TE Bvwg Beschluss 2019/7/3 L501 2128778-3

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Veröffentlicht am 03.07.2019
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Entscheidungsdatum

03.07.2019

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch

L501 2128782-3/25E

L501 2128778-3/26E

L501 2128781-3/25E

BESCHLUSS

1. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene ALTENDORFER als Einzelrichterin in dem amtswegig eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, EASt Ost vom 10.04.2018, IFA: 1101085703-180273885, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend Frau XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Armenien, vertreten durch Migrantinnen Verein St. Marx, beschlossen:

A) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 AsylG nicht rechtmäßig. Der zitierte Bescheid wird daher aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene ALTENDORFER als Einzelrichterin in dem amtswegig eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, EASt Ost vom 10.04.2018, IFA: 1101085006-180273834, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend Herrn XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Armenien, gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , diese vertreten durch Migrantinnen Verein St. Marx, beschlossen:

A) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 AsylG nicht rechtmäßig. Der zitierte Bescheid wird daher aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

3. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene ALTENDORFER als Einzelrichterin in dem amtswegig eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, EASt Ost vom 10.04.2018, IFA: 1101084804-180273745, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend Frau XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Armenien, gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , diese vertreten durch Migrantinnen Verein St. Marx, beschlossen:

A) Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 AsylG nicht rechtmäßig. Der zitierte Bescheid wird daher aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang

I.1. Die Erstbeschwerdeführerin stellte am 7. Jänner 2016 gemeinsam mit ihrem Sohn, dem minderjährigen Zweitbeschwerdeführer (Geburtsjahr XXXX ), und ihrer Tochter, der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin (Geburtsjahr XXXX ), - und gemeinsam mit dem Ehegatten bzw. Vater - Anträge auf Zuerkennung von internationalem Schutz.

I.2. Jeweils mit Bescheid vom 13. Mai 2016 wurden die Anträge der Beschwerdeführer sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen und Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt. Weiters wurde gegen alle drei Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Armenien zulässig ist.

I.3. Die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde wurde letztlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17. Jänner 2018 abgewiesen und Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide jeweils hinsichtlich der spruchgemäßen Erledigung zu § 55 AsylG 2005 ersatzlos behoben.

I.3.1. Das Bundesverwaltungsgericht stellte in seinem Erkenntnis insbesondere fest, dass die Beschwerdeführer sowohl in Armenien als auch in Österreich vom Ehegatten bzw. Vater erheblich misshandelt worden seien. Der Ehegatte bzw. der Vater der Beschwerdeführer sei im Juni 2016 nach Armenien zurückgekehrt. Die Beschwerdeführer befürchteten, dass sie im Fall einer Rückkehr nach Armenien der Gefahr von Übergriffen des Ehegatten bzw. des Vaters ausgesetzt seien. In Bezug auf die Erstbeschwerdeführerin stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, dass sie eine jüngere, nicht invalide, arbeitsfähige Frau mit bestehenden familiären Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat sowie Zugang zum armenischen Sozial- und Gesundheitssystem und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage sei. Es könnten bezüglich der Erstbeschwerdeführerin keine akut existenzbedrohenden Krankheitszustände oder Hinweise auf eine unzumutbare Verschlechterung der Krankheitszustände im Fall einer Überstellung nach Armenien belegt werden. Die Pflege, die Obsorge und der Unterhalt des Zweitbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin seien durch die Erstbeschwerdeführerin gesichert und es bestünden gegenüber ihrem Vater Unterhaltsansprüche. Familienangehörige und Verwandte lebten nach wie vor im Herkunftsstaat, sie hätten keine weiteren Familienangehörige und Verwandte im Bundesgebiet.

I.3.2. In einer im Akt der Verwaltungsbehörde befindlichen gutachterlichen Stellungnahme vom 6. August 2017 einer in Bad Vöslau niedergelassenen Ärztin für Allgemeinmedizin (ÖÄK-Diplom für Psychosomatische und Psychotherapeutische Medizin) wird festgestellt, dass bezüglich der Erstbeschwerdeführerin traumatypische Symptome nicht beobachtbar seien. Es scheine eine Reaktion auf Belastung im Sinne einer Anpassungsstörung oder einer reaktiven Depression vorzuliegen, eine alte Posttraumatische Belastungsstörung in Teilremission auf Grund der Misshandlungen durch den Ehegatten sei nicht mit Sicherheit auszuschließen. Derzeit sei keine suizidale Einengung fassbar. Die Erstbeschwerdeführerin befinde sich seit April 2017 in psychotherapeutischer Behandlung; seit Juli 2016 hätten mehrere Abklärungsgespräche stattgefunden.

I.4. Die Beschwerdeführer brachten am 20. März 2018 Folgeanträge auf internationalen Schutz ein.

I.4.1. Die Erstbeschwerdeführerin gab bei ihrer Erstbefragung im Zuge der Antragstellung an, dass sie seit zwei Jahren in psychotherapeutischer Behandlung sei. Sie werde wegen schwerer Depressionen behandelt und nehme (sowohl gegen die Depression als auch gegen starke Migräne) Medikamente. Sollte sie diese Medikamente nicht einnehmen oder nicht erhalten, sei sie suizidgefährdet. Sowohl der Zweitbeschwerdeführer als auch die Drittbeschwerdeführerin gaben bei der Erstbefragung im Zuge der Antragstellung an, dass sie derzeit bei einer Freundin ihrer Mutter wohnen würden, da sich die Erstbeschwerdeführerin in stationärer psychiatrischer Behandlung befinde und sich nicht um beide Kinder kümmern könne. Die Drittbeschwerdeführerin gab weiters an, dass es ihrer Mutter immer schlechter gehen würde.

I.4.2. Bei der niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10. April 2018 gab die Erstbeschwerdeführerin insbesondere an, dass sie weitere Drohungen von ihrem Ehegatten bzw. dem Kindesvater erhalte, der den Beschwerdeführern Gewalt androhe, wenn sie nach Armenien zurückkehren würden. Es gehe ihr sehr schlecht, sie sei psychisch sehr labil. Ihr sei es nach der letzten asylrechtlichen Entscheidung psychisch sehr schlecht gegangen, sie könne ihre Kinder nicht pflegen oder für sie kochen. Während des Aufenthaltes im Krankenhaus hätten sich Freundinnen um die Kinder gekümmert. Sie sei auch nach der Entlassung nicht fähig, den Haushalt zu führen. Die Freundinnen gingen einkaufen und kochten. Sie könne ohne Medikamente nicht klar denken, sie denke ständig an Selbstmord. Sie arbeite derzeit 1,5 Stunden pro Woche, sie würde jedoch gerne in ihren gelernten Berufen arbeiten, ca. 30 Stunden in der Woche. Der Zweitbeschwerdeführer gab bei der niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10. April 2018 insbesondere an, dass seine Mutter wegen der Medikamente sehr müde sei und ihre Kräfte nicht ausreichen würden, um den Alltag zu bewältigen. Seine Mutter habe Freundinnen, welche das Essen vorbereiten würden. Seine Mutter habe Suizidgedanken, er habe Angst um sie. Die Drittbeschwerdeführerin gab bei der niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10. April 2018 an, dass es ihrer Mutter psychisch schlecht gehe. Ihre Mutter könne weder für sich selbst noch für die Kinder sorgen. In Armenien werde sie es auch nicht können. Ihre Mutter müsse starke Medikamente einnehmen. Entweder liege ihre Mutter den ganzen Tag; wenn sie sitze, starre sie auf einen Punkt. Ihre Mutter sei nicht fähig, den Alltag zu meistern. Sie hätten in Armenien niemanden, dort würden sie auf sich allein gestellt sein.

I.4.3. Aus einem bei der niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10. April 2018 vorgelegten ärztlichen Entlassungsbrief vom 23. März 2018 ergibt sich bezüglich der Erstbeschwerdeführerin, dass sie vom 14. März 2018 bis 23. März 2018 auf Grund "suizidaler Einengung bei depressiver Symptomatik bei psychosozialer Belastungssituation" stationär im Landesklinikum Neunkirchen in der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin aufgenommen war. Von psychopharmakologischer Seite werde stimmungsunterstützend mit einer "Aufdosierung von Medikamenten" behandelt, was die deutlich eingeschränkte Schlafqualität gebessert habe, wodurch die Erstbeschwerdeführerin seelisch stabilisiert hätte werden können. Eine akute Suizidalität sei in den Hintergrund getreten. Zum Zeitpunkt der Entlassung habe bei der Erstbeschwerdeführerin keine ernstliche oder erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung bestanden. Eine weitere psychotherapeutische Unterstützung solle dringend fortgeführt werden. Aus einem ebenfalls bei der niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10. April 2018 vorgelegten ärztlichen Begleitschreiben vom 19. März 2018 der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin des Landesklinikums Neunkirchen ergibt sich, dass es bei der Erstbeschwerdeführerin im Zuge der "Asylbescheidablehnung" zu einer "Zunahme der depressiven Ideation mit reaktivierten Ängsten", den Gewalthandlungen des Ehegatten nach der Abschiebung ausgesetzt zu sein, gekommen wäre. Daraus würden auch konkrete suizidale Ideen erwachsen.

I.5. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hob mit mündlich verkündetem Bescheid vom 10. April 2018 hinsichtlich aller drei Beschwerdeführer den faktischen Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 auf. Bezüglich der Erstbeschwerdeführerin wurde festgestellt, dass sie an keiner lebensbedrohenden Erkrankung leide und es seit Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17. Jänner 2018 zu keiner maßgeblichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes gekommen sei. Dies wurde damit begründet, dass die Erstbeschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Entlassung keine ernstliche oder erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung aufweise; sie sei bei prospektivem Denken und fehlenden Gefährdungselementen nach Hause entlassen worden. Für die Feststellung, dass es zu keiner Verschlechterung des Gesundheitszustandes kommen würde, sei ausschlaggebend, dass die Erstbeschwerdeführerin die Wochenarbeitszeit erhöhen möchte.

I.6. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18. April 2018, Zlen. L523 2128782-3/4E, L523 2128778-3/4E, L523 2128781-3/4E, wurde hinsichtlich aller drei Beschwerdeführer ausgesprochen, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 22 Abs. 10 AsylG 2005 sowie § 22 BFA-VG rechtmäßig ist.

Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass gegen alle drei Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen worden sei und die Folgeanträge voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen seien, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes eingetreten sei. Auch aus den nunmehr vorgelegten medizinischen Unterlagen sei ersichtlich, dass die Erstbeschwerdeführerin nach wie vor in psychotherapeutischer Behandlung sei und Medikamente einnehme. Eine entscheidungsmaßgebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes gehe damit nicht einher. Weiters lägen auch keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne höchstgerichtlicher Judikatur vor, bei welchen die Abschiebung die aus Art. 3 EMRK gewährleisteten Garantien verletzen würde.

I.7. Der dagegen an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde wurde mit Entscheidung vom 11. Juni 2019, E 2094-2096/2018-12, stattgegeben und der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. April 2018 aufgehoben.

Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass es das Bundesverwaltungsgericht verabsäumt habe, die beginnend mit der Ersteinvernahme im Zuge der Antragstellung des Folgeantrages vorgebrachten Veränderungen des Gesundheitszustandes der Erstbeschwerdeführerin in seiner Entscheidung ausreichend zu berücksichtigen. Insbesondere habe sich das Bundesverwaltungsgericht nicht mit den Vorbringen auseinandergesetzt, dass die Erstbeschwerdeführerin auf Grund ihres Gesundheitszustandes nicht mehr fähig zu sein scheint, ihren Alltag und den Alltag ihrer Kinder ohne fremde Hilfe im Bundesgebiet zu bewältigen, die Unterdrückung von Suizidgedanken nur unter Zuhilfenahme von Medikamenten möglich erscheine und mangelnde Hilfe durch ein bestehendes familiäres Netzwerk im Heimatstaat auf Grund des Gesundheitszustandes der Erstbeschwerdeführerin befürchtet werde.

I.8. Die Verwaltungsakten langten am 02.07.2019 bei der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung L501 des Bundesverwaltungsgerichts ein, wovon das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am selben Tag verständigt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ergibt sich zweifelsfrei aus dem beschriebenen Verfahrensgang.

II.2. Beweiswürdigung:

Verfahrensgang und Feststellungen ergeben sich zweifelsfrei aus den vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegten und unbedenklichen Verfahrensakten sowie den verfahrensgegenständlichen Akten des Bundesverwaltungsgerichtes samt jenen der Vorverfahren.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Unrechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes:

II.3.1. Rechtsgrundlagen

Gemäß § 12a Abs. 2 AsylG kann das Bundesamt, wenn der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt hat und kein Fall des Abs. 1 vorliegt, den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn

1.) gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,

2.) der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und

3.) die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 12a Abs. 6 AsylG bleiben Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 FPG 18 Monate ab der Ausreise des Fremden aufrecht, es sei denn es wurde ein darüber hinausgehender Zeitraum gemäß § 53 Abs. 2 und 3 FPG festgesetzt.

II.3.2. Judikatur

§ 12a Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 sieht vor, dass vor Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes und damit vor der möglichen Effektuierung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme erneut eine Refoulement-Prüfung nach Art. 2 und Art. 3 EMRK sowie eine Interessenabwägung iSv Art. 8 EMRK vorzunehmen sind, wobei sich die Refoulement-Prüfung auf einen seit dem Entscheidungszeitpunkt des vorigen Verfahrens geänderten Sachverhalt zu beziehen hat (vgl. zu den gesetzlichen Vorgaben des Verfahrens zur Aufhebung des faktischen Abschiebe-schutzes und der Vereinbarkeit mit dem in Art. 130 und Art. 132 B-VG vorgesehenen System der Verwaltungsgerichtsbarkeit jüngst VfGH 10.10.2018, G 186/2018 ua.). Die von der Verwaltungsbehörde bzw. vom Bundesverwaltungsgericht vorzunehmende (erneute) Refoulement-Prüfung hat dabei die Kriterien aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu beachten. (VfGH vom 11. Juni 2019, E 2094-2096/2018-12).

II.3.3. Zum gegenständlichen Beschwerdeverfahren

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat seinem Bescheid vom 10.04.2018 die Feststellung zugrunde gelegt, dass sich seit Rechtskraft des Vorverfahrens (17.01.2018) keine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Erstbeschwerdeführerin ergeben hat. Dies wurde damit begründet, dass sie zum Zeitpunkt der Entlassung keine ernstliche oder erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung aufweise; sie bei prospektivem Denken und fehlenden Gefährdungselementen nach Hause entlassen worden sei.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat es jedoch unterlassen darzulegen, die beginnend mit der Ersteinvernahme im Zuge der Antragstellung des Folgeantrages vorgebrachten Veränderungen des Gesundheitszustandes der Erstbeschwerdeführerin in seiner Entscheidung ausreichend zu berücksichtigen und - unter Bedachtnahme auf die gesetzlichen Vorgaben für die Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 22 BFA-VG - nachvollziehbar darzulegen, warum von keinem geänderten Sachverhalt auszugehen sei bzw. warum eine Abschiebung nach Armenien unter Berücksichtigung der individuellen Situation der Beschwerdeführer im Heimatstaat anhand aktueller Länderinformationen zulässig ist (siehe zu den grundrechtlichen Anforderungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme in Fällen von erkrankten Personen das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 13. Dezember 2016 [GK], Fall Paposhvili, Appl. 41738/10, Z 183 ff.). Insbesondere hat sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht mit den Vorbringen auseinandergesetzt, dass die Erstbeschwerdeführerin auf Grund ihres Gesundheitszustandes nicht mehr fähig zu sein scheint, ihren Alltag und den Alltag ihrer Kinder ohne fremde Hilfe im Bundesgebiet zu bewältigen, die Unterdrückung von Suizidgedanken nur unter Zuhilfenahme von Medikamenten möglich erscheint und mangelnde Hilfe durch ein bestehendes familiäres Netzwerk im Heimatstaat auf Grund des Gesundheitszustandes der Erstbeschwerdeführerin befürchtet wird. Es fehlt somit an einer tragfähigen Begründung für die getroffene Feststellung. Es ist daher nicht festzustellen, ob sich der Gesundheitszustand der Erstbeschwerdeführerin tatsächlich in der von ihr (und den Kindern) geschilderten Weise verschlechtert hat. Damit konnte aber das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zum Zeitpunkt der Verkündung des verfahrensgegenständlichen Bescheides nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass eine Abschiebung der Beschwerdeführer eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 3 EMRK bedeutet.

Da sohin die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 AsylG für die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht vorliegen, ist der verfahrensgegenständliche Bescheid des Bundesamtes nicht rechtmäßig. Dieser Mangel schlägt gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 auf die Entscheidungen betreffend den Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin durch, welche folglich gleichfalls aufzuheben sind.

II.3.4. Gemäß § 22 Abs. 1 zweiter Satz BFA-VG war ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gem. Art 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, da zu den gegenständlich anzuwendenden Bestimmungen - wie im Erkenntnis angeführt - Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. insbesondere E 2094-2096/2018-12) bzw. Verwaltungsgerichtshofes vorliegt, die Rechtsfragen in der bisherigen Rechtsprechung einheitlich beantwortet wurden und in der vorliegenden Entscheidung von der höchstrichterlichen Spruchpraxis auch nicht abgewichen wurde.

Schlagworte

faktischer Abschiebeschutz faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung nicht rechtmäßig Familienverfahren Folgeantrag Gesundheitszustand VfGH

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:L501.2128778.3.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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