TE Bvwg Erkenntnis 2019/6/13 L502 2211059-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.06.2019
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

13.06.2019

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

L502 2211059-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch RAin XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.11.2018, FZ. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF), ein türkischer Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2007 im Rahmen des Familiennachzugs legal in das österreichische Bundesgebiet ein und verfügte seither durchgehend über einen Aufenthaltstitel für dieses.

2. Im Gefolge einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe wurde er mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 05.10.2018 darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem Einreiseverbot beabsichtigt sei, und zur Abgabe einer Stellungnahme hierzu aufgefordert.

3. Mit Schriftsatz vom 16.10.2018 gab er eine Stellungnahme ab und legte mehrere Beweismittel vor.

4. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des BFA vom 14.11.2018 wurde gegen ihn gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von 8 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihm ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung gewährt (Spruchpunkt II.).

5. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 14.11.2018 wurde ihm gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG von Amts wegen ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

6. Gegen den durch Hinterlegung mit Wirksamkeit vom 19.11.2018 zugestellten Bescheid des BFA wurde mit 06.12.2018 innerhalb offener Frist durch die Rechtsvertreterin des BF Beschwerde erhoben.

7. Die Beschwerdevorlage des BFA langte am 07.12.2018 beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein und wurde das gg. Beschwerdeverfahren in der Folge der Gerichtsabteilung L502 zugewiesen.

8. Das BVwG erstellte aktuelle Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Strafregister sowie dem Zentralen Melderegister (ZMR) den BF betreffend.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der og. Verfahrensgang steht fest.

1.2. Die Identität des BF steht fest. Er wurde am XXXX in der Türkei geboren und ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste im Juli 2007 legal in das österr. Bundesgebiet ein und verfügt seither durchgehend über einen Aufenthaltstitel für dieses und eine aufrechte Meldeadresse hierorts.

1.3. Er hat am XXXX eine Lehre begonnen, diese jedoch am XXXX abgebrochen. Er war von XXXX bis XXXX und von XXXX bis XXXX geringfügig beschäftigt. Seit XXXX ist er durchgehend als Arbeiter beschäftigt.

1.4. Mit Urteil des XXXX vom XXXX wurde er gemäß XXXX zu einer XXXX verurteilt, wobei diese zur Gänze unter Verhängung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. In einem wurde für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe angeordnet und ihm die Weisung, sich einer XXXX zu unterziehen, erteilt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis erhoben wurde durch Einsichtnahme in den gg. Verfahrensakt des BFA und die vorliegende Beschwerde sowie durch die Einholung aktueller Auszüge aus dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister, dem Zentralen Melderegister und dem Strafregister den BF betreffend.

2.2. Der oben wiedergegebene Verfahrensgang sowie die Feststellungen zur Person des BF, seiner Einreise und seinem Aufenthalt im Bundesgebiet, seinen Beschäftigungszeiten sowie seiner strafgerichtlichen Verurteilung waren im Lichte des vorliegenden Akteninhalts unstrittig.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde als gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Mit BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) eingerichtet.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG idgF sowie § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Zu A)

1.1. Am 12. September 1963 schlossen die damaligen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Rat der Europäischen Gemeinschaften mit der Türkei ein Abkommen zur Gründung einer Assoziation (Assoziierungsabkommen). Am 23. November 1970 verabschiedeten die Vertragsparteien das "Zusatzprotokoll zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation" (im Folgenden: ZP), das am 1. Januar 1973 in Kraft trat. In weiterer Folge wurde am 19.09.1980 durch den Assoziationsrat (dem durch das ZP Normsetzungskompetenz übertragen wurde) der Beschluss Nr. 1/80 über die Entwicklung der Assoziation (kurz: ARB 1/80) gefasst, welcher den vorangegangenen Beschluss Nr. 2/76 weitgehend ablöste.

In Art. 6 ARB 1/80 werden die Rechte türkischer Staatsangehöriger geregelt, welche je nach Beschäftigungsdauer in Österreich bestimmte Ansprüche im Hinblick auf ihre Weiterbeschäftigung und letztlich ihren Aufenthalt ableiten können.

Art 6 Abs. 1 ARB 1/80 lautet:

Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats angehört, in diesem Mitgliedstaat

- nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

- nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

- nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

Art 6 Abs. 2 ARB 1/80 lautet:

Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

Gemäß Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.

Gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gilt dieser Abschnitt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.

1.2. In Anbetracht der festgestellten Erwerbstätigkeit des BF im Bundesgebiet hat dieser die in Art. 6 ARB 1/80 vorgesehene Rechtstellung erworben.

Sind Rechte aus dem ARB 1/80 erst einmal entstanden, kann ein türkischer Staatsangehöriger sie (nur) unter zwei Voraussetzungen wieder verlieren. Entweder er verlässt den Aufnahmemitgliedstaat ohne berechtigte Gründe für einen nicht unerheblichen Zeitraum oder er stellt wegen seines persönlichen Verhaltens eine tatsächliche, schwerwiegende und gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit, Ordnung oder Gesundheit gemäß Artikel 14 dar (VwGH 28. Februar 2006, 2002/21/0130; sowie jüngst VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009).

1.3. Im seinem Erkenntnis vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0009, führte der VwGH unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung (vgl. insb. VwGH 27.6.2006, ZI. 2006/18/0138 und VwGH 26.09.2007, ZI. 2007/21/0215) zunächst aus, dass der Europäische Gerichtshof für die Bestimmung des Umfangs der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Ausnahme der öffentlichen Ordnung ausgeführt hat, dass darauf abzustellen sei, wie die gleiche Ausnahme im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die Angehörige der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft sind, ausgelegt wird; Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 setze den zuständigen nationalen Behörden Grenzen, die denen entsprechen, die für eine gegenüber einem Angehörigen eines Mitgliedstaats getroffene Ausweisungsentscheidung gelten (EuGH 10.2.2000, Nazli, C-340/97, Rn. 56 ff, sowie EuGH 11.11.2004, Cetinkaya, C-467/02, Rn. 43 ff). Im Hinblick auf die somit in Bezug auf die Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen angeordnete Gleichbehandlung von ARB-berechtigten türkischen Staatsangehörigen einerseits und - im Ergebnis - EWR-Bürgern andererseits folgerte der VwGH für das FPG in der Stammfassung, dass solche Maßnahmen gegen ARB-berechtigte türkische Staatsangehörige nur nach Maßgabe des § 86 Abs. 1 FPG, mit dem die Unionsbürger-RL umgesetzt wurde und der demnach umschrieb unter welchen Voraussetzungen (insbesondere) gegen EWR-Bürger ein Aufenthaltsverbot erlassen werden könne, in Betracht kämen und maß die Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes gegen diese Personen an den Kriterien dieser Bestimmung (siehe etwa VwGH 27.06.2006, ZI. 2006/18/0138).

Im Weiteren legte der VwGH dar:

"Dass in Bezug auf den Umfang der in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen Ausnahme der öffentlichen Ordnung darauf abzustellen ist, wie die gleiche Ausnahme im Bereich der Freizügigkeit der Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgelegt wird, hat der Europäische Gerichtshof auch in seiner jüngeren Judikatur zum Ausdruck gebracht (vgl. EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, Rn. 67). Im eben genannten Urteil wurde aber erkannt, dass der erhöhte Ausweisungsschutz, wie er in Art. 28 Abs. 3 lit. a der Unionsbürger-RL festgelegt ist (umgesetzt ursprünglich durch § 86 Abs.1 fünfter Satz FPG, jetzt durch § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG), nicht auch auf Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zu übertragen sei (Rn. 74).

Demgegenüber sei - gemäß den Rn. 79 ff des genannten Urteils Ziebell - für ARB-berechtigte türkische Staatsangehörige, die sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Aufnahmemitgliedsstaat aufhalten, Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG (Daueraufenthalts-RL) maßgeblich, sodass es darauf ankomme, ob der Betreffende eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit darstellt" (VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009)."

Aus diesen Ausführungen leitete der VwGH ab, dass seine bisherige Rechtsprechung, wonach die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen ARB-berechtigte türkische Staatsangehörige nur nach Maßgabe jener Norm in Frage komme, die Aufenthaltsverbote gegen EWR-Bürger regelt, sohin in Form eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 FPG idgF, nicht mehr aufrechterhalten werden könne.

Infolge der Novelle des FPG durch das FrÄG 2011 sie es vielmehr zu einer grundsätzlichen Neuordnung des Systems aufenthaltsbeendender Maßnahmen gekommen, der zufolge in Umsetzung der Rückführungs-RL die neuen Institute der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbots in das nationale Recht eingeführt wurden. Schließlich sei dieses neue System mit dem FNG-Anpassungsgesetz (BGBl I 68/2013) weiter verändert worden, weshalb mit Wirksamkeit vom 01.01.2014 die Rechtsinstitute der Ausweisung und des Aufenthaltsverbotes nach den §§ 66 und 67 FPG idgF ausschließlich gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige in Betracht kämen. Für alle sonstigen Drittstaatsangehörigen komme hingegen nur mehr eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, allenfalls in Verbindung mit einem Einreiseverbot gemäß § 53 FPG, als aufenthaltsbeendende Maßnahme in Betracht.

Daran anknüpfend hielt der Verwaltungsgerichtshof erstmals fest, dass türkische Staatsangehörige mit einer Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 "sonstige" Drittstaatsangehörige darstellen und daher dem Wortlaut des § 52 FPG folgend dem Anwendungsbereich dieser Bestimmung unterliegen.

Erläuternd führte der VwGH aus: "Vor allem aber ist zu bedenken, dass türkische Staatsangehörige, gegen die in Einklang mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wird, zu illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen werden, denen daher nach der Rückführungs-RL im Wege einer Rückkehrentscheidung eine Rückkehrverpflichtung in ihr Herkunftsland, ein Transitland gemäß gemeinschaftlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder in ein anderes Drittland, in das sie freiwillig zurückkehren wollen und in dem sie aufgenommen werden, aufzuerlegen ist (Art. 6 Abs. 1 und 6 iVm Art. 3 Z 3 und 4 Rückführungs-RL). Das wird im österreichischen Rechtsbereich (seit 1. Jänner 2014 zur Gänze) nur mehr durch die Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG umgesetzt, die nach dem 8. Absatz dieser Bestimmung den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde, verpflichtet. Demgegenüber verpflichten Ausweisungen nach § 66 FPG und Aufenthaltsverbote nach § 67 FPG nur zur Ausreise aus Österreich (siehe § 70 Abs. 1 FPG)" (VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009).

1.4. Aus diesen Ausführungen des VwGH ergibt sich nunmehr, dass gegen türkische Staatsangehörige, die über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 verfügen und deren Aufenthalt in Übereinstimmung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beendet werden soll, anders als nach der bis 31. Dezember 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr ein Aufenthaltsverbot, sondern eine Rückkehrentscheidung, allenfalls samt Einreiseverbot, zu erlassen ist.

Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies, dass die vom BFA in der bekämpften Entscheidung gewählte Vorgangsweise hinsichtlich der Aufenthaltsbeendigung des BF, nämlich gegen ihn in Spruchpunkt I ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG idgF zu erlassen, nicht rechtskonform war.

Angesichts dieser Ausführungen war der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid zur Gänze, einschließlich des Spruchpunkts II über die Erteilung eines einmonatigen Durchsetzungsaufschubs gemäß § 70 Abs. 3 FPG, zu beheben.

1.5. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den BF eine Gefährdungsprognose voraussetzt, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt, oder wie sich aus der Rechtssache Ziebell (C-371/08, vom 08.12.2011) des EuGH ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält, Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG - entspricht, sohin, dass von ihm eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die öffentliche Sicherheit ausgeht (vgl. VwGH 04.04.2019, Ra 2019/21/0009).

2. Da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte die beantragte mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG entfallen.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Aufenthaltsverbot aufgehoben Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub Einreiseverbot Rechtsgrundlage Rückkehrentscheidung Straffälligkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L502.2211059.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten