TE Bvwg Erkenntnis 2019/7/2 L501 2219926-1

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Veröffentlicht am 02.07.2019
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Entscheidungsdatum

02.07.2019

Norm

AsylG 2005 §3
AVG §38
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

L501 2219926-1/3E

im namen der republik!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene ALTENDORFER als Einzelrichterin über die Beschwerde der mj. XXXX , geboren XXXX , Staatsangehörigkeit Armenien, vertreten durch die Mutter XXXX , diese vertreten durch RAe Dr. Martin DELLASEGA und Dr. Max KAPFERER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.05.2019, Zl. 19-1222062500/190242731, betreffend Aussetzung des Verfahrens nach § 38 AVG zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der Bescheid des Bundeamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.5.2019, Zl. 19-1222062500/190242731, ersatzlos aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Mit Bescheid vom 28.5.2019 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge "BFA") das Verfahren der beschwerdeführenden Partei (in der Folge "bP") hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG gemäß § 38 AVG bis zur Klärung einer Vorfrage ausgesetzt.

Begründend führte das BFA aus, dass der Antrag auf internationalen Schutz der Mutter der bP aufgrund einer Säumnisbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht anhängig sei und eine Entscheidung bislang noch nicht getroffen worden sei. Zudem sei ein Antrag gemäß § 69 AVG bezüglich des Vaters der bP beim Bundesverwaltungsgericht anhängig. Aufgrund der fehlenden Entscheidungen bezüglich der Eltern der bP könne in ihrem Verfahren derzeit keine Entscheidung getroffen werden. Das Verfahren werde aufgrund der ausstehenden Entscheidungen bis zur Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht auf unbestimmte Zeit ausgesetzt.

I.2. Mit Schriftsatz ihres rechtsfreundlichen Vertreters vom 6.6.2019 erhob die bP fristgerecht Beschwerde gegen den Aussetzungsbescheid des BFA. Darin führte sie aus, dass die Mutter der bP mit Schriftsatz vom 5.6.2019 die Säumnisbeschwerde zurückgezogen habe. Die Verfahren seien aufgrund der Geburt der bP als Familienverfahren zu führen.

Dem Vater der bP sei mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 3.4.2014, Zl. W108 415037-2/5E, der Status eines anerkannten Flüchtlings zuerkannt worden, er sei "staatenlos aus Syrien". Das BFA habe offenbar einen Antrag auf Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens des Vaters der bP gestellt, da es nunmehr davon ausgehewur, dass der Vater armenischer Staatsbürger sei.

Hauptfrage im konkreten Fall sei, ob der Vater der bP anerkannter Flüchtling sei und ob der bP daher im Wege des Familienverfahrens Asyl zu gewähren sei. Dabei handle es sich nicht um die Lösung einer Vorfrage, sondern um die Feststellung einer Tatsache. Durch den bloßen Antrag auf Wiederaufnahme des Asylverfahrens des Vaters werde dessen Status als anerkannter Flüchtling nicht beseitigt. Die belangte Behörde hätte ihrer Entscheidung daher vielmehr weiterhin das Vorliegen des Asylstatus des Vaters zugrunde legen müssen. Die Beurteilung der Frage, ob einem Antrag auf Wiederaufnahme allenfalls stattzugeben wäre, sei für das Verfahren der Tochter nicht präjudiziell und keine unabdingbare Grundlage für die hier maßgebliche Frage, ob der bP im Familienverfahren nach dem Vater Asyl zu gewähren sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

Am 8.3.2019 wurde für die bP von ihrer gesetzlichen Vertretung ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Mit verfahrensgegenständlichen Bescheid wurde seitens des BFA das Verfahren über den Antrag der bP auf internationalen Schutz bis zur Entscheidung in den anhängigen Verfahren der Eltern der bP ausgesetzt.

Dem Vater der bP wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 3.4.2014, Zl. W108 415037-2/5E, der Status des Asylberechtigten rechtskräftig zuerkannt. Das BFA hat einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens beim Bundesverwaltungsgericht eingebracht, über den noch nicht entschieden wurde.

Die Mutter der bP hat am 11.3.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Die im Verfahren der Mutter erhobene Säumnisbeschwerde wurde mit Schriftsatz vom 5.6.2019 zurückgezogen und das Säumnisbeschwerdeverfahren mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.6.2019, Zl. L501 2117996-2/15E, eingestellt.

II.2. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich zweifelsfrei aus den vorgelegten Verfahrensakten. Die Feststellungen zur Säumnisbeschwerde der Mutter der bP gründen sich auf das Vorbringen im gegenständlichen Verfahren und die dazu ergangene gerichtliche Entscheidung.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Im vorliegenden Fall ist in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen und obliegt die Entscheidung in der gegenständlichen dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde

§ 38 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. 1991/51, idF BGBl. I 2018/58 lautet:

"§ 38. Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird."

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter einer Vorfrage im Sinne des § 38 AVG eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist (VwGH vom 30.10.2018, Ra 2018/16/0145, mwN).

Präjudiziell - und damit Vorfragenentscheidung im verfahrensrechtlich relevanten Sinn - ist nur eine Entscheidung, die erstens eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar, das heißt eine notwendige Grundlage ist, und zweitens diese in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regelt (VwGH vom 29.8.2018, Ro 2017/17/0022).

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH handelt es sich daher bei einer Vorfrage um eine Frage, zu deren Beantwortung die in einer Verwaltungsangelegenheit zur Entscheidung berufene Behörde sachlich nicht zuständig ist, die aber für ihre Entscheidung eine notwendige Grundlage bildet und daher von ihr bei ihrer Beschlussfassung berücksichtigt werden muss. Eine Vorfrage ist somit ein vorweg, nämlich im Zuge der Sachverhaltsermittlung zu klärendes rechtliches Element des zur Entscheidung stehenden Rechtsfalles und setzt voraus, dass der Spruch der erkennenden Behörde in der Hauptfrage nur nach Klärung einer in den Wirkungsbereich einer anderen Behörde oder eines Gerichtes fallenden Frage gefällt werden kann. Es muss sich demnach um eine Frage handeln, die den Gegenstand eines Abspruches rechtsfeststellender oder rechtsgestaltender Natur durch eine andere Behörde oder ein Gericht bildet (VwGH vom 21.11.2001, Zl. 98/08/0419; vom 8.8.2018, Ra 2015/08/0177).

Gemäß § 34 Abs 2 AsylG hat das BFA auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (Z 1) und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (Z 3).

Unter Berücksichtigung der soeben dargestellten Rechtsprechung handelt es sich bei der Frage, ob dem Vater der bP der Status des Asylberechtigten zukommt, um eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG, weil die Entscheidung im Verfahren der bP erst nach (bzw. gemeinsam mit) der Klärung des Asylstatus ihres Vaters getroffen werden kann, sohin der Ausgang des gegenständlichen Verfahrens von der Beantwortung der Hauptfrage in einem anderen Verfahren abhängt.

Im konkreten Fall liegt mit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 3.4.2014, Zl. W108 415037-2/5E, bereits eine Entscheidung vor, mit welcher rechtskräftig über den Antrag auf internationalen Schutz des Vaters der bP abgesprochen wurde und diesem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird durch einen bloßen Antrag auf Wiederaufnahme des die Vorfrage als Hauptfrage betreffenden Verfahrens die rechtskräftige Vorfragenentscheidung nicht beseitigt (VwGH vom 30.6.2009, 2008/08/0217). Die Behörde hat ihrer Entscheidung damit weiterhin die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten hinsichtlich des Vaters der bP zugrunde zu legen (vgl u.a. VwGH 12.9.2013, 2013/04/0075).

Auch das anhängige Wiederaufnahmeverfahren selbst ist für das Sachverfahren nicht präjudiziell und daher auch nicht als zunächst zu klärende Vorfrage im Sinne des § 38 AVG zu betrachten, weil die zur Wiederaufnahme zuständige Behörde die Frage des Bestehens eines rechtskräftigen Bescheides ihrerseits nicht als Hauptfrage, sondern lediglich als Vorfrage zu beurteilen hat (VwSlg 10.383 A/1981; VwGH vom 20.4.2001, 99/05/0225; vom 12.9.2013, 2013/04/0075; vgl Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 Rz 6). Das anhängige Wiederaufnahmeverfahren ändert damit auch unter diesem Gesichtspunkt nichts an der Bindungswirkung des rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens des Vaters der bP im gegenständlichen Verfahren.

Hinsichtlich des anhängigen Antrags auf internationalen Schutz der Mutter der bP ist auszuführen, dass nach Zurückziehung der Säumnisbeschwerde und Einstellung des Säumnisbeschwerdeverfahrens die Zuständigkeit zur Entscheidung über diesen Antrag wieder beim BFA liegt (vgl VwGH 26.2.2004, 2002/16/0071 mwN). Gemäß § 34 Abs 4 AsylG sind die Verfahren von Familienangehörigen gemeinsam zu führen, sodass sich auch hier im Hinblick auf das gegenständliche Verfahren die Notwendigkeit einer Vorfragenbeantwortung nicht ergibt.

Eine zu klärende Vorfrage im Sinne des § 38 AVG liegt damit nicht vor. Der erlassene Aussetzungsbescheid war daher ersatzlos zu beheben.

Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung:

Die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung konnte im gegenständlichen Fall gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG unterbleiben, da bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung konnte im gegenständlichen Fall außerdem gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG unterbleiben, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt ist.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Wie sich aus der angeführten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ergibt, besteht zur entscheidungswesentlichen Frage eine einheitliche Rechtsprechung und wird hiervon auch nicht abgewichen.

Schlagworte

Aussetzung Behebung der Entscheidung ersatzlose Behebung Familienverfahren Präjudizialität Vorfrage Wiederaufnahmeantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L501.2219926.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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