Entscheidungsdatum
18.07.2019Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
L526 2212107-1/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. P. M. SCHREY, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch RA Mag. Hirsch, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.11.2018, Zl. XXXX zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG idgF sowie § 70 Abs. 3 FPG idgF stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrenshergang
I.1. Gegen den Beschwerdeführer (idF.: BF) wurde mit im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein für die Dauer von 5 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG (Spruchpunkt I) erlassen. Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.).
I.2. Gegen diesen Bescheid wurde ordnungsgemäß innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.
I.3. Am 03.01.2019 langte der Verfahrensakt beim BVwG ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt)
Der BF ist türkischer Staatsbürger und somit Drittstaatsangehöriger. Er reiste im Jahr 2002 legal in Österreich ein.
Dem BF wurde eine Niederlassungsbewilligung mit dem Aufenthaltszweck "Daueraufenthalt EU" durch die zuständige Niederlassungsbehörde erteilt.
Das Strafregister weist betreffend dem BF nachstehende Einträge auf:
01) XXXX
PAR 27 ABS 1/1 (1.2.8. FALL) SMG
Freiheitsstrafe 3 Wochen, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Junge(r) Erwachsene(r)
Vollzugsdatum 11.07.2013
zu XXXX
Bedingte Nachsicht der Strafe wird widerrufen
XXXX
02) XXXX
§ 27 (1) Z 1 1.2. Fall 27 (2) § 27 (1) Z 1 8. Fall 27 (3) § 27 (1) Z 1 9. Fall SMG
§ 164 (2) 164 (4) StGB
Datum der (letzten) Tat 18.12.2012
Freiheitsstrafe 18 Monate, davon Freiheitsstrafe 15 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Vollzugsdatum 11.07.2013
zu XXXX
Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 11.07.2013
XXXX
zu XXXX
Probezeit des bedingten Strafteils verlängert auf insgesamt 5 Jahre
XXXX
zu XXXX
(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig
Vollzugsdatum 11.07.2013
XXXX
03) XXXX
§ 27 (1) Z 1 5.6. Fall SMG
§ 28a (1) 5. Fall SMG § 15 StGB
Datum der (letzten) Tat 01.08.2014
Freiheitsstrafe 15 Monate
zu XXXX
(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, bedingt, Probezeit 3 Jahre
LXXXX
04) XXXX
Datum der (letzten) Tat 08.11.2016
Freiheitsstrafe 5 Wochen
Vollzugsdatum 29.11.2018
2. Beweiswürdigung
Die Feststellungen ergeben sich im Wesentlichen unstreitig auf Grund der Aktenlage des Bundesamtes. Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde Beweis erhoben.
3. Rechtliche Beurteilung
II.3.1. § 28 VwGVG lautet:
(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
(1.) der maßgebliche Sachverhalt feststeht
(2.) die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) ...(7)
II.3.2. Mit Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0009, hat dieser klargestellt, dass nunmehr aufgrund der geänderten Rechtslage auch in Bezug auf türkische Staatsangehörige, welche in den Anwendungsbereich des Beschlusses 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (im Folgenden kurz: ARB 1/80) fallen bzw. daraus ein Aufenthaltsrecht ableiten können, als "sonstige Drittstaatsangehörige" gelten und für eine Aufenthaltsbeendigung nur eine Rückkehrentscheidung und gegebenenfalls ein Einreiseverbot in Frage kommen und nicht eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot.
So führt der Verwaltungsgerichtshof in der zitierten Entscheidung aus:
"28 Türkische Staatsangehörige - auch solche mit einer Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 - sind "sonstige" Drittstaatsangehörige. Sie unterfallen daher dem Wortlaut nach § 52 FPG. Vor allem aber ist zu bedenken, dass türkische Staatsangehörige, gegen die in Einklang mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wird, zu illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen werden, denen daher nach der Rückführungs-RL im Wege einer Rückkehrentscheidung eine Rückkehrverpflichtung in ihr Herkunftsland, ein Transitland gemäß gemeinschaftlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder in ein anderes Drittland, in das sie freiwillig zurückkehren wollen und in dem sie aufgenommen werden, aufzuerlegen ist (Art. 6 Abs. 1 und 6 iVm Art. 3 Z 3 und 4 Rückführungs-RL). Das wird im österreichischen Rechtsbereich (seit 1. Jänner 2014 zur Gänze) nur mehr durch die Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG umgesetzt, die nach dem 8. Absatz dieser Bestimmung den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde, verpflichtet. Demgegenüber verpflichten Ausweisungen nach § 66 FPG und Aufenthaltsverbote nach § 67 FPG nur zur Ausreise aus Österreich (siehe § 70 Abs. 1 FPG).
29 Vor diesem Hintergrund ist nunmehr auch gegen türkische Staatsangehörige, die über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 verfügen und deren Aufenthalt in Übereinstimmung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beendet werden soll, anders als nach der bis 31. Dezember 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr ein Aufenthaltsverbot, sondern eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu erlassen. Freilich hat es dabei zu bleiben, dass diese Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot eine Gefährdung voraussetzt, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder, wie sich aus EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält, Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG - entspricht."
II.3.2. Daraus folgt für diesen Fall:
Offensichtlich ging das BFA davon aus, dass es sich im gegenständlichen Fall beim BF um einen rechtmäßig aufhältigen türkischen Staatsangehörigen, welcher in den Anwendungsbereich des ARB 1/80 fällt handelt und gegen den daher ein Aufenthaltsverbot gem. § 67 FPG zu erlassen ist.
Begründet wurde dies von der belangten Behörde nicht und geht aus der Einvernahme lediglich hervor, dass es sich hier um einen Familiennachzug eines türkischen Staatsangehörigen zu seinem in Österreich lebenden und arbeitenden Vater handelt. Es wurden seitens der Behörde keine konkreten Ermittlungen getätigt, um feststellen zu können ob es sich hier tatsächlich um einen Familiennachzug und eine daraus ableitbare Berechtigung iSd Art 7 ARB 1/80 handelt. Die Behörde hat dazu keine nachvollziehbaren Feststellungen getroffen bzw. sich gar nicht damit beschäftigt. Dies wird jedenfalls im nunmehr durchzuführenden, ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren zu thematisieren sein, da sich bei einem tatsächlich den ARB 1/80 zu unterstellenden Beschwerdeführer ein anderer Gefährdungmaßstab ergibt als bei einem anderen sonstigen Drittstaatsangehörigen.
Dies ergibt sich aus der oa. jüngsten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, und wurde generell durch die Erlassung des Aufenthaltsverbotes die Rechtslage verkannt. Es wäre zur Aufenthaltsbeendigung des BF als "sonstigen Drittstaatsangehörigen" hier allenfalls eine Rückkehrentscheidung mit Einreiseverbot zu prüfen.
Jedoch ist zu beachten, dass diese Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot bei einem tatsächlich assoziationsberechtigten Türken eben eine Gefährdung voraussetzt, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder die (wie sich aus EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält) Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG - entspricht.
Dass es sich beim BF aus anderen Gründen um einen begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd § 2 Abs 4 Z 11 FPG handeln würde und somit doch die §§ 66 ff FPG und nicht § 52 FPG zur Anwendung gelangen, hat das Bundesamt hier nicht aufgezeigt.
Es war daher der Beschwerde stattzugeben und der Bescheid schon aus diesem Grund zur Gänze zu beheben.
Von dem Grundsatz, wonach als Folge einer ersatzlosen Bescheidaufhebung durch das Verwaltungsgericht jedwede Entscheidung in der Verwaltungssache, durch welche erstinstanzliche Behörde auch immer, ausgeschlossen ist, bestehen Ausnahmen. Der wichtigste Fall einer solchen Ausnahme ist die ersatzlose Aufhebung des Bescheides einer Unterbehörde infolge ihrer Unzuständigkeit. Diesfalls beendet der entsprechende Berufungsbescheid lediglich das Verfahren vor dieser Unterbehörde endgültig, wodurch freilich eine Entscheidung der in Wahrheit zuständigen Behörde in derselben Sache nicht ausgeschlossen wird. Diese "Ausnahme" wird wohl auch im Falle der ersatzlosen Aufhebung eines vor dem VwG angefochtenen Bescheides durch dieses wegen Unzuständigkeit der bescheiderlassenden Verwaltungsbehörde Platz greifen (vgl. 25.03.2015, Ro 2015/12/0003).
Analog dazu sind auch Fälle wie der gegenständliche zu sehen, in welchem sich die Entscheidung der Behörde auf die falsche Rechtsgrundlage stützt und steht die Behebung in gegenständlichem Fall einer neuen Entscheidung der bB nicht entgegen.
Anzumerken ist, dass der Inhalt des Beschwerdeschriftsatzes samt noch vorgelegten Unterlagen Teil des von der belangten Behörde zu berücksichtigenden Sachverhaltes ist und sich die belangte Behörde mit den dort gemachten verfahrensrelevanten Einwendungen auseinanderzusetzen haben wird.
Es ist zudem jedenfalls in einer erneuten Einvernahme des BF zu klären, wann der BF zuletzt in der Türkei war (vgl. Stempel im Reisepass), welche Angehörigen dort leben (widersprüchliche Ausführungen im Bescheid) und ob der BF tatsächlich nunmehr keine Drogen mehr nimmt (vgl. Therapie aus dem Jahr 2013). Das dem BF vorzuwerfende Fehlverhalten ist in den Feststellungen ausführlich darzustellen und sind die insgesamt zur Erlassung eines Einreiseverbotes führenden Gründe zu erörtern. Im Rahmen der Gefährdungsprognose sind die Strafzumessungsgründe in den Urteilen zu berücksichtigen und ist im Rahmen der Interessensabwägung darauf Bedacht zu nehmen, dass keine Aktenwidrigkeiten Eingang in den Bescheid finden.
II.3.3. Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, da aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Aufenthaltsverbot Aufenthaltsverbot aufgehoben Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub Einreiseverbot Gefährdungsprognose Rechtsgrundlage Rückkehrentscheidung StraffälligkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:L526.2212107.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020