TE Bvwg Erkenntnis 2019/9/24 W114 2210263-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.09.2019
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Entscheidungsdatum

24.09.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W114 2210263-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard DITZ über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, vom 05.11.2018, Zl. 1199636407-180683668/BMI-BFA_KNT_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.07.2019 bzw. am 19.07.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. XXXX , (im Weiteren: Beschwerdeführer oder BF), ein afghanischer Staatsbürger, Angehöriger der Religionsgemeinschaft der sunnitischen Moslems, stellte am 19.07.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Bei der am 20.07.2018 erfolgten Erstbefragung vor dem Stadtpolizeikommando Wels gab der Beschwerdeführer an, am XXXX geboren zu sein. Seine Muttersprache sei Dari. Er stamme aus Mazar-e Sharif, sei ledig und gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an. Er habe in Afghanistan 6 Jahre lang eine Grundschule und anschließend 6 Jahre ein Gymnasium besucht, wo er maturiert habe. Er verfüge über keine Berufserfahrung. Seine Eltern sowie ein Bruder und zwei Schwestern befänden sich in Afghanistan, ein weiterer Bruder befinde sich in Saudi-Arabien.

Er sei im Jahr 2015 mit dem Flugzeug mit einem türkischen Visum, welches er beim türkischen Konsulat in Mazar-e Sharif erhalten habe, in die Türkei geflogen und von dort schlepperunterstützt über Bulgarien und Serbin nach Österreich gereist, da er in Österreich habe studieren wollen. Ursprünglich habe er zu einer Tante nach Deutschland reisen wollen.

Afghanistan habe er wegen des Krieges verlassen. Er habe Angst um sein Leben, da es in Afghanistan keine Sicherheit gebe und Morde an der Tagesordnung wären.

3. In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 15.10.2018 führte er aus, dass er gesund sei. Er sei nicht am XXXX , sondern am XXXX in Mazar-e Sharif geboren. Sein Bruder in Afghanistan habe ihm wichtige Dokumente (eine ID-Karte und eine Arbeitsbestätigung) übermittelt, welche sich (zum Zeitpunkt der Einvernahme) jedoch noch nicht in Österreich befanden. Der Beschwerdeführer wurde auch aufgefordert, seinen Reisepass, der sich zum damaligen Zeitpunkt bei einem Cousin in der Türkei befunden habe, vorzulegen.

Der Beschwerdeführer wiederholte, dass er Tadschike und sunnitischer Moslem sei, sowie, dass sich eine Tante in Deutschland befinde.

Befragt nach seiner genauen Wohnadresse in Afghanistan nannte er die Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif.

Er habe Afghanistan Ende 2015 oder Anfang 2016 verlassen. Er habe nach der Matura zwei Jahre lang eine Universität besucht. Er habe bei seiner Familie in Mazar-e Sharif in einem eigenen Haus gewohnt. Sein Vater arbeite als Polizist, sein in Mazar-e Sharif wohnhafter Bruder arbeite bei einer Bank. Er habe Kontakt zu seiner Familie, der es gut gehe. Er selbst habe für den Geheimdienst gearbeitet.

Aufgefordert seine Fluchtgeschichte möglichst konkret und detailreich zu schildern, führte der Beschwerdeführer aus, dass dort, wo er gearbeitet habe, sein Leben in Gefahr gewesen wäre, und er dort nicht länger hätte arbeiten können. Deswegen habe er beschlossen, "den Ort" zu verlassen. Er habe auch in unterschiedlichen Provinzen in Afghanistan gearbeitet. Dort hätten sie keinen Schutz gehabt und wären von den Taliban und dem IS bedroht und verfolgt worden. Das sei alles. Weitere Fluchtgründe habe er nicht. Ergänzend führte er aus, dass er beim Militärschutz vier Jahre lang gearbeitet habe.

Gefragt, wo genau er gearbeitet habe, gab der Beschwerdeführer an, dass er jene Personen, die Selbstmord begehen würden und mit den Taliban in Kontakt gewesen wären, von ihm "unter die Lupe genommen" worden wären. Beim Geheimdienst trage man normale Kleidung. Er selbst habe beim Geheimdienst einen sehr hohen Dienstgrad bzw. Rang innegehabt. Nachgefragt nach seinem Dienstgrad führte er weiter aus, dort normaler Arbeiter gewesen zu sein. Er habe im Zuge seiner Ausbildung beim Geheimdienst verschiedene Kurse absolviert.

Befragt nach seiner konkreten Tätigkeit schilderte der BF, dass er immer zu viert in einer Gruppe gearbeitet habe. Einer habe ein Fahrzeug gelenkt während einer einen Laptop durchsucht habe. Auf eine nochmalige Nachfrage bezüglich einer Konkretisierung seiner Tätigkeit beim Geheimdienst vermochte der BF keine konkreteren Ausführungen zu machen. Er habe vier Jahre lang für den Geheimdienst gearbeitet.

Befragt nach konkreten Verfolgungs- oder Bedrohungssituationen führte der BF aus, dass den Taliban ihre Gesichter bekannt gewesen wären. Die Taliban hätten sie auf dem Weg nach Faryab mehrmals aufhalten wollen. Sie wären jedoch vorbeigefahren und sie hätten ihnen nichts getan. Er sei persönlich weder von den Taliban oder dem IS festgenommen, bedroht oder angegriffen worden. Sie wären mit Raketen und Kalaschnikows beschossen worden. Sie hätten jedoch nicht getroffen und es sei nichts passiert.

Innerhalb von zwei bis drei Tagen habe er das türkische Visum erhalten. Die letzten beiden Tage vor seiner Ausreise aus Afghanistan habe er zu Haus zugebracht. Wenn er nach Afghanistan zurückkehre, würde die afghanische Regierung ihn finden und ihn töten, da er niemandem gesagt habe, dass er das Land verlassen würde. Wenn er in Kabul oder Herat leben müsste, wäre er gezwungen, seine Arbeit weiterzumachen.

4. Am 25.10.2018 legte der BF drei Schriftstücke vor, die beweisen sollten, dass der BF Kurse beim afghanischen Geheimdienst absolviert habe.

5. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten vom 05.11.2018, Zl. 1199636407-180683668/BMI-BFA_KNT_RD, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm.

§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass der BF Afghanistan nicht aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aufgrund seiner Berufstätigkeit oder aus privaten Gründen verlassen habe. Es habe nicht festgestellt werden können, dass er für den Geheimdienst tätig gewesen wäre. Eine Rückkehr nach Mazar-e Sharif sei ihm zumutbar und möglich, zumal er dort auch über familiäre Anknüpfungspunkte verfüge. Es sei nicht glaubhaft, dass er für den afghanischen Geheimdienst gearbeitet habe und deswegen bei einer Rückkehr nach Afghanistan verfolgt werde. Seine Angaben wären nicht derart, um daraus glaubhaft ein asylrelevantes Bedrohungsszenario zu erkennen.

Er würde bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht in eine Situation kommen, die eine unmenschliche Behandlung iSd Art. 3 EMRK darstellen würde Es würden auch keine Gründe vorliegen, die gem. § 8 AsylG zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen würden bzw. aufgrund derer eine Schutzwürdigkeit seines Privat- und/oder Familienlebens beeinträchtigt wären.

Dieser Bescheid wurde dem BF durch persönliche Ausfolgung am 07.11.2018 zugestellt.

6. Gegen diese Entscheidung erhob der BF, vertreten durch den XXXX , Beschwerde. Begründend wies er darauf hin, dass er in verschiedenen Teilen Afghanistans berufstätig gewesen wäre und bei einer Rückkehr von ortsansässigen Taliban als Mitglied der Regierung erkannt und verfolgt werden würde.

Der BF habe genügend Hinweise zur Begründung seines Antrages gegeben, welche die Behörde jedoch nicht hinterfragt habe. Darüber hinaus sei die derzeitige Situation in Afghanistan derart, dass der der BF im Falle einer Rückkehr einem Klima ständiger Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbaren Einschränkungen sowie einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sei. Eine Rückkehr in seine Heimatstadt Mazar-e Sharif sei dem BF wegen der dort vorherrschenden Verfolgungssituation nicht möglich, zumal er in der Vergangenheit für den afghanischen Geheimdienst gearbeitet habe. Pajhwok Afghanistan News habe am 23.06.2018 berichtet, dass in Mazar-e Sharif gezielte Tötungen immer öfter vorkommen würden. Eine zumutbare innerstaatliche Schutzalternative (gemeint ist damit offensichtlich eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative) stehe dem BF nicht zur Verfügung.

7. Die Beschwerde und die Unterlagen des Verwaltungsverfahrens wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Schreiben des BFA vom 26.11.2018 am 28.11.2018 zur Entscheidung vorgelegt.

8. Mit der Ladung zur mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG wurden dem BF ein umfassendes aktuelles Informationsmaterial zu Afghanistan zugänglich gemacht und darauf hingewiesen, dass dieses als Grundlage der Entscheidung in der verfahrensgegenständlichen Angelegenheit herangezogen werden würde.

9. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 09.07.2019, welche am 19.07.2019 fortgesetzt wurde, wurde der Beschwerdeführer zu seiner Identität und Herkunft sowie zu seinen Fluchtgründen befragt. Die Verhandlung fand im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt.

Befragt nach einer ihm drohenden Verfolgung im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wies der BF hin, dass er selbst niemals von Angesicht zu Angesicht bedroht worden wäre. Er gehe davon aus, dass er von Taliban als Mitarbeiter des afghanischen Geheimdienstes identifiziert worden wäre und daher bei einer Rückkehr nach Afghanistan in eine asylrelevante Bedrohungssituation geraten würde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie Einvernahmen des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG und der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister sowie das Grundversorgungs-Informationssystem und in das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 29.06.2018 mit Aktualisierungen und Ergänzungen hin bis zu einer Tagesaktualität sowie im Rahmen des Parteiengehörs darüber hinausgehend zugänglich gemachte Berichte über Afghanistan werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zum Beschwerdeführer:

Der jedenfalls volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Der Beschwerdeführer leidet an keiner lebensbedrohlichen Krankheit. Er gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, ist ledig und kinderlos. Er ist sunnitischer Moslem. Er spricht jedenfalls die Sprache Dari, eine in Afghanistan sehr weit verbreitete Sprache. Er ist mit den Gepflogenheiten in einem afghanischen Haushalt vertraut. Der Beschwerdeführer stammt aus Mazar-e Sharif, wo sich auch seine Familie, die über ein eigenes Wohnhaus verfügt und zu der er in Kontakt steht, befindet.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich weder Verwandte noch eine sonstige Bezugsperson, mit denen er einen gemeinsamen Wohnsitz hat oder hinsichtlich derer ein Abhängigkeitsverhältnis besteht. Er kann bei einer Rückkehr nach Afghanistan, wie auch bereits in der Vergangenheit, mit Unterstützung durch seine Familie rechnen.

Am 19.07.2018 hat der BF in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Der BF befindet sich in Grundversorgung und ist strafrechtlich unbescholten. Er ist jung und arbeitsfähig, spricht jedoch kaum Deutsch.

Der Beschwerdeführer ist bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr betroffen. Der BF ist im Fall einer Rückführung nach Afghanistan auch nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einem realen Risiko einer ernsthaften Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt bzw. der Gefährdung des Lebens, Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch einen konkreten Akteur ausgesetzt.

Der Beschwerdeführer war nicht in der Lage nachvollziehbar glaubhaft darzulegen, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan überhaupt verfolgt werden würde.

Ausgehend von den Länderfeststellungen zu Afghanistan und die UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 berücksichtigend kann sich der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan ausgehend von einer Unterstützung durch seine Familie, die in Mazar-e Sharif lebt, wieder zu dieser zurückkehren. Mazar-e Sharif verfügt über einen mit internationalen Zivilflugzeugen erreichbaren Flughafen. Die Sicherheitslage in Mazar-e Sharif ist stabil, zumal Mazar-e Sharif zu den friedlichen Städten innerhalb Afghanistans zu zählen ist. Die Vor-Ort-Verhältnisse, die Versorgungslage und auch die Sicherheitslage in Mazar-e Sharif ist nicht derart, dass der BF als alleinstehender, junger, gesunder, arbeitsfähiger und volljähriger Mann mit Unterstützung durch seine Familie - entsprechende erforderliche Bemühungen des BF vorausgesetzt - auf Dauer in eine aussichtslose Situation geraten würde, wenn auch eine Wiederansiedelung am Beginn mit Schwierigkeiten verbunden sein könnte.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Politische Lage:

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.01.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.02.2015). Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.09.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.09.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen.

Friedens- und Versöhnungsprozess

Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.02.2019). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben werden würden" (Taz 06.02.2019).

Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US-Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 07.03.2019).

Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.02.2019; vgl. NYT 07.03.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.03.2019; vgl. WP 18.03.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.03.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.03.2019).

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde (Tolonews 31.05.2019).

Vom 29.04.2019 bis 03.05.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 06.05.2019 bis 04.06.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 06.05.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.05.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.05.2019).

Die USA haben nach sechs Verhandlungstagen mit Vertretern der radikalislamischen Taliban über Wege zum Frieden in Afghanistan von wesentlichen Fortschritten berichtet. Das Treffen in Anfang Juli 2019 sei die bisher produktivste Sitzung gewesen, teilte der US-Sondergesandte für Afghanistan, Zalmay Khalilzad, über Twitter mit.

Substanzielle Fortschritte seien in allen vier Punkten erzielt worden, über die die USA und die Taliban sprechen: Abzug der Truppen, Zusicherungen zur Terrorismusbekämpfung, Teilnahme der Taliban an innerafghanischen Gesprächen sowie eine Waffenruhe.

Die USA sprechen seit Juli des vergangenen Jahres mit Vertretern der Taliban über eine politische Beilegung des seit fast 18 Jahren dauernden Konflikts. Die siebente Gesprächsrunde mit Khalilzad hatte am 29. Juni 2019 begonnen. Sie war ursprünglich nur für drei Tage angesetzt. Laut Khalilzad sollten die Gespräche am 30.06. und am 01.07.2019 pausieren, da in Doha ab Sonntag lange erwartete innerafghanische Gespräche stattfinden. Gleichzeitig gehen auch Gespräche zwischen den Taliban und den Vereinigten Staaten in Doha weiter.

Die aufständischen Taliban in Afghanistan haben einem politischen Handlungsplan zugestimmt, der den fast 18 Jahre andauernden Konflikt am Hindukusch beenden soll. Wie der afghanische Fernsehsender "Tolo News" am 02.07.2019 berichtete, billigten die Delegation der Taliban und Delegierte aus der Hauptstadt Kabul eine entsprechende Vereinbarung.

Die Taliban verpflichteten sich unter anderem, keine Zivilisten mehr zu töten und versicherten, dass die afghanischen Frauen auch in Zukunft fundamentale Rechte im politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben "im Einklang mit den islamischen Werten" ausüben dürften. Die Vereinbarung ist rechtlich nicht bindend, sie soll aber als Rahmen für weitere Verhandlungen zwischen den Taliban und Delegierten der afghanischen Regierung dienen. Die Regierung war bei den zahlreichen Verhandlungsrunden in der qatarischen Hauptstadt Doha offiziell kein Teilnehmer, da die Taliban ihr die Legitimität absprechen. Delegierte der Regierung nahmen daher nur als Privatpersonen an den Gesprächen teil.

Aufgrund weiterer Anschläge durch Taliban, bei denen auch Todesopfer zu beklagen waren wurde von amerikanischer Seite Mitte August 2019 einseitig erklärt, dass die Friedensgespräche gescheitert wären. Seither ist die Situation angespannt und es kann nur gemutmaßt werden, ob und mit welchem Ergebnis erforderliche Gespräche, die zu einer Befriedung führen, geführt werden.

Sicherheitslage in Afghanistan:

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.08.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 07.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.01.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 07.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.01.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 07.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018).

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 01.01.2018 und 30.09.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 07.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.01.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 07.12.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (01.01.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Durch die folgende kartografische Darstellung der Staatendokumentation soll die Verteilung des Konflikts landesweit veranschaulicht werden.

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(BFA Staatendokumentation 20.02.2019)

In der folgenden Grafik der Staatendokumentation wird das Verhältnis zwischen den vier Quartalen des Jahres 2018 anhand der registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle für den Zeitraum 01.01.2018 - 31.12.2018 veranschaulicht.

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(BFA Staatendokumentation 20.02.2019)

Der Recherchedienst des US-amerikanischen Kongresses (Congressional Research Service, CRS) hält in einem Bericht vom Mai 2019 fest, dass Presseberichte vom Dezember 2018 und Anfang 2019 darauf hindeuten, dass die US-Regierung möglicherweise den Abzug einiger US-Truppen in Betracht zieht, obwohl US-amerikanische Amtsträger angeben, dass keine politische Entscheidung zur Reduktion des US-Truppenkontingents getroffen wurde. Viele Beobachter schätzen die Lage so ein, dass ein vollständiger Rückzug der USA zum Zusammenbruch der afghanischen Regierung und vielleicht sogar zur Wiederherstellung der Taliban-Kontrolle führen würde. Nach vielen verschiedenen Maßstäben sind die Taliban derzeit in einer stärkeren militärischen Position als je zuvor seit dem Jahr 2001, obwohl zumindest einige der vormals öffentlich zugänglichen diesbezüglichen Messinstrumentarien mittlerweile als geheim eingestuft oder eingestellt wurden. So wurden etwa die Bewertungen bezüglich der territorialen Kontrollgebiete auf Distriktebene eingestellt, wie aus dem SIGAR-Quartalsbericht vom April 2019 hervorgeht. (CRS, 01.05.2019)

Laut SIGAR verzeichnet ACLED für die Wintermonate (01.12.2018 bis 28.02.2019) 2.234 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einem Anstieg von rund 39 Prozent gegenüber den 1.610 Vorfällen im gleichen Zeitraum des Vorjahres entspricht. Die drei Provinzen mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen waren dabei Helmand, Kandahar und Nangarhar. Der Großteil des Anstiegs der Zahl an Vorfällen im Berichtszeitraum gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres ist auf eine Zunahme an Vorfällen in den Provinzen Kandahar und Helmand zurückzuführen. (SIGAR, 30.04.2019, S. 76)

In einem Bericht vom April 2019 dokumentiert die UNAMA für den Zeitraum 01.01. bis 31.03.2019 insgesamt 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter 582 Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der Zahl ziviler Opfer um 23 Prozent im Vergleich zur Vergleichsperiode des Vorjahres 2018 und ist für das erste Quartal eines Jahres der niedrigste Wert seit 2013. Der Rückgang der Gesamtzahl an zivilen Opfern wurde durch einen Rückgang der Zahl an Zivilisten, die Opfer von Selbstmordanschlägen unter Verwendung von unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen (USBVs) wurden, verursacht. UNAMA sieht den Rückgang der ersten drei Monate des Jahres unter anderem durch den besonders harten Winter bedingt. Es ist unklar, ob der Rückgang der Opferzahlen von etwaigen Maßnahmen der Konfliktparteien zu einem besseren Schutz der Zivilbevölkerung oder von den laufenden Gesprächen zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde. (UNAMA, 24.04.2019, S. 1)

Laut der UNAMA waren in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 die regierungsfeindlichen Elemente wiederum für die Mehrheit der zivilen Opfer, nämlich für 963 (227 Tote und 736 Verletzte) verantwortlich, was einem Rückgang von 36 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Jahres 2018 entspricht. UNAMA rechnete 39 Prozent der zivilen Opfer den Taliban, 12 Prozent der Gruppe ISKP und drei Prozent nicht identifizierten regierungsfeindlichen Elementen zu. Den regierungsnahen Streitkräften rechnete die UNAMA 608 zivile Opfer (305 Tote und 303 Verletzte) zu, was einem Anstieg von 39 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres entspricht. UNAMA stellt mit Besorgnis fest, dass die regierungsnahen Streitkräfte im ersten Quartal 2019 für mehr zivile Todesfälle verantwortlich waren als die regierungsfeindlichen Elemente. UNAMA rechnete 17 Prozent der zivilen Opfer den nationalen Sicherheitskräften, 13 Prozent internationalen Streitkräften, zwei Prozent regierungsnahen bewaffneten Gruppen und zwei Prozent verschiedenen anderen regierungsnahen Kräften zu. (UNAMA, 24.04.2019, S. 3-4)

"Das neue Jahr in Afghanistan ist erst gut zwei Wochen alt, aber schon deutet sich an, dass die Kämpfe landesweit zunehmen. Beide Seiten haben angekündigt, dass sie Frühjahrsoffensiven starten wollen, bzw. werden. [...] Am 19. März 2019 informierten der nationale Sicherheitsberater Hamdullah Moheb, der amtierende Innenminister Massud Andarabi, Verteidigungsminister Assadullah Chalid (den einige westliche Länder, darunter Truppensteller für Resolute Support, wegen Foltervorwürfen nicht offiziell treffen), Geheimdienstchef Massum Stanaksai und Präsidentenberater Fasl Fasli Mahmud den Präsidenten Aschraf Ghani über "geplante Sicherheitsoperationen". Am darauffolgenden Tag gab das Innenministerium den Beginn seiner "Operation Chalid" für den nächstfolgenden Tag bekannt. [...] Die offizielle Ankündigung über den Start der Taleban-Jahresoffensive steht noch aus. (Im letzten Jahr geschah das erst am 25. April) Trotzdem wurde bereits vor dem Naurus-Fest in mehreren Provinzen gekämpft." (Ruttig, 07.04.2019)

Laut Pajhwok Afghan News (PAN) wurden im Jänner 2019 in Afghanistan inmitten der Friedensverhandlungen und der Hoffnung auf ein Ende des Blutvergießens bei 131 Anschlägen rund 1.000 Menschen getötet und weitere 800 verletzt. Im Dezember 2018 sind bei 140 Anschlägen 1.121 Menschen gestorben, 475 weitere wurden verletzt. (PAN 03.02.2019)

Wie PAN berichtet, wurden im Februar 2019 392 Menschen getötet und 653 weitere verletzt, darunter Aufständische, Sicherheitskräfte und Zivilisten, die Sterblichkeitsrate sank im Vergleich zum Vormonat um 43 Prozent. Laut PAN, stellt der Februar den einzigen Monat in den letzten zwei Jahren dar, in dem die Opferanzahl derart gesunken ist und es zu keinen Selbstmordanschlägen kam. PAN führt jedoch an, dass die Opferzahlen verschiedener Quellen voneinander abweichen. (PAN 04.03.2019)

PAN schreibt in einem Artikel vom April 2019 unter Verweis auf CPAG, dass im Monat März 184 Zivilisten in 18 Provinzen des Landes getötet und weitere 300 verletzt wurden. Zu den Opfern gehörten 54 Kinder und 27 Frauen. (PAN 02.04.2019)

PAN schreibt in einem Artikel vom Mai 2019, dass im April 2019 bei 173 Anschlägen fast 2.100 Menschen getötet und verletzt wurden, wobei die Zahl der Opfer im April im Vergleich zum März um 15 Prozent gestiegen ist. Laut verschiedenen Quellen sind im Monat April in 27 Distrikten Afghanistans 1.220 Menschen getötet und 866 weitere verletzt worden (PAN 03.05.2019)

PAN berichtet im Juni 2019, dass im Mai 2019 bei 210 Angriffen in 30 Provinzen über 2.300 Menschen in Afghanistan getötet und verwundet (1.317 Todesopfer, 995 Verletzte) wurden. Im Vergleich zum Vormonat stieg die Anzahl der Angriffe um 37 Prozent, die Zahl der Opfer um 24 Prozent. (PAN 02.06.2019)

In einem im Juni 2019 veröffentlichten Bericht zu Afghanistan befasst sich das European Asylum Support Office (EASO) mit der Sicherheitslage auf Provinzebene.

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 03.06.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.05.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.05.2019).

Zur Provinz Balkh und zur Stadt Mazar-e Sharif:

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Sie hat folgende administrative Einheiten: Hairatan Port, Nahra-i-Shahi, Dihdadi, Balkh, Daulatabad, Chamtal, Sholgar, Chaharbolak, Kashanda, Zari, Charkont, Shortipa, Kaldar, Marmal, und Khalm; die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz grenzt im Norden an Tadschikistan und Usbekistan. Die Provinz Samangan liegt sowohl östlich als auch südlich von Balkh. Die Provinzen Kunduz und Samangan liegen im Osten, Jawzjan im Westen und Sar-e Pul im Süden (Pajhwok o.D.y). Balkh grenzt an drei zentralasiatische Staaten: Turkmenistan, Usbekistan und

Tadschikistan (RFE/RL 9.2015). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.382.155 geschätzt

(CSO 4.2017).

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana [Anm.: Provinzhauptstadt Faryab] und Pul-e-Khumri [Anm.: Provinzhauptstadt Baghlan]; sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar. In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen.

Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 07.06.2017).

Nach monatelangen Diskussionen hat Ende März 2018 der ehemalige Gouverneur der Provinz

Balkh Atta Noor seinen Rücktritt akzeptiert und so ein Patt mit dem Präsidenten Ghani beendet. Er ernannte den Parlamentsabgeordneten Mohammad Ishaq Rahgozar als seinen Nachfolger zum Provinzgouverneur (RFE/RL 23.03.2018; vgl. Reuters 22.03.2018). Der neue Gouverneur versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Sicherheit im Norden des Landes zu garantieren (Tolonews 24.03.2018).

Allgemeine Information zur Sicherheitslage:

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.03.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.01.2018; vgl. Khaama Press 20.08.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.03.2018; vgl. Khaama Press 16.01.2018). Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 07.03.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.04.2017; vgl. BBC 17.06.2017).

In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.03.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.06.2017; vgl. Tolonews 22.04.2017).

Im Zeitraum 01.01.2017-30.04.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die folgende Darstellung der Staatendokumentation veranschaulicht werden sollen:

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Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert.

Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Balkh:

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen (Khaama Press 16.01.2018). Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt (Tolonews 18.03.2018; vgl. PT.3.2018, Pajhwok 21.08.2017, Pajhwok 10.07.2017). Dabei werden Taliban getötet (Tolonews 18.03.2018; vgl. PT 06.03.2018, Pajhwok 10.07.2017) und manchmal auch ihre Anführer (Tolonews 18.03.2018; vgl. Tolonews 07.03.2018, PT 06.03.2018, Tolonews 22.04.2017).

Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 07.03.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Balkh:

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben (Khaama Press 16.01.2018). Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (Khaama Press 20.08.2017).

Im Zeitraum 01.01.2017 - 15.07.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.07.2017 - 31.01.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (ACLED 23.02.2018).

Aufständische Gruppen:

Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UN Assistance Mission in Afghanistan, UNAMA) verwendet in ihren Berichten den Begriff "regierungsfeindliche Elemente" für alle Einzelpersonen und bewaffneten Gruppen, die sich am bewaffneten Konflikt oder bewaffneten Widerstand gegen die afghanische Regierung und/oder die internationalen Truppen beteiligen. Dazu zählen unter anderem die Taliban, das Haqqani-Netzwerk, Hezb-e-Islami, die Islamische Bewegung Usbekistans, die Islamische Dschihad-Union, Laschkar-e-Taiba, Jaish-e Mohammed sowie Gruppen, die als "Daesh" (arabisches Akronym für den Islamischen Staat, Anm. ACCORD) identifiziert werden. (UNAMA, August 2015, S. 2, Fußnote 5)

Der UNO Sicherheitsrat schätzt die Anzahl der Kämpfer, die aus dem Ausland stammen und in Afghanistan für terroristische Gruppierungen (inklusive des ISKP) kämpfen, auf 10.000 bis 15.000. (UNO Sicherheitsrat, 30.05.2018, S. 3)

Die Jamestown Foundation berichtet, dass die jüngste Welle von Terroranschlägen der Taliban in den urbanen Zentren des Landes auf einen neu belebten Aufstand hindeutet, wobei sich die afghanische Regierung und die Sicherheitskräfte nun auch einem Angriff vom gestärkten ISKP gegenüber sehen. (JF, 14.06.2018)

Taliban:

Laut dem US-amerikanische Congressional Research Service (CRS) bilden die Taliban nach wie vor den Kern der Widerstandsbewegung in Afghanistan. In einer Erklärung vom Juli 2015 verlautbarten die Taliban, dass der ursprüngliche Anführer der Bewegung, Mullah Umar, bereits 2013 verstorben war. Aus einem umstrittenen Auswahlprozess ging Akhtar Mohammad Mansour als Nachfolger Umars hervor. Mansour wurde seinerseits am 21.05.2016 durch einen US-Drohnenangriff getötet. Wenige Tage später erklärten die Taliban, dass einer von Mansours Stellvertretern, Haibatullah Akhunzadeh, zum neuen Anführer der Taliban bestimmt worden war. Seine beiden Stellvertreter sind Mullah Yaqub (Sohn von Mullah Umar) und Sirajuddin Haqqani (operativer Befehlshaber des Haqqani-Netzwerks). (CRS, 19.05.2017, S. 16)

Das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo beschreibt die Taliban als eine Dachorganisation verschiedener, miteinander lose verbundener aufständischer Gruppen. Unter diesen befinden sich mehr oder weniger autonome Gruppen mit unterschiedlichen Graden von Loyalität zu der Taliban-Führung und zur Idee des sogenannten Islamischen Emirats Afghanistan. Die Taliban haben eine hierarchische Organisationsstruktur, an deren Spitze ein Amir ul-Muminin (Commander of the Faithful) steht. Dieser gibt moralische, religiöse und politische Erklärungen ab, hat die Aufsicht über Richter, Gerichte und politische Ausschüsse der Taliban, ernennt Schattengouverneure und hat das Kommando über die militärische Organisation inne. (Landinfo, 13.05.2016, S. 4)

Dem UNO-Sicherheitsrat zufolge kam es in der ersten Woche der am 12.04.2019 angekündigten Kampfsaison der Taliban zu den meisten Sicherheitsvorfällen seit zwei Jahren. Die Taliban verfügen über eine solide Versorgung mit Waffen, Munition, Geld und Arbeitskräften sowie über 60.000 bis 65.000 Kämpfer und rund 30.000 nicht kämpfende Mitglieder. (UNO-Sicherheitsrat, 13.06.2019, S. 3)

Der UNO-Sicherheitsrat berichtet von Umstrukturierungen innerhalb der Taliban, sowie von zahlreichen Neuernennungen im Führungspersonal. Dies wird als die Ablösung der älteren Generation zugunsten jüngerer Taliban-Führer beschrieben. Laut derselben Quelle wurden die Schattengouverneure und Vizeschattengouverneure sowie die Kommandeure in den Provinzen Bamiyan, Baglan, Kabul, Kapisa, Kunar, Laghman, Parwan, Samangan, Tachar und Urusgan ersetzt. Die abgelösten Personen wurden Berichten zufolge aufgrund von Beschwerden wegen logistischer und finanzieller Mängel abgesetzt. (UNO-Sicherheitsrat, 30.05.2018, S. 5)

Die Jamestown Foundation schreibt bezüglich der andauernden Stärke der Taliban in Afghanistan, dass es seit dem Teil-Rückzug des US-Militärs aus Afghanistan wenige Anzeichen gibt, dass die Schlagkraft der Taliban abgenommen hat oder die Gruppierung an Kriegsmüdigkeit leidet. Durch konstante Gewalt haben die Taliban unter Beweis gestellt, dass sie immer noch eine bedeutende Macht in Afghanistan sind. Es ist wahrscheinlich, dass die Unterstützungsstrukturen, die die Gruppe in den letzten zwei Jahrzehnten aufgebaut hat, intakt bleiben. Seit dem Fall des so genannten Islamischen Emirats im Jahr 2001 hat die militante Gruppe die nachfolgenden Regierungen daran gehindert, das Land vollständig zu regieren. (JF, 02.06.2018)

Hezb-e-Islami:

Ein weiterer bedeutender Anführer von Aufständischen ist Gulbuddin Hekmatyar, der die Hezb-e-Islami-Gulbuddin (HIG) anführt. Die HIG ist gegenwärtig ideologisch und politisch mit den Taliban verbündet, auch wenn es gelegentlich zu Konfrontationen mit Mitgliedern der Taliban in den Gebieten, in denen die HIG am aktivsten ist (nördlich und östlich von Kabul gelegene Provinzen), gekommen ist. Dem CRS zufolge wird die HIG weithin nicht als wichtiger Faktor auf dem Kampffeld Afghanistan erachtet und hat sich bislang hauptsächlich auf öffentlichkeitswirksame Angriffe ("high-profile attacks") fokussiert. (CRS, 06.06.2016, S. 22)

Ende September 2016 berichtet Osman Borhan vom Afghanistan Analysts Network (AAN), dass ein Friedensabkommen zwischen Hekmatyar und dem afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani abgeschlossen wurde. Allerdings ist es Osman zufolge unwahrscheinlich, dass das Abkommen einen deutlichen Rückgang des derzeitigen Gewaltlevels zur Folge haben wird, zumal die Hezb-e Islami derzeit so gut wie gar nicht mehr auf dem Schlachtfeld präsent ist. (Osman, 29.09.2016)

Haqqani-Netzwerk:

Das von Dschalaludin Haqqani gegründete Haqqani-Netzwerk wurde von US-Behörden oftmals als ein "entscheidender Wegbereiter" für al-Qaida bezeichnet, so der CRS. Das Netzwerk verfügte während seiner Hochzeit im Zeitraum von 2004 bis 2010 über rund 3.000 Kämpfer und Unterstützer, allerdings wird gegenwärtig von einer weitaus geringeren Zahl ausgegangen. Trotzdem ist das Netzwerk immer noch in der Lage, Operationen durchzuführen, darunter größere Bombenanschläge in Kabul und anderen Teilen Afghanistans. Die Gruppe scheint sich nun verstärkt auf Entführungen zu konzentrieren, die das Ziel haben mögen, finanzielle Mittel zu lukrieren und die Bedeutung dieser Gruppierung in der Öffentlichkeit zu propagieren (CRS, 19.05.2017, S. 20).

Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) hält in einem Bericht vom September 2018 fest, dass angenommen wird, dass das Haqqani-Netzwerk (HQN) mehrere hundert Kernmitglieder hat. Es wird jedoch geschätzt, dass die Organisation in der Lage ist, auf einen Pool von mehr als 10.000 Kämpfern zurückzugreifen. Das HQN ist in die größere Organisation der afghanischen Taliban integriert und arbeitet mit anderen in der Region aktiven Terrororganisationen, darunter al-Qaida und Lashkar e-Tayyiba zusammen. Das HQN ist entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und in weiten Teilen des südöstlichen Afghanistan, insbesondere in Loya Paktia, aktiv und hat Kabul wiederholt mit seinen Angriffen ins Visier genommen. Die Führung der Gruppe hat in der Vergangenheit eine Machtbasis in den Stammesgebieten Pakistans unterhalten. Zusätzlich zu den Mitteln, die sie im Rahmen der breiter aufgestellten afghanischen Taliban erhält, bezieht das HQN einen Großteil seiner Mittel von Gebern in Pakistan und am Golf sowie durch kriminelle Aktivitäten wie Entführung, Erpressung, Schmuggel und andere legale und illegale Geschäfte. (USDOS, 19.09.2018)

al-Qaida:

Bezüglich der Präsenz von al-Qaida in Afghanistan schreibt das CRS, dass US-Behörden bis ins Jahr 2015 der Ansicht waren, dass die Gruppe nur über eine minimale Präsenz im Land verfüge (weniger als 100 Mitglieder) und vorwiegend im Nordosten des Landes vor allem als Unterstützer anderer aufständischer Gruppen aktiv sei. Ende 2015 haben US-Spezialeinheiten und Einheiten der afghanischen Streit- und Sicherheitskräfte jedoch ein großes Trainingslager der al-Qaida in der Provinz Kandahar ausgehoben und zerstört. Dies weist darauf hin, dass al-Qaida zuvor ihre Präsenz im Land ausgeweitet hatte. So korrigierten Kommandeure der US-Streitkräfte im April 2016 ihre Schätzungen zur Zahl der al-Qaida-Kämpfer in Afghanistan auf 100-300 Mann und sprachen von zunehmend engeren Beziehungen zwischen al-Qaida und den Taliban. Afghanische Behörden gehen indes von 300 bis 500 al-Qaida-Kämpfern im Land aus. (CRS, 19.05.2017, S. 17)

Islamic State - Khorasan Province:

Das Congressional Research Service (CRS) des US-amerikanischen Kongresses hält in einem Bericht vom Mai 2017 fest, dass ein Ableger der Gruppe Islamischer Staat seit Mitte 2014 in Afghanistan aktiv ist. Der Ableger heißt Islamischer Staat in der Provinz Khorasan (ISKP), wird häufig aber auch Islamischer Staat von Irak und der Levante-Khorasan, ISIL-K, bezeichnet. (CRS, 19.05.2017, S. 20)

Die Jamestown Foundation (JF) schreibt in einem Bericht von April 2018 über den IS in Kabul, dass der IS mit seinen Afghanistan-Operationen offiziell am 10.01.2015 begonnen hat, als pakistanische und afghanische Kämpfer ihre Loyalität zum sogenannten Kalifat in Syrien und Irak versprochen haben. Seitdem hat sich der IS-Provinz Chorasan (ISKP, auch bezeichnet als "Islamischer Staat im Irak und der Levante - Chorasan", ISIL-K) als eine der brutalsten Zweige der Gruppe Islamischer Staat (IS) erwiesen, die weiche Ziele angreift, auf schiitische Bevölkerungsgruppen abzielt, Sufis tötet, Schreine zerstört, ihre eigenen Dissidenten enthauptet, und danach deren Kinder entführt und ihre Witwen verheiratet. Der ISKP hat sich in der Provinz Nangarhar niedergelassen, einem strategisch gewählten Gebiet, das an die Stammesgebiete Pakistans grenzt. Seine Mitglieder rekrutieren sich aus beiden Seiten der durchlässigen Grenze und konnten gezielten Angriffen oder Militäroperationen entgehen, indem sie auf die jeweils andere Seite der Grenze flohen. Von Anfang an waren die Ziele des ISKP klar definiert: schiitische Gemeinden, ausländische Truppen, die Sicherheitskräfte, die afghanische Zentralregierung und die Taliban, die bis zum Auftauchen des ISKP nicht von anderen aufständischen Gruppen herausgefordert worden waren. Trotz zahlreicher Bombardierungen und militärischer Operationen gegen ISKP konnte die Gruppe ihre Präsenz in fast 30 Distrikten Afghanistans aufrechterhalten. Im Norden errichtete die Gruppe Präsenzen in Kohistanat (Provinz Sar-e-Pol), in Khanabad (Provinz Kunduz) und in Darzab (Provinz Jowzjan). Laut dem Bericht war Kabul das oberste Ziel auf der Agenda des ISKP, nachdem die Gruppe Anfang 2015 in der benachbarten Provinz Logar eine Präsenz errichtet hatte. Von Anfang an führte sie kleinere Anschläge und gezielte Ermordungen durch, die von den internationalen Medien jedoch meist nicht berichtet wurden. Im Laufe der Zeit wurden diese Zellen immer aktiver, erfahrener und in ihrem Vorgehen brutaler. (JF, 06.04.2018)

Wie die US-amerikanische Jamestown Foundation (JF) näher ausführt, verkündete Abu Muhammed al-Adnani, Hauptsprecher des Islamischen Staates (IS), im Jänner 2015 die Bildung der Gruppe "Provinz Chorasan" (Wilayat Chorasan), bei der es sich um einen Arm des IS handle, der "Afghanistan, Pakistan und andere benachbarte Gebiete" umfasse. Seitdem betrieb die Gruppe eine Kampagne der Expansion und Konsolidierung in der Region, wobei sich die meisten ihrer Aktivitäten auf Ost- und Südostafghanistan konzentrierten. (JF, 03.03.2016)

Die Jamestown Foundation (JF) berichtet indes, dass der ISKP durch Bündnisse mit bereits seit langem in der Region aktiven radikalislamischen Gruppen wie Lashkar-e-Jhangvi al Alami (LeJ-A), Lashkar-e Islam (LeI) und unzufriedenen Taliban-Fraktionen wie Jundallah und Jamaat ul Ahrar (JuA) an neuer Stärke gewonnen habe. Auch habe der ISKP Berichten zufolge Mitglieder der Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) rekrutiert. Der "Erfolg" dieser Strategie zeige sich in der geografischen Verteilung jüngster Anschläge, die darauf hindeutet, dass Einfluss und logistische Durchdringung des ISKP von Kabul und Dschalalabad in Afghanistan bis nach Quetta und Peschawar in Pakistan reichen. (JF, 15.12.2016)

Laut dem UNO-Sicherheitsrat befinden sich die ISKP-Hochburgen in Afghanistan zum Berichtszeitpunkt in den östlichen Provinzen Nangarhar, Kunar, Nuristan und Laghman. Die Gesamtstärke der Gruppe wird in Afghanistan auf 2.500 bis 4.000 bewaffnete Kämpfer geschätzt. Die Gruppe ISKP soll auch einige Trainingslager in Afghanistan kontrollieren und soll in verschiedenen afghanischen Städten, einschließlich Kabul, ein Netzwerk von Terrorzellen aufgebaut haben. Die Führung der ISKP, des lokalen Zweigs des IS unterhält enge Kontakte zum Kern der Gruppe in Syrien und im Irak. Über die zentrale Leitung werden wichtige personelle Besetzungen vorgenommen und es wird die Veröffentlichung von Propagandavideos koordiniert. Nach der Ermordung des ISKP-Führers Abu Sayed Bajauri am 14.07.2018 ernannte der ISKP-Führungsrat Mawlawi Ziya ul-Haq (alias Abu Omar Al-Khorasani) zum vierten "Emir" der Gruppe seit ihrer Gründung. (UNO-Sicherheitsrat, 01.02.2019, S. 7)

Die Stärke der Organisation betrug im Jahr 2017 Schätzungen zufolge zwischen 1.500 und 3.000 Kämpfern. Die Gruppe ist im Osten und in Teilen des Nordens Afghanistans sowie in Westpakistan aktiv. Die ISKP erhält einige finanzielle Unterstützung von der Gruppe Islamischer Staat (IS). Zusätzliche Mittel stammen von Steuereinnahmen und Erpressungen lokaler Einwohner und Firmen. (USDOS, 19.09.2018)

Laut dem UNO-Sicherheitsrat erlitt die Gruppe Islamischer Staat in Afghanistan 2018 militärische Rückschläge und hatte mit dem Verlust von Territorium und anhaltender Fluktuation von Anführern zu kämpfen. Die Versuche, sich in den Provinzen Paktiya und Logar im Südosten Afghanistans auszudehnen, scheiterten. Die afghanischen und internationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte konnten die Kontrolle über einen Großteil des einst von ISKP besetzten Territoriums zurückgewinnen. Zudem schwächten die Taliban die Kontrolle des ISKP in anderen Gebieten Nangarhars. Der ISKP konnte daher das operative Tempo der Vorjahre nicht halten. (UNO-Sicherheitsrat, 13.06.2019, S. 14)

Im August 2018 berichtet die Jamestown Foundation (JF), dass bei heftigen Zusammenstößen zwischen den Taliban und dem ISKP in den als Hochburgen des ISKP geltenden nördlichen Provinzen Jowzjan und Faryab etwa 300 Kämpfer getötet wurden. Die Kämpfe, bei denen die Gruppe ISKP Berichten zufolge schwere Verluste verzeichnen musste, stellten die dritte große Offensive der Taliban gegen ihren Rivalen dar. Rund 200 ISKP-Kämpfer ergaben sich den Regierungstruppen, um den Taliban zu entgehen. Laut JF wurden auf beiden Seiten Befehlshaber in führenden Positionen getötet. (JF, 10.08.2018)

Die Jamestown Foundation beschreibt die anfänglichen Verluste des ISKP als beträchtlich, da die Gruppierung in nur zwei Jahren drei Emire durch US-Drohnenangriffe verlor. Dennoch konnte die Gruppierung ihre rudimentäre Struktur beibehalten, und der Zustrom von Dschihadisten, infolge des Falles der IS-Operationen im Irak und Syrien ebnete den Weg für die weitere Entwicklung. Ein Wechsel in der Führung der afghanischen Taliban hat es dem ISKP ermöglicht, sich zu konsolidieren, und Akhundzada [Mullah Haibatullah Akhundzada, der Anführer der Taliban] scheint nicht bereit zu sein, inmitten der diesjährigen Frühjahrsoffensive die Beziehungen zu einem fest verwurzelten ISKP zu zerstören und eine weitere Front zu eröffnen. (JF, 14.06.2018)

Im Laufe des Jahres 2018 soll die Gruppe ISKP in Afghanistan 38 Terroranschläge verübt haben, von denen viele ein hohes Maß an Aufmerksamkeit erregten, einige davon fanden in Kabul statt. Zu den Zielen der Gruppe gehörten die afghanischen Sicherheitskräfte, die Taliban, Militärangehörige der NATO, Diplomaten, Mitarbeiter der Vereinten Nationen und Nichtregierungsorganisationen, Journalisten und medizinische Einrichtungen sowie religiöse Minderheiten, die von ISKP als weiche Ziele angesehen werden. Die Gruppe erlitt im Jahr 2018 einen schweren Rückschlag im Norden Afghanistans. Im Juli 2018 griffen 1.000 Talibankämpfer in der Provinz Jowzjan ISKP-Positionen an und töteten 200 ISKP-Kämpfer. Darüber hinaus kapitulierten 254 ISKP-Kämpfer vor Truppen der Regierung und 25 ausländische Terroristen vor den Taliban. (UNO-Sicherheitsrat, 01.02.2019, S. 7)

Rückkehrer:

Als Rückkehrer/innen werden jene afghanische Staatsbürger/innen bezeichnet, die nach Afghanistan zurückgekehrt sind, nachdem sie mindestens sechs Monate im Ausland verbracht haben. Dazu zählen sowohl im Ausland registrierte Afghan/innen, die dann die freiwillige Rückkehr über UNHCR angetreten haben, als auch nicht-registrierte Personen, die nicht über UNHCR zurückgekehrt sind, sondern zwangsweise rückgeführt wurden. Insgesamt sind in den Jahren 2012-2017 1.821.011 Personen nach Afghanistan zurückgekehrt. Die Anzahl der Rückkehrer/innen hat sich zunächst im Jahr 2016 im Vergleich zum Zeitraum 2012-2015, um 24 % erhöht, und ist im Jahr 2017 um 52 % zurückgegangen. In allen drei Zeiträumen war Nangarhar jene Provinz, die die meisten Rückkehrer/innen zu verzeichnen hatte (499.194); zweimal so viel wie Kabul (256.145) (IOM/DTM 26.03.2018). Im Jahr 2017 kehrten IOM zufolge insgesamt 98.191 Personen aus Pakistan und 462.361 Personen aus Iran zurück (sowohl freiwillig, als auch zwangsweise) (IOM 2.2018). Im Jahr 2018 kehrten mit Stand 21.03. 1.052 Personen aus angrenzenden Ländern und nicht-angrenzenden Ländern zurück (759 davon kamen aus Pakistan). Bis Juli 2017 kehrten aus Europa und der Türkei 41.803 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 7.7.2017). Im Rahmen des Tripartite Agreement (Drei-Parteien-Abkommen) unterstützt UNHCR die freiwillige Repatriierung von registrierten afghanischen Flüchtlingen aus Pakistan und Iran. Insgesamt erleichterte UNHCR im Jahr 2017 die freiw

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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