TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/6 W189 1316406-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.11.2019
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Entscheidungsdatum

06.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55 Abs2
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W189 1316406-3/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Irene RIEPL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. am XXXX , StA. Ukraine, vertreten durch RA Mag. Doris EINWALLNER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.08.2019, Zl. 360808504-181212639/BMI_BFA_WIEN_AST_04, zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., III.-VI. wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VWGVG iVm § 9 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG 2005 idgF stattgegeben und die Spruchpunkte I., III.-VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos behoben.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids wird stattgegeben und wird die Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter um zwei weitere Jahre gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 verlängert.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein Staatsangehöriger der Ukraine, reiste gemeinsam mit seiner Mutter illegal in das Bundesgebiet ein und stellte sie als seine gesetzliche Vertreterin am 27.06.2006 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.11.2007 wurde der Antrag in Bezug auf den Status des Asylberechtigten abgewiesen und gleichzeitig die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung in die Ukraine als zulässig erklärt.

3. Dagegen erhob der BF rechtzeitig beim Asylgerichtshof Beschwerde.

4. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 24.11.2010, AZ D7 316406-1/2008/13E, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG in Bezug auf Ukraine stattgegeben (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde dem BF gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 24.11.2011 erteilt. Zuletzt wurde die Aufenthaltsberechtigung bis zum 24.11.2018 erteilt.

5. Am 02.11.2018 stellte der BF einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005.

6. Am 29.09.2017 wurde der BF vom LG für Strafsachen Wien wegen des Vergehens der Gefährlichen Drohung gemäß § 107 (2, 3) StGB zu einer bedingten Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verurteilt. Aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung wurde in der Folge ein Aberkennungsverfahren eingeleitet.

7. Am 17.12.2018 wurde die Mutter des BF als dessen Sachwalterin vor dem BFA zum gegen ihn eingeleiteten Aberkennungsverfahren niederschriftlich einvernommen. Zu den Rückkehrbefürchtungen gab sie an, dass es in der Ukraine unsicher sei und ihr Sohn schwer krank sei. Sie befürchte, dass er in der Ukraine keine ausreichende Behandlung und Betreuung bekomme. Er sei in der Ukraine zwar behandelt worden, jedoch sei er von anderen Patienten misshandelt und erpresst worden.

8. Mit dem angefochtenen Bescheid des BFA wurde dem BF der mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 24.11.2010, Zahl AZ D7 316406-1/2008/13E, zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen. Dem BF wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und weiters gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 iVm § 9 BFA-VG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie festgestellt, dass seine Abschiebung in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V). Die Frist für eine freiwillige Ausreise wurde mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde ausgeführt, dass die Gründe für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht mehr vorliegen würden und sich die Lage im Herkunftsstaat positiv geändert habe. Der BF sie niemals der Gefahr einer Verfolgung, oder der Gefahr einer Todesstrafe, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt gewesen. Der BF würde in der Ukraine in keine die Existenz bedrohende Notlage geraten und sei es ihm zuzumuten durch eigene Arbeit und familiäre Unterstützung seinen Lebensunterhalt zu sichern.

9. Gegen diesen Bescheid erhob der BF durch seine rechtsfreundliche Vertretung rechtzeitig Beschwerde. Nach Wiedergabe des Sachverhalts wurde insbesondere moniert, dass die Voraussetzungen des § 9 Abs 1 AsylG nicht vorliegen würden und daher eine Aberkennung des subsidiären Schutzes nicht zulässig sei. Die belangte Behörde habe jegliche Feststellungen zu der Frage unterlassen, ob die Rückkehr des BF das reale Risiko einer Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte darstellen würde. Der BF leide seit vielen Jahren an einer schweren psychiatrischen Erkrankung und sei er auf fremde Hilfe angewiesen. Der BF würde in seinem Heimatland auch nicht die notwendige medizinische und therapeutische Behandlung erlangen können und hätte keine familiäre Unterstützung. Die belangte Behörde habe es zudem unterlassen Länderfeststellungen zu der Verfügbarkeit von speziellen für den BF notwendigen, Behandlungsmethoden, Betreuungsmöglichkeiten und Medikamenten in der Ukraine zu treffen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Beweis wurde erhoben durch den Inhalt des vorliegenden Verwaltungsaktes des BF, beinhaltend das Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 24.11.2010, die niederschriftliche Einvernahme vor dem BFA zum gegenständlichen Aberkennungsverfahren am 17.12.2018 und durch Einsicht in aktuelle Auszüge aus dem Strafregister sowie durch Einsichtnahme in das aktualisierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu der Ukraine.

1. Feststellungen:

Der BF ist Staatsangehöriger der Ukraine und lebte bis vor seiner Ausreise mit seiner Mutter in XXXX . Beim BF liegt eine mittelgradige Intelligenzminderung mit einer kombinierten Entwicklungsstörung vor. Außerdem leidet der BF an latenten Verhaltensstörungen, Impulsdurchbrüchen und einer depressiven Störung. Der BF leidet an einer psychotischen Erkrankung, die intensive und spezialisierte medikamentös-psychiatrische Behandlung bedarf und ist aufgrund seiner Erkrankung nicht alleine lebensfähig.

Mit Bescheid des BG Floridsdorf wurde die Mutter des BF zu seiner Sachwalterin bestellt, da der BF nicht in der Lage ist seine Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich zu besorgen.

Der BF verfügt in der Ukraine über keine Familienangehörigen mehr.

Der BF spricht sehr gut Deutsch, ist jedoch auf Grund seiner Erkrankung nur eingeschränkt arbeitsfähig.

1.2. Der Beschwerdeführer reiste gemeinsam mit seiner Mutter illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 28.12.2005 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 24.11.2010, Zl. D7 316406-1/2008/11E, wurde dem Antrag des BF hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten stattgegeben und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 24.11.2011 erteilt.

Am 02.11.2018 stellte der BF rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005.

Mit dem angefochtenen Bescheid des BF wurde dem BF der zuerkannte Status eines subsidiär Schutzberechtigten aberkannt und die befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen.

Aufgrund der weiterhin prekären Versorgungslage für Personen mit schweren psychischen Beeinträchtigungen und mangels familiärer und sozialer Anknüpfungspunkte kann nicht festgestellt werden, dass der BF in seinen Herkunftsstaat Ukraine zurückkehren kann. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der BF in seinem Heimatstaat eine ausreichende finanzielle Unterstützung erhält.

Es hat sich keine wesentliche und nachhaltige Besserung der persönlichen Lage des BF und der Versorgungslage in der Ukraine seit Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ergeben.

Der BF wurde mit Erkenntnis des LG für Strafsachen Wien vom 29.09.2017 gemäß § 21 Abs. 1 StGB aufgrund der Begehung der Straftat der Gefährlichen Drohung nach § 107 (1, 2) StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Die Einweisung wurde unter Vereinbarung einer Probezeit bedingt nachgesehen.

1.3. Zum Herkunftsstaat wird Folgendes festgestellt:

1. Neueste Ereignisse -Integrierte Kurzinformationen

KI vom 23.07.2019 (relevant fürAbschnitt 2/Politische Lage)

Die Partei "Sluha Narodu" (Diener des Volkes) von Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die ukrainische Parlamentswahl vom 21.07.19 gewonnen. Noch liegt das amtliche Endergebnis nicht vor, aber nach Auszählung von etwa 70% der Stimmen steht fest, dass die Partei auf rund 42,7% kommt. Es folgen die russlandfreundliche Oppositionsplattform mit etwa 13%, die Partei "Europäische Solidarität" des früheren Präsidenten Petro Poroschenko mit etwa 8,4%, die Vaterlandspartei der Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko mit 7,4% und die Partei "Holos" (Stimme) des Rocksängers Swiatoslaw Wakartschuk mit 6,2%. Dies sind die fünf Parteien, die die 5%-Hürde überwinden konnten. Die Wahlbeteiligung war mit knapp 50% geringer als vor fünf Jahren. Die OSZE sprach trotz des klaren Ergebnisses von einer fairen Konkurrenz. Zwar bemängelte sie fehlende Transparenz bei der Finanzierung des Wahlkampfs, insgesamt registrierten die Wahlbeobachter bei der Abstimmung allerdings keine gröberen Verstöße (BAMF 22.7.2019, DS 22.7.2019).

Zusammen mit den gewonnenen Sitzen aus den Direktwahlkreisen kommt Selenskyjs Partei auf knapp 250 der insgesamt 450 Sitze im Parlament. Das gute Ergebnis über die Parteiliste war vorausgesagt worden, jedoch überrascht der Gewinn von mehr als 120 Direktmandaten, da die Kandidaten durchwegs Polit-Neulinge sind und über keinerlei Erfahrung im Parlament verfügen. Die enorme Wählerzustimmung für Selenskyjs Partei bedeutet, dass das erste Mal in der Ukraine eine politische Kraft die absolute Mehrheit der Sitze in der Rada erreicht hat. Damit entfallen die komplizierten Koalitionsverhandlungen, mit denen im Vorfeld der Wahl viele Experten gerechnet hatten. Offenbar wurde auch Selenskyj selbst davon überrascht, denn noch am Wahlabend hatte er Wakartschuks "Holos", auch diese eine erst vor kurzem gegründete Partei mit ausschließlich politisch unerfahrenen Kandidaten und radikaler Antikorruptions-Agenda, Koalitionsverhandlungen angeboten. Dies dürfte nun unnötig geworden sein (BAMF 22.7.2019, DS 22.7.2019).

Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Staatsoberhaupt ist seit 20.05.2019 Präsident Wolodymyr Selensky, Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman.

Das ukrainische Parlament (Verkhovna Rada) wird über ein Mischsystem zur Hälfte nach Verhältniswahlrecht und zur anderen Hälfte nach Mehrheitswahl in Direktwahlkreisen gewählt (AA 20.5.2019). Das gemischte Wahlsystem wird als anfällig für Manipulation und Stimmenkauf kritisiert. Auch die unterschiedlichen Auslegungen der Gerichte in Bezug auf das Wahlrecht sind Gegenstand der Kritik. Ukrainische Oligarchen üben durch ihre finanzielle Unterstützung für verschiedene politische Parteien einen bedeutenden Einfluss auf die Politik aus. Die im Oktober 2014 abgehaltenen vorgezogenen Parlamentswahlen wurden im Allgemeinen als kompetitiv und glaubwürdig erachtet, aber auf der Krim und in von Separatisten gehaltenen Teilen des Donbass war die Abstimmung erneut nicht möglich. Infolgedessen wurden nur 423 der 450 Sitze vergeben (FH 4.2.2019). Der neue Präsident, Wolodymyr Selensky, hat bei seiner Inauguration im Mai 2019 vorgezogene Parlamentswahlen bis Ende Juli2019 ausgerufen (RFE/RL23.5.2019).

In der Rada sind derzeit folgende Fraktionen und Gruppen vertreten:

Partei

Sitze

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)

135

Volksfront (Narodny Front)

81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)

38

Selbsthilfe (Samopomitsch)

25

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)

21

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)

20

Gruppe Wolja Narodu

19

Gruppe Widrodshennja

24

Fraktionslose Abgeordnete

60

(AA 20.5.2019)

Nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 verfolgte die Ukraine unter ihrem Präsidenten Petro Poroschenko eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Zu den Schwerpunkten seines Regierungsprogramms gehörte die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassungs-und Justizreform. Dennoch wurden die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen nicht erfüllt. Die Parteienlandschaft der Ukraine ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ und nationalistisch über rechtsstaats-und europaorientiert bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Der Programmcharakter der Parteien ist jedoch kaum entwickelt und die Wähler orientieren sich hauptsächlich an den Führungsfiguren (AA 22.2.2019).

Der ukrainische Schauspieler, Jurist und Medienunternehmer Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj gewann am 21. April 2019 die Präsidentschaftsstichwahl der Ukraine gegen den Amtsinhaber Petro Poroschenko mit über 73% der abgegebenen Stimmen (Wahlbeteiligung: 61,4 %). Poroschenko erhielt weniger als 25% der Stimmen (RFE/RL 30.4.2019). Beobachtern zufolge verlief die Wahl im Großen und Ganzen frei und fair und entsprach generell den Regeln des demokratischen Wettstreits. Kritisiert wurden unter anderem die unklare Wahlkampffinanzierung und die Medienberichterstattung in der Wahlauseinandersetzung (KP 22.4.2019). Selenskyj wurde am 20.5.2019 als Präsident angelobt. Er hat angekündigt möglichst bald parlamentarische Neuwahlen ausrufen zu lassen, da er in der Verkhovna Rada über keinen parteipolitischen Rückhalt verfügt und demnach kaum Reformen umsetzen könnte. Tatsächlich hat er umgehend per Dekret vorgezogene Parlamentswahlen bis Ende Juli 2019 ausgerufen (RFE/RL 23.5.2019).

Es ist ziemlich unklar, wofür Präsident Selenskyj politisch steht. Bekannt wurde er durch die beliebte ukrainische Fernsehserie "Diener des Volkes", in der er einen einfachen Bürger spielt, der eher zufällig Staatspräsident wird und dieses Amt mit Erfolg ausübt. Tatsächlich hat Selenskyj keine nennenswerte politische Erfahrung, ist dadurch jedoch auch unbefleckt von politischen Skandalen. Eigenen Aussagen zufolge will er den Friedensplan für den umkämpften Osten des Landes wiederbeleben und strebt wie Poroschenko einen EU-Beitritt an. Über einen Nato-Beitritt der Ukraine soll jedoch eine Volksabstimmung entscheiden (DS 21.4.2019; ZO 21.4.2019). Selenskyj hat sich vor allem den Kampf gegen die Korruption auf seine Fahnen geschrieben (UA 27.2.2019).

Kritiker sehen Selenskyj als Marionette des Oligarchen Igor Kolomojskyj, dessen weitgehende Macht unter Präsident Poroschenko stark beschnitten wurde, und auf dessen Fernsehsender 1+1 viele von Selenskyjs Sendungen ausgestrahlt werden. Diesen Vorwurf hat Selenskyj stets zurückgewiesen (UA 27.2.2019; CNN 21.4.2019; Stern 23.4.2019).

Sicherheitslage

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sowie auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 22.2.2019).

Durch die Besetzung der Krim, die militärische Unterstützung von Separatisten im Osten und die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen gegen die Ukraine, kann Russlandseinen Einfluss auf den Verlauf des politischen Lebens in der Ukraine aufrechterhalten. Menschen, die in den besetzten Gebieten des Donbass leben, sind stark russischer Propaganda und anderen Formen der Kontrolle ausgesetzt (FH 4.2.2019).

Nach UN-Angaben kamen seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen um; es wurden zahlreiche Ukrainer innerhalb des Landes binnenvertrieben oder flohen ins Ausland. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt. Die Sicherheitslage hat sich seither zwar deutlich verbessert, Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie bleiben aber an der Tagesordnung und führen regelmäßig zu zivilen Opfern und Schäden an der dortigen zivilen Infrastruktur. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt die im Minsker Maßnahmenpaket vorgesehene Autonomie für die gegenwärtig nicht kontrollierten Gebiete, die u.a. aufgrund der Unmöglichkeit, dort Lokalwahlen nach internationalen Standards abzuhalten, noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Dennoch hat das ukrainische Parlament zuletzt die Gültigkeit des sogenannten "Sonderstatusgesetzes" bis Ende 2019 verlängert (AA 22.2.2019).

Ende November 2018 kam es im Konflikt um drei ukrainische Militärschiffe in der Straße von Kertsch erstmals zu einem offenen militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine. Das als Reaktion auf diesen Vorfall für 30 Tage in zehn Regionen verhängte Kriegsrecht endete am 26.12.2018, ohne weitergehende Auswirkungen auf die innenpolitische Entwicklung zu entfalten. (AA 22.2.2019; vgl. FH 4.2.2019).

Der russische Präsident, Vladimir Putin, beschloss am 24.4.2019 ein Dekret, welches Bewohnern der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft im Eilverfahren erleichtert ermöglicht. Demnach soll die Entscheidung der russischen Behörden über einen entsprechenden Antrag nicht länger als drei Monate dauern. Internationale Reaktionen kritisieren dies als kontraproduktiven bzw. provokativen Schritt. Ukrainische Vertreter sehen darin die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für den offiziellen Einsatz der russischen Streitkräfte gegen die Ukraine. Dafür gibt es einen historischen Präzedenzfall. Als im August 2008 russische Truppen in Georgien einmarschierten, begründete der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedjew das mit seiner verfassungsmäßigen Pflicht, "das Leben und die Würde russischer Staatsbürger zu schützen, wo auch immer sie sein mögen". In den Jahren zuvor hatte Russland massenhaft Pässe an die Bewohner der beiden von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien ausgegeben (FAZ 26.4.2019; vgl. SO 24.4.2019).

Rechtsschutz /Justizwesen

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauender Öffentlichkeit in die Justiz ist gering. Trotz der Bemühungen um eine Reform der Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft ist Korruption bei Richtern und Staatsanwälten weiterhin ein Problem. Einige Richter behaupteten Druckausübung durch hochrangige Politiker. Einige Richter und Staatsanwälte erhielten Berichten zufolge Bestechungsgelder. Andere Faktoren, welche das Recht auf ein faires Verfahren behindern, sind langwierige Gerichtsverfahren, insbesondere bei Verwaltungsgerichten, unterfinanzierte Gerichte und mangelnde Möglichkeiten Urteile durchzusetzen (USDOS 13.3.2019).

Die ukrainische Justizreform trat im September 2016 in Kraft, der langjährige Prozess der Implementierung der Reform dauert weiter an. Bereits 2014 startete ein umfangreicher Erneuerungsprozess mit der Annahme eines Lustrationsgesetzes, das u.a. die Entlassung aller Gerichtspräsidenten sowie die Erneuerung der Selbstverwaltungsorgane der Richterschaft vorsah. Eine im Februar 2015 angenommenen Gesetzesänderung zur "Sicherstellung des Rechtes auf ein faires Verfahren" sieht auch eine Erneuerung der gesamten Richterschaft anhand einer individuellen qualitativen Überprüfung ("re-attestation") aller Richter vor, die jedoch von der Zivilgesellschaft als teils unzureichend kritisiert wurde. Bislang wurden laut Informationen von ukrainischen Zivilgesellschaftsvertretern rund 2.000 der insgesamt 8.000 in der Ukraine tätigen Richter diesem Prozess unterzogen, wobei rund 10% entweder von selbst zurücktraten oder bei der Prozedur durchfielen. Ein wesentliches Element der Justizreform ist auch der vollständig neu gegründete Oberste Gerichtshof, der am 15. Dezember 2017 seine Arbeit aufnahm. Allgemein ist der umfassende Erneuerungsprozess der Richterschaft jedoch weiterhin in Gange und schreitet nur langsam voran. Die daraus resultierende häufige Unterbesetzung der Gerichte führt teilweise zu Verfahrensverzögerungen. Von internationaler Seite wurde die Annahme der weitreichenden Justizreform weitgehend begrüßt (ÖB 2.2019).

2014 wurde auch eine umfassende Reform der Staatsanwaltschaft in Gang gesetzt. In erster Linie ging es dabei auch darum, das schwer angeschlagene Vertrauen in die Institution wieder herzustellen, weshalb ein großer Teil dieser Reform auch eine Erneuerung des Personals vorsieht. Im Juli 2015 begann die vierstufige Aufnahmeprozedur für neue Mitarbeiter. Durchgesetzt haben sich in erster Linie jedoch Kandidaten, die bereits in der Generalstaatsanwaltschaft Erfahrung gesammelt hatten. Weiters wurde der Generalstaatsanwaltschaft ihre Funktion als allgemeine Aufsichtsbehörde mit der Justizreform 2016 auf Verfassungsebene entzogen, was jedoch noch nicht einfach gesetzlich umgesetzt wurde. Jedenfalls wurde in einer ersten Phase die Struktur der Staatsanwaltschaft verschlankt, indem über 600 Bezirksstaatsanwaltschaften auf 178 reduziert wurden. 2017 wurde mit dem Staatsanwaltschaftsrat ("council of prosecutors") ein neues Selbstverwaltungsorgan der Staatsanwaltschaft geschaffen. Es gab bereits erste Disziplinarstrafen und Entlassungen, Untersuchungen gegen die Führungsebene der Staatsanwaltschaft wurden jedoch vorerst vermieden. Auch eine spezialisierte Antikorruptions-Staatsanwaltschaft wurde geschaffen. Diese Reformen wurden vor allem wegen der mangelnden personellen Erneuerung der Staatsanwaltschaft kritisiert. Auch erhöhte die Reform die Belastung der Ankläger, die im Durchschnitt rund je 100 Strafverfahren gleichzeitig bearbeiten, was zu einer Senkung der Effektivität der Institution beiträgt. Allgemein bleibt aber, trotz einer signifikanten Reduktion der Zahl der Staatsanwälte, diese im europäischen Vergleich enorm hoch, jedoch ineffizient auf die zentrale, regionale und lokale Ebene verteilt (ÖB 2.2019).

Nachdem unter Präsident Janukowitsch die von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats eingemahnte Verfassungsreformjahrelang hinausgezögert wurde, wurde von Präsident Poroschenko durch seinen im Juli 2014 vorgelegten Gesetzesentwurf zur Änderung der ukrainischen Verfassung ein neuer Impuls gesetzt. Die darin vorgesehenen Schritte zu dezentraleren Strukturen mit erweiterten Kompetenzen der gewählten Gemeinde-und Bezirksräte, nicht zuletzt im Hinblick auf die Verteilung und Verwaltung öffentlicher Mittel, dem Ausbau der regionalen Selbstverwaltung und der erstmaligen Verankerung des Prinzips der Subsidiarität, wurden von der Venedig-Kommission begrüßt. Jedoch gibt es für die Annahme der Verfassungsreform in zweiter Lesung derzeit keine Mehrheit im Parlament. Vor allem die verfassungsrechtliche Absicherung der im Rahmen des Minsk-Prozesses zur Beilegung des Konflikts in der Ostukraine festgelegten Dezentralisierung steht unter starker Kritik einiger Parteien, weil diese eine "Ermächtigungsklausel" zur Schaffung eines Gesetzes über den Sonderstatus des Donbasss enthält. In der Praxis wurden jedoch bereits Erfolge bei der finanziellen Dezentralisierung erzielt, sowie zahlreiche Gemeinden zusammengelegt, die dadurch mit mehr finanziellen Mittel ausgestattet sind und effizienter arbeiten können. Ohne eine verfassungsmäßige Absicherung der Dezentralisierungsreform bleibt diese jedoch vorerst weiterhin unvollendet (ÖB 2.2019).

Die jüngsten Reforminitiativen bleiben hinter den Erwartungen zurück, werden aber fortgesetzt (FH 4.2.2019).

Sicherheitsbehörden

Die Sicherheitsbehörden unterstehen generell effektiver ziviler Kontrolle. Die Sicherheitskräfte verhindern oder reagieren im Allgemeinen auf gesellschaftliche Gewalt. Zuweilen wenden sie jedoch selbst übermäßige Gewalt an, um Proteste aufzulösen, oder verabsäumen es in einzelnen Fällen, Opfer vor Belästigung oder Gewalt zu schützen (z.B. im Falle der Zerstörung eines Roma-Camps durch Nationalisten, gegen die die Polizei nicht einschritt). Der ukrainischen Regierung gelingt es meist nicht, Beamte, die Verfehlungen begangen haben, strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen (USDOS 13.3.2019).

Das sichtbarste Ergebnis der ukrainischen Polizeireform ist die Gründung der Nationalen Polizei nach europäischen Standards, mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan, die im Juli 2015 in vorerst 32 Städten ihre Tätigkeit aufnahm. Mit November 2015 ersetzte die Nationale Polizei offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte "Militsiya". Alle Mitglieder der Militsiya hatten grundsätzlich die Möglichkeit, in die neue Truppe aufgenommen zu werden, mussten hierfür jedoch einen "Re-Attestierungsprozess" samt umfangreichen Schulungsmaßnahmen und Integritätsprüfungen durchlaufen. Im Oktober 2016 verkündete die damalige Leiterin der Nationalen Polizei den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses, in dessen Zuge 26% der Polizeikommandanten im ganzen Land entlassen, 4.400 Polizisten befördert und im Gegenzug 4.400 herabgestuft wurden. Zentrale Figur der Polizeireform war die ehemalige georgische Innenministerin Khatia Dekanoidze, die jedoch am 14. November 2016 aufgrund des von ihr bemängelnden Reformfortschrittes, zurücktrat. Zu ihrem Nachfolger wurde, nach einem laut Einschätzung der EU Advisory Mission (EUAM) offenen und transparenten Verfahren, im Feber 2017 Serhii Knyazev bestellt. Das Gesetz "Über die Nationalpolizei" sieht eine Gewaltenteilung zwischen dem Innenminister und dem Leiter der Nationalen Polizei vor. Der Innenminister ist ausschließlich für die staatliche Politik im Rechtswesen zuständig, der Leiter der Nationalen Polizei konkret für die Polizei. Dieses europäische Modell soll den Einfluss des Ministers auf die operative Arbeit der Polizei verringern. Dem Innenministerium unterstehen seit der Reform auch der Staatliche Grenzdienst, der Katastrophendienst, die Nationalgarde und der Staatliche Migrationsdienst. Festzustellen ist, dass der Innenminister in der Praxis immer noch die Arbeit der Polizei beeinflusst und die Reform somit noch nicht vollständig umgesetzt ist. Das nach dem Abgang von Katia Dekanoidze befürchtete Zurückrollen diverser erzielter Reformen, ist laut Einschätzung der EUAM, jedenfalls nicht eingetreten. Das im Juni 2017 gestartete Projekt "Detektive" - Schaffung polizeilicher Ermittler/Zusammenlegung der Funktionen von Ermittlern und operativen Polizeieinsatzkräften, spielt in den Reformen ebenfalls eine wichtige Rolle. Wie in westeuropäischen Staaten bereits seit langem praktiziert, soll damit ein-und derselbe Ermittler für die Erhebung einer Straftat, die Beweisaufnahme bis zur Vorlage an die Staatsanwaltschaft zuständig sein. Bislang sind in der Ukraine, wie zu Sowjetzeiten, immer noch die operative Polizei für die Beweisaufnahme und die Ermittler für die Einreichung bei Gericht zuständig. Etwas zögerlich wurde auch die Schaffung eines "Staatlichen Ermittlungsbüros (SBI)" auf den Weg gebracht und mit November 2017 ein Direktor ernannt. Das SBI hat die Aufgabe, vorgerichtliche Erhebungen gegen hochrangige Vertreter des Staates, Richter, Polizeikräfte und Militärangehörige durchzuführen, sofern diese nicht in die Zuständigkeit des Nationalen Antikorruptions-Büros (NABU) fallen. Die Auswahl der Mitarbeiter ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Mit Unterstützung der EU Advisory Mission (EUAM) wurde 2018 auch eine "Strategie des Innenministeriums bis 2020" sowie ein Aktionsplan entwickelt. (ÖB 2.2019).

Die Nationalpolizei muss sich mit einer, das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung beeinträchtigenden Zunahme der Kriminalität infolge der schlechten Wirtschaftslage und des Konflikts im Osten, einer noch im alten Denken verhafteten Staatsanwaltschaft und der aus sozialistischen Zeiten überkommenen Rechtslage auseinandersetzen. Über Repressionen durch Dritte, für die der ukrainische Staat in dem von ihm kontrollierten Staatsgebiet mittelbar die Verantwortung trägt, indem er sie anregt, unterstützt oder hinnimmt, liegen keine Erkenntnisse vor (AA 22.2.2019).

Folter und unmenschliche Behandlung

Folter sowie grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Bestrafung, die gegen die Menschenwürde verstößt, ist gemäß Artikel 28 der ukrainischen Verfassung verboten. Die Ukraine ist seit 1987 Mitglied der UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) und seit 1997 Teilnehmerstaat der Anti-Folter-Konvention des Europarats (AA 22.2.2019).

Trotzdem gibt es Berichte, dass Strafverfolgungsbehörden an solchen Misshandlungen beteiligt waren. Obwohl Gerichte keine unter Zwang zustande gekommene Geständnisse mehr als Beweismittel verwenden, gibt es Berichte über von Exekutivbeamten durch Folter erzwungene Geständnisse. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen bemängeln die Maßnahmen, angebliche Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsbehörden zu ermitteln bzw. zu bestrafen, insbesondere angebliche Fälle von Folter, Verschwindenlassen, willkürlichen Inhaftierungen etc. durch den ukrainischen Geheimdienst (SBU), speziell wenn das Opfer aus Gründen der nationalen Sicherheit inhaftiert war/ist oder verdächtig war/ist "pro-russisch" eingestellt zu sein. Straflosigkeit ist somit weiterhin ein Problem. Während die Behörden manchmal Anklagen gegen Angehörige der Sicherheitsbehörden erheben, kommt es bei einschlägigen Ermittlungen oft nicht zu Anklagen, während die mutmaßlichen Täter weiter ihrer Arbeit nachgehen. Laut Bericht einer NGO kommt es nur in drei Prozent der Strafverfahren gegen Strafverfolgungsbehörden wegen körperlichen Missbrauchs von Festgenommenen zu einer Anklage. Das Innenministerium gibt an, dass Sicherheitskräfte 80 Stunden an verpflichtenden Menschenrechtsschulungen erhalten. Polizeiakademien bieten ebenfalls Kurse zu Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit, Verfassungsrechten, Toleranz und Nichtdiskriminierung, Verhütung häuslicher Gewalt und Folter (USDOS 13.3.2019).

2017 hat das ukrainische Innenministerium bis 1. Dezember ca. 2.000 Beschwerden bezüglich Menschenrechtsverstößen durch Polizeibeamte erhalten. 125 Ermittlungen wurden eingeleitet (davon 83 wegen Körperverletzung, 3 wegen Folter). Im selben Zeitraum begann die Staatsanwaltschaft 43 Untersuchungen (davon 22 wegen Körperverletzungen, 6 wegen Folter). Mit der Gründung des State Bureau of Investigation (SBI) ist dieses u.a. auch für die Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen gegen Sicherheitsbeamte zuständig. Einige Häftlinge berichteten, dass ihre Beschwerden bezüglich Misshandlung bei der Festnahme trotz sichtbarer Verletzungen von Richtern ignoriert wurden (CoE 6.9.2018).

Von der ukrainischen Seite der Kontaktlinie zu den Separatistengebieten der Ostukraine gibt es Berichte über Entführungen bzw. nicht-kommunizierte Haft bei nahezu völliger Straflosigkeit. Dies geschieht vor allem durch den Geheimdienst (SBU); die Opfer werden der Zusammenarbeit mit dem russischen Geheimdienst (FSB) oder bewaffneten Gruppen verdächtigt. Die ukrainischen Behörden sollen sich bei diesen Verhaftungen mitunter auch nationalistischer Gruppen bedient haben, welche die Gefangenen dann dem SBU übergaben. Auch von Misshandlung und Folter ist die Rede, wenn auch nicht in der Systematik und in dem Maßstab wie in den Separatistengebieten (USDOS 13.3.2019). Der SBU bestreitet dies trotz anderslautender Erkenntnisse der Beobachtungsmission des UN-Hochkommissars für Menschenrechte. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlungen gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden wegen illegaler Haft aufgenommen (AA 22.2.2019).

Korruption

Die Gesetze sehen strafrechtliche Sanktionen für Korruption vor, aber die Behörden setzen diese nicht effektiv um, und viele Beamte sind ungestraft korrupt, weniger in der Regierung, aber auf allen Ebenen der Exekutive, Legislative und der Justizbehörden. Trotz Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption durch die Regierung, bleibt diese ein Problem für Bürger und Unternehmen. Im Juni 2018 unterzeichnete der Präsident das Gesetz über das Hohe Antikorruptionsgericht (HACC), was das System der staatlichen Stellen zur Bekämpfung der Korruption auf höchster Ebene vervollständigte (USDOS 13.3.2019). Im April 2019, kurz vor der Stichwahl um die Präsidentschaft, hat Präsident Poroschenko 38 Richter des neu gegründeten Antikorruptionsgerichts offiziell ernannt (RFE/RL 11.4.2019).

Der Erfolg wird von der Integrität der Auswahlverfahren für seine Richter sowie von der Wirksamkeit und Unabhängigkeit der beiden anderen zuvor gegründeten Antikorruptionsbehörden, dem Nationalen Anti-Korruptionsbüro (NABU) und dem Sonderstaatsanwalt für Korruptionsbekämpfung (SAP), abhängen. Die neuen unabhängigen Antikorruptionsgremien wurden mit politischem Druck konfrontiert, was Besorgnis über das Bekenntnis der Regierung zur Korruptionsbekämpfung auslöste. Es gab auch Vorwürfe und Rücktrittsaufforderungen gegen den Leiter der SAP wegen Behinderung der Justiz. Es kam 2018 zu mehreren Verhaftungen hochrangiger Amtsträger wegen Korruptionsvorwürfen, darunter der Bürgermeister von Odessa. Das Gesetz schreibt vor, dass hohe Amtsträger Einkommens-und Ausgabenerklärungen vorlegen müssen und diese durch die Nationale Agentur für Korruptionsprävention (NAPC) geprüft werden. Beobachter stellen jedoch zunehmend in Frage, ob die NAPC über die Fähigkeit und Unabhängigkeit zur Erfüllung dieser Funktion verfügt, während sich NABU in der Praxis als wirksamer für diese Aufgabe erwiesen habe, obwohl dies nicht dessen Kernaufgabe ist. Bis Juli 2018 hatte NAPC erst 300 von 2,5 Millionen eingegangene Erklärungen geprüft. Im September 2018 wurde daraufhin ein automatisiertes Überprüfungssystem eingeführt, an dessen Wirksamkeit es Kritik gibt (USDOS 13.3.2019; vgl. ÖB 2.2019).

Korruption ist nach wie vor ein ernstes Problem, und trotz des starken Drucks der Zivilgesellschaft ist der politische Wille gering, dagegen anzugehen. Antikorruptionsagenturen wurden wiederholt in politisch belastete Konflikte mit anderen staatlichen Stellen und gewählten Vertretern verwickelt (FH 4.2.2019).

Die Ukraine hat einige Fortschritte bei der Förderung der Transparenz erzielt, zum Beispiel durch die Verpflichtung der Banken, die Identität ihrer Eigentümer zu veröffentlichen, und indem 2016 ein Gesetz verabschiedet wurde, das Politiker und Beamte dazu verpflichtet, elektronische Vermögenserklärungen abzugeben. Es ist jedoch möglich, einige Vorschriften zu umgehen, zum Teil, weil unterentwickelte Institutionen nicht in der Lage sind, Verstöße zu erkennen und zu bestrafen (FH 4.2.2019).

Ein institutioneller Rahmen für die Bekämpfung der endemischen Korruption wurde geschaffen und durch ein System zur systematischen Offenlegung der Vermögens-und Einkommensverhältnisse von Staatsbediensteten ergänzt (Im Herbst 2016 wurde eine elektronische Plattform zur Vermögens-und Einkommenserklärung von Staatsbediensteten und politischen Mandatsträgern ("e-declaration") eingeführt. Bei einem großen Teil der abgegebenen Erklärungen fehlt jedoch noch eine substanzielle Überprüfung durch die Korruptionspräventionsagentur (AA 22.2.2019).

Ende Feber 2019 hat das ukrainische Verfassungsgericht Artikel 368-2 des ukrainischen Strafgesetzbuches, welcher illegale Bereicherung durch ukrainische Amtsträger kriminalisierte, aufgehoben, weil er gegen die Unschuldsvermutung verstoßen habe. In der Folge musste NABU 65 anhängige Ermittlungen gegen Parlamentarier, Richter, Staatsanwälte und andere Beamte einstellen, die teilweise schon vor Gericht gekommen waren. Die EU zeigte sich über diese Entscheidung besorgt. Es wurden unmittelbar mehrere Gesetzesinitiativen registriert, um das Gesetz zu reparieren, die aber alle keine Aussicht hatten, vor der Präsidentenwahl beschlossen zu werden (Hi 3.3.2019).

Der neue Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, hat sich vor allem den Kampf gegen die Korruption auf die Fahnen geschrieben (UA 27.2.2019).

Wehrdienst und Rekrutierungen

Die Wehrpflichtigen in der Ukraine werden folgendermaßen unterteilt:

* Stellungspflichtige (Pre-conscripts)

* Wehrpflichtige (Conscripts)

* aktive Soldaten

* zum Wehrdienst verpflichtete Personen (persons liable for military service) - sie haben bereits den Grundwehrdienst geleitet und können nötigenfalls wieder temporär mobilisiert werden

* Reservisten - zum Wehrdienst verpflichtete Personen, die freiwillig regelmäßige Waffenübungen absolvieren.

(BFA/OFPRA 5.2017)

Die Pflicht zur Ableistung des Grundwehrdienstes besteht für Männer im Alter zwischen 20 und 27 Jahren. Er dauert grundsätzlich eineinhalb Jahre, für Wehrpflichtige mit Hochschulqualifikation (Magister) 12 Monate. Am 01.05.2014 wurde die früher beschlossene Aussetzung der Wehrpflicht widerrufen. Danach erfolgten insgesamt sechs Mobilisierungswellen, die hauptsächlich Reservisten, aber auch Grundwehrdienstleistende (letztere zu einer sechsmonatigen Ausbildung) erfassten. Merkmale wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung spielen bei der Heranziehung keine Rolle. Wehrpflichtige werden nur auf der Grundlage eines entsprechenden Beschlusses des Ministerkabinetts und in festgelegten Zeiträumen und Anzahl einberufen. So gab es 2018 zwei Einberufungszeiträume, April/Mai und Oktober/Dezember, in denen insgesamt 18.000 Wehrpflichtige einberufen wurden.

Davon haben ca. 9.000 Soldaten ihren Wehrdienst in den Streitkräften abgeleistet. Wehrpflichtige wurden nur bis Mitte November 2016 und ausschließlich auf freiwilliger Basis nach der sechsmonatigen Grundausbildung in der Ostukraine eingesetzt; seither geschieht dies nicht mehr.

Wehrpflichtige müssen einen Wohnortwechsel binnen einer Woche anzuzeigen. Sollte künftig eine Vollmobilisierung erfolgen, wäre ein Wohnortwechsel durch die Wehrüberwachungsbehörde vorab zu genehmigen. Klagen von Vertretern der ungarischen und rumänischen Minderheit, diese Gruppen würden überproportional zum Wehrdienst herangezogen, sind mittlerweile entkräftet und werden nicht mehr wiederholt. Zwangsarbeit und Zwangsrekrutierungen finden staatlicherseits nicht statt (AA 22.2.2019).

Binnenvertriebene (IDPs) sind grundsätzlich wehrpflichtig, sie stellen für das Verteidigungsministerium aber keine Priorität dar, nicht zuletzt wegen etwaiger Sicherheitsbedenken (Gegenspionage) (BFA/OFPRA 5.2017).

An den Wehrpflichtigen ergeht in der Praxis ein Einberufungsbescheid des regional zuständigen Militärkommissariats postalisch oder durch persönliche Zustellung (BFA/OFPRA 5.2017).

Gesetzlich vorgesehen ist eigentlich eine persönliche Zustellung, weswegen postalisch zugestellte Bescheide Quellen zufolge ungültig seien (Lifos 15.7.2016).

Binnenvertriebene (IDPs) sind ebenso wehrpflichtig, sie stellen für das Verteidigungsministerium aber keine Priorität dar, nicht zuletzt wegen etwaiger Sicherheitsbedenken (Gegenspionage) (BFA/OFPRA 5.2017).

Frauen mit militärisch nutzbaren Spezialkenntnissen und körperlicher Eignung (und geeigneter familiärer Situation) gelten ebenso als zum Wehrdienst verpflichtete Personen. Im Kriegsfall können sie einberufen werden. In Friedenszeiten können sie freiwillig aktiven oder Reservedienst leisten (BFA/OFPRA 5.2017).

Allgemeine Menschenrechtslage

Der Schutz der Menschenrechte durch die Verfassung ist gewährleistet. Die Möglichkeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), sich im Bereich Menschenrechte zu betätigen, unterliegt keinen staatlichen Restriktionen (AA 22.2.2019).

Die Verfassung sieht eine vom Parlament bestellte Ombudsperson vor, den parlamentarischen Menschenrechtsbeauftragten. Das Amt wird derzeit von Lyudmila Denisova bekleidet. Ihr Büro arbeitet bei verschiedenen Projekten zur Überwachung von Menschenrechtspraktiken in Gefängnissen und anderen staatlichen Institutionen häufig mit NGOs zusammen. Die Ombudsperson bemühte sich in der Vergangenheit speziell um Krimtataren, Binnenvertriebene, Roma, Behinderte, sexuelle Minderheiten und Gefängnisinsassen. Die Ombudsperson kann auch Ermittlungen wegen Misshandlung durch Sicherheitskräfte einleiten und ist auch bei Problemen mit der Justiz jederzeit ansprechbar (USDOS 13.3.2019).

Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist in Verfassung und Gesetzen ausdrücklich vorgesehen. Tatsächlich werden Frauen jedoch häufig schlechter bezahlt und sind in Spitzenpositionen unterrepräsentiert (AA 22.2.2019). 2018 wurden Demonstrationen von LGBTI-oder Frauenrechtsgruppen regelmäßig von rechtsgerichteten Gruppen gestört (AA 22.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Durch den bewaffneten Konflikt kommt es vermehrt zu häuslicher Gewalt und Gender Based Violence (GBV), von der vor allem Frauen betroffen sind. Ein neues Gesetz, das häusliche Gewalt als Straftatbestand deklariert, wurde im Dezember 2017 angenommen. Es gibt jedoch kaum ausreichend psychosoziale und medizinische (Notfall-) Einrichtungen mit geschultem Personal (ÖB 2.2019). Frauen und Mitglieder von Minderheitengruppen können am politischen Leben in der Ukraine teilnehmen. Diese Rechte werden jedoch durch Faktoren wie den Konflikt im Osten, Analphabetismus und das Fehlen von Ausweisdokumenten (häufig bei Roma) geschmälert. Das Gesetz über Kommunalwahlen schreibt eine 30%-Quote für Frauen auf Parteilisten vor, die jedoch nicht wirksam durchgesetzt wird. Die gesellschaftliche Diskriminierung von sexuellen Minderheiten beeinträchtigt ihre Fähigkeit, sich an politischen Prozessen und Wahlprozessen zu beteiligen (FH 4.2.2019).

Versammlungsfreiheit ist laut Verfassung garantiert und die Regierung respektiert dieses Recht generell, aber einfachgesetzlich haben die Behörden breite Möglichkeiten das Demonstrationsrecht einzuschränken. 2018 wurden Demonstrationen von LGBTI-oder Frauenrechtsgruppen regelmäßig von rechtsgerichteten Gruppen gestört. Die Polizei schützte zwar den 2018 Kiew Pride-Marsch mit tausenden Beamten, kleinere Veranstaltungen von Minderheiten oder oppositionellen Gruppen wurden jedoch nicht immer ausreichend geschützt (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019).

Zu den Pflichten des Veranstalters von friedlichen Versammlungen zählt unter anderem die Anmeldung der Veranstaltung im Vorfeld bei den örtlich zuständigen Behörden. Die Fristen, die in diesem Zusammenhang anzuwenden sind, sind jedoch nicht klar geregelt und variieren je nach vertretener Auffassung zwischen drei und zehn Tagen. Diese Unklarheit lässt den öffentlichen Behörden einen relativ großen Freiraum, Versammlungen zu untersagen. Tatsächlich wird die Abhaltung von friedlichen Versammlungen von den Behörden regelmäßig abgelehnt. Als gängige Begründungen dienen die zu späte Ankündigung der Demonstration, der Mangel an verfügbaren Polizisten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, der gleichzeitige Besuch einer offiziellen ausländischen Delegation oder das gleichzeitige Stattfinden einer anderen Veranstaltung am gleichen Ort. Auch die Definition der "Friedlichkeit" einer Versammlung ist nicht immer unstrittig (ÖB 2.2019).

Verfassung und Gesetze sehen Vereinigungsfreiheit vor und die Regierung respektiert dieses Recht im Allgemeinen. Menschenrechtsgruppen und internationale Organisationen kritisieren jedoch ein Gesetz vom März 2017, das für zivilgesellschaftliche Organisationen und Journalisten, die sich mit Antikorruptionsangelegenheiten befassen, gewisse Offenlegungserfordernisse vorsieht. Dies wird weithin als Einschüchterungsmaßnahme gesehen. Menschenrechtsorganisationen berichten von einer wachsenden Anzahl ungeklärter Angriffe auf Mitglieder von Organisationen der Zivilgesellschaft (mehr als 50 Angriffe binnen 12 Monaten), die ihrer Ansicht nach ein Klima der Straflosigkeit geschaffen hätten, weil die Regierung diese nicht ordentlich untersucht habe. Es gibt Vorwürfe gegen die Regierung, diese würde Aktivisten als Vergeltungsmaßnahme für ihre Tätigkeit strafrechtlich verfolgen (USDOS 13.3.2019). Sowohl natürliche als auch juristische Personen können einen Verein gründen. Die Vereinsgründung kann nur aus im Gesetz eng definierten Gründen untersagt werden (ÖB 2.2019). Nach dem Ende der Ära Janukowitsch sind zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppen mit einer Vielzahl sozialer, politischer, kultureller und wirtschaftlicher Zielsetzungen entstanden oder wiederbelebt worden. Viele von ihnen können die Entscheidungsfindung auf verschiedenen Regierungsebenen beeinflussen. Ein klar gegen Russland gerichtetes Gesetz gegen "ausländische Agenten, die unter dem Einfluss eines Aggressorstaats agieren", wurde im September 2018 vorgelegt. Seitens der Zivilgesellschaft gibt es Bedenken, dass dieses Gesetz generell NGOs mit ausländischen Geldgebern treffen könnte. Gewalt gegen Aktivisten der Zivilgesellschaft nahm im Jahr 2018 zu. Zu den Bedrohten gehören Aktivisten, die sich gegen Korruption oder für die Rechte von LGBTI-Personen einsetzen (FH 4.2.2019).

Verfassung und Gesetze sehen Meinungsfreiheit vor, auch für Pressevertreter. Die Behörden respektieren diese Rechte jedoch nicht immer. Mit einigen Ausnahmen können Personen in Gebieten, die unter staatlicher Kontrolle stehen, die Regierung im Allgemeinen öffentlich und privat kritisieren und Angelegenheiten von öffentlichem Interesse erörtern, ohne Angst vor offiziellen Repressalien zu haben. Die Gesetze verbieten Aussagen, welche die territoriale Integrität des Landes bedrohen, Kriege fördern, Rassen-oder Religionskonflikte auslösen oder die russische Aggression gegen das Land unterstützen, und die Regierung verfolgt Personen gemäß dieser Gesetze. Die Regierung setzte Maßnahmen um Informationen, Medien oder einzelne Journalisten zu verbieten bzw. zu blockieren, wenn diese als Bedrohung für die nationale Sicherheit betrachtet werden oder Positionen geäußert haben, die nach Ansicht der Behörden die Souveränität und territoriale Integrität des Landes untergraben. Die betrifft vor allem Medien russischer Herkunft oder pro-russischer Ausrichtung. Unabhängige Medien sind aktiv und bringe eine weite Bandbreite an Meinungen zum Ausdruck. In Privatbesitz befindliche Medien -die erfolgreichsten gehören einflussreichen Oligarchen -transportieren oft die Ansichten ihrer Eigentümer, günstige Berichterstattung für ihre Verbündeten und Kritik an politischen und geschäftlichen Rivalen. Unabhängige Medien haben Schwierigkeiten zu konkurrieren. Problematische Praktiken wirken sich weiterhin auf die Medienfreiheit aus, darunter Selbstzensur, günstige Berichterstattung gegen Geld ("Jeansa") und verzerrte Berichterstattung in Medienunternehmen, deren Eigentümer enge Verbindungen zur Regierung oder zu politischen Oppositionspartnern haben. Gewalt gegen Journalisten ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beklagen mangelnde Gegenmaßnahmen der Regierung. 2018 wurden bis September Angaben zufolge 22 Angriffe und 24 Drohungen gegen Journalisten gemeldet, verglichen mit 19 Angriffen und 22 Drohungen im selben Zeitraum 2017. Besonders betroffen ist Berichterstattung, welche als nicht ausreichend patriotisch empfunden wird. Rufmordklagen gegen Journalisten werden von Personen des öffentlichen Interesses immer wieder eingesetzt oder angedroht, um die Berichterstattung zu beeinflussen. Berichten zufolge hat sich die Freiheit des Internet in der Ukraine zum zweiten Mal in Folge verschlechtert, weil die Behörden stärker gegen Meinungsbekundungen von Social Media-Nutzern vorgehen, die als kritisch gegenüber der Position der Ukraine im Donbass-Konflikt wahrgenommen werden. Einer Medienbeobachtungsgruppe zufolge haben die Behörden 2017 gegen 40 Benutzer oder Administratoren von Social-Media-Plattformenstrafrechtliche Ermittlungen eingeleitet, weil ihre Inhalte die verfassungsmäßige Ordnung des Landes untergraben oder die nationale Sicherheit gefährdet hätten; 37 von ihnen wurden vor Gericht gestellt. Besonders "separatistische" oder "extremistische" Aktivitäten wurden 2018 besonders geahndet; User wurden festgenommen zu Geld-oder Haftstrafen verurteilt (USDOS 13.3.2019). Das unabhängige Institute of Mass Information registrierte von Januar bis November 2018 201 Verletzungen der Medienfreiheit. Von diesen Vorfällen betrafen 28 Gewalt sowie 27 Drohungen und Einschüchterungen. Die Gerichte und Strafverfolgungsbehörden der Ukraine versagen manchmal beim Schutzder Rechte von Journalisten (FH 4.2.2019).

Mit Ausnahme eines Verbots der Kommunistischen Partei von 2015 gibt es keine formellen Hindernisse für die Gründung und den Betrieb politischer Parteien. In den letzten Jahren sind mehrere politische Parteien entstanden. Ein Gesetz aus dem Jahr 2016 regelt die staatliche Finanzierung im Parlament vertretener Parteien. Oppositionsgruppen sind im Parlament vertreten, und ihre politischen Aktivitäten werden im Allgemeinen nicht durch administrative Beschränkungen behindert. Neue Kleinparteien haben Schwierigkeiten mit etablierten Parteien zu konkurrieren, welche die Unterstützung politisch vernetzter Oligarchen genießen (FH 4.2.2019).

Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der ungestörten Religionsausübung wird von der Verfassung garantiert und von der Regierung in ihrer Politik gegenüber Kirchen und Religionsgemeinschaften respektiert (AA 22.2.2019). Laut Befragungen sind 68,2 Prozent der Ukrainer christlich-orthodox. Davon gehören 26,5 Prozent zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Kiewer Partiartchats (UOC-KP), 12 Prozent zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Partiartchats (UOC-MP), 1,1 Prozent zur ukrainisch-autokephalen Kirche (UAOC) und 24,3 Prozent bezeichnen sich als "schlicht orthodox". 7,8 Prozent der Ukrainer sind griechisch-katholisch, 1,3 Prozent jüdisch, 1 Prozent römisch-katholisch, 0,8 Prozent protestantisch und 0,2 Prozent muslimisch. Weitere 7 Prozent identifizieren sich als "Christen" und 12,6 Prozent geben an, dass sie keiner religiösen Gruppe angehören (USDOS 29.5.2018). Kleinere religiöse Gruppen berichten jedoch weiterhin von einer gewissen Diskriminierung. Im Oktober 2018 erhielten ukrainisch-orthodoxe Kleriker die Erlaubnis der religiösen Behörden in Istanbul, dem historischen Sitz der östlichen orthodoxen Kirche, zur Errichtung einer eigenen autokephalen Kirche außerhalb der kanonischen Gerichtsbarkeit der russisch-orthodoxen Kirche. Im Dezember wurde diese neue orthodoxe Kirche der Ukraine gegründet, um die bestehenden Denominationen zu vereinigen. Der Kreml und die Kirchenführer in Moskau lehnen diesen Schritt entschieden ab. Es gibt Berichte, dass der ukrainische Geheimdienst aus Furcht vor Provokationen russisch-orthodoxe Kirchen und Priesterheime durchsuchte und Kleriker, die als loyal zu Moskau gelten, zum Verhör vorgeladen wurden. Diese Auseinandersetzung hindert jedoch die meisten Menschen nicht wesentlich daran, den Glauben ihrer Wahl zu praktizieren (FH 4.2.2019).

Haftbedingungen

Die Bedingungen in ukrainischen Haftanstalten und Gefängnissen liegen weiterhin unter internationalen Standards und sind zuweilen eine ernsthafte Bedrohung für Leben und Gesundheit der Gefangenen. Misshandlung, Mangel an medizinischer Versorgung und Ernährung, schlechte Hygiene und Mangel an Licht sind anhaltende Probleme. Es gibt Berichte über Misshandlung durch Wachpersonal und über Gewalt unter den Gefangenen. Die Bedingungen in polizeilichen ("temporären") Hafteinrichtungen und Untersuchungshafteinrichtungen sind härter als in Gefängnissen mit niedriger und mittlerer Sicherheitsstufe. Die temporären Haftanstalten haben oft ein Ungezieferproblem und es mangelt an sanitären und medizinischen Einrichtungen. Die Qualität der Lebensmittel in den Gefängnissen ist im Allgemeinen schlecht. Internationale Beobachter dokumentierten systemische Probleme bei der medizinischen Versorgung, Fehlen einer ärztlichen Schweigepflicht, mangelnde Dokumentation von Verletzungen und mangelnder Zugang zu Fachärzten, einschließlich gynäkologischer und psychiatrischer Versorgung. Es mangelt auch an Medikamenten aller Art, welche daher meist von den Häftlingen und ihren Angehörigen bereitgestellt werden müssen. Die Bedingungen in den Krankenrevieren der Gefängnisse sind schlecht und unhygienisch. Bürokratische und finanzielle Hürden verhindern die rasche Überführung von Insassen in städtische Krankenhäuser. Obwohl Häftlinge und Gefangene Beschwerden über die Haftbedingungen beim Menschenrechtsbeauftragten einreichen dürfen, berichten Menschenrechtsorganisationen, dass Gefängnisbeamte weiterhin Beschwerden zensieren oder entmutigen bzw. bestrafen. Die Behörden gehen Beschwerden nicht immer ordnungsgemäß nach. Es gibt auch Berichte, dass Beamte trotz gesetzlicher Besuchsrechte manchmal Bestechungsgelder verlangten um Besuchern Zugang zu den Gefangenen zu gewähren. Die Regierung erlaubt im Allgemeinen das unabhängige Monitoring von Gefängnissen und Haftanstalten durch internationale und lokale Menschenrechtsgruppen (USDOS 13.3.2019).

Die Haftbedingungen in ukrainischen Gefängnissen sind weiterhin Gegenstand wiederkehrender Kritik von Menschenrechtsorganisationen. Als Teil der allgemeinen Reformbemühungen der Ukraine ist derzeit auch eine Reform des Strafvollzugs im Gange, die auch aktiv von der EU unterstützt wird, sich jedoch noch in einem recht frühen Stadium befindet. Als Prioritäten für die anstehende Gefängnisreform nennt die Regierung eine bessere Bezahlung und Ausbildung des Gefängnispersonals, transparente Auswahlverfahren und eine "Demilitarisierung" der Personalstrukturen. Für eine tatsächliche und merkbare Verbesserung der Haftbedingungen in der Ukraine fehlen jedoch in erster Linie die budgetären Mittel, weshalb weiterhin viele Gefängnisse und dementsprechend auch die Haftbedingungen in diesen unter anderem auch unter Personalmangel leiden. Trotz eines Anstiegs der Zahl der Insassen sank das Budget 2018 unter das Niveau von 2017 (ÖB 2.2019). Es wurde eine Roadmap gegen Folter erstellt, die Maßnahmen enthält um die Ermittlungen in Folterfällen, die medizinische Versorgung in Gefängnissen, die Haftbedingungen und die Beschwerdemechanismen zu verbessern. Das Justizministerium hat zusammen mit Experten des Europarats neue Standards für das Gefängnismanagement erarbeitet (Gov 30.1.2019).

Die Art der Haftanstalt, in der ein Verurteilter seine Haftstrafe verbüßen muss, wird von den Behörden gemäß den ukrainischen Gesetzen festgelegt. Straftäter, welche zum ersten Mal für eine schwere oder besonders schwere Straftat eine Freiheitsstrafe verbüßen, werden in Haftanstalten des mittleren Sicherheitsniveaus untergebracht. Straftäter, welche zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt wurden oder denen eine Todesstrafe (zu einem Zeitpunkt als es diese in der Ukraine noch gab) in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt wurde, werden in Haftanstalten des maximalen Sicherheitsniveaus untergebracht. Ebenso betrifft dies Straftäter, welche für besonders schwere, in Haftanstalten des mittleren Sicherheitsniveaus begangene, vorsätzliche Verbrechen verurteilt wurden (VB 7.3.2019.)

Die Ombudsperson der Ukraine fungiert gleichzeitig als Nationaler Präventivmechanismus (NPM) des Optionalen Protokolls des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe. Unter dem NPM werden regelmäßige und unangekündigte Besuche von Haftanstalten durchgeführt. Der NPM bedient sich hierfür etablierter Menschenrechtsorganisationen. Die Verwaltungen der Haftanstalten zeigen sich bei derartigen Besuchen kooperativ. Da das Staatsbudget keine entsprechenden Mittel vorsieht, werden diese Besuche bislang über internationale Geldgeber finanziert. Zwischen 2012 und 2018 wurden 1.363 Kontrollbesuche im Rahmen des NPM durchgeführt (Gov 30.1.2019; vgl. ÖB 2.2019).

Todesstrafe

Die Todesstrafe wurde 1999 vom Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt, im Jahr 2000 abgeschafft und durch lebenslange Haft ersetzt. Die Ukraine ist Vertragsstaat des 13. Zusatzprotokolls zur EMRK (AA 22.2.2019).

Bewegungsfreiheit

Die Bewegungsfreiheit ist in der Ukraine generell nicht eingeschränkt; im Osten des Landes jedoch ist diese aufgrund der Kampfhandlungen faktisch eingeschränkt (FH 4.2.2019).

Die Ausreisefreiheit wird (vorbehaltlich gesetzlicher Einschränkungen) von der Verfassung jedermann garantiert (Art. 33 Absatz 1). Ausreisewillige ukrainische Staatsangehörige müssen über einen Reisepass verfügen, der auf Antrag und gegen Gebühr ausgestellt wird. Bei Ausreise zur ständigen Wohnsitznahme im Ausland ist zudem zuvor ein gebührenpflichtiger Sichtvermerk des Staatlichen Migrationsdienstes (DMSU) einzuholen und dem Zoll eine Bestätigung des zuständigen Finanzamts vorzulegen, dass sämtliche steuerlichen Verpflichtungen erfüllt wurden. Weitergehende Verpflichtungen sind seit 1. Oktober 2016 entfallen. Die ukrainischen Grenzschutzbehörden kontrollieren an der Grenze, ob ein gültiger Reisepass und gegebenenfalls ein Visum des Ziellandes vorliegen, der Ausreisende in der Ukraine zur Fahndung ausgeschrieben ist oder andere Ausreisehindernisse bestehen. Ausgereist wird vornehmlich auf dem Landweg. Derzeit liegen keine Erkenntnisse vor, dass bei männlichen Reisenden an der Grenze der Status ihrer Wehrpflicht überprüft wird (AA 22.2.2019).

IDPs und Flüchtlinge

Die Zahl der vom ukrainischen Sozialministerium registrierten Binnenflüchtlinge (Internally Displaced Persons - IDPs) lag gemäß der neu errichteten IDP-Datenbank des ukrainischen Sozialministeriums am 22.4.2019 bei 1.370.000 Personen (UNHCR 4.2019). Diese erhalten (nur) durch die Registrierung Zugang zu Sozialleistungen. Nach Angaben von UNHCR halten sich darüber hinaus ca. 1,55 Mio. Ukrainer in Nachbarländern, v.a. in Russland und Belarus, auf (Asyl und andere legale Formen des Aufenthalts) (AA 22.2.2019

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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