TE Bvwg Erkenntnis 2019/12/27 W192 2185634-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.12.2019
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Entscheidungsdatum

27.12.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W192 2185634-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.12.2017, Zahl 1096977710-151881393, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß den §§ 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z. 3, 57 AsylG 2005 i. d. g. F., § 9 BFA-VG i. d. g. F. und §§ 52, 55 FPG i. d. g. F. als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer, ein minderjähriger afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise am 27.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung am Tag der Antragstellung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, er gehöre der Volksgruppe der Hazara sowie dem islamischen Glauben schiitischer Ausrichtung an, er stamme aus der Provinz Maidan Wardak, seine Mutter, drei jüngere Brüder und zwei jüngere Schwestern hielten sich nach wie vor in Afghanistan auf. Etwa einen Monat zuvor sei er über Pakistan und den Iran in die Türkei gelangt, von dort aus sei er mit einem Schlauchboot nach Griechenland und über weitere ihm unbekannte Länder nach Österreich gereist. Er habe Afghanistan verlassen, da die Hazara von der Taliban verfolgt würden, sein Vater sei von Taliban ermordet worden. Der Beschwerdeführer habe Angst um sein Leben und wolle nicht zurück nach Afghanistan.

Nach Zulassung seines Verfahrens erfolgte am 07.12.2017 im Beisein seiner gesetzlichen Vertreterin und einer Vertrauensperson eine niederschriftliche Einvernahme des minderjährigen Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Der Beschwerdeführer gab eingangs an, sich psychisch und physisch zur Durchführung der Einvernahme in der Lage zu fühlen, er sei gesund und benötige keine Medikamente. Bis dato habe er wahrheitsgemäße Angaben erstattetet, im Erstbefragungsprotokoll sei es lediglich zu kleineren Fehlern die Schreibeweise seines Namens sowie den Namen eines Bruders betreffend gekommen. Der Beschwerdeführer habe sich seit seiner Geburt immer in einem näher genannten Dorf in der Provinz Maidan Wardak aufgehalten, wo sich unverändert seine Mutter und seine Geschwister aufhielten, zu denen er nach wie vor in Kontakt stünde. Sein Vater sei getötet worden.

In Bezug auf seinen Fluchtgrund führte der minderjährige Beschwerdeführer aus, sein Vater sei aus einem ihm unbekannten Grund nach Kabul gegangen und für etwa fünf Tage verschollen bzw. für seine Familie nicht erreichbar gewesen. Sie hätten dann von den Leuten im Dorf erfahren, dass dieser von den Taliban aufgegriffen und getötet worden wäre; seine Leiche sei auf die Straße geworfen worden. Sie hätten gehört, dass sein Vater und einige weitere Einwohner ihres Dorfes getötet worden wären, sie wüssten nicht, was genau passiert wäre und was der Grund gewesen wäre. Sie seien Schiiten gewesen, vielleicht hätten die Taliban seinen Vater und die anderen Personen aus diesem Grund umgebracht. Die Mutter des Beschwerdeführers habe Angst um diesen gehabt und nicht gewollt, dass ihm dasselbe passiere wie seinem Vater. Aus diesem Grund habe sie dessen Flucht aus Afghanistan organisiert. Dies sei alles. Es hätte in ihrem Dorf auch einen Jungen gegeben, welcher von den Taliban kurz nach seiner Hochzeit mit einem Messer umgebracht worden wäre. Für seine Mutter sei es nicht leicht gewesen, den Beschwerdeführer wegzuschicken, zumal er ihr ältester Sohn wäre und sie ihn sehr geliebt hätte. Sie habe Angst um sein Leben gehabt. Der Beschwerdeführer habe immer mit der Angst leben müssen, in der Schule habe er sich nicht konzentrieren können, sie hätten immer Angst gehabt, dass die Taliban kommen und sie umbringen würden. In ihrer Gegend gebe es lediglich fünf Jahre Schule, danach müsse man nach Kabul oder anderswo hin. Der Beschwerdeführer habe nicht weiter in die Schule gehen können. Seine Mutter habe Angst gehabt; der Beschwerdeführer sei ihr ältester Sohn gewesen und habe zuhause für sie da sein müssen. Sein Vater sei etwa sechs Monate vor der Ausreise des Beschwerdeführers aus Afghanistan getötet worden. Die Taliban würde nicht direkt in ihrem Dorf "wohnen", sich jedoch immer auf dem Weg Richtung Kabul positionieren. Sie seien des Öfteren gezwungen gewesen, nach Kabul zu fahren, da es bei ihnen kein Krankenhaus und wenige Geschäfte gebe. Unterwegs dorthin würden die Leute aus dem Auto gerissen und umgebracht. Der Beschwerdeführer glaube, dass der Grund hierfür wäre, dass sie Schiiten seien. Sein Vater sei einfacher Bauer gewesen und habe nicht für die Regierung gearbeitet. Der Beschwerdeführer könne sich überhaupt keinen Grund vorstellen, weshalb man ihn sonst getötet hätte. Dieser sei unschuldig gewesen und habe nichts verbrochen. Der Beschwerdeführer selbst sei bislang nie einem Talib begegnet und habe persönlich keine Probleme mit den Taliban gehabt; wäre er in Afghanistan geblieben, wäre dies jedoch sicher einmal passiert.

Seine Familie in Afghanistan habe vom Betrieb einer Landwirtschaft gelebt, nach der Schule habe der Beschwerdeführer in dieser mitgeholfen. Der Beschwerdeführer habe fünf Jahre die Schule besucht, wäre er in Afghanistan geblieben, hätte er künftig nach Kabul in die Schule gehen müssen. In Afghanistan habe er circa acht Onkeln und sieben Tanten, seine Großmutter lebe bei der Mutter. Seine Mutter arbeite derzeit selbst an ihren Grundstücken und könne so leben. Der Onkel des Beschwerdeführers sei behindert und könne nicht gehen, weshalb dieser der Mutter nicht helfen könne. Die restlichen Onkel und Tanten würden in Kabul leben. Dem Beschwerdeführer sei es nicht möglich gewesen, zu diesen Verwandten nach Kabul zu gehen, da seine Mutter Angst gehabt hätte, dass er dort bei einem Bombenschlag getötet würde. Manchmal habe er Kontakt zu einem Onkel in Kabul. Nachgefragt, würden die Onkel in Kabul ihn nicht aufnehmen, wenn er zurück müsste. Ein Onkel sei behindert, zwei weitere Onkel hätten selbst Familie und könnten sich nicht um den Beschwerdeführer kümmern. Der Beschwerdeführer sei auch sicher, dass er in Afghanistan im Falle einer Rückkehr nicht überleben würde.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich führte der Beschwerdeführer an, er habe hier eineinhalb Jahre die Neue Mittelschule beucht, aktuell besuche er ein Jugend College. Im Jänner müsse er eine Prüfung ablegen, bei deren Bestehen er den Pflichtschulabschluss machen dürfe. Darüber hinaus trainiere der Beschwerdeführer Kickboxen, an Wochenenden treffe er sich mit seinen Freunden und gehe schwimmen oder spiele Fußball; außerdem sei er seinem Betreuer behilflich, welchem er manchmal im Haushalt helfe. In Österreich lebe ein Cousin des Beschwerdeführers mit seiner Familie, welche der Beschwerdeführer etwa einmal monatlich besuche. Erst seitdem er in Österreich sei, wisse der Beschwerdeführer, was das Leben bedeute; hier könne er in Ruhe lernen und Sport betreiben, in Afghanistan sei das Thema der Tod und der Krieg gewesen. Der Beschwerdeführer habe jeden Tag Angst haben müssen. Der Beschwerdeführer sei dem österreichischen Staat für die Hilfe sehr dankbar und hoffe, in Österreich bleiben und sein Leben in Ruhe und in Frieden verbringen zu dürfen.

Vorgelegt wurden Unterlagen über den Schulbesuch des Beschwerdeführers in Österreich, eine psychologische Stellungnahme durch das Amt für Jugend und Familie vom 07.03.2016, aus welcher sich ergibt, dass beim Beschwerdeführer Symptome einer Posttraumatischen Belastungsstörung vorlägen, Deutschkursteilnahmebestätigungen, sowie eine Urkunde über den ersten Platz in einem Kickboxing-Wettbewerb.

Mit Eingabe vom 21.12.2017 übermittelte die gesetzliche Vertreterin des minderjährigen Beschwerdeführers eine schriftliche Stellungnahme zu den ihr anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme vom 07.12.2017 ausgehändigten Länderberichten. In dieser wurde nach zusammenfassender Wiedergabe des Vorbringens zunächst auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung der Minderjährigkeit bei der Würdigung des Vorbringens des Antragstellers hingewiesen. Die Sicherheitslage in Afghanistan erweise sich unverändert als volatil, zur Verfolgung und Diskriminierung von Angehörigen der Volksgruppe der Hazara werde auf ergänzendes, auszugsweise wiedergegebenes, Berichtsmaterial sowie die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs zur Zl. Ra 2015/19/0106 verwiesen. Der Beschwerdeführer habe ein glaubwürdiges Fluchtvorbringen erstattet und seine Angst, im Falle einer Rückkehr im Lichte der bisherigen Vorfälle ebenso wie sein Vater getötet zu werden, nachvollziehbar zum Ausdruck gebracht. Zufolge näher angeführter Judikatur sei es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden wären, es reiche vielmehr die begründete Furcht vor solchen. Bei einer etwaigen Rückkehr hätte der Beschwerdeführer private Verfolgung zu befürchten, einerseits aus religiösen und politischen Gründen, andererseits aufgrund seiner Volksgruppe, da schiitische Hazara besonders gefährdet seien, Opfer der Taliban zu werden. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei nicht gegeben, zumal nicht ersichtlich wäre, in welchem Teil Afghanistans der Beschwerdeführer vor der ihm drohenden Verfolgung sicher wäre; die Sicherheitslage erweise sich im gesamten Staatsgebiet als prekär, der Beschwerdeführer habe zudem keine Familienangehörigen, welche ihn aufnehmen und für ihn sorgen könnten. Beim Antragsteller handle es sich um einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling, für welchen aufgrund seiner Minderjährigkeit keine innerstaatliche Fluchtalternative bestünde, da nicht davon ausgegangen werden könne, dass es für diesen legal möglich oder zumutbar wäre, ohne seine Mutter und gesetzliche Vertreter in einem anderen Teil von Afghanistan Wohnsitz zu nehmen. Der Beschwerdeführer wäre nicht in der Lage, seine Existenz in Kabul zu sichern und käme dort in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage. Selbst wenn der minderjährige Beschwerdeführer ohne gesetzlichen Vertreter einen Wohnsitz nehmen und eine Arbeit finden könnte (was bestritten werde), so könnte er als Rückkehrer ohne Netzwerk, Ausbildung und Berufserfahrung nur eine derart schlecht entlohnte Arbeit finden, dass die hohen Lebenserhaltungskosten in Kabul nicht gedeckt werden könnten. Auch im Falle der Volljährigkeit wäre aufgrund der aus den Länderberichten ersichtlichen Sicherheitslage in Kabul nicht vom Bestehen einer innerstaatlichen Schutzalternative auszugehen. Aufgrund der dargelegten Umstände erscheine eine Rückkehr des minderjährigen Antragstellers nach Afghanistan als unzumutbar, weshalb in eventu die Gewährung von subsidiärem Schutz beantragt werde.

2. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des minderjährigen Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie festgestellt, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Die Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer ein minderjähriger Angehöriger der Volksgruppe der Hazara sowie des schiitisch-moslemischen Glaubens sei, dessen Mutter und Geschwister sich unverändert in Maidan Wardak, der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers, aufhielten. Weitere Verwandte würden sich in Kabul aufhalten. Der Beschwerdeführer leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung, er leide jedoch an keiner lebensbedrohlichen Krankheit. Die von ihm angegebenen Gründe für das Verlassen seiner Heimat erwiesen sich als nicht glaubwürdig, es habe nicht festgestellt werden können, dass dieser in Afghanistan einer Verfolgung im Sinne der GFK ausgesetzt gewesen wäre bzw. eine solche künftig zu befürchten hätte. Die Behörde verkenne die volatile Lage in Afghanistan aufgrund der Konflikte zwischen regierungsfeindlichen Kräften und Regierungskräften nicht. Laut Länderberichten komme es landesweit immer wieder zu Sicherheitsoperationen, bei denen sowohl aufständische Gruppierungen als auch afghanische Sicherheitskräfte Opfer zu verzeichnen hätten. Der Beschwerdeführer habe jedoch keine persönlich gegen ihn gerichtete Verfolgung vorgebracht. Dessen Angaben würden auf Mutmaßungen beruhen, die behauptete Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit lasse sich aus den aktuellen Länderfeststellungen nicht ableiten. Die Befürchtung des Beschwerdeführers, dass sein Leben aus diesem Grund in Gefahr sei, entbehre jeder objektiven Grundlage. Der Beschwerdeführer gehöre als Hazara zwar einer ethnischen und als Schiite einer religiösen Minderheit an, doch sei festzuhalten, dass sich für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara, wie aus den Länderberichten ersichtlich, die Situation in der Zwischenzeit deutlich verbessert hätte, wenngleich Spannungen fortbestehen und in lokal unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder aufleben würden. Ein wesentlicher Teil der Bevölkerung Afghanistans gehöre zumindest einer dieser beiden Gruppen an und lebe in Afghanistan ohne Verfolgung ausgesetzt zu sein. Es sei daher davon auszugehen, dass weder die Zugehörigkeit zur ethnischen Minderheit der Hazara, noch zur religiösen Minderheit der Schiiten, für sich alleine ausreiche, um davon ausgehen zu müssen, dass diese Person der Gefahr einer Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse oder einer bestimmten Glaubensgemeinschaft unterliegen würde Eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Afghanistan würde zum Entscheidungszeitpunkt keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für den Beschwerdeführer eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen. Dem Beschwerdeführer stünde eine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Die allgemeine Lage in Kabul erweise sich als relativ stabil, dieser könnte Kabul auf dem Luftweg erreichen, ohne einer besonderen Gefährdung ausgesetzt zu sein. Der Beschwerdeführer habe nach eigenen Angaben acht Onkeln und Tanten in Kabul. Diesem wäre es möglich, zu seinem Onkel in Kabul zu ziehen. Der Beschwerdeführer verfüge über Schulbildung und über ein valides familiäres Netz in Afghanistan. Diesem stünde es auch offen, sich an in Kabul ansässige staatliche, nichtstaatliche oder internationale Hilfseinrichtungen zu wenden. Er würde demnach nicht in eine finanziell oder wirtschaftlich ausweglose Lage geraten, zudem wäre ihm zufolge der Länderfeststellungen auch in Afghanistan die Inanspruchnahme medizinischer Behandlung möglich. Auch die Tatsache, dass es sich beim Beschwerdeführer um eine minderjährige Person handle, stelle kein Hindernis für eine Rückführung nach Afghanistan dar, zumal dieser einerseits über Familie in Afghanistan verfüge, zu welcher er häufigen Kontakt pflege. Zum anderen werde dieser in Österreich von der Jugendwohlfahrt betreut, welche alle Vorbereitungen für eine geregelte, seinem Alter entsprechende, Rückkehr gemeinsam mit dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl treffen könne. Ebenso stünde einer Begleitung durch einen Betreuer der Jugendwohlfahrt nichts entgegen und könne vorab bereits mit der Mutter des Beschwerdeführers in Kontakt getreten werden, sodass dieser direkt nach Ankunft am Flughafen von einer vertrauten Person in Obhut genommen werden könnte. Trotz der weiterhin als instabil zu bezeichnenden allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan, erscheine daher eine Ansiedelung in Afghanistan im Hinblick auf die regional unterschiedliche Sicherheitslage nicht grundsätzlich ausgeschlossen und aufgrund der individuellen Situation des Beschwerdeführers auch zumutbar.

Da der Beschwerdeführer, mit Ausnahme eines Cousins, welchen er nur gelegentlich besuchen würde, über keine familiären Bindungen in Österreich verfüge und angesichts der kurzen Dauer seines Aufenthaltes, trotz des Vorliegens einer den Umständen entsprechenden Integration seiner Person, keine schützenswerten privaten Anknüpfungspunkte begründet habe, würden keine Hinderungsgründe gegen eine Rückkehrentscheidung vorliegen.

3. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer durch seine nunmehrige Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 31.01.2018 fristgerecht Beschwerde ein. Begründend wurde nach zusammenfassender Wiedergabe des Fluchtvorbringens des Beschwerdeführers im Wesentlichen ausgeführt, die Behörde habe den Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren nicht entsprochen, zumal sich die herangezogenen Länderberichte nicht im ausreichenden Maß mit dem individuellen Fluchtvorbingen des Beschwerdeführers befassen würde; in diesem Zusammenhang werde auf ergänzendes Berichtsmaterial zur allgemeinen Sicherheitssituation in Afghanistan sowie zur Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul verwiesen, aus welchen sich unter anderem ergebe, dass es im Jänner 2018 bereits zu mehreren schweren Anschlägen in Kabul gekommen wäre, welche mehr als 200 Todesopfer gefordert hätten. Die dargestellte Gefährdung verstärke sich im Falle des Beschwerdeführers aufgrund dessen Minderjährigkeit umso mehr, welche - entgegen der Ansicht der Behörde - gegen eine Rückführung nach Afghanistan spreche. Die belangte Behörde zitiere in ihren Feststellungen eine Anfragebeantwortung zur Volksgruppe der Qizilbasch, was auf ein äußerst ungenaues Ermittlungsverfahren schließen ließe. Bereits in der Stellungnahme der gesetzlichen Vertretung seien diverse Länderberichte zitiert und auf die desaströse Sicherheitslage sowie die Lage der Hazara in Afghanistan eingegangen worden, was von der belangten Behörde jedoch nicht gewürdigt worden wäre. Sofern die Behörde den Antrag des Beschwerdeführers mit der Begründung abweise, dass dieser kein glaubwürdiges bzw. asylrelevantes Vorbringen erstattet hätte, basiere dies auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung. Hinsichtlich der Verfolgung des Beschwerdeführers aus Gründen der Volksgruppe und Religion werde ergänzend zu den Ausführungen in der bereits eingebrachten Stellungnahme darauf verwiesen, dass der Verwaltungsgerichtshof wiederholt die hohen Anforderungen an die Begründungs- und Ermittlungspflichten hinsichtlich einer etwaig drohenden Gruppenverfolgung der Hazara betont hätte. Dem Beschwerdeführer würden aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara im Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Diskriminierungen, welche die für den Verfolgungsbegriff der GFK erforderliche Intensität erreichen würden, drohen bzw. würde dieser in eine existenzielle Notlage geraten, welche eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde. UNHCR identifiziere Hazara in den aktuellen Richtlinien zum Schutzbedarf afghanischer Flüchtlinge unter zwei Gesichtspunkten als Angehörige von gefährdeten/verfolgten Risikogruppen, nämlich einerseits als ethnische Minderheit, andererseits als religiöse Minderheit; auch näher angeführtes Berichtsmaterial der US Commission on International Religious Freedom, des UK Home Office und des US Department of State, von UNAMA, des UN-Generalsekretärs, von UNHCR, Human Rights Watch sowie eine Anfragebeantwortung von ACCORD dokumentiere die nach wie vor vielfältigen Bedrohungsszenarien, welchen sich Angehörige der Hazara nach wie vor ausgesetzt sehen. Zur Situation von Rückkehrern werde darüber hinaus auf einen Aufsatz von Friederike Stahlmann, einen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe sowie ein (Gegen-)Gutachten von Thomas RUTTIG verwiesen. Die Behörde setze sich unzureichend mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinander, insbesondere habe dessen Aussage, dass bereits sein Vater durch die Taliban ermordet worden wäre, keinerlei Eingang in die Beweiswürdigung gefunden. Sofern die Behörde die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers einer Rückkehrentscheidung nicht als entgegenstehend erachte, da der Beschwerdeführer durch einen österreichischen Betreuer der Jugendwohlfahrt nach Afghanistan begleitet werden könne, sei objektiv nicht schlüssig nachvollziehbar, inwiefern eine etwaige Reisewilligkeit eines österreichischen Betreuers die Prüfung der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative bzw. der Frage, ob der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr einer Verletzung seiner Rechte nach Artikel 2, 3 EMRK ausgesetzt wäre, ersetzen könne. Eine solche Verletzung drohe jedoch aufgrund der sich verschlechternden Sicherheitslage, der Volksgruppenzugehörigkeit sowie der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers. Die Beurteilung der Verfolgungsgefahr stelle eine Prognoseentscheidung dar, weshalb dem Beschwerdeführer in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch dann Verfolgung drohen könne, wenn er das Land noch vor einer konkreten persönlichen Verfolgung verlassen hätte. Die Behörde habe nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan gerade aufgrund der Kumulation seiner unstrittigen Merkmale (vgl. hierzu VwGH 15.3.2016, Ra 2015/19/0180) - minderjährig, Hazara, Schiit, mittlerweile mehrjähriger Aufenthalt in Österreich, keine Schul- und Berufsbildung - in eine existenzielle Notlage geraten würde. Die angeführten Merkmale würden zudem mehreren von UNHCR in seinen Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016 angeführten Risikoprofilen entsprechen. Zusammenfassend würde sich der Beschwerdeführer sohin im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund einer Kumulation verschiedener Gefährdungspotentiale in einer existenziellen Notlage wiederfinden und hätte mit Diskriminierung im asylrelevanten Ausmaß zu rechnen, weshalb ihm der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen wäre. Zudem drohe dem aus der besonders umkämpften Provinz Wardak stammendem Beschwerdeführer, welcher die Staatsraison der Taliban nicht teile, der religiösen Minderheit der Schiiten sowie der ethnischen Gruppierung der Hazara angehöre, eine Verletzung seiner in Artikel 2 und 3 EMRK garantierten Rechte. Der von der Behörde getätigte Verweis auf eine innerstaatliche Fluchtalternative hätte nähere Feststellungen über die den Beschwerdeführer im betreffenden Gebiet konkret erwartende Lage erfordert. Aufgrund der bereits angeführten mehrfachen Gefährdungsmomente in Zusammenschau mit der allgemeinen Sicherheits- und Versorgungslage erscheine eine Neuansiedelung in Großstädten, insbesondere in Kabul, nicht zumutbar. Der Beschwerdeführer weise in Kabul keine real verfügbaren familiären Anknüpfungspunkte auf, er sei dort nie aufhältig gewesen und es ergebe sich aus dem überwiegenden Länderberichtsmaterial, dass die Ansiedelung für einen Minderjährigen nicht möglich sei. Der Beschwerdeführer sei seit über zwei Jahre in Österreich aufhältig und zeige deutliche Integrationsbemühungen, welche vom BFA nicht ausreichend gewürdigt worden wären.

4. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit Erkenntnis vom 22. März 2018 als unbegründet ab.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Frage der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten im Wesentlichen aus, dass sich aus dem Vorbringen keine für den Beschwerdeführer individuell drohende Gefährdungslage ergebe, zumal dem Vorbringen kein Hinweis auf eine zielgerichtete Verfolgung des Vaters entnommen werden könne und der Beschwerdeführer bezogen auf seine eigene Person zudem angeführt habe, nie in Kontakt zu Angehörigen der Taliban gestanden und bislang keiner Bedrohung durch diese ausgesetzt gewesen zu sein. Die Befürchtung einer Verfolgung durch die Taliban stelle sich sohin als bloße Mutmaßung und als zu wenig substantiiert dar. Der Beschwerdeführer sei vor dem Hintergrund der herangezogenen Länderberichte auch keiner Gruppenverfolgung auf Grund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der schiitischen Hazara ausgesetzt. Hinweise auf eine altersspezifische Gefährdung auf Grund der Minderjährigkeit hätten sich im Verfahren nicht ergeben und seien vom Beschwerdeführer lediglich abstrakt ins Treffen geführt worden.

In der Begründung der Entscheidung zur Frage der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten führt das Bundesverwaltungsgericht zusammengefasst aus, dass es davon ausgehe, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz die reale Gefahr einer Verletzung des Art3 EMRK drohen würde, er aber in zumutbarer Weise auf die Übersiedlung in andere Landesteile Afghanistans, konkret insbesondere in die Hauptstadt Kabul, verwiesen werden könne; dies u.a. vor dem Hintergrund, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen Jugendlichen im sechzehnten Lebensjahr mit grundlegender Schulbildung sowie Erfahrung in der Landwirtschaft handle, bei dem eine künftige grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden könne, und der mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates und der Sprache vertraut sei. Auch verfüge er in Kabul über mehrfache verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte. Weshalb eine Unterstützung durch diese Verwandten nicht möglich sei, sei nicht konkretisiert worden. Angesichts der vergleichsweise geringen Entfernung zwischen Kabul und seinem Herkunftsort und der Aussage, dass seine Familie auf Grund der schlechten Infrastruktur im Heimatort immer wieder zu Fahrten nach Kabul gezwungen gewesen sei, sei zudem von einer gewissen Vertrautheit mit den dortigen Gegebenheiten auszugehen. Der Beschwerdeführer habe auch vorgebracht, dass Personen aus seiner Herkunftsregion auf Grund der dort limitierten Bildungsmöglichkeiten zu einem weiteren Schulbesuch üblicherweise nach Kabul gehen würden, was auch in seinem Fall in Kürze in Aussicht gestanden wäre.

An der Zumutbarkeit einer Neuansiedelung in Kabul vermöge auch die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers nichts zu ändern: Dabei verweist das Bundesverwaltungsgericht insbesondere darauf, dass angesichts der in der afghanischen Gesellschaft etablierten Strukturen eine Teilnahme am Erwerbsleben generell wesentlich früher stattfinde und somit eine strenge Zäsur im Hinblick auf das Alter des Beschwerdeführers nicht der vorherrschenden sozioökonomischen Lage in Afghanistan entspreche. Zudem ergebe sich die vom Beschwerdeführer mittlerweile erreichte weitgehende Selbständigkeit nicht nur auf Grund seines Alters, sondern bereits aus der Tatsache, dass er sich in Österreich innerhalb eines verhältnismäßig kurzen Zeitraums in einen ihm völlig fremden Kulturkreis einfügen habe können. Vor diesem Hintergrund könne daher umso mehr von einer rasch möglichen Adaptierung in Afghanistan, wo er den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht habe, ausgegangen werden. Dies auch angesichts der nach wie vor dort bestehenden familiären Anknüpfungspunkte. Eine besondere Vulnerabilität des Beschwerdeführers und auf Grund seiner Minderjährigkeit potenzierte Gefahrenlage angesichts der Vielzahl von Risiken, die vor allem Kinder betreffen würden, sei daher nicht gegeben. Bezogen auf die allgemeine Sicherheitslage und unter Berücksichtigung der Risiken, denen Minderjährige in Afghanistan ausgesetzt seien, sei daher daraus kein gefahrenerhöhendes Moment abzuleiten.

Die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung und der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan stützte das Bundesverwaltungsgericht insbesondere darauf, dass trotz nicht verkannter Integrationsbestrebungen des Beschwerdeführers (insbesondere Besuch von Deutschkursen, Freundschaften im Bundesgebiet und Mitgliedschaft in einem Verein) eine tiefgreifende Integrationsverfestigung während seines zum Entscheidungszeitpunkt knapp zweieinhalbjährigen Aufenthaltes gesamtbetrachtend nicht erkannt werden könne.

Den Entfall der mündlichen Verhandlung begründet das Bundesverwaltungsgericht damit, dass in der Beschwerde keine Sachverhaltselemente aufgezeigt worden seien, die einer mündlichen Erörterung bedürften.

5. Der Verfassungsgerichtshof hat einer dagegen erhobenen Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht betreffend die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise richtet, Folge gegeben und das Erkenntnis des BVwG insoweit behoben, während im Übrigen die Behandlung der Beschwerde abgelehnt wurde.

Der Verfassungsgerichtshof begründete die aufhebende Entscheidung wie folgt:

"2.2. In den im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes wiedergegebenen Länderfeststellungen sind u.a. Abschnitte zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan und in Kabul, zur politischen Lage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zur Religionsfreiheit, zu ethnischen Minderheiten, zur Bewegungsfreiheit, zur Grundversorgung und wirtschaftlichen Lage, zur medizinischen Versorgung und zur Behandlung von Rückkehrern enthalten. Nicht enthalten sind spezifische Ausführungen zu (unbegleiteten) Minderjährigen. Erwähnung finden Minderjährige in den herangezogenen Berichten zur Lage in Afghanistan lediglich mit der Aussage, dass sich unter den zivilen Opfern des anhaltenden Konfliktes ein erheblicher Anteil an Kindern befinde ("UNAMA verzeichnete 3.512 minderjährige Opfer [923 Kinder starben und 2.589 wurden verletzt] - eine Erhöhung von 24% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres; die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn. Hauptursache waren Munitionsrückstände, deren Opfer meist Kinder waren."), dass "Frauen und Kinder in Polizeigewahrsam und Haftanstalten besonders in Gefahr [seien], misshandelt zu werden", und im Zusammenhang mit der medizinischen Versorgungslage.

2.3. Bei der Behandlung der Anträge auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind, unabhängig davon, ob diese unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen der Kinder Eingang finden, bei entsprechend schlechter allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich (vgl. UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Artikel 1 [A] 2 und 1 [F] des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 22.12.2009, Rz 74). Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt die Bedeutung entsprechender und aktueller Länderfeststellungen im Hinblick auf Minderjährige als besonders vulnerable Antragsteller hervorgehoben (zB VfGH 9.6.2017, E484/2017 ua. mwN). Dieses Verständnis steht im Einklang mit Art24 Abs2 GRC bzw. ArtI zweiter Satz des Bundesverfassungsgesetzes über die Rechte von Kindern, BGBl I 4/2011, wonach bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein muss (VfGH 2.10.2013, U2576/2012 mit Verweis auf EuGH 6.6.2013, Rs. C-648/11, MA ua., Rz 56 und 57; s. VfGH 11.10.2017, E1803/2017 ua.).

2.4. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt bei der Frage der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers insofern, als es ausführt, dass dem Beschwerdeführer eine Neuansiedelung in Kabul möglich sei, weil eine Teilnahme am Erwerbsleben generell wesentlich früher stattfinde, der Beschwerdeführer mittlerweile eine weitgehende Selbständigkeit erreicht habe und er in Afghanistan, wo er den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht habe, bestehende familiäre Anknüpfungspunkte aufweise. Daraus zieht es den Schluss, dass eine besondere Vulnerabilität des Beschwerdeführers und auf Grund seiner Minderjährigkeit potenzierte Gefahrenlage angesichts der Vielzahl von Risiken, die vor allem Kinder betreffen, nicht gegeben sei.

Mit diesen Ausführungen geht das Bundesverwaltungsgericht zwar auf bestimmte, im Lichte von Art3 EMRK relevante Aspekte ein, verkennt aber, dass es sich beim Beschwerdeführer als unbegleiteten Minderjährigen um eine besonders vulnerable Person handelt (vgl. die Definition schutzbedürftiger Personen in Art21 der Richtlinie 2013/33/EU zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen [Aufnahmerichtlinie]), weshalb eine konkrete Auseinandersetzung damit erforderlich ist, wie sich die Situation des Beschwerdeführers tatsächlich nach seiner Rückkehr darstellt (s. dazu auch jüngst VwGH 21.3.2018, Ra 2017/18/0474; s. dazu auch die - vom Bundesverwaltungsgericht selbst in der Entscheidung wiedergegebenen -UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016, wonach "eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer [erweiterten] Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen. Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar.").

Das Erkenntnis enthält zwar Ausführungen dazu, weshalb das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer durch sein verwandtschaftliches Netzwerk vorübergehend Unterstützung finden könnte. Diese Annahme trifft das Bundesverwaltungsgericht, obgleich der Beschwerdeführer die Möglichkeit zu einer Unterstützung durch seine Verwandten in Kabul bei seiner Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verneint hat. Dabei fällt auch ins Gewicht, dass das Bundesverwaltungsgericht keine mündliche Verhandlung durchgeführt hat, um zum einen zu klären, inwiefern eine Unterstützung des minderjährigen Beschwerdeführers durch seine Verwandten möglich ist bzw. welche Rückkehrsituation er in Kabul tatsächlich vorfinden würde. Zum anderen hätte das Bundesverwaltungsgericht dadurch einen persönlichen Eindruck des Beschwerdeführers - insbesondere im Hinblick auf die vom Bundesverwaltungsgericht angenommene "Selbständigkeit" des Beschwerdeführers - erlangen können.

2.5. Zudem unterlässt das Bundesverwaltungsgericht eine nähere Auseinandersetzung mit den von ihm selbst wiedergegebenen Passagen in den Länderberichten, die eine hohe Zahl minderjähriger ziviler Opfer durch konfliktbedingte Gewalt aufweisen (s. zur gebotenen Auseinandersetzung mit den getroffenen Feststellungen VfGH 21.9.2017, E2130/2017 ua.; 11.10.2017, E1803/2017 ua.; 13.12.2017, E2497/2016 ua.; 27.2.2018, E3507/2017), und lässt überdies zum Entscheidungszeitpunkt vorhandene Länderberichte unberücksichtigt, die auf körperliche Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei hinweisen und aufzeigen, dass sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen nach wie vor ein großes Problem darstellt (vgl. Auswärtiges Amt [9.2016]: Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan; vgl. dazu auch VfGH 21.9.2017, E2130/2017 ua.; 27.2.2018, E3507/2017).

2.6. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erweist sich daher im Hinblick auf die Beurteilung einer dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr drohenden Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art2 und 3 EMRK als nicht ausreichend nachvollziehbar. Soweit sie sich auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Beschwerdeführer und - daran anknüpfend - auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung bzw. der Abschiebung in den Herkunftsstaat Afghanistan unter Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise bezieht, ist sie somit mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben."

Die mit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.03.2018 erfolgte Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten steht somit in Rechtskraft.

6. Im fortgesetzten Verfahren hat der Verwaltungsgerichtshof aufgrund eines Fristsetzungsantrages des Beschwerdeführers mit verfahrensleitender Anordnung vom 13.11.2019 das Bundesverwaltungsgericht aufgefordert, binnen sechs Wochen die Entscheidung zu erlassen.

Mit Schriftsatz seiner Rechtsvertreterin vom 06.12.2019 äußerte sich der Beschwerdeführer zu den mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelten Berichten über die Situation im Herkunftsstaat und beantragte die Einvernahme von zwei Zeugen. Weiters wurden das Zeugnis über den mit 29.11.2019 erworbenen Pflichtschulabschluss vorgelegt und Medienberichte über gewaltsame Anschläge in Kabul, Farhad, und Nangarhar sowie ein Bericht über die schwierige Lebenssituation von nach Afghanistan abgeschoben Personen übermittelt.

Das Bundesverwaltungsgericht hat am 09.12.2019 eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchgeführt, an welcher der Beschwerdeführer und seine gesetzliche Vertreterin teilnahmen, während die belangte Behörde keinen Vertreter entsandte. Dabei wurden die Rückkehrbefürchtungen und die privaten und persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers erörtert sowie dazu auch zwei Zeugen einvernommen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. zur Person des Beschwerdeführers:

Der noch minderjährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist Muslim schiitischer Ausrichtung. Seine Identität steht nicht fest. Er stammt aus der Provinz Maidan Wardak, wo er fünf Jahre lang die Schule besuchte und in der Landwirtschaft seiner Familie mithalf. Der minderjährige Beschwerdeführer reiste im November 2015 illegal ins Bundesgebiet ein, wo er am 27.11.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Der Vater des Beschwerdeführers ist bereits verstorben. Die Mutter und seine fünf jüngeren Geschwister hielten sich nach seiner Ausreise zunächst weiter unverändert in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers auf und bestritten ihren Lebensunterhalt durch die Bewirtschaftung der im Besitz der Familie befindlichen Grundstücke. Im August oder September 2019 haben diese wegen der fehlenden Infrastruktur und der schlechten Sicherheitslage nach Verkauf ihrer Grundstücke den Herkunftsstaat verlassen und leben im Iran.

Nicht festgestellt werden kann, dass dem Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten oder zur Volksgruppe der Hazara Verfolgung in Afghanistan droht. Es kann auch sonst nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Es wird zugrunde gelegt, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz in Afghanistan ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde. Bei einer Ansiedelung außerhalb seiner Heimatprovinz, insbesondere in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat, besteht für den Beschwerdeführer als fast volljährigen leistungsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine konkrete Gefahr, einen Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit zu erleiden und liefe der Beschwerdeführer auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer, bei welchem im März 2016 die Symptomatik einer Posttraumatischen Belastungsstörung diagnostiziert wurde, leidet an keiner schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankung, befindet sich aktuell nicht in ärztlicher Behandlung und nimmt keine Medikamente ein.

Der unbescholtene Beschwerdeführer ist seit seiner Antragstellung im November 2015 durchgehend auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts in seinem Asylverfahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig und bestreitet den Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Der Beschwerdeführer verfügt über grundlegende Deutschkenntnisse; er hat in Österreich Deutschkurse besucht und mit 21.02.2019 die Integrationsprüfung auf dem Niveau B1 absolviert. Der Beschwerdeführer besuchte eineinhalb Jahre lang die Neue Mittelschule als außerordentlicher Schüler und hat mit 29.11.2019 die Pflichtschulabschluss-Prüfung abgelegt. Er hat vom Oktober 2017 bis Jänner 2019 im Rahmen des Jugendcolleges einen Berufsorientierungsprozess durchlaufen.

Der Beschwerdeführer ist kommunikativ und aufgeschlossen und hat auf Grund seines Alters und seiner Persönlichkeit in seiner Wohngemeinschaft den Status eines "großen Bruders". Er hat Freundschaften im Bundesgebiet geknüpft, in seiner Freizeit trainiert er in einem Kickboxverein, geht schwimmen und spielt Fußball. Mit Ausnahme eines asylberechtigten Cousins, welcher gemeinsam mit seiner Familie in Österreich lebt und welchen der Beschwerdeführer regelmäßig besucht, hat der Beschwerdeführer in Österreich keine Verwandten und keine sonstigen engen familienähnlichen Bindungen.

1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:

...

Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 7.3.2016; UNGASC 3.3.2017; UNGASC 28.2.2018; UNGASC 28.2.2019))

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Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

 

2016

2017

2018

2019

Jänner

2111

2203

2588

2118

Februar

2225

2062

2377

1809

März

2157

2533

2626

2168

April

2310

2441

2894

2326

Mai

2734

2508

2802

2394

Juni

2345

2245

2164

2386

Juli

2398

2804

2554

2794

August

2829

2850

2234

2443

September

2493

2548

2389

-

Oktober

2607

2725

2682

-

November

2348

2488

2086

-

Dezember

2281

2459

2097

-

insgesamt

28.838

29.866

29.493

18.438

Abb. 2: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

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Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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