Entscheidungsdatum
26.04.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W277 2213812-1/8E
W277 2213811-1/8E
W277 2213809-1/8E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. ESCHLBÖCK, MBA, über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX und 3.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Mongolei, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH als Mitglied der ARGE Rechtsberatung, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zlen. 1.) XXXX , 2.) XXXX und 3.) XXXX :
A)
Die angefochtenen Bescheide werden behoben und die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
Das Vorbringen der Beschwerdeführer steht in einem derartigen Zusammenhang bzw. ist soweit miteinander verknüpft, dass die Entscheidung unter Berücksichtigung der Vorbringen aller Beschwerdeführer abzuhandeln ist. Die Erstbeschwerdeführerin (in der Folge BF1) ist die Mutter und gesetzliche Vertreterin der minderjährigen Zweit- (in der Folge BF2) und Drittbeschwerdeführer (in der Folge BF3); gemeinsam werden sie als "die BF" bezeichnet.
1. BF1 und ihre minderjährige Tochter BF2, beide Staatsangehörige der Mongolei, stellten nach illegaler Einreise in Österreich am 11.10.2017 Anträge auf internationalen Schutz. BF1 wurde am 12.10.2017 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt, wobei sie zu den Fluchtgründen vorbrachte, dass ihr Ehemann den Herkunftsstaat aus politischen Gründen verlassen habe und sie alleine mit ihrem Kind zurückgeblieben sei. Er habe sie vor seiner Flucht zu ihrer Mutter und dessen neuen Ehemann gebracht. BF1 sei von ihrem Stiefvater vergewaltigt und dadurch schwanger geworden. Zu den Rückkehrbefürchtungen gab BF1 zu Protokoll, dass sie ihrer Mutter nichts davon erzählt habe. Auch könne sie nicht zu ihrer Schwester, da diese eine eigene Familie habe und BF1 eine Last wäre, zumal der Vorfall eine "riesen Schande" sei. In ihren Heimatort könne BF1 aufgrund der Probleme ihres Ehemannes nicht zurückkehren.
2. Am 30.11.2017 wurde BF1 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen. Sie gab im Wesentlichen zu ihren Fluchtgründen an, dass ihr Mann Probleme im Herkunftsstaat gehabt habe und geflüchtet sei. Zuvor habe er BF1 und BF2 zu ihrer Mutter am Land gebracht. Die Mutter von BF1 sei krank geworden und habe sich einige Zeit im Krankenhaus aufgehalten. Währenddessen sei BF1 von ihrem Stiefvater mehrmals misshandelt und vergewaltigt worden. Auch nachdem BF1 den Ort verlassen habe und nach Ulaanbaatar zurückgekehrt sei, sei sie von ihrem Stiefvater vergewaltigt worden. Sie sei aktuell von ihm schwanger. BF1 habe - abgesehen von ihrem Mann - niemandem davon erzählt. Sie habe zwar eine Anzeige bei der Polizei erstattet, ihr sei jedoch nicht geholfen worden, zumal ihr Stiefvater und seine Familie sehr gute Beziehungen zueinander hätten.
3. Am XXXX ließ BF1 eine Abtreibung vornehmen.
4. Am 17.07.2018 wurde BF1 von einem männlichen Organwalter des BFA erneut niederschriftlich einvernommen. Es wurde auch ein männlicher Dolmetscher für die Sprache Mongolisch herangezogen. Dabei wiederholte BF1 die bisher getätigten Angaben zu den Fluchtgründen, wonach ihr Ehemann politische Probleme gehabt habe und sowohl sie als auch BF2 bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater zurückgelassen habe. Dort sei sie von ihrem Stiefvater misshandelt und vergewaltigt worden, wobei er sie geschwängert habe. Zu den Fluchtgründen von BF2 befragt führte BF1 weiters an, dass sie ein mulmiges Gefühl habe, da in der Mongolei der Menschenhandel steigen würde und es noch einen Vorfall gegeben habe: Im Juli seien BF1 und BF2 beim Spielplatz von einem schwarzen Auto angehalten und mitgenommen worden. Der Fahrer habe sie gefragt, ob sie die Frau von " XXXX " sei, worauf BF1 entgegnet habe, dass sie längst geschieden seien und sie nichts mehr mit ihm zu tun habe. Daraufhin habe man sie aussteigen lassen.
Aus dem im Akt erliegenden Einvernahmeprotokoll geht nicht hervor, dass BF1 im Hinblick auf die auch in der zweiten Einvernahme vor dem BFA vorgebrachten Vergewaltigung durch den Stiefvater von der belangten Behörde auf die Möglichkeit der Beiziehung einer weiblichen Einvernahmeleiterin und einer weiblichen Dolmetscherin hingewiesen worden ist.
5. Am XXXX wurde BF3 im Bundesgebiet geboren und wurde für diesen am XXXX ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
6. Am 13.12.2018 wurde BF1 erneut von einem männlichen Organwalter des BFA niederschriftlich einvernommen und wurde ihr die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 02.08.2018 vorgehalten, wonach es in der Mongolei Schutzhäuser für Frauen gebe. Dabei gab sie an, dass sie in einem Gebiet gelebt habe, wo solche Institutionen nicht funktioniert hätten. Für den Fall einer Rückkehr könne sie weder Unterstützung durch die Polizei, noch durch ihre Familie erwarten.
Auch hier geht aus dem diesbezüglichen Einvernahmeprotokoll nicht hervor, dass BF1 im Hinblick auf die in der dritten Einvernahme vor dem BFA vorgebrachten Rückkehrbefürchtungen von der belangten Behörde auf die Möglichkeit der Beiziehung einer weiblichen Einvernahmeleiterin und einer weiblichen Dolmetscherin hingewiesen worden ist.
7. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des BFA vom XXXX wurden die Anträge auf internationalen Schutz der BF sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Mongolei gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), sowie gemäß § 46 FPG die Zulässigkeit ihrer Abschiebung in die Mongolei festgestellt (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
Folgende Feststellungen wurden im Wesentlichen dem Bescheid zugrunde gelegt: Die Identität der BF stehe aufgrund der Vorlage von identitätsbezogenen Dokumenten fest. Sie seien Staatsangehörige der Mongolei. BF1 sei jung, gesund und arbeitsfähig. Es könne nicht festgestellt werden, dass die BF in ihrem Herkunftsland einer konkret gegen ihre Person gerichteten Verfolgung ausgesetzt bzw. aus sonstigen Umständen einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wären. Es würden auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestehen, dass die BF im Falle einer Rückkehr in die Mongolei einer Gefahr im Sinne des § 8 AsylG ausgesetzt wären. BF1 verfüge über familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat und sei für den Fall einer Rückkehr der BF von der erfolgreichen Abdeckung der lebensnotwendigen Bedürfnisse auszugehen. Weiters könne im Hinblick auf die kurze Aufenthaltsdauer keine ausgeprägte und verfestigte Integration in Österreich festgestellt werden, zumal BF1 nicht selbsterhaltungsfähig sei und die BF von Leistungen der Grundversorgung leben würden.
In der Beweiswürdigung betreffend die Feststellungen der Gründe für das Verlassen des Herkunftslandes wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorbringen von BF1 einerseits nicht asylrelevant und andererseits nicht glaubhaft sei. So hätten sich Widersprüche in ihren Angaben ergeben und ihr Vorbringen über die Misshandlungen und Vergewaltigung durch den Stiefvater sei nicht nachvollziehbar. In Anbetracht der zweifelhaften Angaben von BF1 und der Tatsache, dass sie weder einen Polizeibericht, noch eine Anzeigebestätigung oder eine polizeiliche Niederschrift vorlegen habe könne, werde ihren Ausführungen kein Glauben geschenkt. Sowohl aufgrund der individuellen Umstände, als auch aufgrund der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat, sei keine außergewöhnliche Gefährdung für die BF ableitbar, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würde.
Der rechtlichen Beurteilung zu Spruchpunkt I. ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass keine Gründe vorlägen, die eine Zuerkennung des Status des Asylberechtigten rechtfertigen können. Auch sei unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte davon auszugehen, dass den BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention drohe. Schließlich bestünden im Bundesgebiet - abgesehen von ihrem Ehemann, der über kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht verfüge - keine Hinweise auf weitere familiäre Anknüpfungspunkte oder eine außerordentliche Integration, weshalb das Vorliegen eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK nicht festgestellt werden könne. Die Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die die BF bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätten, nicht gegeben seien.
8. Das BFA stellte den BF amtswegig einen Rechtsberater zur Seite.
9. Mit Schriftsatz vom 25.01.2019 (eingebracht am selben Tag) erhoben die BF durch ihren Rechtsberater binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und wurde dabei nach Wiederholung der Fluchtgründe insbesondere vorgebracht, dass BF1 gemäß § 20 AsylG über die zwingend vorzunehmende Durchführung der Einvernahme vor einem Organwalter desselben Geschlechtes, es sei denn, sie hätte anderes verlangt, hätte aufgeklärt werden müssen. Da die Behörde dies unterlassen habe, liege ein Verfahrensfehler vor. Überdies seien die herangezogenen Länderberichte mangelhaft und hätte die Behörde auch im Hinblick auf das Vorbringen von BF1 und jenes ihres im Bundesgebiet aufhältigen Ehemannes zu dem Schluss kommen müssen, dass den BF der Status der Asylberechtigten, in eventu der subsidiär Schutzberechtigten zukommen müsse. Im Hinblick auf die fortgeschrittene Integration der BF stelle die Rückkehrentscheidung eine Verletzung ihrer in Art. 8 EMRK gewährleisteten Rechte dar.
II. Für das Bundesverwaltungsgericht ergibt sich daraus wie folgt:
1. Feststellungen
Die BF wurde zu dem Vorbringen der Vergewaltigung und Misshandlung durch den Stiefvater von einem männlichen Organwalter des BFA einvernommen. Sie wurde nicht von der belangten Behörde auf die Möglichkeit der Beiziehung einer weiblichen Einvernahmeleiterin und einer weiblichen Dolmetscherin hingewiesen.
Die belangte Behörde hat keine entsprechenden Ermittlungen durchgeführt.
2. Beweiswürdigung
Die Feststellungen ergeben sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten, unstrittigen Verwaltungsunterlagen.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 Bundes-Verfassungsgesetz (in Folge: B-VG), erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
3.2. Zum Spruchteil A)
3.2.1. Zu BF1:
3.2.1.1. Gemäß § 28 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (in Folge: VwGVG), hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 leg.cit. hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gem. Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/2014).
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
3.2.1.2. Gemäß § 3 AsylG 2005 ist einem Asylwerber auf Antrag der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft gemacht wurde, dass diesem im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (in Folge: GFK) droht und dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG 2005 offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG 2005 gesetzt hat.
Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht einer Person, die sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
3.2.1.3. Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG 2005 hat das BFA in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen.
3.2.1.4. Gemäß § 20 Abs. 1 AsylG ist ein Asylwerber von einem Organwalter desselben Geschlechts einzuvernehmen, wenn er seine Furcht vor Verfolgung auf Eingriffe in seine sexuelle Selbstbestimmung gründet, es sei denn, dass er anderes verlangt. Von dem Bestehen dieser Möglichkeit ist der Asylwerber nachweislich in Kenntnis zu setzen. Nach dem Zweck des § 20 Abs. 1 AsylG 2005 sollte so der Abbau von Hemmschwellen bei der Schilderung von Eingriffen in die sexuelle Selbstbestimmung bewirkt werden (vgl. VwGH 12.10.2016, Ra 2016/18/0119). Das Recht, von einer Person desselben Geschlechts einvernommen zu werden, besteht bereits dann, wenn der Asylwerber behauptet, Opfer von sexueller Misshandlung zu sein oder solchen Gefahren ausgesetzt zu sein (vgl. VfGH 11.12.2013, U1914/2012 ua, mit Hinweis auf die Materialien zu § 20 AsylG [RV 952 BlgNR 22. GP, 45]).
Der Verwaltungsgerichtshof führte überdies in seiner Entscheidung vom 03.12.2003, 2001/01/0402, unter Heranziehung internationaler Dokumente, insbesondere des Beschlusses des Exekutiv-Komitees der UNHCR Nr. 64 (XLI) über Flüchtlingsfrauen und internationalen Rechtsschutz, die Vorgängerbestimmung des § 20 Abs. 1 erster Satz AsylG 2005 (§ 27 Abs. 3 letzter Satz AsylG 1997) hierzu Folgendes aus: "Dass sich darüber hinaus in den von der genannten Bestimmung erfassten Konstellationen in allen Stadien des Asylverfahrens auch die Beiziehung eines Dolmetschers gleichen Geschlechts als geboten erweist, versteht sich bei verständiger Würdigung dieser Vorschrift nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes von selbst, weil nur insoweit dem von § 27 Abs. 3 letzter Satz AsylG 2005 verfolgten Zweck (Abbau von Hemmschwellen) adäquat Rechnung getragen werden kann".
Daraus ergibt sich, dass die Notwendigkeit der Einvernahme durch eine Person desselben Geschlechts gemäß § 20 Abs. 1 AsylG auch die Beiziehung eines Dolmetschers desselben Geschlechts umfasst (vgl. auch VwGH 08.09.2010, 2008/01/0345 bis 0347). Dieses Recht impliziert die Verpflichtung der Behörde, den Asylwerber von diesem Recht in Kenntnis zu setzen und ihm somit die Möglichkeit zu geben, das Recht auch auszuüben. Anderenfalls würde dem vom Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 03.12.2003 dargelegten Zweck (Abbau von Hemmschwellen) eben gerade nicht adäquat Rechnung getragen werden.
3.2.1.5. BF1 brachte sowohl in ihrer Erstbefragung am 12.10.2017, als auch in ihren Einvernahmen am 30.11.2017, am 17.07.2018 und am 13.12.2018 vor, im Herkunftsstaat über einen längeren Zeitraum mehrmals von ihrem Stiefvater vergewaltigt und misshandelt worden zu sein, und gab somit die Furcht vor Verfolgung durch Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung an. Es ergab sich daher schon aus dem Vorbringen von BF1 in ihrer Erstbefragung und der darauffolgenden Einvernahme eindeutig die Notwendigkeit, die Befragungen stets durch eine Person des weiblichen Geschlechts durchzuführen, es sei denn, BF1 hätte anderes verlangt. Zwar wurde sie am 30.11.2017 von einer weiblichen Einvernahmeleiterin und unter Beiziehung einer weiblichen Dolmetscherin einvernommen (AS 165), jedoch ergibt sich aus den aktenkundigen Niederschriften vom 17.07.2018 (AS 209) und vom 13.12.2018 (AS 461), dass BF1 - trotz der oben zitierten Ausführungen und den gesetzlichen Vorgaben - zur Furcht vor Verfolgung durch Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung von einem männlichen Einvernahmeleiter unter Beiziehung eines männlichen Dolmetschers einvernommen wurde. Es geht nicht hervor, dass BF1 über die Möglichkeit eines Einvernahmeleiters desselben Geschlechts bzw. über die Wahlmöglichkeit belehrt worden ist.
Das BFA stützt zudem die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens der BF in den verfahrensgegenständlichen Bescheiden auf die Ungereimtheiten der Aussagen von BF1 in ihren unterschiedlichen Einvernahmen. Der Sachverhalt wurde im Lichte der Einvernahme durch einen männlichen Organwalter nur unzulänglich ermittelt und ist daher in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben. Es wurde nicht versucht, Hemmschwellen soweit als möglich zu beseitigen. Der BF1 wurde somit nicht die ausreichende Möglichkeit eingeräumt, ihre Asylgründe umfassend und detailliert darzulegen. Auch wurde ihr in der Einvernahme vom 13.12.2018 die Gelegenheit genommen, sich ohne Hemmungen zur vorgehaltenen Anfragebeantwortung der Staatendokumentation über die Verfügbarkeit von Schutzhäusern von Frauen zu äußern.
Aus den dargelegten Gründen erweisen sich die durchgeführten Sachverhaltsermittlungen des BFA als ungenügend und es liegen besonders schwerwiegende Mängel des behördlichen Verfahrens bei der Ermittlung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes vor. Folglich hat eine Zurückverweisung der Sache an das BFA zu erfolgen, weil die belangte Behörde die erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen bzw. den maßgebenden Sachverhalt bloß ansatzweise ermittelt hat (vgl. VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063).
Im weiteren Verfahren wird das BFA diesen Verfahrensmangel sanieren müssen und ein umfassendes Ermittlungsverfahren zu führen haben, indem es die neuerliche Einvernahme von einer weiblichen Einvernahmeleiterin unter Beiziehung einer weiblichen Dolmetscherin durchführt bzw. der BF1 nachweislich die diesbezügliche Wahlmöglichkeit gibt, um ihr somit ausreichend Gelegenheit zur Darstellung ihrer Fluchtgründe zu bieten.
Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes - nicht ersichtlich, weshalb von dem in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eingeräumten Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung Gebrauch zu machen war. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind daher im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.
3.2.2. Zu BF2 und BF3:
3.2.2.1. Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang.
3.2.2.2. Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten bestanden hat.
3.2.2.3. Es handelt sich bei BF2 und BF3 um die minderjährigen Kinder von BF1 und somit um Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 2 Z 22 AsylG 2005. Da sich ihre Fluchtgründe im Wesentlichen auf jene ihrer Mutter stützen und das Verfahren von BF1 zurückzuverweisen war, schlägt sich dieses im Wege des Familienverfahrens auf die minderjährigen BF2 und BF3 durch.
3.2.3. Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, liegen vor. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Dies ist gegenständlich der Fall.
3.3. Zu Spruchpunkt B)
Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (siehe die unter 3.2. zitierte Judikatur); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Im gegenständlichen Fall konnte sich daher das Bundesverwaltungsgericht auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W277.2213809.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020