TE Bvwg Erkenntnis 2019/6/4 L509 1421575-5

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Veröffentlicht am 04.06.2019
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Entscheidungsdatum

04.06.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §21 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs5

Spruch

L509 1421575-5/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Ewald HUBER-HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch Dr. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.04.2019, Zl. 800624210-171342659, zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF), ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am 16.07.2010 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er als Fluchtgrund an, er sei von einem Schwurgericht in M. wegen angeblicher Unterstützung der PKK zu einer Freiheitsstrafe von 6 1/2 Jahren verurteilt worden. Zwischen 2006 und 2007 sei er in Untersuchungshaft angehalten gewesen. Bei den Verhören sei er misshandelt worden. 2007 habe man ihn entlassen. Sein Rechtsanwalt habe gegen das Urteil berufen, dieses sei jedoch vom obersten Gerichtshof bestätigt worden. Er sei unschuldig und zu Unrecht verurteilt worden. Er sei nie bei der PKK in den Bergen gewesen und habe nie mit Waffen zu tun gehabt. Seine Unterstützung der PKK habe nur darin bestanden, dass er an Demonstrationen teilgenommen hätte.

Bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt (BAA) am 10.09.2010 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei in T. als Taxifahrer tätig gewesen. Als solcher käme man automatisch mit den Leuten in den Bergen in Kontakt. PKK-Kämpfer hätten von ihm immer wieder gewollt, dass er Lebensmittel und Waffen transportiert. Für den Fall der Weigerung sei er mit dem Umbringen bedroht worden. Andererseits hätten Polizisten und Soldaten von ihm verlangt, potentielle PKK-Anhänger zu melden. Im Juni 2007 sei sein Elternhaus von der Polizei durchsucht worden, dabei hätten die Polizisten ein in einem Nylonsack verpacktes Funkgerät in die Waschmaschine geworfen und nachher behauptet, der BF hätte diese Funkgerät versteckt. Auf Anraten des Anwaltes habe sich der BF der Polizei gestellt. Er sei aber darauf für 12 Monate verhaftet und anschließend auf freien Fuß gesetzt worden. Im darauffolgenden Strafverfahren sei der BF zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 3 Monaten verurteilt worden. Er habe nicht wieder verhaftet werden wollen und sei daher geflüchtet.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.09.2011, Zl. 1006.242 BAW, wurde der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und der BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei ausgewiesen (Spruchpunkt III.),

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 22.11.2012, Zl. E10 421575-1/2011/33E, als unbegründet abgewiesen, da die im gegenständlichen Fall erfolgte Verurteilung des BF den in der GFK genannten Begriff der "Verfolgung" nicht erfülle, weshalb die Gewährung von Asyl schon aus diesem Grunde ausscheide.

2. Der BF hat am 15.09.2016 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 56 AsylG 2005 gestellt. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 17.10.2016 gemäß § 56 AsylG abgewiesen und gegen den BF gleichzeitig eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunk I.). Mit Spruchpunkt II. wurde die Abschiebung des BF in die Türkei gemäß § 46 FPG für zulässig erklärt und gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für eine freiwillige Ausreise festgesetzt (Spruchpunkt III.). Mit Spruchpunkt IV. wurde der Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.

In der Begründung wurde zusammengefasst festgestellt, dass der BF die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG 2005 nicht erfülle.

3. Das BVwG hat der Beschwerde gegen den unter 2. genannten Bescheid mit Erkenntnis vom 01.03.2017, GZ W268 1421575-3/4E, teilweise nicht Folge gegeben und die erstinstanzliche Entscheidung in den Spruchpunkten I. und II. bestätigt. Damit wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen und die Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung und Feststellung, dass die Abschiebung des BF in die Türkei zulässig ist, als unbegründet abgewiesen. Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wurde hingegen ersatzlos behoben und gemäß § 61 Abs. 3 FPG die Durchführung der Abschiebung des BF bis zur rechtskräftigen Erledigung des in Österreich zu AZ 311 HR 3/14w anhängigen Auslieferungsverfahrens gemäß § 13 ARHG aufgeschoben. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt.

Mit Schriftsatz vom 12.09.2017 stellte der BF dazu durch seinen bevollmächtigten anwaltlichen Vertreter einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 32 VwGVG. Der Antrag wurde damit begründet, dass die von der Republik Türkei mit Auslieferungsersuchen der Leitenden Staatsanwaltschaft XXXX vom 09.10.2013 begehrte Auslieferung des BF zur Strafvollstreckung wegen der mit Urteil des dritten Schwurgerichts XXXX erfolgten Verurteilung für nicht zulässig erklärt und seine Auslieferung abgelehnt worden sei. Grund für die Ablehnung sei gewesen, dass dem BF bei Auslieferung eine Art. 3 EMRK widersprechende Haft droht.

Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens wurde vom BVwG mit Erkenntnis vom 28.05.2019, GZ L509 1421575-4/5E als unbegründet abgewiesen.

4. Der BF stellte am 01.12.2017 einen zweiten (den gegenständlichen) Antrag auf internationalen Schutz. In der Erstbefragung am 01.12.2017 führte der BF zur Begründung der neuerlichen Antragstellung aus, in der Türkei hätte sich die Situation durch den Putschversuch zugespitzt. Er müsse noch 3 bis 4 Jahre ins Gefängnis. 1 Jahr sei er bereits im Gefängnis gewesen und er sei dort geschlagen und gefoltert worden, weil man ihn der PKK zugeordnet hätte, obwohl er nicht politisch aktiv sei. Der Beschluss des Oberlandessgerichts Wien, GZ 131 Bs 7/17t, zeige auch, dass sich die Situation in der Türkei geändert hat.

Am 07.02.2019 wurde der BF zu dem unter 4. genannten Folgeantrag asylbehördlich einvernommen. Dabei wiederholte er im Wesentlichen das Vorbringen und verwies darauf, dass er bei einer Rückkehr in Haft genommen werden würde.

Den Folgeantrag vom 01.12.2017 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) mit Bescheid vom 02.04.2019, Zl. 800624210-171342659, im Spruchpunkt I. hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Mit Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), festgestellt, dass die Abschiebung des BF in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 FPG für die freiwillige Ausreise eine Frist von 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung erteilt (Spruchpunkt VI.)

Gegen diesen Bescheid wurde vom bevollmächtigten Vertreter des BF rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde eingebracht und beantragt, eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen, den Bescheid zu beheben und die belangte Behörde mit neuerlicher inhaltlicher Entscheidung über den Asylantrag zu beauftragen, sowie festzustellen, dass die Abschiebung in die Türkei auf Dauer unzulässig ist und einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen.

5. Das Bundesverwaltungsgericht verfügte mit Beschluss vom 15.05.2019, GZ L509 1421757-5/2Z, dass der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid gemäß § 17 Abs. 2 BFA-VG aufschiebende Wirkung zukommt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Das BVwG hat in den erstinstanzlichen Akt sowie in die Vorakten (E10 421575-1/2011 [inhaltliches Verfahren über Erstantrag], L502 1421575-2 [enthält Erk. des VfGH U2742/2012-14 v. 14.06.2014], W268 1421575-3 [inhaltliches Verfahren über Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels] und L509 1421575-4 [Verfahren über Antrag auf Wiederaufnahme) Einsicht genommen.

1. Feststellungen:

1.1. Gegenstand des Verfahrens ist, insoweit Spruchpunkt I. betroffen ist, XXXX die Frage, ob im Hinblick auf die Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 22.11.2012, Zl E10 421575-1/2011/33E, ein neuer Sachverhalt vorliegt, der inhaltlich zu beurteilen wäre oder ob davon auszugehen ist, dass seither keine Sachverhaltsänderung stattgefunden hat, die mit einem glaubhaften Kern ausgestattet ist.

Der BF hat zusammengefasst geltend gemacht, dass sich die Lage in der Türkei aufgrund des Putschversuches im Sommer 2016 insofern wesentlich verschlechtert hätte, als er als Kurde und Alevit, der in der Türkei noch eine (Rest-)Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, in diesem Zusammenhang mit asylrelevanten Verfolgungshandlungen zu rechnen hätte. Nach dem Putschversuch würde sich eine staatliche Verfolgung nicht nur gegen Personen richten, die für den Putschversuch verantwortlich gemacht werden, sondern eine solche auch wieder verstärkt gegen Minderheiten wie Kurden und Aleviten stattfinden.

1.2. Das Vorbringen beinhaltet einen "glaubhaften Kern" und bedarf der inhaltlichen Prüfung nicht nur in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten, sondern auch in Bezug auf den Status eines Asylberechtigten.

2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus den vom BFA vorgelegten und unbestrittenen Verwaltungsverfahrensakten zu den Anträgen des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowie aus den Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes zu den Vorverfahren.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A.

3.1. § 28 VwGVG bestimmt, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, dass das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen hat. (Abs. 1)

Gemäß Abs. 2 hat das Verwaltungsgericht dann über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Für die Frage, ob die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz zu Recht wegen entschiedener Sacher zurückgewiesen hat, steht der Sachverhalt fest.

3.2. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet.

Entschiedene Sache liegt immer dann vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert haben. Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nichts anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtswirksamen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes - nicht bloß von Nebenumständen - kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl. z.B. VwGH 27.09.2000, 98/12/0057). Darüber hinaus muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den eine positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (VwGH 22.12.2005, 2005/20/0556; 26.07.2005, 2005/20/0343, mwN).

Bei der Prüfung der Identität der Sache ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben - nochmals - zu überprüfen. Die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (VwGH 25.04.2002, 2000/07/0235; 15.10.1999, 96/21/0097). Der Begriff "Identität der Sache" muss in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden, was bedeutet, dass den behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen muss (VwGH 25.04.2002, 2000/07/0235). Nur eine solche Änderung des Sachverhaltes kann zu einer neuen Sachentscheidung führen, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteibegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (vgl. VwGH 09.09.1999, 97/21/0913). Die Prüfung der Zulässigkeit eines neuerlichen Antrages wegen geänderten Sachverhaltes darf XXXX anhand jener Gründe erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht worden sind. In der Berufung gegen den Zurückweisungsbescheid können derartige Gründe nicht neu vorgetragen werden (VwGH 04.04.2001, 98/09/0041). Dies bezieht sich auf Sachverhaltsänderungen, welche in der Sphäre des Antragstellers gelegen sind. Allgemein bekannte Tatsachen sind dagegen jedenfalls auch von Amts wegen zu berücksichtigen (VwGH 29.06.2000, 99/01/0400; 07.06.2000, 99/01/0321).

"Sache" des Rechtsmittelverfahrens ist nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Die Rechtsmittelbehörde darf demnach nur darüber entscheiden, ob die Vorinstanz den Antrag zu Recht zurückgewiesen hat oder nicht. Sie hat daher entweder - falls entschiedene Sache vorliegt - das Rechtsmittel abzuweisen oder - falls dies nicht zutrifft - den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben, dies mit der Konsequenz, dass die erstinstanzliche Behörde, gebunden an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde, den Antrag nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Es ist der Rechtsmittelbehörde aber verwehrt über den Antrag selbst meritorisch zu entscheiden (vgl. VwGH 30.5.1995, 93/08/0207).

Gelangt das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Behörde nicht von entschiedener Sache hätte ausgehen dürfen, sondern aufgrund des Vorliegens neuer Sachverhaltselemente eine inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz hätte durchführen müssen, hat es den zurückweisenden Bescheid auf Grundlage des für zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren anzuwendenden § 21 Abs. 3 BFA-VG zu beheben, wodurch das Verfahren vor der Behörde zugelassen ist und eine neuerliche Zurückweisung des Antrages gemäß § 68 AVG unzulässig wird. Hingegen ist dem Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Abspruch über den zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz in einem Beschwerdeverfahren über einen zurückweisenden Bescheid nach § 68 AVG verwehrt, weil diesfalls die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten würde (vgl. Filzwieser/Frank/ Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K11., K17.).

Dem geänderten Sachverhalt muss nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Entscheidungsrelevanz zukommen (vgl. VwGH 15.12.1992, 91/08/0166; ebenso VwGH 16.12.1992, 92/12/0127; 23.11.1993, 91/04/0205; 26.04.1994, 93/08/0212; 30.01.1995, 94/10/0162). Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteienbegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (VwSlg. 7762 A; VwGH 29.11.1983, 83/07/0274; 21.02.1991, 90/09/0162; 10.06.1991, 89/10/0078; 04.08.1992, 88/12/0169; 18.03.1994, 94/12/0034; siehe auch VwSlg. 12.511 A, VwGH 05.05.1960, 1202/58; 03.12.1990, 90/19/0072). Dabei muss die neue Sachentscheidung - obgleich auch diese Möglichkeit besteht - nicht zu einem anderen von der seinerzeitigen Entscheidung abweichenden Ergebnis führen. Die behauptete Sachverhaltsänderung hat zumindest einen "glaubhaften Kern" aufzuweisen, dem Asylrelevanz zukommt (VwGH 21.3.2006, 2006/01/0028, sowie VwGH 18.6.2014, Ra 2014/01/0029, mwN). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.6.2014, Ra 2014/19/0018, mwN).

Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. in Bezug auf mehrere Folgeanträge VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226, mwN). Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls feststellbar - zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (vgl. VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391, mwN). Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (VwGH 21.10.1999, 98/20/0467; vgl. auch VwGH 17.09.2008, 2008/23/0684; 19.02.2009, 2008/01/0344).

Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein "Fortbestehen und Weiterwirken" behauptet; vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit einem solchen Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).

Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise - für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status - auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG 2005 aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH 29.06.2011, U 1533/10; VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344 mwN).

3.3. Der erste Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.09.2011, Zl. 1006.242- BAW, bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AylG 2005 die Ausweisung in die Türkei verfügt. Der dagegen eingebrachten Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 22.11.2012, Zl E10 421575-1/2011/33E, nicht Folge gegeben. Die Entscheidung wurde mit 07.12.2012 rechtskräftig.

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid des BFA vom 02.04.2019, Zl. 800624210 - 171342659, wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigen gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Mit den übrigen Spruchpunkten (II. bis VI.) des Bescheides wurde der Antrag im Hinblick auf die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, ein Aufenthaltstitel nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die Abschiebung des BF in die Türkei für zulässig erklärt und eine Frist von 2 Wochen für die freiwillige Ausreise erteilt.

Maßstab für die Frage der Erfüllung des Tatbestands der "entschiedenen Sache" ist der im ersten (mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 22.11.2012, Zl E10 421575-1/2011/33E, rechtskräftig abgeschlossen) Verfahren behauptete Sachverhalt, welcher in Relation zu dem hier im erstinstanzlichen Verfahrensgang behaupteten Sachverhalt zu setzen ist.

Mit der gegenständlichen Beschwerde macht der BF eine Änderung der Sachlage geltend und verweist darauf, dass die Republik Österreich einem gegen den BF gerichteten Auslieferungsbegehren der Republik Türkei zur Verbüßung einer (Rest-)Freiheitsstrafe, zu der der BF beim dritten Schwurgericht XXXX wegen Unterstützung der terroristischen Vereinigung der PKK (seit 08.06.2009) rechtskräftig verurteilt worden war, nicht stattgegeben und seine Auslieferung inzwischen abgelehnt worden sei. Grund für die Ablehnung sei gewesen, dass dem BF bei Auslieferung eine Art. 3 EMRK widersprechende Haft droht. Es habe somit ein unabhängiges Gericht von Österreich festgestellt, dass dem BF für den Fall der Rückkehr in die Türkei die sofortige Festnahme und Anhaltung unter menschenrechtswidrigen Bedingungen droht. Die gerichtliche Feststellung habe Bindungswirkung für das gegenständliche Asylverfahren und müsse dazu führen, dass sein Antrag auf internationalen Schutz zulässig und inhaltlich zu entscheiden sei. Der BF stützt sich auf die geänderten Verhältnisse in der Türkei seit dem gescheiterten Putschversuch im Jahr 2017 (gemeint: 2016). Menschenrechtsverletzungen stünden seither auf der Tagesordnung und die Gangart des türkischen Regimes gegenüber den Kurden und gegenüber regimekritisch eingestellten Menschen habe sich deutlich verschärft. Dies verstärke für den BF die Gefahr, dass die über ihn verhängte Strafe in unmenschlicher und lebensgefährdender Weise vollzogen würde. Es handle sich dabei um ein neues Faktum, welches noch nicht Gegenstand des bisherigen Asylverfahrens gewesen sei. Aufgrund seines jahrelangen Aufenthaltes, seiner fortgeschrittenen Integration, seiner Unbescholtenheit und der besonderen Umstände des gegenständlichen Falles würden auch die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen vorliegen.

Dieses Vorbringen war nicht Teil jenes Vorbringens, das der Sachentscheidung über den ersten Antrag auf internationalen Schutz, nämlich dem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 22.11.2012, Zl E10 421575-1/2011/33E, zugrunde lag. Der Beschwerdeführer führt mit neuem Vorbringen Umstände ins Treffen, die sich erst nach Eintritt der Rechtskraft des genannten abweisenden Erkenntnisses des Asylgerichtshofes zugetragen haben sollen. Diesem Vorbringen, mit dem Verfolgungshandlungen aus Gründen der Volkszugehörigkeit befürchtet werden, kommt angesichts der als notorisch zu betrachtenden Ereignisse in der Türkei im Jahr 2016 zumindest ein "glaubhafter Kern" zu.

Das Bundesamt hat somit inhaltlich zu klären, inwieweit die aufgrund des in der Türkei 2016 stattgefundenen Putschversuches geänderten Bedingungen auf rechtskräftig wegen Unterstützung des Terrorismus verurteilte Angehörige der Volksgruppe der Kurden Auswirkungen dahingehend haben, dass diese bei Verbüßung von verhängten Freiheitsstrafen Verfolgungshandlungen in einem asylrelevanten Ausmaß befürchten müssen und ob dies im konkret vorliegenden Fall des BF mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist.

Der Antrag wäre sohin in Bezug auf die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nicht wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, sondern in der Sache zu erledigen gewesen.

3.4. Für manche Aussprüche ist Tatbestandsvoraussetzung, dass bereits andere Aussprüche getätigt wurden und zudem manche Aussprüche miteinander zu verbinden sind (vgl. § 8 Abs. 1 und Abs. 2, § 10 Abs. 1, § 58 Abs. 1 und Abs. 3 AsylG 2005, § 52 Abs. 2 und Abs. 9 FrPolG 2005), sodass im Fall der Aufhebung eines Spruches ein darauf rechtlich aufbauender Ausspruch seine Grundlage verlieren kann (Hinweis E des VfGH vom 27. September 2014, E 54/2014, sowie in diesem Sinn auch die hg. Erkenntnisse vom 13. November 2014, Ra 2014/18/0061, und 16. Dezember 2014, Ra 2014/19/0101).

Der BF hat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Ein solcher Antrag gilt als Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und bei Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005). Da die Zuerkennung oder Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten zunächst einer Entscheidung über die Frage des Status eines Asylberechtigten bedarf, diese aber - wie oben ausgeführt - behoben und an das Bundesamt zurückverwiesen wurde, kann ein gesonderter Abspruch über den Status eines subsidiär Schutzberechtigten keinen Bestand haben (arg. § 8 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG 2005). Gleiches gilt im gegebenen Zusammenhang für die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides. Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH (vergl etwa 15.03.2018, Ra 2017/21/0138) ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vor der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz grundsätzlich nicht zulässig. Das gilt auch für ein anhängiges Verfahren über einen Asylfolgeantrag (vgl. E 4. August 2016, Ra 2016/21/0162). Zugleich mit der Rückkehrentscheidung ist nämlich die Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG zu treffen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist; dies würde aber - jedenfalls in Bezug auf den Herkunftsstaat - bedeuten, das Ergebnis des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz, in dem diese Frage erst zu klären ist, in unzulässiger Weise vorwegzunehmen. Im Erkenntnis des VwGH vom 25.09.2018, Ra 2018/21/0107, wurde diese Rechtsansicht bekräftigt.

Der angefochtene Bescheid war daher in allen Spruchpunkten ersatzlos zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Abweisung der Beschwerde ergeht in Anlehnung an die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung entschiedene Sache ersatzlose Behebung Folgeantrag Glaubhaftmachung Verfahrensgegenstand

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L509.1421575.5.01

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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