TE Bvwg Beschluss 2019/11/18 G313 2177071-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.11.2019
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Entscheidungsdatum

18.11.2019

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3

Spruch

G313 2177071-1/3E

G313 2177069-1/3E

G313 2177059-1/3E

G313 2177066-1/3E

G313 2177064-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb.XXXX, (BF1), XXXX, geb. XXXX, (BF2), und XXXX, geb. XXXX, (BF3), XXXX, geb. XXXX, (BF4), XXXX, geb. XXXX, (BF5), alle StA. Irak, vertreten durch RA MMag. Dr. Franz Stefan PECHMANN, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.10.2017, Zl. XXXX (BF1), XXXX (BF2), XXXX (BF3), XXXX(BF4), XXXX (BF5), beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerden werden die Bescheide behoben und die Angelegenheit jeweils gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG), zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

1. Verfahrensgang:

1. Die BF stellten nach ihrer Einreise in das österreichische Bundesgebiet jeweils am 15.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 16.11.2015 fand die Erstbefragung der BF1 und BF2 statt:

2.1. Der BF1 brachte zu seinen Fluchtgründen bei seiner Erstbefragung am 16.11.2015 Folgendes vor:

"Wegen den religiösen Konflikten im Irak, schiitische Milizen ua. Hisbollah im Irak haben mich entführt, zusammengeschlagen, haben mir die Ellbogen und den mittleren Zeh gebrochen. Ich hatte Verletzungen im Gesicht durch Schnitte von Messern. Nachdem das passiert ist, wurde ich auf die Straße geschmissen und ich wachte vier Tage später im Krankenhaus auf. Sie haben auch meinen Sohn mit Benzin übergossen und haben mich angezündet. Das linke Bein meines Sohnes (BF5) wurde dann angezündet, die Verletzungen sind noch heute sichtbar. Seitdem ist (BF5) sehr ängstlich und möchte in meiner Nähe sein. Aus diesen Umständen habe ich entschlossen, das Land zu verlassen. Ich habe viele Schmerzen ertragen, jedoch als meinem Sohn Leid zugefügt wurde, war mir das zu viel. 2006 wurde auch noch meine Nichte von schiitischen Milizen getötet. Im Juni 2006 wurde unsere Familie aus Bagdad vertrieben (...) nach Diyala und mein Eigentum wurde konfisziert. Die schiitischen Milizen wollten die demografische Zusammensetzung von Bagdad ändern."

Befragt nach seiner Rückkehrbefürchtung gab der BF1 an:

"Ich habe Angst um das Leben meiner Familie, wegen meines Familiennamens bin ich auch zur Zielscheibe geworden, weil mein Stamm rein sunnitisch ist."

Befragt, ob es konkrete Hinweise dafür gebe, dass dem BF bei einer Rückkehr unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe drohe, und ob der BF im Falle einer Rückkehr in den Irak mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen hätte, gab der BF1 an:

"Ich und mein Sohn wurden körperlich misshandelt und meine Nichte ist getötet worden."

2.2. Die BF2 brachte zu ihren Fluchtgründen bei ihrer Erstbefragung am 16.11.2015 Folgendes vor:

"Es werden viele Menschen entführt und wenn man Lösegeld bezahlt, werden die Leute doch umgebracht. Der hintere Teil unseres Hauses wurde angezündet und sie haben auch meinen Sohn mit Benzin übergossen und haben ihn angezündet. Das linke Bein meines Sohnes (BF5) wurde dann angezündet, die Verletzungen sind noch heute sichtbar. Dies geschah zeitgleich. Die Nichte meines Mannes wurde von schiitischen Milizen getötet. 2006 wurden wird aus Bagdad vertrieben nach Diyala."

Bei einer Rückkehr fürchte sich die BF2 davor, dass sie getötet werden könnten.

3. Daraufhin fand am 09.10.2017 die niederschriftliche Einvernahme der BF1 und BF2 vor dem BFA statt:

3.1. In der Niederschrift über die Einvernahme des BF1 vom 09.10.2017 wurde nach Befragung des BF1 nach seinen Geschwistern folgendes festgehalten:

"ANMERKUNG: AW bricht in Tränen aus, sagt, er weiß nicht, wo seine Brüder sind, da sie unbekannten Aufenthaltes sind."

Dem BF1 wurde daraufhin eine zehnminütige Pause eingeräumt, bevor er mit Aufzählung von sechs im Irak lebenden Schwestern fortgefahren ist. Er brachte vor, mit seiner Mutter und seinen Schwestern im Irak regelmäßigen Internetkontakt zu haben.

Befragt, wann der BF1 das erste Mal darüber nachgedacht habe, den Irak zu verlassen, gab dieser an:

"Nach meiner Entführung und Folter 2006 nachdem ich aus dem Spital entlassen wurde, habe ich mich zuerst bei meiner Schwester (...) 15 Tage lang versteckt und habe den Irak in Richtung Syrien verlassen."

Dies sei im Juli oder August 2006 gewesen.

Befragt, wann und warum er dann wieder in den Irak zurückgekehrt sei, gab dieser an:

"2008, Ende 2008 haben wir mitbekommen, dass sich die Sache beruhigt hatte und da sind wir zurückgegangen. Besonders meine Mutter und mein Bruder meinten, die Lage hätte sich wieder beruhigt, es gibt keine Gefahr mehr."

Befragt, warum der BF1 konkret seine Heimat verlassen habe, brachte dieser vor:

"2011 hat sich die Lage verschlechtert, das Chaos hat nachdem die amerikanischen Truppen das Land verließen, begonnen. Die Milizen haben sich neu gegründet und Diyala war eine sunnitische Stadt und die schiitischen Milizen haben aber jetzt die ganze Macht in Diyala. Schließlich haben sie mitgekriegt, dass ich in Diyala arbeite und ich gehe davon aus, dass das die gleichen schiitischen Milizen sind, die mich in Bagdad entführt haben. Ich war schockiert, ich gehe davon aus, dass sie mitgekriegt haben, wo ich wohnte, die Milizen haben Spione, die für die Milizen arbeiten. Besonders für mich wo ich in der Baufirma die Aufträge bekommen hatte, wurde ich bekannt. Ich habe 2 große Aufträge in Schulen bekommen. Ich habe nicht erwartet, dass sie zu mir nach Hause kämen und mich persönlich suchen und mein Haus in Brand setzen."

Befragt, warum der BF1 glaube, persönlich gesucht zu werden, gab dieser an:

"2006 wurde ich entführt. Mein Schwager (...) wurde 10 Tage, bevor ich entführt wurde, entführt. Da ich Saddam Anhänger war und ich Alkohol getrunken habe, war das für die schiitischen Milizen Grund genug. Sie haben mitbekommen, dass ich ein Auto habe und Geld, ich habe alles erwartet, aber nicht, dass sie zu mir nach Hause kamen."

Der BF1 brachte vor, von 2011 bis zum fluchtauslösenden Vorfall im April 2015 bei einer Baufirma in Diyala gearbeitet zu haben.

3.2. Die BF2 brachte in ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 09.10.2017 zu ihren Fluchtgründen vor:

"Mein Hauptgrund für mich als Frau war mein jüngster Sohn. Wo die Milizen unser Haus gestürmt haben, haben sie bei unserem Haus, den hinteren Teil und das Auto meines Gatten in Brand gesetzt. Ich war da gerade mit meinem jüngsten zuhause und meine Söhne waren in der Schule, mein Mann war auf der Flucht. Ich habe um Hilfe schreien wollen und zur Vordertüre rauslaufen, weil ich Angst hatte, da wurde mein Sohn am gesamten rechten Bein verbrannt, das kann ich Ihnen nachher zeigen. Sie stürmten ins Haus und als sie mich schreien hörten haben sie mich beim linken Auge mit der Pistole geschlagen, bis ich bewusstlos war. Als ich wieder zu mir kam, war ich im Spital. Ich habe noch immer die Bilder im Kopf von den schrecklichen Verbrennungen meines Sohnes. Die erste Meldung des Arztes war, das Kind wird sterben. Seit dem Tag war ich nicht mehr zuhause, wir waren ca. 1 Monat im Spital, mir ging es schneller besser als meinem Sohn."

In der Niederschrift wurde dann festgehalten, dass die BF2 stockte, und sagte:

"Wenn ich Ihnen das erzähle, bekomme ich wieder diese Bilder in meinem Kopf."

Befragt nach weiteren Fluchtgründen gab die BF an:

"Mein weiterer Grund ist, weil ich in meiner Heimat als Frau das Haus nicht verlassen durfte, hier in Österreich habe ich erst meine Freiheit gelernt zu leben. Ich will meine Kinder in einem sicheren Land erziehen können, und dass sie hier in die Schule gehen können."

Befragt, ob die BF2 etwas zu den Fluchtgründen ihres Mannes wisse, gab diese an:

"Mein Mann ist bedroht von den Milizen, die Männer werden aufgrund der Nachnamen bzw. Religionszugehörigkeit entführt. Auf dem Ausweis meines Mannes steht (...) und ist dieser Name bekannt für Sunniten."

Befragt, ob sie noch mehr dazu wisse, gab die BF2 an:

"Nein, weil er Sunnit ist, er wurde einmal entführt und wurde er dann auch gefoltert und er überlebte und wurde auf einem Mistplatz gefunden."

Nach Vorhalt, in der Erstbefragung nie davon gesprochen zu haben, dass ihr Mann entführt worden sei, beharrte die BF2 darauf, dies gesagt zu haben. Sie berichtete noch davon, dass nach ihrer Flucht zwei Brüder ihres Mannes entführt worden seien, und man bis heute nicht wisse, ob diese noch am Leben seien.

4. Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesasylamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) wurden die gegenständlichen Anträge der BF vom 15.10.2015 auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ihre Anträge bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak abgewiesen (Spruchpunkt II.), den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 jeweils nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG gegen die BF jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß 46 FPG in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.), und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise der BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).

5. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. Es wurde jeweils beantragt, die angefochtenen Bescheid zu beheben und die Angelegenheit an die belangte Behörde zurückzuverweisen, in eventu eine mündliche Verhandlung durchzuführen und den BF den Status der Asylberechtigten, in eventu den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

6. Am 20.11.2017 langten beim BVwG die gegenständlichen Beschwerden samt dazugehörigen Verwaltungsakten ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die BF sind Staatsangehörige vom Irak, stammen aus Diyala und sind sunnitische Araber. Der BF1 ist der Ehegatte der BF2, und die BF3, BF4 und BF5 sind deren minderjährigen Kinder.

1.2. Die BF stellten am 15.10.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz, die BF2 dabei für sich und ihre minderjährigen Söhne, BF3 bis BF5.

1.3. Mit gegenständlich angefochtenen Bescheiden wurde den BF weder der Status der Asyl-, noch der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, gegen die BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung der BF in den Irak zulässig ist.

Die BF legten vor dem BFA irakische Personalausweise in Kopie vor. Die belangte Behörde stellte fest, dass "mangels Vorlage eines heimatlichen originalen Personendokumentes" ihre Identität nicht feststehe.

Die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid von der Unglaubwürdigkeit der Personen der BF1 und BF2 und ihres jeweiligen Fluchtvorbringens aus, zusammengefasst mit der Begründung, dass der BF1 und die BF2 jeweils "ausschließlich ein abstraktes und wenig plausibles Fluchtvorbringen geschildert" habe.

In seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 09.10.2017 brachte der BF1 vor, Grund für die persönliche Suche nach ihm sei unter anderem, dass er "Saddam Anhänger" gewesen sei. Seine Ehegattin - die BF2 - brachte in ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 09.10.2017 vor, für sie sei der Vorfall fluchtauslösend gewesen, bei welchem ihr jüngster Sohn von schiitischen Milizangehörigen an einem Bein verbrannt worden sei und sie selbst daraufhin bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen worden sei. Befragt, ob sie etwas zu den Fluchtgründen ihres Mannes wisse, gab die BF2 an, ihr Mann sei von den Milizen bedroht worden, "die Männer werden aufgrund der Nachnamen bzw. Religionszugehörigkeit entführt, auf dem Ausweis meines Mannes steht (...), und ist dieser Name bekannt für Sunniten." Die BF2 gab außerdem an, ihr bereits verstorbener Vater sei "Mitglied der Baath-Partei, von der Saddam-Regierung" gewesen.

Beide BF - der BF1 und die BF2 - brachten die Entführung männlicher Verwandten vor, der BF1 sprach davon, dass die Männer seiner Familie verfolgt und seine Brüder entführt worden seien, und die BF2 erklärte, ihr Mann und sie seien Cousin und Cousine, zwei Cousins von ihr seien umgebracht und zwei Brüder des BF1 entführt worden.

Genauso wie die BF2 in ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 09.10.2017 vorbrachte, die Bedrohung ihres Mannes habe mit seinem Nachnamen zusammengehängt, nahm der BF1 in seiner Erstbefragung darauf Bezug, dass sein Familienname für die Bedrohung ursächlich sei, brachte er doch befragt nach seiner Rückkehrbefürchtung vor:

"Ich habe Angst um das Leben meiner Familie, wegen meines Familiennamens bin ich auch zur Zielscheibe geworden, weil mein Stamm rein sunnitisch ist."

Eine nähere Auseinandersetzung mit diesem zusammenhängenden Vorbringen der BF1 und BF2 vor dem Hintergrund entsprechender Länderberichte zu einer Verfolgung von sunnitischen Arabern mit typisch sunnitisch konnotierten Nachnamen wie dem Familiennamen der BF fehlt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang und die oben getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und der vorliegenden Gerichtsakten des BVwG.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.

Da sich die gegenständliche - zulässige und rechtzeitige - Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Anmerkung: sog. Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).

Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg cit. nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1

B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG (vgl. Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) § 28 VwGVG Anm11). Gemäß dieser Bestimmung kann die Berufungsbehörde, sofern der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Wie oben ausgeführt, ist aufgrund von § 17 VwGVG die subsidiäre Anwendung von § 66 Abs. 2 AVG durch die Verwaltungsgerichte ausgeschlossen.

Im Gegensatz zu § 66 Abs. 2 AVG setzt § 28 Abs. 3 VwGVG die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung nicht mehr voraus.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

Der VwGH hat mit Erkenntnis vom 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063 (Waffenverbot), in Bezug auf die grundsätzliche Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte nach § 28 VwGVG und die Möglichkeit der Zurückverweisung ausgesprochen, dass angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte darstellt. So kommt eine Aufhebung des Bescheides nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 Abs. 2 VwGVG verneint bzw. wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG nicht Gebrauch macht.

3.2. Die gegenständlich angefochtenen Bescheide erweisen sich als mangelhaft:

Mit gegenständlich angefochtenen Bescheiden wurde den BF weder der Status der Asyl-, noch der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und gegen die BF eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig ist.

Die belangte Behörde stellte nach Vorlage von Kopien irakischer Personalausweise der BF fest, dass die Identität der BF mangels vorgelegter originaler Identitätsurkunden nicht feststehe, und ging im angefochtenen Bescheid von der Unglaubwürdigkeit der Personen der BF1 und BF2 und ihres jeweiligen Fluchtvorbringens aus, zusammengefasst mit der Begründung, der BF1 und die BF2 hätten "ausschließlich ein abstraktes und wenig plausibles Fluchtvorbringen geschildert", ohne sich näher mit ihrem Fluchtvorbringen vor dem Hintergrund entsprechender Länderberichte auseinandergesetzt zu haben.

In seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 09.10.2017 brachte der BF1 vor, dass nach ihm persönlich gesucht werden, beruhe unter anderem darauf, dass er "Saddam Anhänger" gewesen sei. Seine Ehegattin - die BF2 - brachte in ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 09.10.2017 vor, für sie sei der Vorfall fluchtauslösend gewesen, bei welchem ihr jüngster Sohn von schiitischen Milizangehörigen an einem Bein verbrannt worden sei und sie selbst daraufhin bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen worden sei. Befragt, ob sie etwas zu den Fluchtgründen ihres Mannes wisse, gab die BF2 an, ihr Mann sei von den Milizen bedroht worden, "die Männer werden aufgrund der Nachnamen bzw. Religionszugehörigkeit entführt, auf dem Ausweis meines Mannes steht (...), und sei dieser Name bekannt für Sunniten. Die BF2 gab außerdem an, ihr bereits verstorbener Vater sei "Mitglied der Baath-Partei, von der Saddam-Regierung" gewesen.

Beide BF - der BF1 und die BF2 - brachten vor dem BFA die Entführung männlicher Verwandten vor, der BF1 sprach davon, dass die Männer seiner Familie verfolgt seien und seine Brüder entführt worden seien, und die BF2 erklärte, ihr Mann und sie seien Cousin und Cousine, zwei ihrer Cousins seien umgebracht und zwei Brüder des BF1 entführt worden.

Genauso wie die BF2 in ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 09.10.2017 vorbrachte, die Bedrohung ihres Mannes habe mit seinem Nachnamen zusammengehängt, nahm der BF1 in seiner Erstbefragung darauf Bezug, dass sein Familienname für die Bedrohung ursächlich sei, brachte er doch befragt nach seiner Rückkehrbefürchtung vor:

"Ich habe Angst um das Leben meiner Familie, wegen meines Familiennamens bin ich auch zur Zielscheibe geworden, weil mein Stamm rein sunnitisch ist."

Eine nähere Auseinandersetzung mit dem inhaltlich zusammenhängenden Vorbringen der BF1 und BF2 bzw. ihrem angeblich für die Bedrohung durch schiitische Milizangehörige ursächlichen typisch sunnitischen Familiennamen vor dem Hintergrund entsprechender Länderberichte zur Verfolgung von sunnitischen Arabern mit typisch sunnitisch konnotierten Nachnamen wie dem Familiennamen der BF fehlt.

Diese wäre jedoch unbedingt erforderlich gewesen, um darauf schließen oder ausschließen zu können, dass arabische Sunniten mit einem typisch sunnitischen Familiennamen bzw. wegen ihrer Zugehörigkeit zu einem bestimmten sunnitischen Stamm im Irak besonders gefährdet sind, Opfer schiitischer Übergriffe zu werden.

Wegen nicht hinreichender Ermittlungen bzw. Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen der BF vor dem Hintergrund entsprechender Länderfeststellungen waren die gegenständlich angefochtenen Bescheide der BF, der Ehegatten BF1 und BF2 und ihrer minderjährigen Söhne BF3, BF4 und BF5, zu beheben und die Angelegenheit zur Verfahrensergänzung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

4. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da im gegenständlichen Fall bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass die mit Beschwerde angefochtenen Bescheide aufzuheben sind, konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2019:G313.2177071.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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