korruption auf seine Fahnen geschrieben (UA 27.2.2019).

Kritiker sehen Selenskyj als Marionette des Oligarchen Igor Kolomojskyj, dessen weitgehende Macht unter Präsident Poroschenko stark beschnitten wurde, und auf dessen Fernsehsender 1+1 viele von Selenskyjs Sendungen ausgestrahlt werden. Diesen Vorwurf hat Selenskyj stets zurückgewiesen (UA 27.2.2019; CNN 21.4.2019; Stern 23.4.2019). Quellen: - AA - Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458484/4598_1551701473_auswaertiges-amt-berichtueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-februar-2019-22-022019.pdf, Zugriff 18.3.2019 -AA - Auswärtiges Amt (20.5.2019): Ukraine, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/ukraine-node/ukraine/201830, Zugriff 27.5.2019 - CNN - Cable News Network (21.4.2019): Political newcomer Volodymyr Zelensky celebrates victory in Ukraine's presidential elections, https://edition.cnn.com/2019/04/21/europe/ukraineelection-results-intl/index.html, Zugriff 24.4.2019 - DS - Der Standard (21.4.2019): Politikneuling Selenski wird neuer Präsident der Ukraine, https:// derstandard.at/2000101828722/Politik-Neuling-Selenski-bei-Praesidenten-Stichwahl-in-derUkraine-vorn, Zugriff 24.4.2019 - FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002619.html, Zugriff 24.4.2019 - KP - Kyiv Post (22.4.2019): Election watchdog Opora: Presidential election free and fair, https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/election-watchdog-opora-presidential-election-free-andfair.html, Zugriff 24.4.2019 - Stern (23.4.2019): Ihor Kolomojskyj, der milliardenschwere Strippenzieher hinter der Sensation Selenskyj, https://www.stern.de/politik/ausland/ukraine--ihor-kolomojskyj--der-strippenzieher-hinterder-sensation-selenskyj-8678850.html, Zugriff 24.4.2019 - UA - Ukraine Analysen (27.2.2019): Präsidentschaftswahlen 2019, per E-Mail - RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (23.5.2019): Zelenskiy's Decree On Disbanding Ukrainian Parliament Enters Into Force, https://www.rferl.org/a/zelenskiy-s-decree-on-disbandingukrainian-parliament-enters-into-force/29958190.html, Zugriff 27.5.2019

3. Sicherheitslage

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sowie auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 22.2.2019).

Durch die Besetzung der Krim, die militärische Unterstützung von Separatisten im Osten und die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen gegen die Ukraine, kann Russland seinen Einfluss auf den Verlauf des politischen Lebens in der Ukraine aufrechterhalten. Menschen, die in den besetzten Gebieten des Donbass leben, sind stark russischer Propaganda und anderen Formen der Kontrolle ausgesetzt (FH 4.2.2019).

Nach UN-Angaben kamen seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen um; es wurden zahlreiche Ukrainer innerhalb des Landes binnenvertrieben oder flohen ins Ausland. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt. Die Sicherheitslage hat sich seither zwar deutlich verbessert, Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie bleiben aber an der Tagesordnung und führen regelmäßig zu zivilen Opfern und Schäden an der dortigen zivilen Infrastruktur. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt die im Minsker Maßnahmenpaket vorgesehene Autonomie für die gegenwärtig nicht kontrollierten Gebiete, die u.a. aufgrund der Unmöglichkeit, dort Lokalwahlen nach internationalen Standards abzuhalten, noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Dennoch hat das ukrainische Parlament zuletzt die Gültigkeit des sogenannten "Sonderstatusgesetzes" bis Ende 2019 verlängert (AA 22.2.2019).

Ende November 2018 kam es im Konflikt um drei ukrainische Militärschiffe in der Straße von Kertsch erstmals zu einem offenen militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine. Das als Reaktion auf diesen Vorfall für 30 Tage in zehn Regionen verhängte Kriegsrecht endete am 26.12.2018, ohne weitergehende Auswirkungen auf die innenpolitische Entwicklung zu entfalten. (AA 22.2.2019; vgl. FH 4.2.2019).

Der russische Präsident, Vladimir Putin, beschloss am 24.4.2019 ein Dekret, welches Bewohnern der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft im Eilverfahren erleichtert ermöglicht. Demnach soll die Entscheidung der russischen Behörden über einen entsprechenden Antrag nicht länger als drei Monate dauern. Internationale Reaktionen kritisieren dies als kontraproduktiven bzw. provokativen Schritt. Ukrainische Vertreter sehen darin die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für den offiziellen Einsatz der russischen Streitkräfte gegen die Ukraine. Dafür gibt es einen historischen Präzedenzfall. Als im August 2008 russische Truppen in Georgien einmarschierten, begründete der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedjew das mit seiner verfassungsmäßigen Pflicht, "das Leben und die Würde russischer Staatsbürger zu schützen, wo auch immer sie sein mögen". In den Jahren zuvor hatte Russland massenhaft Pässe an die Bewohner der beiden von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien ausgegeben (FAZ 26.4.2019; vgl. SO 24.4.2019).

Quellen: - AA - Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458484/4598_1551701473_auswaertiges-amt-berichtueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-februar-2019-22-022019.pdf, Zugriff 18.3.2019 - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.4.2019): Ein Signal an Selenskyj, https://www.faz.net/aktuell/politik/putin-verteidigt-russische-staatsbuergerschaft-fuer-ukrainer16157482.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0, Zugriff 26.4.2019 - FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002619.html, Zugriff 24.4.2019 - SO - Spiegel Online (24.4.2019): Putins Provokation, https://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-wladimir-putin-kuendigt-an-russische-paesse-imbesetzten-donbass-auszuteilen-a-1264280.html, Zugriff 29.3.2019 - USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004269.html, Zugriff 10.4.2019

[...]

3.3. Ostukraine In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 22.2.2019).

In den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk kam es insbesondere 2014/15 zu schwersten Menschenrechtsverletzungen. Obwohl die Separatisten seither die öffentliche Ordnung und eine soziale Grundversorgung im Wesentlichen wiederhergestellt haben, werden zahlreiche Grundrechte (v.a. Meinungs- und Religionsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Eigentumsrechte) weiterhin systematisch missachtet (AA 22.2.2019).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk (DPR) und Luhansk (LPR) gibt es seit 2014 keine unabhängige Justiz, und das Recht auf ein faires Verfahren wird systematisch eingeschränkt. Es werden Inhaftierungen auf unbestimmte Zeit ohne gerichtliche Überprüfung und ohne Anklage oder Gerichtsverfahren berichtet. Bei Verdacht auf Spionage oder Verbindungen zur ukrainischen Regierung werden von Militärgerichten geheime Gerichtsverfahren abgehalten, gegen deren Urteile es nahezu keine Beschwerdemöglichkeit gibt und die Berichten zufolge lediglich dazu dienen, bei der Verfolgung von Personen einen Anschein von Legalität zu wahren. Willkürliche Verhaftung sind in der DPR und der LPR weit verbreitet. In der LPR wurde die Möglichkeit der Präventivhaft für 30 bis 60 Tage geschaffen. Die Präventivhaft wird Angehörigen nicht mitgeteilt (incommunicado) und kein Kontakt zu einem Rechtsbeistand und Verwandten zugelassen. Der Zustand der Hafteinrichtungen in den separatistisch kontrollierten Gebieten verschlechtert sich weiter. Berichten zufolge existiert in den Gebieten Donezk und Luhansk in Kellern, Abwasserschächten, Garagen und Industrieunternehmen ein umfangreiches Netz inoffizieller Haftstätten, die meist nicht einmal für eine kurzfristige Inhaftierung geeignet wären. Es gibt Berichte über schweren Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser, Hitze, sanitären Einrichtungen und angemessener medizinischer Versorgung. Ein unabhängiges Monitoring der Haftbedingungen wird von den Machthabern nicht oder nur eingeschränkt erlaubt. Es gibt Berichte über systematische Übergriffe gegen Gefangene, wie Folter, Hunger, Verweigerung der medizinischen Versorgung und Einzelhaft sowie den umfangreichen Einsatz von Gefangenen als Zwangsarbeiter zur persönlichen Bereicherung der separatistischen Anführer (USDOS 13.3.2019).

In der Region Donbass unterdrücken die Separatisten die Rede- und Pressefreiheit durch Belästigung, Einschüchterung, Entführungen und Übergriffe auf Journalisten und Medien (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019, ÖB 2.2019). Die Separatisten verhindern auch die Übertragung ukrainischer und unabhängiger Fernseh- und Radioprogramme in von ihnen kontrollierten Gebieten. Mittlerweile haben die Separatisten im Osten des Landes ihre Bemühungen verstärkt, Online-Inhalte zu blockieren, welche angeblich die ukrainische Regierung oder die ukrainische kulturelle Identität unterstützen. Es sind nur Demonstrationen zulässig, welche von den lokalen "Behörden" unterstützt oder organisiert werden. In der DNR/LNR können nationale und internationale zivilgesellschaftliche Organisationen nicht frei arbeiten. Es gibt eine steigende Zahl von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die von den Separatisten gegründet wurden (USDOS 13.3.2019).

Es gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen waren und bleiben weiterhin betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen oder nur zeitweise gesichert, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Aufgrund der fehlenden Rechtsstaatlichkeit in den Separatistengebieten sind dort Frauen besonders gefährdet. Es gibt Berichte über Missbrauch, Sexsklaverei und Menschenhandel (ÖB 2.2019).

Die meisten LGBTI-Personen sind aus den separatistischen Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk geflohen oder verstecken ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität (USDOS 13.3.2019).

Die Separatisten in der Ostukraine haben Berichten zufolge einige religiöse Führer inhaftiert. Im Februar 2018 wurden in Luhansk religiöse Gruppen, die nicht den "traditionellen" Religionen angehören, darunter Protestanten und Zeugen Jehovas, verboten (FH 4.2.2019).

Die separatistischen Kräfte erlauben keine humanitäre Hilfe der ukrainischen Regierung, sondern nur solche internationaler humanitärer Organisationen. Infolgedessen sind die Preise für Grundnahrungsmittel angeblich für viele Bewohner der nicht von der Regierung kontrollierten Gebiete der Ostukraine zu hoch. Menschenrechtsgruppen berichten auch über einen ausgeprägten Mangel an Medikamenten, Kohle und medizinischen Hilfsgütern. Es kommen weiterhin Konvois der russischen "humanitären Hilfe" an, die nach Ansicht der ukrainischen Regierungsbeamten aber Waffen und Lieferungen für die separatistischen Streitkräfte enthalten (USDOS 13.3.2019).

Durch die Kontaktlinie, welche die Konfliktparteien trennt, wird das Recht auf Bewegungsfreiheit beschnitten und Gemeinden getrennt. Jeden Tag warten bis zu 30.000 Menschen stundenlang unter erschwerten Bedingungen an den fünf Checkpoints auf das Überqueren der Kontaktlinie.

Unzureichend beschilderte Minen entlang der Straßen stellen eine Gefahr für die Wartenden dar (ÖB 2.2019; vgl. PCU 3.2019). Es gibt nur unzureichende sanitäre Einrichtungen, speziell auf separatistischer Seite (HRW 17.1.2019).

Im Zuge der Kampfhandlungen zwischen der Ukraine und den Separatisten kam es 2014 in jenen Gebieten, in denen nicht die ukrainischen Streitkräfte selbst, sondern Freiwilligenbataillone eingesetzt waren, mitunter zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Diese Bataillone wurden in der Folgezeit sukzessive der Nationalgarde (Innenministerium) unterstellt, nur das Bataillon Ajdar wurde in die Armee eingegliedert. Offiziell wurden Freiwilligenbataillone danach nicht mehr an der Kontaktlinie, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete eingesetzt. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen kam, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, evtl. auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Infolge des Übergangs von der ATO (Anti-Terror-Operation in der Ostukraine, geführt vom SBU, Anm.) zu der nunmehr von der Armee koordinierten OVK (Operation der Vereinigten Kräfte) mit April 2018, wurden verbliebene Freiwilligenverbände endgültig in die regulären Streitkräfte eingegliedert oder haben die OVK-Zone verlassen (AA 22.2.2019).

Quellen: - AA - Auswärtiges Amt (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458484/4598_1551701473_auswaertiges-amt-berichtueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-februar-2019-22-022019.pdf, Zugriff 18.3.2019 - HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2002209.html, Zugriff 25.4.2019 - PCU - Protection Cluster Ukraine (3.2019): Mine Action in Ukraine, https://www.unhcr.org/ua/wpcontent/uploads/sites/38/2019/04/2019_03_advocacy_note_on_mine_action_eng-1.pdf, Zugriff 17.5.2019 - ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003113/UKRA_%C3%96B-Bericht_2018.doc, Zugriff 11.4.2019 - USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004269.html, Zugriff 29.3.2019

4. Rechtsschutz / Justizwesen

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering. Trotz der Bemühungen um eine Reform der Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft ist Korruption bei Richtern und Staatsanwälten weiterhin ein Problem. Einige Richter behaupteten Druckausübung durch hochrangige Politiker. Einige Richter und Staatsanwälte erhielten Berichten zufolge Bestechungsgelder. Andere Faktoren, welche das Recht auf ein faires Verfahren behindern, sind langwierige Gerichtsverfahren, insbesondere bei Verwaltungsgerichten, unterfinanzierte Gerichte und mangelnde Möglichkeiten Urteile durchzusetzen (USDOS 13.3.2019).

Die ukrainische Justizreform trat im September 2016 in Kraft, der langjährige Prozess der Implementierung der Reform dauert weiter an. Bereits 2014 startete ein umfangreicher Erneuerungsprozess mit der Annahme eines Lustrationsgesetzes, das u.a. die Entlassung aller Gerichtspräsidenten sowie die Erneuerung der Selbstverwaltungsorgane der Richterschaft vorsah. Eine im Februar 2015 angenommenen Gesetzesänderung zur "Sicherstellung des Rechtes auf ein faires Verfahren" sieht auch eine Erneuerung der gesamten Richterschaft anhand einer individuellen qualitativen Überprüfung ("re-attestation") aller Richter vor, die jedoch von der Zivilgesellschaft als teils unzureichend kritisiert wurde. Bislang wurden laut Informationen von ukrainischen Zivilgesellschaftsvertretern rund 2.000 der insgesamt 8.000 in der Ukraine tätigen Richter diesem Prozess unterzogen, wobei rund 10% entweder von selbst zurücktraten oder bei der Prozedur durchfielen. Ein wesentliches Element der Justizreform ist auch der vollständig neu gegründete Oberste Gerichtshof, der am 15. Dezember 2017 seine Arbeit aufnahm. Allgemein ist der umfassende Erneuerungsprozess der Richterschaft jedoch weiterhin in Gange und schreitet nur langsam voran. Die daraus resultierende häufige Unterbesetzung der Gerichte führt teilweise zu Verfahrensverzögerungen. Von internationaler Seite wurde die Annahme der weitreichenden Justizreform weitgehend begrüßt (ÖB 2.2019).

2014 wurde auch eine umfassende Reform der Staatsanwaltschaft in Gang gesetzt. In erster Linie ging es dabei auch darum, das schwer angeschlagene Vertrauen in die Institution wieder herzustellen, weshalb ein großer Teil dieser Reform auch eine Erneuerung des Personals vorsieht. Im Juli 2015 begann die vierstufige Aufnahmeprozedur für neue Mitarbeiter. Durchgesetzt haben sich in erster Linie jedoch Kandidaten, die bereits in der Generalstaatsanwaltschaft Erfahrung gesammelt hatten. Weiters wurde der Generalstaatsanwaltschaft ihre Funktion als allgemeine Aufsichtsbehörde mit der Justizreform 2016 auf Verfassungsebene entzogen, was jedoch noch nicht einfach gesetzlich umgesetzt wurde. Jedenfalls wurde in einer ersten Phase die Struktur der Staatsanwaltschaft verschlankt, indem über 600 Bezirksstaatsanwaltschaften auf 178 reduziert wurden. 2017 wurde mit dem Staatsanwaltschaftsrat ("council of prosecutors") ein neues Selbstverwaltungsorgan der Staatsanwaltschaft geschaffen. Es gab bereits erste Disziplinarstrafen und Entlassungen, Untersuchungen gegen die Führungsebene der Staatsanwaltschaft wurden jedoch vorerst vermieden. Auch eine spezialisierte Antikorruptions-Staatsanwaltschaft wurde geschaffen. Diese Reformen wurden vor allem wegen der mangelnden personellen Erneuerung der Staatsanwaltschaft kritisiert. Auch erhöhte die Reform die Belastung der Ankläger, die im Durchschnitt rund je 100 Strafverfahren gleichzeitig bearbeiten, was zu einer Senkung der Effektivität der Institution beiträgt. Allgemein bleibt aber, trotz einer signifikanten Reduktion der Zahl der Staatsanwälte, diese im europäischen Vergleich enorm hoch, jedoch ineffizient auf die zentrale, regionale und lokale Ebene verteilt (ÖB 2.2019).

Nachdem unter Präsident Janukowitsch die von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats eingemahnte Verfassungsreform jahrelang hinausgezögert wurde, wurde von Präsident Poroschenko durch seinen im Juli 2014 vorgelegten Gesetzesentwurf zur Änderung der ukrainischen Verfassung ein neuer Impuls gesetzt. Die darin vorgesehenen Schritte zu dezentraleren Strukturen mit erweiterten Kompetenzen der gewählten Gemeinde- und Bezirksräte, nicht zuletzt im Hinblick auf die Verteilung und Verwaltung öffentlicher Mittel, dem Ausbau der regionalen Selbstverwaltung und der erstmaligen Verankerung des Prinzips der Subsidiarität, wurden von der Venedig-Kommission begrüßt. Jedoch gibt es für die Annahme der Verfassungsreform in zweiter Lesung derzeit keine Mehrheit im Parlament. Vor allem die verfassungsrechtliche Absicherung der im Rahmen des Minsk-Prozesses zur Beilegung des Konflikts in der Ostukraine festgelegten Dezentralisierung steht unter starker Kritik einiger Parteien, weil diese eine "Ermächtigungsklausel" zur Schaffung eines Gesetzes über den Sonderstatus des Donbasss enthält. In der Praxis wurden jedoch bereits Erfolge bei der finanziellen Dezentralisierung erzielt, sowie zahlreiche Gemeinden zusammengelegt, die dadurch mit mehr finanziellen Mittel ausgestattet sind und effizienter arbeiten können. Ohne eine verfassungsmäßige Absicherung der Dezentralisierungsreform bleibt diese jedoch vorerst weiterhin unvollendet (ÖB 2.2019).

Die jüngsten Reforminitiativen bleiben hinter den Erwartungen zurück, werden aber fortgesetzt (FH 4.2.2019).

Quellen: - FH - Freedom House (4.2.2019): Freedom in the World 2019 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002619.html, Zugriff 24.4.2019 - ÖB - Österreichische Botschaften (2.2019): Asylländerbericht Ukraine, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003113/UKRA_%C3%96B-Bericht_2018.doc, Zugriff 11.4.2019 - USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Ukraine, https://www.ecoi.net/de/dokument/2004269.html, Zugriff 29.3.2019

5. Sicherheitsbehörden

Die Sicherheitsbehörden unterstehen generell effektiver ziviler Kontrolle. Die Sicherheitskräfte verhindern oder reagieren im Allgemeinen auf gesellschaftliche Gewalt. Zuweilen wenden sie jedoch selbst übermäßige Gewalt an, um Proteste aufzulösen, oder verabsäumen es in einzelnen Fällen, Opfer vor Belästigung oder Gewalt zu schützen (z.B. im Falle der Zerstörung eines RomaCamps durch Nationalisten, gegen die die Polizei nicht einschritt). Der ukrainischen Regierung gelingt es meist nicht, Beamte, die Verfehlungen begangen haben, strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen (USDOS 13.3.2019).

Das sichtbarste Ergebnis der ukrainischen Polizeireform ist die Gründung der Nationalen Polizei nach europäischen Standards, mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan, die im Juli 2015 in vorerst 32 Städten ihre Tätigkeit aufnahm. Mit November 2015 ersetzte die Nationale Polizei offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte "Militsiya". Alle Mitglieder der Militsiya hatten grundsätzlich die Möglichkeit, in die neue Truppe aufgenommen zu werden, mussten hierfür jedoch einen "Re-Attestierungsprozess" samt umfangreichen Schulungsmaßnahmen und Integritätsprüfungen durchlaufen. Im Oktober 2016 verkündete die damalige Leiterin der Nationalen Polizei den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses, in dessen Zuge 26% der Polizeikommandanten im ganzen Land entlassen, 4.400 Polizisten befördert und im Gegenzug 4.400 herabgestuft wurden. Zentrale Figur der Polizeireform war die ehemalige georgische Innenministerin Khatia Dekanoidze, die jedoch am 14. November 2016 aufgrund des von ihr bemängelnden Reformfortschrittes, zurücktrat. Zu ihrem Nachfolger wurde, nach einem laut Einschätzung der EU Advisory Mission (EUAM) offenen und transparenten Verfahren, im Feber 2017 Serhii Knyazev bestellt. Das Gesetz "Über die Nationalpolizei" sieht eine Gewaltenteilung zwischen dem Innenminister und dem Leiter der Nationalen Polizei vor. Der Innenminister ist ausschließlich für die staatliche Politik im Rechtswesen zuständig, der Leiter der Nationalen Polizei konkret für die Polizei. Dieses europäische Modell soll den Einfluss des Ministers auf die operative Arbeit der Polizei verringern. Dem Innenministerium unterstehen seit der Reform auch der Staatliche Grenzdienst, der Katastrophendienst, die Nationalgarde

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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