Entscheidungsdatum
06.06.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
L516 1423640-2/41E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Pakistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.10.2017, 811503109-1437881 nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 23.05.2019 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte am 13.12.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Eine Erstbefragung nach dem Asylgesetz (AsylG) fand am 14.12.2011 statt, eine Einvernahme durch das Bundesasylamt am 16.12.2011.
2. Ein erster Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.12.2011, mit dem der Antrag zur Gänze abgewiesen und der Beschwerdeführer nach Pakistan ausgewiesen worden war, wurde nach einer Beschwerde vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 04.07.2014 behoben und das Verfahren wurde zur Erlassung eines neuen Bescheides an das nunmehr dafür zuständige Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurückverwiesen.
3. Am 27.04.2017 wurde der Beschwerdeführer vom BFA niederschriftlich einvernommen.
4. Das BFA wies mit gegenständlich angefochtenem Bescheid den Antrag (I.) gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 (AsylG) bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und (II.) gemäß § 8 Abs 1 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab. Das BFA erteilte (III.) unter einem keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG, erließ gemäß § 10 Abs 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG und stellte gemäß § 52 Abs 9 FPG fest, dass die Abschiebung nach Pakistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Schließlich sprach das BFA (IV.) aus, dass gemäß § 55 Abs 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.
Gleichzeitig wurde vom BFA mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs 1 BFA-VG für das Beschwerdeverfahren amtswegig eine juristische Person als Rechtsberater zur Seite gestellt.
5. Der Beschwerdeführer hat gegen den seiner damaligen Vertretung am 06.10.2017 zugestellten Bescheid am 20.10.2017 Beschwerde erhoben und diesen zur Gänze angefochten.
6. Die Beschwerde langte samt Verwaltungsverfahrensakt des BFA am 23.10.2017 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
7. Am 30.11.2018 legte der Beschwerdeführer ein Empfehlungsschreiben sowie einen Auszug aus dem Strafregister der Republik Österreich vor. (OZ 10)
8. Am 04.12.2018 legte der Beschwerdeführer eine Bestätigung einer Fachstelle der Caritas für Entlastung, Beratung und Orientierung (FEBO) vor. (OZ 11)
9. Am 11.01.2019 legte der Beschwerdeführer eine Beschwerdeergänzung vor. (OZ 12)
10. Das Bundesverwaltungsgericht forderte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 07.02.2019 auf, seine von ihm bereits mit Hilfe von Dolmetschern mündlich gegenüber dem BFA und in der Beschwerde gemachten Angaben schriftlich in der Sprache Urdu zu konkretisieren und zu ergänzen sowie sich alle Dokumente und Beweismittel aus Pakistan schicken zu lassen, die er noch bekommen könne. (OZ 17).
11. Am 18.12.2019 übermittelte der Beschwerdeführer die Kopie eines pakistanischen Polizeiberichts (FIR), den er bereits im Verfahren vor dem BFA vorgelegt hat. (OZ 18; AS 381)
12. Mit Schriftsatz vom 08.03.2019 äußerste sich der Beschwerdeführer schriftlich in deutscher Sprache zu der Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 07.02.2019. (OZ 21, 22)
13. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dem Beschwerdeführer am 13.03.2019 Länderinformationen zu Pakistan und gab ihm die Möglichkeit, sich zu diesen innerhalb von 3 Wochen zu äußern. (OZ 24)
14. Das BFA übermittelte am 21.03.2019 eine polizeiliche Berichterstattung über den Beschwerdeführer und dessen Überstellung in eine Justizanstalt. (OZ 25)
15. Mit Schriftsatz vom 29.03.2019 gab der Beschwerdeführer eine schriftliche Stellungnahme zu den vom Bundesverwaltungsgericht übermittelten Länderinformationen ab. (OZ 26)
16. Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache des Beschwerdeführers am 23.05.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer teilnahm und zu der die belangte Behörde trotz ordnungsgemäßer Ladung keinen Vertreter entsandte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Der Beschwerdeführer führt in Österreich den im Spruch angeführten Namen und sowie das ebenso dort angeführte Geburtsdatum. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Pakistan und gehört der Volksgruppe der Paschtunen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft an. Seine Identität steht nicht fest.
1.2. Der Beschwerdeführer reiste im Dezember 2011 in Österreich ein und hält sich seither ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Er kann sich sehr verständlich in deutscher Sprache verständigen und hat auch die Sprachprüfung "ÖSD Zertifikat Deutsch Österreich B1 im März 2016 bestanden. Der Beschwerdeführer wurde mit seit 16.04.2019 rechtskräftigem Urteil eines österreichischen Landesgerichtes vom 11.04.2019 wegen Gefährlicher Drohung gem § 107 StGB bei einem Strafrahmen bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 4,00 EUR, im Nichteinbringungsfall 90 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, davon Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 4,00 EUR im Nichteinbringungsfall 45 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, bedingt bei einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt.
1.3. Der Beschwerdeführer stammt aus dem im Tirah-Valley in der Khyber Agency gelegenen Ort XXXX und hat seine Heimat vorverfolgt verlassen. Der Beschwerdeführer wurde im Jahr 2010 von Angehörigen der Lashkar-e-Islam, einer fundamentalistisch-islamistischen Terrorgruppierung, welche mit der Therik-i-Taliban Pakistan (TTP), den pakistanischen Taliban, zusammenarbeitete und mittlerweile fusionierte, verschleppt und in einem ihrer Stützpunkte in XXXX gefangen gehalten, von wo ihm nach ungefähr fünfzehn Tagen die Flucht gelang, im Zuge derer einer der Terroristen zu Tode kam. Anschließend verließ der Beschwerdeführer seine Heimat. Dem Beschwerdeführer droht zum Entscheidungszeitpunkt im Falle einer Rückkehr nach Pakistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit, dass er aufgrund einer ihm zumindest unterstellten, gegen die politischen und religiösen Ziele der Taliban gerichteten religiös-politischen Ansicht einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffes von erheblicher Intensität in seine persönliche Sphäre in ganz Pakistan ausgesetzt wäre.
1.4. Zur Situation in Pakistan
Lashkar-e-Islam
Lashkar-e-Islam ist eine militärisch aktive Organisation im Gebiet der Khyber Agency, in den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung, im Norden Pakistans. Die Organisation, die sich auch Bara tehsil nennt, wurde im Jahre 2004 von Mufti Munir Shakir gegründet. Heute wird sie von Mangal Bagh geführt.
(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Lashkar-e-Islam)
Im März 2015 Fusion der Lashkar-e-Islam mit den pakistanischen Taliban (TTP).
Im März 2015 fusionierte die Lashkar-e-Islam (LeI) gemäss Long War Journal (12. März 2015) und EASO (August 2017) gemeinsam mit weiteren bewaffneten Gruppen mit der Gruppe Tehrik-e-Taliban Pakistan (Pakistanische Taliban - TTP). Laut Long War Journal (12. März 2015) hatte die LeI schon vor der Fusion mit der TTP zusammengearbeitet.
Hintergrund I: Pakistanische Taliban (TTP). Die TTP ist laut EASO (August 2017) die grösste verbotene bewaffnete Gruppe, die in Pakistan aktiv ist. Im Januar 2016 habe sie aus 35'000 freiwilligen Kämpfern und Rekruten bestanden, die grösstenteils Paschtunen aus der Grenzregion zwischen Pakistan und Afghanistan sind. Sie sei eng mit sektiererischen Deobandi-Gruppen wie Lashkar-e-Jhangvi und Ah-le Sunnat Wal Jama'at verbunden.
Hintergrund II: Aufsplitterung und Schwächung der pakistanischen Taliban
(TTP) seit 2014, unter anderem wegen der Militäroperation in Nordwasiristan;
Neugruppierung durch Fusionierung mit LeI und anderen Gruppen seit 2015; Basis in Afghanistan. Nachdem die TTP gemäss EASO (August 2017) seit 2014 unter anderem unter dem Druck der pakistanischen Militäroperation in Nordwasiristan (FATA) in mehrere Splittergruppen zerfallen war, gruppierte sie sich durch die Fusion mit der LeI und anderen Gruppen seit März 2015 neu.
Anschläge von TTP, LeI und anderen Gruppen in den Jahren 2016 und 2017. Gemäss dem Pakistan Institute for Peace Studies (PIPS) (6. Januar 2018) zeichneten die TTP, ihre Splittergruppen, Lashkar-e-Islam sowie mit dem selbst erklärten "islamischen Staat"/Daesh verbundene Gruppen und Unterstützer für 58 Prozent der 370 im Jahr 2017 landesweit verübten Anschläge verantwortlich. 604 Personen wurden bei diesen Anschlägen getötet und 1347
verletzt. Die der SFH zugänglichen Quellen lassen keinen Schluss darauf zu, für welche Anschläge und Aktivitäten im Jahr 2017 die TTP als Ganzes, die LeI oder andere Untergruppierungen der TTP verantwortlich zeichnen. Laut PIPS (10. Januar 2017) verübten dieselben Gruppen im Jahr 2016 62 Prozent aller Anschläge landesweit. Mindestens 640 Menschen wurden getötet und 1216 verletzt. 18 der in der Khyber Agency und im Gebiet um Peshawar, der Hauptstadt der Provinz Khyber Pakhtunkhwa (KP), verübten Anschläge wurden von LeI verübt.
Lashkar-e-Islam hauptsächlich in der Khyber Agency aktiv. Die bewaffnete Gruppe Lashkar-e-Islam (LeI) ist laut EASO (August 2017) in der Khyber Agency (Federally Administered Tribal Agencies - FATA) im Nordwesten Pakistans aktiv.
2008 wurde sie von der pakistanischen Regierung für illegal erklärt. Laut der E-MailAuskunft einer Kontaktperson mit Expertenwissen zu pakistanischen bewaffneten Gruppen gegenüber der SFH vom 18. Januar 2018 ist die LeI weiterhin im mittleren Teil der FATA und in der afghanischen Provinz Nangarhar präsent und stellt dort eine Bedrohung für Schiit_innen und Barelvis dar.
Reichweite
Grosse Reichweite von TTP, Lashkar-e-Islam und anderen assoziierten Gruppen; Anschläge auch in anderen Landesteilen möglich. Gemäss Irfanudin, Senior Security Analyst beim FATA Research Centre (zitiert in Daily Times, 16. Januar 2018), verdeutlicht die Zunahme von Anschlägen durch bewaffnete Gruppen in FATA im Jahr 2017 im Vergleich zu 2016 die zunehmende Bedrohung durch die Allianz von TTP, Lashkar-e-Islam und anderen assoziierten Gruppen, seit diese ihre Netzwerke in Afghanistan wiederhergestellt haben. Sie könnten eine massive Welle der Gewalt in FATA und in anderen Landesteilen Pakistans auslösen.
Anschläge der TTP im Jahr 2016 in FATA, KP und Karachi. Von den afghanischen Provinzen Kunar, Nuristan, Paktika, Gardaiz, Nangarhar und Paktia aus verübt die TTP laut EASO (August 2017) grenzüberschreitende Angriffe auf Ziele in Pakistan. 2016 beging sie Anschläge auf Ziele in FATA, KP und Karachi, der Hauptstadt der Provinz Sindh.
Netzwerk der TTP aus Informanten und angeheuerten Personen geht weit über FATA hinaus. Gemäss den Angaben der oben zitierten Kontaktperson mit Expertenwissen zu pakistanischen bewaffneten Gruppen gegenüber der SFH vom 18. Januar 2018 geht das Netzwerk der TTP aus Informanten und angeheuerten Personen weit über FATA hinaus. So gebe es seit langem Rachemorde, die ausserhalb von FATA stattfänden, einschliesslich in Karachi.
Bekämpfung durch den pakistanischen Staat
LeI und TTP im Fokus der pakistanischen Sicherheitskräfte. Laut der E-MailAuskunft einer Kontaktperson mit Expertenwissen zu pakistanischen bewaffneten Gruppen gegenüber der SFH vom 18. Januar 2018 steht die LeI wegen ihrer Verbindungen und der Fusion mit der TTP im Fokus der pakistanischen Sicherheitskräfte und wird von ihnen militärisch bekämpft.
Staat bekämpft "gute" Dschihadisten kaum und "schlechte" Dschihadisten nur halbherzig. Laut ICG (30. Mai 2016) sollen gemäss dem nach dem Anschlag im Dezember 2014 auf eine Armeeschule in Peshawar verabschiedeten National Action Plan alle dschihadistischen Gruppen gleichermassen durch gesetzliche Massnahmen unschädlich gemacht werden. Allerdings unterscheide der pakistanische Staat auch weiterhin zwischen "guten" Dschihadisten, die in seiner Wahrnehmung strategische Ziele in Indien und Afghanistan verfolgen, und "schlechten" Dschihadisten, die auf die pakistanischen Sicherheitskräfte und pakistanische Staatsbürger_innen abzielen. Erstere würden nicht durch die staatlichen Sicherheitskräfte kaum verfolgt, sondern unterstützt. Aber auch "schlechte" Dschihadisten könne der Staat wie Verbündete behandeln, wenn dies einem strategischen oder taktischen Ziel diene.
Rein militärische Bekämpfung von "schlechten" Dschihadisten verstärkt Bedingungen für das Erstarken von extremistischen Gruppen. Gemäss ICG (30. Mai 2016) unterminiert die rein militärische Bekämpfung von "schlechten" Dschihadisten den Rechtsstaat und die Staatsführung und verstärkt damit die Bedingungen, unter denen extremistische Gruppen Zulauf bekommen.
(Quelle: Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 22. Januar 2018 zu Pakistan: Lashkar-e-Islam)
Drohungen durch Taliban
Die Aufforderung zur Kooperation und damit dem Beweis der Loyalität, der die ansonsten drohende Verfolgung abwenden kann, kommt meist in Form eines sogenannten ?Nachtbriefes' (shabnameh), der spezifiziert welche Forderungen die Taliban haben. Derartige ?Nachtbriefe' wurden auch schon von den Mujahedin im Kampf gegen die sowjetische Besatzung genutzt, sind auch von anderen militanten Jihadisten, lokalen Milizen oder der organisierten Kriminalität bekannt und werden mitunter auch in privaten Auseinandersetzung eingesetzt. Bei den Taliban gehören sie jedoch zum alltäglichen Repertoire der Regierungsführung, wobei sie in Gebieten, die unter Taliban-Kontrolle stehen, durchaus auch tagsüber zugestellt werden. ?Nachtbriefe' sind somit insbesondere ein Synonym für Drohbriefe, die eine Forderung enthalten. Die Formate reichen von handgeschriebenen Notizen, bis hin zu bürokratisch elaborierten Schriftstücken mit Briefkopf, Aktennummern und Stempel. Manchmal werden derartige Forderungen aber auch am Telefon, per SMS, persönlich oder durch Bekannte und Verwandte übermittelt, oder im Zuge einer Entführung gestellt. Zur Erpressung werden auch Folter oder Verschleppung von Verwandten und Bekannten genutzt. (SFH 04.03.2016, Immigration and Refugee Board of Canada 10.02.2015, UNAMA July 2017: 43)
Ist das Interesse an der zu erbringenden Leistung groß oder steht in der lokalen Strategie nicht die Abschreckung durch Gewalt im Vordergrund, sondern die Hoffnung, denjenigen doch noch unter Kontrolle zu bekommen, kann es auch zu mehrfachen Warnungen/Drohbriefen kommen (vgl. Immigration and Refugee Board of Canada 10.02.2015).
(Quelle: Friederike Stahlmann, Gutachten zu Afghanistan, 28.03.2019)
Bewegungsfreiheit
Das Gesetz gewährleistet die Bewegungsfreiheit im Land sowie uneingeschränkte internationale Reisen, Emigration und Repatriierung, doch die Regierung beschränkt diese Rechte. Die Regierung schränkt den Zugang zu bestimmten Gebieten der [ehem.] FATA, Khyber Pakhtunkhwa und Belutschistan aufgrund von Sicherheitsbedenken ein. Die Regierung verbietet Reisen nach Israel. Regierungsangestellte und Studenten müssen vor Reisen ins Ausland ein "no objection certificate" einholen, doch von Studenten wird dies selten verlangt. Personen auf der Exit Control List ist es verboten, ins Ausland zu reisen. Diese Liste soll Personen, welche in staatsfeindliche Aktivitäten und Terrorismus involviert sind oder in Verbindung zu einer verbotenen Organisation stehen bzw. jene gegen die ein Kriminalverfahren vor höheren Gerichten anhängig haben, von Auslandsreisen abhalten (USDOS 20.4.2018).
Die Bewegungsfreiheit in Pakistan wurde in den Jahren 2016 und 2017 häufig aufgrund einer Reihe von Faktoren wie militärische Operationen und Naturkatastrophen eingeschränkt. Auch blieben Reisebewegungen von Frauen, Transgenderpersonen und bestimmten religiösen Minderheiten im Laufe des Jahres gefährlich. Der Zugang zu Gebieten in den [ehem.] FATA, wo die Armee Operationen gegen Aufständische durchführte, war eingeschränkt (HRCP 4.2018; vgl. HRCP 5.2017).
In den Städten, vor allem den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karatschi, Peshawar oder Multan, leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Land. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, können in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (AA 20.10.2017).
Auszuschließen ist eine innerstaatliche Fluchtalternative für Personen, die von nicht-staatlichen Akteuren (vor allem terroristischen Gruppierungen) verfolgt werden und bei einer strafrechtlichen Verfolgung durch die Blasphemiegesetze. Letzteres kann analog auch auf andere ähnliche Sachverhalte und Verfolgungsgründe wie z.B. sexuelle Orientierung angewandt werden (ÖB 10.2017). Männer können bei privaten Disputen oder der Gefährdung, Opfer eines Ehrverbrechens zu werden, also in Fällen, wo nur durch Privatpersonen eine Verfolgung besteht, grundsätzlich meist in andere Gebiete Pakistans ausweichen. Es kommt allerdings auf die Vernetzung und den Einfluss der verfolgenden Person bzw. Personengruppen an. Wenn ein ganzer Stamm eine Person aufgrund einer Ehrverletzung verfolgt, wird er, laut Aussage von HRCP, auch "in New York gefunden" werden. Es ist somit der individuelle Einzelfall zu berücksichtigen (BAA 6.2013).
Allein schon aufgrund der Größe des Landes bestehen innerstaatliche Fluchtalternativen in humanitären Notfällen und im Falle von Kampfhandlungen (neben den vergleichsweise sicheren Provinzen Punjab und Sindh etwa auch IDP-Camps in Jalozai, Khyber Pakhtunkhwa, und New Durrani, ehem. FATA), allerdings stellt sich die humanitäre Lage in Bezug auf IDPs Berichten der in diesem Bereich tätigen Hilfsorganisationen zufolge als besorgniserregend dar (ÖB 10.2017).
Für Angehörige aller Gruppen gilt, dass ein Ausweichen in der Regel das Aufgeben der wirtschaftlichen Basis mit sich bringt (AA 20.10.2017). Grundsätzlich ist eine Einzelfallprüfung für die Feststellung des Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative notwendig (ÖB 10.2017).
(Quelle: BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, 15.11.2018)
Interne Fluchtalternative
Im Zusammenhang mit Pakistan ist interner Schutz grundsätzlich nicht in Gebieten, die zur Zeit von anhaltenden Sicherheitsoperationen und militärischen Kämpfen gegen Aufständische sowie militanten Gegenmaßnahmen betroffen sind. Interner Schutz außerhalb dieser Gegenden muss im Einzelfall anhand der in den Richtlinien aufgeführten Kriterien geprüft werden. Gegenden, die als relativ sicher eingestuft werden, können trotzdem unzugänglich sein, wenn die Straßenanbindung zu und von solchen Gegenden als unsicher angesehen wird.
Vor dem Hintergrund der weiten geographischen Reichweite einiger bewaffneter militanter Gruppen (wie durch einige schwerwiegende Angriffe, insbesondere in städtischen Zentren gezeigt wurde) wird realisierbarer interner Schutz grundsätzlich nicht für Personen in Betracht kommen, die gefährdet sind, von diesen Gruppen verfolgt zu werden. Zudem haben einige nicht-staatliche Verfolgungsakteure, wie beispielsweise örtliche Meinungsführer, organisierte kriminelle Kräfte sowie militante Gruppen Verbindungen zu einflussreichen Akteuren in der lokalen und zentralen Verwaltung, in Strafverfolgungs-/Vollstreckungsbehörden und/oder in der Justiz. Als Ergebnis hiervon handeln sie oft ungestraft und ihre Reichweite könnte über die Gegend(en) unter ihrer unmittelbaren Kontrolle hinausreichen.
(Quelle: UNHCR, Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Members of Religious Minorities from Pakistan, Jänner 2017, S 66)
Dokumente
Die Zahl der [pakistanischen, in Deutschland] vorgelegten inhaltlich ge- oder verfälschten antragsbegründenden Unterlagen ist hoch. Die zum Nachweis eines Verfolgungsschicksals vorgelegten Strafanzeigen, Haftbefehle, Gerichtsurteile und die Rechtsanwaltsschreiben erweisen sich häufig als gefälscht oder inhaltlich unrichtig. Die Ausführungen und Erklärungen zu einer geltend gemachten Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen halten einer Nachforschung vor Ort häufig nicht stand. Es ist in Pakistan problemlos möglich, ein (Schein-)Strafverfahren gegen sich selbst in Gang zu bringen, in dem die vorgelegten Unterlagen (z. B. "First Information Report" oder Haftverschonungsbeschluss) echt sind. Ebenso ist es ohne große Anstrengungen möglich, Zeitungsartikel, in denen eine Verfolgungssituation geschildert wird, gegen Bezahlung oder aufgrund von Beziehungen veröffentlichen zu lassen (AA 20.10.2017).
(Quelle: Auswärtiges Amt Deutschland, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan, 20.10.2017)
2. Beweiswürdigung:
Die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen
2.1. Die Feststellungen zur Person und Herkunft des Beschwerdeführers (oben II.1.1.) ergeben sich aus seinen diesbezüglichen Angaben, an denen aufgrund seiner Sprachkenntnisse auch nicht zu zweifeln war. Mangels Vorlage personenbezogener Identitätsdokumente im Original konnten der Name und das Geburtsdatum des Beschwerdeführers jedoch nicht abschließend festgestellt werden. Das Feststehen der Identität eines Fremden ist jedoch keine besondere gesetzliche Voraussetzung für die Gewährung von Asyl (VwGH 26.09.2007, 2007/19/0086).
2.2. Die Feststellungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich, zu seinen Sprachkenntnissen sowie zur strafrechtlichen Verurteilung (oben II.1.2.) beruhen auf dem vorliegenden Verwaltungsverfahrensakt, den vorgelegten Urkunden sowie der Einsichtnahme in das für aktuelle Strafregister der Republik Österreich.
2.3. Die festgestellte bestehende Vorverfolgung und die weiterhin bestehende Gefährdung des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr nach Pakistan (oben II.1.3.), war aus den folgenden Gründen zu treffen: Der Beschwerdeführer brachte zusammengefasst vor, dass ab dem 2004 die Taliban in seiner Heimatregion stärker geworden seien, die Dorfbewohner zunächst ohne Zwang aufgefordert worden seien, sich den Taliban anzuschließen, die Taliban später begonnen hätten, Drohbriefe zu schicken, auch der Beschwerdeführer Drohbriefe erhalten habe und schließlich 2010 entführt und misshandelt worden sei, wobei ihm das Schlüsselbein gebrochen worden sei, und ihm schließlich die Flucht gelungen sei, wobei einer der Terroristen durch ihn ums Leben gekommen sei. Der Beschwerdeführer war in der Lage, im Laufe des gesamten Verfahrens zu seinem Antrag auf internationalen Schutz, die näheren Umstände seiner Entführung, Gefangenschaft und Flucht im Wesentlichen Kernpunkten widerspruchsfrei, konsistent, detailliert darzustellen (vgl AS 19, 61, 326-327; Verhandlungsschrift 23.05.2019 (VHS), S 13f). Dem Umstand, dass der Beschwerdeführer das Jahr seiner Entführung in der Einvernahme im April 2017 von 2008 auf 2010 korrigierte, misst das Bundesverwaltungsgericht keine für den Beschwerdeführer nachteilige Bedeutung bei; vielmehr spricht der Umstand, dass der Beschwerdeführer ohne Notwendigkeit seine diesbezügliche Aussage aus eigenem Antrieb von sich aus richtigstellte, ebenso für die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens. Soweit das BFA im angefochtenen Bescheid einen Widerspruch darin erkannte, dass der Beschwerdeführer einmal angegeben hat, nach der Flucht zu seiner Tante gegangen zu sein, und ein anderes Mal angegeben hat, er sei zu seinem Cousin, verwies die Beschwerde vom 19.10.2017 berechtigt auf die Angaben des Beschwerdeführers vor dem BFA vom 27.04.2017, wonach er mit Hilfe der Familie seiner Tante seine Frau kontaktierte und daraufhin seine Cousins zu seiner Frau und seinen Kindern gegangen seien und diese abgeholt hätten (AS 327), woraus sich schlüssig ergibt, dass die Cousins des Beschwerdeführers die Kinder der Tante waren. Der vom BFA unterstellte Widerspruch erweist sich somit als nicht vorliegend. Soweit das BFA im angefochtenen Bescheid mutmaßt, dass es unlogisch sei, dass die Taliban, wie vom Beschwerdeführer vorgebracht, vor der Entführung mehrere Drohbriefe geschickt hätten und sein Vorbringen daher nicht der Wahrheit entsprechen könne (Bescheid, S 80), ist auf die hier getroffenen Feststellungen zur Vorgangsweise der Taliban (jedenfalls in Afghanistan und wohl auch in Pakistan, da unter Berücksichtigung der engen Verflechtungen kein Grund ersichtlich ist, hier eine andere Vorgangsweise anzunehmen) zu verweisen (oben II.1.4.), wonach derartige Drohbriefe durchaus gebräuchlich sind und sich das Vorbringen des Beschwerdeführers damit in Einklang bringen lässt. Soweit das BFA dem Beschwerdeführer im angefochtenen Bescheid noch vorhielt, dass er einmal von einem und ein anderes Mal von zwei getöteten Taliban gesprochen habe (Bescheid S 81), ergibt sich aus den vorhandenen Protokollen, dass der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung und der Einvernahme am 27.04.2017 sowie in sämtlichen Schriftsätzen stets nur von einem getöteten Talib gesprochen hat (vgl AS 19, 327, 330) und nur bei der Einvernahme vom 16.12.2011 an einer Stelle der Tod von einem zweiten Talib protokolliert wurde, was jedoch umgehend vom Beschwerdeführer selbst korrigiert wurde (vgl AS 61), sodass letztlich kein entscheidungswesentlicher Widerspruch zu erkennen ist. Auch in Bezug auf den geschilderten konkreten Ablauf der unmittelbaren Fluchthandlung ist zu berücksichtigen, dass bei einer raschen Abfolge von Ereignissen in einer angespannten und lebensbedrohlichen Lage nicht zu erwarten ist, dass derartige Situationen vollständig, bis ins Detail und stets in der zeitlichen richtigen Reihenfolge kognitiv erfasst und geschildert werden können. In der mündlichen Verhandlung konnte der Beschwerdeführer noch spontan ergänzende Angaben machen, wie beispielsweise zum Ort seiner Gefangenschaft, in XXXX , und zu seinem Fluchtweg unmittelbar nach seinem Ausbruch zu seiner Tante (VHS S 13, 14), sodass auch ein einstudierter Vortrag auszuschließen ist. Das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Gruppierung Lashkar-e-Islam, zu ihrer Entstehung und Ihrer Verbreitung und Betätigung in der Heimatregion des Beschwerdeführers, steht schließlich auch mit den oben getroffenen Länderfeststellungen (II.1.4.) in Einklang.
Nicht glaubhaft war hingegen das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach er im Jahr XXXX in XXXX im Zuge einer tätlichen Auseinandersetzung mit einem Baustellenarbeiter jenen zurückgestoßen habe und dieser vom dritten Stock eines Hauses gefallen und verstorben sei und der Beschwerdeführer deshalb von der pakistanischen Polizei gesucht werde. Bereits das BFA erachtete jenes Vorbringen als nicht glaubhaft und in der mündlichen Verhandlung war der der Beschwerdeführer nicht dazu in der Lage, für seine unterschiedliche Darstellungen zu jenem angeblichen Ereignis im Verfahren vor dem BFA eine nachvollziehbare und schlüssige Erklärung anzubieten. So gab er bei der Einvernahme vor dem BFA am 16.12.2011 an, er habe in XXXX an einem Computer-Kurs am XXXX teilgenommen und sei dabei mit einem Mann namens Asghar in Streit geraten, der auch im gleichen Institut gewesen sei (AS 61). Demgegenüber anders gab er bei der Einvernahme am 27.04.2017 an, er habe während des Besuchs des Computer-Kurses eines Tages eine Baustelle seines Freundes besucht, der Immobilienmakler sei und ein Haus renoviert habe, und habe sich dabei mit einem Arbeiter des Freundes gestritten und geprügelt (AS 326). Diese beiden unterschiedlichen Darstellungen widersprechen wiederum dem vom Beschwerdeführer selbst vorgelegten und als polizeiliche Anzeige (FIR) bezeichneten Schriftstück, laut dessen Übersetzung der Beschwerdeführer selbst Bauarbeiter auf einer Baustelle gewesen sein soll (AS 631). Nach der letzten Version des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung im Mai 2019 soll er neben dem Computer-Kurs für einen "Auftragnehmer im Baubereich" buchhalterische Tätigkeiten ausgeübt haben und im Zuge dessen sei es auf der Baustelle zu einem Streit zwischen seinem Auftragnehmer XXXX , ihm und einem Arbeiter über die Lohnauszahlung des Arbeiters gekommen (VHS S 9, 10). Vor dem Hintergrund der diesbezüglich widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers ist der vom Beschwerdeführer behauptete Vorfall im Jahr XXXX trotz des von ihm vorgelegten und als Polizeianzeige bezeichneten Schriftstücks nicht glaubhaft, zumal sich laut den Länderfeststellungen derartige Schriftstücke häufig als gefälscht oder inhaltlich unrichtig erweisen (siehe oben II.1.4.).
2.4. Bei Berücksichtigung sämtlicher Umstände des vorliegenden Falles gelangt das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt im Falle einer Rückkehr nach Pakistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht, dass er aufgrund einer ihm zumindest unterstellten, gegen die politischen und religiösen Ziele der Taliban gerichteten religiös-politischen Ansicht einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffes von erheblicher Intensität in seine persönliche Sphäre in ganz Pakistan ausgesetzt wäre.
2.5. Die getroffenen Feststellungen zu den Verhältnissen in Pakistan (oben II.1.4.) beruhen auf den dort genannten Quellen. Die herangezogenen Berichte stammen nicht nur von staatlichen sondern auch von nichtstaatlichen Einrichtungen und internationalen Medien. Angesichts der Ausgewogenheit und Seriosität der genannten Quellen sowie der Plausibilität der weitestgehend übereinstimmenden Aussagen darin, besteht für das Bundesverwaltungsgericht daher kein Grund, an der Richtigkeit der Länderberichte zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Zu Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides (Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005)
3.1. Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.
3.2. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, also aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht. Fehlt ein kausaler Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen, kommt die Asylgewährung nicht in Betracht (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0094). Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074).
3.3. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend (VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212).
3.4. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0233).
3.5. Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl VwGH 24.3.1999, 98/01/0352 mwN; 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134).
3.6. Eine inländische Fluchtalternative ist nur dann gegeben, wenn sie vom Asylwerber in zumutbarer Weise in Anspruch genommen werden kann. Herrschen am Ort der ins Auge gefassten Fluchtalternative Bedingungen, die eine Verbringung des Betroffenen dorthin als Verstoß gegen Art 3 EMRK erscheinen lassen würden, so ist die Zumutbarkeit jedenfalls zu verneinen (VwGH 16.12.2010, 2007/20/0913).
3.7. Zum gegenständlichen Verfahren
3.7.1. Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt droht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Heimat aufgrund einer ihm zumindest unterstellten, gegen die politischen und religiösen Ziele der extremistisch-fundamentalistischen Terrorgruppierung Lashkar-e-Islam gerichteten religiös-politischen Ansicht einer aktuellen sowie unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung im Sinne eines ungerechtfertigten Eingriffes von erheblicher Intensität in seine persönliche Sphäre ausgesetzt wäre. Es kann im vorliegenden Fall auch nicht angenommen werden, dass sich der außerordentlich exponierte Beschwerdeführer der dargestellten Bedrohung durch Ausweichen in einen anderen Teil seines Herkunftsstaates entziehen kann; der Beschwerdeführer ist durch sein Zuwiderhandeln gegen die politischen und religiösen Ziele jener radikal-islamischen Gruppierung, welches zudem kausal für den Tod eines ihrer Mitglieder war, in exzeptioneller Weise ins Blickfeld jener Gruppierung geraten, welche daher auch weiterhin ernsthaft interessiert ist und danach trachtet, den Beschwerdeführer zu verfolgen und nach ihren Vorstellungen zu bestrafen. Die Lashkar-e-Islam fusionierte mittlerweile mit der Tehrik-i-Taliban Pakistan (TTP), den pakistanischen Taliban, die in ganz Pakistan ihr Netzwerk hat und agiert, weswegen aufgrund der besonderen Umstände im vorliegenden Einzelfall eine innerstaatliche Fluchtalternative ausscheidet. Es wäre dem Beschwerdeführer daher nicht möglich, sich dauerhaft verborgen zu halten und sich der Suche zu entziehen.
3.7.2. Es ist daher objektiv nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer aus Furcht vor ungerechtfertigten Eingriffen von erheblicher Intensität aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes seines Herkunftsstaates zu bedienen.
3.7.3. Im Verfahren haben sich schließlich keine Hinweise auf die in Artikel 1 Abschnitt C und F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- und Ausschlussgründe ergeben.
3.7.4. Im vorliegenden Fall sind somit die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gegeben. Einer weiteren Beurteilung des übrigen Vorbringens des Beschwerdeführers bedurfte es angesichts des Spruchinhaltes nicht mehr.
3.7.5. Gemäß § 3 Abs 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
3.8. Da der verfahrensgegenständliche Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15.11.2015 gestellt wurde, kommt dem Beschwerdeführer das dauernde Einreise- und Aufenthaltsrecht gem § 2 Abs 1 Z 15 AsylG 2005 idF vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl I Nr 24/2016 zu (§ 75 Abs 24 AsylG 2005).
Zu B)
Revision
3.9. Da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist, ist die Revision nicht zulässig.
3.10. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren Flüchtlingseigenschaft religiöse Gründe unterstellte politische GesinnungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:L516.1423640.2.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020