TE Bvwg Erkenntnis 2019/11/12 W215 1433878-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.11.2019
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Entscheidungsdatum

12.11.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W215 1433874-3/18E

W215 1433877-3/13E

W215 1433879-3/9E

W215 1433878-3/10E

W215 2139184-1/10E

W215 2196237-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. STARK über die Beschwerden von 1) XXXX , geb. XXXX , 2) XXXX , geb. XXXX , 3) XXXX , geb. XXXX , 4) XXXX , geb. XXXX , 5) XXXX , geb. XXXX , und 6) XXXX , geb. XXXX , alle Staatsangehörigkeit Republik Kasachstan, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 1), 2), 3), 4) und 5) 12.10.2016 sowie vom 6) 04.04.2018, Zahlen 1) 621183504-2398540, 2) 621183602-2398582, 3) 831385709-2398625, 4) 831385807-1398639, 5) 1022362404-14740837 und 6) 1174858602-171317778, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden jeweils gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG), in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012, § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG,

§ 57 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG, in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, § 52 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG), in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, und § 55 FPG, in der Fassung BGBl I Nr. 68/2013, als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist jeweils gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz,

BGBl Nr. 1/1930 (B-VG), in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer (P1) ist in zweiter Ehe mit der Zweitbeschwerdeführerin (P2) verheiratet, beide sind die Eltern der minderjährigen Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer

(P3 bis P6).

P1 hat aus seiner ersten Ehe mit seiner im Jahr XXXX verstorbenen Ehegattin zwei Kinder, die ebenfalls mit den Beschwerdeführern ins Bundegebiet eingereist sind, aber nicht mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben. Bei den beiden älteren den Kindern von P1 aus erster Ehe handelt es sich um den 7) volljährigen XXXX , und die

8) minderjährige XXXX . Sie sind bei ihrem im Bundesgebiet nach dem NAG aufenthaltsberechtigten Onkel XXXX und ihrer Tante XXXX wohnhaft; der Onkel hat zudem mit Einverständnis von P1 die Pflege und Erziehung der minderjährigen XXXX übernommen.

Die Verfahren von 7) XXXX sind zu den Zahlen 7a) W215 1433875-3 und

7b) W215 1433875-4 beim Bundesverwaltungsgericht beschwerdeanhängig, das Verfahren von 8) XXXX zur Zahl 8) W215 1433876-3. Diese Verfahren werden ebenfalls mit Erkenntnissen vom heutigen Tag, Zahlen 7a) W215 1433875-3/23E und

7b) W215 1433875-4/16E sowie 8) W215 1433876-3/12E, entschieden.

1. Asylverfahren P1 bis P4:

P1 bis P4 reisten gemeinsam, mit beiden oben genannten älteren Kindern von P1, aus erster Ehe problemlos und legal mit ihren kasachischen Auslandsreisepässen aus der Republik Kasachstan aus und zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt illegal nach Österreich ein. P1 und P2 stellten für sich und die minderjährigen Kinder am 04.02.2013 die ersten Anträge auf internationalen Schutz.

Als Fluchtgrund gaben P1 und P2 zusammengefasst an, dass P2 für XXXX gearbeitet habe und während XXXX gestohlen worden sei. Die Polizei habe P2 in den folgenden Monaten mehrmals sehr lange einvernommen und P2 der Tatbegehung beschuldigt. Aus diesem Grund sei die Familie geflüchtet.

Mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 07.03.2013, Zahlen 1) 13 01.488-BAT,

2) 13 01.489-BAT, 3) 13 01.493-BAT und 4) 13 01.494-BAT, wurden diese ersten Anträge auf internationalen Schutz vom 04.02.2013 jeweils in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm

§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kasachstan abgewiesen und die Beschwerdeführer in Spruchpunkt III. des Bescheides gemäß

§ 10 Abs. 1 Z 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Kasachstan ausgewiesen. In den Verfahren der beiden älteren Kinder von P1 wurde zeit- und inhaltsgleich entschieden.

Gegen die Bescheide des Bundesasylamtes vom 07.03.2013, Zahlen 1) 13 01.488-BAT,

2) 13 01.489-BAT, 3) 13 01.493-BAT und 4) 13 01.494-BAT, eingebrachte Beschwerde wurden mit rechtskräftigen Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 27.08.2013, Zahlen

1) D7 433874-1/2013/5E, 2) D7433877-1/2013/5E, 3) D7 433879-1/2013/5E und 4) D7 433878-1/2013/5E, gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 AsylG,

§ 8 Abs. 1 Z 1 AsylG und § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG als unbegründet abgewiesen. In den Verfahren der beiden älteren Kinder von P1 wurde zeit- und inhaltsgleich entschieden.

2. Asylverfahren P1 bis P4 bzw. erste Asylverfahren P5 und P6:

Nach rechtskräftigem Abschluss der ersten Asylverfahren kamen die Beschwerdeführer ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nach, blieben illegal im Bundesgebiet und P1 und P2 brachten für sich, P3, P4 und die beiden älteren Kinder von P1 aus erster Ehe, am 25.09.2013 die gegenständlichen (zweiten) Anträge auf internationalen Schutz ein.

Im Rahmen ihrer Erstbefragung am 25.09.2013 und ihren niederschriftlichen Befragungen im Bundesasylamt vom 09.10.2013 und 22.10.2013 wiederholten P1 und P2 ihre Fluchtgründe aus den ersten Asylverfahren und brachten wieder vor, dass P2 von der kasachischen Polizei wegen des Diebstahls XXXX gesucht werde. P1 und P2 würden nunmehr über neue Beweise zu verfügen, so hätten sie aus der Zeitung erfahren, dass der Bruder von P1 in der Republik Kasachstan in diesem Zusammenhang unschuldig zu sieben Jahren Haft verurteilt und ins Gefängnis gebracht worden sei.

Die zweiten Anträge auf internationalen Schutz wurden mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 05.12.2013, Zahlen 1) 13 13.852-EAST West, 2) 13 13.853-EAST West, 3) 13 13.857-EAST West und 4) 13 13.858-EAST West, in Spruchpunkt I. gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und die Beschwerdeführer in Spruchpunkt II. der Bescheide gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach "Kasachstan Föderation" (Anmerkung: wörtliches Zitat) ausgewiesen. In den Verfahren der beiden älteren Kinder von P1 wurde zeit- und inhaltsgleich entschieden.

Den dagegen erhobenen Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht wurde mit Beschlüssen vom 31.01.2014, Zahlen 1) W215 1433874-2/4Z, 2) W215 1433877-2/6Z,

3) W215 1433879-2/6Z und 4) W215 1433878-2/4Z, zunächst gemäß § 17 Abs. 1 Z 1 und

Abs. 4 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt. In den Verfahren der beiden älteren Kinder von P1 wurde zeit- und inhaltsgleich entschieden.

Am 31.01.2014 wurde gegen P1 eine Wegweisung und ein Betretungsverbot ausgesprochen.

Mit Beschlüssen des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.02.2014, Zahlen

1) W215 1433874-2/6E, 2) W215 1433877-2/7E, 3) W215 1433879-2/7E und

4) W215 1433878-2/5E, wurde den Beschwerden gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG stattgegeben, die bekämpften Bescheide wegen Ermittlungsmängeln behoben und an das (mit 01.01.2014 neu eingerichtete) Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Erlassung neuer Bescheide zurückverwiesen. In den Verfahren der beiden älteren Kinder von P1 wurde zeit- und inhaltsgleich entschieden.

Nach der Geburt von P5 im Bundesgebiet stellte P2 für diesen am 16.06.2014 als dessen gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren.

Im fortgesetzten Verfahren wurden P1 und P2 neuerlich im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftliche und zu ihren Fluchtgründen, ihren Lebensumständen in der Republik Kasachstan sowie ihrer Integration in Österreich befragt.

Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX , XXXX , rechtskräftig seit XXXX , wurden P1 und P2 wegen des Vergehens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 Abs. 1 1. Fall, 15 Abs. 1 StGB jeweils zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheiden vom 12.10.2016, Zahlen 1) 621183504-2398540, 2) 621183602-2398582, 3) 831385709-2398625,

4) 831385807-1398639 und 5) 1022362404-14740837, die Anträge von P1 bis P5 auf internationalen Schutz vom 25.09.2013 (Anmerkung: im Spruch steht "04.02.2013", gemeint wohl: 25.09.2013) hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß

§ 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kasachstan gemäß

§ 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.). In Spruchpunkt III. wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen P1 bis P5 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Kasachstan zulässig ist und ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt III.). In den Verfahren der beiden älteren Kinder von P1 wurde zeit- und inhaltsgleich entschieden.

Gegen diese Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.10.2016, Zahlen 1) 621183504-2398540, 2) 621183602-2398582, 3) 831385709-2398625,

4) 831385807-1398639 und 5) 1022362404-14740837, zugestellt am 17.10.2016, erhoben P1 und P2 für sich und P3 bis P5 fristgerecht am 27.10.2016 Beschwerden an das Bundesverwaltungsgericht. Dabei brachten sie im Wesentlichen vor, dass P2 in ihrem Heimatland beschuldigt worden sei, einen XXXX gestohlen zu haben und von der Polizei ca. zwölfmal einvernommen worden sei. Wären sie nicht nach Österreich geflohen, hätte P2 unschuldig ins Gefängnis gehen müssen, wo sie menschenunwürdigen Haftbedingungen ausgesetzt gewesen wäre. Im Fall einer Rückkehr würde die Familie in eine existenzielle Notlage geraten. Ferner seien sie in Österreich bereits gut integriert. In den Verfahren der beiden älteren Kinder von P1 wurde zeit- und inhaltsgleich entschieden.

Die Beschwerdevorlagen vom 08.11.2016 langten am 09.11.2016 im Bundesverwaltungsgericht ein.

Am XXXX wurde gegen P1 eine weitere Wegweisung/Betretungsverbot ausgesprochen.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX , XXXX rechtskräftig seit XXXX , wurde P1 wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Wochen verurteilt, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Nach der Geburt von P6 im Bundesgebiet wurde für diesen am 24.11.2017 von P2 als gesetzliche Vertreterin ein Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren gestellt.

P2 wurde am 29.03.2018 im Asylverfahren betreffend P6 niederschriftliche befragt und mit Bescheid vom 04.04.2018, Zahl 1174858602-171317778, wurde der Antrag von P6 auf internationalen Schutz vom 24.11.2017 in Spruchpunkt I. hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. In Spruchpunkt II. wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kasachstan gemäß § 8 Abs. 1 iVm

§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. In Spruchpunkt III. wurden gemäß § 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gemäß

§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Kasachstan zulässig ist. In Spruchpunkt IV. wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Gegen diesen Bescheid wurde am 24.04.2018 fristgerecht Beschwerde erhoben.

Mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft XXXX vom 01.02.2019 wurde mitgeteilt, dass P1 die Ausübung der Pflege und Erziehung betreffend seine Tochter aus erster Ehe, 8) XXXX , an XXXX , abgibt.

Zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde für den 08.04.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumt, zu der P1 und P2, zugleich auch als gesetzliche Vertreter für P3 und P6, in Begleitung ihrer zur Vertretung bevollmächtigten Rechtsberaterin erschienen. Im Rahmen der Verhandlung wurde auch der volljährige Sohn von P1 aus erster Ehe, 7) XXXX , befragt. Weiters anwesend war ein Vertreter des ordnungsgemäß geladenen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. P1 und P2 machten, ebenso wie der volljährige Sohn von P1 aus erster Ehe, auf Befragen Angaben zu ihren persönlichen Verhältnissen und Fluchtgründen. In der Verhandlung wurden die Quellen der zur Entscheidungsfindung herangezogenen Länderinformationen dargetan, auf deren Einsichtnahme und Ausfolgung die Beschwerdeführer und ihre Vertreterin verzichteten.

Mit Schreiben vom 18.04.2019 nahmen P1 und P2 zur aktuellen Lage in der Republik Kasachstan Stellung und führten aus, dass sich die Situation von Kindern insgesamt als prekär darstelle und hinsichtlich der Rückkehrentscheidung insbesondere auch das Kindeswohl besonders zu berücksichtigen sei. P3 und P4 würden sich seit mittlerweile sechs Jahren durchgängig im Bundesgebiet aufhalten und P5 und P6 seien in Österreich geboren. Besonders bei den älteren Kindern habe im Bundesgebiet eine Sozialisation stattgefunden. Besonders stelle sich hierbei die Situation der Tochter von P1 aus erster Ehe dar, die nicht mehr mit ihrem Vater P1, dessen Ehegattin P2 und ihren restlichen minderjährigen Geschwistern in einem gemeinsamen Haushalt lebe. Diese lebe mit ihrem Onkel in einem gemeinsamen Haushalt, dem von der zuständigen Behörde die Pflege und Erziehung übertragen worden sei. Hinsichtlich der Tochter von P1 aus erster Ehe sei daher gesondert zu prüfen, ob gegen diese eine Rückkehrentscheidung erlassen werden könne und ob diese gemeinsam mit ihrem Vater P1 und dessen Ehegattin P2 nach Kasachstan - ein Land, das ihr vollkommen fremd sei und in dem sie zu niemanden Anschluss außer ihrer Kernfamilie habe, mit der sie allerdings nicht mehr in gemeinsamen Haushalt lebe - abgeschoben werden könne.

Mit Schreiben vom 10.05.2019 legten die Beschwerdeführer ergänzende Unterlagen vor, darunter ein Schreiben der XXXX vom 12.04.2019 betreffend die Integration von P2 (Teilnahme an Sprachkaffees und Frauentreffen).

Mit Schreiben vom 21.05.2019 übermittelte die zuständige Bezirkshauptmannschaft dem Bundesverwaltungsgericht aufgrund der problematischen Familiensituation der Tochter von P1 aus erster Ehe einen Bericht, wonach sie tätlichen Übergriffen und verbalen Verletzungen von P2 ausgesetzt gewesen sei. In einer Gesamtschau habe der Kinder- und Jugendhilfeträger eine Kindeswohlgefährdung bei 8) XXXX festgestellt und deshalb eine Maßnahme der vollen Erziehung begründet. Angesichts des beschriebenen Sachverhalts und der Kindeswohlgefährdung sei aus Sicht des Kinder- und Jugendhilfeträgers bei einem negativen Bescheid im Asylverfahren eine Abschiebung von 8) XXXX mit ihrer Familie nicht zumutbar. Beim obsorgeberechtigten Vater P1 bestehe keine Problemeinsicht und sei er nicht in der Lage, seine Tochter ausreichend zu schützen.

Mit Schreiben vom 05.09.2019 legten P1 und P2 ein Schreiben eines XXXX vor, mit dem P4 zu Schulstart willkommen geheißen wurde, und brachten darüber hinaus vor, dass dem Kindeswohl besondere Gewichtung bei der Gesamtbetrachtung der Abwägungskriterien nach § 9 BFA-VG zukomme. Insbesondere im Fall der minderjährigen Beschwerdeführer würden die privaten Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässigen Beschwerden erwogen:

1. Feststellungen:

1. P1 ist in zweiter Ehe mit P2 verheiratet, beide sind die Eltern der minderjährigen P3 und P4 sowie der im Bundesgebiet geborenen P5 und P6.

P1 hat darüber hinaus mit seiner im Jahr XXXX verstorbenen Ehefrau aus erster Ehe zwei Kinder, die ebenfalls mit P1 und P2 eingereist sind, aber nicht mehr mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben. Bei den Kindern von P1 aus erster Ehe handelt es sich um den 7) volljährigen XXXX , und die 8) minderjährige XXXX . Sie sind bei ihrem im Bundesgebiet nach dem NAG aufenthaltsberechtigten Onkel XXXX und ihrer Tante XXXX wohnhaft, der Onkel hat zudem mit Einverständnis des Vaters P1 die Pflege und Erziehung von XXXX übernommen.

Die Verfahren von 7) XXXX sind zu den Zahlen 7a) W215 1433875-3 und

7b) W215 1433875-4 im Bundesverwaltungsgericht beschwerdeanhängig, das Verfahren von 8) XXXX befindet sich zu der Zahl 8) W215 1433876-3 in Beschwerde. Eine Entscheidung in diesen Verfahren ergeht ebenfalls mit heutigem Tage, Zahlen 7a) W215 1433875-3/23E und 7b) W215 1433875-4/16E sowie 8) W215 1433876-3/12E.

Die Identitäten von P1 und P2 stehen fest, jene ihrer Kinder P3 bis P6 können nicht festgestellt werden. P1 bis P6 sind Staatsangehörige der Republik Kasachstan, gehören der Volksgruppe der Kasachen an und sind muslimischen Glaubens. Die Familie stammt aus XXXX . Die Muttersprache der Beschwerdeführer ist Kasachisch, sie beherrschen darüber hinaus auch Russisch.

2. Es kann nicht festgestellt werden, dass P2 in der Republik Kasachstan beschuldigt wurde, am Diebstahl XXXX beteiligt gewesen zu sein, deshalb einer Verfolgung durch die kasachische Polizei ausgesetzt war und die Familie deshalb die Republik Kasachstan verlassen hat. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass P2 im Fall einer Rückkehr eine Verfolgung durch die kasachische Polizei zu befürchten hätte.

3. Im gegenständlichen Verfahren können keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass die gesunden Beschwerdeführer im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Republik Kasachstan einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe oder sonst einer konkreten individuellen Gefahr ausgesetzt sein werden.

P1 bis P4 stammen aus XXXX und waren dort bis zu ihrer Ausreise in einer Eigentumswohnung wohnhaft.

P1 besuchte von XXXX die Grundschule und schloss im Jahr XXXX die Mittelschule ab. Er ist von Beruf XXXX und arbeitete bis zum Jahr XXXX als XXXX . Danach war er bis zur Ausreise als XXXX tätig.

P2 besuchte in der Republik Kasachstan von XXXX die Schule und studierte anschließend an der Universität, wo sie im Jahr XXXX ein Studium als XXXX abschloss. Sie arbeitete danach bis zu ihrer Ausreise als XXXX . P1 und P2 bezogen in der Republik Kasachstan staatliches Kindergeld und waren immer in der Lage, den Lebensunterhalt für die Familie zu bestreiten.

P3 schloss in der Republik Kasachstan die XXXX ab und besuchte zum Ausreisezeitpunkt die XXXX Klasse. P4 besuchte in XXXX .

Die Beschwerdeführer verfügen nach wie vor über (enge) Familienangehörige in der Republik Kasachstan. P1 hat im Herkunftsstaat noch drei Brüder und eine Schwester, zudem leben noch die Eltern und vier Geschwister von P2 nach wie vor in der Republik Kasachstan. Die Familienangehörigen der Beschwerdeführer halten sich überwiegend in XXXX auf. Es kann insgesamt nicht festgestellt werden, dass P1 bis P6 im Fall ihrer Rückkehr in die Republik Kasachstan in eine ihre Existenz gefährdende Notsituation geraten würden. So sind P1 und P2 nach wie vor Eigentümer jener Wohnung, in welcher sie bereits vor ihrer Ausreise gewohnt haben. Selbst falls die Wohnung nicht mehr im Eigentum der Beschwerdeführer stehen würde, wäre es ihnen jedenfalls zumutbar, nach ihrer Rückkehr in einem gemieteten Objekt zu wohnen. Zudem ist davon auszugehen, dass auch die zahlreichen in XXXX wohnhaften Familienangehörigen P1 bis P6 beim Aufbau einer Existenz unterstützen und die Beschwerdeführer - sollten sie nicht unmittelbar in ihre Eigentumswohnung zurückkehren können bzw. erst nach einem geeigneten Mietobjekt suchen müssen - für die Anfangszeit auch bei ihren Verwandten Unterkunft finden könnten. Die Existenz von P1 bis P6 ist im Falle ihrer Rückkehr durch mögliche Erwerbstätigkeit von P1 und P2 gesichert, zumal beide über eine abgeschlossene Ausbildung verfügen und vor ihrer Ausreise in unterschiedlichen Bereichen erfolgreich berufstätig waren. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass P1 bis P6 auch auf die Hilfe ihrer vielen Familienangehörigen zählen können.

4. P1 bis P4 reisten illegal nach Österreich ein und P1 und P2 stellten für sich sowie P3 und P4 am 04.02.2013 die ersten Anträge auf internationalen Schutz. Nach rechtskräftig negativem Abschluss ihrer ersten Asylverfahren verblieben P1 bis P4 trotz bestehender Ausreiseverpflichtung illegal im Bundesgebiet und P1 und P2 stellten am 25.09.2013 gegenständliche zweite bzw. für P5 und P6 nach deren Geburt die ersten Anträge auf internationalen Schutz. Die Beschwerdeführer verfügten nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb der Asylverfahren und P1 und P2 mussten sich somit ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst sein.

P1 und P2 haben in Österreich Deutschkurse besucht, wobei nur P2 eine Deutschprüfung ablegte und zuletzt am XXXX die B1-Deutschprüfung positiv absolvierte. P1 besuchte lediglich A1 Deutschkurse und zeigte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, dass er trotz mehr als sechsjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet kaum Deutsch spricht. P2 konnte sich in der mündlichen Verhandlung gebrochen in Deutsch ausdrücken.

P1 und P2 wurden mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX , XXXX , rechtskräftig seit XXXX , wegen des Vergehens des teils vollendeten, teils versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 Abs. 1 1. Fall, 15 Abs. 1 StGB jeweils zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. P1 wurde zudem mit Urteil des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX , rechtskräftig XXXX , XXXX , wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Wochen verurteilt, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. P1 und P2 zeigten in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich ihrer strafgerichtlichen Verurteilungen kein Unrechtsbewusstsein, sondern versuchten die Diebstähle vielmehr damit zu rechtfertigen, im Rahmen der österreichischen Grundversorgung zu wenig Geld für Kinderbekleidung erhalten zu haben.

Alle Beschwerdeführer leben ausschließlich von der österreichischen Grundversorgung. P2 arbeitete nach eigenen Angaben lediglich im Jahr XXXX von XXXX vier Monate bei einer Firma, die Essen für Flüchtlinge zubereitete und verdiente dabei drei Euro pro Stunde. P2 nimmt zudem zweimal im Monat an einem Sprachkaffee teil. P1 war in Österreich nie legal erwerbstätig und zeigte auch kein ehrenamtliches Engagement. Allfällige Freundschaften der Beschwerdeführer sind zu einem Zeitpunkt geschlossen worden, als sie sich ihres unsicheren Aufenthaltes bewusst gewesen sein mussten.

P3 besuchte in Österreich die XXXX und ist derzeit in der XXXX Klasse einer XXXX . P4 wurde in Österreich eingeschult und besucht aktuell die XXXX Klasse eines XXXX . P5 wurde im Jahr XXXX in Österreich geboren und besucht aktuell den XXXX , P6 wurde im Jahr XXXX in Österreich geboren und wird zu Hause von seinen Eltern betreut.

Die Kinder von P1 aus erster Ehe lebten zunächst gemeinsam mit ihrem Vater P1, dessen Ehegattin P2 und ihren Halbgeschwistern in einer Flüchtlingsunterkunft. Zwischen P2 und 8) XXXX kam es jedoch wiederholt zu teils handgreiflichen Konflikten und bestand bei P1 diesbezüglich keine Problemeinsicht. Angesichts der problematischen Familiensituation erfolgte am XXXX mit Einverständnis von P1 die Übergabe der Pflege und Erziehung durch die zuständige Bezirkshauptmannschaft an den in Österreich nach dem NAG aufenthaltsberechtigten Onkel XXXX . XXXX befindet sich seit XXXX im Rahmen einer freiwilligen Maßnahme der vollen Erziehung auf Grundlage einer Vereinbarung mit dem Kinder- und Jugendhilfeträger bei ihrem Onkel XXXX und ihrer Tante XXXX in Pflege und Erziehung. Während 8) XXXX zu ihrem Vater und dessen zweiter Ehegattin kein enges Verhältnis pflegt und seit mehreren Monaten mit ihnen nicht mehr in einem gemeinsamen Haushalt wohnt, führt sie ein schützenswertes Familienleben mit ihrem Onkel und ihrer Tante, wo sie sich geborgen fühlt und altersadäquat entwickeln kann.

Auch 7) XXXX , der volljährige Sohn von P1 aus erster Ehe, verfügt schon seit längerem über keinen gemeinsamen Wohnsitz mit P1 bis P6 und ist ebenfalls bei seinem Onkel und seiner Tante gemeldet.

5. Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer wird festgestellt:

Politische Lage

Kasachstan hatte im Juli 2018 mehr als 18,7 Millionen Einwohner (CIA Factbook last update 27.10.2019, abgefragt am 05.11.2019).

Kasachstan ist mit einer Fläche von 2.724.900 km² der neuntgrößte Staat der Erde. Kasachstan grenzt an China, Kirgisistan, Turkmenistan, Usbekistan und Russland (LIP Überblick Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019).

Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew hat am 19.03.2019 in einer TV-Ansprache seinen Rücktritt vom Amt erklärt. Der heute 78-jährige war ab 1989 KP-Chef der Sowjetrepublik und wurde seit der Unabhängigkeit Kasachstans 1991 fünfmal zum Präsidenten gewählt. Seine Amtszeit sollte eigentlich erst 2020 auslaufen (Standard 20.03.2019). Übergangspräsident Kassym-Schomart Tokajew hat die Wahl zum Staatsoberhaupt am 09.06.2019 wie erwartet gewonnen (Standard 10.06.2019). Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen in Kasachstan verkündete die zentrale Wahlkommission am 09.06.2019 den Sieg von Interimspräsident Kasym-Schomart Tokajew. Tokajew, welcher nach dem Rücktritt des langjährigen Regierungschefs Nursultan Nasarbajew im März 2019 zum Übergangspräsident ernannt worden war, gewann mit 70,8% der Stimmen. Der Oppositionspolitiker und ehemalige Journalist, Amirschan Kosanow, lag mit 16% an zweiter Stelle. Der OSZE zufolge seien die Wahlen jedoch nicht frei und fair abgelaufen. Rund um die Wahl kam es zu zahlreichen Protesten in ganz Kasachstan. Es wurden hunderte Personen teils gewaltsam von kasachischen Sicherheitskräften festgenommen. Die Demonstranten hatten gegen die sozialen Missstände und Korruption protestiert. Insgesamt sollen Medienangaben zufolge 670 Personen inhaftiert worden sein, davon wurden 311 Inhaftierte bereits wieder freigelassen. Etwa 280 Personen erhielten Geldstrafen oder Verwarnungen (BAMF 17.06.2019).

Am 09.06.2019 gewann Amtsinhaber Tokajew bei einer offiziellen Wahlbeteiligung von 77% die Präsidentschaftswahlen mit 70,9% der abgegebenen Stimmen. Die Wahlen wurden in Nur-Sultan, Almaty und Schimkent von Protestdemonstrationen begleitet, bei denen nach Angaben des Innenministeriums 500 Personen festgenommen wurden. Am 10.06.2019 kam die Wahlbeobachtungsmission von OSZE/ODIHR in ihrem vorläufigen Abschlussbericht zu dem Ergebnis, dass die Präsidentschaftswahl technisch gut organisiert, aber durch einen Mangel an Beachtung fundamentaler Rechte, wie dem auf friedlichen Protest, und zahlreiche Unregelmäßigkeiten gekennzeichnet war (ZA 28.06.2019).

Das unabhängige Kasachstan hatte sich 1993 seine erste - parlamentarische - Verfassung gegeben. Schon 1995 wurde sie ersetzt durch eine neue Konstitution, die orientiert an der französischen, einen starken Präsidenten etabliert. Durch mehrere Verfassungsänderungen wurden dessen Kompetenzen auf Kosten von Regierung und Parlament noch erweitert (Anfang 2017 erstmals in wenigen Punkten eingeschränkt). Der Präsident bestimmt die Richtlinien der Politik und hat weitgehende Rechte bei der Besetzung wichtiger Ämter. Er hat das Vorschlagsrecht für den Premier- und die wichtigsten Minister, und ernennt und entlässt die Regierung, wie auch die Akime (Gouverneure) der Gebiete des Landes. Der Präsident hat das Recht das Parlament aufzulösen und ist Oberbefehlshaber der Armee. Grundsätzlich besteht eine Begrenzung auf zwei Amtszeiten. Für den Präsidenten des unabhängigen Kasachstan gelten allerdings Sonderregelungen. Der Präsident wird vom Volk gewählt. Die Regierung ist dem Präsidenten gegenüber verantwortlich und rechenschaftspflichtig gegenüber dem Parlament. Ihre Struktur wird durch Neu- und Umverteilung von Aufgaben zwischen den Ressorts immer wieder verändert. Das Parlament besteht seit 1995 aus zwei Kammern: dem Senat und der Madschilis. Der Senat hat 47 Sitze. 15 Senatoren werden direkt vom Präsidenten ernannt, 32 von den Volksvertretungen der Gebiete für sechs Jahre gewählt. Die Madschilis, das Unterhaus des Parlamentes, hat 107 Sitze. 98 Abgeordnete werden alle fünf Jahre nach Parteilisten von der Bevölkerung gewählt, neun Sitze von der Versammlung des Volkes Kasachstans, einer speziellen Vertretung der vielen Nationalitäten des Landes, besetzt. Nach der Verfassung haben beide Kammern des Parlaments einige gemeinsame Kompetenzen (z.B. Bestätigung von Verfassungsänderungen, Annahme des Haushalts), viele weitere sind getrennt. Faktisch folgen beide den Wünschen des Präsidenten. Schon nach den Buchstaben der Verfassung hat der Präsident weitgehende Vollmachten, de facto bestimmt er die Politik des Landes. Eine Teilung der Gewalten ist nicht gegeben. Kasachstan hat eine regionale Verwaltungsgliederung von der Sowjetunion geerbt. Nach mehreren Verwaltungsreformen und Zusammenlegungen hat das Land heute 14 Gebiete und drei Städte von republikweiter Bedeutung (Nur-Sultan [vormals Astana], Almaty, Schimkent). Bei der Größe des Landes unterscheiden sich die natürlichen wie sozioökonomischen Verhältnisse in den einzelnen Gebieten stark. Flächenmäßig am größten ist das Gebiet Karaganda (428.000 km²), die höchste Bevölkerungsdichte hat das Gebiet Turkestan (2.788.000 Einwohner, =19,5/km²). Den Gebieten steht ein vom Präsidenten eingesetzter Akim (Gouverneur) vor. Die Gebietsparlamente werden von der Bevölkerung gewählt (LIP Geschichte und Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019).

Kasachstan erlangte seine Unabhängigkeit im Dezember 1991. Das Land ist eine Republik mit starker Stellung des Präsidenten. Das Parlament hat zwei Kammern: den Senat (Oberhaus) mit 47 Sitzen, Mazhilis (Unterhaus) mit 107 Sitzen. Dominante politische Kraft ist die Partei "Nur Otan" ("Licht des Vaterlands"). Bei den Unterhauswahlen im Jahr 2016 erhielt sie 82% der Stimmen. Die vorgezogenen Präsidentenwahlen am 09.06.2016 gewann der bisherige Senatspräsident Kassim-Schomart Tokajew mit ca. 71% der Stimmen. Tokajew knüpft an die Politik seines Vorgängers an und treibt ein umfangreiches Reformprogramm voran (AA politisches Porträt Stand 02.10.2019, abgefragt am 04.11.2019).

Kasachstan ist auch aktives Mitglied in einer Vielzahl internationaler Organisationen wie der UN und ihren Unterorganisationen, (seit 01.01.2017 mit einem nichtständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat), der ECO, der OSCE (Vorsitz 2010) und der OIC (Vorsitz 2011). Nach langjährigen Verhandlungen wurde Kasachstan am 30.11.2015 Mitglied der WTO. Im eurasischen Raum gehört es folgenden Bündnissen an: GUS, Shanghai Cooperation Organisation (SCO), Collective Security Treaty Organization (CSTO), Eurasian Economic Union (LIP Geschichte und Staat Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019).

Russland spielt in der kasachstanischen Außenpolitik eine ganz besondere Rolle; zwar hat es im bilateralen Verhältnis immer wieder kleinere Probleme gegeben, die kasachstanische Elite ist aber grundsätzlich Russland freundlich. Die Vorgänge in der Ukraine seit dem Frühjahr 2014 stellen aber ganz neue Herausforderungen. Kasachstan sieht sich jetzt nicht mehr nur mit Überlegungen einzelner russischer Nationalisten über eine ethnische oder historische Zugehörigkeit seines Nordens zur Russischen Föderation konfrontiert, sondern das Beispiel der Annexion der Krim und Äußerungen des russischen Präsidenten werden in Kasachstan ebenfalls als Gefahr für seine territoriale Integrität und Staatlichkeit wahrgenommen - und als Problem für die bewährte Multi-Vektoren-Politik. Die noch aus der Sowjetzeit stammenden und seither an die Russische Föderation verpachteten militärischen Testgelände in der kasachischen Steppe werden nach und nach geschlossen. Manche Beobachter sehen das Kaspische Meer als Zone einer neuen militärischen Konkurrenz beider Staaten, bzw. befürchten eine Militarisierung des Gewässers, andere befürchten im Gegenteil mangelnden Schutz vor Terroranschlägen auf die Erdölförderanlagen. Das Ergebnis der bisherigen Verhandlungen über den Status des Gewässers wurde im Vorfeld ebenfalls widersprüchlich eingeschätzt, das Ergebnis wird als enttäuschend bewertet. Auch grundsätzlich wird der russische Einfluss in Kasachstan recht unterschiedlich bewertet: tendenziell hoch, vor allem, aber nicht nur, auf die Russen des Landes oder aber (bedauerlicherweise) schwindend. Kasachstans Mitgliedschaft in der vom russischen Präsidenten Putin initiierten Eurasischen Wirtschaftsunion als Nachfolger der Zollunion wurde vorab in der kasachstanischen Öffentlichkeit kritisch bewertet, (die breite Bevölkerung soll aber trotz vieler Probleme hinter diesem Schritt stehen. Beobachter sehen eine wachsende Unabhängigkeit der kasachstanischen Außenpolitik gegenüber russischen Positionen und darüber hinaus (LIP Geschichte und Staat Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019).

(CIA, Central Intelligence Agency, The World Factbook, Kazakhstan, last update 27.10.2019, abgefragt am 05.11.2019, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/kz.html

Standard, Parlamentschef als neuer Präsident von Kasachstan vereidigt, 20.03.2019, https://derstandard.at/2000099815065/Kasachstans-PraesidentNasarbajew-kuendigt-nach-knapp-28-Jahren-Ruecktritt-an,

LIP, Liportal, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Kasachstan, Überblick, letzte Aktualisierung Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019, https://www.liportal.de/kasachstan/ueberblick

AA, Auswärtiges Amt, Kasachstan, politisches Porträt, Stand 02.10.2019, abgefragt am 04.11.2019, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/kasachstan-node/politisches-portrait/206674

Der Standard, Tokajew bleibt Präsident, 10.06.2019, https://www.derstandard.at/story/2000104613705/hunderte-festnahmen-bei-wahl-protesten-in-kasachstan

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 17.06.2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010680/Deutschland___Bundesamt_für_Migration_und_Flüchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_17.06.2019_%28deutsch%29.pdf

ZA, Zentralasien Analysen, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Nr. 135, 28.06.2019, http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen135.pdf

LIP, Liportal, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Kasachstan, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019, https://www.liportal.de/kasachstan/geschichte-staat)

Sicherheitslage

Am 12.06.2019 wird berichtet, dass im aktuellen Index des Globalen Friedens Kasachstan unter 163 Ländern den 64. Platz einnimmt und demnach das friedlichste Land Zentralasiens ist (ZA 28.06.2019).

Die Sicherheitslage in Kasachstan kann im Vergleich zu den Nachbarländern als stabil bezeichnet werden (BMEIA Stand 05.11.2019).

Die politische und soziale Lage kann als stabil bezeichnet werden. Lokal begrenzte gewaltsame Demonstrationen können aber vorkommen, vor allem im Westen des Landes, wo sich die Erdölfelder befinden. Meiden Sie im ganzen Land Kundgebungen jeder Art. Die kasachischen Behörden machen auf das Risiko terroristischer Akte aufmerksam. Anfang Juni 2016 wurden bei Angriffen mit Schusswaffen in Aktobe mehrere Personen verletzt oder getötet (EDA gültig am 06.11.2019).

Seit 2014 spürt das Land eine in diesem Ausmaß unerwartete Wirtschaftskrise, ausgelöst durch die Probleme der russischen Wirtschaft und den global sinkenden Ölpreis. Als Reaktion wurde im November 2014 die Strategie Nurly Zhol (Heller Weg) verkündet, die vor allem mit Infrastrukturmaßnahmen die Wirtschaft ankurbeln wollte, natürlich sind aber auch Sparmaßnahmen - bis hin zu den Brotpreisen - erforderlich. Nach seiner Wiederwahl verkündete Nasarbajew im Mai 2015 einen Plan der 100 (Reform)Schritte in fünf Bereichen: Bildung eines effektiven Staatsapparates, Sicherstellung der Rechtsstaatlichkeit, Förderung von Industrialisierung und Wirtschaftswachstum, Entwicklung von nationaler Identität und Einigkeit sowie Erhöhung der Rechenschaft der Regierung. Die derzeitigen innen- wie außenpolitischen Herausforderungen sind gewaltig, die Ereignisse des Frühjahrs 2016 müssen die Führung beunruhigen. Die Bevölkerung, die lange erstaunlich gelassen auf die Krise und ihre Folgen reagiert hatte, ging, ausgelöst durch das Projekt eines neuen Landgesetzes, erstmals in relativ großer Zahl und in diversen Provinzstädten auf die Straße. Der Staat reagierte wie gewohnt mit Verhaftungen, Beschuldigungen und harten Urteilen, sah sich aber auch gezwungen, das Gesetzesprojekt einzufrieren. Unmittelbar nachdem so die Ruhe wieder hergestellt war, fanden in Aktobe im Westen Kasachstans, wo auch die Proteste gegen das Gesetz ihren Ausgang genommen hatten, zeitgleich mehrere Terroranschläge statt. Die Regierung wurde offensichtlich völlig von den Ereignissen überrascht und macht eine größere salafistische Terrorzelle dafür verantwortlich. Auch wenn offiziell versichert wird, man habe die Lage im Griff, bleibt die Situation im Westen - und vermutlich auch in der Führung des Landes - angespannt. Dies umso mehr, als am 18.07.2016 die innere Ruhe schon wieder erschüttert wurde als ein offenbar islamistischer Einzeltäter mit krimineller Vergangenheit bewaffnet eine Polizeistation in Almaty stürmte und fünf Menschen tötete. Schon im Herbst 2016 wurden die Tatverdächtigen zu harten Strafen verurteilt: Im Falle der Anschläge von Aktobe wurden Freiheitsstrafen von bis zu 25 Jahren wegen Terrorismus verkündet, der Attentäter von Almaty wurde wegen Terrorismus sogar zum Tode verurteilt. Da in Kasachstan ein Moratorium für die Todesstrafe gilt, wird die Strafe wohl in lebenslänglich umgewandelt. Doch fordern derzeit mehrere Politiker und Juristen den Vollzug der Todesstrafe im Falle von Terrorismus. Das Jahr 2017 hat keine neuen islamistischen Anschläge gebracht, aber Arbeiter haben an mehreren Orten versucht, mit Streiks ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen - und wurden dafür juristisch belangt. Sicherheitspolitische Maßnahmen wie auch die sozioökonomische und geopolitische Lage des Landes zu Beginn des Jahres 2018 werden leicht skeptisch und als im Wartestand vor zu erwartenden größeren Veränderungen nach dem Ende der Ära Nasarbajew gesehen. Im Sommer 2018 war die Ermordung eines prominenten Sportlers Anlass über die Schlagkraft der Polizei und notwendige Reformen nachzudenken (LIP Geschichte und Staat Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019).

Auch in Kasachstan gibt es vereinzelte terroristische Angriffe, zuletzt im Sommer 2016 auf ein Waffengeschäft in Aktöbe und auf eine Polizeistation in Almaty. In Almaty und der Hauptstadt Nur-Sultan (ehem. Astana) müssen Sie mit der üblichen Großstadtkriminalität wie Taschendiebstahl, Raub, Trickbetrügerei, Freikauf aus angeblichen Polizeikontrollen rechnen (AA Reise- und Sicherheitshinweise unverändert gültig seit 23.08.2019, Stand 05.11.2019).

(BMEIA, Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres, Republik Kasachstan, unverändert gültig seit 29.10.2018, Stand 05.11.2019, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/kasachstan

EDA, Schweizerische Eidgenossenschaft, Eidgenössisches Department für Auswärtige Angelegenheiten, Reisehinweise für Kasachstan publiziert am 29.03.2019, gültig am 06.11.2019, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/kasachstan/reisehinweise-fuerkasachstan.html

LIP, Liportal, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Kasachstan, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019, https://www.liportal.de/kasachstan/geschichte-staat

AA, Auswärtiges Amt, Kasachstan, Reise- und Sicherheitshinweise, unverändert gültig seit 23.08.2019, Stand 05.11.2019, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/kasachstan-node/kasachstansicherheit/206342

ZA, Zentralasien Analysen, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Nr. 135, 28.06.2019, http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen135.pdf)

Justiz

Die Gesetze sehen keine unabhängige Justiz vor. Die Exekutive beschränkte stark die richterliche Unabhängigkeit. Staatsanwälte genossen eine quasi-richterliche Rolle und haben die Befugnisse gerichtliche Entscheidungen auszusetzen. Korruption war in allen Ebenen der Gerichtsverfahren offensichtlich. Obwohl Richter zu den bestbezahlten Beamten gehörten, behaupteten Rechtsanwälte und Menschenrechtsbeobachter, dass Richter, Staatsanwälte und andere Behördenmitarbeiter Bestechungsgelder, im Gegenzug für günstige Urteile, in vielen Straf- und Zivilverfahren annahmen. Richter wurden für Verstöße gegen die Gerichtsethik bestraft. Laut offiziellen Statistiken wurden in den ersten neun Monaten des Jahres 2018 zwei Richter wegen Korruptionsstraftaten verurteilt. Am 13.06.2018 verurteilte das Gericht in Shymkent einen Richter des Makhta-Aral Bezirksgerichtes, Herrn Abay Niazbekov, wegen Annahme von Bestechungsgeld und verurteilte ihn zu 4,5 Jahren Freiheitsstrafe und einem lebenslangen Arbeitsverbot in Regierungseinrichtungen sowie staatseigenen Unternehmen. Am 30.01.2018 erwischten Behörden Niazbekov als er Bestechungsgeld in der Höhe von 500.000 Tenge (1.360 US-Dollar) in seinem Büro annahm (USDOS 13.03.2019).

Höchstes Organ der Judikative ist das Oberste Gericht. Nachdem die Finanzkrise 2008 noch ohne größere Erschütterungen bewältigt werden konnte, wurde das verbreitete Bild vom stabilen Kasachstan 2011 erstmals erschüttert. Zum einen gab es mehrere kleinere islamistisch-terroristische Anschläge, bis dahin hatte man das Land als von Islamismus nicht bedroht betrachtet. Zum anderen wurde ein monatelanger Streik von Erdölarbeitern in der Stadt Schanaosen im Gebiet Mangistau am Kaspischen Meer gewaltsam beendet, nachdem man fast neun Monate lang versucht hatte, das Problem auszusitzen, statt es zu lösen. Ablauf und Verantwortlichkeiten sind nach wie vor unklar, klar ist, dass Sicherheitskräfte am 16.12.2011 unerwartet gegen die auf dem Hauptplatz der Stadt versammelten Streikenden und ihre Angehörigen losgingen, Schüsse fielen und mehrere Menschen zu Tode kamen. Eine Aufarbeitung der tragischen Ereignisse ist nach wie vor nicht möglich. Die Führung des Landes reagierte auf diese Ereignisse mit Maßnahmen, die zu einer erheblichen Verschärfung des innenpolitischen Klimas führten. Die gerichtliche Aufarbeitung der Vorgänge wirkte einseitig. Oppositionspolitiker, Journalisten sowie Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, wie auch der bekannte Theatermacher Bulat Atabajew, die sich im Fall Schanaosen engagiert hatten, wurden verhaftet und strafrechtlich verfolgt. Ob sich die sozioökonomischen Ursachen der Unruhen vor Ort zum Besseren verändert haben, ist umstritten. Gesamtstaatlich reagierte die Führung des Landes, Präsident Nasarbajew, auf diese Herausforderungen mit neuen Programmen und Gesetzen, am bekanntesten die Strategie 2050. 2013 wurde ein neues Anti-Terror-Gesetz, gefolgt von einer Anti-Terror-Strategie, verabschiedet, gefolgt von einem kostenintensiven Programm zur Bekämpfung des religiösen Extremismus und Terrorismus im März 2018. Verschärfungen des Strafrechts beunruhigen Menschenrechtler, weil sie die Grundrechte verletzt und die Tätigkeit von NGOs bedroht sehen. Mehrere politisch motivierte Prozesse unter dem Schlagwort religiöser Extremismus im Jahr 2018 geben zu großer Sorge Anlass (LIP Geschichte und Staat Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019).

Militärgerichte sind für zivile Angeklagte in jenen Fällen, die in Zusammenhang mit Militärangehörigen stehen, zuständig. Militärgerichte verwenden dasselbe Strafgesetzbuch wie Zivilgerichte (USDOS 13.03.2019).

Am 25.04.2019 hat der Senat fünf Richter des Obersten Gerichtes entlassen, meldet Tengrinews (ZA 28.06.2019).

(USDOS, United States Department of State, Country Report on Human Rights Practices 2018, 13.03.2019, Kasachstan, https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/2018/sca/289248.htm

LIP, Liportal, Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Kasachstan, Geschichte und Staat, letzte Aktualisierung Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019, https://www.liportal.de/kasachstan/geschichte-staat

ZA, Zentralasien Analysen, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Nr. 135, 28.06.2019, http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen135.pdf)

Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium beaufsichtigt die nationale Polizei, die vor allem für die nationale Sicherheit verantwortlich ist, inklusive Strafverfolgung, Verbrechensverhinderung, Verwaltungsübertretungen und Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Die Behörde für Angelegenheiten des öffentlichen Dienstes und Antikorruption hat Kompetenzen in den Bereichen Verwaltungs- und Strafrechtsverfolgung. Das Komitee für nationale Sicherheit (KNB) spielt eine wichtige Rolle in den Bereichen Grenzsicherheit, innere und äußere Sicherheit, Antiterrorkampf sowie bei der Ausforschung und dem Verbot von illegalen oder nicht registrierten Gruppen, wie z. B. extremistische und militärische Gruppierungen, politische Parteien, religiöse Gruppierungen und Gewerkschaften. Im Juli 2017 hat der Präsident Gesetzesänderungen zur Reform der Strafverfolgungsbehörden unterzeichnet, darunter eine Ermächtigung des KNB zur Untersuchung von Korruption bei Offizieren des Geheimdienstes, im Antikorruptionsbüro und beim Militär. Der KNB, Syrbar (Auslandsgeheimdienst) und die Finanz- und Antikorruptionspolizei berichten direkt dem Präsidenten. Viele Regierungsminister unterhielten Internetforen, in denen Bürger Beschwerden einbringen können. Obwohl die Regierung einiges unternahm Beamte zu verfolgen die Missbrauch begingen, existiert immer noch Straflosigkeit, besonders wenn es um Korruption geht oder die Betroffenen persönliche Beziehungen zu Regierungsmitarbeitern pflegen. Eine Person, die als Tatverdächtiger festgenommen wurde, wird zur Vernehmung in eine Polizeidienststelle gebracht. Vor der Vernehmung sollte der Beschuldigte die Möglichkeit haben, sich mit einem Anwalt zu treffen. Sollte innerhalb von 48 Stunden nach einer Verhaftung die Verwaltung der Haftanstalt keine gerichtliche Zustimmung zur Festnahme erwirkt haben, sollte der Festgenommene unverzüglich freilassen werden. Der für den Fall zuständigen Beamten und der Staatsanwalt sind davon in Kenntnis zu setzen. Die Dauer der Untersuchungshaft kann in einer Vielzahlt von Fällen auf 72 Stunden ausgedehnt werden, dazu zählen schwere oder terroristische Straftaten, Bandenkriminalität, Drogenhandel, Sexualdelikte begangen an Minderjährigen und andere. Der Generalstaatsanwalt berichtete, dass durch die Änderungen der Strafprozessordnung im Dezember 2017 die Anzahl der Haftgründe und die Dauer der Untersuchungshaft von 72 auf 48 Stunden reduziert wurden sowie die Zahl der festgenommenen Verdächtigen um 1.500 sank. 83 Prozent der Inhaftierten bleiben nicht länger als 48 Stunden in Gewahrsam. Staatsanwälte berichteten von sechs Fällen willkürlicher Verhaftungen und Inhaftierungen in den ersten sechs Monaten des Jahres 2018 (USDOS 13.03.2019).

(USDOS, United States Department of State, Country Report on Human Rights Practices 2018, 13.03.2019, Kasachstan, https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/2018/sca/289248.htm)

Folter und unmenschliche Behandlung

Das Gesetz verbietet Folter; dennoch sollen Polizei- und Gefängnisbeamte Häftlinge gefoltert und missbraucht haben. Menschenrechtsaktivisten behaupteten, dass die innerstaatliche rechtliche Definition von Folter nicht mit der Definition von Folter in der UN-Konvention gegen Folter übereinstimmt. Der Nationale Präventivmechanismus (NPM) gegen Folter trat 2014 in Kraft, als der Premierminister Regeln unterzeichnete, welche die Überwachung der Institutionen ermöglichen. Die NPM gehört zum Büro Ombudsmanns für Menschenrechte und ist daher nicht unabhängig von der Regierung. Der Ombudsmann für Menschenrechte berichtete, dass er 135 Beschwerden über Folter, Gewalt und andere grausame und erniedrigende Behandlung und Strafe im Jahr 2017 erhielt. In seinem Bericht von April 2018, Berichtzeitraum Tätigkeit im Jahr 2017, berichtete der NPM, dass es trotz einiger Fortschritte, schwerwiegende Probleme mit Menschenrechtsverletzungen in Gefängnissen sowie in Haftanstalten für vorübergehende Anhaltungen gab. In seinem offiziellen Bericht wies der Generalstaatsanwalt auf 103 Fälle von Folter in den ersten sieben Monaten des Jahres hin, von denen16 Fälle untersucht und an Gerichte weitergeleitet wurden (USDOS 13.03.2019).

Laut den Angaben einer Koalition von im Menschenrechtsbereich tätigen NGOs am 26.06.2019, darunter die Helsinki-Stiftung für Menschenrechte, gab es 2018 in Kasachstan insgesamt 143 gemeldete Vorwürfe wegen Folter und anderer Formen von Misshandlungen im Strafvollzug. Am 18.07.2019 ernannte Präsident Tokajew Arudschan Sain, Gründerin und Direktorin der Stiftung Barmherzigkeit, zur neuen Ombudsfrau für die Angelegenheiten und Rechte von Kindern (ZA 26.07.2019).

Präsident Tokajew ordnete Ermittlungen zu Folter im Gefängnis in Saretschnoje an, nachdem ein Video erschien das mutmaßliche Folter in der Haftanstalt zeigt (EurasiaNet 01.08.2019).

Der stellvertretende Direktor sowie vier Wachleute der Haftanstalt der kasachischen Stadt Zarechny nahe Almaty wurden im Zusammenhang mit der Veröffentlichung eines Videos im Internet, welches die Folter eines Gefängnisinsassen durch mehrere Wärter zeigt, verhaftet. Seit langem kritisieren Menschenrechtsorganisationen die Haftbedingungen in kasachischen Gefängnissen, in denen es aufgrund der schwierigen Bedingungen in den letzten Jahren zu zahlreichen Gefängnisaufständen kam (BAMF 05.08.2019).

(USDOS, United States Department of State, Country Report on Human Rights Practices 2018, 13.03.2019, Kasachstan, https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/2018/sca/289248.htm

ZA, Zentralasien Analysen, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Nr. 136, 26.07.2019, http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen136.pdf

EurasiaNet, Kasachstan, Tokajews Kommentare zu Folter könnten ein Signal für eine neue politische Richtung sein, 01.08.2019, https://eurasianet.org/kazakhstan-tokayev-remarks-on-torture-may-signal-new-policy-direction

BAMF, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Briefing Note, 05.08.2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014113/Deutschland___Bundesamt_für_Migration_und_Flüchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_05.08.2019_%28deutsch%29.pdf)

Korruption

Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Beamte vor. Die Regierung hat das Gesetz nicht effektiv umgesetzt und Beamte wenden häufig ungestraft korrupte Praktiken an. Das Innenministerium, die Behörde für Angelegenheiten des öffentlichen Dienstes und Antikorruption, der KNB und die Disziplinarkommission für den öffentlichen Dienst sind für Korruptionsbekämpfung zuständig. Der KNB untersucht Korruptionsstraftaten die von Mitarbeitern der Sondereinheiten, des Antikorruptionsbüros und des Militärs begangen wurden. Laut offiziellen Statistiken wurden in den ersten sieben Monaten des Jahres 2018 1.024 Delikte in Zusammenhang mit Korruption registriert. Die häufigsten Straftaten waren Bestechung (52 Prozent), Unterschlagung (21 Prozent) und Machtmissbrauch (17 Prozent). Die Regierung beschuldigte 663 Beamte der Korruption und 1.370 Fälle wurden an Gerichte weitergeleitet. Das Gesetz schreibt Behördenmitarbeitern, Bewerbern für Staatsposten und aus dem Staatsdienst Entlassenen vor, ihre Einkünfte und Vermögenswerte im In- und Ausland jährlich den Steuerbehörden bekannt zu geben. Die gleichen Anforderungen gelten für deren Ehegatten, unterhaltsberechtigte und volljährige Kinder. Ähnliche Vorschriften bestehen für Abgeordnete und Richter. Steuererklärungen sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Das Gesetz sieht bei Nichteinhaltung der Vorschriften Verwaltungsstrafen vor (USDOS 13.03.2019).

Im Corruption Perceptions Index 2017 von Transparency International lag die Republik Kasachstan auf Platz 122 von 180 bewerteten Ländern (TI Index 2017); im Index 2018 auf Platz 124 von 180 (TI Index 2018).

Am 19.06.2019 ratifiziert das Parlament ein Gesetz, nach dem Vorgesetzte in Zukunft für die Korruption ihrer Untergebenen verantwortlich gemacht werden können (ZA 28.06.2019).

Am 10.07.2019 verurteilt ein Gericht in Nur-Sultan die ehemalige stellvertretende Bildungs- und Wissenschaftsministerin Elmira Surchanberdijewa, die Anfang Juni festgenommen worden war, wegen Korruption während ihrer Amtszeit zu einer Strafzahlung von 6,3 Millionen Tenge (16.000 US-Dollar) und einem lebenslangen Arbeitsverbot für den öffentlichen Dienst und staatliche Unternehmen. Am 15.07.2019 verurteilt ein Gericht im Gebiet Akmola fünf hochrangige Polizeibeamte zu Freiheitsstrafen zwischen sechs und 11 Jahren wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung. Die Beamten sollen über mehrere Jahre systematisch Bestechungsgelder von illegalen Goldsuchern angenommen haben (ZA 26.07.2019).

(TI, Transparency International, Corruption Perceptions Index 2017, http://www.transparency.org/country/KAZ

TI, Transparency International, Corruption Perceptions Index 2018, http://www.transparency.org/country/KAZ

USDOS, United States Department of State, Country Report on Human Rights Practices 2018, 13.03.2019, Kasachstan, https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/2018/sca/289248.htm

ZA, Zentralasien Analysen, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Nr. 135, 28.06.2019, http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen135.pdf

ZA, Zentralasien Analysen, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Nr. 136, 26.07.2019, http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen136.pdf)

Nichtregierungsorganisationen (NGOs)

Eine Reihe von nationalen und internationalen Menschenrechtsgruppen konnten, mit einem gewissen Grad an Freiheit, Fälle von Menschenrechtsverletzungen untersuchen und ihre Ergebnisse veröffentlichen; dennoch gibt es immer noch einige Beschränkungen bezüglich der Aktivitäten von Menschenrechts-NGOs. Internationale und örtliche Menschenrechtsgruppen berichteten, dass die Regierung NGO-Aktivitäten überwacht, wenn es um sensible Themen und ausgeübten Schikanen geht, einschließlich Polizeibesuchen in und Überwachung von NGO Büros, sowie deren Mitarbeitern und ihren Familienangehörigen. Behördenmitarbeiter sind oft nicht kooperativ oder reagierten nicht auf deren Anliegen. Da vom Außenministerium geleitetet Beratungsgremium (Consultative Advisory Body, CAB) für Dialog über Demokratie, Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit und Gesetzgebung setzte seine Arbeit im Lauf des Jahres fort. Das CAB umfasst neben Ministerien und wichtigen internationalen und inländischen NGOs auch Beobachter internationaler Organisationen. Die "NGO-Community" äußerte sich generell positiv in Bezug auf die Arbeit von CAB, und gab an, dass diese Plattform eine bessere Kommunikation mit der Regierung zu besorgniserregenden Themen ermöglicht. Dennoch konnten sich die Regierung und die NGOs nicht auf Empfehlungen zu Themen einigen, welche von der Regierung als sensibel erachten wurden und einige Bedenken im Bereich der Menschenreche durften nicht zur Diskussion gestellt werden. NGOs berichteten, dass Regierungsstellen einige Empfehlungen annahmen, wobei diese Empfehlungen, laut NGOs, eher technisch als substantiell waren. Das Kazakhstan International Bureau for Human Rights and Rule of Law (KIBHR), Kadyr Kassiyet, das Legal Media Center und PRI gehören zu den am aktivsten in Erscheinung tretenden Menschenrechts-NGOs. Einige NGOs haben gelegentliche Schwierigkeiten beim Erlangen von Büroflächen und technischen Hilfsmitteln. Regierungschefs beteiligten sich, regelmäßig unter Einbeziehung von NGOs, an Gesprächen am runden Tisch und Veranstaltungen zum Thema Demokratie und Menschenrechte (USDOS 13.03.2019).

(USDOS, United States Department of State, Country Report on Human Rights Practices 2018, 13.03.2019, Kasachstan, https://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/2018/sca/289248.htm)

Menschenrechte

Obwohl Menschenrechtsorganisationen die Situation in Kasachstan nicht nur wegen der Einschränkungen der Pressefreiheit und den Zuständen in der Erdölindustrie schon lange kritisiert hatten, wurde das Land am 12.11.2012 von der UN-Vollversammlung mit überwältigender Mehrheit für die Zeit von 2013-15 in den UN-Menschenrechtsrat gewählt. Die Menschenrechtssituation hat sich seither nicht verbessert, AI erhebt schwere Vorwürfe gegen Sicherheitsorgane - bis hin zu Folter. Organisatoren von Streiks und Demonstrationen werden unnachgiebig verfolgt (LIP Geschichte und Staat Oktober 2019, abgefragt am 05.11.2019).

Am 14.03.2019 verabschiedete das Europäische Parlament eine Resolution, in der Kasachstan aufgefordert wird, Menschenrechte zu respektieren, Menschenrechtsverletzungen und allen Formen der politischen Unterdrückung ein Ende zu setzen und politische Gefangene freizulassen (ZA 26.04.2019).

(ZA, Zentralasien Analysen, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO), Nr. 134, 26.04.2019, http://www.laender-analysen.de/zentralasien/pdf/ZentralasienAnalysen134.pdf

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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