TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/9 W246 2172719-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.12.2019
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Entscheidungsdatum

09.12.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2 Z6
FPG §55 Abs1a

Spruch

W246 2172719-3/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Heinz VERDINO als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Kocher & Bucher Rechtsanwälte OG, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.11.2019, Zl. 1092085508-191014405, zu Recht:

A) I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 68 Abs. 1 AVG als unbegründet abgewiesen.

II. Weiters wird die Beschwerde, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte III., IV., V., VI. und VIII. des angefochtenen Bescheides richtet, gemäß § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 52 Abs. 9 FPG iVm § 46 FPG, § 55 Abs. 1a FPG und § 15b Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

III. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe stattgegeben, dass die Dauer des Einreiseverbots gemäß § 53 Abs. 1 iVm § 53 Abs. 2 Z 6 FPG auf ein Jahr herabgesetzt wird.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 21.10.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

1.1. Am 22.10.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt.

1.2. Am 14.06.2017 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl.

Dabei gab der Beschwerdeführer an, dass er in der Provinz Helmand in Afghanistan geboren sowie zunächst aufgewachsen sei. Im Alter von acht Jahren sei er von seinen Eltern aufgrund der dortigen schlechten Sicherheitslage mit seinem Onkel väterlicherseits in den Iran geschickt worden, wo er bis zu seiner Ausreise nach Europa gelebt habe. Im Iran habe er ca. zwei Jahre für einen Elektriker gearbeitet, der eines Tages bei der Arbeit einen Unfall gehabt habe und gestorben sei. Der Bruder dieses Elektrikers habe dem Beschwerdeführer die Schuld für seinen Tod gegeben und den Beschwerdeführer bedroht, weshalb er schließlich aus dem Iran ausgereist und nach Europa gegangen sei. Der Bruder dieses Elektrikers habe auch seiner Familie in Afghanistan von diesem Vorfall erzählt, weshalb der Beschwerdeführer auch in Afghanistan nicht sicher sei.

Der Beschwerdeführer brachte in dieser Einvernahme folgende Unterlagen in Vorlage:

* Teilnahmebestätigung an einem Deutschkurs,

* A1-Deutschkurszertifikat ("gut bestanden"),

* mehrere Teilnahmebestätigungen an verschiedenen Informationsveranstaltungen des ÖIF,

* Bestätigung der Gemeinde über geringfügige Beschäftigungen im Bauhof der Gemeinde sowie die guten Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers und

* Bestätigungen u.a. der Caritas und der Pfarre hinsichtlich ehrenamtlicher Tätigkeiten.

1.3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies den (ersten) Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 21.10.2015 mit Bescheid vom 14.09.2017 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 84/2017, und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit. ab. Weiters erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg.cit., erließ ihm gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. iVm § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 84/2017, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 84/2017, und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 leg.cit. zulässig sei (Spruchpunkt III.). Schließlich sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg.cit. die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

1.4. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde brachte der Beschwerdeführer eine "Islamische Heiratsurkunde" vom 06.09.2017 der XXXX und mehrere Unterstützungsschreiben in Vorlage, die v.a. auf seine ehrenamtlichen Tätigkeiten, seine guten Deutschkenntnisse und sein Bemühen um eine gute Integration in Österreich hinweisen.

1.5. Das Bundesverwaltungsgericht wies diese Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 08.03.2019, Zl. W251 2172719-1/8E, als unbegründet ab.

In seiner Begründung zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Frage der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten führte das Bundesverwaltungsgericht insbesondere aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu einer aktuellen Bedrohung in Afghanistan wegen einer ihm unterstellten Verantwortung für einen Unfall im Iran seitens der Familie des bei diesem Unfall Verstorbenen aufgrund von detailarmen Angaben, Unplausibiliäten und Steigerungen nicht glaubhaft sei. Auch das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach ihn seine Familie dazu drängen würde, in den Syrienkrieg zu gehen, sei nicht glaubhaft. Weiters habe der Beschwerdeführer laut Bundesverwaltungsgericht auch keine individuelle Verfolgung seiner Person aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara sowie zur Religionsgemeinschaft der Schiiten aufzeigen können, zudem liege auch keine Gruppenverfolgung von Hazara und Schiiten in Afghanistan vor. Schließlich sei auch nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in Österreich eine westliche Lebenseinstellung in einer ihn in Afghanistan exponierenden Weise übernommen habe, weshalb auch aus diesen Gründen von keinen Bedrohungen auszugehen sei.

Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich der Frage der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten hielt das Bundesverwaltungsgericht unter Verweis auf die in das Verfahren eingeführten Länderberichte fest, dass dem Beschwerdeführer zwar bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Helmand aufgrund der dort vorherrschenden Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde, ihm jedoch eine Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif unter Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumutbar sei.

Schließlich führte das Bundesverwaltungsgericht zu einem möglichen Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich u.a. aus, dass zwischen ihm und seiner "Bekannten", mit der er nicht standesamtlich verheiratet sei, keine enge Nahebeziehung bestehe. Der Beschwerdeführer und seine "Bekannte" würden weder eine Wohngemeinschaft noch eine Wirtschaftsgemeinschaft begründen, zudem sei keine finanzielle Abhängigkeit voneinander gegeben. Ein durch seine Rückverbringung drohender Eingriff in ein mögliches schützenswertes Familienleben des Beschwerdeführers nach Art. 8 EMRK liege daher nicht vor.

1.6. Die vom Beschwerdeführer gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 07.05.2019 zurückgewiesen.

Dabei führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass abgesehen davon, dass die nach den Behauptungen des Beschwerdeführers in Wien geschlossene Ehe die Formvorschriften des Ortes der Eheschließung nicht erfülle und sohin nach österreichischem Recht nicht gültig sei, die Revision keine auf das Bestehen einer besonderen Beziehungsintensität hindeutende Hinweise aufzeige und gelinge es ihr im Ergebnis daher nicht, ein bestehendes Familienleben iSd Art. 8 EMRK darzulegen. So trete die Revision den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes, wonach der Beschwerdeführer und seine behauptete Ehegattin, ebenfalls eine Asylwerberin, in unterschiedlichen Bundesländern wohnhaft seien, sich nur selten besuchen würden und kein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bestehe, nicht entgegen.

2. Der Beschwerdeführer stellte am 06.10.2019 einen neuerlichen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz.

2.1. Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers in diesem Verfahren statt.

Hierbei führte er zu seiner neuerlichen Antragstellung zunächst aus, dass er seit zwei Jahren mit seiner Frau hier in Österreich verheiratet sei und er gemeinsam mit ihr leben wolle; er glaube, dass seine Frau schwanger sei, dies müsse aber erst von einem Arzt bestätigt werden. Weiters hielt der Beschwerdeführer fest, dass es hinsichtlich der im ersten Verfahrensgang geschilderten Bedrohungen keine Änderungen gebe und er die gleichen Fluchtgründe wie im Jahr 2015 habe. Die Familie seines bei einem Arbeitsunfall im Iran verstorbenen Kollegen habe den Beschwerdeführer umbringen wollen, wobei ihm auch in Afghanistan diesbezügliche Gefahren drohen würden; zudem würden seine Eltern wollen, dass er in den Syrienkrieg gehe, um dort zu kämpfen.

2.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl teilte dem Beschwerdeführer mittels Verfahrensanordnung vom 07.10.2019 nach § 15b AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 53/2019, (in der Folge: AsylG 2005) mit, dass er ab sofort im Quartier "BS West AIBE Thalham 80 4880 St. Georgen im Attergau" durchgehend Unterkunft zu nehmen habe. Die Anordnung der Unterkunftnahme gelte bis zur Rechtskraft der Entscheidung über seinen Antrag auf internationalen Schutz.

2.3. Am 11.10.2019 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in diesem Verfahren. Mit der Ladung zu dieser Einvernahme wurde dem Beschwerdeführer das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 samt Aktualisierungen bis 04.06.2019 zur Stellungnahmemöglichkeit übermittelt.

Der Beschwerdeführer gab zu den Gründen seiner neuerlichen Antragstellung abermals an, dass sich an diesen nichts geändert habe. Er sei sich sicher, dass er von seinen Feinden, wegen denen er im Jahr 2015 seinen ersten Antrag gestellt habe, getötet werde.

Zu seinem gesundheitlichen Zustand führte der Beschwerdeführer u.a. aus, dass er heute und auch generell an starken Kopfschmerzen leiden würde, weshalb er auch Ohrenschmerzen habe.

Schließlich hielt der Beschwerdeführer fest, dass er traditionell verheiratet sei und dass seine Frau seit ca. einem Monat in XXXX wohnen würde, zuvor sei sie in XXXX gewesen. Der Beschwerdeführer habe seine Frau in XXXX immer wieder besucht und zudem öfters beantragt, verlegt zu werden, um bei seiner Frau sein zu können. Diese Ansuchen seien jedoch immer wieder abgelehnt worden. Der Beschwerdeführer und seine Frau würden vermuten, dass sie schwanger sei, sie seien diesbezüglich jedoch noch nicht beim Arzt gewesen. Darüber hinaus pflege der Beschwerdeführer in Österreich mehrere enge soziale Beziehungen, u.a. mit einer Pensionistin, die er fast täglich sehe und die ihn finanziell sowie mental unterstütze.

Der Beschwerdeführer legte in dieser Einvernahme abermals die "Islamische Heiratsurkunde" vom 06.09.2017 sowie ein aktuelles Unterstützungsschreiben vor.

2.4. Am 17.10.2019 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in diesem Verfahren erneut einvernommen.

2.4.1. Dabei führte er an, dass er ein Angehöriger der Volksgruppe der Hazara sei, welche in Afghanistan geköpft würden. Die Rechtsberaterin des Beschwerdeführers verwies auf ein Konvolut an Unterstützungsschreiben für den Beschwerdeführer (s. den folgenden Absatz), aus welchem hervorgehe, dass er in Österreich umfassend finanziell unterstützt werde und bei einem Verbleib daher nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen sei. Zudem wies die Rechtsberaterin des Beschwerdeführers darauf hin, dass die Frau des Beschwerdeführers vermutlich schwanger sei. Der Beschwerdeführer gab auf Nachfrage durch den Einvernahmeleiter hierzu an, dass seine Frau bisher noch nicht bei einem Arzt gewesen sei und auch keinen Schwangerschaftstest gemacht habe, weil sie das zeitlich noch nicht geschafft habe.

In dieser Einvernahme legte der Beschwerdeführer drei Unterstützungsschreiben verschiedener, ihm nahestehender Personen vor, welche zusichern, dem Beschwerdeführer bei Bedarf finanziell zu unterstützen. Zudem brachte er ein weiteres Schreiben einer ihm nahestehenden Person mit Ausführungen zum Nachweis einer Nahebeziehung zwischen ihm und seiner Frau sowie ein Schreiben eines - in der Öffentlichkeit bekannten - Unterstützers an die Kanzlei des Bundespräsidenten in Vorlage.

2.4.2. Mit in dieser Einvernahme mündlich verkündetem Bescheid hob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den faktischen Abschiebeschutz des Beschwerdeführers gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 auf.

2.5. Nach gegen den unter Pkt. I.2.4.2. genannten Bescheid erhobener Beschwerde stellte das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 22.10.2019, Zl. W164 2172719-2/4E, fest, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht rechtmäßig sei, weshalb der mündlich verkündete Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.10.2019 aufgehoben werde.

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht eingangs aus, dass die Bestimmung des § 12a AsylG 2005 dem Ziel diene, den faktischen Abschiebeschutz nur für "klar missbräuchliche Anträge" beseitigen zu wollen. Es berechtige daher nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG, BGBl. I Nr. 51/1991 idF BGBl. I Nr. 58/2018, (in der Folge: AVG) in Betracht kommen könnte, zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005. Der vorliegende Antrag sei der erste Folgeantrag des Beschwerdeführers, weshalb kein Indiz für eine rechtsmissbräuchliche Folgeantragsstellung vorliege. Er habe in diesem Folgeantrag vorgebracht, dass sich sein Privat- und Familienleben in Österreich durch die seit langem angestrebte und letztendlich im August 2019 erreichte Wohnungsnahme seiner nach österreichischem Recht als Lebensgefährtin zu beurteilende Frau in XXXX und durch ihre (vermutete) Schwangerschaft geändert habe. Die Beurteilung, ob diese Umstände zutreffen und ob sie geeignet sind, das Vorliegen einer nicht identen Sache iSd § 68 AVG zu begründen, sei der hier zu treffenden Entscheidung nicht vorweg zu nehmen.

2.6. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 07.11.2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den (zweiten) Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 06.10.2019 gemäß § 68 Abs. 1 AVG hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkte I. und II.). Weiters wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. iVm § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 53/2019, (in der Folge: BFA-VG) gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 FPG, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 56/2018, (in der Folge: FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. auch fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 leg.cit. zulässig sei (Spruchpunkt V.) und führte zudem aus, dass gemäß § 55 Abs. 1a leg.cit. keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.). Zudem erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 leg.cit. gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.). Schließlich sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 15b Abs. 1 AsylG 2005 aufgetragen worden sei, ab dem 07.10.2019 in einem näher genannten Quartier Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VIII.).

2.7. Der Beschwerdeführer erhob gegen sämtliche Spruchpunkte des unter Pkt. I.2.6. angeführten Bescheides fristgerecht Beschwerde und beantragte, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Mit der Beschwerde legte der Beschwerdeführer - neben bereits zuvor in seinem Verfahren vorgelegten Unterlagen - folgende weiteren Unterlagen betreffend seine Integration in Österreich und seinen gesundheitlichen Zustand vor:

- Sachverhaltsdarstellung,

- Bestätigung über die Teilnahme an einem Vorbereitungslehrgang zur Pflichtschulabschlussprüfung samt Zeugnissen über die Abschlussprüfungen aus Berufsorientierung und aus Deutsch, Kommunikation sowie Gesellschaft der Pflichtschulabschlussprüfung,

- Meldezettel vom 11.11.2019,

- Bestätigungsschreiben hinsichtlich der Möglichkeit von privater Unterkunftsnahme bei einer Unterstützerin,

- Lohnzettel für den Zeitraum März bis Mai 2018,

- Bestätigungsschreiben hinsichtlich finanzieller Unterstützung zur Zahlung der Rechtsanwaltskosten,

- Bestätigung über Mitwirkung an einem Theaterprojekt der Sommerspiele XXXX ,

- Schreiben eines - in der Öffentlichkeit bekannten - Unterstützers sowie Schreiben einer weiteren Unterstützerin an den Bundesminister für Inneres,

- Vielzahl von weiteren Unterstützungsschreiben v.a. hinsichtlich der Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers, der von ihm verrichteten ehrenamtlichen Tätigkeiten, der von ihm in Österreich geführten Beziehung sowie seiner guten Integration,

- mehrere Fotos, die den Beschwerdeführer v.a. bei ehrenamtlichen Tätigkeiten, bei verschiedenen Aktivitäten mit seiner Lebensgefährtin sowie Freunden/Bekannten sowie bei einer Veranstaltung mit dem Landeshauptmann von XXXX zeigen und

- fachärztliche Bestätigung eines Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 12.11.2019, wonach beim Beschwerdeführer u.a. eine Anpassungsstörung sowie eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegen würden.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers, zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat sowie im Iran und zu seinem gesundheitlichen Zustand:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Muslim, führt den Namen XXXX und ist am XXXX in einem Dorf in der Provinz Helmand in Afghanistan geboren und zunächst aufgewachsen. Im Alter von ca. acht Jahren wurde er von seinen Eltern aufgrund der schlechten Sicherheitslage in Afghanistan mit seinem Onkel väterlicherseits in den Iran geschickt, wo für ca. sieben Jahre mit seinem Onkel väterlicherseits auf einer Hühnerfarm und in der Folge für mehrere Jahre als Arbeiter auf Baustellen sowie als Elektriker tätig war.

Die Kernfamilie des Beschwerdeführers, bestehend aus seinen Eltern, seinem Bruder und seinen zwei Schwestern, war zum Zeitpunkt des letzten Kontakts mit dem Beschwerdeführer in Afghanistan aufhältig.

Der Beschwerdeführer leidet v.a. an einer Anpassungsstörung und einer posttraumatischen Belastungsstörung. Er wurde diesbezüglich psychotherapeutisch behandelt.

1.2. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer befand sich seit seiner ersten Antragstellung im Oktober 2015 bis zur - in Rechtskraft erwachsenen - Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.03.2019 aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 rechtmäßig im Bundesgebiet. Er bezieht seit seinem Aufenthalt in Österreich regelmäßig Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung.

Der Beschwerdeführer ist seit seinem Aufenthalt in Österreich erkennbar um seine Integration bemüht. Dies zeigt sich zunächst dadurch, dass er in Österreich verschiedene Veranstaltungen (wie Informationsveranstaltungen des ÖIF) besucht hat, dass er mehrere Deutschkurse absolviert sowie dahingehende Prüfungen abgelegt hat und dass er über gute Deutschkenntnisse verfügt. Er ist zudem um seinen Pflichtschulabschluss bemüht und hat dahingehend bereits mehrere Teilprüfungen abgelegt. Weiters ist der Beschwerdeführer zwar aktuell nicht selbsterhaltungsfähig und befindet sich nach wie vor in der Grundversorgung, er war jedoch u.a. bei verschiedenen Einrichtungen (wie der Caritas, dem Bauhof seiner vorherigen Wohnsitzgemeinde und seiner vorherigen Wohnsitzpfarre) ehrenamtlich tätig und erledigte seine dahingehenden Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit der beteiligten Personen. Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über ein sehr aktives Sozialleben, was sich einerseits in den von ihm ausgeübten Freizeitaktivitäten (u.a. Mitwirkung an einem Theaterprojekt der Sommerspiele XXXX ) und andererseits in der Vielzahl von intensiven sozialen Bindungen in Form von Freunden sowie Bekannten in Österreich äußert, wobei er z.B. bei einer befreundeten Familie wichtige Unterstützungstätigkeiten in Form von Haushaltsführung und Pflege eines Mitgliedes dieser Familie leistete. Einige der Freunde des Beschwerdeführers in Österreich sicherten ihm für die Zukunft ihre finanzielle Unterstützung bzw. die Möglichkeit einer Unterkunftsnahme zu.

Der Beschwerdeführer führt seit September 2017 eine - emotional enge - Beziehung mit einer afghanischen Staatsangehörigen mit dem Namen XXXX , geb. XXXX , (in der Folge: Lebensgefährtin) die ebenfalls Asylwerberin in einem aktuell vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängigen Beschwerdeverfahren (hinsichtlich der erstinstanzlichen Abweisung ihres Antrags auf internationalen Schutz samt Rückkehrentscheidung) ist. Die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers war von 18.12.2015 bis 29.08.2019 in XXXX und ist seit diesem Zeitpunkt in XXXX gemeldet. Der Beschwerdeführer ist seit 11.11.2019 am gemeinsamen Wohnsitz mit seiner Lebensgefährtin gemeldet. Solange die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers noch in XXXX wohnhaft war, hat sie der Beschwerdeführer gelegentlich besucht und zudem über das Telefon mit ihr regelmäßig Kontakt gehabt. Der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin sind in finanzieller Hinsicht nicht voneinander abhängig und haben keine gemeinsamen Kinder. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers aktuell schwanger ist.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.3. Zu den Verfahren des Beschwerdeführers in Österreich:

Der erste Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 21.10.2015 wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.09.2017 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten in Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 84/2017, und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan in Spruchpunkt II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg.cit. abgewiesen; weiters erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg.cit., erließ ihm gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. iVm § 9 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 84/2017, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 84/2017, und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 leg.cit. zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 08.03.2019 als unbegründet ab; dieses Erkenntnis erwuchs nach mittels Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 07.05.2019 erfolgter Zurückweisung der dagegen erhobenen Revision in Rechtskraft.

Der Beschwerdeführer kam seiner Rückkehrverpflichtung nicht nach und stellte am 06.10.2019 einen neuerlichen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 07.11.2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen (zweiten) Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 68 Abs. 1 AVG hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkte I. und II.). Weiters wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 leg.cit. iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 52 Abs. 9 iVm § 46 leg.cit. zulässig sei (Spruchpunkt V.). Zudem führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß § 55 Abs. 1a leg.cit. keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.). Weiters erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 leg.cit. gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.). Schließlich sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 15b Abs. 1 AsylG 2005 aufgetragen worden sei, ab dem 07.10.2019 in einem näher genannten Quartier Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VIII.). Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht die gegenständliche Beschwerde.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.4.1. Die allgemeine Situation in Afghanistan hat sich hinsichtlich des im ersten Verfahrensgang herangezogenen Länderberichtsmaterials nicht entscheidungswesentlich geändert. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan Drohungen oder Gewalthandlungen von staatlicher oder privater Seite zu erwarten hätte. Ebenso kann nicht festgestellt werden, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan in eine seine Existenz bedrohende Notlage geriete.

1.4.2. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 mit Aktualisierungen bis 04.06.2019 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen ("high-profile") Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017)

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht. Die östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016 ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018)

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt, vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkten Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018)

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen ("high-profile") Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen ("high-profile") Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/Innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Zivilist/innen

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte); damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: Im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Von 1.1.2009 - 31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registrierte die UNAMA 2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben; dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nicht-ziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018)

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018)

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% Gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte) und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre vierteljährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u.a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert, ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände ("explosive remnants of war") 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte), ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräfte zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: Das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, dies trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen die Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk, Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: Das Fehlen einer Regierung, das permissive Verhalten der pakistanischen Sicherheitsbehörden, die gemeinsamen kommunalen Bindungen über die Grenze und die zahlreichen illegalen Netzwerke, die den Aufständischen Schutz bieten (AAN 17.10.2017).

Taliban

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban ("governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte. Nichtsdestotrotz erreichten die Taliban die Hauptziele dieser "Kampfsaison" laut US-Verteidigungsministerium nicht (USDOD 12.2017). Operation Mansouri sollte eine Mischung aus konventioneller Kriegsführung, Guerilla-Angriffen und Selbstmordattentaten auf afghanische und ausländische Streitkräfte werden (Reuters 28.4.2017). Auch wollten sich die Taliban auf jene Gegenden konzentrieren, die vom Feind befreit worden waren (LWJ 28.4.2017). Laut NATO-Mission-Resolute-Support kann das Scheitern der Taliban-Pläne für 2017 auf aggressive ANDSF-Operationen zurückgeführt werden, aber auch auf den Umstand, dass die Taliban den IS und die ANDSF gleichzeitig bekämpfen müssen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte) zugeschrieben. Die Taliban bekannten sich nur zu 1.166 zivilen Opfern. Im Vergleich zum Vorjahreswert bedeutet dies einen Rückgang um 12% bei der Anzahl ziviler Opfer, die den Taliban zugeschrieben werden. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurden. Im Jahr 2017 haben sich die Taliban zu 67 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen bekannt; dies führte zu 214 zivilen Opfern (113 Toten und 101 Verletzten). Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht; es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (UNAMA 2.2018).

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans (SIGAR 30.4.2018). Die Taliban selbst verlautbarten im März 2017, dass sie beinahe 10% der afghanischen Distrikte kontrollierten (ODI 6.2018). Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Die ANDSF haben, unterstützt durch US-amerikanische Truppen, in den ersten Monaten des Jahres 2018 an Boden gewonnen, wenngleich die Taliban nach wie vor die Hälfte der Provinz Helmand unter Kontrolle halten (JD News 12.3.2018; vgl. LWJ 20.4.2018). Helmand war lange Zeit ein Hauptschlachtfeld, insbesondere in der Gegend rund um den Distrikt Sangin, der als Kernstück des Taliban-Aufstands erachtet wird (JD News 12.3.2018; vgl. Reuters 30.3.2018). Die Taliban haben unerwarteten Druck aus ihrer eigenen Hochburg in Helmand erhalten: Parallel zu der Ende März 2018 abgehaltenen Friendens-Konferenz in Uzbekistan sind hunderte Menschen auf die Straße gegangen, haben eine Sitzblockade abgehalten und geschworen, einen langen Marsch in der von den Taliban kontrollierten Stadt Musa Qala zu abzuhalten, um die Friedensgespräche einzufordern. Unter den protestierenden Menschen befanden sich auch Frauen, die in dieser konservativen Region Afghanistans selten außer Hauses gesehen werden (NYT 27.3.2018).

Die Taliban geben im Kurznachrichtendienst Twitter Angaben zu ihren Opfern oder Angriffen (FAZ 19.10.2017; vgl. Pajhwok 13.3.2018). Ihre Angaben sind allerdings oft übertrieben (FAZ 19.10.2017). Auch ist es sehr schwierig, Ansprüche und Bekennermeldungen zu verifizieren; dies gilt sowohl für Taliban als auch für den IS (AAN 5.2.2018).

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

Höchst umstritten ist von Expert/innen die Größe und die Gefahr, die vom IS ausgeht. So wird von US-amerikanischen Sicherheitsbeamten und weiteren Länderexpert/innen die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan mit zwischen 500 und 5.000 Kämpfern beziffert. Jeglicher Versuch, die tatsächliche Stärke einzuschätzen, wird durch den Umstand erschwert, dass sich die Loyalität der bewaffneten radikalen Islamisten oftmals monatlich oder gar wöchentlich ändert, je nach ideologischer Wende, Finanzierung und Kampfsituation (WSJ 21.3.2018). Auch wurde die afghanische Regierung bezichtigt, die Anzahl der IS-Kämpfer in Afghanistan aufzublasen (Tolonews 10.1.2018). Zusätzlich ist wenig über die Gruppierung und deren Kapazität, komplexe Angriffe auszuführen, bekannt. Viele afghanische und westliche Sicherheitsbeamte bezweifeln, dass die Gruppierung alleine arbeitet (Reuters 9.3.2018).

Die Fähigkeiten und der Einfluss des IS sind seit seiner Erscheinung im Jahr 2015 zurückgegangen. Operationen durch die ANDSF und die US-Amerikaner, Druck durch die Taliban und Schwierigkeiten, die Unterstützung der lokalen Bevölkerung zu gewinnen, störten das Wachstum des IS und verringerten dessen Operationskapazitäten. Trotz erheblicher Verluste von Territorium, Kämpfern und hochrangigen Führern bleibt der IS nach wie vor eine Gefährdung für die Sicherheit in Afghanistan und in der Region. Er ist dazu in der Lage, öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriffen (HPA) in städtischen Zentren zu verüben (USDOD 12.2017). Der IS hat sich nämlich in den vergangenen Monaten zu einer Anzahl tödlicher Angriffe in unterschiedlichen Teilen des Landes bekannt, inklusive der Hauptstadt. Dies schürte die Angst, der IS könne an Kraft gewinnen (VoA 10.1.2018; vgl. AJ 30.4.2018). Auch haben örtliche IS-Gruppen die Verantwortung für Angriffe auf Schiiten im ganzen Land übernommen (USDOD 12.2017).

Im Jahr 2017 wurden dem IS 1.000 zivile Opfer (399 Tote und 601 Verletzte) zugeschrieben sowie die Entführung von 81 Personen; er war damit laut UNAMA für 10% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich, eine Zunahme von insgesamt 11% im Vergleich zum Jahr 2016. Im Jahr 2017 hat sich der IS zu insgesamt 18 willkürlichen Angriffen auf Zivilist/innen oder zivile Objekte bekannt (UNAMA 2.2018); er agiert wahllos, greift Einrichtungen der afghanischen Regierung und der Koalitionskräfte an (AAN 5.2.2018), aber auch ausländische Botschaften (UNAMA 2.2.018). Fast ein Drittel der Angriffe des IS zielen auf schiitische Muslime ab (UNAMA 2.2018; vgl. AAN 5.2.2018), sechs Angriffe waren auf schiitische Glaubensstätten (UNAMA 2.2018). Der IS begründet seine Angriffe auf die schiitische Gemeinschaft damit, dass deren Mitglieder im Kampf gegen den IS im Mittleren Osten involviert sind (AAN 5.2.2018).

Zusätzlich dokumentierte die UNAMA im Jahr 2017 27 zivile Opfer (24 Tote und drei Verletzte) sowie die Entführung von 41 Zivilist/innen, die von selbsternannten IS-Anhängern in Ghor, Jawzjan und Sar-e Pul ausgeführt wurden. Diese Anhänger haben keine offensichtliche Verbindung zu dem IS in der Provinz Nangarhar (UNAMA 2.2018).

Der IS rekrutierte auf niedriger Ebene und verteilte Propagandamaterial in vielen Provinzen Afghanistans. Führung, Kontrolle und Finanzierung des Kern-IS aus dem Irak und Syrien ist eingeschränkt, wenngleich der IS in Afghanistan nachhaltig auf externe Finanzierung angewiesen ist sowie Schwierigkeiten hat, Finanzierungsströme in Afghanistan zu finden. Dieses Ressourcenproblem hat den IS in einen Konflikt mit den Taliban und anderen Gruppierungen gebracht, die um den Gewinn von illegalen Kontrollpunkten und den Handel mit illegalen Waren wetteifern. Der IS bezieht auch weiterhin seine Mitglieder aus unzufriedenen TTP-Kämpfern (Tehreek-e Taliban in Pakistan - TTP), ehemaligen afghanischen Taliban und anderen Aufständischen, die meinen, der Anschluss an den IS und ihm die Treue zu schwören, würde ihre Interessen vorantreiben (USDOD 12.2017).

Auch ist der IS nicht länger der wirtschaftliche Magnet für arbeitslose und arme Jugendliche in Ostafghanistan, der er einst war. Die Tötungen von IS-Führern im letzten Jahr (2017) durch die afghanischen und internationalen Kräfte haben dem IS einen harten Schlag versetzt, auch um Zugang zu finanziellen Mitteln im Mittleren Osten zu erhalten. Finanziell angeschlagen und mit wenigen Ressourcen ist der IS in Afghanistan nun auf der Suche nach anderen Möglichkeiten des finanziellen Überlebens (AN 6.3.2018).

Haqqani-Netzwerk

Der Gründer des Haqqani-Netzwerkes - Jalaluddin Haqqani - hat aufgrund schlechter Gesundheit die operationale Kontrolle über das Netzwerk an seinen Sohn Sirajuddin Haqqani übergeben, der gleichzeitig der stellvertretende Führer der Taliban ist (VoA 1.7.2017). Als Stellvertreter der Taliban wurde die Rolle von Sirajuddin Haqqani innerhalb der Taliban verfestigt. Diese Rolle erlaubte dem Haqqani-Netzwerk seinen Operationsbereich in Afghanistan zu erweitern und lieferte den Taliban zusätzliche Fähigkeiten in den Bereichen Planung und Operation (USDOD 12.2017).

Von dem Netzwerk wird angenommen, aus den FATA-Gebieten (Federally Administered Tribal Areas) in Pakistan zu operieren. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge soll das Netzwerk zwischen 3.000 und 10.000 Mitglieder haben. Dem Netzwerk wird nachgesagt, finanziell von unterschiedlichen Quellen unterstützt zu werden, inklusive reichen Personen aus den arabischen Golfstaaten (VoA 1.7.2017).

Zusätzlich zu der Verbindung mit den Taliban hat das Netzwerk mit mehreren anderen aufständischen Gruppierungen, inklusive al-Qaida, der Tehreek-e Taliban in Pakistan (TTP), der Islamic Movement of Uzbekistan (IMU) und der ebenso in Pakistan ansässigen Lashkar-e-Taiba (VoA 1.7.2017).

Sowohl die afghanische, als auch die US-amerikanische Regierung haben Pakistan in der Vergangenheit wiederholt kritisiert, keine eindeutigen Maßnahmen gegen terroristische Elemente zu ergreifen, die darauf abzielen, die Region zu destabilisieren; zu diesen Elementen zählen auch die Taliban und das Haqqani-Netzwerk (RFE/RL 23.3.2018; vgl. AJ 8.3.2018, UNGASC 27.2.2018).

Al-Qaida

Al-Qaida konzentriert sich hauptsächlich auf das eigene Überleben und seine Bemühungen, sich selbst zu erneuern. Die Organisation hat eine nachhaltige Präsenz in Ost- und Nordostafghanistan, mit kleineren Elementen im Südosten. Manche Taliban in den unteren und mittleren Rängen unterstützen die Organisation eingeschränkt. Nichtsdestotrotz konnte zwischen 1.6.2017 - 20.11.2017 keine Intensivierung der Beziehung zu den Taliban auf einem strategischen Niveau registriert werden (USDOD 12.2017).

Sicherheitsbehörden

In Afghanistan gibt es drei Ministerien, die mit der Wahrung der öffentlichen Ordnung betraut sind: Das Innenministerium (MoI), das Verteidigungsministerium (MoD) und das National Directorate for Security (NDS) (USDOS 20.4.2018). Das MoD beaufsichtigt die Einheiten der afghanischen Nationalarmee (ANA), während das MoI für die Streitkräfte der afghanischen Nationalpolizei (ANP) zuständig ist (USDOD 6.2017).

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte (CIA 2018). Bestandteile der ANDSF sind die afghanische Nationalarmee (ANA), die afghanische Nationalpolizei (ANP) und die afghanischen Spezialsicherheitskräfte (ASSF). Die ANA beaufsichtigt alle afghanischen Boden- und Luftstreitkräfte inklusive der konventionellen ANA-Truppen, der Luftwaffe (AAF), des ANA-Kommandos für Spezialoperationen (ANASOC) des Spezialmissionsflügels (SMW) und der afghanischen Grenzpolizei (ABP) (die ABP seit November 2017, Anm.). Die ANP besteht aus der uniformierten afghanischen Polizei (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Kriminalpolizei (AACP), der afghanischen Lokalpolizei (ALP), den afghanischen Kräften zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und der afghanischen Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) (USDOD 6.2017; vgl. USDOD 2.2018, SIGAR 30.4.2018a, Tolonews 6.11.2017). Auch das NDS ist Teil der ANDSF (USDOS 3.3.2017).

Die ASSF setzen sich aus Kontingenten des MoD (u.a. dem ANASOC, der Ktah Khas [Anm.: auf geheimdienstliche Anti-Terror-Maßnahmen spezialisierte Einheit] und dem SMW) und des MoI (u.a. dem General Command of Police Special Unit (GCPSU) und der ALP) zusammen (USDOD 6.2017; vgl. USDOD 2.2018).

Schätzungen der US-Streitkräfte zufolge betrug die Anzahl des ANDSF-Personals am 31. Jänner 2018 insgesamt 313.728 Mann; davon gehörten 184.572 Mann der ANA an und 129.156 Mann der ANP. Diese Zahlen zeigen, dass sich die Zahl der ANDSF im Vergleich zu Jänner 2017 um ungefähr 17.980 Mann verringert hat (SIGAR 30.4.2018b). Die Ausfallquote innerhalb der afghanischen Sicherheitskräfte variiert innerhalb der verschiedenen Truppengattungen und Gebieten. Mit Stand Juni 2017 betrug die Ausfallquote der ANDSF insgesamt 2.31%, was im regulären Dreijahresdurchschnitt von 2.20% liegt (USDOD 6.2017).

Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. In einer öffentlichen Erklärung der Taliban-Führung zum Beginn der Frühjahrsoffensive 2018 (25. April 2018) hieß es: "Die Operation Al-Khandak wird sich neuer, komplexer Taktiken bedienen, um amerikanische Invasoren und ihre Unterstützer zu zermalmen, zu töten und gefangen zu nehmen". Bereits der Schwerpunkt der Frühjahroffensive 2017 "Operation Mansouri" lag auf "ausländischen Streitkräften, ihrer militärischen und nachrichtendienstlichen Infrastruktur sowie auf der Eliminierung ihres heimischen Söldnerapparats." (AA 5.2018). Afghanische Dolmetscher, die für die internationalen Streitkräfte tätig waren, wurden als Ungläubige beschimpft und waren Drohungen der Taliban und des Islamischen Staates (IS) ausgesetzt (TG 26.5.2018; vgl. E1 2.12.2017).

Aktuelle Tendenzen und Aktivitäten der ANDSF

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen (AA 9.2016; vgl. USIP 5.2016); dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 6.2016). Die USA erhöhten ihren militärischen Einsatz in Afghanistan: Im ersten Quartal des Jahres 2018 wurden US-amerikanische Militärflugzeuge nach Afghanistan gesandt; auch ist die erste U.S. Army Security Force Assistance Brigade, welche die NATO-Kapazität zur Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte verstärken soll, in Afghanistan angekommen (SIGAR 30.4.2018a). Während eines Treffens der NATO-Leitung am 25.5.2017 wurde verlautbart, dass sich die ANDSF-Streitkräfte zwar verbessert hätten, diese jedoch weiterhin Unterstützung benötigen würden (NATO o.D.).

Die ANDSF haben in den vergangenen Monaten ihren Druck auf Aufständische in den afghanischen Provinzen erhöht; dies resultierte in einem Anstieg der Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen auf Zivilisten in der Hauptstadt. Wegen der steigenden Unsicherheit in Kabul verlautbarte der für die Resolute Support Mission (RS) zuständige US-General John Nicholson, dass die Sicherheitslage in der Hauptstadt sein primärer Fokus sei (SIGAR 30.4.2018a). Die ANDSF weisen Erfolge in urbanen Zentren auf, hingegen sind die Taliban in ländlichen Gebieten, wo die Kontrolle der afghanischen Sicherheitskräfte gering ist, erfolgreich (USDOD 6.2017). Für das erste Quartal des Jahres 2018 weisen die ANDSF einige Erfolge wie die Sicherung der Konferenz zum Kabuler Prozess im Februar und den Schutz der Einweihungszeremonie des TAPI-Projekts in Herat auf (SIGAR 30.4.2018a). Nachdem die Operation Shafaq II beendet wurde, sind die ANDSF-Streitkräfte nun an der Operation Khalid beteiligt und unterstützen somit Präsident Ghanis Sicherheitsplan bis 2020 (USDOD 6.2017).

Geheimdienstliche Tätigkeiten

Das Sammeln sowie der Austausch von geheimdienstlichen Daten verbesserte sich sowohl im Verteidigungs- als auch im Innenministerium. Die drei geheimdienstlichen Verbindungszentren, das Network Targeting and Exploitation Center (NTEC) im Innenministerium, das National Military Intelligence Center (NMIC) in der ANA (unter dem Verteidigungsministerium, Anm.) und das Nasrat, auch National Threat Intelligence Center, unter dem NDS, tauschen sich regelmäßig aus (USDOD 6.2017). Obwohl der Austausch von geheimdienstlichen Informationen als Stärke der ANDSF gilt, blieb Mitte 2017 die geheimdienstliche Analyse schwach (USDOD 6.2017). Gemäß einem Bericht von SIGAR finden Ausbildungen zur Verbesserung der geheimdienstlichen Fähigkeiten des MoI und des MoD im Rahmen der Resolute Support Mission statt (SIGAR 30.4.2018a).

Das National Directorate for Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist für die Untersuchung von Strafsachen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul (USDOS 20.4.2018). Die Bush- und die Obama-Admi

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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