Entscheidungsdatum
27.06.2019Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
L504 2185168-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. R. ENGEL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX geb., StA. Türkei, vertreten durch RAe
Mag. EMBACHER / Dr. NEUGSCHWENDTNER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.12.2017, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird gemäß §§ 66 Abs 1, 70 Abs 3 FPG, 55 Abs 3 NAG, stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrenshergang
Die beschwerdeführende Partei [bP], eine türkische Staatsangehörige mit aufrechtem schwedischen Aufenthaltstitel bis 17.11.2020, stellte am 25.04.2017 beim Magistrat der Stadt Wien einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte für den Zweck "Angehöriger eines EWR Bürgers in gerader aufsteigender Linie".
Mit Schreiben vom 15.05.2017 teilte der Magistrat dem Bundesamt gem. § 55 Abs 3 NAG mit, dass die für die Erteilung notwendigen Voraussetzungen nicht gegeben seien und das Bundesamt um Überprüfung einer möglichen Aufenthaltsbeendigung ersucht werde.
Mit Schreiben vom 03.11.2017 führte das Bundesamt auf schriftlichem Weg eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme durch. Ob es darauf eine Reaktion gab, ist aus dem Akteninhalt nicht nachzuvollziehen.
Mit Bescheid vom 27.12.2017 hat das Bundesamt gem. § 66 Abs 1 FPG iVm § 55 Abs 3 NAG die Ausweisung aus dem österr. Bundesgebiet verfügt und gem. § 70 Abs 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt.
Die Behörde argumentierte im Wesentlichen unter Berufung auf das beim Magistrat anhängig gewesene Verfahren, dass die Voraussetzungen für die Erteilung dieses Aufenthaltstitels und für einen weiteren Verbleib nicht vorliegen würden.
Mit Schriftsatz vom 30.01.2018 wurde dagegen Beschwerde erhoben. Im Wesentlichen wird dargelegt, dass die bP den bestehenden Antrag auf einen Aufenthalttitel Rot-Weiß-Rot-Karte plus "modifizieren" hat lassen, weil der Vater als österr. Staatsbürger hier lebe. Die bP habe Erwerbsabsicht und sei daher "lt. Assoziationsabkommen zwischen der Türkei und der ehemaligen EG" Familienzusammenführung mit dem Vater hier möglich. Sie falle unter das FPG 1997. Eine Verhandlung wurde nicht beantragt.
Das Bundesamt nahm anlässlich der Aktenvorlage dazu keine Stellung und machte auch von einer Beschwerdevorentscheidung keinen Gebrauch.
Das BVwG hat mangels Unterlagen im Akt des Bundesamtes im NAG Akt des Magistrates der Stadt Wien Akteneinsicht genommen.
Daraus ergibt sich, dass die bP den der gegenständlichen Entscheidung zugrundeliegenden Antrag beim Magistrat am 30.01.2018 zurückgezogen hat. Gleichzeitig stellte sie beim Magistrat einen Antrag auf Erteilung einer Rot-Weiß-Rot-Karte plus.
Dem Akt des Magistrates ist weiters zu entnehmen, dass der Magistrat am 13.03.2018 gem. § 25 Abs 1 NAG beim Bundesamt wegen einer fremdenpolizeilichen Stellungnahme anfragte. Konkret, ob gegen die Erteilung des nunmehr beantragten Aufenthaltstitels seitens des Bundesamtes Bedenken bestünden.
Einem Mail des Bundesamtes ist zu entnehmen, dass darauf hin dem Magistrat mitgeteilt wurde, dass mit der Entscheidung zugewartet werden solle, da die Beschwerde über die Ausweisung noch anhängig sei.
Der Magistrat hat folglich das Verfahren über den neuen Antrag, auf Rot-Weiß-Rot-Karte plus, ausgesetzt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde sowie durch den Inhalt des Aktes vom Magistrat Wien, insbesondere die Korrespondenz zw. Magistrat und Bundesamt Beweis erhoben.
1. Feststellungen (Sachverhalt)
Siehe I. Verfahrensgang. Weiters wird festgestellt:
Das Bundesamt wurde auf Grund einer Mitteilung des Magistrates der Stadt Wien gem. § 55 Abs 3 NAG in Bezug auf den am 25.04.2017 gestellten Antrag auf Erteilung einer "Aufenthaltskarte" tätig, weil die bP die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllen würde. Dies ist auch Sache des Beschwerdeverfahrens.
Die bP zog in weiterer Folge diesen Antrag zurück und stellte einen neuen Antrag, für den andere Erteilungsvoraussetzungen gegeben sind. Der Magistrat hat bis dato darüber nicht entschieden und das Bundesamt diesbezüglich gem. § 25 Abs 1 NAG um Stellungnahme ersucht.
2. Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich zweifelsfrei aus der Aktenlage.
3. Rechtliche Beurteilung
Ausweisung
(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate
(1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.
(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.
(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.
(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" quotenfrei zu erteilen.
(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird.
Verfahren im Fall des Fehlens von Erteilungsvoraussetzungen für die Verlängerung eines Aufenthaltstitels
§ 25 NAG (1) Fehlen in einem Verfahren zur Verlängerung des Aufenthaltstitels Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs. 1 und 2, so hat die Behörde - gegebenenfalls nach Einholung einer Stellungnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - den Antragsteller davon in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass eine Aufenthaltsbeendigung gemäß §§ 52 ff. FPG beabsichtigt ist und ihm darzulegen, warum dies unter Bedachtnahme auf den Schutz seines Privat- oder Familienlebens (§ 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012) zulässig scheint. Außerdem hat sie ihn zu informieren, dass er das Recht hat, sich hiezu binnen einer gleichzeitig festzusetzenden, 14 Tage nicht unterschreitenden Frist zu äußern. Nach Ablauf dieser Frist hat die Behörde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - gegebenenfalls unter Anschluss der Stellungnahme des Fremden - zu verständigen. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.
(2) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist das Verfahren über den Verlängerungsantrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels formlos einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung auf Antrag des Fremden fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird. Ist eine Aufenthaltsbeendigung unzulässig, hat die Behörde einen Aufenthaltstitel mit dem gleichen Zweckumfang zu erteilen.
(3) Fehlen in einem Verfahren zur Verlängerung eines Aufenthaltstitels besondere Erteilungsvoraussetzungen des 2. Teiles, hat die Behörde den Antrag ohne weiteres abzuweisen.
Für diesen Fall ergibt sich Folgendes:
Der beim Bundesverwaltungsgericht anhängige Beschwerdegegenstand bzw. Sache ist eine Ausweisungsentscheidung gem. § 66 FPG iVm § 55 Abs 3 NAG [Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate] bzw. § 70 Abs 3 FPG und hat das Bundesamt den Aufenthalt beendet, insbes. weil die bP die für den Aufenthaltstitel erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllen würde.
Nach Erlassung des angefochtenen Bescheides hat die bP diesen Antrag auf Erteilung des genannten Aufenthaltstitels zurückgezogen und einen anderen Aufenthaltstitel beantragt. Diesbezüglich hat sich der Magistrat ebenfalls an das Bundesamt um Stellungnahme gewandt, nunmehr jedoch auf Basis des § 25 Abs 1 NAG [Verfahren im Fall des Fehlens von Erteilungsvoraussetzungen für die Verlängerung eines Aufenthaltstitels] und ist dies noch beim Bundesamt anhängig.
Durch die Zurückziehung des der Ausweisungsentscheidung zugrundeliegenden Antrages und des nunmehr gem. § 25 Abs 1 NAG beim Bundesamt anhängigen Verfahren, hat für das Beschwerdeverfahren die Konsequenz, dass ein wesentlicher Teil der Sache, die den Beschwerdegegenstand bildete, sich geändert hat bzw. der Rechtsgrund weggefallen ist. Dem BVwG ist es hier verwehrt nunmehr auf die Mitteilung gem. § 25 Abs 1 NAG in Bezug auf den neuen, anhängigen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels einzugehen, da dies in die Zuständigkeit des Bundesamtes fällt.
Eine Einbeziehung bzw. Prüfung durch das BVwG im Rahmen dieses Verfahrens würde die Grenze der "Sache", die den Beschwerdegegenstand bildet, überschreiten (vgl. Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht, 10 Auflage, Rz 832ff mwN). Das Verwaltungsgericht darf nicht über mehr entscheiden als Gegenstand des Bundesamtes war.
Da somit eine wesentliche Voraussetzung für die angefochtene Entscheidung weggefallen ist bzw. sich geändert hat, war der Beschwerde stattzugeben und der angefochtene Bescheid zu beheben.
Absehen von einer mündlichen Beschwerdeverhandlung
Gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG konnte eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG unterbleiben, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde hinreichend geklärt war. Zudem wurde von keiner der Parteien ein Antrag auf Verhandlung gestellt.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Antragszurückziehung Ausweisung Ausweisung aufgehoben Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub ersatzlose Behebung VerfahrensgegenstandEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:L504.2185168.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020