TE Bvwg Erkenntnis 2019/5/28 L504 2120693-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.05.2019
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Entscheidungsdatum

28.05.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

L504 2120693-1/50E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb., StA. Irak, vertreten durch RA Dr. Weh, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.01.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3, 8, 10, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF, §§ 52 Abs. 2 Z 2 u. Abs 9, 46, 55 FPG mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der erste Satz von Spruchpunkt III. des bekämpften Bescheides zu lauten hat: "Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wird Ihnen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt".

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrenshergang

Die beschwerdeführende Partei [bP] stellte am 19.06.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Es handelt sich dabei um einen Mann, welcher seinen Angaben nach Staatsangehöriger des Irak mit sunnitischem Glaubensbekenntnis ist, der Volksgruppe der Araber angehört und aus Bagdad stammt.

In der von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung gab die bP am 20.06.2015 zu ihrer Ausreisemotivation und Rückkehrbefürchtung Folgendes an:

"Warum haben Sie Ihr Land verlassen (Fluchtgrund)?

Wegen dem Krieg in meinem Land.

[...]

Was befürchten Sie bei einer Rückkehr in Ihre Heimat?

Ich habe Angst um mein Leben.

Gibt es konkrete Hinweise, dass Ihnen bei Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohen? Hätten sie im Falle einer Rückkehr in Ihrem Heimatstaat mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen? Wenn ja, welche?

Nein."

In der nachfolgenden Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl brachte die bP zu ihrer ausreisekausalen Problemlage im Herkunftsstaat und allfälligen Problemen die sie im Falle der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat erwarte, am 11.12.2015 im Wesentlichen vor:

"[...]

F: Schildern Sie detailliert alle Gründe und konkreten Vorfälle, welche Sie zum Verlassen Ihres Heimatlandes veranlasst haben!

A: In Zayona gibt es zwar keine Bombenanschläge, aber da sind die Milizen. (AW weint) Ich habe gearbeitet im XXXX Hotel in einem Saal, da werden Hochzeiten gefeiert. Ich wurde bedroht, weil die Arbeit für die Milizen als Haram (unreligiös, nicht toleriert vom Islam) angesehen wird. Bei mir in Zayona bekommen wir keine Drohbriefe, sondern wir bekommen gleich Besuch zu Hause. Ich wurde zu Hause bedroht. Mein Vater hat Besuch bekommen, ihm wurde mitgeteilt, dass ich nicht mehr arbeiten soll, weil diese eben nicht religiös ist. Auch mein Chef in der Arbeit wurde bedroht, er hatte Angst um mich und hat mich gebeten, nicht mehr in die Arbeit zu kommen.

Ich habe später gemeinsam mit Schulfreunden einen Verein gegründet, also nicht offiziell, wir waren eine Gruppe von 13 Personen und wir haben Flüchtlingen geholfen, die vor dem IS geflohen sind.

Ich habe Spenden von Privaten und Moscheen gesammelt, habe dann Kleidungen, Geld, Medikamente an die Flüchtlinge verteilt.

Daraufhin wurde ich bedroht, dass ich das nicht weitermachen sollte. Man sagte mir, die Flüchtlinge würden zum IS gehören.

Es war eine humanitäre Hilfe, deshalb habe ich nicht aufgehört damit. Ich habe akzeptiert, dass die Arbeit im Hotel Haram war, aber helfen wollte ich weiter, weil die Flüchtlinge auf unsere Hilfe angewiesen sind. Familien, die nach Bagdad geflüchtet sind und ärztliche Versorgung brauchen, benötigen eine in Bagdad wohnhafte Familie als Bürgen. Die Milizen sind oft zu Familien in der Umgebung gekommen und haben dann beide Familien, sowohl die Flüchtlinge als auch die Bürgen, mitgenommen.

Am 27.05.2014 wurden dann 2 Kollegen unseres Vereins ermordet. Seitdem haben wir den Leuten nicht mehr öffentlich geholfen, sondern alles im Geheimen gemacht, weil wir Angst hatten, getötet zu werden.

Am 22.06.2014 in der Nacht, sind die Milizen zu mir nach Hause gekommen, sie wollten mich mitnehmen. Mein Vater hat sie gesehen, ich bin übers Dach geflüchtet. Mein Freund, der auch aktiv im Verein war, war mein Nachbar, er wurde an diesem Abend mitgenommen. Wir wissen bis heute nicht, was passiert ist. Sie haben mein Haus durchsucht, mich aber nicht gefunden. Daraufhin haben sie meinen Nachbarn, der auch mein Freund war, mitgenommen, und 3 Schüsse auf unser Haus abgefeuert.

Ich bin zu einem Freund geflüchtet, der wohnte 10 Minuten Fußweg entfernt, in Ghadir. Mein Vater rief mich an, er sagte, ich soll nicht mehr nach Hause kommen, weil sie mich suchen. Daraufhin bin ich zu meiner Schwester Mariam gegangen, sie wohnt in Adamieh. Am nächsten Tag kamen meine Eltern und brachten mir alle meine Dokumente. Ich bin nach Suleymaniya geflogen. Ich weiß, dass wenn die Milizen einmal Schüsse auf ein Haus abgefeuert haben, dass einem das nächste Mal droht, dass sie einen erschießen. In Kurdistan darf ich als junger Mann nicht einreisen, deshalb bin ich mit meiner Schwester und ihrem Ehemann dort hingeflogen. Ich habe alles probiert, damit ich in Kurdistan bleiben kann, aber es gelang mir nicht, deshalb bin ich in die Türkei geflogen.

[...]

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich vom Bundesamt gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt.

Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zugesprochen.

Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 und § 55 AsylG wurde nicht erteilt.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei.

Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Das Bundesamt gelangte im Wesentlichen zur Erkenntnis, dass hinsichtlich der Gründe für die Zuerkennung des Status eines asyl- oder subsidiär Schutzberechtigten eine aktuelle und entscheidungsrelevante Bedrohungssituation nicht glaubhaft gemacht worden sei. Ebenso ergebe sich aus der allgemeinen Lage im Herkunftsstaat keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende bzw. reale Gefährdung der bP. Abschiebungshindernisse lägen demnach nicht vor. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen seien nicht gegeben. Ein die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung übersteigendes Privat- und Familienleben würde nicht vorliegen und wurde daher eine Rückkehrentscheidung verfügt.

Gegen diesen Bescheid wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben, wobei die bP ihr bisheriges Vorbringen im Großen und Ganzen wiederholte. Moniert wird im Wesentlichen, dass

* die bP aus Furcht vor einer unterstellten staatsfeindlichen Gesinnung beruhenden sowie religiös motivierten Verfolgung von privater Seite, nämlich schiitischen Milizen und mangels Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des Staates geflohen sei;

* sie bei einer Rückkehr unmenschliche Behandlung zu erwarten hätte;

* sie sowohl bei der Polizei als auch beim Bundesamt zu ihren Asylgründen Stellung bezogen habe;

* sie im Hotel ua. für die Vorbereitung von Hochzeitsfeiern zuständig gewesen sei und diese Arbeit sei nach der Ansicht der Milizen nicht mit dem Islam vereinbar gewesen;

* ihr im Zusammenhang mit der Flüchtlingshilfe die Unterstützung von IS Terroristen unterstellt würde;

* sie mit polizeilichem Schutz nicht rechnen könne;

* eine innerstaatliche Fluchtalternativ nicht zur Verfügung stünde.

Am 07.02.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit der bP sowie im Beisein ihres bevollmächtigten Rechtsfreundes eine Verhandlung durch. Das BFA blieb der Verhandlung fern.

Mit der Ladung wurde die beschwerdeführende Partei auch umfassend auf ihre Mitwirkungsverpflichtung im Beschwerdeverfahren hingewiesen und sie zudem auch konkret aufgefordert, insbesondere ihre persönliche Ausreisemotivation und sonstigen Rückkehrbefürchtungen soweit als möglich spätestens in der Verhandlung durch geeignete Unterlagen bzw. Bescheinigungsmittel glaubhaft zu machen, wobei eine umfassende, jedoch demonstrative Aufzählung von grds. als geeignet erscheinenden Unterlagen erfolgte.

Im Zuge der Verhandlung wurde seitens des BVwG die asyl- und abschiebungsrelevante Einschätzung und die Nennung der Quellen auf die sich diese bezieht erörtert. Die bP äußerte sich dazu und wurde zudem eine vierzehntätige Frist zur ergänzenden schriftlichen Stellungnahme eingeräumt.

Es wurde der bP am Ende der Verhandlung aufgetragen das BVwG in Entsprechung ihrer Mitwirkungsverpflichtung und Verfahrensförderungspflicht (§ 15 AsylG, § 39 Abs 2a AVG) unverzüglich zu verständigen, wenn sich entscheidungsrelevante Änderungen, die ihren Antrag auf internationalen Schutz bzw. ihr Privat- und Familienleben betreffen, ergeben.

Nach der Verhandlung legte sie am 21.02.2019 ua. einen USB Stick mit rd. 200 MB Videomaterial und 26 Einzeldateien vor und verwies lediglich allgemein dahingehend, dass darauf "eine Vielzahl von Videos" seien, welche die katastrophale Lage verdeutlichen würden. Im Rahmen ihrer Mitwirkungs- und Verfahrensförderungspflicht wurde sie zur Konkretisierung aufgefordert, der sie am 07.03.2019 nachkam.

Weiters stellte sie durch ihren Rechtsfreund im oa. Schreiben, somit rd. 2 Wochen nach der Verhandlung, erstmals nachfolgende Beweisanträge:

"Zum Beweis dafür,

- dass ihm aufgrund der Gründung eines Vereines, der Flüchtlinge unterstützte, und

aufgrund seiner Zugehörigkeit zu den Sunniten, asylrechtlich relevanter Verfolgung

aus politischen Gründen, Angehörigkeit zu einer Religion und Zugehörigkeit zu einer

bestimmten sozialen Gruppe droht,

- sein Leben und seine Gesundheit im Irak bedroht ist, ihm insbesondere die gravierende

Verletzung eines Menschenrechtes, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung

droht,

- sein Leben, seine Sicherheit und seine Freiheit infolge willkürlicher Gewalt aufgrund

eines bewaffneten Konfliktes und systematischer und allgemeiner Menschenrechtsverletzungen

droht,

- dass der Beschwerdeführer aufgrund der von ihm geschilderten Umstände den Irak

verlassen musste

1. die Bestellung eines länderkundigen Sachverständigen,

2. den Vater XXXX , die beiden Schwestern XXXX und XXXX und den Schwager des Beschwerdeführers zum gesamten Fluchtvorbringen und zur nach wie vor aufrechten Suche der schiitischen Milizen nach dem Beschwerdeführer im Weg der zuständigen österreichischen Berufsvertretungsbehörde als Zeugen zu vernehmen;

3. im Wege der zuständigen österreichischen Berufsvertretungsbehörde, eines Vertrauensanwaltes, Accord oder einer anderen Organisation entsprechende Erhebung vor Ort durchzuführen, insbesondere zu den guten wirtschaftlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers vor der Ausreise, die Gründung des angegeben Vereins und die Verfolgung

durch schiitische Milizen."

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde sowie durch die Ergebnisse des ergänzenden Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben.

1. Feststellungen (Sachverhalt)

1.1. Identität und Herkunftsstaat:

Name und Geburtsdatum stehen lt. Bundesamt auf Grund der dort vorgelegten Kopie der Seite mit dem Lichtbild fest. Da dem BVwG selbst keine nationalen, mit Lichtbild versehenen Identitätsdokumente im Original vorlagen, kann mangels Überprüfbarkeit und unter Berücksichtigung der notorisch hohen Fälschungsrate von derartigen Identitätsdokumenten aus dem Irak, seitens des BVwG dazu keine eigene Feststellung getroffen werden.

Die bP bezeichnet sich der Volksgruppe der Araber und dem sunnitischen Glauben zugehörig.

Ihre Staatsangehörigkeit und der hier der Prüfung zugrundeliegende Herkunftsstaat ist der Irak.

1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnisse vor der Ausreise:

Die bP ist in Bagdad geboren, absolvierte dort ihre Schulbildung und wohnte auch in Bagdad.

Sie besuchte 6 Jahre Grundschule, 4 Jahre Mittelschule und 3 Jahre eine HTL. Sie arbeitete im Elektrobetrieb des Vaters mit.

1.3. Familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat

Der Vater sowie Geschwister und Verwandte leben im Irak. Es kann nicht festgestellt werden wo diese konkret wohnen, da die bP in der Verhandlung dazu die Antwort verweigerte (S 6).

Der Vater ist Eigentümer eines größeren Hauses welches er offiziell mit Mietvertrag vermietet. Darin wird ein XXXX betrieben. Der Vater lebt von seiner Pension sowie Mieteinnahmen.

1.4. Ausreisemodalitäten

Sie machte zu ihrer Ausreise aus dem Irak im Zuge zweier Einvernahmen unterschiedliche Angaben. In der Erstbefragung hat sie Bagdad mit dem Auto in Richtung Arbil verlassen und von dort dann in die Türkei. In der nachfolgenden Einvernahme gab sie an, dass sie von Bagdad per Flugzeug nach Suleymaniya geflogen sei. Es kann daher nicht festgestellt werden auf welche Art und Weise sie Bagdad verlassen hat.

In der Türkei lebte sie nach der Ausreise aus dem Irak ca. 11 Monate in Istanbul. Sie hat ihr Leben durch Erwerbstätigkeit bestritten. Da sie von Istanbul enttäuscht war, hat sie die Türkei mit Hilfe von Schleppern verlassen. Über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn wurde sie mit dem Wunschziel Hamburg im Zug in Österreich von der Polizei kontrolliert und wegen nicht rechtmäßiger Einreise festgenommen. Bei der Polizei stellte sie gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. An Beweismittel, die die bP bei sich hatte, werden in der Erstbefragung ein Iphone 5 angeführt.

Zum Verbleib des heimatsstaatlichen Reisepasses machte sie im Zuge mehrerer Einvernahmen widersprüchliche Angaben. Das BVwG schließt daraus, dass sie nach wie vor im Besitz ihres irakischen Reisepasses ist, diesen aber aus asyltaktischen Motiven unter Verletzung ihrer Mitwirkungsverpflichtung den Asylinstanzen vorenthält.

Sie durchreiste auf ihrem Weg nach Österreich mehrere als sicher geltende Staaten. Es kam nicht hervor, dass sie in diesen bereits um Schutz ansuchte. Es kam nicht hervor, dass in keinem dieser Staaten eine Schutzsuche bzw. Schutzerlangung für tatsächliche Flüchtlinge gem. der GFK nicht möglich gewesen wäre.

1.5. Gesundheitszustand

Die bP hat im Verfahren keine aktuell behandlungsbedürftige und entscheidungsrlevante Erkrankung nachgewiesen.

1.6. Privatleben / Familienleben in Österreich; Art, Dauer, Rechtmäßigkeit des bisherigen Aufenthaltes:

Die bP begab sich mit Unterstützung einer kriminellen Schlepperorganisation nach Österreich und wurde am 19.06.2015 bei nicht rechtmäßigem Aufenthalt auf dem Reiseweg nach Deutschland betreten.

Mit der am selben Tag erfolgten Stellung des Antrages auf internationalen Schutz erlangte die bP eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gem. AsylG, die nach Antragsabweisung durch die am 03.02.2016 erfolgten Beschwerdeerhebung verlängert wurde.

Da ihr in diesem Verfahren weder der Status eines Asylberechtigten noch jener eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen war, erweist sich die Einreise als rechtswidrig und stellt grds. gem. § 120 Abs 1 u. Abs 7 FPG eine Verwaltungsübertretung dar.

Familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich:

Die bP hat in Österreich keine als Familienleben zu wertenden Umstände dargelegt oder nachgewiesen.

Schutzwürdigkeit des Privatlebens / Die Frage, ob das Privatleben / Familienleben zu einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstaates bewusst waren / Grad der Integration

Die bP hat gem. einem ÖSD Zertifikat Deutschkenntnisse auf Niveau A2 gemäß den GER für Sprachen.

Die bP absolviert in einem Unternehmen seit 15.01.2018 eine dreieinhalbjährige Lehre zum Metalltechniker. Aus der Schulnachricht vom 08.02.2019 über den Besuch der 1. Fachklasse ergibt sich folgende Leistungsbeurteilung:

Politische Bildung: 5

Deutsch und Kommunikation: 4

Berufsbezogene Fremdsprache Englisch: 4

Angewandte Wirtschaftslehre: 4

Mechanische Technologie: 5

Angewandte Mathematik: 4

Computergestütztes Fachzeichnen: 3

Der "Lehrherr" bestätigt der bP, dass dieser ein guter Mitarbeiter und lieber Freund geworden ist. Dieser ist fleissig, offen neue Dinge zu lernen sowie kritikfähig. Ein Nichtverbleib würde einen Verlust für ihn und für den Betrieb bedeuten.

Unterschriftensammlung für "ein Bleiberecht in Österreich" wurden ebenso vorgelegt wie Unterstützungserklärungen unterschiedlicher Personen. Die bP nimmt am sozialen Leben in der Gemeinde teil.

Teilweise oder gänzliche wirtschaftliche Selbsterhaltung während des Verfahrens:

Lt. vorgelegter Lohnkontoauszüge erhält die bP seit Beginn der Lehre 593 Euro brutto, plus Überstundenbezahlung von ca. 100 Euro brutto, an Lehrlingsentschädigung.

Aus dem Betreuungsinformationssystem ergibt sich, dass die bP im August 2018 zum letzten Mal Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung bezog.

Die bP hat alle privaten Anknüpfungspunkte in Österreich während einer Zeit erlangt, in der der Aufenthaltsstatus im Bundesgebiet stets prekär war. Der Lehrvertrag wurde zu einem Zeitpunkt geschlossen als der Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesamt bereits abgelehnt worden und das weitere Aufenthaltsrecht ungewiss war.

Bindungen zum Herkunftsstaat:

Die beschwerdeführende Partei ist im Herkunftsstaat geboren, absolvierte dort ihre Schulzeit, kann sich im Herkunftsstaat - im Gegensatz zu Österreich - problemlos verständigen und hat bei weitem ihr überwiegendes Leben in diesem Staat verbracht in dem sie auch sozialisiert wurde. In Österreich befindet sie sich erst seit ca. 4 Jahren.

Im Irak leben Familienangehörige, die sie auch während des Asylverfahrens durch Übermittlung von Bescheinigungsmitteln unterstützten.

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die beschwerdeführende Partei als von ihrem Herkunftsstaat entwurzelt zu betrachten wäre.

Strafrechtlich/verwaltungsstrafrechtlich relevantes Verhalten in Österreich während des Asylverfahrens:

Die bP wurde am 06.04.2017 wegen Verstoß gegen das Suchtmittelgesetz gem. § 27 Abs 1 SMG angezeigt. Sie ist geständig in der Zeit vom 20.06.2015, also bereits zum Zeitpunkt der Einreise, bis 03.02.2017 eine unbekannte Menge an Cannabiskraut erworben, besessen und konsumiert zu haben, wobei der Konsum an diversen Örtlichkeiten stattfand. Der Drogenkonsum wurde auch bei einem durchgeführten Drogentest nachgewiesen. Die bP hat ihren Angaben nach bereits 2014 in der Türkei begonnen Marihuana zu rauchen. Als Ende 2016 die Mutter verstarb, hat sie den Konsum gesteigert. Meistens kaufte sie die Suchtmittel am Bahnhöfen in Vorarlberg. Die Verkäufer waren meist Afghanen, die sie vom Sehen her kannte.

Die Staatsanwaltschaft ist gem. § 39 Abs 9 SMG vorläufig von der Strafverfolgung zurückgetreten.

Das Verhalten ist aus fremdenpolizeilicher Sicht zu werten bzw. zu berücksichtigen.

Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts:

Da der bP weder der Status einer Asylberechtigten noch der einer subsidiär schutzberechtigten Person zukommt, stellt die rechtswidrige Einreise (bei strafmündigen Personen) gegenständlich auch grds. eine Verwaltungsübertretung dar (vgl. § 120 Abs 7 FPG).

Die beschwerdeführende Partei verletzte - trotz diesbezüglicher Belehrung - durch die nichtwahrheitsgemäße Begründung ihres Antrages auf internationalen Schutz ihre Mitwirkungsverpflichtung im Asylverfahren.

Verfahrensdauer:

Das Verfahren vor dem Bundesamt dauerte vom 19.06.2015 bis 21.01.2016, das Verfahren vom dem BVwG nach Beschwerdeerhebung bis zum gegenständlichen Entscheidungszeitpunkt.

1.7. Zu den behaupteten ausreisekausalen Geschehnissen / Erlebnissen im Zusammenhang mit staatlichen bzw. nichtstaatlichen Akteuren und der zu erwartenden Rückkehrsituation:

Die bP vermochte die behaupteten, als ausreisekausal dargelegten, persönlichen Erlebnisse, so wie von ihr dargelegt, aus den in der Beweiswürdigung angeführten Gründen nicht glaubhaft machen.

Es kann somit nicht festgestellt werden, dass die bP im Zusammenhang mit ihrer als nicht glaubhaft erachteten ausreisekausalen Bedrohungslage im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat, konkret ihre Herkunftsregion Bagdad, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr oder einer entscheidungsrelevanten realen Gefahr von Leib und/oder Leben ausgesetzt wäre.

Aus den Angaben der bP ergibt sich im Herkunftsstaat, insbesondere in der Herkunftsregion der bP, unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse, keine Situation, wonach im Falle der Rückkehr eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts bestünde. Dies ergibt sich auch nicht aus der amtswegigen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat

Die bP war im Hinblick auf Unterkunft und Versorgung mit Lebensmitteln bislang in der Lage im Herkunftsstaat ihre Existenz zu sichern. Es wurde von ihr weder beim Bundesamt noch im Beschwerdeverfahren konkret und sunbstanziiert dargelegt, dass sie im Falle der Rückkehr nicht mehr ihre Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz decken könnte.

1.8. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat:

Nachfolgende Quellen wurden vom BVwG zur Lagebeurteilung herangezogen und mit der Möglichkeit zur mündlichen und schriftlichen Stellungnahme zu Gehör gebracht:

* BVwG, Internet Ereignisrecherche, Zeitraum 01.2019 - 06.02.2019, via Suchmaschine Google, Schlagwort Baghdad, Abfrage 06.02.2019

* Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Chronologische Auflistung sicherheitsrelevanter Vorfälle von Oktober 2018 bis Jänner 2019 mit Sunniten als Opfer, 31.01.2019

* Interview mit Journalistin Birgit Svensson, Oktober 2018

* Aljazeera, Baghdads Green Zone reopens, 11.01.2019

* Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak v. 20.11.2018

* BVwG, Vorläufige Lageeinschätzung zum Irak (auf Basis og. Quellen)

Auf Basis der verfahrensgegenständlichen Berichtslage ergibt sich für das BVwG zusammengefasst aktuell folgendes Lagebild zum Irak:

Politik / Zusammensetzung der Bevölkerung

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert. Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat, der aus 18 Provinzen besteht. Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte.

Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich. So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde. Die meisten religiös-ethnischen Gruppen sind im Parlament vertreten.

Der Irak hat ca. 38 Millionen Einwohner. Etwa 75-80 % der heute im Irak lebenden Bevölkerung sind Araber, 15-20 % sind Kurden und 5 % sind Turkomanen, rund 600.000 Assyrer/Aramäer, etwa 10.000 Armenier oder Angehörige anderer ethnischer Gruppen. Weiterhin sollen im Südosten 20.000 bis 50.000 Marsch-Araber leben. Von turkomanischen Quellen wird der Anteil der eigenen ethnischen Gruppe auf etwa 10 % geschätzt.

Etwa 97 % der Bevölkerung sind muslimisch. Über 60 % sind Schiiten und zwischen 32 und 37 % Sunniten; die große Mehrheit der muslimischen Kurden ist sunnitisch. Ca. 17-22 %, also ca. 6,5 bis 8,4 Millionen der Gesamtbevölkerung sind arabische Sunniten (vorwiegend im Zentral- und Westirak), ca. 15-20 % der Gesamtbevölkerung sind kurdische Sunniten. So wie Schiiten sind auch (arabische) Sunniten in hohen politischen (zB Parlamentspräsident) und öffentlichen Ämtern vertreten. Ebenso als Beschäftigte bei Polizei, Militär und Gerichten. Sunniten nehmen ebenso am sonstigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teil. Christen, Jesiden und andere Religionen bilden mit ca. 3 % eine Minderheit. Die Christen zählen überwiegend zu den orientalisch-christlichen Gemeinschaften: Chaldäisch-katholische Kirche, Assyrische Kirche des Ostens, Alte Kirche des Ostens, Armenische Apostolische Kirche, Römisch-katholische Kirche, Syrisch-katholische Kirche, Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien, Assyrisch-evangelische Kirche und andere.

Sicherheitskräfte - Milizen - Rechtschutz

Die irakischen Sicherheitskräfte ISF:

Im ganzen Land sind zahlreiche innerstaatliche Sicherheitskräfte tätig. Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Sicherheitskräften, die vom Innenministerium verwaltet werden, Sicherheitskräften, die vom Verteidigungsministerien verwaltet werden, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF, Popular Mobilization Forces), und dem Counter-Terrorism Service (CTS). Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig; es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Infrastruktur in diesem Bereich verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der Counter-Terrorism Service (CTS) ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören. Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 Armee-Angehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen.

Volksmobilsierungseinheiten (PMF):

Der Name bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen. Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere "Minderheiten-Einheiten" der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig. Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mosul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt. Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten. Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. Die Bemühungen der Regierung, die PMF als staatliche Sicherheitsbehörde zu formalisieren, werden fortgesetzt, aber Teile der PMF bleiben "iranisch" ausgerichtet. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderungen in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes.

Rechtschutz

Das reguläre Strafjustizsystem besteht aus Ermittlungsgerichten, Gerichten der ersten Instanz, Berufungsgerichten, dem Kassationsgerichtshof und der Staatsanwaltschaft. Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts. Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz. Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen und Einflussnahmen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein. Personal- und Kompetenzmangel wird zuweilen beklagt.

Die Verfassung gibt allen Bürgern das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess. Dennoch verabsäumen es Beamte vereinzelt, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen. Obwohl Ermittlungs-, Prozess- und Berufungsrichter im Allgemeinen versuchen, das Recht auf ein faires Verfahren durchzusetzen, gibt es diesbezüglich Mängel im Verfahren. Urteile ergehen vereinzelt mit überschießend hohen Strafen.

Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich Iraker vereinzelt auch an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt.

Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt.

Sicherheitslage

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat. Die Sicherheitslage hat sich, seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde, verbessert. Vereinzelte, untergetauchte IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten für Verbrechen verantwortlich. Ebenso werden vereinzelt Übergriffe seitens schiitischer Milizen verzeichnet. Die allgemeine Kriminalitätsrate ist hoch. Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet grds. nicht statt. In der Autonomen Region Kurdistan sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt.

Wenngleich es zum Teil erhebliche Mängel im Sicherheits- und Rechtschutzsystem gibt, kann nicht davon gesprochen werden, dass für die Bevölkerung generell keine wirksamen Schutzmechanismen vorhanden wären oder, dass dazu kein Zugang möglich wäre. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt.

Es ergibt sich auf Grund der aktuellen Berichtslage nicht, dass in Bagdad, eine Stadt mit rd. 8,4 Millionen Einwohner oder im gesamten Irak aktuell eine Lage herrschen würde, die für eine Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit (infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes) mit sich bringen würde.

Es kann auf Grund der aktuellen Berichtslage nicht festgestellt werden, dass derzeit quasi jede Person mit dem Persönlichkeitsprofil der beschwerdeführenden Partei (insbes. ethnische, konfessionelle Zugehörigkeit) im Irak bzw. in der Herkunftsregion einer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohenden Verfolgung aus asylrelevanten Motiven unterliegen würde.

Es kann ebenso nicht festgestellt werden, dass für diese Personen im Irak bzw. in der Herkunftsregion eine allgemeine Sicherheitslage herrschen würde, wonach sie per se einer realen Gefahr einer Gefährdung der persönlichen Unversehrtheit ausgesetzt wären

Sunniten

Ca. 17-22 %, also ca. 6,5 bis 8,4 Millionen der Gesamtbevölkerung sind arabische Sunniten (vorwiegend im Zentral- und Westirak), ca. 15-20 % der Gesamtbevölkerung sind kurdische Sunniten. So wie Schiiten sind auch arabische Sunniten in hohen politischen (zB Parlamentspräsident) und öffentlichen Ämtern vertreten. Ebenso als Beschäftigte bei Polizei, Militär und Gerichten. Sunniten nehmen ebenso am sonstigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teil. Es gibt Berichte über vereinzelte Menschenrechtsverletzungen an Sunniten, va. durch schiitische Milizen oder unbekannte Täter. Vor allem Personen die Angehörige der terroristischen Gruppierung IS sind oder im Verdacht stehen solche zu sein oder diese unterstützen, können derart gefährdet sein. Auf Grund der Berichtslage lässt sich nicht schließen, dass dies Teil eines systematischen, quasi jeden Sunniten gleichermaßen treffenden Risikos ist. Sunniten, die in schiitisch dominierten Regionen leben, können gesellschaftliche Diskriminierung in einem moderaten Level erfahren, vor allem in den südlichen Gouvernements. Es handle sich vorwiegend um Diskriminierung am Arbeitsmarkt bzw. um gesellschaftliche Diskriminierung aufgrund von Nepotismus. Schiitische Arbeitgeber würden eher Schiiten einstellen. Generell ist die Zahl von registrierten, sicherheitsrelevanten Vorfällen jedoch seit dem Zeitpunkt als der IS als "vertrieben" gilt, stark rückläufig und regional unterschiedlich.

Eine systematische Verfolgung von Sunniten, konkret in Bagdad, verneinend auch der VwGH, zB in Ra 2018/14/0354-11 vom 30. April 2019; vgl. auch uva. BVwG v. 07.03.2019, L504 2120407-1 [ein Sunnit namens Omar mit wiederholten Reisen und längeren Aufenthalten in Bagdad während des asylrechtlichen Beschwerdeverfahrens]).

Aktuelle Versorgungslage

Auf Grund klimatischer Verhältnisse (Wasserknappheit) und zum Teil veralteter Infrastruktur kann die Versorgung mit sauberem Wasser nicht überall gleich gut gewährleistet sein. Berichte, dass das Mindestmaß an lebensnotwendiger Versorgung mit Trinkwasser (zB auch durch Kauf von Trinkwasserflaschen in Geschäften) im Irak nicht möglich oder zugänglich wäre, liegen nicht vor.

Schätzungen des Welternährungsprogramms zufolge benötigen ca. 700.000 Iraker Nahrungsmittelhilfe. Das Sozialsystem wird vom sog. "Public Distribution System" (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen. Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme. Es sind alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen von PDS zu erhalten. An der Umsetzung kann es zu Mängeln kommen.

Es kann auf Grund der Berichtslage nicht festgestellt werden, dass aktuell im Irak bzw. in der Herkunftsregion eine derart schlechte Versorgungslage herrschen würde, dass nicht das zur Existenz unbedingt Notwendige erlangbar wäre.

Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können, haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert.

Bewegungsfreiheit

Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit, Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an. Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich, nachdem die vom IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden.

In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von Vertriebenen und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern, ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften aus Sicherheitsgründen die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken, Ausgangssperren zu verhängen, Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen. Es gab Berichte, dass Sicherheitskräfte (ISF, Peshmerga, PMF) Bestimmungen, die Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben, um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken, in der Vergangenheit selektiv umgesetzt haben.

Eine Kontrolle der eigenen Staatsangehörigen findet bei der Ausreise statt. Iraker mit gültigem Reisepass genießen Reisefreiheit und können die Landesgrenzen problemlos passieren.

Die kurdische Autonomieregierung schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten ein. Innerirakische Migration aus dem Zentralirak in die Autonome Region Kurdistan ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug jedoch kontrolliert. Wer dauerhaft bleiben möchte, muss sich bei der Asayish-Behörde des jeweiligen Bezirks anmelden. Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht. Die Behörden verlangen von Nicht-Ortsansässigen, Genehmigungen einzuholen, die einen befristeten Aufenthalt in der Autonomieregion erlauben. Diese Genehmigungen waren in der Regel erneuerbar. Bürger, die eine Aufenthaltserlaubnis für die Autonome Region Kurdistan bzw. die von ihr kontrollierten Gebiete einholen wollen, benötigen idR einen in der Region ansässigen Bürgen. Bürger, die aus dem Zentral- oder Südirak in die Autonome Region Kurdistan einreisen (egal welcher ethno-religiösen Gruppe sie angehörten, auch Kurden) müssen aus Sicherheitsgründen Checkpoints passieren und Personen- und Fahrzeugkontrollen werden idR durchgeführt. Die Behörden der Autonomen Region Kurdistan wenden Beschränkungen zuweilen unterschiedlich streng an. Die Wiedereinreise von IDPs und Flüchtlingen wird - je nach ethno-religiösem Hintergrund und Rückkehrgebiet - mehr oder weniger restriktiv gehandhabt. Beamte hindern Personen, die ihrer Meinung nach ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten, an der Einreise in die Region. Die Einreise kann für Männer oft schwieriger, insbesondere für arabische Männer, die ohne Familie reisen.

IDPs und Flüchtlinge

Die Zahl der Vertriebenen sinkt stetig; die Zahl der Rückkehrer ist mittlerweile auf 4 Millionen gestiegen. Die Regierung und internationale Organisationen, einschließlich UN-Einrichtungen und NGOs, versuchen, IDPs Schutz und andere Hilfe zu gewähren.

Rückkehr

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten, befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Bei jenen Irakern, welche in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz stellten, Verfolgung behaupteten und während des Beschwerdeverfahrens freiwillig wieder zurückkehrten, handelt es sich überwiegend um arabische Sunniten und Schiiten. Neben Österreich führen auch andere Staaten der EU abgelehnte irakische Staatsangehörige in den Irak zurück.

Dokumente

Identitätsbescheinigende Dokumente die im Irak ausgestellt wurden sind wenig zuverlässig, zumal sie häufig auch auf Grund mangelnder Dokumentation ausgestellt werden.

Jedes irakische Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist im Irak gegen Bezahlung zu beschaffen

2. Beweiswürdigung

Ad 1.1.1 Identität und Herkunftsstaat:

Die Feststellungen ergeben sich aus den in diesem Punkt gleichbleibenden persönlichen Angaben im Zuge der Einvernahmen, ihren im Verfahren dargelegten Sprach- und Ortskenntnissen und den seitens der bP vorgelegten Bescheinigungsmittel. Zu der Identität erfolgt aus den dort genannten Gründen seitens des BVwG keine eigene Feststellung.

Ad 1.1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnissen vor der Ausreise:

Die Feststellungen ergeben sich stimmig aus den in diesem Punkt lebensnahen, gleichbleibenden persönlichen Angaben im Zuge der Einvernahmen, ihren im Verfahren dargelegten Sprach- und Ortskenntnissen und den seitens der bP vorgelegten Bescheinigungsmittel.

Ad 1.1.3. Familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen ergeben sich aus den persönlichen Angaben der bP.

Ad 1.1.4. Ausreisemodalitäten:

Diese Feststellungen ergeben sich aus ihren persönlichen Angaben im Verfahren.

Ad 1.1.5. Gesundheitszustand:

Diese Feststellung ergibt sich unstreitig aus ihren persönlichen Angaben.

Ad 1.1.6. Privatleben / Familienleben in Österreich

Diese Feststellungen ergeben sich stimmig und damit unzweifelhaft aus ihren persönlichen Angaben, den von ihr dazu vorgelegten Bescheinigungsmitteln sowie amtswegigen Ermittlungen des Bundesverwaltungsgerichtes.

Ad 1.1.7. Behauptete ausreisekausale Geschehnisse / Erlebnisse im Zusammenhang mit staatlichen bzw. nichtstaatlichen Akteuren und der zu erwartenden Rückkehrsituation:

Einleitend ist anzuführen, dass die im Verfahren aufgenommenen Niederschriften mit den Aussagen der bP vollen Beweis iSd § 15 AVG über den Verlauf und Gegenstand der jeweiligen Amtshandlung bilden und mit diesem Inhalt als zentrales Beweismittel der Beweiswürdigung unterzogen werden können.

Der bP ist der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des darin bezeugten Vorganges aus nachfolgenden Gründen nicht gelungen:

Bei der Einvernahme beim Bundesamt behauptete die bP, dass ihre Angaben bei der Erstbefrag ung "nicht vollständig protokolliert und rückübersetzt" worden seien. Eine nähere Begründung dazu erfolgte nicht.

An anderer Stelle der Einvernahme behauptete sie: "Ich wurde [bei der Erstbefragung] nicht gefragt, warum ich den Irak verlassen habe. Ich wurde nur gefragt, wie ich nach Österreich gekommen bin".

In der Verhandlung beim BVwG wurde die bP gefragt, ob ihre Angaben bei den bisherigen zwei Einvernahmen (Erstbefragungen und Einvernahme beim Bundesamt) korrekt protokolliert worden seien und wurde sie aufgefordert, wenn dies nicht der Fall wäre, konkret alle Punkte anzugeben die ihrer Ansicht nach in den Niederschriften nicht richtig protokolliert wurden. Dazu gab sie an, "ich war bei der ersten Vernehmung sehr müde, es war am Abend. Bei der zweiten bleibt alles aufrecht, ich habe die Wahrheit gesagt." Dem Akteninhalt ist zu entnehmen, dass die bP am 19.06. gegen 22 h festgenommen wurde und die Erstbefragung erst am nächsten Tag gegen Mittag war. Somit bestand genügend Ruhezeit und die nicht in Zweifel zu ziehende Aktenlage widerspricht der Behaupteten Erstbefragung am Abend.

Gefragt, ob sie bei ihren zwei niederschriftlichen Einvernahmen bzw. Erstbefragung immer der Wahrheit entsprechende Angaben gemacht hat, und wenn nicht, sie nunmehr die Möglichkeit habe falsche Angaben richtig zu stellen, gab sie an: "Ich habe von vornherein nur die Wahrheit gesagt".

Im Zusammenhang mit einem Vorhalt zu unterschiedlichen Angaben zur Existenz des Reisepasses gefragt, brachte sie in der Verhandlung nunmehr erstmals vor, das bei der Erstbefragung "kein Dolmetscher dabei war" und sie selbst damals noch kein deutsches Wort gekonnt hätte, sie sei zudem übermüdet gewesen, habe lange nicht geschlafen und alles was sie dort gefragt worden sei habe sie mit "Jaja" beantwortet.

In der Verhandlung auch vorgehalten, dass dort protokolliert sei, dass sie "wegen des Krieges" geflohen sei und sie später andere Fluchtgründe dargelegt habe, führte sie an: "Ich habe das so überhaupt nicht gesagt, das hat mich nachher auch überrascht, dieser Satz, denn der Krieg hat bei uns 2003 angefangen, nicht 2014.

Vorgehalten, dass im Protokoll der Erstbefragung stehe, dass ihr die Niederschrift rückübersetzt worden sei, dies wäre auch von der beschwerdeführerenden Partei mit ihrer Unterschrift bestätigt worden, und sie bei der Rückübersetzung auch keine Korrektur vorgenommen habe, gab sie an: "Das stimmt schon, ich habe eine Rückübersetzung erhalten. Aber diesen Satz wurde mir nicht rückübersetzt. Ich habe gesagt, der Grund waren die Milizen, deswegen habe ich das Land verlassen."

Aus diesen Angaben ist ersichtlich, dass die bP dort, wo es um "Aufklärung" von Widersprüchen zwischen der Erstbefragung und der Einvernahme beim Bundesamt geht, sehr elastisch in ihrer Begründung ist. Von "habe ich nicht gesagt", "es war kein Dolmetscher dabei und er konnte damals kein Deutsch", "ich habe keine Rückübersetzung erhalten", "ich habe eine Rückübersetzung erhalten, aber dieser Satz wurde nicht rückübersetzt" bis hin "ich habe alle Fragen [bei der Erstbefragung] mit ?Jaja' beantwortet" waren ihre nicht überzeugenden Versuche aufgetretene Widersprüche erklärbar zu machen.

Faktum ist, dass sich aus der Niederschrift der Erstbefragung ergibt, dass die bP dort nicht alle Fragen mit "Jaja" beantwortete und hatte sie dies auch eingangs der Einvernahme beim Bundesamt oder in der Verhandlung nicht behauptet. Die Niederschrift der Erstbefragung wurde von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführt, welches zudem im Falle vorsätzlich falscher Protokollierung straf- und disziplinarrechtlicher Veranwortlichkeit untersteht, und scheint namentlich darin auch ein Dolmetscher auf. Die Niederschrift wurde vom Organ, dem Dolmetscher und der bP unterschrieben. Dabei wurde auch bestätigt, dass ihr die Niederschrift in einer für sie verständlichen Sprache rückübersetzt worden sei.

Das BVwG sieht keinen vernünftigen Grund hier nicht vom vollen Beweis iSd § 15 AVG auszugehen, da die unterschiedlichen Einwände offenkundig bloße Schutzbehauptungen sind, um ihre unterschiedlichen Angaben erklärbar zu machen, auch wenn dies auf Kosten der Wahrheit geht.

Dass die bP von ihrem Charakter her, zumindest im Asylverfahren, trotz im Verfahren ergangener wiederholter Aufforderung nur wahrheitsgemäße Angaben zu machen, dessen ungeachtet dazu neigt sich zur Begründung von relevanten Punkten im Verfahren der Lüge zu bedienen, ergibt sich ua. auch aus der Beweiswürdigung zu 1.7. .

Gerade beim Antrag auf internationalen Schutz kommt der persönlichen Aussage zur eigenen Gefährdungssituation im Herkunftsstaat als Beweismittel und zentralem Punkt in diesem Verfahren besondere Bedeutung zu, handelt es sich doch behauptetermaßen um persönliche Erlebnisse bzw. eigene sinnliche Wahrnehmungen des Antragstellers über die berichtet wird. Diese entziehen sich zumeist - insbesondere auf Grund der faktischen und rechtlichen Ermittlungsschranken der Asylinstanzen - weitgehend einer Überprüfbarkeit und liegen diese idR alleine in der persönlichen Sphäre der bP.

Im Wesentlichen geht es für die Entscheider darum zu beurteilen, ob es im konkreten Fall glaubhaft ist, dass die diesbezüglichen Aussagen der bP auf einem tatsächlichen persönlichen Erleben beruhen oder ob sich die Partei dabei der Lüge bedient bzw. die Aussagen nicht erlebnisbegründet sind.

Im Allgemeinen erfolgt eine (vorsätzliche) Falschaussage nicht ohne Motiv (vgl. Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 4. Auflage, Rz 246ff). Im Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz kann eine derartige Motivationslage, die den Wahrheitswillen eines Antragstellers/einer Antragstellerin zu beeinflussen geeignet ist, darin liegen, dass sie ihrer Überzeugung nach - uU auch durch Suggestion Dritter beeinflusst - dadurch gesteigerte Erfolgsaussichten erwarten, um den beantragten Status als Asylberechtigter oder als subsidiär Schutzberechtigter und damit einen Aufenthaltstitel samt Zugang zum Arbeitsmarkt und/oder staatlicher Versorgung zu erlangen (sog. "Folgenberücksichtigung", siehe oben zitierte Quelle).

Als Beurteilungskritierien für die Glaubhaftmachung nennt der Verwaltungsgerichtshof beispielsweise:

Bloßes Leugnen oder eine allgemeine Behauptung reicht für eine Glaubhaftmachung nicht aus (VwGH 24.2.1993, 92/03/0011; 1.10.1997, 96/09/0007). Aus dem Wesen der Glaubhaftmachung ergibt sich auch, dass die Ermittlungspflicht der Behörde durch die vorgebrachten Tatsachen und angebotenen Beweise eingeschränkt ist (VwGH 29.3.1990, 89/17/0136; 25.4.1990, 90/08/0067). Ohne entsprechendes Vorbringen des Asylwerbers oder ohne sich aus den Angaben konkret ergebende Anhaltspunkte ist die Behörde / das Bundesverwaltungsgericht nicht verpflichtet jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte ergründen zu müssen (vgl. VwGH 10.8.2018, Ra 2018/20/0314, mwN).

Es ist Aufgabe des Asylwerbers, durch ein in sich stimmiges und widerspruchsfreies Vorbringen, allenfalls durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert, einen asylrelevanten Sachverhalt glaubhaft zu machen. (VwGH 30. 11. 2000, 2000/01/0356).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Behörde einen Sachverhalt grundsätzlich nur dann als glaubhaft anerkennen, wenn der Asylwerber während des Verfahrens im Wesentlichen gleichbleibende Angaben macht, wenn diese Angaben wahrscheinlich und damit einleuchtend erscheinen und wenn erst sehr spät gemachte Angaben nicht den Schluss aufdrängten, dass sie nur der Asylerlangung um jeden Preis dienen sollten, der Wirklichkeit aber nicht entsprechen. Als glaubhaft könnten Fluchtgründe im Allgemeinen nicht angesehen werden, wenn der Asylwerber die nach seiner Meinung einen Asyltatbestand begründenden Tatsachen im Laufe des Verfahrens unterschiedlich oder sogar widersprüchlich darstellt, wenn seine Angaben mit den der Erfahrung entsprechenden Geschehnisabläufen nicht vereinbar und daher unwahrscheinlich erscheinen oder wenn er maßgebliche Tatsachen erst sehr spät im Laufe des Asylverfahrens vorbringt (vgl. zB. VwGH 6.3.1996, 95/20/0650).

Auch auf die Mitwirkung des Asylwerbers im Verfahren ist bei der Beurteilung der Glaubhaftmachung Bedacht zu nehmen. Wenn es sich um einen der persönlichen Sphäre der Partei zugehörigen Umstand handelt (zB ihre familiäre [VwGH 14.2.2002, 99/18/0199 ua], gesundheitliche [VwSlg 9721 A/1978; VwGH 17.10.2002, 2001/20/0601; 14.6.2005, 2005/02/0043], oder finanzielle [vgl VwGH 15.11.1994, 94/07/0099] Situation), von dem sich die Behörde nicht amtswegig Kenntnis verschaffen kann (vgl auch VwGH 24.10.1980, 1230/78), besteht eine erhöhte Mitwirkungspflicht und Darlegungslast des Asylwerbers (VwGH 18.12.2002, 2002/18/0279).

Wenn Sachverhaltselemente im Ausland ihre Wurzeln haben, ist die Mitwirkungspflicht und Offenlegungspflicht der Partei in dem Maße höher, als die Pflicht der Behörde zur amtswegigen Erforschung des Sachverhaltes wegen des Fehlens der ihr sonst zu Gebote stehenden Ermittlungsmöglichkeiten geringer wird. Tritt in solchen Fällen die Mitwirkungspflicht der Partei in den Vordergrund, so liegt es vornehmlich an ihr, Beweise für die Aufhellung auslandsbezogener Sachverhalte beizuschaffen (VwGH 12.07.1990, Zahl 89/16/0069).

Das BVwG geht auf Grund des Ermittlungsverfahrens davon aus, dass die bP insbesondere in zentralen Bereichen, wo es um die Ausreise bzw. ausreisekausale Probleme und Rückkehrbefürchtungen geht, keine bzw. geringe Bereitschaft zeigte wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Offensichtlich hielt sie es selbst für einen positiven Ausgang des beantragten internationalen Schutzes für abträglich hier den Tatsachen entsprechende, in wesentlichen Punkten inhaltlich gleichbleibende Angaben zu machen.

Als zentralen Punkt, weshalb es der bP hier nicht gelingt ihre behaupteten Fluchtgründe glaubhaft zu machen, ergibt sich daraus, dass die bP im Zuge zweier niederschriftlicher Aussagen, diese erheblich unterschiedlich begründete.

Ihre ersten Angaben zur Frage, warum sie den Irak verlassen hat bzw. geflohen ist, waren "wegen dem Krieg in meinem Land" und brachte sie damit im Wesentlichen die allgemeine Lage ins Spiel, ohne trotz gegebener Möglichkeit konkret persönliche sicherheitsrelevante Erlebnisse, zumindest in Ansätzen, darzulegen.

Rund 6 Monate später waren hingegen Probleme mit schiitischen Milizen ausreisekausal und bestritt sie de facto sogar, dass sie "wegen dem Krieg" ausgereist sei und deshalb Probleme bei einer Rückkehr befürchte.

In beiden Einvernahmen wurde sie aufgefordert ihre Ausreisemotivation und Rückkehrbefürchtung darzulegen. Korrekterweise wählte die Behörde bzw. auch das Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine offene Fragestellung. Dabei besteht die geringste bzw. keine Gefahr bei einem erst zu erhebenden Sachverhalt suggestiv zu wirken und versetzt die antragstellende Person so in die Lage alle Gründe anzuführen. Dazu bedarf es auch keiner Kenntnis der konkreten Tatbestandsvoraussetzungen für die Zuerkennung von internationalen Schutz und wären solche zudem suggestiv beeinflussend. Es bestünde die reale Gefahr die Aussage tatbestandsbezogen "anzupassen".

Ob das Motiv dafür, weshalb die bP nunmehr nach einem halben Jahr ihre Fluchtgründe auswechselte, in einer oftmals in Asylverfahren zu Tage tretenden Suggestion Dritter begründet ist, kann im Wesentlichen dahin gestellt bleiben, da es letztlich eine Entscheidung der bP ist und sie im Verfahren seitens behördlicher Organe wiederholt aufgefordert wurde nur wahrheitsgemäße Angaben zu machen und auf mögliche negative Konsequenzen hingewiesen wurde. Es stellt in jedem Fall eine Verletzung der Mitwirkungsverpflichtung der bP dar und hat gem. § 18 Abs 3 AsylG Auswirkung auf die Beurteilung der Glaubhaftmachung.

Die bP hat damit innerhalb eines halben Jahres ihren Fluchtgründe ausgewechselt und vermag sie diese dadurch nicht glaubhaft zu machen, was auch im Einklang mit der oa. Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes steht. Dies alleine ist schon hinreichend für die Nichtglauhaftmachung der von ihr im Verfahren behaupteten Bedrohungslage, resultierend aus ihren vorgebrachten angeblich persönlichen Erlebnissen.

Ein weiteres Indiz dafür, dass die bP nicht wirklich Schutz vor "Verfolgung" sucht, sondern vielmehr einen Aufenthaltstitel über das Asylverfahren, ergibt sich aus ihrem Verhalten zwischen der Ausreise aus dem Irak und der Antragstellung in Österreich. Nachvollziehbar und der allgemeinen Lebenserfahrung entsprechend würde ein tatsächlicher Flüchtling die erste Gelegenheit nutzen um Schutz vor Verfolgung zu suchen bzw. zu beantragen. Nicht so die bP, welche zuerst rd 11 Monate in der Türkei in Istanbul lebt. Dass sie dort bei türkischen Behörde oder bei UNHCR tatsächlich um Schutz ansuchte, konnte sie nicht nachweisen bzw. glaubhaft machen. Bescheinigungsmittel diesbezüglich habe sie "zerrissen", so ihre Aussage. Dies wirkt angesichts der nicht gegebenen generellen Glaubwürdigkeit der bP nicht überzeugend zumal sie sonst relativ initiativ war in der Vorlage von Bescheinigungen, insbesondere wo es um die Integration in Österreich ging.

Ebenso ließ sie auf ihrem anher folgenden Weg in die EU Gelegenheiten in verschiedenen, schon als sicher geltenden Staaten ungenutzt, um dort Schutz zu suchen. Dass dies nicht möglich gewesen wäre, kam nicht hervor.

Erst in Österreich nahm sie die Gelegenheit wahr, dies aber auch erst, weil sie von der Polizei bei nicht rechtmäßigem Aufenthalt angetroffen wurde. Ihren Angaben nach wollte sie nämlich nach Deutschland reisen. Ihr Verhalten gleicht somit eher einem von langer Hand geplanten "Auswanderungsprojekt" denn einer spontanen "Flucht" auf der Suche nach Schutz vor Verfolgung.

Dass es sich bei der nachfolgenden Begründung in der Einvernahme um keine Konkretisierung der ersten Angaben in der Erstbefragung handelt, ergibt sich klar aus ihrem Versuch die ersten Aussagen zum Fluchtgrund "wegzuleugnen", dies mit verschiedensten Argumenten. Von "habe ich nicht gesagt", "es war kein Dolmetscher dabei und er konnte damals kein Deutsch", "ich habe keine Rückübersetzung erhalten", "ich habe eine Rückübersetzung erhalten, aber dieser Satz wurde nicht rückübersetzt" bis hin "ich habe alle Fragen [bei der Erstbefragung] mit Jaja beantwortet", [...].

Dem BVwG war es hier auch nicht verwehrt die Aussagen der bP in der Erstbefragung im Rahmen der Beweiswürdigung aufzugreifen und zu beurteilen. Auf dem Boden der gesetzlichen Regelung des § 19 Abs. 1 AsylG 2005 ist es weder der Behörde noch dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten zu späteren Angaben einzubeziehen, es bedarf aber sorgsamer Abklärung und auch der in der Begründung vorzunehmenden Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind [Hinweis VwGH v 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017, 0018, und E vom 13. November 2014, Ra 2014/18/0061, sowie das E des Verfassungsgerichtshofes vom 20. Februar 2014, U 1919/2013 ua.] (VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0189, VwGH 17.05.2018, Ra 2018/20/0168-3).

Soweit die bP im Verfahren zur Rechtfertigung ihrer bei der Erstbefragung gemachten oder nicht gemachten Angaben zu Fluchtgrund anführt, dass sie die Einvernahme am Abend stattgefunden hätte und sie noch zu müde gewesen wäre, um "richtige Angaben" zu machen, ist einzuwenden, dass sich aus der nicht in Zweifel zu ziehenden Aktenlage ergibt, dass die bP am 19.06.2015, um 22.10 Uhr, von der Polizei im Zug angetroffen und festgenommen wurde. Die Erstbefragung fand erst am nächsten Tag, also dem 20.06.2015 gegen die Mittagszeit statt. Abgesehen davon, dass die Einvernahme somit am Tag und nicht am Abend stattfand, hatte sie auch genügend Zeit sich zu erholen. Warum sie auch nur bei der Frage nach den Fluchtgründen zu "richtigen Angaben" zu müde gewesen sein sollte, nicht aber zu den anderen, wäre, würde man dem Glauben schenken, zudem nicht nachvollziehbar.

Außerdem verneinte sie zu Beginn der Erstbefragung ausdrücklich Einvernahmehindernisse. Ihr diesbezüglicher Einwand ist somit wie die anderen nicht glaubhaft und ist nach Ansicht des BVwG eine bloße Schutzbehauptung.

Ergänzend ist anzuführen, dass auch in diesem Antragsverfahren die antragstellende Partei schon von Anbeginn verpflichtet ist ihren Antrag zu begründen (vgl etwa auch die Verfahrensförderungspflicht gem. § 39 Abs 2a AVG). Auch § 19 Abs 1 AsylG spricht nur davon, dass sich die Befragung nicht auf die "nähere

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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