TE Vwgh Erkenntnis 1998/1/30 96/19/1624

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Veröffentlicht am 30.01.1998
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §66 Abs4;
VwRallg;
ZustG §17 Abs3;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 96/19/1625

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winkler, über die Beschwerden 1.) des 1993 geborenen N B, und 2.) der 1952 geborenen I B, beide in Wien, der Erstbeschwerdeführer vertreten durch die Zweitbeschwerdeführerin, diese vertreten durch Dr. Gabriel Liedermann, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Gudrunstraße 143, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres jeweils vom 5. April 1996, zu 1.) Zl. 114.430/3-III/11/95, und zu

2.) Zl. 114.430/2-III/11/95, jeweils betreffend Zurückweisung einer Berufung i.A. einer Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit den angefochtenen Bescheiden des Bundesministers für Inneres vom 5. April 1996 wurden die Berufungen der Beschwerdeführer gegen die Bescheide des Landeshauptmannes von Wien vom 10. Jänner 1995 gemäß § 66 Abs. 4 AVG zurückgewiesen.

Die belangte Behörde führte begründend gleichlautend aus, daß die Zustellung der erstinstanzlichen Bescheide rechtswirksam am 20. Jänner 1995 erfolgt, die Berufungen jedoch erst am 15. Februar 1995, und daher verspätet, eingebracht worden seien.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden mit dem Begehren, die angefochtenen Bescheide aufzuheben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Verbindung der Beschwerden aufgrund ihres persönlichen, sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 17 Abs. 1 ZustG ist dann, wenn die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden kann und der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt zu hinterlegen. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung ist der Empfänger von der Hinterlegung schriftlich zu verständigen. Der Verständigung ist in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen, oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen.

Unterlaufen bei der Zustellung Mängel, so gilt sie gemäß § 7 ZustG in dem Zeitpunkt vollzogen, in dem das Schriftstück der Person, für die es bestimmt ist (Empfänger), tatsächlich zugekommen ist.

Die Beschwerdeführer treten der Annahme der belangten Behörde, daß die Zustellung der erstinstanzlichen Bescheide durch Hinterlegung am 20. Jänner 1995 rechtswirksam erfolgt sei, insofern entgegen, als sie behaupten, vom Zustellvorgang am 20. Jänner 1996 (richtig: 1995) keine Kenntnis erhalten zu haben, da weder eine Nachricht über einen ersten Zustellversuch, noch die Nachricht von einer Hinterlegung zurückgelassen worden sei. Erst anläßlich einer Vorsprache bei der Behörde erster Instanz (nach der Aktenlage: am 10. Februar 1995) seien der Zweitbeschwerdeführerin Ausfertigungen der Bescheide ausgehändigt worden. "Unverzüglich darauf" hätten die Beschwerdeführer Berufung erhoben.

Nach Ausweis der Verwaltungsakten wurden die angefochtenen Bescheide jeweils am 20. Jänner 1995 beim Postamt 1090 Wien hinterlegt und langten am 7. Februar 1995 als "nicht behoben" wieder bei der erstinstanzlichen Behörde ein. Laut Aktenvermerk vom (zu ergänzen: 10.) Februar 1995 wurden an diesem Tag Bescheidausfertigungen an die Zweitbeschwerdeführerin ausgefolgt. In den Berufungen wird als Zustelldatum jeweils der 10. Februar 1995 angegeben.

Vor Zurückweisung einer Berufung als verspätet hat die Behörde entweder von Amts wegen zu prüfen, ob ein Zustellmangel unterlaufen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 1951, Slg. NF. Nr. 2367/A), wenn nämlich Umstände auf einen solchen hinweisen, oder dem Berufungswerber die offenbare Verspätung seines Rechtsmittels vorzuhalten; unterläßt sie dies, so kann der Berufungswerber ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot den Zustellmangel in seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof dartun (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 23. März 1988, Zl. 88/18/0048). Geht die Behörde von der Feststellung der Versäumung der Rechtsmittelfrist aus, ohne dies dem Berufungswerber vorgehalten zu haben, so hat sie das Risiko einer Bescheidaufhebung zu tragen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. März 1994, Zl. 94/10/0010, mwN).

Der belangten Behörde, die die Feststellung der Versäumung der Berufungsfrist den Beschwerdeführern vor Erlassung der die Berufung zurückweisenden Bescheide nicht vorgehalten hat, obwohl der Hinweis in den Berufungen auf die glaublich am 10. Februar 1995 erfolgten Zustellungen samt der Wendung "binnen offener Frist" (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 1995, Zl. 95/21/0109) Anlaß zu behördlichen Erhebungen über die Rechtzeitigkeit oder Verspätung dieser Rechtsmittel Anlaß gegeben hätte, ist somit ein Verfahrensfehler unterlaufen, wobei im Hinblick auf die Darlegungen der Beschwerde nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Behörde bei Vermeidung des Verfahrensfehlers zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können.

Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5 Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996191624.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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