TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/22 W279 2212724-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.03.2019
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Entscheidungsdatum

22.03.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55

Spruch

W279 2212724-1/8E

W279 2212717-1/6E

W279 2212721-1/6E

W279 2212722-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX 199 XXXX , StA. Ukraine, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 12.2018, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2, und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX 199 XXXX , StA. Ukraine, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 12.2018, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2, und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

3. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX .201 XXXX , StA. Ukraine, gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .12.2018, Zl. XXXX zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2, und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

4. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX 201 XXXX , StA. Ukraine, gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .12.2018, Zl. XXXX zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2, und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer sind Lebenspartner mit zwei minderjährigen Kindern und ist deren Vorbringen untrennbar miteinander verknüpft bzw. die Beschwerdeführer beziehen sich auf dieselben Verfolgungsgründe, weshalb die Entscheidung gemeinsam abzuhandeln war. Die Beschwerdeführer werden in der Folge als die BF bezeichnet.

Die BF sind Staatsangehörige der Ukraine und reisten am XXXX 09.2018 illegal in das Bundesgebiet ein, wo sie am XXXX 09.2018 Anträge auf internationalen Schutz stellten.

Am selben Tag wurde die BF vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich erstbefragt. Dabei gab der 1.-BF zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, dass sein Sohn eine österreichische Geburtsurkunde benötige, um in der Ukraine einen Kindergarten oder eine Schule zu besuchen oder dort im Alter von 16 Jahren einen Inlandspass zu bekommen, um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Bei einer Rückkehr in die Heimat habe er keine Befürchtungen. Die 2.-BF brachte ebenfalls vor, dass sie in der Ukraine keine Arbeit finde und ihr Sohn keine Betreuung erhalte. Mit seiner deutschen Geburtsurkunde habe ihr Sohn keinen Zugang zu sozialen oder gesundheitlichen Leistungen.

Am XXXX .12.2018 wurden die BF im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin für die ukrainische Sprache niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu ihrem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Der 1.-BF gab dabei an, dass er im bisherigen Verfahren die Wahrheit angegeben habe und es ihm gesundheitlich gut gehe.

Zu seinen Lebensumständen im Herkunftsstaat befragt, gab der 1.-BF zu Protokoll, dass er im Herkunftsland keine Strafrechtsdelikte begangen habe und er nie inhaftiert worden oder jemals gegen ihn ein Strafverfahren geführt worden sei. Die Fragen, ob er im Heimatstaat Probleme mit den Behörden und aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder Religion gehabt habe, wurden vom 1.-BF verneint. Er sei auch nicht politisch aktiv gewesen. Seine Eltern würden in der Ukraine ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf von Sperrmüll bestreiten und keine staatliche Unterstützung erhalten. Der 1.-BF habe im Herkunftsstaat ebenfalls Geld durch den Verkauf von Sperrmüll verdient und stehe mit seinen Eltern über einen gemeinsamen Freund in telefonischem Kontakt.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, erklärte der 1.-BF, dass er in einer Kantine arbeite und seinen Lebensunterhalt von der Grundversorgung bestreite. Er sei kein Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation und habe in Österreich keine familiären Anknüpfungspunkte oder Personen, zu denen ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis bestehe. Der 1.-BF sei am XXXX .09.2018 in Österreich eingereist, wisse jedoch seinen genauen Ausreisezeitpunkt aus der Ukraine nicht.

Auf Vorhalt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag abzuweisen, da aus den von ihm behaupteten Gründen weder ein Asylstatus noch eine subsidiäre Schutzberechtigung herzuleiten sei und jenes Vorbringen zudem nicht dazu geeignet sei, eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der GFK glaubhaft zu machen, entgegnete der 1.-BF, dass er die Ukraine nicht aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe. Befragt, weshalb er eine österreichische Geburtsurkunde benötige, erwiderte der 1.-BF, dass sie gedacht hätten, von Österreich nach Deutschland geschickt zu werden, da sie eine Absage bekommen hätten. Am XXXX .12.2016 seien die BF in den Heimatstaat zurückgekehrt. Weiters habe der 1.-BF den Heimatstaat verlassen, da zurzeit alle aufgrund des Krieges zur Armee einberufen werden würden und er selbst keinen Wehrdienst absolviert habe. Via "Facebook" habe er gesehen, dass das Militär ukrainische Männer rekrutieren würde. Bei einer Rückkehr befürchte er die Einberufung zum Bundesheer. Der 1.-BF verzichtete auf die Möglichkeit, zu den Länderfeststellungen zur Ukraine eine Stellungnahme abzugeben.

Die 2.-BF führte im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme aus, dass ihre Kinder keine eigenen Fluchtgründe hätten. Sie habe im bisherigen Verfahren der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht und leide unter hohem Blutdruck und Druck im Kopf. Bis zum dritten Lebensjahr habe sie unter Kopfschmerzen gelitten, danach hätten sie erst wieder vor zwei Jahren begonnen. Bezüglich des Gesundheitszustandes ihrer Kinder gab sie zu Protokoll, dass ihre Tochter untergewichtig und ihr Sohn ständig verkühlt sei. Die 2.-BF habe niemals einen anderen Namen geführt, im Herkunftsland oder in Österreich Strafrechtdelikte begangen und sei nie inhaftiert worden. Befragt, ob sie im Herkunftsland aufgrund ihrer Volksgruppen-oder Religionszugehörigkeit Probleme gehabt habe, erklärte die 2.-BF, dass sie als Roma ständig benachteiligt worden seien und keine Arbeitsplätze bekommen hätten. Bereits in der Schule sei sie gehänselt und geschlagen worden. Die 2.-BF habe über das Internet erfahren, dass ukrainische Männer vor Kurzem Roma mit einem Messer abgestochen hätten. In weiterer Folge hätten die Täter der Mutter der Opfer Bußgeld angeboten, das diese jedoch abgelehnt habe. Sie selbst habe jedoch keine Probleme mit den Behörden im Herkunftsstaat gehabt und sei nicht politisch aktiv gewesen. Im Heimatstaat würden nach wie vor ihre Eltern, ihre Brüder und eine Schwester leben. Sie hätten jedoch Tag über das Handy Kontakt und ihr Vater bestreite seinen Lebensunterhalt in der Ukraine mithilfe eines Hilfsfonds, ihre Mutter erhalte Kindergeld. Weiters sei in Kiew ein Onkel mütterlicherseits aufhältig, mit dem sie jedoch keinen Kontakt habe. Zudem habe sie im Herkunftsstaat den Cousin ihrer Mutter, der als Politiker tätig sei. Die 2.-BF verdiene einen Teil ihres Lebensunterhaltes durch das Kindergeld, welches sie für ihre Tochter erhalte. Für ihren Sohn bekomme sie aufgrund seiner deutschen Geburtsurkunde jedoch keine finanziellen Mittel.

Zu den Lebensumständen in Österreich befragt, erklärte die 2.-BF, ihren Lebensunterhalt von der Grundversorgung zu bekommen. Sie sei in Österreich kein Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation und habe keine familiären Anknüpfungspunkte oder eine Person, zu der ein finanzielles oder sonstiges Abhängigkeitsverhältnis bestehe.

Auf Vorhalt, dass beabsichtigt sei, ihren Antrag abzuweisen, da aus den von ihr behaupteten Gründen weder ein Asylstatus noch eine subsidiäre Schutzberechtigung herzuleiten sei und jenes Vorbringen zudem nicht dazu geeignet sei, eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der GFK glaubhaft zu machen, entgegnete die 2.-BF, dass sie hoffe, für ihren Sohn normale Dokumente zu erhalten. Bei einer Rückkehr in den Heimatstaat befürchte sie, dass ihre Tochter aufgrund des Geldmangels der Familie auch weiterhin nicht zunehme. Sie würde ein Dokument für die Beantragung von Kindergeld benötigen, aber die Geburtsurkunde ihres Sohnes werde nicht anerkannt. Da ihr Kind in der Ukraine nicht registriert sei, könne sie auch keinen ukrainischen Reisepass mitsamt der Geburtsurkunde vorlegen. Befragt, ob sie die Ukraine aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe, erwiderte die 2.-BF, dass die Diskriminierungen gegen Roma ein weiterer Grund für das Verlassen des Herkunftsstaates gewesen seien. Sie habe eine Ausbildung als Visagistin beginnen wollen, was ihr jedoch versagt worden sei, da sie gesellschaftlich ständig ausgeschlossen worden sei. Die 2.-BF verzichtete auf die Möglichkeit, eine Stellungnahme zu den Länderfeststellungen zur Lage in der Ukraine abzugeben.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden von der 2.-BF folgende Unterlagen in Vorlage gebracht:

- Klientenkarte vom XXXX .11.2018

- Überweisung an die Neurologie aufgrund der Diagnose Cephalea (Kopfschmerzen)

- Befund/Gutachten des Bayrischen Landesamt für Gesundheit vom 18.01.2016 mit dem Untersuchungsergebnis, dass eine Infektion mit Mycobacterium tuberculosis wahrscheinlich sei.

- Befund einer Notfall-Ambulanz vom XXXX .02.2016 mit der Diagnose: latente Tuberkulose Infektion, Kind klinisch unauffällig, Therapie/Empfehlungen: drei Monaten Vorstellung zur Kontrolluntersuchung.

- Beschluss eines bayrischen Amtsgerichtes, wonach ein bayrisches Kreisjugendamt gesetzlicher Amtsvormund für den minderjährigen 3.-BF sei.

2. Mit den im Spruch angeführten Bescheiden vom XXXX .12.2018 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der BF auf internationalen Schutz vom XXXX .09.2018 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte I.) und die Anträge gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkte II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkte III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die BF jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkte IV.) und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der BF in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkte V.). Beschwerden gegen diese Entscheidung über die Anträge auf internationalen Schutz werde gemäß § 18 Absatz 1 BFA-Verfahrensgesetz die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkte VI). Gemäß § 55 Absatz 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkte VII).

In den Bescheiden wurde im Wesentlichen erwogen, dass die Identität der BF geklärt sei und im Falle der BF nicht festgestellt werden könne, dass schwere psychische Störungen oder schwere ansteckende Krankheiten bestehen würden. Die Angaben der BF würden keine asylrelevante Verfolgung darstellen. Eine konkrete, gegen sie gerichtete Verfolgung durch staatliche Stellen, heimatliche Behörden oder Militär habe nicht festgestellt werden können. Zusammenfassend gelange die erkennende Behörde zu dem Schluss, dass im Fall der BF keine asylrelevante Verfolgung bestehe und dies nach einer Rückkehr nach menschlichem Ermessen auch nicht zu erwarten sei. Beweismittel, die einen gegenteiligen Schluss zulassen würden, hätten die BF nicht in Vorlage gebracht. Eine innerstaatliche Fluchtalternative wäre allein schon aufgrund der Größe und Bevölkerungszahl des Heimatlandes der BF gegeben. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG seien nicht gegeben. Daher sei ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht zu erteilen. Zu ihren familiären Anknüpfungspunkten in Österreich sei zunächst anzuführen, dass es sich im vorliegenden Fall um ein Familienverfahren handle und sich für sämtliche Familienangehörige dieselbe aufenthaltsbeendende Maßnahme ergeben habe. Die BF hätten in Österreich keine weiteren nahen Angehörigen oder Verwandten. Sie hätten aufgrund der Kürze ihres Aufenthalts in Österreich noch keine Kontakte knüpfen können und würden auch nicht Deutsch sprechen. Die BF seien in Österreich nur geringfügig beschäftigt, würden sich in der Grundversorgung befinden und in einer vom Staat zur Verfügung gestellten Unterkunft für Asylwerber wohnen. Die BF würden in Österreich weder eine Schule oder Kurse besuchen und seien auch keine Mitglieder in einem Verein. Da den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde und die Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 1-3 BFA-VG zulässig sei, sei gemäß § 10 Abs. 1 AsylG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

3. Mit für die BF gleichlautendem Schriftsatz vom XXXX .01.2019 wurde gegen oben angeführte Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde im Rahmen des Familienverfahrens eingebracht und ausgeführt, dass die in den angefochtenen Bescheiden getroffenen Länderfeststellungen unvollständig bzw. veraltet seien und sich zur Situation der Volksgruppe der Roma in den gegenständlichen Bescheiden keine Berichte finden würden. Insbesondere würden gegenständliche Bescheide jegliche Feststellungen zu den neuesten Entwicklungen vermissen, obwohl diese der Behörde als notorisch bekannt sein hätten müssen. Die Feststellungen der Behörde würden sohin auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung sowie einer mangelhaften Sachverhaltsermittlung basieren und würden somit § 60 AVG verletzen. Der VwGH verlange in seiner Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit Länderberichten verlange. Aufgrund des mangelhaften Ermittlungsverfahrens und der qualifiziert mangelhaften Beweiswürdigung zur Glaubwürdigkeit des in der Einvernahme Vorgebrachten habe das Bundesamt jedenfalls eine solche ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbingens nicht vorgenommen. Die belangte Behörde bewerte das Fluchtvorbringens des BF als nicht ausreichend, einen verfolgungsrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen. Bei schlüssiger und objektiv nachvollziehbarer Würdigung aller Beweismittel und des gesamten Vorbringens des BF hätte die belangte Behörde jedoch, insbesondere in Verbindung mit Länderberichten zur aktuellen Situation ukrainischer Roma zu dem Schluss kommen müssen, dass das Vorbringen des BF ein asylrelevantes Vorbringen darstelle. Schließlich räume das Bundesamt selbst ein, dass Angehörige der Roma Diskriminierungen und Benachteiligungen ausgesetzt seien, verneine jedoch eine asylrelevante Intensität dieser Benachteiligungen und verabsäume die belangte Behörde vollständig, die getätigten Ausführungen mit entsprechenden Länderberichten zu unterlegen. Die erstinstanzliche Behörde habe gegenständliches Verfahren somit nach mangelhaftem Ermittlungsverfahren zusätzlich mit einer mangelhaften Beweiswürdigung und Begründung belastet. Es wurde auf zahlreiche Berichte bezüglich Einberufung zum Wehrdienst bzw. Diskriminierungen der Roma Minderheit hingewiesen. Dass eine Wehrdienstverweigerung sehr wohl asylrelevant sei, zeige auch die Judikatur im Zusammenhang mit dem Jugoslawienkonflikt, dem Vorgehen der irakischen Armee gegen Kurden und dem Tschetschenienkrieg, auf welche hier verwiesen werde. Dem 1.-BF wäre daher neben dem Grund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Roma auch wegen dessen Wehrdienstverweigerung aufgrund drohender Verfolgung aus dem Konventionsgrund der politischen Gesinnung zu gewähren gewesen. Die dargestellten Verfahrensmängel würden sich somit als entscheidungserheblich erweisen. Selbst wenn man davon ausgehe, dass gegenständlicher Sachverhalt nicht unter die Genfer Flüchtlingskonvention subsumiert werden könne, wäre dem 1.-BF aufgrund der drohenden unmenschlichen Haftbedingungen subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen. Im Falle der Wehrdienstverweigerung würden dem 1.-BF bis zu fünf Jahre Haft drohen. Diesfalls könne aufgrund der Länderberichte keinesfalls ausgeschlossen werden, dass gegenüber dem 1.-BF Folter angewendet würde bzw. dass sich die Haftbedingungen als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen würden. Hinsichtlich der Lage von Angehörigen der Roma- Volksgruppe in der Ukraine sei angesichts oben zitierter Berichte offensichtlich, dass den BF als besonders vulnerable Personengruppe im Falle der Rückkehr eine reale Verletzung der in Art. 2 oder Art. 3 garantierten Rechte drohen würde. Die BF würden sich zwar erst seit kurzer Zeit in Österreich befinden, jedoch müssten gerade das Alter bei Einreise in Hinblick auf die Aufenthaltsdauer besonders gewichtet werden. Die minderjährigen 2.und 3. BF würden sich gerade erst im frühen Kindergartenalter befinden, jedoch würde diesen im Herkunftsland der Besuch des Kindergartens aufgrund oben genannter Diskriminierungen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verwehrt werden. Aus diesem Grund hätte die belangte Behörde zum Schluss kommen müssen, dass in Österreich ein schützenswertes Privatleben gegeben sei. Zusammengefasst fuße die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde auf einer mangelhaften Rechtsanwendung des Bundesamtes und sei rechtswidrig. Insbesondere im Hinblick auf die aktuelle Judikatur des EuGHs sei daher jedenfalls geboten, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Beantragt wurde, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

Den Beschwerden wurden eine Ambulanzkarte sowie ein Arztbrief eines Landesklinikums vom 05.12.2018 die 2.-BF betreffend mit den Diagnosen Abdominalgie (Bauchschmerzen) unklarer Genese sowie Infekt unklarer Genese angeschlossen. Als Therapie wurde eine medikamentöse Therapie sowie eine klinische und Labor angeordnet.

4. Die Beschwerdevorlagen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langten am XXXX .01.2019 mitsamt den bezughabenden Verwaltungsakten beim Bundesverwaltungsgericht ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF, Lebensgefährten und ihre zwei minderjährigen Kinder, sind Staatsangehörige der Ukraine und Angehörige der Volksgruppe der Roma. Ihre Identität steht aufgrund der Vorlage ukrainischer Reisepässe fest. Die BF stellten bereits im Februar 2016 Anträge auf internationalen Schutz in Deutschland, wo auch der 3.-BF geboren wurde, kehrten jedoch in weiterer Folge wieder in die Ukraine zurück. Im September 2018 reisten die BF schlepperunterstützt über Ungarn in das Gebiet der Mitgliedstaaten ein und stellten am XXXX .09.2018 in Österreich gegenständliche Anträge auf internationalen Schutz.

Die BF stammen beide aus der Stadt XXXX , erhielten keine Berufsausbildung und gingen keiner Erwerbstätigkeit nach. Individuelle Verfolgungsgründe machten die BF nicht geltend. Sie verließen ihren Herkunftsstaat aus wirtschaftlichen Gründen.

1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass die BF in der Ukraine aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten bedroht wären. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung der BF in der Ukraine festgestellt werden.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass die BF im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären.

Es ist im Lichte der Länderberichte aus dem bloßen Umstand, einberufen zu werden bzw. einer Einberufung zum Militär nicht Folge zu leisten, keine asylrelevante Verfolgung zu erblicken.

Die BF leiden an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat entgegenstehen würden. Bei der 2.-BF wurde während ihres Aufenthaltes in Deutschland eine latente Tuberkulose-Infektion sowie Cephalea (Kopfschmerz) diagnostiziert. Zudem leidet sie an Abdominalgie (Bauchschmerz) und einem Infekt. In der Ukraine besteht eine ausreichende medizinische Grundversorgung, weswegen die 2.-BF hinsichtlich der diagnostizierten Leiden ausreichend behandelt werden könnte. Die vorgebrachten gesundheitlichen Beschwerden der minderjährigen 3.-und 4.-BF blieben unbelegt.

In der Ukraine leben nach wie vor die Eltern des 1.-BF sowie die Eltern, zwei Brüder und eine Schwester der 2.-BF, mit welchen sie in Kontakt stehen.

Die BF verfügen in Österreich über keine familiären Anknüpfungspunkte. Eine die BF betreffende aufenthaltsbeendende Maßnahme würde keinen ungerechtfertigten Eingriff in deren gemäß Art. 8 EMRK geschützte Rechte auf Privat- und Familienleben darstellen.

1.3. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zur medizinischen Versorgungssituation und zur Lage von Rückkehrern und Binnenflüchtlingen wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 28.11.2018, 30 Tage Kriegsrecht für bestimmte Oblaste verhängt (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Das ukrainische Parlament hat am 26. November dem Antrag von Präsident Poroschenko zugestimmt, in Teilen des Landes für 30 Tage das Kriegsrecht zu verhängen. Betroffen sind die "gegenüber russischer Aggression verwundbarsten Regionen" des Landes (siehe Karte) (RFE/RL 26.11.2018).

(RFE/RL 27.11.2018)

Das Kriegsrecht ermöglicht in den genannten Oblasten eine teilweise Mobilisierung, eine Stärkung der Luftverteidigung sowie eine nicht näher spezifizierte Stärkung des Konterspionage-, Konterterrorismus- und Kontersabotage-Regimes und der Informationssicherheit. Von den 450 Abgeordneten der Obersten Rada (ukrainisches Parlament) stimmten nach hitziger Debatte 276 für und 30 gegen den Antrag. Zuerst hatte Poroschenko die Maßnahme noch für 60 Tage gefordert, das aber später reduziert (RFE/RL 26.11.2018).

Anlass für diesen in der ukrainischen Geschichte beispiellosen Schritt, war ein Vorfall in der Meerenge von Kertsch (der einzigen Zufahrt zum Asowschen Meer) vom vergangenen Wochenende, bei dem die russische Küstenwache Patrouillenboote der ukrainischen Marine erst beschoss, einen Schlepper rammte und die Boote danach festsetzte und insgesamt 23 ukrainische Seeleute inhaftierte. Russland behauptet, die ukrainischen Seefahrzeuge hätten illegal russische Gewässer befahren. Seit die ukrainische Krimhalbinsel von Russland annektiert worden ist, gibt es gehäuft Probleme beim freien Zugang zum Asowschen Meer und damit zum für die ukrainische Wirtschaft so wichtigen Hafen Mariupol. Mittlerweile hat Russland auch eine Brücke über die Meerenge von Kertsch gebaut (RFE/RL 26.11.2018).

Präsident Poroschenko sagte vor der Debatte im Parlament, die Verhängung des Kriegsrechts sei nötig, damit die Ukraine unverzüglich die Verteidigung stärken kann, um im Falle einer Invasion schnell reagieren zu können. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Ukraine offensive Operationen unternehmen wolle; es gehe ausschließlich um den Schutz des Territoriums und die Sicherheit der Bürger. Das Kriegsrecht sieht Dutzende Handlungsoptionen vor, die ergriffen werden können - aber nicht müssen. Diese müssen vor Inkrafttreten von der Regierung festgelegt werden. So gehen die Polizeiaufgaben in Kampfgebieten an die Armee über. Das Militär erhält erweiterte Rechte und ist beispielsweise berechtigt, Ausgangssperren zu verhängen sowie Wohnungsdurchsuchungen und Verkehrs- und Personenkontrollen vorzunehmen. Männer im wehrpflichtigen Alter unterliegen Meldeauflagen. Auch ist es während des Kriegsrechts verboten, Verfassungsänderungen, Parlaments- oder Präsidentenwahlen durchzuführen. Das Kriegsrecht lässt aber keine Folter zu. Bei Rechtsverstößen können nur reguläre Gerichte urteilen. Zusätzlich können weitere Maßnahmen getroffen werden wie Einschränkung der Pressefreiheit, Kontrollen oder Einschränkungen der Kommunikationsmittel usw. Im Gesetz ist festgehalten, dass das Kriegsrecht nach dem festgelegten Zeitraum enden muss. Eine Verlängerung würde dementsprechend einen erneuten Antrag des Präsidenten erfordern. Allerdings kann das Kriegsrecht auch frühzeitig beendet werden. Das derzeit geltende Kriegsrecht gilt für 30 Tage. Es trat am 28. November 2018, 9 Uhr morgens in Kraft und endet am 27. Dezember 2018 (SO 27.11.2018).

Präsidentschaftswahlen in der Ukraine sind für den 21. März 2019 angesetzt und sollen wie geplant stattfinden (RFE/RL 26.11.2018).

Quellen:

- RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (26.11.2018): Ukraine Backs Martial Law After Gunfire At Sea, https://www.rferl.org/a/ukrainian-lawmakers-to-consider-martial-law-proposal-after-russia-opens-fire-on-ships-in-black-sea/29620128.html?ltflags=mailer, Zugriff 28.11.2018

- RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (27.11.2018): Ukraine's Martial Law, https://www.rferl.org/a/ukraines-martial-law/29623833.html?ltflags=mailer, Zugriff 28.11.2018

- SO - Spiegel Online (27.11.2018): So weitreichend ist das ukrainische Kriegsrecht, http://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-was-bedeutet-das-kriegsrecht-a-1240658.html, Zugriff 28.11.2018

KI vom 19.12.2017, Antikorruption (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage, Abschnitt 4/Rechtsschutz/Justizwesen und Abschnitt 7/Korruption)

Die Ukraine hat seit 2014 durchaus Maßnahmen gesetzt, um die Korruption zu bekämpfen, wie die Offenlegung der Beamtenvermögen und die Gründung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU). Gemeinsam mit dem ebenfalls neu geschaffenen Antikorruptionsstaatsanwalt kann das NABU viele Fälle untersuchen und hat einige aufsehenerregende Anklagen vorbereitet, u.a. wurde der Sohn des ukrainischen Innenministers festgenommen. Doch ohne ein spezialisiertes Antikorruptionsgericht läuft die Arbeit der Ermittler ins Leere, so die Annahme der Kritiker, da an normalen Gerichten die Prozesse erfahrungsgemäß eher verschleppt werden können. Das Antikorruptionsgericht sollte eigentlich bis Ende 2017 seine Arbeit aufnehmen, wurde aber noch immer nicht formell geschaffen. Präsident Poroschenko äußerte unlängst die Idee, eine auf Korruption spezialisierte Kammer am Obersten Gerichtshof sei ausreichend und schneller einzurichten. Diesen Vorschlag lehnte jedoch der Internationale Währungsfonds (IWF) ab. Daher bot Poroschenko eine Doppellösung an: Zuerst solle die Kammer eingerichtet werden, später das unabhängige Gericht. Der Zeitplan dafür ist jedoch offen (NZZ 9.11.2017).

Kritiker sehen darin ein Indiz für eine Einflussnahme auf die Justiz durch den ukrainischen Präsident Poroschenko. Mit Juri Luzenko ist außerdem Poroschenkos Trauzeuge Chef der Generalstaatsanwaltschaft, welche von Transparency International als Behörde für politische Einflussnahme bezeichnet wird. Tatsächlich berichtet die ukrainische Korruptionsstaatsanwaltschaft von Druck und Einflussnahme auf ihre Ermittler (DS 30.10.2017).

Ende November 2017 brachten Abgeordnete der Regierungskoalition zudem einen Gesetzentwurf ein, der eine "parlamentarische Kontrolle" über das NABU vorsah und heftige Kritik der westlichen Partner und der ukrainischen Zivilgesellschaft auslöste (UA 13.12.2017). Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf wieder von der Tagesordnung genommen (DS 7.12.2017), dafür aber der Vorsitzende des Komitees der Werchowna Rada zur Korruptionsbekämpfung entlassen, welcher die Ernennung des von der Regierung bevorzugten Kandidaten für das Amt des Auditors im NABU blockiert hatte (UA 13.12.2017).

Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben zuletzt mehrere Tausend Menschen für eine Amtsenthebung von Präsident Petro Poroschenko demonstriert. Die Kundgebung wurde von Micheil Saakaschwili angeführt - Ex-Staatschef Georgiens und Ex-Gouverneur des ukrainischen Odessa, der ursprünglich von Präsident Poroschenko geholt worden war, um gegen die Korruption vorzugehen. Saakaschwili wirft Poroschenko mangelndes Engagement im Kampf gegen die Korruption vor und steht seit einigen Wochen an der Spitze einer Protestbewegung gegen den ukrainischen Präsidenten. Mit seinen Protesten will er vorgezogene Neuwahlen erzwingen. Saakaschwili war Anfang Dezember, nach einer vorläufigen Festnahme, von einem Gericht freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Organisation eines Staatsstreiches (DS 17.12.2017).

Die EU hat jüngst die Auszahlung eines Hilfskredits über 600 Mio. ? an die Ukraine gestoppt, und der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ebenfalls nicht zur Gewährung von weiteren Hilfskrediten bereit, solange der Kampf gegen die grassierende Korruption nicht vorankommt (NZZ 18.12.2017). Der IWF hat die Ukraine aufgefordert, die Unabhängigkeit von NABU und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu gewährleisten und rasch einen gesetzeskonformen Antikorruptionsgerichtshof im Einklang mit den Empfehlungen der Venediger Kommission des Europarats zu schaffen (UA 13.12.2017).

Quellen:

- DS - Der Standard (17.12.2017): Tausende fordern in Kiew Amtsenthebung von Poroschenko, http://derstandard.at/2000070553927/Tausende-fordern-in-Kiew-Amtsenthebung-von-Poroschenko?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

- DS - Der Standard (7.12.2017): Interventionen verhindern Gesetz gegen ukrainisches Antikorruptionsbüro, http://derstandard.at/2000069775196/Ukrainischer-Antikorruptionsbehoerde-droht-Verlust-an-Unabhaengigkeit, Zugriff 19.12.2017

- DS - Der Standard (30.10.2017): Die ukrainische Justizfassade bröckelt noch immer, http://derstandard.at/2000066853489/Die-ukrainische-Justizfassade-broeckelt-noch-immer?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

- NZZ - Neue Zürcher Zeitung (18.12.2017): Das politische Risiko in der Ukraine ist zurück, https://www.nzz.ch/finanzen/das-politische-risiko-in-der-ukraine-ist-zurueck-ld.1340458, Zugriff 19.12.2017

- NZZ - Neue Zürcher Zeitung (9.11.2017): Der ukrainische Präsident verschleppt längst überfällige Reformen, https://www.nzz.ch/meinung/ukraine-revolution-im-rueckwaertsgang-ld.1327374, Zugriff 19.12.2017

- UA - Ukraine Analysen (13.12.2017): Ukraine Analysen Nr. 193, http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen193.pdf?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Ukraine-Analysen+193&newsletter=Ukraine-Analysen+193, Zugriff 19.12.2017

Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)

142

Volksfront (Narodny Front)

81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)

43

Selbsthilfe (Samopomitsch)

26

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)

20

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)

20

Gruppe Wolja Narodu

19

Gruppe Widrodshennja

24

Fraktionslose Abgeordnete

48

(AA 2.2017a)

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).

Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).

Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

- AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html, Zugriff 31.5.2017

- DS - Der Standard (11.6.2017): Ukrainer feierten Aufhebung der Visapflicht für die EU, http://derstandard.at/2000059097595/Ukrainer-feierten-Aufhebung-der-Visapflicht-fuer-die-EU, Zugriff 19.6.2017

- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon 9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

- AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

- AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017

1.1. Halbinsel Krim

Die Halbinsel Krim wurde 2014 von der Russischen Föderation besetzt. Das "Referendum" über den Anschluss an Russland, welches auf der Krim durchgeführt wurde, wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen für ungültig erklärt. Die Resolution 71/205 der Generalversammlung der UN bezeichnet die Russische Föderation als Okkupationsmacht auf der Krim. Seit 2014 sind konstant Menschenrechtsverletzungen seitens der Machthaber zu beobachten: Gefangene legen Geständnisse ab, die durch Misshandlung und Folter erreicht wurden. Individuen bestimmter Gruppen werden in psychiatrische geschlossene Anstalten zwangseingewiesen. Anwälte können nicht uneingeschränkt ihrer Arbeit nachgehen. Menschen, die keinen russischen Pass haben, wird der Zugang zu staatlichen Dienstleistungen verwehrt. Weiters bestehen Diskriminierungen aufgrund von sexueller Orientierung und Genderidentität. Menschen mit anderer politischer Meinung werden verhaftet und unter Bezugnahme auf russische "Anti-Terror"-Gesetze zu Haftstrafen verurteilt. Auch werden Individuen entführt oder verschwinden plötzlich. Wenige bis keine dieser Fälle werden ausreichend investigativ und juristisch verfolgt. Besonders die ethnische Gruppe der Krimtataren, aber auch Ukrainer anderer ethnischer oder religiöser Gruppen, sind von Menschenrechtsverletzungen betroffen. Der Mejlis, die krimtatarische gewählte Versammlung zur Repräsentation der Krimtataren, wurde am 18. April 2016 durch die lokalen Behörden suspendiert und am 26. April vom Russischen Obersten Gerichtshof als "extremistisch" eingestuft und verboten. Menschenrechtsorganisationen sowie Journalisten haben keinen uneingeschränkten Zugang zur Krim. Bestimmte Webseiten werden blockiert und unabhängige Medien mussten auf das ukrainische Festland übersiedeln. Die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wird massiv eingeschränkt. Am 7. März 2016 wurden in Simferopol alle öffentlichen Versammlungen verboten, die nicht von den Machthabern organisiert wurden (ÖB 4.2017).

Auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Auf der Krim werden seit der völkerrechtswidrigen Annexion durch Russland im März 2014 staatliche Aufgaben von russischen Behörden ausgeübt. Die Einwohner wurden pauschal eingebürgert, es wurde begonnen, sie mit russischen Inlandspässen, seit September 2014 auch mit russischen Reisepässen, auszustatten. Einwohner der Krim, die ihr Widerspruchsrecht nutzten haben damit u. a. den Anspruch auf kostenlose medizinische Versorgung verloren. Die Minderheit der Krimtataren unterliegt erheblichen Restriktionen. Besorgniserregend sind weiterhin Meldungen, wonach exponierte Vertreter der tatarischen Minderheit verschwinden, nicht mehr auf die Krim reisen dürfen bzw. vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Außerdem werden tatarische Vereine in ihrer Handlungsfähigkeit beschnitten und unter Druck gesetzt, teilweise auch kriminalisiert oder zur Auflösung gezwungen. Die gewählte Versammlung der Krimtataren, das Selbstverwaltungsorgan Medschlis, wird von den de-facto-Behörden als terroristische Vereinigung eingestuft, seine Mitglieder werden verfolgt. Versuche, die tatarische Minderheit in eine den de-facto-Behörden willfährige Parallelstruktur einzubinden, blieben bisher ohne nennenswerten Erfolg. Medien stehen unter Druck, eine offene Zivilgesellschaft gibt es nicht mehr. Dem unabhängigen Fernsehsender der Tataren ATR wurde die Lizenz entzogen; er hat seinen Sitz nach Kiew verlegt. Seine Sendungen können auf der Krim nur noch im Internet und dort sehr eingeschränkt verfolgt werden. Auch jüngste Berichte von UNHCR sowie Amnesty International listen eine Reihe von Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf der Krim auf, die von einer Einschränkung des Versammlungsrechts über willkürliche Verhaftungen bis hin zu Entführungen, Folter und Ermordung reicht. Versuche der Vereinten Nationen, der OSZE oder des Europarats eine kontinuierliche Beobachtung der Menschenrechtssituation auf der Krim vorzunehmen, sind bisher gescheitert (AA 7.2.2017).

Auf der Halbinsel Krim sind Dissidenten das Ziel systematischen Missbrauchs und der Verfolgung durch die russischen Behörden. Es gibt Berichte über Fälle von Verschwindenlassen. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise auf die Krim verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung (USDOS 3.3.2017a).

Im Feber 2014 besetzten russische Truppen die Halbinsel Krim militärisch. Im März wurde die Krim nach einem Scheinreferendum schließlich annektiert und zum Teil der Russischen Föderation erklärt. Die Vereinten Nationen verurteilten diesen Schritt und riefen Staaten und internationale Organisation auf, dies nicht anzuerkennen. Auf der Krim gilt seither de facto russisches Recht, es wurde eine russische Regierung installiert. Die russischen Sicherheitsbehörden konsolidieren ihre Kontrolle der Halbinsel weiterhin und beschränken die Menschenrechte durch unverhältnismäßige Anwendung repressiver russischer Gesetze. Abweichende und Meinungen und Opposition zur Annexion der Krim werden von den russischen Behörden durch Einschüchterung unterdrückt. Dazu gehören Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlung, politische Prozesse, wiederholte grundlose Vorladungen durch die Sicherheitsbehörden, gegenstandslose Festnahmen, usw. Bestimmte Gruppen, vor allem ethnische Ukrainer und Krimtataren werden systematisch diskriminiert und ihre Menschenrechte eingeschränkt. Der Selbstverwaltungskörper der krimtatarischen Minderheit, der demokratisch gewählte Mejlis, wurde als extremistische Organisation verboten. Personen, welche die Annahme der russischen Staatsbürgerschaft verweigern, werden beim Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Arbeitsmarkt diskriminiert. Es gibt auch Eingriffe in die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit, speziell durch Behinderung bei der Pflege des kulturellen Erbes und durch Einschränkung des Zugangs zu Unterricht in ukrainischer und krimtatarischer Sprache. Die Medienfreiheit auf der Krim wird ebenfalls eingeschränkt, unabhängige Medien gibt es nicht mehr. Die wenigen verbleibenden unabhängigen bzw. kritischen Journalisten wurden eingesperrt und wegen Extremismus angeklagt. Es kommt zu politischer Einmischung in gerichtliche Verfahren, Einschränkung der Bewegungsfreiheit und Diskriminierung ethnischer und sexueller Minderheiten. Tausende Personen flüchteten als Binnenvertriebene in die Ukraine. Bei den russischen Behörden auf der Krim herrscht betreffend Menschenrechtsverletzungen ein Klima der Straflosigkeit. Fälle von Entführung oder Tötung von Einwohnern der Krim in den Jahren 2014 und 2015 werden nicht angemessen untersucht (USDOS 3.3.2017b).

Die Rechte der Bevölkerung der Krim, besonders der Krimtataren, werden weitgehend verletzt. Der krimtatarische Mejlis wurde verboten und krimtatarische Führungspersönlichkeiten dürfen die Krim nicht betreten oder sind inhaftiert (FH 29.3.2017).

Auf der Krim setzten die de-facto-Behörden ihre Maßnahmen zur Unterdrückung jeglicher pro-ukrainischer Opposition fort, wobei sie zunehmend auf russische Gesetze zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus zurückgriffen und Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Dutzende Personen anstrengten, die als illoyal betrachtet wurden. In keinem der Fälle von Verschwindenlassen, die sich im Anschluss an die russische Besetzung ereignet hatten, gab es gründliche Ermittlungen. Die russischen Behörden hielten Parlamentswahlen auf der Krim ab, die international nicht anerkannt wurden. Die bereits stark eingeschränkten Rechte auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wurden 2016 noch weiter beschnitten. Die Websites einiger unabhängiger Medienkanäle, die in den Jahren zuvor gezwungen waren, ihren Sitz auf das ukrainische Festland zu verlegen, wurden von den De-facto-Behörden auf der Krim gesperrt. Am 7. März 2016 verbot der Bürgermeister von Simferopol, der Hauptstadt der Krim, alle öffentlichen Versammlungen, die nicht von den Behörden organisiert wurden. Ethnische Krimtataren waren von dem Bestreben der De-facto-Behörden zur Beseitigung jeglicher pro-ukrainischer Opposition nach wie vor besonders stark betroffen. Am 18. April wurde der Medschlis, eine von der krimtatarischen Volksversammlung Kurultai gewählte Vertretung, aufgelöst und am 26. April von einem Gericht als "extremistisch" verboten. Das Verbot wurde am 29. September vom Obersten Gerichtshof der Russischen Föderation bestätigt (AI 22.2.2017).

Russland setzt Kritiker der Krim-Okkupation weiterhin politischer Strafverfolgung aus und schränkt die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit weiter ein. Krimtataren werden unter dem Vorwand der Extremismusbekämpfung verfolgt (HRW 12.1.2017).

Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).

Seit der russischen Annexion der Halbinsel Krim häufen sich Berichte über den Versuch der systematischen Einschränkung der Versammlungsfreiheit unter dem Vorwand sicherheitspolitischer Erwägungen. Dies wirkt sich insbesondere auf die Aktivitäten der Krimtataren aus. Exemplarisch sei auf das Argument verwiesen, wonach Parkflächen während der Schulferien für Kinderaktivitäten freizuhalten und dementsprechend öffentliche kulturelle Veranstaltungen der Krimtataren aus Anlass des Tags der Flagge der Krimtataren in Simferopol am 26. Juni 2014 zu untersagen seien (ÖB 4.2017).

Quellen:

- AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336532/479204_de.html, Zugriff 1.6.2017

- FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 1.6.2017

- HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/334769/476523_de.html, Zugriff 6.6.2017

- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

- USDOS - US Department of State (3.3.2017b): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine (Crimea), https://www.ecoi.net/local_link/337269/480036_de.html, Zugriff 1.6.2017

Rechtsschutz/Justizwesen

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering (USDOS 3.3.2017a).

Nach einer langen Phase der Stagnation nahm die Justizreform ab Juli 2016 mit Verfassungsänderungen und neuem rechtlichem Rahmen Fahrt auf. Für eine Bewertung der Effektivität der Reform ist es noch zu früh (FH 29.3.2017).

Die Reform der Justiz war eine der Kernforderungen der Demonstranten am sogenannten Euro-Maidan. Das größte Problem der ukrainischen Justiz war immer die mangelnde Unabhängigkeit der Richter von der Exekutive. Auch die Qualität der Gesetze gab stets Anlass zur Sorge. Noch problematischer war jedoch deren Umsetzung in der Praxis. Auch Korruption wird als großes Problem im Justizbereich wahrgenommen. Unter dem frisch ins Amt gekommenen Präsident Poroschenko machte sich die Regierung daher umgehend an umfassende Justizreformen. Mehrere größere Gesetzesänderungen hierzu wurden seither verabschiedet. Besonders hervorzuheben sind Gesetz Nr. 3524 betreffend Änderungen der Verfassung und Gesetz Nr. 4734 betreffend das Rechtssystem und den Status der Richter, die Ende September 2016 in Kraft traten. Mit diesen Gesetzen wurden die Struktur des Justizsystems reformiert und die professionellen Standards für Richter erhöht und ihre Verantwortlichkeit neu geregelt. Außerdem wurde der Richterschaft ein neuer Selbstverwaltungskörper gegeben, der sogenannte Obersten Justizrat (Supreme Council of Justice). Dieser ersetzt die bisherige Institution (Supreme Judicial Council), besteht hauptsächlich aus Richtern und hat ein Vorschlagsrecht für Richter, welche dann vom Präsidenten zu ernennen sind. Ebenso soll der Oberste Justizrat Richter suspendieren können. Die besonders kritisierte fünfjährige Probezeit der Richter wurde gestrichen und ihr Einkommen massiv erhöht. Auf der anderen Seite wurden die Ernennungskriterien für Richter erhöht, bereits ernannte Richter müssen sich einer Überprüfung unterziehen. Die Antikorruptionsregelungen wurden verschärft und die richterliche Immunität auf eine rein professionelle Immunität beschränkt. Richter, die die Herkunft ihres Vermögens (bzw. das enger Angehöriger) nicht belegen können, sind zu entlassen. Besonders augenfällig ist auch die Umstellung des Gerichtssystems von einem viergliedrigen zu einem dreigliedrigen System. Unter dem ebenfalls reformierten Obersten Gerichtshof als höchster Instanz, gibt es nun nur noch die Appellationsgerichte und unter diesen die lokalen Gerichte. Die zuvor existierenden verschiedensten Gerichtshöfe (zwischen Appellationsgerichten und Oberstem Gerichtshof) wurden abgeschafft. Außerdem wurde ein spezialisierter Antikorruptionsgerichtshof geschaffen, wenn auch dessen genaue Zuständigkeit noch durch Umsetzungsdekrete festzulegen ist. Die Kompetenz Gerichte zu schaffen oder umzuorganisieren etc., ging vom Präsidenten auf das Parlament über (BFA/OFPRA 5.2017).

Die andere große Baustelle des Justizsystems ist die Reform des Büros des Generalstaatsanwalts, der bislang mit weitreichenden, aus der Sowjetzeit herrührenden Kompetenzen ausgestattet war. Im April 2015 trat ein Gesetz zur Einschränkung dieser Kompetenzen bei gleichzeitiger Stärkung der Unabhängigkeit in Kraft, wurde in der Praxis aber nicht vollständig umgesetzt. Große Hoffnungen in diese Richtung werden in den im Mai 2016 ernannten neuen Generalstaatsanwalt Juri Lutsenko gesetzt. Eine neu geschaffene Generalinspektion soll die Legalität der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft überwachen. Die praktische Umsetzung all dieser Vorgaben erfordert allerdings die Verabschiedung einer Reihe begleitender Gesetze, die es abzuwarten gilt. Etwa 3.400 Posten in der Staatsanwaltschaft, die neu besetzt wurden, gingen überwiegend an Kandidaten, die bereits vorher in der Staatsanwaltschaft gewesen waren. Alle Kandidaten absolvierten eingehende und transparente Tests, aber am Ende waren unter den Ernannten nur 22 neue Gesichter, was in der Öffentlichkeit zu Kritik führte. Für die Generalinspektion ist aber neues Personal vorgesehen. Die schlechte Bezahlung der Staatsanwälte ist ein Einfallstor für Korruption. Der Antikorruptions-Staatsanwalt bekommt als einziger Staatsanwalt höhere Bezüge, obwohl gemäß Gesetz alle Staatsanwälte besser bezahlt werden müssten (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. FH 29.3.2017).

Mit 1. Oktober 2016 hat die Generalstaatsanwaltschaft sechs Strafverfahren gegen Richter eingeleitet. Richter beschweren sich weiterhin über eine schwache Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative. Einige Richter berichten über Druckausübung durch hohe Politiker. Andere Faktoren behindern das Recht auf ein faires Verfahren, wie langwierige Gerichtsverfahren, vor allem in Verwaltungsgerichten, unzureichende Finanzierung und mangelnde Umsetzung von Gerichtsurteilen. Diese liegt bei nur 40% (USDOS 3.3.2017a).

Der unter der Präsidentschaft Janukowitschs zu beobachtende Missbrauch der Justiz als Hilfsmittel gegen politische Mitbewerber und kritische Mitglieder der Zivilgesellschaft ist im politischen Prozess der Ukraine heute nicht mehr zu finden. Es bestehen aber weiterhin strukturelle Defizite in der ukrainischen Justiz. Eine umfassende, an westeuropäischen Standards ausgerichtete Justizreform ist im September 2016 in Kraft getreten, deren vollständige Umsetzung wird jedoch noch einige Jahre in Anspruch nehmen (ÖB 4.2017).

Laut offizieller Statistik des EGMR befindet sich die Ukraine auf Platz 1 in Bezug auf die Anzahl an anhängigen Fällen in Strassburg (18.155, Stand 1.1.2017). 65% der anhängigen Fälle betreffen die nicht-Umsetzung von nationalen Urteilen. Wiederkehrende Vorwürfe des EGMR gegen die Ukraine kreisen auch um die überlange Dauer von Zivilprozessen und strafrechtlichen Voruntersuchungen ohne Möglichkeit, dagegen Rechtsmittel ergreifen zu können; Verstöße gegen Art. 5 der EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit); Unmenschliche Behandlung in Haft bzw. unzulängliche Untersuchung von derartig vorgebrachten Beschwerden; Unzureichende Haftbedingungen und medizinische Betreuung von Häftlingen (ÖB 4.2017).

Quellen:

- BFA/OFPRA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine

- FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, http://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html, Zugriff 6.6.2017

- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

- USDOS - US Department of Stat

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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