TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/13 W161 2218339-1

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Veröffentlicht am 13.05.2019
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Entscheidungsdatum

13.05.2019

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch

W161 2218339-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.04.2019, Zl. 1216538600-190021972 zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG idF BGBl. I Nr. 24/2016 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in Folge: BF), ein Staatsangehöriger aus der Türkei, brachte am 08.01.2019 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz in Österreich ein. Er war bei seiner Einreise im Besitz eines slowakischen Schengen-Visums, ausgestellt vom Konsulat in XXXX , gültig von 18.11.2018 - 09.12.2018.

2. Eine EURODAC-Abfrage ergab keinen Treffer.

3. Bei der Erstbefragung am 08.01.2019 vor der Landespolizeidirektion XXXX , gab der BF, er sei vor ca. 45 bis 50 Tagen von seiner Heimat mit einem Flugzeug über unbekannte Länder in ein unbekanntes Land geflogen. Die Reise habe ein Schlepper organisiert. Als Fluchtgrund gab er an, seine Tante habe für die Partei HDP gearbeitet, sie sei in einer kurdischen Partei. Er habe für die Tante gearbeitet und sei aufgrund dessen vom Militär zusammengeschlagen worden. Er habe die Flucht ergriffen, ansonsten wäre er getötet worden.

4. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: BFA) richtete am 10.01.2019 ein auf Art. 12 Abs. 4 Dublin III-Verordnung gestütztes Aufnahmeersuchen an die Slowakei.

Mit Schreiben vom 07.03.2019 stimmte die slowakische Dublin-Behörde dem Aufnahmeersuchen gem. Art. 12 Abs. 4 Dublin III-Verordnung ausdrücklich zu.

5. Bei der Einvernahme durch das BFA, EAST Ost am 19.03.2019 gab der BF an, er fühle sich psychisch und physisch in der Lage, Angaben zu seinem Asylverfahren zu machen, es gehe ihm gut. Er habe eine ausführliche Rechtsberatung in Anspruch genommen. Er möchte noch Befunde vorlegen. Befragt nach seinem momentanen Gesundheitszustand gab er an, es gehe ihm gut, aber wenn er das Wort "Polizei" höre, bekomme er Stress. Er sei im Krankenhaus Baden auf der Psychiatrie gewesen und habe dort Tabletten bekommen und mit einem Arzt gesprochen. Er sei auch im Krankenhaus XXXX auf der HNO-Abteilung gewesen, da seine Nase immer wieder blute und seine Stimmbänder verletzt seien. Das seien Verletzungen aufgrund der Misshandlung in seiner Heimat. Er sei auch in XXXX bei einer Psychologin gewesen und mache dort derzeit eine Psychotherapie. Die Psychologin habe ihn auch zu einer logopädischen Behandlung verwiesen. Man habe ihm nur mitgeteilt, dass er eine Psychotherapie benötige. Er nehme zur Zeit eine Baldrian-Tinktur für seine Nerven ein. Er nehme auch noch andere Tabletten, deren Namen er nicht kenne. Diese Tabletten habe er vom Arzt im Lager bekommen und nehme sie immer abends ein sowie wenn er Angst bekomme. Die Beschwerden habe er seit 2017. Er sei auch in der Heimat schon beim Arzt gewesen und zwar in einem Krankenhaus. Man habe ihn zum Psychologen geschickt. Er habe nicht zum Psychologen gehen können, da er von Soldaten festgenommen worden wäre. Die Medikamente in der Heimat hätten nicht geholfen. Er sei nie in der Slowakei gewesen. Seit er bei seinem Onkel wohne, gehe es ihm besser. Er habe einen Onkel in der Schweiz, in Österreich habe er einen Onkel, zwei Cousins und eine Cousine. Er lebe jetzt bei seinem Onkel und dieser unterstütze ihn. Der Onkel kaufe ihm Essen, Kleidung und bringe ihn zum Arzt. Er gäbe ihm auch Geld, etwa 50? bis 100? pro Woche. Auch der Cousin unterstütze ihn und bekomme er Essen und könne bei ihm wohnen. Er bekomme auch Geld vom Cousin, wenn er etwas brauche. Er sei vor ca. drei bis vier Monaten nach Österreich gekommen, an das genaue Datum könne er sich nicht erinnern. Ca. ein Monat später habe er um Asyl angesucht. Er sei von XXXX direkt mit einem Flugzeug nach Österreich geflogen und in XXXX gelandet. Er wisse nicht, warum der Schlepper ein Visum für die Slowakei für ihn organisiert habe. Sein Zielland sei Österreich gewesen, da hier sein Onkel lebe und er hier seine psychologischen Probleme behandeln lassen könne. Er möchte nicht in die Slowakei, da er dort niemanden kenne. Er sei krank und habe psychische Probleme.

Der Rechtsberater des BF beantragte am Ende der Einvernahme die Einholung eines PSY III- Gutachtens zur Feststellung des psychischen Gesundheitszustandes außerdem beantragte er die Zulassung gemäß Art. 17 Abs. 2 Dublin III-Verordnung aus humanitären Gründen, weil der Antragsteller in Österreich von seinen Familienangehörigen existenzielle Unterstützung erhalte und auch bereits eine notwendige psychologische Behandlung begonnen habe.

Vom BF wurden vor Bescheid-Erlassung zahlreiche ärztliche Unterlagen vorgelegt. Er war unteranderem wegen eines Würge-Traumas, rauher Stimme und Schmerzen im Kehlkopfbereich sowie einer Stimmbandlähmung rechts in Behandlung als auch wegen einer diagnostizierten Anpassungsstörung mit dissoziativen Anfällen.

8. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde I. der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass die Slowakei gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin-III-Verordnung zur Prüfung des Antrages zuständig ist, sowie II. gemäß § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, die Außerlandesbringung des BF angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG dessen Abschiebung in die Slowakei zulässig sei.

Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen enthalten Berichte, entsprechend dem Stand 03.03.2017 und enthalten keine aktuellen Kurzinformationen. Der letzte Zugriff auf diese Quellen erfolgte jeweils am 03.03.2017. Aktuellere Feststellungen bzw. Berichte sind dem Bescheid nicht zu entnehmen. Die Länderfeststellungen umfassen lediglich 3 Seiten, darunter befinden sich Feststellungen zur Situation unbegleiteter Minderjähriger - der BF ist volljährig -, jedoch keine Feststellungen zur medizinischen Versorgung von Asylwerbern in der Slowakei.

Im Übrigen wurde ausgeführt, dass ein vom BF im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen lassen würden, im Verfahren nicht hervorgekommen sei. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe zu. Unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen haben sich im Verfahren keine Hinweise ergeben, dass der BF an einer schweren körperlichen Krankheit oder an einer schweren psychischen Störung leide. Die Ausweisung greife auch nicht auf unzulässige Weise im Sinne von Art. 8 EMRK in das Recht des BF auf Schutz des Familien- und Privatlebens ein.

9. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher insbesondere ausgeführt wird, der BF habe als junger Erwachsener eine besonders enge Bindung zu seinen in Österreich lebenden Familienmitgliedern. Hinzu komme, dass er psychisch belastet und auf medizinische Versorgung angewiesen sei. Er sei daher vulnerabel und brauche seine Familie als Halt. Zum Beweis des aufrechten Familienlebens unter besonders starken familiären und emotionalen Beziehungen Abhängigkeit zwischen den BF und seinem Onkel sowie seinem Cousin werde deren zeugenschaftliche Einvernahme beantragt. Der BF habe zudem medizinische Unterlagen vorgelegt, aus denen hervorgehe, dass er an einer Anpassungsstörung mit dissoziativen Anfällen leide. Da er derzeit über keine Krankenversicherung in Österreich verfüge, sei es im bisher nicht möglich gewesen, weitere Befunde zu seinen psychischen Problemen einzuholen. Das BFA habe sich jedenfalls nicht ausreichend mit der vorgebrachten psychisch labilen Situation des BF auseinandergesetzt und dem im Zuge der Einvernahme am 19.03.2019 gestellten Antrag auf Erstellung eines PSY III- Gutachtens nicht entsprochen.

Darüber hinaus würden sich die von der belangten Behörde herangezogenen Länderfeststellungen zur Situation in der Slowakei auf drei Seiten beschränken und seien so unvollständig und zudem veraltet. Insbesondere könne als nicht ausreichend überprüft angesehen werden, ob der BF bei einer Rücküberstellung Zugang zu notwendiger medizinischer Behandlung und den erforderlichen Medikamenten habe.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

II.1. Mit 1.1.2014 sind das Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) sowie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - Verfahrensgesetz (BFA-VG) in Kraft getreten.

Das Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist im vorliegenden Fall in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 56/2018 anzuwenden. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:

"§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.

(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.

(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idF BGBl. I Nr. 56/2018 lautet:

"§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."

Die maßgeblichen Bestimmungen der Dublin-III-Verordnung lauten:

Gemäß Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung prüfen die Mitgliedstaaten jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen eines Mitgliedstaats stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-Verordnung normiert, dass sich für den Fall, dass sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen lässt, der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde für dessen Prüfung zuständig ist.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedsstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass die Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.

Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedsstaat oder an den ersten Mitgliedsstaats, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

Gemäß Art 3 Abs. 3 der Dublin-III-Verordnung behält jeder Mitgliedstaat das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

In Kapitel 3 bzw. den Artikeln 7 ff der Dublin-III-VO werden die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats sowie deren Rangfolge aufgezählt.

Art. 12 Dublin-III-Verordnung lautet:

Artikel 12

Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa

(1) Besitzt der Antragsteller einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(2) Besitzt der Antragsteller ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung gemäß Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft ( 1 ) erteilt wurde. In diesem Fall ist der vertretene Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.

(3) Besitzt der Antragsteller mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so sind die Mitgliedstaaten für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in folgender Reihenfolge zuständig:

a) der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat;

b) der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat, wenn es sich um gleichartige Visa handelt;

c) bei nicht gleichartigen Visa der Mitgliedstaat, der das Visum mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat.

(4) Besitzt der Antragsteller nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.

Besitzt der Antragsteller einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die mehr als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit mehr als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat er die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.

(5) Der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, hindert nicht daran, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen. Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum ausgestellt hat, ist nicht zuständig, wenn nachgewiesen werden kann, dass nach Ausstellung des Titels oder des Visums eine betrügerische Handlung vorgenommen wurde.

Art. 13 Abs. 1 Dublin-Verordnung lautet: "Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Art. 22 Abs. 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts."

Zur Frage der Unzuständigkeit Österreichs für die Durchführung des gegenständlichen Asylverfahrens pflichtet das Bundesverwaltungsgericht der erstinstanzlichen Behörde bei, dass sich aus dem festgestellten Sachverhalt zunächst die Zuständigkeit der Slowakei ergibt.

II.2. Die gegenständliche Entscheidung des Bundesamtes ist jedoch auf Basis eines insgesamt qualifiziert mangelhaften Verfahrens ergangen, weshalb eine Behebung nach § 21 Abs. 3 BFA-VG zu erfolgen hatte:

Der angefochtene Bescheid enthält - wie oben dargestellt - mangelhafte und veraltete Feststellungen zum slowakischen Asylwesen. Diese Länderberichte basieren auf einer nicht mehr aktuellen Zusammenstellung der Staatendokumentation des BFA, mit Stand 03. 03.2017. Die Feststellungen zur Slowakei umfassen überdies lediglich drei Seiten, darin enthalten Feststellungen zu unbegleiteten minderjährigen Asylwerbern - dies obwohl der BF volljährig ist - Feststellungen zur medizinischen Versorgung in der Slowakei fehlen vollends, dies obwohl vom BF sowohl psychische als auch physische Erkrankungen geltend gemacht wurden. Die Zugrundlegung aktueller Länderberichte wäre für die erstinstanzliche Behörde verpflichtend und auch möglich gewesen. Die erstinstanzliche Behörde hat sich nicht einmal damit auseinandergesetzt, ob es aktuelle Kurzinformationen zur Slowakei gibt. Tatsächlich ergibt ein Blick in die Staatendokumentation des BFA, dass es zahlreiche aktuellere Berichte zur Slowakei gibt, welche offensichtlich im angefochtenen Bescheid keine Berücksichtigung gefunden haben, wie zum Beispiel der Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 von Freedom House vom 11.04.2019, der Jahresbericht zur Menschenrechtslage im Jahr 2018 von USDOS vom 13.03.2019, ein Bericht zu Schubhaft bzw. Abschiebehaft vom 13.3.2019, ein Bericht über Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit von Freedom House vom 11.04.2018 und andere.

Vor dem Hintergrund der betroffenen Länderberichte und der erstinstanzlichen Erwägungen kann nicht überprüft werden, ob im Hinblick auf Asylwerber, die von Österreich im Rahmen der Dublin III-VO in die Slowakei überstellt werden, aufgrund der slowakischen Rechtslage und/oder Vollzugspraxis systematische Verletzungen von Rechten gemäß der EMRK erfolgen würden, oder dass diesbezüglich eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit im Sinne eines "real risk" für den Einzelnen bestehen würde.

In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Verfassungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen vom 16.06.2014, U2543/2013, sowie vom 25.06.2014, U 2679/2013 u.a., bemängelte, dass anlässlich einer zurückweisenden Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 AsylG und einer damit verbundenen Ausweisung nicht das aktuellste, eine rezente Gesetzesänderung berücksichtigende, Berichtsmaterial zur Lage von Antragstellern auf internationalen Schutz in Ungarn gewürdigt worden wäre. In gleicher Weise sprach auch der Verwaltungsgerichtshof wiederholt aus, dass Asylbehörden, insoweit es um die Feststellung der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat (Zielstaat) als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens eines Antragstellers geht, von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch zu machen und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten internationalen Organisationen in die Entscheidungsfindung miteinzubeziehen sind (vgl. VwGH 11.11.2008, 2007/19/0279); den Asylbehörden sei es insbesondere auch oblegen, von Amts wegen aktuelles Berichtsmaterial heranzuziehen (VwGH 14.11.2007, 2005/20/0473, u.a.).

In Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 21.12.2011, C-411/10, C-493/10, kommt eine Rückführung in den nach der Dublin II-VO (nunmehr Dublin III-VO) zuständigen Mitgliedstaat dann nicht in Frage, wenn bekannt ist, dass systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat die ernsthafte Gefahr beinhalten, dass der Fremde einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Diese Aspekte müssen aber zunächst durch die Verwaltungsbehörde und nicht das erkennende Verwaltungsgericht geklärt werden.

Die erstinstanzliche Behörde wird sich in ihrer neuen Entscheidung somit mit der aktuellen Situation in der Slowakei ausreichend auseinander zu setzen haben und auch dem BF die Möglichkeit zu einer Stellungnahme einzuräumen haben.

Die erstinstanzliche Behörde hat sich in casu auch mit den vom BF angegebenen Erkrankungen und den von ihm dazu vorgelegten Befunden nicht ausreichend auseinandergesetzt und es insbesondere unterlassen, diesbezüglich zumindest eine gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren bzw. fundierte ärztliche Sachverständigen-Gutachten zum tatsächlichen Gesundheitszustand des BF einzuholen. Dazu wäre die erstinstanzliche Behörde aufgrund des Vorbringens des BF und aufgrund der vorgelegten Urkunden jedoch verhalten gewesen. Im weiteren Verfahren werden daher zunächst Gutachten zum tatsächlichen Gesundheitszustand des BF sowie aktuelle konkrete Länderfeststellungen zu den diesbezüglichen Behandlungsmöglichkeiten für Asylwerber in der Slowakei einzuholen sein. Erst nach hinreichender Klärung dieser Fragen wird abschließend beurteilt werden können, ob beim BF medizinische Umstände vorliegen, die bei einer Überstellung in die Slowakei die Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK bewirken könnten.

II.3. Wie dargelegt wurde im gegenständlichen Fall der entscheidungsrelevante Sachverhalt trotz bestehender Möglichkeiten nicht ausreichend ermittelt, weshalb gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG zwingend vorzugehend war.

Hinsichtlich des gegenständlich zur Anwendung gelangten § 21 Abs. 3 BFA-VG wird in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (RV 2144 BlgNR 24. GP 14) festgehalten, dass das Bundesverwaltungsgericht auf Grundlage der genannten Bestimmung, neben Fällen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, auch im Fall von Erhebungsmängeln die Entscheidung zu beheben, das Verfahren zuzulassen und an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Durchführung eines materiellen Verfahrens zurückzu(ver)weisen hat. Das Verfahren wird dadurch ex lege zugelassen. Diese Zulassung steht allerdings gemäß § 28 Abs. 1 letzter Satz AsylG 2005 einer späteren zurückweisenden Entscheidung nicht entgegen. Wie dargelegt, hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im vorliegenden Fall lediglich ansatzweise ermittelt, Ermittlungen zu zentralen für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltsaspekten wurden unterlassen. Es war somit in einer Gesamtschau aller unter Punkt II.2. dargestellten Mängel zwingend spruchgemäß zu entscheiden.

Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs 6a und 7 BFA-VG unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Denn das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:W161.2218339.1.01

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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