Entscheidungsdatum
07.10.2019Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
I403 2220623-1/11E
I403 2220624-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerden von XXXX, StA. Nigeria, und von XXXX, StA. Spanien, gesetzlich vertreten durch ihren Vater XXXX, beide vertreten durch Rechtsanwalt Eduard DAIGNEAULT, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.05.2019, Zl. 1123674501/180697715 und 1123674207/190283748 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.10.2019 zu Recht:
A)
Den Beschwerden wird stattgegeben, und die angefochtenen Bescheide werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
XXXX (Erstbeschwerdeführer) stellte am 20.07.2016 für seine minderjährige Tochter XXXX(Zweitbeschwerdeführerin) einen Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung und für sich einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 Abs. 1 NAG. Am 23.07.2018 wurde Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht erhoben.
Am 23.08.2018 wurde der Erstbeschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich befragt; weitere Maßnahmen wurden nicht gesetzt.
Mit Schreiben des Verwaltungsgerichts XXXX vom 23.01.2019 wurde der Erstbeschwerdeführer aufgefordert, Nachweise, ob er von seiner Tochter Unterhalt beziehe sowie Nachweise über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz und über ausreichende Existenzmittel vorzulegen. In einer Email vom 07.02.2019 erklärte der rechtsfreundliche Vertreter der Beschwerdeführer, dass der Erstbeschwerdeführer durch den Handel mit gebrauchten Kraftfahrzeugen ausreichend verdiene und eine Sozialversicherung für Vater und Tochter bestehe.
Das Verwaltungsgericht XXXX ersuchte mit Schreiben vom 12.03.2019 das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl um Überprüfung einer möglichen Aufenthaltsbeendigung nach § 55 Abs. 3 NAG für beide Beschwerdeführer, da bei der Zweitbeschwerdeführerin nicht vom Vorliegen ausreichender Existenzmittel ausgegangen werden könne und beim Erstbeschwerdeführer nicht davon, dass er Unterhaltsleistungen seiner Tochter entgegennehmen würde (§ 52 Abs. 1 Z 3 NAG).
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl forderte die Beschwerdeführer mit Schreiben vom 20.03.2019 dazu auf, Informationen und Unterlagen zu ihrem Aufenthalt im Bundesgebiet zu übermitteln, da ein Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung eingeleitet worden sei. Mit Email vom 07.02.2019 und vom 05.04.2019 wurde durch den rechtsfreundlichen Vertreter nochmals darauf hingewiesen, dass der Erstbeschwerdeführer durch den Handel mit gebrauchten Kraftfahrzeugen ausreichend verdiene und eine Sozialversicherung für Vater und Tochter bestehe.
Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.05.2019 wurden die Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz (FPG) iVm § 55 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ihnen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.). Es sei bei den Beschwerdeführern nicht vom Vorliegen ausreichender legaler Existenzmittel auszugehen und führe die Ausweisung auch nicht dazu, dass in das Familienleben eingegriffen würde, da beiden Beschwerdeführern die Fortsetzung desselben in Spanien möglich sei.
Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und erklärt, dass aufgrund des Umstandes, dass bislang keine Sozialleistungen beansprucht worden seien, vom Vorliegen ausreichender Existenzmittel auszugehen sei. Zudem sei die Zweitbeschwerdeführerin seit dem 18.06.2019 geringfügig beschäftigt und daher gemäß Art 7 Abs. 1 lit a RL 2004/28/EG aufenthaltsberechtigt. Eine entsprechende Anmeldung beim Sozialversicherungsträger durch den Dienstgeber "XXXX" wurde der Beschwerde beigelegt.
Beschwerden und Verwaltungsakte wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 28.06.2019 vorgelegt. Das Bundesverwaltungsgericht forderte zur Vorlage weiterer Unterlagen auf. Am 12.08.2019 langten diese beim Bundesverwaltungsgericht ein. Am 02.10.2019 wurde eine mündliche Verhandlung abgehalten.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Erstbeschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria und verfügt über eine spanische Aufenthaltsberechtigung (bis zum 27.08.2024), die Zweitbeschwerdeführerin spanische Staatsbürgerin; ihre Identität steht fest. Die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin ist eine nigerianische Staatsbürgerin, die in Spanien lebt. Die Zweitbeschwerdeführerin wuchs zunächst bei ihrer Mutter, dann bei ihrem Vater in Spanien auf; als der Erstbeschwerdeführer im April 2015 nach Österreich zog, verblieb die Zweitbeschwerdeführerin beim Bruder des Erstbeschwerdeführers in Spanien; ihre Mutter befand sich in einer Justizanstalt in Spanien. Im Juni 2016 zog die zu diesem Zeitpunkt 13jährige zu ihrem Vater nach Österreich. Der Erstbeschwerdeführer wurde mit der alleinigen Obsorge für die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin betraut.
Der Erstbeschwerdeführer versuchte ab dem 01.01.2017 das freie Gewerbe "Handelsgewerbe mit Ausnahme der reglementierten Handelsgewerbe (Handel mit KFZ)" anzumelden, doch wurde ihm kein Gewerbeschein ausgestellt. 2016 erzielte er laut Einkommenssteuerbescheid ein Einkommen von 1.027,50 Euro, 2017 ein Einkommen von 3.236,00 Euro und 2018 ein Einkommen von 3.072,00 Euro. Er gibt allerdings an, tatsächlich ein höheres Einkommen erzielt zu haben.
Die Beschwerdeführer verfügen beide über eine aufrechte Krankenversicherung. Sie leben gemeinsam in einer vom Erstbeschwerdeführer um 650 Euro monatlich angemieteten Wohnung. Sie nahmen keine Sozialhilfeleistung des österreichischen Staates in Anspruch.
Die Zweitbeschwerdeführerin schloss im Juni 2019 die neunte Schulstufe erfolgreich ab und besucht seit September 2019 ein Oberstufenrealgymnasium. Sie ist seit Juni 2019 geringfügig beschäftigt; sie arbeitet etwa zehn Stunden in der Woche und verdient 400 Euro monatlich.
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Die Identität des Erstbeschwerdeführers steht aufgrund des auf seine Person ausgestellten nigerianischen Reisepasses und der spanischen Aufenthaltsberechtigungskarte fest, jene der Zweitbeschwerdeführerin aus dem ebenfalls in Kopie im Akt einliegenden spanischen Reisepass, ausgestellt am 04.09.2014 und gültig bis zum 04.09.2019.
Dass der Erstbeschwerdeführer alleine mit der Obsorge für die Zweitbeschwerdeführerin betraut wurde, ergibt sich aus dem Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt vom 27.10.2017, Zl. XXXX.
Dass der Erstbeschwerdeführer sich seit April 2015 im Bundesgebiet aufhält, ergibt sich aus dem Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt vom 27.10.2017 und seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung.
Die Gewerbeanmeldung durch den Erstbeschwerdeführer ergibt sich durch die im Akt einliegende "Gewerbeanmeldung" vom 20.12.2016. Dass er keinen Gewerbeschein hat, ergibt sich u.a. aus der Stellungnahme seines Rechtsvertreters vom 10.08.2019 und der Aussage des Erstbeschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung. Aus der erwähnten Stellungnahme ergibt sich auch, dass der Erstbeschwerdeführer in Österreich alte Autos kauft und diese nach Westafrika weiterverkauft. Er legte im Laufe des Verfahrens ein Konvolut an Kaufverträgen vor, welche ihn als Käufer aufweisen (unter anderem KFZ Kaufvertrag vom 14.03.2018 (450 Euro), KFZ Kaufvertrag vom 15.03.2018 (300 Euro), KFZ Kaufvertrag vom 01.08.2018 (100 Euro), KFZ Kaufvertrag vom 08.03.2018 (100 Euro), KFZ Kaufvertrag vom 21.07.2018 (50 Euro), KFZ Kaufvertrag vom 14.03.2018 (kein Preis), KFZ Kaufvertrag vom 25.03.2019 (kein Preis), KFZ Kaufvertrag vom 18.03.2019 (kein Preis), KFZ Kaufvertrag vom 18.03.2019 (100 Euro), KFZ Kaufvertrag vom 06.03.2019 (kein Preis), KFZ Kaufvertrag vom 04.03.2019 (kein Preis), KFZ Kaufvertrag von "2019" (kein Preis, keine genauere Datierung), KFZ Kaufvertrag vom 23.02.2019 (1300 Euro)). Belege für den Weiterverkauf der Autos habe er laut Stellungnahme vom 10.08.2019 nicht. Vorgelegt wurden auch Kontoauszüge des Erstbeschwerdeführers mit verschiedenen Kontoeingängen. Auch in der mündlichen Verhandlung legte der Erstbeschwerdeführer keine Unterlagen vor, welche eine genaue Feststellung zu seinen Einkünften ermöglichen würden, vor. Es wurden in der Verhandlung auch Frachtunterlagen vorgelegt, ein Beleg für ein rechtmäßiges Einkommen bzw. für dessen Höhe ergibt sich daraus nicht. Er gab selbst an, seinen Verdienst nicht genau benennen zu können.
Dass die Beschwerdeführer keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch nahmen, ergibt sich aus den Stellungnahmen und Beschwerden, die unbestritten geblieben sind. Auch in den Akten finden sich keine Hinwiese auf den Bezug von Sozialhilfeleistungen.
Das versteuerte Einkommen des Erstbeschwerdeführers in den Jahren 2016 bis 2018 ergibt sich aus den vorgelegten Einkommenssteuerbescheiden. In der mündlichen Verhandlung meinte der Erstbeschwerdeführer, dass sein tatsächliches Einkommen höher sei, dass er es aber nicht genau beziffern könne.
Die für beide Beschwerdeführer bestehende Krankenversicherung ergibt sich aus der Bestätigung der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom 28.01.2019 bzw. vom 02.08.2019. Vorgelegt wurde auch der Mietvertrag des Erstbeschwerdeführers.
Von der Zweitbeschwerdeführerin wurde das Jahres- und Abschlusszeugnis der Öffentlichen Polytechnischen Schule über das Schuljahr 2018/2019 vorgelegt und die Bestätigung über die Aufnahme in ein ORG ab dem Wintersemester 2019/2020. Ihre geringfügige Tätigkeit ergibt sich aus einer Bestätigung des Vereins "XXXX" vom 02.08.2019, einem Kontoauszug (Gutschrift des "XXXX" von 400 Euro) sowie einer Lohn-Gehaltsabrechnung vom Juli und August 2019 (400 Euro).
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Rechtsgrundlagen der Ausweisung
§ 66 Fremdenpolizeigesetz (FPG) regelt die Ausweisung:
(1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)
Gemäß § 70 Abs. 1 FPG werden die Ausweisung und das Aufenthaltsverbot spätestens mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige hat dann unverzüglich auszureisen. Der Eintritt der Durchsetzbarkeit ist für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde.
Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.
3.2. Zum Aufenthaltsrecht des Erstbeschwerdeführers:
3.2.1. Zu einem Aufenthaltsrecht nach § 54 Abs. 1 NAG:
Gemäß § 54 Abs. 1 NAG sind Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die gemäß § 52 Abs. 1 Z 3 NAG Verwandte des EWR-Bürgers in gerade aufsteigender Linie sind, sofern ihm von diesem Unterhalt tatsächlich gewährt wird, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt und haben Anspruch auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte. Die Tatbestände des § 52 Abs. 1 Z 1 und 2 NAG kommen für den Erstbeschwerdeführer als Vater einer EWR-Bürgerin nicht in Betracht.
Nach der Judikatur des EuGH und des VwGH kann beim Vorliegen einer Situation, in der dem EWR-Bürger von einem Drittstaatsangehörigen Unterhalt gewährt wird, sich dieser nicht auf die Eigenschaft als Verwandter in aufsteigender Linie, dem der Aufenthaltsberechtigte "Unterhalt gewährt", im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 2004/38 berufen (EuGH, 08.11.2012, Iida, C-40/11, Rn 55; VwGH, 12.12.2017, Ra 2015/22/0149). Im gegenständlichen Fall ist die Mietwohnung auf den Erstbeschwerdeführer angemeldet und läuft auch die Krankenversicherung über ihn. Im bisherigen Verfahren war immer die Rede davon, dass sein Einkommen ausreichend sei, um den Beschwerdeführern eine Existenz zu sichern. Die Zweitbeschwerdeführerin ist erst seit Mitte Juni geringfügig beschäftigt und wurde nie behauptet, dass sie ihrem Vater Unterhalt gewähren würde. Selbst wenn der Erstbeschwerdeführer, wie in der Verhandlung ausgeführt wurde, als gesetzlicher Vertreter Zugriff auf das Konto seiner Tochter, auf welche ihr Verdienst von 400 Euro monatlich eingezahlt wird, hat, kann dies nicht als die Gewährung von Unterhalt gesehen werden.
Im Hinblick darauf kann aber der Erstbeschwerdeführer nicht als Familienangehöriger im Sinne des Art. 2 Nr. 2 Buchstabe d der Richtlinie 2004/38 angesehen werden, da ihm durch die Zweitbeschwerdeführerin kein Unterhalt gewährt wird. Er ist daher nicht als Berechtigter im Sinn des § 54 Abs. 1 NAG in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Z 3 NAG bzw. des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 zu erachten.
3.2.2. Zu einem abgeleiteten Aufenthaltsrecht nach Art. 21 AEUV:
Nach der Rechtsprechung des EuGH soll, wenn Art. 21 AEUV und die Richtlinie 2004/38 dem minderjährigen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaates, der die in Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b der Richtlinie aufgestellten Voraussetzungen erfüllt, ein Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat verleihen, dem für das Kind tatsächlich sorgende Elternteil sich mit diesem im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten dürfen. Würde nämlich dem das Sorgerecht wahrnehmenden drittstaatsangehörigen Elternteil nicht erlaubt, sich mit dem minderjährigen Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat aufzuhalten, so würde dem Aufenthaltsrecht des Unionsbürgers jede praktische Wirksamkeit genommen, zumal der Genuss des Aufenthaltsrechts durch ein minderjähriges Kind notwendigerweise voraussetzt, dass sich die tatsächlich sorgende Person bei ihm aufhalten darf (vgl. EuGH, Zhu und Chen, Rn 45f; Alopka u.a. Rn. 28f; 13.09.2016, Marin, C-165/14, Rn 51 f).
Wie unter Punkt 3.3. gezeigt werden wird, erfüllt die Zweitbeschwerdeführerin die in Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b der Richtlinie 2004/38 aufgestellten Voraussetzungen. Dem Erstbeschwerdeführer, der tatsächlich für die Zweitbeschwerdeführerin sorgt und dem die Obsorge für sie zukommt, steht daher im Lichte der zuvor zitierten Rechtsprechung des EuGH ein Aufenthaltsrecht für das Bundesgebiet zu und ist daher die gegen ihn ausgesprochene Ausweisung ersatzlos zu beheben.
3.3. Zum Aufenthaltsrecht der Zweitbeschwerdeführerin:
§ 51 NAG regelt in Umsetzung der Richtlinie 2004/38 Fälle der Freizügigkeit von EWR-Bürgern aus anderen EWR-Staaten, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch nehmen und sich länger als drei Monate in Österreich aufhalten.
Der mit "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate" überschriebene § 51 NAG lautet:
(1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder
3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.
(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er
1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;
2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;
3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder
4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.
(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.
Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2004/38 ("Freizügigkeitsrichtlinie) lauten:
(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er
a) Arbeitnehmer oder Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder
b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder
c) - bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und
- über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, oder
d) ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstaben a, b oder c erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht.
(2) Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, sofern der Unionsbürger die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe a, b oder c erfüllt.
3.3.1. Zum Aufenthaltsrecht nach § 51 Abs. 1 Z 2 und 3 NAG:
Nach § 53 Abs. 1 NAG ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 NAG von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen. Bislang wurde der Zweitbeschwerdeführerin die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung mit Hinweis auf das Fehlen ausreichender Existenzmittel verweigert. Vorliegend war die Zweitbeschwerdeführerin als spanische Staatsangehörige zu ihrem in Österreich aufhältigen Vater gereist, um in Ausübung ihres Freizügigkeitsrechts im Sinn des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 eine Schulausbildung zu absolvieren.
Es ist daher zunächst zu prüfen, ob die Zweitbeschwerdeführerin den Tatbestand des § 51 Abs. 1 Z 2 bzw. 3 NAG erfüllt. Im Rahmen dieser Prüfung ist zu beurteilen, ob sie über ausreichende Existenzmittel verfügt und ein umfassender Krankenversicherungsschutz besteht. Bis Mitte Juni 2019 wurden die Aufwendungen der Zweitbeschwerdeführerin allein aus dem Einkommen des Erstbeschwerdeführers finanziert.
Die Beschwerdeführer leben im Bundesgebiet im gemeinsamen Haushalt und bezahlen monatlich 650 Euro für die Wohnung. Aus den vorgelegten Einkommenssteuerbescheiden des Erstbeschwerdeführers ergibt sich, dass dessen - versteuertes - Einkommen in den letzten drei Jahren jeweils unter 4.000 Euro lag und somit nicht einmal ausreichen würde, um die Kosten der Mietwohnung zu begleichen. Auch wenn man die seit Juli 2019 von der Zweitbeschwerdeführerin monatlich verdienten 400 Euro dazu rechnet, ergibt sich - etwa bei Annahme eines Jahreseinkommens von 3000 Euro durch den Erstbeschwerdeführer - insgesamt ein monatliches Einkommen vom 650 Euro für beide Beschwerdeführer, so dass maximal die Kosten für die Mietwohnung gedeckt sind.
Allerdings machte der Erstbeschwerdeführer geltend, tatsächlich weit höhere Einnahmen erzielt zu haben und steht dies auch in Einklang damit, dass die Beschwerdeführer keine Sozialleistungen in Anspruch nahmen. Aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 02.10.2019 (Bajratari, C-93/17) ergibt sich, dass vom Vorliegen ausreichender Existenzmittel im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b der Richtlinie 2004/38 auch dann ausgegangen werden muss, wenn diese aus einer Beschäftigung stammen, der ein einem Drittland angehörender und nicht über eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis verfügender Elternteil nachgeht. Selbst wenn die vom Vater der Zweitbeschwerdeführerin erzielten Einkünfte aus einer illegalen Beschäftigung stammen, müssen diese daher gegenständlich berücksichtigt werden.
Das Bundesverwaltungsgericht schließt im gegenständlichen Fall nicht aus, dass die Beschwerdeführer über ausreichende Existenzmittel verfügen, deutet doch im vorliegenden Akt nichts darauf hin, dass die Beschwerdeführer Sozialhilfeleistungen bezogen hätten. Das Vorliegen eines Krankenversicherungsschutzes wurde nachgewiesen.
Der Entscheidung des EuGH vom 02.10.2019 lag allerdings ein Fall zugrunde, in dem der Elternteil des minderjährigen Unionsbürgers zwar über keine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis verfügte, allerdings Steuern und Sozialversicherungsabgaben entrichtete. Es steht fest, dass der Erstbeschwerdeführer nur einen Teil seines tatsächlichen Einkommens versteuerte und gab er dies in der mündlichen Verhandlung auch zu. Allerdings kann die Frage, ob auch unter diesen Umständen die in Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b der Richtlinie 2004/38 genannte Voraussetzung ausreichender Existenzmittel als erfüllt angesehen werden kann, letztlich unbeantwortet bleiben, da der Zweitbeschwerdeführerin, wie im Folgenden gezeigt wird, bereits ein Aufenthaltsrecht nach § 51 Abs. 1 Z 1 NAG zukommt.
3.3.2. Zum Aufenthaltsrecht nach § 51 Abs. 1 Z 1 NAG:
Seit Mitte Juni ist die Zweitbeschwerdeführerin nämlich erwerbstätig, wenn auch nur in einem Ausmaß von zehn Wochenstunden. Es ist daher zu prüfen, ob die Zweitbeschwerdeführerin den Tatbestand des § 51 Abs. 1 Z 1 NAG erfüllt. Dabei müssen die Voraussetzungen der Z 1 und der Z 2 dieser Bestimmung nicht kumulativ erfüllt sein; dem stehen schon der eindeutige Wortlaut sowohl des § 51 Abs. 1 NAG als auch des Art. 7 Abs. 1 lit. a und b der Freizügigkeitsrichtlinie (arg.: "oder") entgegen (siehe dazu etwa auch EuGH (Große Kammer) 11.11.2014, Dano, C- 333/13, Rn. 75, wo es heißt: "Überdies unterscheidet die Richtlinie 2004/38 hinsichtlich der Voraussetzung, über ausreichende Existenzmittel zu verfügen, zwischen erwerbstätigen und nicht erwerbstätigen Personen. Der erstgenannten Gruppe von Unionsbürgern, die sich im Aufnahmemitgliedstaat befinden, steht nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 das Aufenthaltsrecht zu, ohne dass sie weitere Voraussetzungen erfüllen muss. Dagegen wird in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie von nicht erwerbstätigen Personen verlangt, dass sie über ausreichende eigene Existenzmittel verfügen."). Um als "Arbeitnehmer" im Sinn der genannten Bestimmungen zu gelten, muss lediglich eine "tatsächliche und echte Tätigkeit" ausgeübt werden, die keinen so geringen Umfang hat, dass es sich um eine "völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit" handelt. Die Höhe der Vergütung, die der Arbeitnehmer erhält, ist ebenso wenig von alleiniger Bedeutung wie das Ausmaß der Arbeitszeit und die Dauer des Arbeitsverhältnisses (vgl. VwGH, 30.08.2018, Ra 2018/21/0049; VwGH, 14.11.2017, Ra 2017/21/0130 sowie VwGH, 29.09.2011, 2009/21/0386, Punkt 3.3. der Entscheidungsgründe; siehe auch VwGH 18.12.2012, 2010/09/0185, u.a. mit dem Hinweis auf das eine geringfügige Beschäftigung betreffende Urteil des EuGH vom 4.2.2010, Hava Genc, C-14/09, Rn. 19 ff; siehe aus der letzten Zeit etwa auch EuGH 19.7.2017, Antonino Bordonaro, C-143/16, Rn. 19 ff).
Das für den Arbeitnehmerbegriff nach § 51 Abs. 1 Z 1 NAG auch eine geringfügige Tätigkeit ausreicht, stellte der Verwaltungsgerichtshof in den oben genannten Judikaten bereits fest. Die Zweitbeschwerdeführerin ist gegenständlich nachweisbar geringfügig beschäftigt. Vom Verwaltungsgerichtshof wurde auch klargestellt, dass die vom EuGH festgesetzte "Bagatellschranke" sehr weit unten anzusetzen ist. So wurde in Bezug auf die Erteilung von Deutschunterricht zweimal wöchentlich für je ca. 2,5 Stunden die Bagatellschranke als zweifelsohne überschritten angesehen (VwGH, 29.09.2011, Zl. 2009/21/0386). Nachdem die Zweitbeschwerdeführerin seit 18.06.2019 in einem Ausmaß von 10 Wochenstunden als Reinigungskraft beschäftigt ist, muss daher die Schwelle ebenfalls als überschritten angesehen werden und kommt der Beschwerdeführerin daher auf Basis des § 51 Abs. 1 Z 1 NAG ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu.
Das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht wird innerstaatlich nicht verliehen, sondern nur dokumentiert (VwGH, 09.08.2016, Ro 2015/10/0050). Es kommt daher auf die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für den Rechtserwerb nicht an (VwGH, 26.01.2017, Ra 2016/21/0264).
Aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit kommt der Zweitbeschwerdeführerin gemäß § 51 Abs. 1 NAG ein Aufenthaltsrecht zu und ist die Ausweisung zu beheben.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Schlagworte
Arbeitnehmer Aufenthaltsrecht Ausweisung Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub Einkommenssteuerbescheid ersatzlose Behebung Erwerbstätigkeit Familienangehöriger Familienleben geringfügige Beschäftigung Kassation Krankenversicherung Mittellosigkeit mündliche Verhandlung Sozialleistungen UnterhaltszahlungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:I403.2220624.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020