TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/13 W247 2178547-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.03.2020
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Entscheidungsdatum

13.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §54 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §52
FPG §55 Abs2
IntG §11 Abs2
IntG §9 Abs4
NAG §14a Abs4 Z2
NAG §81 Abs36
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W247 2178547-1/12E

W247 2178551-1/12E

W247 2178549-1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, vertreten durch den Verein XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.10.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.12.2019, zu Recht:

A)

I.) Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und III., erster Satz, des bekämpften Bescheides wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., als unbegründet abgewiesen.

II.) Der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III., zweiter und dritter Satz, wird stattgegeben und ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., iVm § 9 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012, idgF., auf Dauer unzulässig ist.

III.) Gemäß §§ 54, 55 Abs. 1 und 58 Abs. 2 Asylgesetz 2005 iVm § 81 Abs. 36 NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., iVm § 14a Abs. 4 Z 2 NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, idF. BGBl. I Nr. 38/2011, wird eine "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

IV.) Der Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wird ersatzlos aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, vertreten durch den Verein XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.10.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.12.2019, zu Recht:

A)

I.) Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und III., erster Satz, des bekämpften Bescheides wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., als unbegründet abgewiesen.

II.) Der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III., zweiter und dritter Satz, wird stattgegeben und ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., iVm § 9 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012, idgF., auf Dauer unzulässig ist.

III.) Gemäß §§ 54 und 55 Abs. 1 iVm 58 Abs. 2 Asylgesetz, sowie § 9 Abs. 4 Z 1 und 3 Integrationsgesetz, BGBl. I Nr. 68/2017, idgF., wird eine "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

IV.) Der Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wird ersatzlos aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

3.) Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, vertreten durch den Verein XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.10.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16.12.2019, zu Recht:

A)

I.) Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und III., erster Satz, des bekämpften Bescheides wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., als unbegründet abgewiesen.

II.) Der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt III., zweiter und dritter Satz, wird stattgegeben und ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012, idgF., auf Dauer unzulässig ist.

III.) Gemäß §§ 54 und 55 Abs. 1 iVm 58 Abs. 2 Asylgesetz, sowie § 10 Abs. 2 Z 4 Integrationsgesetz, BGBl. I Nr. 68/2017, idgF., wird eine "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

IV.) Der Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wird ersatzlos aufgehoben.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Die beschwerdeführenden Parteien (BF1-BF3) sind ukrainische Staatsangehörige und Staatsbürger der Russischen Föderation und Mitglieder der Religionsgemeinschaft Zeugen Jehovas. Der Erstbeschwerdeführer (BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (BF2) sind miteinander verheiratet und Eltern des minderjährigen Drittbeschwerdeführers (BF3).

I. Verfahrensgang:

1. Die beschwerdeführenden Parteien (BF1-BF3) reisten mit einem Visum C für die Schengenstaaten, gültig von 30.06.2015 bis 23.07.2015, am 30.06.2015 legal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 01.07.2015 ihre Anträge auf internationalen Schutz, zu welchen der BF1 und die BF2 am 02.07.2015 vor der Landespolizeidirektion XXXX erstbefragt, sowie am 10.08.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion XXXX , jeweils im Beisein eines den Beschwerdeführern einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache RUSSISCH niederschriftlich einvernommen wurden.

2. Der BF1 brachte im Rahmen seiner Erstbefragung am 02.07.2015 vor, dass er zuletzt in XXXX , auf der Krim gelebt habe. Er habe XXXX am 25.06.2015 legal, mit einem Visum und seinem ukrainischen Reisepass, mit dem PKW verlassen und sei mit seiner Frau und seinem Sohn nach XXXX gereist. Von dort seien sie mit dem Zug nach XXXX gefahren, von wo aus sie am 30.06.2015 mit dem Flugzeug nach Wien geflogen seien. Von dort seien sie mit dem Zug nach XXXX gefahren. Hinsichtlich seiner Fluchtgründe gab er an, dass Anfang des Jahres 2014 die russische Armee auf die Krim gekommen sei und sie Angst bekommen hätten. Legal haben sie nicht ausreisen können und illegal ausreisen haben sie nicht gewollt. Als Zeugen Jehovas seien er und seine Frau von den Behörden verfolgt und in der Ausübung ihrer Religionsfreiheit beeinträchtigt worden. Bei einer Rückkehr in seine Heimat fürchte er wegen seines Glaubens verfolgt zu werden. Die Behörden würden alle Zeugen Jehovas verfolgen und unterläge deren Literatur (Gebetsbücher, etc.) der Zensur und würde teilweise auch vernichtet.

3. Die BF2 brachte im Rahmen ihrer Erstbefragung am 02.07.2015 vor, dass sie zuletzt in XXXX , auf der Krim gelebt habe. Sie habe XXXX am 25.06.2015 legal, mit einem Visum und ihrem ukrainischen Reisepass, mit dem PKW verlassen und sei mit ihrem Mann und ihrem Sohn nach XXXX gereist. Von dort seien sie mit dem Zug nach Kiew gefahren, von wo aus sie am 30.06.2015 mit dem Flugzeug nach Wien geflogen seien. Von dort seien sie mit dem Zug nach XXXX gefahren. Hinsichtlich ihrer Fluchtgründe gab sie an, dass die Krim 2014 annektiert worden sei und sie Angst gehabt hätten in die Ukraine zu fahren, da dort Kriegszustände herrschen würden. Außerdem habe sie ihre Religion nicht frei ausüben können und sei sie einmal von einem Unbekannten überfallen worden, der sie mit einem Holzgegenstand beworfen habe. Sie habe ausweichen können und sei deshalb nicht verletzt worden. Der Mann habe gedroht sie umzubringen, da sie die falsche Religion hätte. Sie habe Angstzustände gehabt und habe einen Psychiater aufgesucht. Bei einer Rückkehr in ihre Heimat befürchte sie, neuerlich verfolgt zu werden. Sie habe damals jedoch keine Anzeige erstattet, weil die russische Polizei solche Vorfälle nicht ernst nehme.

4. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 10.08.2017 vor dem BFA, gab der BF1 zusammenfassend an, dass er Staatsbürger der Russischen Föderation sei, der Volksgruppe der Ukraine angehöre und Zeuge Jehovas sei. Er habe einen 2008 geborenen Sohn und sei seit März 1997 verheiratet. Bis zum Zeitpunkt der Ausreise im Jahr 2015 habe sein Sohn einen Kindergarten in XXXX besucht. Er sei in XXXX geboren und aufgewachsen und halte sich seit dem 02.07.2015 in Österreich auf, die Krim habe er jedoch schon am 25.06.2015 verlassen. Er sei ausgebildeter Installateur und habe bis zum letzten Tag vor der Ausreise als Installateur in einer Heizungsfirma gearbeitet. In der Ukraine habe er noch seine Eltern, seinen Bruder samt dessen Familie, der Bruder des Vaters und die Schwestern seiner Mutter samt deren Familien. Sein Vater heiße XXXX und seine Mutter XXXX .

Hinsichtlich seiner Fluchtgründe brachte er vor, dass die russische Armee Anfang 2014 die Halbinsel Krim besetzt habe. Er als Zeuge Jehovas habe sich in seiner Religionsausübung eingeschränkt und von den Behörden verfolgt gefühlt. Seit September 2017 werde außerdem Propaganda gegen die Zeugen Jehovas betrieben und fanden Durchsuchungen in den Königreichssälen XXXX sowie XXXX statt. Außerdem seien Zusammenkünfte gestört worden. Des Weiteren sei seine Frau Anfang Mai 2015 von einem unbekannten Mann attackiert worden, der einen Tisch auf sie geworfen habe. Sie habe jedoch ausweichen können und deshalb nur Prellungen gehabt. Seine Frau habe Anzeige erstattet, konnte jedoch keinen Namen nennen. Als die Polizei erfahren habe, dass sie Zeugen Jehovas seien, haben sie nicht reagiert. Auch er selbst sei bedroht worden. Von einem unbekannten Mann sei ihm gesagt worden, dass der Tag käme, an dem er getötet werde. Solche Vorfälle hätten öfter zwischen Februar und Mai 2015 stattgefunden. Anzeigen habe er jedoch keine erstattet, da er gewusst habe, die Polizei würde nichts unternehmen. Seine Mutter und seine Tante seien auch Zeugen Jehovas, leben in der Ukraine und würden dort nicht verfolgt. Er könne jedoch nicht in die Ukraine zurückkehren, weil er nicht über die ukrainische Staatsbürgerschaft verfüge. Im Sommer 2014 habe er die russische Staatsbürgerschaft erhalten, indem er sich einen Inlandsreisepass der Russischen Föderation ausstellen ließ. Die ukrainische Staatsbürgerschaft habe er nicht zurückgelegt, dies sei nicht von ihm verlangt worden, er würde dies jedoch jederzeit tun. Er habe weder ein Dekret des Präsidenten der Russischen Föderation noch sonst ein Schriftstück über die Verleihung der Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation. Er sei gezwungen gewesen diesen Inlandspass ausstellen zu lassen, sonst hätte er die Krim verlassen müssen. Auch seine Frau habe einen Inlandspass der Russischen Föderation erhalten. Er habe sich jedoch nicht getraut seinen russischen Inlandspass mit nach Österreich zu nehmen, weil er Angst gehabt habe, dass dieser bei der Grenzkontrolle entdeckt und zerrissen wird. Er besäße nach wie vor eine Wohnung auf der Krim und um dorthin zurückzureisen, brauche er den russischen Inlandspass. Mit seinem russischen Pass, hätte er jedoch gar keine Chance gehabt ein Visum für Österreich zu erlangen. Er besitze die Staatsbürgerschaft der Ukraine und der Russischen Föderation.

5. Die BF2 gab bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 10.08.2017 an, dass sie seit 2006 Venlafaxin nehme. Damals sei sie auch im Krankenhaus stationär aufgenommen gewesen. In Linz habe sie 2015 für einige Monate eine Psychotherapie in Anspruch genommen. Ihr Therapeut habe ihr damals gesagt, die Therapie sei nicht mehr notwendig, das Medikament solle sie jedoch weiterhin einnehmen. Bis zum Jahr 2008 habe sie in XXXX an der Adresse XXXX und zuvor an der Adresse XXXX gewohnt. Sie sei dann mit ihrem Mann auf die Krim übersiedelt, weil ihr Arzt das empfohlen habe. Sie sei Staatsbürgerin der Russischen Föderation, der Volksgruppe der Ukraine angehörig und Zeuge Jehovas. Sie sei seit 1997 verheiratet und habe einen Sohn. Geboren und aufgewachsen sei sie in XXXX , ihre Eltern hießen XXXX und XXXX und würden noch in XXXX leben. Sie halte sich seit dem 02.07.2015 in Österreich auf. In XXXX habe sie die Grundschule und die allgemein bildende höhere Schule besucht, sowie von 1992-1995 das medizinische College und anschließend von 1995-200 die Universität besucht. Ihren Universitätsabschluss habe sie im Sommer 2001 gemacht und zuletzt habe sie von Sommer 2001 bis zu ihrer Ausreise als Pharmazeutin gearbeitet. In der Ukraine habe sie noch ihren Bruder samt seiner Frau, ihren Cousin mit seiner Familie, die Schwester ihres Vaters mit ihrem Mann und dessen Sohn mit seiner Familie, sowie die Schwester ihrer Mutter mit deren Mann und Kindern. Sie habe zuletzt auf der Krim in XXXX gelebt. Die Krim hätten sie am 25.06.2015 wegen ihrer Verfolgung als Zeuge Jehovas verlassen. Sie sei legal mit einem Visum nach Österreich gekommen. Sie hätten eine 7 tägige Reisetour gebucht, jedoch sofort nach der Ankunft einen Asylantrag gestellt. Sie und ihr Mann seien auf der Krim in ihrer Religionsfreiheit eingeschränkt worden.

Hinsichtlich ihrer Fluchtgründe brachte sie vor, dass die russische Armee Anfang 2014 die Krim besetzt habe. Als Zeugen Jehovas hätten sie sich bedroht gefühlt. Ihr Mann habe die Fluchtgründe sicherlich schon vorgebracht und stütze sie sich auf jene ihres Mannes. Sie sei jedoch auch persönlich bedroht worden. Von Juni 2013 bis 01.06.2015 sei sie leitende Angestellte in einer Apotheke gewesen. Im April 2015 sei ein junger Mann in die Apotheke gekommen und habe gesagt, dass der Glaube der Zeugen Jehovas auf der Krim nichts verloren habe und würde sie mit Säure übergießen, wenn er sie beim Verlassen der Apotheke antreffe. Am 08.05.2015 habe sie einen Mann auf der Straße angesprochen, weil sie mit ihm über die Bibel sprechen wollte. Neben ihnen sei ein Café gewesen und sei der Mann plötzlich aggressiv geworden, habe sich einen Tisch geschnappt und diesen in ihre Richtung geworfen. Er habe gesagt, dass früher oder später alle Zeugen Jehovas getötet würden. Sie habe sich am selben Tag an die Polizei gewandt, konnte jedoch nicht angeben, wer der Mann gewesen sei. Der Polizist habe außerdem gesagt, dass sie keinerlei polizeilichen Schutz erwarten könne, weil ihre Glaubensgemeinschaft ohnehin bald verboten werde. Sie könne nicht in die Ukraine zurückkehren, weil sie nicht über die ukrainische Staatsbürgerschaft verfüge. Sie hätten alle drei die Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation indem sie im September 2014 einen russischen Inlandspass erhalten hätten. Als sie das Visum erhalten haben, hätten sie sich noch aussuchen können, welche Staatsangehörigkeit sie angeben und sei der ukrainische Pass noch gültig gewesen. Sie hätten die ukrainische Staatsbürgerschaft nicht zurückgelegt, würden dies aber gerne tun und würde dabei um Mithilfe des BFA ersuchen. Sie habe weder ein Dekret des Präsidenten der Russischen Föderation noch sonst ein Schriftstück über die Verleihung der Staatsangehörigkeit der Russischen Föderation. Sie sei gezwungen worden den Inlandspass ausstellen zu lassen, sonst hätte sie die Krim verlassen müssen. Den Inlandspass der Russischen Föderation hätten sie auf der Krim gelassen, weil sie nicht riskieren wollten, dass er bei der Kontrolle gefunden wird. Dass die Doppelstaatsbürgerschaft in der Ukraine nicht erlaubt sei, hätten sie nicht gewusst.

Sowohl der BF1 als auch die BF2 sagten bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme, dass sie in Grundversorgung seien, einen Abschluss des A2 Sprachniveaus hätten, sowie in Österreich leben und arbeiten wollen.

Der minderjährige BF3 wurde aufgrund seines kindlichen Alters nicht einvernommen.

Die Beschwerdeführer brachten erstinstanzlich folgende Unterlagen in Vorlage:

* Ukrainische Inlandsreisepässe des BF1 und der BF2 sowie ukrainische Reisepässe des BF1 ( XXXX , ausgestellt im Mai 2006), der BF2 ( XXXX , ausgestellt im Mai 2006) und des BF3 ( XXXX , ausgestellt im Oktober 2013);

* Kopien der russischen Inlandspässe des BF1 und der BF2;

* Internetauszüge betreffend die Russische Föderation in russischer und deutscher Sprache;

* Literaturaufstellung über extremistische Literatur in der Russischen Föderation;

* Unterlagen über den allgemeinen Gesundheitszustand des BF1;

* Situationsbericht der Unterkunftgeber XXXX vom 09.08.2017 betreffend die BF1-BF3;

* Unterstützungserklärung von XXXX vom 09.08.2017 sowie vom 12.08.2017; (bezüglich des PKWs) betreffend die BF1-BF3;

* Bestätigung der Zeugen Jehovas in XXXX über die Mitgliedschaft des BF1 und der BF2 vom 26.05.2017;

* Bestätigung über die Leistung gemeinnütziger Arbeit des BF1 von September bis November 2015 in der Gemeinde XXXX vom 19.07.2017;

* Einstellungszusage XXXX vom 14.07.2017;

* Prüfungszeugnis ÖIF-Test über die Niveaustufe A2 der deutschen Sprache vom 06.07.2017 betreffend den BF1 und die BF2;

* Sämtliche Teilnahmebestätigungen an diversen Deutschkursen von 04.02.2016 bis 12.05.2016, von 19.11.2015 bis 03.02.2016, von 02.05.2016 bis 06.07.2016, von 20.09.2016 bis 20.12.2016 und von 02.03.2017 bis 20.06.2017 betreffend den BF1 und die BF2;

* Zusatzschrift zur Einvernahme des BF1 vom 20.08.2017;

* Zusatzschrift zur Einvernahme der BF2, eingelangt beim BFA am 22.08.2017;

* Fachdiplom der BF2 über ihren Abschluss der Fachrichtung "Pharmazie" im Jahr 2000 an der Universität XXXX (beglaubigte Übersetzung);

* Anlage zum Diplom über die Hochschulbildung (beglaubigte Übersetzung);

* Zertifikat der Pharmazeutin vom 30.11.2012 betreffend die BF2 (beglaubigte Übersetzung);

* Arbeitsbuch der BF2 (beglaubigte Übersetzung);

* Unterstützungserklärung von XXXX vom 28.07.2017;

* Unterstützungserklärung von XXXX vom 06.08.2017;

* Sammlung von 49 Unterstützungsunterschriften für den Verbleib der BF1-BF3 im Bundesgebiet;

* Ärztliche Bestätigung von XXXX vom 03.07.2017 betreffend die BF2;

* Ärztliche Bestätigung von XXXX vom 27.07.2017 betreffend die BF2;

* Unterlagen über den allgemeinen Gesundheitszustand der BF2;

* Kopie und Übersetzung der Geburtsurkunde des BF3;

* Semesterinformation des Schuljahres 2016/2017 betreffend den BF3;

* Schulbesuchsbestätigung des Schuljahres 2016/2017 betreffend den BF3;

* Jahresinformation des Schuljahres 2016/2017 betreffend den BF3;

* Certificate English Project Week betreffend den BF3;

* Schulnachricht des Schuljahres 2016/2017 betreffend den BF3;

* Schulnachricht des Schuljahres 2015/2016 betreffend den BF3;

* Protokoll über die umfassende mündliche Information der Erziehungsberechtigten betreffend der schulischen Leistungen vom 04.07.2016 samt Schulbesuchsbestätigung 2015/2016 des BF3;

6. Mit Ladung vom 13.09.2017 wurden die Beschwerdeführer ein weiteres Mal zur Einvernahme vor dem BFA geladen, um Parteiengehör betreffend des Rechercheauftrages, erstellt von Prof. MMag. Dr. h.c. XXXX vom 12.09.2017, zu gewähren. Aufgrund der Vertagungsbitte ihres rechtsfreundlichen Vertreters, wurde den Beschwerdeführern mit Schreiben vom 19.09.2017 eine einwöchige Frist zur Stellungnahme gewährt, von der sie keinen Gebrauch machten.

7.1. Mit den angefochtenen Bescheiden der belangten Behörde (BFA) vom 28.10.2017 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung der Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Ukraine zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

7.2. In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zu den Personen der Beschwerdeführer und zur Lage in ihrem Herkunftsstaat und führte rechtlich aus, dass die Ausführungen zu den Fluchtgründen nicht glaubhaft gewesen seien bzw. diese keine Asylrelevanz hätten. Es hätte keine Verfolgung im Konventionssinn glaubhaft gemacht werden können. Des Weiteren besäßen die Beschwerdeführer, sowohl die ukrainische, als auch die russische Staatsangehörigkeit, weshalb sie sich in einem anderen Teil der Ukraine niederlassen hätten können, dort seien die Zeugen Jehovas nicht verboten. Auch habe nicht festgestellt werden können, dass den Beschwerdeführern im Falle der Rückkehr eine Verfolgung drohen würde.

7.3. Beweiswürdigend führte das BFA in den angefochtenen Bescheiden im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführer laut der Anfragebeantwortung des Sachverständigen sowohl Staatsangehörige der Ukraine als auch der Russischen Föderation seien und deren Fluchtgründe nicht glaubhaft dargelegt werden konnten.

7.4. Die belangte Behörde kam zu dem Schluss, dass die Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat geltend gemacht hätten. Es ergebe sich auch keine Gefährdungslage nach § 8 AsylG und erscheint eine Rückkehr in die Ukraine zumutbar und gerechtfertigt. Zudem stünde ihnen eine innerstaatliche Fluchtalternative offen, da sich sowohl die Tante als auch die Mutter des BF1 in der Ukraine aufhalten und dort, nach eigenen Angaben der Beschwerdeführer, trotz Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas, nicht verfolgt werden.

7.5. Demnach - so die belangte Behörde - könnten die von den Beschwerdeführern behaupteten Fluchtgründe nicht zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und in weiterer Folge zur Gewährung des Asylstatus führen. Aus deren Vorbringen sei nichts ersichtlich, das im Falle ihrer Rückkehr eine unmenschliche Behandlung oder sonst extreme Gefährdungslage erkennen lassen würde. Es seien im Verfahren keine Ansatzpunkte einer fortgeschrittenen Integration der Beschwerdeführer in Österreich hervorgekommen, zwar sprächen sie Deutsch auf dem Niveau A2, würden sich jedoch weder ehrenamtlich betätigen, noch seien sie selbsterhaltungsfähig. Aus diesen Gründen überwiege das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gegenüber dem privaten Interesse der Beschwerdeführer an einem Verbleib in Österreich, sodass eine Rückkehrentscheidung zulässig wäre.

8. Mit Verfahrensanordnung vom 30.10.2017 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

9. Mit für alle Beschwerdeführer gleichlautendem fristgerecht am 21.11.2017 eingebrachten Schriftsatz vom 20.11.2017, wurde durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter für alle Beschwerdeführer Beschwerde gegen die gegenständlichen Bescheide des BFA, zugestellt am 21.11.2017, hinsichtlich aller Spruchpunkte wegen der Verletzung von Verfahrensvorschriften, unrichtiger rechtlicher Beurteilung und falscher bzw. fehlender Beweiswürdigung und unrichtiger Sachverhaltsdarstellung. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass den Beschwerdeführern seitens des BFA nicht mitgeteilt worden sei, inwieweit eine Übersetzung ihrer zusätzlichen Stellungnahmen vom 22.08.2017 erfolgt sei, noch sei ihnen, trotz Antrag, eine Übersetzung dieser Stellungnahme übermittelt worden. Aufgrund dessen liege eine Verletzung nach § 45 Abs. 3 AVG vor und sei den Parteien danach Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu erlangen und dazu Stellung zu nehmen. Des Weiteren sei trotz Antrag eines neuen Interviewtermins, kein solcher anberaumt worden. Lediglich der BF2 sei am 19.09.2017 ein Erhebungsergebnis präsentiert worden, obwohl an diesem Tag bereits die Vollmachtsbekanntgabe beim BFA eingelangt sei. Aus diesen Gründen seien die angefochtenen Bescheide aufzuheben und an die belangte Behörde zurückzuverweisen. Auch sei nicht nachvollziehbar, warum die belangte Behörde zunächst eine Einvernahme anberaumt, diese aber später nicht mehr für nötig gehalten habe. Die Behörde habe nach § 43 Abs. 4 AVG auf Beweisanträge der Beteiligten einzugehen soweit sie "nicht offenbar unerheblich" sind. Jedenfalls sei auch der Grundsatz der Offizialmaxime gemäß § 39 Abs. 2 AVG verletzt worden. Das BFA habe außerdem verabsäumt einen Rechercheauftrag betreffend des BF1 bezüglich seiner Staatsbürgerschaft zu erteilen und habe dies nur bei der BF2 veranlasst. Gerade bei ihm wäre es nötig gewesen, Klarheit hinsichtlich einer allfälligen Doppelstaatsbürgerschaft zu schaffen. Die Behörde habe dabei in dieser wesentlichen Vorfrage keine Ermittlungstätigkeit entfaltet und liege darin jedenfalls ein Begründungsmangel, der einen wesentlichen Verfahrensmangel nach § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. C) VwGG bildet. Daher seien die angefochtenen Bescheide aufzuheben und an die Erstbehörde zurückzuverweisen.

Die Feststellung im genannten Bescheid, dass der BF1 aufgrund einer Anfragebeantwortung Staatsangehöriger zweier Staaten sei, sei unrichtig, weil die Anfragebeantwortung lediglich hinsichtlich der BF2 erstattet worden sei. Unrichtigerweise werde von der Behörde dargestellt, dass keine glaubwürdigen Anhaltspunkte für Verfolgungshandlungen dem Vorbringen der Beschwerdeführer entnommen werden können und diese im Falle einer Rückkehr nicht um ihr Leben fürchten müssen. Jene genannten Feststellungen der Behörde widersprächen den Länderfeststellungen zur Sicherheitslage. Es sei völlig unrichtig, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in der Ukraine gegenwärtig eine extreme Gefahrenlage herrscht, durch die eine konkrete Gefahr einer Verletzung der durch Artikel 3 EMRK gewährleisteten Rechte bestehe. Daher hätte von der belangten Behörde zumindest subsidiärer Schutz gewährt werden müssen. Des Weiteren träfen alle Punkte zu, wonach eine Rückkehrentscheidung unzulässig wäre. Die Beschwerdeführer sprächen Deutsch auf A2 Niveau, sie betätigen sich ehrenamtlich und hätten eine Vielzahl an Unterstützungserklärungen vorgelegt. Außerdem seien sie strafgerichtlich unbescholten und hätten einen hohen Grad an Schul- und Hochschulausbildung, der minderjährige BF3 besuche die Volksschule in Österreich. Aufgrund dessen wäre ihnen jedenfalls, aufgrund ihrer überdurchschnittlichen Integration, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen gewesen. Darüber hinaus seien die Fluchtgründe der Beschwerdeführer unrichtig rechtlich beurteilt worden. Aufgrund der von der Behörde getroffenen Länderfeststellungen sei es unrichtig und rechtswidrig, dass die Beschwerdeführer in der Ukraine Wohnsitz nehmen könnten und dort keinerlei Hemmnisse in der Ausübung ihres Glaubens vorfinden würden. Die belangte Behörde habe die Situation der Zeugen Jehovas in der Ukraine völlig einseitig und nicht objektiv geschildert. Beantragt wurde von Beschwerdeseite, das Bundesverwaltungsgericht möge 1.) die angefochtenen Bescheide aufheben und der Erstbehörde wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften zur neuerlichen Entscheidung zurückverweisen, in eventu 2.) die angefochtenen Bescheide aufheben und in der Sache selbst entscheiden, dass dem Antrag auf internationalen Schutz vom 01.07.20015 hinsichtlich der Zuerkennung des Staus von Asylberechtigten zuerkannt werde , in eventu 3.) die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten auf den Herkunftsstaat Ukraine zuerkennen, in eventu 4.) einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG erteilen und feststellen, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Ukraine unzulässig ist.

10. Die Beschwerdevorlagen vom 29.11.2017 und die Verwaltungsakte langten beim Bundesverwaltungsgericht am 04.12.2017 ein.

11. Mit Schriftsatz vom 06.11.2019 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführern aktuelle Feststellungen zur Situation in ihrem Herkunftsstaat (Länderinformationsblatt Ukraine, Gesamtaktualisierung vom 29.05.2019, letzte Kurzinfo eingefügt am 30.08.2019) und wurde ihnen Gelegenheit eingeräumt, dazu innerhalb von 10 Tagen hg. einlangend Stellung zu nehmen. Gleichzeitig wurde den Beschwerdeführern die Ladung für die mündliche Verhandlung am 16.12.2019 vor dem Bundesverwaltungsgericht übermittelt.

12. Am 16.12.2019 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht unter der Beiziehung eines den Beschwerdeführern einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die russische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu welcher die Beschwerdeführer ordnungsgemäß geladen wurden und an welcher diese auch teilnahmen.

Die Niederschrift lautet auszugsweise:

RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, Ihre Staatsbürgerschaft, sowie Ihren Wohnort in der Ukraine an dem Sie sich vor Ihrer Ausreise aufgehalten haben.

BF1: Ich wurde am XXXX geboren, in der Stadt XXXX . Ich habe mein ganzes Leben in dieser Stadt verbracht, aber die letzten 8 Jahre habe ich auf der Krim gelebt. In der Stadt XXXX . Ich bin ukrainischer und russischer Staatsbürger - ich habe zwei Pässe.

RI: VORHALTUNG: Sie haben im Rahmen ihrer Ersteinvernahme am 02.07.2015 auf Seite 1 des Protokolls auf die Frage nach ihrer Staatsangehörigkeit die "Ukraine" angegeben. Sie haben u.a. einen ukrainischen Reisepass in Vorlage gebracht. Das Ersteinvernahmeprotokoll wurde Ihnen nachweislich rückübersetzt und sie haben die Vollständigkeit und Richtigkeit der von Ihnen im Protokoll aufgeführten Angaben mit Unterschrift bestätigt. Ergänzungen, Richtigstellungen im Protokoll oder auch Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher während Ersteinvernahme haben sie nicht angegeben. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 10.08.2017 haben Sie auf Seite 7 des BFA-Prot. erstmals im Verfahren angegeben über keine ukrainische Staatsangehörigkeit zu verfügen, danach auf Seite 8 des BFA-Prot. haben Sie sehr wohl eingeräumt Ihre ukrainische Staatsangehörigkeit nie zurückgelegt zu haben. Gleichzeitig haben Sie eingeräumt im Sommer 2014 einen russischen Inlandsreisepass erhalten zu haben. Besitzen Sie nun die ukrainische Staatsbürgerschaft oder die russische Staatsbürgerschaft oder beide Staatsbürgerschaften und warum haben Sie nicht schon bei Ersteinvernahme vollständig darüber berichtet?

BF1: Ich glaube, dass die Ersteinvernahme im Lager in St. Georgen stattgefunden hat. Damals hat uns der D gesagt, dass das ein kurze Einvernahme sein wird, dass man uns nur nach der Reiseroute befragen wird und dass man uns zu unseren Fluchtgründen erst später befragen wird.

R: Sie wurden zu Ihrer Staatsbürgerschaft einvernommen?

BF: Wir haben die Pässe vorgelegt, die wir damals besessen haben. Damals hatten wir nur ukrainische Reisepässe. Die russischen Pässe haben wir zuhause gelassen, weil wir Angst hatten, sie mitzunehmen.

R: Meine Frage war eine andere. Wurden Sie bei der Ersteinvernahme gefragt, welche Staatsbürgerschaft Sie haben?

BF: Ja. Ich habe gesagt, dass ich ein Ukrainer bin, weil ich den ukrainischen Pass mithatte.

R: Warum haben Sie nicht damals schon gesagt, dass Sie Doppelstaatsbürger sind?

BF: Ich hatte Angst und wusste nicht, was ich tun soll.

RI: Wovor hatten Sie Angst?

BF: Ich kannte mich nicht aus, wusste nicht, was ich in der Situation machen soll und stand unter starker innerlicher Anspannung. Ich hatte Angst, dass man mich abschieben wird.

R: Meine Frage war: Warum sollten Sie in Österreich Angst haben, über eine Doppelstaatsbürgerschaft zu berichten? Sie sind hier um Schutz zu suchen.

BF: Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, warum das passiert ist. Man hat mir damals gesagt, dass noch eine umfangreiche Einvernahme stattfinden wird und ich dort alles sagen kann.

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volksgruppe- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

BF1: Ich bin eine russischsprachige Person.

RI: Gehören Sie einer Religionsgemeinschaft an? Und wenn ja, welcher?

BF1: Ja, ich bin Zeuge Jehovas.

RI: Seit wann sind Sie Zeuge Jehovas?

BF1: 1996 wurde ich getauft. Das war am 30. November.

RI: Haben Sie Dokumente oder Unterlagen aus der Ukraine, welche Ihre Identität beweisen?

BF1: Ich habe den russischen Inlandspass.

RI: Haben Sie andere ukrainische Dokumente?

BF1: Alles was ich hatte, habe ich beim BFA abgegeben. Inlandspass und Auslandspass habe ich alles schon abgegeben.

BF1 legt im Original den russischen Inlandspass vor.

RI: Woher haben Sie den? Ich dachte, der Pass ist in der Ukraine zurückgeblieben?

BF1: Der Pass wurde uns später von den Eltern geschickt.

RI: Wann war das ca.?

BF1: Das war vor ca. 2 Jahren, ungefähr.

RI: Vor 2 Jahren?

BF1: Ja.

RI: Warum haben Sie ihn nicht nachgereicht?

BF1: Wir haben Sie kopieren lassen und die Kopien an das BFA übermittelt.

RI: Haben Sie sonst noch Dokumente, welche Sie im bisherigen Verfahren nicht vorgelegt haben?

BF1: Nein.

RI: Bitte schildern Sie Ihren Lebenslauf. Welche Schulausbildung haben Sie abgeschlossen? Welchen Beruf haben Sie gelernt und welchen Beruf haben Sie ausgeübt?

BF1: Ich habe 10 Klassen Grundschule abgeschlossen. Das war 1988. Dann habe ich ein Jahr in einem Lehrbetrieb gelernt, das war ein Lehrbetrieb für Lebensmittelindustrie bzw. -Technologie. Ich war in der Fleischverarbeitung tätig. Ich habe nur kurzgearbeitet - ca. ein Jahr lang. Dann wurde ich in die Armee einberufen. Nach der Armee habe ich wieder bei dem fleischverarbeitenden Betrieb gearbeitet, aber da wurden die Leute in dem Betrieb gekündigt - unter anderem auch ich. Ich habe dann eine andere Arbeit gefunden. Ich habe dann die Wagons kontrolliert. Die Zugwaggons.

RI: Waren Sie Kontrolleur?

BF1: Ich wäre für den Technische Kontrolle zuständig. Und dann, Ende 2007 habe ich gekündigt und wir sind auf die Krim übersiedelt. Dort habe ich als Fräser gearbeitet - aber nur kurz. Dann habe ich Wohnung renoviert, ich habe auch als Hausmeister in einem Hotel gearbeitet, als Taxifahrer. Solche Jobs habe ich in meinem Leben verrichtet.

RI: Von wann bis wann waren Sie in der Armee - wann haben Sie in dem Fleischbetrieb begonnen? Ich brauche eine ungefähre zeitliche Einteilung.

BF1: Wann ich gearbeitet habe? 1990 ging ich in die Armee. 19992 bin ich dann zurück vom Armeedienst. Bis zum Jahr 1993 habe ich dann in dem Fleischbetrieb gearbeitet. Aber ich habe inzwischen auch Gelegenheitsjobs angenommen. 1997 habe ich mit der Arbeit im Betrieb begonnen. Ich habe dort als technischer Kontrolleur für die Waggons gearbeitet. Aber ich habe auch immer wieder für verschiedene Firmen gearbeitet.

R: Sie haben angegeben, dass sie als Installateur auf der Krim gearbeitet haben. Wann und wo war das?

BF1: Das war nicht lang - das war vor der Abreise. Ein halbes Jahr oder so. In meinem Leben war es bis jetzt immer so, dass ich dort gearbeitet habe, wo es eine Möglichkeit gegeben hat, Geld zu verdienen.

RI: Wie hieß die Firma, wo sie gearbeitet haben?

BF1: Ich kann mich an den Namen nicht mehr erinnern, aber wir waren für ein Netz an Supermärkten zuständig. Für die technische Betreuung. Manchmal habe ich auch 3 Arbeiten parallel verrichtet. In der Nacht habe ich zum Beispiel als Wachtmann in einem Sanatorium gearbeitet und tagsüber als Taxifahrer. Ich glaube, dass in Österreich ein Sanatorium mit Psychischen Erkrankungen in Verbindung gebracht wird. Bei uns ist das Sanatorium für Erholung.

RI: Sie haben vorhin angegebene, dass Sie zwischen 1990 und 1992 ihren Militärdienst abgeleistet haben - waren Sie damals schon Zeuge Jehovas?

BF1: Nein.

RI: Welche Religion hatten Sie damals?

BF1: Ich war kein Mitglied einer Religion?

RI: Waren Sie Atheist?

BF1: Ich hatte gleichen Zugang zu allen Religionen. Meine Eltern haben mich als Kind taufen lassen. (Orthodox)

RI: Haben Sie sich außer an dem von Ihnen angegebenen, letzten Wohnort in der Ukraine auch an einem anderen Wohnort längere Zeit aufgehalten?

BF1: Sie meinen auf der Krim?

RI: In der Ukraine.

BF1: Als wir geheiratet haben, hatten wir ein Zimmer in einer kommunalen Wohnung.

RI: Wo war das?

BF1: XXXX . Dann haben wir dieses Zimmer verkauft und sind in eine Einzimmer-Wohnung gezogen.

RI: Wo war diese Wohnung, in welcher Stadt?

BF1: Die Wohnung war in XXXX , dort haben wir gelebt.

RI: Sie haben vorhin gemeint, dass Sie 1996 Zeuge Jehovas geworden sind. Sie haben auch erwähnt, dass Sie davor, was Religion betroffen hat, allen Religionen gegenüber offen waren. Was hat Sie genau dazu bewogen, Zeuge Jehovas zu werden?

BF1: Zu mir nach Hause ist ein Zeuge Jehova gekommen. Er hat mir vorgeschlagen, gemeinsam die Bibel kennenzulernen. Er hat mir nicht vorgeschlagen, Zeuge Jehovas zu werden, nur die Bibel besser kennenzulernen. Ich hatte damals einen großen Wunsch verspürt zu erfahren, was in der Bibel wirklich steht.

RI: Wie lange hat der Prozess gedauert, bis Sie Zeuge Jehovas geworden sind?

BF1: Es war bei mir so, dass ich immer wieder intensiver mit der Bibel beschäftigt habe. Dann habe ich das Thema wieder ruhen lassen. Es war also periodisch. 1995 habe ich begonnen, die Bibel ernster zu studieren und dann 1996 habe ich mich taufen lassen.

RI: Welche Verwandten von Ihnen leben zur Zeit in der Ukraine und in welcher Stadt?

BF1: Meine Eltern leben in XXXX an der XXXX . Mein leiblicher Bruder lebte auch in XXXX . Aber in letzter Zeit lebte er in Polen - er arbeitet dort, seit ca. zwei Jahren.

RI: Sind das alle Verwandte von Ihnen, die in der Ukraine leben?

BF1: Die Tante mütterlicherseits lebt auch dort. Meine Mutter hatte 3 leibliche Schwestern. Eine ist schon verstorben, zwei sind noch am Leben. Eine lebt in XXXX , die andere in XXXX . Ich habe auch Cousins und Cousinen - Kinder der Tante, die verstorben ist. Das sind zwei Cousinen und zwei Cousins. Ich weiß aber nicht wo sie leben, weil ich nur kurz mit ihnen in Kontakt stand.

RI: Welche dieser Verwandten sind ebenfalls Zeugen Jehovas?

BF1: Meine Mutter und meine Tante, die in XXXX wohnt, und meine Frau.

RI: Haben diese Verwandten, die ebenfalls Zeugen Jehovas sind, Probleme mit den Behörden aufgrund ihres Glaubens?

BF1: Nein. Derzeit nicht. Aber dort wo wir gelebt haben, hatten wir Probleme.

RI: Haben Sie noch Kontakt zu Ihren in der Ukraine lebenden Verwandten? Und wenn ja, wie oft?

BF1: Wir stehen vor allem in telefonischem Kontakt mit der Mutter, mit den Eltern. Mit anderen Verwandten stehe ich nicht in Kontakt.

RI: Wie kommunizieren Sie mit Ihren in der Ukraine lebenden Verwandten - mit Ihren Eltern?

BF1: Telefon, WhatsApp und Viber.

RI: Wovon leben Ihrer Eltern im Herkunftsstaat?

BF1: Sie bekommen Pension.

RI: Wovon lebt Ihr Bruder in Polen?

BF1: Er arbeitet dort.

RI: Als was?

BF1: Im Bauwesen.

RI: Haben Sie im Herkunftsstaat zuletzt in einer Wohnung oder einem Haus gelebt? War das zur Miete oder stand die Unterkunft in Ihrem Eigentum?

BF1: Meinen Sie in XXXX , oder in XXXX ?

RI: Wo Sie zuletzt gelebt haben.

BF1: Wir hatten dort eine Einzimmerwohnung mit 30m2. Nachgefragt: Das war unsere Wohnung, also zum Eigentum.

RI: Was ist mit der Wohnung inzwischen geschehen? Steht sie leer oder ist sie an jemanden vermietet?

BF1: Derzeit steht sie leer.

RI: Welche Verwandten Ihrer Frau leben im Herkunftsstaat?

BF1: Ihre Eltern, Bruder und Cousins und Cousinen.

RI: Welche dieser Verwandten sind Zeugen Jehovas?

BF1: Die Eltern meiner Frau sind vor kurzem Zeugen Jehovas geworden.

RI: Wo leben diese?

BF1: In XXXX . Und ihr Bruder lebt in XXXX .

RI: Hatten Eltern Ihrer Frau Probleme mit den Behörden aufgrund ihres Glaubens?

BF1: Derzeit nicht.

RI: Haben Sie oder Ihre Frau Kontakt zu den in der Ukraine lebenden Verwandten Ihrer Frau? Wenn ja, wie oft?

BF1: Meine Frau hat vorwiegend Kontakt zu ihren Verwandten, aber ich manchmal auch. Eigentlich fast jeden, oder jeden zweiten Tag.

RI: Hat Ihre Frau auch Verwandte, die außerhalb der Ukraine leben und haben Sie oder Ihre Frau Kontakt zu diesen?

BF1: Nein, solche Verwandten hat sie nicht.

RI: Wann haben Sie Ihre Frau geheiratet?

BF1: Am 7. März 1997.

RI: Seit wann ist ihre Frau Zeugin Jehovas?

BF1: Sie ist vor mir Zeugin Jehovas geworden. Am 20. November 1994, das ist der Tag an dem sie getauft wurde.

RI: Haben Sie Ihre Frau bei den Zeugen Jehovas kennengelernt?

BF1: Ja, wir haben uns bei einem Kongress kennengelernt.

RI: Wann sind Sie in Österreich eingereist?

BF1: Am 30. Juni 2015. An dem Tag haben wir die Grenze überschritten und haben das Österreichische Territorium betreten.

RI: Sind Sie oder Mitglieder Ihrer Familie - die in Österreich ist - seit Ihrer Ausreise aus der Ukraine wieder einmal in Ukraine gewesen, sei auf Besuch oder auf Urlaub?

BF1: Nein. Das ist ausgeschlossen.

RI: Schildern Sie bitte Ihre Fluchtgründe? Ich ersuche Sie mir ein möglichst klares und stimmiges Bild des Geschehenen zu vermitteln.

BF1: 2014 begannen auf der Krim Kriegsverhandlungen. Die russische Obrigkeit hat das russische Territorium auf der Krim besetzt. Das war im Februar. Viele von uns - ich meine vielen Familienmitglieder - hatten Angst, dass es zu einem schlimmen Konflikt kommen wird. Dass es schlimmer sein wird. Nach den Ereignissen dort haben die russischen Behörden auf dem ukrainischen Territorium zu funktionieren begonnen.

RI: Was meinen Sie mit "zu funktionieren begonnen"?

BF1: Ich meine, dass die Behörden und andere Einrichtungen wie Banken und Krankenhäuser in der russischen Hand waren. Wir mussten russische Pässe erhalten, weil alles schon in der russischen Hand war. Auch die Gehälter wurden durch russische Banken ausbezahlt. Auch die Kreditkarten wurden umgetauscht. Wir konnten uns nicht an ein Krankenhaus wenden, solange wir keine russischen Pässe hatten.

RI: Was geschah weiter?

BF1: Wir sind ja Zeugen Jehovas. Wir standen als Zeugen Jehovas untergroßen Druck. Es hat eine starke Propaganda gegen Zeugen Jehovas gegeben. Manche von unseren Schriftstücken ungehörten laut Behörden zur extremistische Literatur und waren auch auf deren Liste für extremistische Literatur. Wir hatten auch keinen Schutz seitens der Obrigkeit. Wenn sich jemand zum Beispiel uns gegenüber verhalten hat. Es hat auch Hausdurchsuchungen in unseren Königreichssälen gegeben. Man hat uns die Literatur unterschoben und dann wurden die Beschuldigungen erhoben.

RI: Welche Literatur wurde unterschoben?

BF1: Die Literatur, welche für die Obrigkeit eine Extremistische Literatur war. Die Behörden haben behauptet, dass wir uns in diesen Schriftstücken über andere Religionen erheben.

RI: Waren das Schriftstücke der Zeugen Jehovas, die als extremistisch verstanden wurden, oder wurden Ihnen Schriftstücke untergeschoben, so wie sie es gesagt haben?

BF1: Die Literatur der Zeugen Jehovas, die die Behörden als extremistisch eingestuft haben, wurde uns unterschoben.

RI: Was meinen Sie mit unterschoben?

BF1: Das war die Vorgangsweise der Behörden, um Beschuldigungen zu erheben

RI: Man hat also bei mancher Literatur der Zeugen Jehovas unterstellt, Extremistisch zu sein?

BF1: Ja. Manche befinden sich auch auf der Föderalen Liste, der extremistischen Literatur.

RI: Diese Schriftstücke wurden genommen, um Hausdurchsuchungen zu veranlassen?

BF1: Nein. Die Polizei ist für die Durchsuchungen gekommen und die haben es uns unterschoben und gesagt "Schaut, solche Schriftstücke haben wir gefunden!". Manche Polizisten haben uns auch gesagt, dass man unsere Säle bald schließen wird und wir bald ins Gefängnis wandern. Aber das war nicht offiziell, man wusste es.

RI: Was sind Ihre konkreten Fluchtgründe - was ist Ihnen Konkret passiert?

BF1: Ich war bei der Versammlung, als einer der Ältesten und habe deswegen verstanden, dass wenn die Polizei wiederkommt, ich einer der ersten sein werde, den man verhaftet. Wenn ich alleine wäre, wäre das vielleicht anders gewesen, aber ich habe eine Familie. Meine Frau ist seit 2006 krank. Sie hat eine depressive Störung und leidet unter Panikattacken. Als wir noch kein Kind hatten, habe ich gesehen, wie sehr sie unter diesen Umständen leidet. Sie war eigentlich bettlägerig und ist kaum aufgestanden. Deswegen haben wir entschieden, dass wir das Territorium der Krim verlassen und ausreisen müssen. Am 25. Juni haben wir mit dem Auto das Territorium der Krim verlassen und sind nach XXXX gefahren. Dort haben wir 4 Tage verbracht. Am 29. sind wir mit dem Zug nach Kiew gefahren und sind am 30. mit dem Flugzeug nach Österreich gekommen.

RI: Erzählen Sie mir bitte konkret von Vorfällen, die Sie und Ihre Familie betroffen haben und Sie zu ihrer Flucht bewogen haben.

BF1: Im Mai 2015 hat ein aggressiver Mann aggressive Handlungen auf meine Frau geäußert.

RI: Welche waren das?

BF1: Sie hat auf der Straße gepredigt und ein Mann, der dort stand, ist auf einmal wütend geworden. Er hat dann einen Tisch genommen und hat den Tisch geworfen. Meine Frau konnte noch zurücktreten und so ist der Tisch an ihr vorbeigeflogen.

RI: Ist ihre Frau verletzt worden?

BF1: Nein, aber das war in unmittelbarer Nähe. Sie hat sich an die Polizei gewandt, aber die wollten sie nicht schützen.

RI: Hat die Polizei die Anzeige aufgenommen?

BF1: Nein. Die Polizisten haben gesagt, dass sie von nichts wissen und haben die Anzeige nicht aufgenommen.

RI: Was war der Grund dafür, was hat die Polizei gesagt?

BF1: Ich weiß es nicht, ich weiß jedenfalls, dass man sich geweigert hat, die Anzeige aufzunehmen.

RI: War das der einzige Vorfall, wo Sie oder ihre Familie Ziel einer Aggression gewesen sind?

BF1: Wir wurden ständig mit Drohungen konfrontiert, meine Frau hat zum Beispiel in der Apotheke gearbeitet und die Kunden, die Drogenabhängig waren, haben sie immer wieder bedroht, weil sie ihnen nicht die Präparate verkauft hat, die sie wollten.

RI: Ihre Frau wurde von den Kunden bedroht, weil sie ihnen die Medikamente nicht gegeben hat, und nicht wegen den Zeugen Jehovas?

BF1: Ja. Aber wir hatten Angst.

RI: Hat es abgesehen von dem geschilderten Vorfall andere Ereignisse gegeben, bei denen Sie oder Ihre Frau unmittelbar Ziel von Bedrohungen, Aggression oder Übergriffen geworden sind aufgrund ihrer Eigenschaft als Zeuge Jehovas?

BF1: Außer diesem Vorfall wurde ich verbal bedroht.

RI: Von wem und wann?

BF1: Ich kann es nicht konkret sagen. Es waren verschiedene Leute, die gegen uns - die Zeugen Jehovas - gewesen sind?

RI: Sie müssen mir da mehr sagen - war das beim Predigen, oder am weg in den Königreichssaal?

BF1: Das war, als ich auf der Straße Missioniert habe?

RI: Gibt es einen Vorfall, an den Sie sich konkret erinnern?

BF1: Getan hat man mir nichts, aber man hat mich verbal bedroht.

RI: Womit hat man Ihnen gedroht?

BF1: Man hat mir gedroht, dass man mich schlagen wird.

RI: Ist es auch zu körperlichen Übergriffen gekommen?

BF1: Nein, ich persönlich nicht.

RI: Ist das einmal, oder mehrmals passiert?

BF1: Das war in den letzten Monaten vor meiner Ausreise so.

RI: Waren Sie deswegen auch bei der Polizei?

BF1: Nein, ich habe mich nicht an die Polizei gewandt, weil ich verstanden habe, dass es nichts bringen wird und man mir nicht hilft.

RI: Gab es eine spezielle Situation, die für Sie der fluchtauslösende Grund war?

BF1: Das was meiner Frau passiert ist, war der Grund, dass was ich gerade beschrieben habe.

RI: Wie viel Zeit lag zwischen dem Vorfall mit Ihrer Frau und der eigentlichen Ausreise?

BF1: Ca. 1.5 Monate ca. Im Mai war das - ca. am 8. oder 10.

RI: Wann haben Sie das erste Mal mit dem Gedanken gespielt von der Krim zu fliehen?

BF1: Wir haben schon darüber nachgedacht, als die russischen Behörden das Land übernommen haben. Also 2014, im Februar oder im März.

RI: VORHALTUNG: Sie haben im Rahmen Ihrer BFA-Befragung am 10.08.2017 angegeben, dass Sie bereits im Feb 2014 das erste Mal daran gedacht hätten Ihren Herkunftsstaat zu verlassen, Gleiches haben Sie auch heute angegeben. Tatsächlich seien Sie erst am 25.06.2015 geflohen. Warum haben Sie sich so viel Zeit mit der Flucht gelassen?

BF1: Weil es nicht so einfach war. Wir haben Visa und andere Dokumente erledigen müssen. Alleine um eine Visa zu bekommen, haben wir eine längere Zeit gebraucht.

RI: Wir sprechen von einer Zeit von 1,5 Jahren.

BF1: Ja.

RI: Sind Sie bereits vor der Besetzung der Krim durch russische Truppen Anfang 2014 in Ihrer Religionsausübung beschränkt worden bzw. bedroht worden oder konnten Sie bis dahin ihrer Religionsausübung unbeeinträchtigt nachgehen?

BF1: Vorher hat es keine Drohungen gegeben.

RI: VORHALTUNG: Sie haben bei Ihrer BFA-Einvernahme auf Seite 7 des BFA-Prot. angegeben, dass ihre Verwandten Valentina XXXX , welche ebenfalls Zeugen Jehovas seien, auf dem Territorium der Ukraine als Zeugen Jehovas nichts zu befürchten hätten. Sie selbst haben angegeben, dass Sie die Krim verlassen haben wegen der Verfolgung als Zeuge Jehovas. Warum sind Sie also nicht in anderen Teil der Ukraine gegangen, wo Sie und Ihrer Familie als Zeugen Jehovas auch nichts zu befürchten gehabt hätten?

BF1: Wir waren Krimbewohner. Deswegen hat man uns als Verräter auf dem ukrainischen Territorium angesehen. Die ukrainische Bevölkerung hat uns keine Möglichkeit gewährt. Wir haben einige Leute gekannt, die von Donezk oder Krim in die Ukraine übersiedelt sind. Sie wollten dort eine Wohnung oder eine Arbeit finden. Aber wenn man gesehen hat, dass sie das letzte Mal auf dem Territorium von der Krim oder Donezk gelebt haben, dann hat man es ihnen verweigert. Wir haben auch er fahre, dass auf dem ukrainischen Territorium die Doppelstaatsbürgerschaft verboten ist.

RI: Aber Sie sind doch über Kiew ausgereist, also war es problemlos möglich, dort hin zu kommen. Warum sind Sie nicht in Kiew geblieben?

BF1: Wir sind nur nach Kiew zu kommen, um nach Österreich weiterzufliegen. Das war eine "Touristenreise". In Österreich haben wir dann die Entscheidung getroffen, dass wir hier um Asyl ansuchen werden. Wir hatten zuerst Zweifel, aber dann haben wir erfahren, dass die Doppelstaatsbürgerschaft verboten ist und wir Probleme bekommen können.

RI: Wo waren Sie zu dem Zeitpunkt, als sie das erfahren haben?

BF1: Wir waren in Österreich - ich habe einen Freund angerufen, der sich mit Gesetzen auskennt und ich habe von ihm erfahren, dass die Doppelstaatsbürgerschaft verboten ist.

RI: Wenn die Doppelstaatsbürgerschaft verboten ist, hätten Sie auf dem ukrainischen Territorium die Russische Staatsbürgerschaft zurückgeben können. Warum haben Sie das nicht gemacht?

BF1: Wir haben auf der Krim gewohnt, hatten dort eine Wohnung und haben verstanden, dass man uns in der Ukraine sowieso als Verräter behandeln und ansehen wird. Zu dem Zeitpunkt hat es einen starken Nationalismus dort gegeben. Vor allem gegen die Leute, die auf dem Krim-Territorium oder in Donezk gewohnt haben.

RI: VORHALTUNG: Sie haben bei Ihrer BFA-Einvernahme auf Seite 8 des BFA-Protokolls auf Nachfrage zugegeben, die ukrainische Staatsbürgerschaft nie zurückgelegt zu haben. Gleichzeitig haben Sie vor dem BFA mehrfach angegeben, die ukrainische Staatsbürgerschaft jederzeit zurücklegen zu wollen. Wenn Zeugen Jehovas, wie Sie auf Seite 7 des BFA-Protokolls angegeben haben, in der Ukraine nichts zu befürchten hätten und Verwandte von Ihnen, welche Zeugen Jehovas seien, dort unbehelligt leben würden, welche Motivation sollten Sie als Zeuge Jehovas, welcher sich durch russische Besatzer in seiner Religionsausübung verfolgt fühlt, dann haben gerade die ukrainische Staatsbürgerschaft zurückzulegen, welche Ihnen und Ihrer Familie ein unbehelligtes Leben als Zeugen Jehovas in einem anderen Teil der Ukraine ermöglichen würde. Können Sie mir diese Logik erklären?

BF1: Ich habe Sie verstanden. Es geht darum, dass wir - als wir in die Ukraine gekommen sind - haben wir gespürt, dass die Ukrainer uns gegenüber nicht wohlgesonnen sind. Wenn die Leute gesehen haben, dass wir Krimbewohner sind, haben sie uns als Verräter betrachtet. Die ukrainische Regierung hat uns keine Unterstützung gewährleistet. Man hat uns keine Wohnung und auch sonst keine Hilfe angeboten. Wir wurden dort mit starkem Nationalismus konfrontiert. Wir wurden zu Geiseln der dortigen geopolitischen Situation. Auf der einen Seite haben uns die Russen verfolgt, andererseits wurden wir auch von den Ukrainern als Krimbwohner verfolgt.

RI: Hat es in den 4 Tagen in XXXX Verfolgungshandlung Ihnen gegenüber gegeben, in der Zeit, in der sie dort waren?

BF1: Nein, wir haben uns nicht verfolgt gefühlt.

RI: Wenn Sie sagen, sie hätten keine Hilfe in den 4 Tagen in XXXX bekommen - haben Sie schon im Vorhinein über Unterstützung angesucht?

BF1: Wir haben die Situation dort beobachtet, wir selbst haben uns nicht an die ukrainische Regierung gewandt, aber wir haben gewusst, wie die anderen Leute behandelt werden. Wenn die ukrainische Regierung Leuten wie uns hätte helfen wollen, hätte die Regierung irgendwelche Programme entwickelt, um Leuten wie uns zu helfen.

RI: Waren Sie oder Ihre Frau jemals politisch tätig auf der Krim?

BF1: Nein, wir waren nicht politisch tätig.

RI: Sind Sie seit Ihrer Ausreise aus der Ukraine politisch tätig gewesen?

BF1: Nein.

RI: Gibt es noch andere Fluchtgründe als die von Ihnen Geschilderten Fluchtgründe?

BF1: Sie meinen, die anderen Gründe, warum wir nach Österreich gekommen sind?

RI erklärt die Frage

BF1: Wir sind aus dem geschilderten Grund gekommen.

RI. Haben Ihre Frau und Ihr Kinder einen eigenen Fluchtgrund bzw. einen anderen Fluchtgrund als den von Ihnen geschilderten?

BF1: Meine Frau und mein Kind. Meine Frau hatte einen Vorfall gehabt, den ich heute geschildet habe. Sonst nichts.

RI: Hatten Sie sonst - abgesehen von den Problemen, die Sie heute geschildert haben - in der Ukraine sonst jemals Probleme aufgrund Ihrer Rasse, Rel

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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