Entscheidungsdatum
16.05.2019Norm
BFA-VG §18 Abs3Spruch
L504 2210816-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX geb., StA. Türkei, vertreten durch Sparlinek, Piermayr, Prossliner Rechtsanwälte KG sowie durch RA Mag. Dr. Helmut Blum, LL.M., MAS LL.M. gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.10.2018, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG idgF sowie § 70 Abs. 3 FPG idgF, § 18 Abs 3 BFA-VG stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrenshergang
Aus dem von der Behörde dargestellten und unbestritten gebliebenen Verfahrensgang ergibt sich Folgendes (Auszug aus dem Bescheid des Bundesamtes):
"[...]
- Sie wurden am XXXX 1985 in Linz geboren.
- Laut Akt haben Sie in Österreich die Schule besucht.
- Bei der Bezirkshauptmannschaft XXXX stellten Sie am 14.12.1998 einen Antrag auf Verlängerung Niederlassungsbewilligung "Familiengemeinschaft".
- Die Bezirkshauptmannschaft XXXX erteilte Ihnen am 26.12.1998 eine unbefristete Niederlassungsbewilligung.
- Am 01.04.2009 ehelichten Sie am Standesamt XXXX die österreichische Staatsbürgerin XXXX .
- Am XXXX .2009 wurde Ihre Tochter XXXX , österr. Staatsbürgerin in Linz, geboren
- Das zweite Kind XXXX wurde am XXXX .2012 in Linz geboren und ist ebenfalls österr. Staatsbürgerin.
- Vom Bezirksgericht XXXX wurden Sie am XXXX .2015 unter Zahl [...] wegen § 146 StGB zu einer Geldstrafe von 70 Tags zu je 4,00 EUR (280,00 EUR) im NEF 35 Tage Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil erwuchs mit 24.02.2015 in Rechtskraft.
- Weiters wurden Sie mit Urteil vom XXXX des Landesgerichtes XXXX , Zahl [...], rechtskräftig mit XXXX , wegen § 153d (1) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten 25 Tage bedingt, Probezeit 3 Jahre, Zusatzstrafe gem. §§ 31 und 40 StGB unter Bedachtnahme auf BG XXXX , verurteilt.
- Die vor dem Standesamt XXXX am 01.04.2009 geschlossene Ehe wurde mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX , Zahl [...] am XXXX .2017 geschieden.
- Mit Bescheid vom XXXX .2017 der Landespolizeidirektion XXXX wurde über Sie ein Waffenverbot verhängt.
- Mit Urteil vom XXXX .07.2017 des Landesgerichtes XXXX , Zahl [...], rechtskräftig mit XXXX wurden Sie wegen §§ 107 (1), 107 (2) StGB, § 125 StGB, § 107 (1) StGB zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten bedingt, Probezeit 3 Jahre verurteilt.
- Am XXXX .11.2017 wurden Sie von der Polizeiinspektion XXXX festgenommen und am XXXX .2017 in die Justizanstalt XXXX eingeliefert.
- Vom Landesgericht XXXX wurden Sie mit Urteil vom XXXX , XXXX , rechtskräftig, wegen § 105 (1) StGB, § 107 (1) StGB, § 201(1) StGB, § 15 StGB, § 105 (1) StGB, § 83 (1) StGB, §§ 107 (1), 107 (2) 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt.
- Mit Schreiben vom 19.09.2018 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion XXXX , wurde Ihnen die Beabsichtigung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zur Kenntnis gebracht. Gleichzeitig wurde Ihnen die Möglichkeit zur Stellungnahme bezüglich Ihren privaten und familiären Verhältnisse geboten. Das Schriftstück wurde von Ihnen nachweislich am 21.09.2018 übernommen. Von der Abgabe einer Stellungnahme machten Sie keinen Gebrauch.
- Der vorbereitete Entlassungszeitpunkt ist der 03.11.2020.
- Mit Verfahrensanordnung vom heutigen Tag wurde Ihnen ein Rechtsberater gemäß § 52 BFA - VG für ein allfälliges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
[...]"
Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens hat das Bundesamt entschieden:
"I. Gemäß § 67 Absatz 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wird gegen Sie ein für die Dauer von 8 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
II. Gemäß § 70 Absatz 3 Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wird Ihnen kein Durchsetzungsaufschub erteilt.
III. Einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot wird gemäß § 18 Absatz 3 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012, (BFA-VG) idgF, die aufschiebende Wirkung aberkannt. "
Mit Schriftsatz vom 16.11.2018 wurde von der Kanzlei KSPP die Vollmacht bekannt gegeben und die Übermittlung einer elektronischen Aktenkopie beantragt.
Gegen den oben angeführten Bescheid wurde von einem weiteren Rechtsfreund innerhalb offener Frist Beschwerde eingebracht. Im Wesentlichen legt die Beschwerde dar, warum das private und familiäre Interesse am Verbleib der bP in Österreich die öffentlichen Interessen überwiegen würden:
* die bP sei in Österreich geboren und sozialisiert worden
* sie sei der türkischen Sprache in Wort und Schrift nicht im erforderlichen Ausmaß mächtig und habe in der Türkei kein soziales Netzwerk
* die Mutter der bP hätten für ihre beiden Kinder das Sorgerecht übernommen und würden diese in Österreich leben
* beide Kinder sowie die Mutter der bP seien auf ihre Unterstützung angewiesen
* die Berührungspunkte mit der Mutter der Kinder würden sich künftig auf ein Mindestmaß reduzieren, sodass in Bezug auf sie mit der Begehrung weiterer strafbarer Handlungen durch die bP nicht zu rechnen sei
* die letzte Verurteilung basiere nur auf Indizien; die Strafe sei im unteren Bereich angesiedelt
* sie habe aus dem Haftübel gelernt
* weiteres Vorbringen behalte sich die bP noch vor
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde Beweis erhoben.
1. Feststellungen (Sachverhalt)
Die in Österreich geborene und die türkische Staatsangehörigkeit innehabende bP hat seit 26.12.1998 eine unbefristete Niederlassungsbewilligung "Familiengemeinschaft" und erhielt am 19.12.2013 einen Aufenthaltstitel, Daueraufenthalt - EU.
Sie verfügt in Österreich über einen Freundeskreis und beherrscht die deutsche Sprache. Sie hat nie in der Türkei gelebt und verfügt dort über kein soziales Netzwerk oder Verwandte. Aktuelle, behandlungsbedürftige Erkrankungen wurden nicht dargelegt.
Von 11.09.2000 bis 02.11.2017 ging die bP verschiedenen Beschäftigungen als Arbeiter bzw. geringfügig beschäftigter Dienstnehmer nach; vom 02.01.2014 bis 31.08.2014 war die bP gewerbl. selbstständig Erwerbstätiger ohne Beiträge nach dem BSVG, GSVG, FSVG zu entrichten; sie wurde zwischendurch immer wieder arbeitslos und bezog deswegen staatliche Leistungen in Form von Arbeitslosenbezug, Notstandshilfe bzw. Überbrückungshilfe. Die bP bezog zuletzt vom 30.09.2017 bis 18.10.2017 Arbeitslosengeld und vom 19.10.2017 bis 02.11.2017 Notstandshilfe bzw. Überbrückungshilfe. Mit 27.11.2017 kam die bP in Strafhaft.
Die bP war mit einer österreichischen Staatsbürgerin mit türkischer Herkunft verheiratet. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor. Am XXXX .2017 wurde die am 01.04.2009 in XXXX geschlossene Ehe geschieden. Die Obsorge der beiden Kinder wurde laut Beschluss des BG XXXX vom XXXX , XXXX der XXXX der bP übertragen und ein Unterhaltsvorschuss vom 01.11.2017 bis 31.10.2022 gewährt. Die bP ist für die zwei minderjährigen Kinder unterhaltspflichtig. Die bP besitzt kein Vermögen und belaufen sich ihre Schulden auf rund EUR 200.000,00. Sie befindet sich im Privatkonkurs.
Die bP weist in Österreich 4 Jahre ordnungsgemäße Beschäftigung auf und erfüllt nach Angaben des AMS die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 3. Gedankenstrich des Assoziationsabkommens EU-Türkei (ARB) 1/80.
Während der Haftverbüßung seit 11/2017 wurde die bP von den in Österreich lebenden Eltern, Geschwistern, Verwandten und ihren beiden Kinder regelmäßig besucht.
Die bP wurde mit 24.02.2015 rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 70 Tags zu je 4,00 EUR (280,00 EUR) im NEF 35 Tage Ersatzfreiheitsstrafe wegen des Vergehens des Betruges gem. § 146 StGB SMG verurteilt.
Mit XXXX wurde gegen sie eine bedingte Freiheitsstrafe von 5 Monaten und 25 Tagen mit einer Probezeit von 3 Jahren sowie unter Bedachtnahme auf das vorgenannte Urteil eine Zusatzstrafe gem. §§ 31 und 40 StGB wegen des Vergehens des betrügerischen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen und Zuschlägen nach dem Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz, verhängt.
Mit 03.07.2015 wurde die Probezeit beim vorgenannten Urteil auf insgesamt 5 Jahre verlängert.
Mit 03.07.2017 wurde gegen sie eine bedingte Freiheitsstrafe von 7 Monaten mit einer Probezeit von drei Jahren wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach den §§ 107 (1) und 107 (2) StGB, dem Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB und dem Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 (1) StGB, verhängt.
Mit XXXX wurde die Probezeit beim vorgenannten Urteil auf insgesamt 5 Jahre verlängert.
Mit 23.07.2018 wurde gegen sie eine unbedingte Freiheitsstrafe von 3 Jahren wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 (1) StGB, wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 (1) StGB, wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 (1) StGB, wegen des Vergehens der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs. 1 StGB, wegen Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB und wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach den §§ 107 Abs. 1 und 107 Abs. 2 1. Fall StGB, verhängt.
2. Beweiswürdigung
Die getroffenen Feststellungen beruhen im Wesentlichen auf jenen, die die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid auf Grund ihres Ermittlungsverfahrens festgestellt hat, sich im Akteninhalt des Bundesamtes wiederfinden und unbestritten blieben. Die Beschwerde tritt in erster Linie der rechtlichen Beurteilung des Bundesamtes entgegen. Den Feststellungen wird nicht substantiiert entgegengetreten.
3. Rechtliche Beurteilung
Mit jüngster Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0009, hat dieser, hier zusammengefasst dargelegt, klargestellt, dass auch in Bezug auf türkische Staatsangehörige, welche in den Anwendungsbereich des ARB 1/80 fallen bzw. daraus ein Aufenthaltsrecht innehaben, für eine Aufenthaltsbeendigung nur eine Rückkehrentscheidung und gegebenenfalls ein Einreiseverbot in Frage kommen und nicht eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot.
So führt der Verwaltungsgerichtshof in der zitierten Entscheidung aus:
"[...] Türkische Staatsangehörige - auch solche mit einer Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 - sind "sonstige" Drittstaatsangehörige. Sie unterfallen daher dem Wortlaut nach § 52 FPG. Vor allem aber ist zu bedenken, dass türkische Staatsangehörige, gegen die in Einklang mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wird, zu illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen werden, denen daher nach der Rückführungs-RL im Wege einer Rückkehrentscheidung eine Rückkehrverpflichtung in ihr Herkunftsland, ein Transitland gemäß gemeinschaftlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder in ein anderes Drittland, in das sie freiwillig zurückkehren wollen und in dem sie aufgenommen werden, aufzuerlegen ist (Art. 6 Abs. 1 und 6 iVm Art. 3 Z 3 und 4 Rückführungs-RL). Das wird im österreichischen Rechtsbereich (seit 1. Jänner 2014 zur Gänze) nur mehr durch die Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG umgesetzt, die nach dem 8. Absatz dieser Bestimmung den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde, verpflichtet. Demgegenüber verpflichten Ausweisungen nach § 66 FPG und Aufenthaltsverbote nach § 67 FPG nur zur Ausreise aus Österreich (siehe § 70 Abs. 1 FPG).
Vor diesem Hintergrund ist nunmehr auch gegen türkische Staatsangehörige, die über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 verfügen und deren Aufenthalt in Übereinstimmung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beendet werden soll, anders als nach der bis 31. Dezember 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr ein Aufenthaltsverbot, sondern eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu erlassen.
Freilich hat es dabei zu bleiben, dass diese Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot eine Gefährdung voraussetzt, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder, wie sich aus EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält, Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG - entspricht. [...]"
Gegenständlich hat das Bundesamt gegen einen rechtmäßig aufhältigen türkischen Staatsangehörigen, der ihrer Prüfung nach unter den Anwendungsbereich des ARB 1/80 fällt, ein Aufenthaltsverbot gem. § 67 FPG erlassen. Wie sich aus der oa. jüngsten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ergibt, wurde damit die Rechtslage verkannt und wäre allenfalls eine Rückkehrentscheidung mit Einreiseverbot zu prüfen.
Es war daher der Beschwerde stattzugeben und der Bescheid zur Gänze zu beheben.
Eine Verhandlung konnte gem. § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen, da auf Grund der Aktenlage feststand, dass der Bescheid aufzuheben ist.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub Einreiseverbot Rechtsgrundlage StraffälligkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:L504.2210816.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020