TE Vfgh Erkenntnis 1996/3/7 B1389/95

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Veröffentlicht am 07.03.1996
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §5
AufenthaltsG §2, §3

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung eines Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung aufgrund Unterlassung der gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden des Beschwerdevertreters die mit 18.000,-- S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen, seinen Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung abweisenden Bescheid keine Folge gegeben.

Begründend wird hiezu im wesentlichen folgendes ausgeführt:

"Die Behörde (erster Instanz) hat diesen Antrag gemäß §5 Abs2 AufG abgewiesen.

Gegen diese Beurteilung haben Sie im wesentlichen eingewendet, daß Sie sich seit 1990 in Österreich aufhalten, arbeitsfähig bzw. arbeitswillig wären, sowie keine Ausschließungsgründe gegen eine Erteilung der Aufenthaltsbewilligung zum Zwecke der Familienzusammenführung sprächen und daß Sie minderjährig sind.

Dazu ist festzustellen, daß laut Rechtsordnung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawiens, die Volljährigkeit mit dem 18. Lebensjahr gegeben ist, sodaß Sie ab diesem Zeitpunkt für die Berufungsbehörde sich in einem arbeitsfähigen Alter befinden.

Die Behörde hat ihre Entscheidung im Rahmen des vom Gesetz eingeräumten Ermessensspielraumes zu treffen, wobei aus den §§2 und 3 AufG klare Kriterien für die Art und Weise ableitbar sind, wie dieser Spielraum genützt werden soll. Bei der Ermessensübung hat sie sich von der ebenfalls im Gesetz begründeten Überlegung leiten zu lassen, daß angesichts der Zielsetzung des Gesetzes Prioritäten gesetzt werden müssen. Im Hinblick auf diese Prioritäten sind Aufenthaltsbewilligungen für private Aufenthalte an sich arbeitsfähiger Personen prinzipiell nicht zu erteilen.

Aus Ihren Angaben geht hervor, daß Sie nach wie vor keiner Erwerbstätigkeit nachgehen und eine solche auch nicht aufzunehmen gedenken. Ihr Unterhalt soll allein durch Ihren Vater . . . bestritten werden. Eine solche Finanzierung Ihres Aufenthalts durch Dritte ohne Gegenleistung ist aber nicht glaubwürdig und auch nicht geeignet, die dauernde Sicherung Ihres Lebensunterhaltes im Sinne des §5 Abs1 AufG zu gewährleisten."

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, mit der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein faires Verfahren sowie auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

3. Der Bundesminister für Inneres als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und beantragte - ohne auf das Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen - die Abweisung der Beschwerde.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.a) Der angefochtene, die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung nach dem AufG versagende Bescheid greift in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Beschwerdeführers, der sich seit längerer Zeit gemeinsam mit seiner Familie rechtmäßig in Österreich aufhält, ein.

b) Ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsgesetzlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat. Ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

c) Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfGH 16.3.1995, B2259/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der im §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

d) Die belangte Behörde hat im Beschwerdefall das Vorliegen des Versagungstatbestandes des nicht gesicherten Unterhaltes einzig damit begründet, daß die Finanzierung des Lebensunterhaltes des Beschwerdeführers durch dessen Vater den Anforderungen des §5 Abs1 AufG nicht genüge; die im Sinne des Art8 EMRK gebotene Interessenabwägung wurde nicht vorgenommen. Somit ist der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt.

e) Daran ändert sich auch nichts, wenn die Behörde die §§2 und 3 AufG in ihre Argumentation einbezieht. Auch damit könnte sie sich nicht über den Art8 EMRK hinwegsetzen: Wenn sie selbst bei Vorliegen eines Versagungstatbestandes im Sinne des §5 Abs1 AufG unter bestimmten Voraussetzungen verhalten ist, eine Abwägung der privaten und familiären Interessen des Antragstellers mit entgegenstehenden öffentlichen Interessen vorzunehmen (vgl. VfGH 16.3.1995, B2259/94), dann ist dies jedenfalls auch in jenen Fällen geboten, in denen die Behörde im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens zu entscheiden hat, ob eine Aufenthaltsbewilligung für einen bestimmten Aufenthaltszweck (im vorliegenden Fall: privater Aufenthalt) zu erteilen ist oder nicht. Da sie dies hier unterlassen hat, leidet der angefochtene Bescheid auch unter dieser Annahme an einem in die Verfassungssphäre reichenden Mangel.

f) Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von 3.000,-- S enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B1389.1995

Dokumentnummer

JFT_10039693_95B01389_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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