TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/28 L504 2215828-2

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Veröffentlicht am 28.05.2019
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Entscheidungsdatum

28.05.2019

Norm

BFA-VG §18
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

L504 2215828-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb., StA. Türkei, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.05.2019, Zl. 442023300-171015415, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG idgF sowie § 70 Abs. 3 FPG idgF, § 18 BFA-VG idgF stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

Aus dem von der Behörde dargestellten und unbestritten gebliebenen Verfahrensgang ergibt sich Folgendes (Auszug aus dem Bescheid des Bundesamtes):

"[...]

Sie reisten im Jahr 2001 nach Österreich ein und erhielten ein Aufenthaltsrecht als Studierender, wobei sich später herausstellte, dass dies mit Hilfe von manipulierten Unterlagen erfolgte. Durch die Hochzeit mit einer Österreicherin konnten Sie weiter aufhältig bleiben, wobei diese Ehe, welche bereits 2005 wieder geschieden worden ist, eher als Scheinehe anzusehen war. Schon damals zeugen zahlreiche Verwaltungsstrafverfahren von Ihrem getrübten Rechtsverständnis. 2009 wurden Sie erstmals strafrechtlich zu 4 Monaten bedingter Freiheitsstrafe aufgrund versuchter schwerer Körperverletzung verurteilt. 2014 wurden Sie aufgrund von Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Nun erfolgte mit Rechtskraft 26.09.2018 eine Verurteilung wegen Schlepperei zu vier Jahren Freiheitsstrafe. Aufgrund Ihrer Arbeitstätigkeit von über einem Jahr bei der gleichen Firma, fallen Sie unter das Assoziationsabkommen und sind somit als begünstigter Drittstaatsangehöriger anzusehen, womit ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist.

Aufgrund der begangenen Straftaten, die eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstellen, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gem. § 67 Abs. 1 & 2 FPG beabsichtigt worden, was Ihnen wiederum mit einer Verständigung zur Beweisaufnahme am 24.10.2018 mitgeteilt wurde. Sie geben eine Stellungnahme ab.

Der erlassene Bescheid vom 21.01.2019 wurde nach erfolgter Beschwerde vom Bundesverwaltungsgericht zur Erlassung eines neuen Bescheides am 19.03.2019 an das BFA zurückverwiesen. Am 21.03.2019 wurden Sie einvernommen.

B) Beweismittel

Die Behörde zog die folgenden Beweismittel heran:

- Von Ihnen vorgelegte Beweismittel:

- Einvernahme vom 20.02.2018 und vom 21.03.2019

- Ihre Stellungnahme vom 07.11.2018

- Weitere von der Behörde herangezogene Beweismittel:

- Alle Unterlagen aus dem Akt zur IFA-Zahl 442023300

[...]"

Das Bundesamt hat folglich entschieden:

"I. Gemäß § 67 Absatz 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wird gegen Sie ein für die Dauer von 10 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

II. Gemäß § 70 Absatz 3 Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, wird Ihnen kein Durchsetzungsaufschub erteilt.

III. Einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot wird gemäß § 18 Absatz 3 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012, (BFA-VG) idgF, die aufschiebende Wirkung aberkannt."

Dagegen wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.

Der Verwaltungsakt langte am 24.05.2019 beim BVwG in Wien ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt)

Das Bundesamt traf nachfolgende Feststellungen:

"[...]

Zu Ihrer Person:

Ihre Identität steht fest. Sie sind Staatsangehöriger der Türkei, konnten jedoch kein gültiges Reisedokument vorlegen. Sie sind geschieden und haben ein Kind.

Zu Ihrem Aufenthalt in Österreich:

Sie reisten im Jahr 2001 nach Österreich ein und erhielten ein Aufenthaltsrecht als Studierender, wobei sich später herausstellte, dass dies mit Hilfe von manipulierten Unterlagen erfolgte. Durch die Hochzeit mit einer Österreicherin konnten Sie weiter aufhältig bleiben, wobei diese Ehe, welche bereits 2005 wieder geschieden worden ist, eher als Scheinehe anzusehen war.

Schon damals zeugen zahlreiche Verwaltungsstrafverfahren von Ihrem getrübten Rechtsverständnis:

Aktseite 114: Straferkenntnis vom 10.04.2002 Geldstrafe 419.- aufgrund § 1 Abs. 3 FSG und § 20 Abs. 2 StVO

Aktseite 190: Strafverfügung vom 15.10.2004 Geldstrafe 42.- aufgrund §§ 1, 39 und 367 Zi. 1 GewO

Aktseite 191: Strafverfügung vom 15.10.2004 aufgrund Sperrstundenüberschreitung zu 168.-

Aktseite 325: Straferkenntnis vom 01.12.2005 aufgrund § 28 Abs. 1 Zi. 1 AuslBG zu 1900.-

Aktseite 326: Strafverfügung vom 10.07.2006 aufgrund § 366 Abs. 1 Zi. 1 GewO zu 210.-

Aktseite 337: Strafverfügung vom 15.11.2006 aufgrund § 367 Zi. 1 iVm § 39 Abs. 4 GewO zu 77.-

Aktseite 379: Strafverfügung vom 29.06.2009 aufgrund § 367 Zi. 1 iVm § 39 Abs. 4 GewO zu 260.-

Aktseite 396: Straferkenntnis vom 01.02.2011 aufgrund § 5 Abs. 1 StVO zu 800.-

2009 wurden Sie erstmals strafrechtlich zu 4 Monaten bedingter Freiheitsstrafe aufgrund versuchter schwerer Körperverletzung verurteilt. 2014 wurden Sie aufgrund von Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Nun erfolgte mit Rechtskraft 26.09.2018 eine Verurteilung wegen Schlepperei zu vier Jahren Freiheitsstrafe.

Sie sind im Besitz eines Aufenthaltstitels Rot-Weiß-Rot Karte Plus. Aufgrund Ihrer Arbeitstätigkeit von über einem Jahr bei der gleichen Firma, fallen Sie unter das Assoziationsabkommen und sind somit als begünstigter Drittstaatsangehöriger anzusehen. Momentan befinden Sie sich in Haft.

Zu Ihrem Privat- und Familienleben:

Sie sind geschieden und laut Ihren Angaben in einer Lebensgemeinschaft. Mit Ihrer slowakischen Lebensgefährtin haben Sie auch ein 2016 geborenes Kind. Sie waren zuletzt als Taxifahrer beschäftigt und sprechen einfaches Deutsch.

Auch sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass dieses Aufenthaltsverbot nur für Österreich gilt und es Ihnen damit möglich ist im Herkunftsstaat Ihrer Lebensgefährtin oder in anderen EU Staaten zu leben.

Zur Lage in Ihrem Herkunftsstaat

[...]"

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen ergeben sich im Wesentlichen unstreitig auf Grund der Aktenlage des Bundesamtes.

3. Rechtliche Beurteilung

Mit jüngster Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0009, hat dieser klargestellt, dass auch in Bezug auf türkische Staatsangehörige, welche in den Anwendungsbereich des ARB 1/80 fallen bzw. daraus ein Aufenthaltsrecht innehaben, als "sonstige Drittstaatsangehörige" gelten und für eine Aufenthaltsbeendigung nur eine Rückkehrentscheidung und gegebenenfalls ein Einreiseverbot in Frage kommen und nicht eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot.

So führt der Verwaltungsgerichtshof in der zitierten Entscheidung aus:

"[...] Türkische Staatsangehörige - auch solche mit einer Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 - sind "sonstige" Drittstaatsangehörige. Sie unterfallen daher dem Wortlaut nach § 52 FPG. Vor allem aber ist zu bedenken, dass türkische Staatsangehörige, gegen die in Einklang mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wird, zu illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen werden, denen daher nach der Rückführungs-RL im Wege einer Rückkehrentscheidung eine Rückkehrverpflichtung in ihr Herkunftsland, ein Transitland gemäß gemeinschaftlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder in ein anderes Drittland, in das sie freiwillig zurückkehren wollen und in dem sie aufgenommen werden, aufzuerlegen ist (Art. 6 Abs. 1 und 6 iVm Art. 3 Z 3 und 4 Rückführungs-RL).

Das wird im österreichischen Rechtsbereich (seit 1. Jänner 2014 zur Gänze) nur mehr durch die Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG umgesetzt, die nach dem 8. Absatz dieser Bestimmung den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftsstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde, verpflichtet. Demgegenüber verpflichten Ausweisungen nach § 66 FPG und Aufenthaltsverbote nach § 67 FPG nur zur Ausreise aus Österreich (siehe § 70 Abs. 1 FPG).

Vor diesem Hintergrund ist nunmehr auch gegen türkische Staatsangehörige, die über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 verfügen und deren Aufenthalt in Übereinstimmung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beendet werden soll, anders als nach der bis 31. Dezember 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr ein Aufenthaltsverbot, sondern eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu erlassen.

Freilich hat es dabei zu bleiben, dass diese Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot eine Gefährdung voraussetzt, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder, wie sich aus EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält, Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG - entspricht. [...]"

Daraus folgt für diesen Fall:

Gegenständlich hat das Bundesamt gegen einen rechtmäßig aufhältigen türkischen Staatsangehörigen, der ihrer Prüfung nach unter den Anwendungsbereich des ARB 1/80 fällt, ein Aufenthaltsverbot gem. § 67 FPG erlassen.

Wie sich aus der oa. jüngsten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ergibt, wurde damit die Rechtslage verkannt und wäre zur Aufenthaltsbeendigung der bP als "sonstige Drittstaatsangehörige" hier allenfalls eine Rückkehrentscheidung mit oder ohne Einreiseverbot zu prüfen.

Freilich hat es dabei zu bleiben, dass diese Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot eine Gefährdung voraussetzt, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder, wie sich aus EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält, Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG - entspricht. [...], so der Verwaltungsgerichtshof in der zitierten Entscheidung.

Dass es sich bei der bP um eine begünstigte Drittstaatsangehörige iSd § 2 Abs 4 Z 11 FPG handeln würde und somit doch die §§ 66 ff FPG zur Anwendung gelangen, hat das Bundesamt hier nicht aufgezeigt.

Es war daher der Beschwerde stattzugeben und der Bescheid zur Gänze zu beheben.

Eine Verhandlung konnte gem. § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen.

Auf Grund gegebener Deutschkenntnisse der bP konnte eine Übersetzung von Spruch und Rechtsmittelbelehrung entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub Einreiseverbot Rechtsgrundlage Straffälligkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L504.2215828.2.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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