TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/29 W272 2196696-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.01.2020
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Entscheidungsdatum

29.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W272 2196696-1/24E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Herbert POCHIESER gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich vom XXXX , Zahl XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm. §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3 und 57 AsylG, § 9 BFA-VG, §§ 46, 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 20.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (in der Folge AsylG).

2. Am Tag der Antragstellung wurde der Beschwerdeführer einer Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes unterzogen, wobei er zunächst zu seinen persönlichen Verhältnissen angab, dass er in Kabul, Afghanistan, geboren sei. Er sei traditionell verheiratet, bekenne sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam und gehöre er der Volksgruppe der Paschtunen an. Er spreche Paschtu in Wort und Schrift. In Afghanistan habe er 12 Jahre die Schule besucht und mit Matura abgeschlossen. Er habe sechs Semester lang Wirtschaftswesen studiert, dieses jedoch abgebrochen. In Afghanistan würden seine Eltern sowie seine Ehefrau, seine beiden Kinder und zwei Brüder leben. Als Fluchtgrund gab er an, dass er für das in Innenministerium gearbeitet habe. Sein Büro habe mit der ausländischen Besatzung zusammen gearbeitet. Von dieser Besatzung habe er sein Gehalt bekommen. Die Taliban hätten ihn in seiner Heimatstadt bedroht, weil er für die ausländische Besatzung gearbeitet und von denen sein Gehalt bezogen habe. Er habe mehrmals Drohungen, Morddrohungen, von den Taliban bekommen, deshalb sei sein Leben in Gefahr. Aus diesem Grund habe er die Flucht ergriffen.

3. Am 12.07.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt zu seinem Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass er 18 Monate bei einer Firma namens XXXX , im Gebiet der Biometrie, beschäftigt gewesen sei. Diese Firma sei von von den Amerikanern unterstützt worden und habe für das Innenministerium bzw. den afghanischen Geheimdienst gearbeitet. Das erste Jahr habe es keine Probleme gegeben, jedoch sei er eines Tages in seinem Dorf von einer Person namens XXXX , der Informationen für die Taliban sammle und weiterleite, angesprochen worden. Er sei gefragt worden, ob er für die afghanische Regierung arbeite. Dies habe er verneint und erklärt für die Universität der Stadt tätig zu sein. Er sei verdächtigt worden und habe er am Abend einen Freund, der auch ein Geheimdienstmitglied gewesen sei, angerufen, der XXXX verraten habe, der am darauffolgenden Tag von der Exekutive festgenommen und vier Monate inhaftiert worden sei. Nach diesem Vorfall seien regelmäßig Taliban in deren Dorfmoschee gekommen und hätten sie gegenüber seinem Vater geäußert, dass der Beschwerdeführer für die Regierung arbeite, ein Verräter sei und hätten gedroht, dass sie den Beschwerdeführer erschießen würden. Daraufhin habe er seine Arbeit gekündigt und fand eine neue Firma, wo es darum gegangen sei, an einer elektronischen Tazkira zu arbeiten, wobei die Leute nicht aufgehört hätten, ihn auf seine Geheimdienstarbeit anzusprechen. Er sei Jahre in Kabul geblieben und habe sich an einem sicheren Ort ein Zimmer gemietet und wäre er nur mehr sehr selten in sein Dorf gekommen. Nach insgesamt drei Jahren sei ihm von seinem Mitbewohner erzählt worden, dass er von drei bis vier Personen mit Bart und Turban, die mit einem Toyota Corolla gekommen wären, gesucht worden sei. Daraufhin habe er, da er gewusst habe, dass das Taliban gewesen seien, die Adresse gewechselt. Ein bis zwei Tage bevor er Afghanistan verlassen habe wollen, sei er mit dem Auto unterwegs nachhause gewesen, als ein Motorradfahrer mit Beifahrer mit einem Schalldämpfer auf ihn geschossen hätte. Glücklicherweise habe er nicht den Beschwerdeführer, sondern das Autofenster getroffen, weil er seinen Kopf einzogen habe. Nach diesem Vorfall habe er seinen Vater angerufen und seine Familie getroffen und entschieden seine Heimat zu verlassen. Er habe Afghanistan im Geheimen verlassen, sein Kollege habe für ihn eine Krankenbestätigung geschrieben. Daher stimme auch das Datum auf dem letzten Arbeitszeugnis nicht überein, da sein Kollege für ihn gekündigt habe. Vor zweieinhalb Monaten habe er Kontakt zu seiner Familie gehabt und erfahren, dass es zu ein paar Besuchen gekommen wäre, wo nach ihm gefragt worden sei. Die Besucher hätten nicht gewusst, dass er seine Heimat verlassen habe. Am gleichen Tag sei XXXX und dessen Sohn, im Auto attackiert worden. Seine Familie habe auch das Dorf verlassen.

Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer afghanische Dokumente, eine Tazkira, einen afghanischen Führerschein, Nachweise über seine Berufsausübung im Innenministerium sowie Unterlagen zu seiner Integration vor.

4. In weiterer Folge wurde der Beschwerdeführer einer weiteren Einvernahme vor dem Bundesamt am 06.04.2018 unterzogen, wo er zu seinem Fluchtgrund zusammengefasst vorbrachte, von den Taliban verfolgt zu werden. Es habe insgesamt fünf Bedrohungen gegeben. Die erste Bedrohung habe auf einem Volleyballfeld stattgefunden, wo er angesprochen und gefragt worden sei, ob er für die Regierung arbeite. Zudem sei sein Vater von den Taliban zweimal in der Moschee angesprochen worden und hätten ihm gesagt, dass der Beschwerdeführer aufhören solle für die Regierung zu arbeiten, weil er sonst bestraft werden könnte. Die Taliban seien in seinem Zimmer gewesen, wobei er nicht anwesend gewesen sei, sondern habe ihm sein Freund davon berichtet, dass vier Männer da gewesen seien. Dies sei die vierte Bedrohung gewesen. Die fünfte Bedrohung habe sich einen Tag vor der Ausreise ereignet. Er sei am Abend mit dem Auto, mit einem Corolla in der Nähe von Baharistan in Kabul auf dem Weg nachhause unterwegs gewesen. Er sei von einem Motorrad verfolgt worden, der hintere habe eine Waffe gezogen. Er habe sich geduckt und die Splitter seien auf ihn herabgefallen. Er wisse nicht, wie sie geflüchtet seien, aber die Scheibe sei zerbrochen. Er habe seinen Vater angerufen und ihm vom Vorfall erzählt. Er sei nachhause gefahren und habe sich mit seinem Vater beraten, der gesagt habe, dass die ihn umbringen würden. Sein Vater habe dann mit einem Schlepper gesprochen und sei er am nächsten Tag ausgereist.

Im Rahmen der Einvernahme brachte der Beschwerdeführer diverse Dokumente, darunter Kopie einer Heiratsurkunde, eine Übersetzung der vorgelegten Bestätigung des Innenministeriums, eine Bestätigung der Echtheit des Führerscheines, ein ÖSD Zertifikat B1, Unterlagen der Universität Wien, eine Bestätigung der Vereinsmitgliedschaft bei " XXXX " sowie zwei Bilder von der Tätigkeit vom 14.11.2011 - 14.05.2013, vor.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Unter Spruchpunkt VI. wurde ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine persönlichen Fluchtgründe nicht glaubhaft habe machen können. Demnach liege weder eine allgemeine Gefährdungslage in Bezug auf seine Herkunftsprovinz Kabul noch für gesamt Afghanistan allgemein vor. Zudem könnte der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt in Kabul bzw. Mazar-e-Sharif bestreiten. Beweiswürdigend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers auffallend vage und nicht plausibel sei. Ferner habe er sich innerhalb seiner Schilderungen in Widersprüche verwickelt. Zudem habe der Beschwerdeführer mehrere Möglichkeiten einer innerstaatlichen Fluchtalternative gehabt, welche er einfach nicht nutzen habe wollen, zumal es im Fall seiner Familie, damit die angebliche Bedrohung beendet gewesen wäre, gereicht haben soll, dass diese an einen anderen Ort, der 40 Minuten entfernt wäre, verzogen sei. Aus diesem Grund könne auch den Ausführungen des Beschwerdeführers zur angeblichen Gefährdungslage im Falle einer Rückkehr nicht gefolgt werden. Dass der Beschwerdeführer den Lebensunterhalt in Kabul oder Mazar-e-Sharif bestreiten könne, habe auf Grund der entsprechenden Länderinformationen festgestellt werden können. Zusätzlich habe er bewiesen, dass es ihm möglich war, über viele Länder und fremde Kulturen, die Reise bis nach Europa zu schaffen. Es bestehe kein Zweifel daran, dass er als arbeitsfähiger und gesunder Mann, welcher Schulbildung und Berufserfahrung besitze, sich dort versorgen könnte, zumal er sicher auf die Unterstützung seiner in Afghanistan lebenden Familie zurückgreifen könne. Zudem habe er die Möglichkeit als erfahrener Angestellter im öffentlichen Dienst auch dort wieder eine Beschäftigung zu finden.

6. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde, wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie der Verletzung von Verfahrensvorschriften, beim Bundesverwaltungsgericht ein. Im Wesentlich wurde auf die schlechte Sicherheitslage in Afghanistan, insbesondere Kabul, hingewiesen. Zudem wurde moniert, dass der BF Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sei, da er wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt würde. Diese Überzeugung habe sich durch seine Tätigkeit für das afghanische Innenministerium und den Geheimdienst bei der Firma XXXX , welche von den Amerikanern unterstützt werde, was nach außen hin erkennbar manifestiert sei, ergeben. Neben dem Hinweis auf die höchstgerichtliche Judikatur wurde darauf hingewiesen, dass Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure konventionsrelevant sei, sofern der Staat nicht Willens oder in der Lage sei den BF zu stützen, weshalb auch eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar sei, da die Bedrohung durch die Taliban, vor allem hinsichtlich (ehemaliger) Mitarbeitern der Regierung und des Geheimdienstes im gesamten Land allgegenwärtig sei. Besonders Regierungsmitarbeiter wären in den Augen der Taliban gegen die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Religionsansicht.

7. In der Stellungnahme vom 07.12.2018 wurde angeführt, dass der Beschwerdeführer bemüht sei sich eine wirtschaftliche und finanzielle Existenz aufzubauen und wurde die Ablichtung eines Führerscheins, ein GISA-Auszugs vom 19.09.2018 sowie drei Honorarnoten vom September bis November 2018 vorgelegt. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan, insbesondere in Kabul, drastisch verschlechtert habe und auf die lebensbedrohliche Situation, laut Stahlmann-Gutachten, für Rückkehrer hingewiesen. Demnach schütze die Verlegung des Wohnsitzes in eine andere Provinz, etwa Kabul, nicht davor Opfer eines Konfliktes oder einer willkürlichen Tötung zu werden. Insbesondere sei der Beschwerdeführer aufgrund der früheren Tätigkeit in der Firma XXXX , welche von amerikanischen Besatzung unterstützt wurde, und seiner Arbeit für den afghanischen Geheimdienst, von Verfolgung durch die Taliban bedroht. Trotz des Wechsels in eine andere Firma sei er weiterhin von den Taliban bedroht worden und sei sogar ein Mordversuch verübt worden. Aufgrund seines Gefährdungsprofils könne der Beschwerdeführer nicht nach Afghanistan zurückkehren, da ihm Verfolgung durch die Taliban drohe und wurde an dieser Stelle auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde verwiesen.

8. Am 03.06.2019 langte eine weitere Stellungnahme durch den Vertreter des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein. Dabei wurde vorgebracht, dass sich der Beschwerdeführer in Österreich eine wirtschaftliche und finanzielle Existenz aufgebaut habe, wobei Honoranten von Dezember 2018 bis Mai 2019 vorgelegt wurden. Auch auf die frühere Tätigkeit des Beschwerdeführers für die Firma XXXX und die diesbezügliche Verfolgungsgefahr durch die Taliban wurde erneut hingewiesen. UNHCR schließe eine interne Schutzalternative für Personen, die von den Taliban verfolgt würden, im gesamten Staatsgebiet aus und werde aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, aber auch bei Verfolgung aktueller medialer Berichterstattung über Geschehnisse in Afghanistan mehr als deutlich, wie drastisch sich die Sicherheitslage in ganz Afghanistan verschlechtert habe.

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 18.06.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, die unterbrochen und am 16.12.2019 fortgesetzt wurde. Dabei legte der Beschwerdeführer folgende Unterlagen vor:

Arbeitsbestätigung " XXXX " vom 10.07.2017, Teilnahmebestätigung Projekt Connect PH Wien vom 31.01.2017 und vom 10.07.2017, Teilnahmebestätigung an Sitzungen des Vereins " XXXX vom 13.06.2019, Empfehlungsschreiben von XXXX vom 14.06.2019, Empfehlungsschreiben von XXXX vom 16.06.2019, wobei der BF selbst angibt, den Nachnamen der Dame nicht zu kennen, Vertrag zwischen dem BF und der Firma XXXX über einen Logistik- und Transportvermittlung, Honorarnoten vom Dezember 2018 bis April 2019 und Juni 2019, 7 Lichtbilder bezeichnet von A-F, die darlegen sollen, dass der BF bei XXXX tätig war und man sieht ihn mit Amerikanern

10. In der Stellungnahme vom 25.06.2019 wurde nochmals auf die drastische Verschlechterung der Sicherheitslage in Kabul, Balkh und Herat hingewiesen. Ferner wurde vorgebracht, dass die Familie des Beschwerdeführers bereits aufgrund der Bedrohungen durch die Taliban umgezogen sei. Bei seiner Rückkehr wären er und seine gesamte Familie den Bedrohungen der Taliban durch seine frühere Tätigkeit für die Firma XXXX ausgesetzt. Die Taliban hätten seine Eltern auch nach seiner Flucht bedroht, indem sie ihn zu Hause aufsuchten. Aus der Anfragebeantwortung zu Afghanistan gehe zudem hervor, dass die Drohungen durch die Taliban inkonsistent und nie vorhersehbar seien, welche Schritte wann durch sie gesetzt würden. Es wäre deshalb auch nach seiner Kündigung bei XXXX und der Aufnahme seiner neuen Tätigkeit nie klar, was als nächstes geschehen werde. Als sie schließlich versucht hätten, den Beschwerdeführer zu ermorden, habe er gewusst, dass ihm nur die Möglichkeit bleibe, zu flüchten. Fest stehe jedenfalls, dass er bei seiner Rückkehr nach Afghanistan - egal wohin - früher oder später von den Taliban gefunden würde.

11. Mit Parteiengehör vom 21.10.2019 wurden die Parteien zur beabsichtigten Bestellung eines Sachverständigen in Kenntnis gesetzt und eine Möglichkeit vor Erörterung in der mündlichen Verhandlung, zur Bestellung des nichtamtlichen Sachverständigen eine Stellungnahme abzugeben.

12. Mit Eingabe vom 30.10.2019 wurde die Tazkira des Beschwerdeführers sowie eine beglaubigte Übersetzung vorgelegt.

13. Mit Beschluss vom 08.11.2019, Zl. W272 2196696-1/19Z, bestellte das erkennende Gericht Dr. XXXX zum Sachverständigen.

14. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 16.12.2019, im Rahmen derer auch der Sachverständige zum Vorbringen des BF, insbesondere zu seiner beruflichen Tätigkeit, eine Stellungnahme abgab, legte der BF folgende Unterlagen vor:

5 aktuelle Lohnzettel (Monate 06, 07, 08, 10 und 11), Original der Tazkira, Heiratsurkunde

In der mündlichen Verhandlung vom 18.06.2019 und vom 16.12.2019 wurden die aktuellen Länderinformationen über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat sowie in der Provinz Parwan, Herat und Balkh, Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019, der UNHCR-Richtlinie v. 30.08.2018 und den Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zur Versorgungslage Mazar-e Sharif und Herat v. 19.11.2018 und die Ergänzung vom 02.10.2019, Anfragebeantwortung zu Afghanistan betreffend Sippenhaft durch Taliban von Familienmitgliedern von (angeblichen) Unterstützern der Regierungstruppen, insbesondere in der Provinz Nangarhar (Personengruppen, die von der Sippenhaft betroffen bzw. ausgeschlossen sind; Ausnahmen für Kinder (ggf. Altersgrenze) und geistig bzw. körperlich behinderte männliche Personen) [a-10266-v2]) in das gegenständliche Verfahren eingebracht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Der Beschwerdeführer ist in der Provinz Kabul im Distrikt XXXX , Dorf XXXX geboren, aufgewachsen und hat er durchgehend in Kabul bis vor seiner Ausreise gelebt. Er ist traditionell verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Familie, seine Eltern und seine Geschwister, seine beiden Brüder, leben in Afghanistan. Zudem verfügt der BF über weitere Verwandte in Kabul, Khairabad, Logar, Musehi und Baghlan. Sein älterer Bruder versorgt die Familie. Der Beschwerdeführer steht in Kontakt zu seinen Familienangehörigen. Seine Eltern, seine Frau und seine Kinder, im Alter von sieben und neun Jahren, leben derzeit in Kabul, im Distrikt XXXX .

In Afghanistan hat der Beschwerdeführer zwölf Jahre lang die Grundschule besucht und die Matura absolviert. Er absolvierte von 2009 bis 2011 eine zweijährige Ausbildung in der Landwirtschaft und studierte sechs Semester Wirtschaft. Der Beschwerdeführer ist für seinen Lebensunterhalt selbst aufgekommen. Zudem half der Beschwerdeführer seinem Vater bei der Bewirtschaftung des zwei Jerib großen Grundstückes. Der Beschwerdeführer hat als Vertragsbediensteter bei der Firma XXXX , welche auch Aufträge vom Innenministerium für die Erfassung der Daten von Polizisten bekommen hatte, im Jahr 2011 bis 2013 gearbeitet. Festgestellt wird, dass es sich bei der beruflichen Tätigkeit des BF um einen zivilen Beruf gehandelt hat. Der BF war kein Mitglied des Geheimdienstes oder Polizist. Seine Aufgaben bestand hauptsächlich in der Datenerfassung. Seit 2013 bis zur Ausreise arbeitete der BF bei der "elektronischen Tazkira"

Der Beschwerdeführer beherrscht die Sprachen Paschtu in Wort und Schrift, etwas Farsi, Englisch und Deutsch.

Der BF ist grundsätzlich seinem Alter entsprechend entwickelt.

Der BF ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft, war dort nie inhaftiert, war kein Mitglied einer politischen Partei oder sonstigen Gruppierung, er hat sich nicht politisch betätigt und hatte keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden im Herkunftsland.

Der unbescholtene BF hat in Österreich keine Familienangehörigen oder sonstige enge Bindungen. Er hat in Österreich Deutschkurse absolviert und bisher B1 positiv bestanden. Er hat Kontakt mit Arbeitskollegen während seines Dienstes. Er hat wenige Bekannte in Österreich, bis auf drei Personen. Der BF besucht seit einem Jahr einen Verein namens " XXXX " und " XXXX ". Der Beschwerdeführer absolvierte an der Universität Wien zwei Semester und studierte in dieser Zeit Deutsch. Zudem hat der BF an diversen Veranstaltungen teilgenommen, darunter am Projekt CONNECT PH Wien im Wintersemester 2016/17 und im Sommersemester 2017. Ferner legte der Beschwerdeführer Empfehlungsschrieben vor. Im Oktober 2016 bis November 2016 sowie im März und Juni 2017 arbeitete der BF als Arbeitskraft bei " XXXX ". Der BF verfügt über einen Vertrag mit einem Logistik- und Transportvermittlung vom 01.09.2018 und brachte Lohnzettel in Vorlage. Der BF bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung.

Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig ist. Der Beschwerdeführer leidet weder an einer körperlichen noch an einer psychischen Krankheit.

Der Beschwerdeführer reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 20.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Nicht als Sachverhalt zugrunde gelegt werden sämtliche Angaben des Beschwerdeführers zur behaupteten Bedrohungssituation in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan. Insbesondere wird nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer einer konkreten Verfolgung bzw. Bedrohung von Seiten der Taliban als auch durch den afghanischen Staat ausgesetzt war. Er wurde nicht von den Taliban direkt aufgrund der Tätigkeit bei XXXX bedroht bzw. auf ihn geschossen.

Der BF wurde nicht wegen Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, insbesondere als Mitglieder oder Angehöriger einer nationalen oder internationalen Regierungs- bzw. Sicherheitsorganisation oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht oder verfolgt.

1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF in sein Herkunftsland:

Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wäre der BF aus Gründen der Rasse, der Religion (Angehöriger der Sunniten bzw. der Volksgruppe der Paschtunen), der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, insbesondere zur Risikogruppe der Mitarbeiter einer nationalen bzw. internationalen Regierungs- bzw. Sicherheitsorganisation oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter nicht bedroht.

Es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer auf Grund der Tatsache, dass er sich etwas über vier Jahre und zwei Monate in Europa aufgehalten hat bzw. dass er als afghanischer Staatsangehöriger, der aus Europa nach Afghanistan zurückkehrt, deshalb nicht in Afghanistan einer Verfolgung ausgesetzt wäre.

Darüber hinaus kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder auf Grund seines Aufenthalts in einem europäischen Land in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.

Die Feststellungen zu den Folgen einer Wiederansiedlung des Beschwerdeführers in Kabul bzw. außerhalb seiner Herkunftsprovinz gelegenen Landesteilen, insbesondere in der Stadt Mazar-e Sharif und Herat, ergeben sich aus den o.a. Länderberichten in Zusammenschau mit den vom Beschwerdeführer glaubhaft dargelegten persönlichen Umständen.

Dem BF steht als innerstaatliche Flucht- und Schutzalternative eine Rückkehr in die Städte Mazar-e-Sharif oder Herat zur Verfügung, obwohl in diesen beiden Städten eine angespannte Situation vorherrschen. Es ist ihm jedoch möglich ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befrieden zu können, bzw. ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Dem BF würde bei seiner Rückkehr in eine dieser Städte kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Der BF hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und zumindest vorrübergehend verschiedene Hilfsprogramme in Anspruch nehmen, die in bei der Ansiedlung in Mazar- e Sharif oder Herat unterstützen. Ein Auffinden des BF in den beiden Städten ist nicht wahrscheinlich, da kein Meldesystem in Afghanistan vorhanden ist.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif oder Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Der BF kennt sich mit der sozialen und kulturellen Umgebung in Afghanistan aus. Er ist in Afghanistan geboren, aufgewachsen und hat dort eine Ausbildung absolviert und gearbeitet.

Die Städte Mazar-e-Sharif und Herat sind von Österreich aus sicher über Kabul mit dem Flugzeug zu erreichen. Die Rückführung nach Afghanistan wird von Österreich organisiert.

Der BF hat keine individuellen gefahrenerhöhenden Umstände aufgezeigt, die unter Beachtung seiner persönlichen Situation innewohnenden Umstände eine Gewährung von subsidiären Schutz auch bei einem niedrigen Grad willkürlicher Gewalt angezeigt hätte.

Zur Situation in Afghanistan und zur Situation von Angehörigen der Sunniten und der Paschtunen ergibt sich unter Zugrundelegung der im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen Folgendes:

1.4. Zum Herkunftsstaat:

Das BVwG trifft folgende Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat unter Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Gesamtaktualisierung am 13.11.2019:

Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 - mit Ausnahme der Provinz Ghazni - Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) - bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) - mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als "Marionette" des Westens betrachten - auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9.2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.1.2017) - nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017).

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 7.3.2016; UNGASC 3.3.2017; UNGASC 28.2.2018; UNGASC 28.2.2019))

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Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

 

2016

2017

2018

2019

Jänner

2111

2203

2588

2118

Februar

2225

2062

2377

1809

März

2157

2533

2626

2168

April

2310

2441

2894

2326

Mai

2734

2508

2802

2394

Juni

2345

2245

2164

2386

Juli

2398

2804

2554

2794

August

2829

2850

2234

2443

September

2493

2548

2389

-

Oktober

2607

2725

2682

-

November

2348

2488

2086

-

Dezember

2281

2459

2097

-

insgesamt

28.838

29.866

29.493

18.438

Abb. 2: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

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Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019):Abb. 3: Sicherheitsrelevante Vorfälle nach Quartalen und Vorfallsarten im Zeitraum 1.1.2018-30.9.2019 (Global Incident Map, Darstellung der Staatendokumentation; BFA Staatendokumentation 4.11.2019)

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

Tab. 2: Zivile Opfer im Zeitverlauf 1.1.2009-30.9.2019 nach UNAMA (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNAMA-Daten (UNAMA 24.2.2019; UNAMA 17.10.2019))

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* 2019: Erste drei Quartale 2019 (1.1.-30.9.2019)

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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