Entscheidungsdatum
09.12.2019Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W 199 2218376-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Michael SCHADEN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.04.2019, Zl. 18-1206280904/180871189, beschlossen:
A)
In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
1. Der minderjährige Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, welcher der ethnischen Gruppe der Kurden angehört, stellte am 13.9.2018 den Antrag, ihm internationalen Schutz zu gewähren (in der Folge auch als Asylantrag bezeichnet). Begründend gab er dazu bei seiner Befragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes (Stadtpolizeikommando XXXX , XXXX PAZ) am selben Tag an, "eine kurdische Partei ?JPG'" (gemeint ist die YPG; Anführungszeichen beim Namen der Partei im Original) habe seinen Vater nicht in Ruhe gelassen. Das Leben des Beschwerdeführers sei in Gefahr gewesen. Er habe die Schule nicht mehr besuchen können und es habe die Gefahr bestanden, dass er "gekidnapped" werde. Bei einer Rückkehr in die Heimat fürchte er, getötet zu werden.
Als Geburtsdatum des Beschwerdeführers ist am Beginn der Niederschrift der 16.8.2000 festgehalten. An ihrem Ende heißt es, der Beschwerdeführer habe angegeben, dass er am 28.8.2000 geboren und 16 Jahre alt sei. Nachdem ihn die Dolmetscherin erneut nach seinem Geburtsdatum gefragt habe, habe er angegeben, dass er sein Alter nicht genau wisse.
Mit e-mail vom 17.9.2018 teilte eine Bedienstete des Bundesministeriums für Inneres oder einer nachgeordneten Dienststelle ("Referat III/9/a - XXXX ") dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) mit, der Beschwerdeführer habe ihrer Dienststelle ("uns") eine Kopie des Familienbucheintrages zukommen lassen, darin stehe "das richtige Geburtsdatum: 26.05.2005". Er bitte um "Änderung des Geburtsdatums".
Am 29.11.2018 übergab ein Bediensteter oder eine Bedienstete des Amtes der XXXX Landesregierung, Abteilung Kinder- und Jugendhilfe - di. der Kinder- und Jugendhilfeträger, der als gesetzlicher Vertreter des Beschwerdeführers einschritt - dem Bundesamt eine Geburtsurkunde des Beschwerdeführers. Der Akt des Bundesamtes enthält die Übersetzung einer "Kopie eines Einzelzivilregisterauszuges", ausgestellt vom Standesamt XXXX in der Provinz XXXX . Als Geburtsort und Geburtsdatum des Beschwerdeführers sind XXXX und der XXXX angegeben.
Am 29.11.2018 - dem Tag, an dem die Geburtsurkunde übergeben worden war - stellte der Beschwerdeführer, vertreten durch den Kinder- und Jugendhilfeträger, einen "Antrag auf Berichtigung der Verfahrensidentität". Darin heißt es, es sei dem minderjährigen Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar, weshalb in der Niederschrift über die Erstbefragung der 16.8.2000 als sein Geburtsdatum festgehalten worden sei. Nach Erhalt der Original-Geburtsurkunde bestehe nun Klarheit über sein tatsächliches Geburtsdatum. Aus ihr gehe hervor, dass er am XXXX geboren sei. Es sei ihm auch nicht klar, weshalb er in der Grundversorgung mit dem Geburtsdatum 26.5.2005 geführt werde. Der Vorname des Beschwerdeführers laute " XXXX ", sein Nachname " XXXX ".
Mit Schreiben vom 17.12.2018 teilte das Bundesamt der Landesleitstelle Grundversorgung des Bundeslandes XXXX mit, dass der Familienname des Beschwerdeführers und sein Geburtsdatum (auf " XXXX " und auf den XXXX ) geändert würden. Von einer anderen Schreibung des Vornamens ist nicht die Rede.
Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt (Regionaldirektion XXXX in XXXX ) am 29.1.2019 gab der Beschwerdeführer auf die Frage nach seinem Geburtsdatum an, er wisse nur, dass er 2003 geboren sei. Seit er sieben oder acht Jahre alt gewesen sei, habe er acht Jahre lang die Schule in XXXX besucht, bis drei Monate vor seiner Ausreise. Der Schulbesuch sei unregelmäßig gewesen, weil das syrische Regime in seiner Gegend keine Autorität mehr habe. Er habe keinen Militärdienst geleistet, aber "sie" hätten ihn zwangsrekrutieren wollen. Der Beschwerdeführer machte Angaben zu seiner Herkunftsregion und zu seinem Leben dort. Im Falle einer Rückkehr in sein Herkunftsland könnte er wieder an der Wohnadresse bzw. bei Verwandten wohnen.
Der Beschwerdeführer gab an, er habe noch immer Angst vor der PKK und vor der Zwangsrekrutierung. Wenn er wieder nach Syrien zurückkehre, werde er von der PKK rekrutiert. Er mache sich Sorgen um seine Familie. Es herrsche immer noch Krieg, und die PKK könnte seine Schwester immer noch rekrutieren. - Zu seinem Fluchtgrund gab er an, er habe Kontakt zu seiner Schwester (in Österreich) gehabt. Sie und seine Vettern hätten ihm gesagt, dass Österreich ein schönes Land sei, seine Schwester habe gemeint, dass er sich hier seine Zukunft aufbauen und studieren könne. In Syrien herrsche Krieg. Die PKK hätte ihn erst nach einem Jahr zwangsrekrutieren können. In Syrien habe man keine Zukunft und es sei dort nicht sicher. Er habe dort die Schule nicht mehr besuchen können und wolle sich in Österreich eine Zukunft aufbauen und nicht rekrutiert werden. Die Frage, ob es konkrete Versuche der PKK gegeben habe, ihn zu rekrutieren, bejahte der Beschwerdeführer und schilderte diese Versuche ausführlich.
Mit Schreiben vom 12.2.2019 erstattete der Beschwerdeführer, vertreten durch die Kinder- und Jugendhilfe XXXX , eine Stellungnahme. Darin heißt es ua., er sei ein 15-jähriger syrischer Staatsangehöriger muslimischen Glaubens, gehöre der Volksgruppe der Kurden an und stamme aus XXXX . Da er im nächsten Jahr 17 Jahre alt werde, würde er das wehrfähige Alter erreichen, und es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er im Falle einer Rückkehr seinen Wehrdienst bei der syrischen Armee ableisten müsste bzw. anderweitig von bewaffneten Gruppierungen zwangsrekrutiert würde. Nach den Informationen des "LIB" (di. das Länderinformationsblatt des Bundesamtes) seien laut Gesetz junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren werde man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten. Bei einer Einreise nach Syrien über den Flughafen Damaskus oder andere Einreisepunkte in Gebiete, die vom syrischen Regime kontrolliert würden, werde bei Männern im wehrfähigen Alter überprüft, ob sie ihren Militärdienst bereits geleistet hätten. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nur legal über Gebiete oder Flughäfen nach Syrien einreisen könne, die unter der Herrschaft der Regierung stünden, sodass er bei einer Einreise Gefahr liefe, festgenommen zu werden. Zudem sei zu befürchten, dass der syrische Staat aktuell keinen ausreichenden Schutz gegenüber allfälligen Rekrutierungsversuchen bzw. Bedrohungen durch Mitglieder der YPG oder andere Gruppen bieten werde. Im Falle einer Zwangsrekrutierung liefe der Beschwerdeführer Gefahr, zu völkerrechtswidrigen Handlungen gezwungen zu werden oder, sollte er sich weigern oder desertieren, bestraft, allenfalls getötet zu werden. Da er aus einer Stadt an der Grenze zur Türkei stamme, liege der "Verdacht" nahe, dass er den Begriff "PKK" in der Einvernahme verwendet habe, weil er für ihn gängiger gewesen sei als der Begriff "YPG" (der eigentlich gemeint gewesen sei).
2. Mit dem Bescheid, dessen Spruchpunkt I angefochten ist (in der Folge der Einfachheit halber als angefochtener Bescheid bezeichnet), wies das Bundesamt den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005, Art. 2 BG BGBl. I 100 (in der Folge: AsylG 2005) ab (Spruchpunkt I), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 erkannte es dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II), gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 erteilte es ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 2.4.2020 (Spruchpunkt III).
Im angefochtenen Bescheid werden zunächst die Niederschriften der Befragung und der Einvernahme wiedergegeben. Das Bundesamt stellt fest, der Beschwerdeführer werde in seiner Heimat weder auf Grund seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe von staatlicher Seite verfolgt. Er habe Syrien auf Grund der Sicherheitslage verlassen. Seine Angaben zu den Gründen, aus denen er das Heimatland verlassen habe, seien unglaubwürdig. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die PKK Interesse gehabt habe, ihn in ihre Reihen zu rekrutieren, oder dass die militärische Polizei zu ihm nach Hause gekommen wäre. Fest stehe, dass er nie von Mitgliedern der PKK angesprochen worden sei und dass ihm als Minderjährigem die Rückkehr in seine Heimatprovinz XXXX nicht zumutbar sei, da es ihm nicht zuzumuten sei, über den internationalen Flughafen in Damaskus nach XXXX zurückzukehren. Sodann trifft das Bundesamt Feststellungen zur Situation in Syrien, die es auf näher genannte Quellen stützt. Darin heißt es ua., Regierungseinheiten, Pro-Regime-Milizen, bewaffnete oppositionelle Gruppen und terroristische Organisationen rekrutierten Kinder und nutzten sie als Soldaten, menschliche Schutzschilde, Selbstmordattentäter, Henker und auch in unterstützenden Funktionen. Kinder würden als Zwangsarbeiter oder Informanten benutzt. Manche bewaffnete Gruppen auf der Seite der Regierung rekrutierten Kinder zwangsweise, davon manche nicht älter als sechs Jahre (S 56 des angefochtenen Bescheides). Für männliche syrische Staatsangehörige sei ein Wehrdienst von 18 oder 21 Monaten ab dem Alter von 18 Jahren verpflichtend. Laut Gesetz seien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Militärbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren werde man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten (S 58 des angefochtenen Bescheides). Die Altersgrenze sei an beiden Enden des Altersspektrums nur theoretisch, jeder Mann in einem im weitesten Sinne wehrfähigen Alter könne rekrutiert werden. Berichten zufolge bestehe aber auch für - teils relativ junge - Minderjährige die Gefahr, in Zusammenhang mit der Wehrpflicht an Checkpoints aufgehalten zu werden und dabei Repressalien ausgesetzt zu sein (S 59 des angefochtenen Bescheides). Die YPG, die kurdischen Volksverteidigungskräfte, seien der bewaffnete Flügel der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD). Bis 2014 sei der Militärdienst bei der YPG freiwillig gewesen (S 65 des angefochtenen Bescheides). Seit 2014 gebe es jedoch in den Gebieten unter Kontrolle der PYD eine "gesetzliche Verordnung" zum verpflichtenden Wehrdienst (S 65 f. des angefochtenen Bescheides). Jede Familie sei dazu verpflichtet, ein Familienmitglied im Alter von 18 bis 30 Jahren als "Freiwilligen" für einen sechsmonatigen Wehrdienst bei der YPG aufzubieten. Werde dieser Verpflichtung nicht nachgekommen, komme es zu Zwangsrekrutierungen von Erwachsenen und auch von Minderjährigen oder zu rechtlichen Konsequenzen. Eines der Grundprobleme dieses Gesetzes bestehe darin, dass es nicht von einer dazu legitimierten staatlichen Instanz beschlossen worden sei, sondern von einem von der PYD eingesetzten Gremium. Der bewaffnete Arm der PYD, die YPG, sei nicht eine quasi-staatliche Armee, sondern eine Parteimiliz. Die YPG unternehme umfangreiche Rekrutierungskampagnen (S 66 des angefochtenen Bescheides). Den Informationen verschiedener Organisationen, darunter der Vereinten Nationen, zufolge rekrutiere die YPG sogar Kinder, einige davon nicht älter als zwölf Jahre, um sie im Kampf einzusetzen (S 67 des angefochtenen Bescheides).
Beweiswürdigend führt das Bundesamt verschiedene Widersprüche in den Angaben des Beschwerdeführers an. Rechtlich folgert es, anders als bei jemandem, der sich der allgemeinen Wehrpflicht seines Heimatstaates durch Desertion entziehe, finde eine Zwangsrekrutierung durch eine die Staatsgewalt nicht (mehr oder noch nicht) tragende Bürgerkriegspartei ihre rechtliche Deckung nicht in dem grundsätzlichen Recht eines souveränen Staates, seine Angehörigen zur Militärdienstleistung zu verpflichten und einzuziehen. Daher sei an eine "Desertion" (Anführungszeichen im Original) aus der Zwangsrekrutierung durch eine solche Gruppe auch nicht jener Maßstab anzulegen, der für die Verweigerung der Ableistung des staatlichen Militärdienstes und etwaige daraus drohende Strafen heranzuziehen sei (Hinweis auf VwGH 19.9.1996, 95/19/0077; 25.1.2001, 98/20/0549). Der Beschwerdeführer habe im gesamten Verfahren mit seinem Vorbringen eine konkrete oder drohende Verfolgung aus Gründen, wie sie in der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) taxativ aufgezählt seien, ebenso wenig glaubhaft machen können wie wohlbegründete Furcht "im Sinne der Grundaussage dieser internationalen Norm". Der von ihm "vorgebrachte Sachverhalt, dass die Taliban Interesse an" ihm gehabt hätten, sei "in seiner Gesamtheit als nicht glaubhaft zu beurteilen" gewesen, damit habe ein asylrelevanter Sachverhalt als Grundlage für eine Subsumtion unter § 3 AsylG 2005 nicht festgestellt werden können. - Das Bundesamt kommt jedoch zum Ergebnis, aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers in Zusammenschau mit den Länderfeststellungen gehe hervor, dass seine Existenzgrundlage mangels gesicherter persönlicher Lebensverhältnisse nicht mit hinreichender Sicherheit angenommen werden könne. Auf Grund seiner schon durch seine Minderjährigkeit bedingten mangelnden Lebenserfahrung sei auch nicht davon auszugehen, dass er auf sich alleine gestellt in der Lage wäre, effektive und hinreichende Unterstützung zu erlangen. In Anbetracht der "suboptimalen wirtschaftlichen Lage in Afghanistan" komme das Bundesamt zum Schluss, dass er nicht in der Lage wäre, seinen Lebensunterhalt in menschenwürdiger Weise zu verdienen. Aus den zuvor genannten Gründen sei ihm eine Rückkehr in seine Heimatsprovinz nicht zuzumuten, darüber hinaus würde er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Falle einer Ansiedlung in Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat in eine ausweglose Lage geraten (S 101 des angefochtenen Bescheides).
Abschließend begründet das Bundesamt seine Entscheidung über die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005.
Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 4.4.2019 zu Handen des Kinder- und Jugendhilfeträgers zugestellt, der als sein gesetzlicher Vertreter einschritt.
3. Gegen Spruchpunkt I dieses Bescheides richtet sich die vorliegende, fristgerechte Beschwerde vom 2.5.2019.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1.1. Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG 2005 ist das AsylG 2005 am 1.1.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren.
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz (in der Folge: BFA-VG; Art. 2 Fremdenbehördenneustrukturierungsgesetz BGBl. I 87/2012) idF des Art. 2 FNG-Anpassungsgesetz BGBl. I 68/2013 und des BG BGBl. I 144/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes.
1.2. Das vorliegende Verfahren war am 31.12.2005 nicht anhängig; das Beschwerdeverfahren ist daher nach dem AsylG 2005 zu führen.
2. Gemäß § 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, Art. 1 BG BGBl. I 33/2013 (in der Folge: VwGVG), idF BG BGBl. I 122/2013 ist das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch das VwGVG geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens bereits kundgemacht waren, unberührt. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit im VwGVG nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG - wie die vorliegende - das AVG mit Ausnahme seiner §§ 1 bis 5 und seines IV. Teiles, die Bestimmungen weiterer, hier nicht relevanter Verfahrensgesetze und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, welche die Verwaltungsbehörde in jenem Verfahren angewandt hat oder anzuwenden gehabt hätte, das dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangen ist. Dementsprechend sind im Verfahren über die vorliegende Beschwerde Vorschriften des AsylG 2005 und des BFA-VG anzuwenden.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht - und somit auch das Bundesverwaltungsgericht - über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Verwaltungsbehörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde "unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens" widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Verwaltungsbehörde ist dabei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz BGBl. I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine andere als die Zuständigkeit des Einzelrichters ist für die vorliegende Rechtssache nicht vorgesehen, daher ist der Einzelrichter zuständig.
Zu A)
1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011 Nr. L 337/9 [Statusrichtlinie - Neufassung] verweist). Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren." (vgl. VfSlg. 19.086/2010; VfGH 12.6.2010, U 613/10)
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011; 17.3.2009, 2007/19/0459; 28.5.2009, 2008/19/1031; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771; 17.3.2009, 2007/19/0459; 28.5.2009, 2008/19/1031; 6.11.2009, 2008/19/0012; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011; 28.5.2009, 2008/19/1031; 12.11.2014, Ra 2014/20/0069; 6.9.2018, Ra 2018/18/0121). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.2.1997, 95/01/0454; 9.4.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.4.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.2.2000, 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 9.3.1999, 98/01/0318; unter dem Aspekt des Art. 4 Abs. 4 Statusrichtlinie - Neufassung VwGH 3.5.2016, Ra 2015/18/0212; 13.12.2016, Ro 2016/20/0005). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.3.1995, 95/19/0041; 27.6.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.9.2000, 99/20/0373; 26.2.2002, 99/20/0509, mwN; 12.9.2002, 99/20/0505; 17.9.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793; 23.2.2011, 2011/23/0064) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256, mwN).
1.2.1. Zur Frage der Asylrelevanz einer Gefährdung wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ist zu bedenken:
1.2.1.1. Der Verwaltungsgerichtshof folgte in seinem Erkenntnis VwSlg. 15.802 A/2002 zT seinem Erkenntnis VwSlg. 14.089 A/1994, wonach die Flüchtlingseigenschaft zu bejahen ist, "wenn die Einberufung aus einem der in der Flüchtlingskonvention genannten Gründe erfolgt wäre oder aus solchen Gründen eine drohende allfällige Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung schwerer als gegenüber anderen Staatsangehörigen gewesen wäre"; ebenso seien die Umstände einzubeziehen, unter denen der Militärdienst abzuleisten sei. Dagegen wandte sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VwSlg. 15.802 A/2002 von der früheren Rechtsprechung tw. ab und sprach aus, "dass auch die Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung u.a. dann zur Asylgewährung führen kann, wenn das Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen - wie etwa bei der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt [...]. Ist Letzteres der Fall, so kann dies aber auch auf der - generellen - Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung beruhen, womit unabhängig von einer der Wehrdienstverweigerung bzw. Desertion im konkreten Fall wirklich zugrunde liegenden religiösen oder politischen Überzeugung der erforderliche Zusammenhang zu einem Konventionsgrund gegeben wäre." Weiters sprach er aus, "[u]nter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann [...] demzufolge auch eine ?bloße' Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein." (vgl. zuvor schon - aus der Zeit nach dem Erk. VwSlg. 14.089 A/1994 - VwGH 21.12.2000, 2000/01/0072, und VwSlg. 15.721 A/2001)
Dem folgte der Verwaltungsgerichtshof seither in ständiger Rechtsprechung (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0475; 25.3.2003, 2001/01/0009; 22.2.2005, 2003/21/0219; 1.3.2007, 2003/20/0111; 1.3.2007, 2003/20/0210; 27.4.2011, 2008/23/0124 [dieses Erk. und die beiden vorangegangenen auch zur möglichen Asylrelevanz des Zwanges zum Vorgehen gegen Mitglieder der eigenen Volksgruppe]; 25.3.2015, Ra 2014/20/0085; 14.9.2016, Ra 2016/18/0085 bis 0087; weiters - ohne sich auf den Zwang zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen zu beziehen - VwGH 22.10.2002, 2001/01/0197; 22.5.2003, 2000/20/0420; 19.10.2006, 2006/19/0064; 23.11.2006, 2005/20/0531; vgl. auch VwGH 16.4.2002, 99/20/0604; 12.11.2002, 2001/01/0019; 21.11.2002, 2000/20/0562; 25.3.2003, 2001/01/0470; 15.5.2003, 2002/01/0376; 21.4.2005, 2004/20/0315; 27.2.2007, 2004/21/0044; 26.9.2007, 2006/19/0561; 28.8.2008, 2008/22/0371, sowie - sich auch auf den Zwang zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen beziehend - VwGH 25.3.2003, 2001/01/0360; 21.2.2017, Ra 2016/18/0203; 25.6.2019, Ra 2018/19/0705, und - unter dem Aspekt eines Gewissenskonfliktes, weil ein Asylwerber "gegen Mitglieder der eigenen Volksgruppe vorgehen müsste" - VwGH 8.4.2003, 2001/01/0435).
1.2.1.2.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 28.11.2014, Ra 2014/01/0094, - sich auf frühere Rechtsprechung beziehend - festgehalten, "dass eine Zwangsrekrutierung durch eine rebellierende Gruppe im Gegensatz zu jemandem, der sich einer allgemeinen Wehrpflicht seines Heimatstaates durch Desertion entzieht, ihre rechtliche Deckung nicht in dem grundsätzlichen Recht eines souveränen Staates findet, seine Angehörigen zur Militärdienstleistung zu verpflichten und einzuziehen. Daher ist für die Desertion aus einer Zwangsrekrutierung durch rebellierende Gruppen auch nicht jener Maßstab anzulegen, der für die Verweigerung der Ableistung des staatlichen Militärdienstes und etwaigen daraus drohenden Strafen anzulegen ist. Es kommt für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht bloß auf die tatsächliche politische Gesinnung an, auch die seitens der Verfolger dem Asylwerber unterstellte politische Gesinnung ist asylrechtlich relevant [...]. - In dieser Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof von der Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei die Verfolgung unterschieden, die an die tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung, auf Grund deren sich der Verfolgte der Zwangsrekrutierung entzogen hat, anknüpft. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung selbst kommt es in einem solchen Fall nicht mehr an [...]. Im [...] Erkenntnis vom 26. September 2007, Zl. 2006/19/0387, stellte der Verwaltungsgerichtshof darauf ab, ob das Vorbringen des Asylwerbers hinreichend deutliche Hinweise darauf enthält, dass sein Wunsch, eine ihm widerrechtlich aufgezwungene Militärdienstleistung zu vermeiden, auf einer politischen oder moralischen Überzeugung beruhe, dass ihm eine solche unterstellt oder dass in anderer Weise an einen der in der Flüchtlingskonvention genannten Verfolgungsgründe angeknüpft werden würde. - Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens des Asylwerbers sind nach ständiger [...] Rechtsprechung Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat. [...] Unter Beachtung dieser vorliegend maßgeblichen Grundsätze ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob gemäß § 3 AsylG 2005 glaubhaft ist, dass einem Fremden [...] im Herkunftsstaat Verfolgung [...] droht. - Die Auffassung [...], es komme bei der unterstellten politischen Gesinnung alleine auf einen ausdrücklichen Vorhalt dieser politischen Gesinnung an, findet [...] keine Deckung in der [...] Rechtsprechung. Nach dieser ist entscheidend, ob das Vorbringen des Asylwerbers vor dem Hintergrund der einschlägigen Länderfeststellungen hinreichend deutliche Hinweise auf eine derartige unterstellte politische Gesinnung bietet."
Im Erkenntnis vom 10.12.2014, Ra 2014/18/0103 bis 0106, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass er "in seiner bisherigen Rechtsprechung von der - nicht asylrelevanten - Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei [...] jene Verfolgung unterschieden hat, die an die tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung anknüpft, die in der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, gesehen wird. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung selbst kommt es in einem solchen Fall nicht an [...]. [...] Entscheidend ist [...], mit welchen Reaktionen der Taliban die revisionswerbenden Parteien (also auch die Familienangehörigen des von der versuchten Zwangsrekrutierung unmittelbar betroffenen Zweitrevisionswerbers) aufgrund ihrer Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, rechnen müssen und ob in ihrem Verhalten eine - sei es auch nur unterstellte - politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird."
Auf diese beiden Erkenntnisse bezog sich der Verwaltungsgerichtshof auch in seinen Erkenntnissen vom 27.1.2015, Ra 2014/19/0085, vom selben Tag, Ra 2014/19/0112, und vom 25.3.2015, Ra 2014/20/0022, (nur) auf das Erkenntnis vom 10.12.2014, Ra 2014/18/0103 bis 0106, auch in seinen Erkenntnissen vom 28.1.2015, Ra 2014/18/0090, und vom 25.3.2015, Ra 2014/18/0168, sowie auf dieses zuletzt genannte Erkenntnis vom 25.3.2015 in seinem Erkenntnis vom 13.10.2015, Ra 2015/01/0089. In seinem Erkenntnis vom 13.10.2015, Ra 2014/01/0243, führte der Verwaltungsgerichtshof - wieder anknüpfend an die beiden Erkenntnisse vom 28.11.2014 und vom 10.12.2014 - aus, nach seiner Judikatur "kommt einer (versuchten) Zwangsrekrutierung dann Asylrelevanz zu, wenn aus der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, eine tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung abgeleitet wird, an die eine Verfolgung anknüpft. Entscheidend für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist daher, mit welchen Reaktionen der Taliban der Revisionswerber aufgrund seiner Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, rechnen muss und ob in seinem Verhalten eine - wenn auch nur unterstellte - politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird [...]. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung selbst kommt es in einem solchen Fall nicht mehr an [...]. Ausgehend davon hätte es vor dem Hintergrund einschlägiger Länderberichte aber näherer Feststellungen dazu bedurft, mit welchen Folgen der Revisionswerber in seinem Herkunftsstaat aufgrund seiner Weigerung, sich den Taliban anzuschließen, rechnen müsste und ob in seinem Verhalten eine - sei es auch nur unterstellte - politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt würde." Ähnlich formulierte der Verwaltungsgerichtshof - im Anschluss an die Erkenntnisse vom 10.12.2014, Ra 2014/18/0103 bis 0106, und vom 27.1.2015, Ra 2014/19/0085 - in seinem Erkenntnis vom 19.4.2016, Ra 2015/01/0079, sowie - im Anschluss (nur) an das Erkenntnis vom 10.12.2014, Ra 2014/18/0103 bis 0106 - in seinem Erkenntnis vom 28.1.2015, Ra 2014/18/0090.
1.2.1.2.2. Aus der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rekrutierung durch Rebellengruppen ist jedoch nicht zu schließen, dass dabei nicht auch jene Gesichtspunkte eine Rolle spielen, die bei einer Rekrutierung durch den Heimatstaat - die ja "ihre rechtliche Deckung [...] in dem grundsätzlichen Recht eines souveränen Staates findet, seine Angehörigen zur Militärdienstleistung zu verpflichten und einzuziehen" - zum Tragen kommen und die diese Rekrutierung oder die Bestrafung wegen der Entziehung von der Wehrpflicht oder wegen der Desertion zu einer asylrelevanten Verfolgung machen. Die Asylrelevanz solcher Handlungen ist oben dargestellt.
1.2.2. Der Beschwerdeführer hat sich darauf berufen, er müsse mit der Rekrutierung durch die PKK (gemeint ist, wie in der Stellungnahme nachvollziehbar dargelegt, die PYD bzw. deren bewaffneter Arm, die YPG) rechnen, auch wenn er noch nicht das Alter für die Rekrutierung erreicht habe. Das Bundesamt geht mit näherer Beweiswürdigung - deren Stichhaltigkeit hier nicht zu beurteilen ist - davon aus, dass der Beschwerdeführer bei seiner Ausreise aus Syrien von der YPG nicht verfolgt und auch nicht zum Zwecke seiner Rekrutierung gesucht worden ist und dass er (damals) aktuell nicht von der Rekrutierung durch diese Gruppe bedroht war. Das Bundesamt hat es jedoch verabsäumt, Feststellungen - auf Grund einer Prognose - dazu zu treffen, ob dem Beschwerdeführer - ungeachtet dessen, dass er, wie das Bundesamt meint, bei seiner Ausreise nicht bedroht gewesen sein soll - bei einer Rückkehr in seine Heimatgegend die Rekrutierung durch diese Gruppe droht, wie dies nach seinen Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid nicht von Vornherein ausgeschlossen werden kann. Dazu sei nur auf die Feststellungen zur Rekrutierung Minderjähriger verwiesen. Auch eine Rekrutierung durch die staatliche syrische Armee scheint danach nicht ausgeschlossen; dazu sei auf die Feststellungen zur Altersgrenze verwiesen. Wie oben ausgeführt, ist eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" bereits dann anzunehmen, wenn Verfolgungshandlungen zu befürchten sind, denn die Verfolgungsgefahr bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse, sondern erfordert eine Prognose.
Dazu kommt, dass das Bundesamt sich im Rahmen der rechtlichen Beurteilung - offenbar irrtümlich - mehrmals auf Afghanistan (und in diesem Zusammenhang auf die Rekrutierung durch die Taliban und auf eine mögliche innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan) bezieht. Auch wenn einzuräumen ist, dass die rechtliche Problematik (Rekrutierung durch die Taliban oder durch die YPG) vergleichbar ist, gibt diese Bezugnahme der Vermutung Nahrung, dass sich das Bundesamt auch hinsichtlich der Umstände, unter denen ein syrischer Staatsangehöriger mit der zwangssweisen Rekrutierung rechnen muss, an der Situation in Afghanistan orientiert hat.
2.1. Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Verwaltungsbehörde zurückverweisen, wenn sie notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat zu § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG ua. ausgesprochen:
"Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden [...].
Das Vorgesagte ist auch für die Begründung verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen maßgeblich. Der Rechtsanspruch eines von einer Entscheidung Betroffenen auf die Beachtung der verwaltungsgerichtlichen Zuständigkeit erfasst angesichts des in § 28 VwGVG verankerten Systems auch die Frage, ob das Verwaltungsgericht seine Zuständigkeit zur Entscheidung in der Sache selbst dem § 28 VwGVG konform wahrnimmt. Das Verwaltungsgericht hat daher insbesondere nachvollziehbar zu begründen, wenn es eine meritorische Entscheidungszuständigkeit nicht als gegeben annimmt, etwa weil es das Vorliegen der Voraussetzungen der Z 1 und Z 2 des § 28 VwGVG verneint bzw wenn es von der Möglichkeit des § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG nicht Gebrauch macht [...]." (VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063; dem folgend VwGH 10.9.2014, Ra 2014/08/0005; 31.10.2014, Ra 2014/08/0011)
2.2. Im Beschwerdefall liegen die Voraussetzungen dafür vor, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückzuverweisen: Das Bundesamt hat keine ausreichenden Feststellungen getroffen, die eine Prognose zuließen, ob, wann und mit welcher Wahrscheinlichkeit der Beschwerdeführer von der YPG - oder auch von der staatlichen syrischen Armee - einberufen würde. Auch wenn man mit dem Bundesamt davon ausginge, dass der Beschwerdeführer bei seiner Ausreise nicht von einer Rekrutierung bedroht war, fehlt es an Feststellungen, welche die oben erwähnte Prognose möglich machen würden. Eine Gefährdung liegt nicht erst dann vor, wenn der Beschwerdeführer tatsächlich einberufen worden ist, sondern bereits dann, wenn er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit einer Rekrutierung in absehbarer Zeit oder gleich bei seiner Einreise rechnen müsste.
3. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung ZwangsrekrutierungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2019:W199.2218376.1.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020