Entscheidungsdatum
18.07.2019Norm
BFA-VG §18Spruch
L526 2184233-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. P. M. SCHREY, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Türkei, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.12.2017, Zl. XXXX zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 1 und 2 VwGVG iVm § 67 Abs. 1 und 2 FPG idgF sowie § 70 Abs. 3 FPG idgF stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrenshergang
I.1. Gegen den Beschwerdeführer (idF.: BF) wurde mit im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein für die Dauer von 5 Jahren und 6 Monaten befristetes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG (Spruchpunkt I) erlassen. Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.). Einer Beschwerde gegen die Entscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III).
I.2. Gegen diesen Bescheid wurde ordnungsgemäß innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben.
I.3. Am 25.01.2018 langte der Verfahrensakt beim BVwG ein.
I.4. Das BVwG forderte die noch nicht im Akt befindlichen Urteile gegen den BF an.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt)
Der BF ist türkischer Staatsbürger und somit Drittstaatsangehöriger.
Der BF lebte zwischen 2003 und Jänner 2018 für ca. 15 Jahre in Österreich und reiste aufgrund seiner Heirat mit seiner nunmehr geschiedenen Ehegattin in Österreich ein. Er ging in Österreich durchgängig beim gleichen Arbeitgeber zwischen 08.07.2008 und 30.06.2013 einer unselbstständigen Beschäftigung in Österreich nach, weshalb dem BF aufgrund Art. 6 Abs. 1 3 Fall des Beschlusses 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (ARB) grundsätzlich die Begünstigungen aus diesem Vertrag zustehen.
Der Beschwerdeführer wurde jedoch im Jahr 2008 erstmalig strafgerichtlich verurteilt. Im Zeitraum zwischen 2008 und November 2017 wurde er insgesamt 5 Mal zu teilweise bedingten, teilweise unbedingten Haftstrafen verurteilt. So wurde er wegen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt und falscher Beweisaussage im Jahr 2008 (Drohung gegen über Polizisten - "Es gibt 80 Millionen Türken, bald werdet ihr von uns niedergemacht. Ich bin Türke, wir werden euch überrollen), im Juni 2011 wegen Sachbeschädigung, im November 2012 wegen Verletzung der Unterhaltspflicht, im März 2016 wegen gefährlicher Drohung (mehrfache Drohungen gegen Mitarbeiter des Magistrats, ua. damit, dass er ihn "kaputt machen" wolle, indem er ihm den Hals aufschneide und ihn durch die Fußgängerzone schleife) und im Oktober 2017 wegen schwerer Sachbeschädigung und gefährlicher Drohung (Äußerung gegen Caritasmitarbeiterin: Ich warte vor Caritas, mache sie tot, ficke sie und ihre Kinder) verurteilt.
Der kriminalpolizeiliche Aktenindex weist zwölf Eintragungen auf. Es scheinen darin zusätzlich zu den Verurteilungen unter anderem ein Verstoß gegen das Suchtmittelgesetz, eine gefährliche Drohung im Familienkreis im Jahr 2014, eine beharrliche Verfolgung im Jahr 2015 sowie eine Körperverletzung und Nötigung im Jahr 2015 im Bekanntschaftsverhältnis auf. Schließlich wurden der BF zwischen 2008 und 2017 laut Erkennungsdienstlicher Evidenz wegen beharrlicher Verfolgung (§ 107a StGB), gefährlicher Drohung (§ 107 StGB), Sachbeschädigung (§ 125 StGB), Diebstahl durch Einbruch oder mit Waffen (§ 129 StGB) und gewerbsmäßigem Diebstahl und Diebstahl im Rahmen einer kriminellen Vereinigung (§ 130 StGB) erkennungsdienstlich behandelt. Trotz bestehenden Waffenverbots wurde beim BF am 11.10.2017 bei einer Personendurchsuchung ein Messer mit einer Klingenlänge von 10 cm sichergestellt.
Der Strafregisterauszug des BF weist nachstehende Einträge auf:
01) XXXX
PAR 15 269/1 (1. FALL) PAR 288/1 StGB
Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Vollzugsdatum 09.05.2008
zu XXXX
(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig
Vollzugsdatum 09.05.2008
XXXX
02) XXXX
PAR 125 StGB
Datum der (letzten) Tat 16.07.2010
Freiheitsstrafe 1 Monat, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Vollzugsdatum 02.07.2011
zu XXXX
(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig
Vollzugsdatum 02.07.2011
XXXX
03) XXXX
§ 198 (1) StGB
Datum der (letzten) Tat 27.11.2012
Freiheitsstrafe 2 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
Vollzugsdatum 04.12.2012
zu XXXX
(Teil der) Freiheitsstrafe nachgesehen, endgültig
Vollzugsdatum 04.12.2012
XXXX
04) XXXX
§ 107 (1) StGB
Datum der (letzten) Tat 26.11.2015
Freiheitsstrafe 7 Monate 15 Tage, davon Freiheitsstrafe 5 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
zu XXXX
Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 17.03.2017
XXXX
zu XXXX
Probezeit verlängert auf insgesamt 4 Jahre
XXXX
05) XXXX
§§ 125, 126 (1) Z 5 StGB
§ 107 (1) StGB
Datum der (letzten) Tat 11.10.2017
Freiheitsstrafe 8 Monate, davon Freiheitsstrafe 6 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre
zu XXXX
Unbedingter Teil der Freiheitsstrafe vollzogen am 11.12.2017
XXXX
Der BF reiste am XXXX .2018 freiwillig unter Gewährung von Rückkehrhilfe in die Türkei aus.
2. Beweiswürdigung
Die Feststellungen ergeben sich im Wesentlichen unstreitig auf Grund der Aktenlage des Bundesamtes. Das BVwG hat durch den Inhalt des übermittelten Verwaltungsaktes der belangten Behörde, einschließlich der Beschwerde Beweis erhoben.
3. Rechtliche Beurteilung
II.3.1. II.3.1. § 28 VwGVG lautet:
(1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
(1.) der maßgebliche Sachverhalt feststeht
(2.) die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) ...(7)
II.3.2. Mit Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 04.04.2019, Ra 2019/21/0009, hat dieser klargestellt, dass nunmehr aufgrund der geänderten Rechtslage auch in Bezug auf türkische Staatsangehörige, welche in den Anwendungsbereich des Beschlusses 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (im Folgenden kurz: ARB 1/80) fallen bzw. daraus ein Aufenthaltsrecht ableiten können, als "sonstige Drittstaatsangehörige" gelten und für eine Aufenthaltsbeendigung nur eine Rückkehrentscheidung und gegebenenfalls ein Einreiseverbot in Frage kommen und nicht eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot.
So führt der Verwaltungsgerichtshof in der zitierten Entscheidung aus:
"28 Türkische Staatsangehörige - auch solche mit einer Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 - sind "sonstige" Drittstaatsangehörige. Sie unterfallen daher dem Wortlaut nach § 52 FPG. Vor allem aber ist zu bedenken, dass türkische Staatsangehörige, gegen die in Einklang mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wird, zu illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen werden, denen daher nach der Rückführungs-RL im Wege einer Rückkehrentscheidung eine Rückkehrverpflichtung in ihr Herkunftsland, ein Transitland gemäß gemeinschaftlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder in ein anderes Drittland, in das sie freiwillig zurückkehren wollen und in dem sie aufgenommen werden, aufzuerlegen ist (Art. 6 Abs. 1 und 6 iVm Art. 3 Z 3 und 4 Rückführungs-RL). Das wird im österreichischen Rechtsbereich (seit 1. Jänner 2014 zur Gänze) nur mehr durch die Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG umgesetzt, die nach dem 8. Absatz dieser Bestimmung den Drittstaatsangehörigen zur unverzüglichen Ausreise in dessen Herkunftstaat, ein Transitland gemäß unionsrechtlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder einen anderen Drittstaat, sofern ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht eingeräumt wurde, verpflichtet. Demgegenüber verpflichten Ausweisungen nach § 66 FPG und Aufenthaltsverbote nach § 67 FPG nur zur Ausreise aus Österreich (siehe § 70 Abs. 1 FPG).
29 Vor diesem Hintergrund ist nunmehr auch gegen türkische Staatsangehörige, die über eine Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 verfügen und deren Aufenthalt in Übereinstimmung mit Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 beendet werden soll, anders als nach der bis 31. Dezember 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr ein Aufenthaltsverbot, sondern eine Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot zu erlassen. Freilich hat es dabei zu bleiben, dass diese Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot eine Gefährdung voraussetzt, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder, wie sich aus EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält, Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG - entspricht."
II.3.2. Daraus folgt für diesen Fall:
Im gegenständlichen Fall hat das Bundesamt gegen einen rechtmäßig aufhältigen türkischen Staatsangehörigen, welcher der Prüfung nach in den Anwendungsbereich des ARB 1/80 fällt, ein Aufenthaltsverbot gem. § 67 FPG erlassen.
Wie sich aus der oa. jüngsten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ergibt, wurde damit die Rechtslage verkannt und wäre zur Aufenthaltsbeendigung des BF als "sonstigen Drittstaatsangehörigen" hier allenfalls eine Rückkehrentscheidung mit Einreiseverbot zu prüfen.
Jedoch ist zu beachten, dass diese Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot eine Gefährdung voraussetzt, die jener gleichkommt, die die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger rechtfertigt oder die (wie sich aus EuGH 8.12.2011, Ziebell, C-371/08, ergibt, im Fall eines türkischen Staatsangehörigen, der sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält) Art. 12 der Daueraufenthalts-RL - umgesetzt durch § 52 Abs. 5 FPG - entspricht.
Dass es sich beim BF aus anderen Gründen um einen begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd § 2 Abs 4 Z 11 FPG handeln würde und somit doch die §§ 66 ff FPG und nicht § 52 FPG zur Anwendung gelangen, hat das Bundesamt hier nicht aufgezeigt.
Es war daher der Beschwerde stattzugeben und der Bescheid zur Gänze zu beheben.
Von dem Grundsatz, wonach als Folge einer ersatzlosen Bescheidaufhebung durch das Verwaltungsgericht jedwede Entscheidung in der Verwaltungssache, durch welche erstinstanzliche Behörde auch immer, ausgeschlossen ist, bestehen Ausnahmen. Der wichtigste Fall einer solchen Ausnahme ist die ersatzlose Aufhebung des Bescheides einer Unterbehörde infolge ihrer Unzuständigkeit. Diesfalls beendet der entsprechende Berufungsbescheid lediglich das Verfahren vor dieser Unterbehörde endgültig, wodurch freilich eine Entscheidung der in Wahrheit zuständigen Behörde in derselben Sache nicht ausgeschlossen wird. Diese "Ausnahme" wird wohl auch im Falle der ersatzlosen Aufhebung eines vor dem VwG angefochtenen Bescheides durch dieses wegen Unzuständigkeit der bescheiderlassenden Verwaltungsbehörde Platz greifen (vgl. 25.03.2015, Ro 2015/12/0003).
Analog dazu sind auch Fälle wie der gegenständliche zu sehen, in welchem sich die Entscheidung der Behörde auf die falsche Rechtsgrundlage stützt und steht die Behebung in gegenständlichem Fall einer neuen Entscheidung der bB nicht entgegen.
Anzumerken ist, dass der Inhalt des Beschwerdeschriftsatzes samt den von der Behörde noch anzufordernden vollständingen Urteilen hinsichtlich des BF Teil des von der belangten Behörde zu berücksichtigenden Sachverhaltes ist und sich die belangte Behörde mit den im Beschwerdeschriftsatz gemachten verfahrensrelevanten Einwendungen auseinanderzusetzen haben wird.
II.3.3. Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, da aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Aufenthaltsverbot Aufenthaltsverbot aufgehoben Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub Einreiseverbot freiwillige Ausreise Gefährdungsprognose Rechtsgrundlage Rückkehrentscheidung StraffälligkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:L526.2184233.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020