TE Bvwg Beschluss 2020/1/30 W208 2222678-1

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Veröffentlicht am 30.01.2020
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Entscheidungsdatum

30.01.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2
WG 2001 §26

Spruch

W208 2222678-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER über die Beschwerde von XXXX , vertreten durch GRUNDEI Rechtsanwälte, 1010 WIEN, Kohlmarkt 11/5, gegen den Bescheid des Militärkommando Niederösterreich, GZ P1476727/2-MilKdo NÖ/Kdo/ErgAbt/2019 (3), beschlossen:

A) Der Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG aufgehoben und zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Tauglichkeit und Wehrpflicht des Beschwerdeführers (im Folgenden: BF) wurde erstmals am 09.04.2018 festgestellt.

2. Mit Einberufungsbefehl (zugestellt am 02.05.2019) wurde der BF zur Leistung des Wehrdienstes mit 08.07.2019 aufgefordert.

3. Mit Antrag vom 02.06.2019 ersuchte der BF beim Militärkommando (im Folgenden: MilKdo oder belangte Behörde) um Aufschub vom Grundwehrdienst, vorerst bis 30.06.2020. Mit Schriftsatz vom 17.06.2019 stellte er einen Antrag auf dauerhafte Befreiung, nachdem er den o.a. Aufschubantrag am 11.06.2019 zurückgezogen hatte. Als Begründung führte er im Wesentlichen an, dass er seit frühester Kindheit gezielt als Balletttänzer trainiert habe und durch den militärischen Dienst der Verlust seiner Beweglichkeit drohe, womit er die Basis für seine berufliche Tätigkeit vollständig und unwiederbringlich verlöre. Es läge daher ein besonders rücksichtwürdiges wirtschaftliches Interesse iSd § 26 Abs. 1 Z 2 WG 2001 vor. Er verwies dazu auf die Rechtsprechung des VwGH vom 23.09.2014, 2012/11/0187 zu einem ähnlichen Fall. Dem Antrag waren ein Empfehlungsschreiben seiner Professorin an der XXXX Staatsoper sowie ein Vertrag mit dem XXXX NATIONAL THEATRE vom 20.05.2019 über eine Verpflichtung als Solotänzer vom 26.08.2019 bis 30.06.2020 im Ausmaß von je 40 Wochenstunden beigelegt. Als Beweismittel wurde neben der Einvernahme des BF, die Einholung eines "allfälliges medizinisches Gutachtens" angeführt.

4. Das MilKdo führte - soweit aus dem vorgelegten Akt erkennbar - kein Ermittlungsverfahren durch und wies mit dem beschwerdegegenständlichen Bescheid, den Antrag des BF gem. § 26 Abs. 1 Z 2 Wehrgesetz 2001 (WG 2001) ab. Begründend wurde, nach Wiedergabe des Verfahrensganges und des Inhalts des Antrages des BF festgestellt, dass der BF seit 10.04.2018 tauglich sei, den o.a. Arbeitsvertrag habe er nach Zustellung seines Einberufungsbefehls am 02.05.2019 am 20.05.2019 abgeschlossen und damit gegen seine Harmonisierungspflicht verstoßen. Davor sei er aufgrund seines Schulbesuches bis 30.06.2019 ex lege von einer Einberufung ausgeschlossen gewesen. Rechtlich wurde zusammengefasst ausgeführt, dass aus dem Erkenntnis des VwGH vom 23.09.2014, 2012/11/0187 für den Fall des BF nichts zu gewinnen sei, weil diesem Fall ein die konkrete Person betreffendes Facharztgutachten zugrunde gelegen sei und nicht jeder Balletttänzer zwingend die gleichen medizinischen Veranlagungen und Dispositionen aufweise. Es gäbe Beispiele aus der Vergangenheit wonach österreichische Balletttänzer nach Leistung des Grundwehrdienstes offenbar ohne Beeinträchtigung der antrainierten ballettspezifischen körperlichen Fähigkeiten eine Karriere als international gefragte und bejubelte Solotänzer erreicht hätten. Es sei damit empirisch erwiesen, dass die Leistung des Grundwehrdienstes per se einer Karriere als Balletttänzer nicht abträglich sei.

5. Mit Schriftsatz vom 01.08.2019 brachte der BF Beschwerde gegen den am 04.07.2019 zugestellten Bescheid ein.

Er beantragte mit näherer Begründung die dauerhafte Befreiung vom Wehrdienst in eventu die befristete Befreiung und brachte erstmals zwei Arztbriefe zur Vorlage.

Einen von Univ. Doz. Dr. Maria S XXXX (Sportorthopädie, Physiotherapie) vom 04.07.2019, in der diese ausführte der BF sei seit Jahren wegen Beschwerden in orthopädischer Behandlung und sei die Physiologie eines professionellen Balletttänzers ein heikles, ausbalanciertes System, dass den Anforderungen eines Militärdienstes in keinster Weise entspreche.

Einen weiteren vom 24.06.2019 von Dr. Judith N XXXX (Allgemeinmedizin und Psychotherapie) in dem ausgeführt wird, dass der BF erstmals am 17.06.2019 bei ihr gewesen sei. Es bestünden seit Jahren depressive Zustände die sich aufgrund der Einberufung verschlechtert hätten, weil der Militärdienst seine berufliche Karriere als Balletttänzer massiv gefährde.

6. Mit Schriftsatz vom 22.08.2019 legte die belangte Behörde - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - die Beschwerde und den elektronischen Verfahrensakt dem BVwG zur Entscheidung vor.

Dabei wurde darauf hingewiesen, dass der Einberufungsbefehl des BF für den 05.07.2019 aus militärischen Interessen nach § 24 WG 2001 behoben worden sei, dies aber in keinem Zusammenhang mit dem Befreiungsverfahren stehe. Hinsichtlich der angeführten physischen und psychischen Probleme werde der BF einer weiteren Stellung im Februar 2020 unterzogen werden und seien diese nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Weiters wurde ausgeführt, dass die Behauptung der Unvereinbarkeit der Ableistung des Grundwehrdienstes mit der Aufrechterhaltung der Fähigkeiten als Balletttänzer, durch folgendes Beispiele widerlegt werden. Diese Personen könnten auch als Zeugen im Falle einer Verhandlung vor dem BVwG befragt werden. Zitat:

"Rekr Christoph S XXXX , [...] der ebenfalls den Beruf als Balletttänzer ausübt, hat den Grundwehrdienst in der Dauer von 02.05. bis 01.11.2018 als sogar Gardesoldat vollständig abgeleistet (vor GWD Ensemble südböhmischen Theaters in XXXX ). Dabei hat er in voller Motivation an der gesamten Ausbildung - einschließlich der Paradeexerzierdienstausbildung der Garde (einschließlich Drill in der Anwendung des Paradeschrittes) - teilgenommen und sich während seiner Präsenzdienstausbildung in keiner Weise negativ über die diesbezügliche Ausbildung geäußert. Dabei konnte er die Pausen zwischen den einzelnen Ausbildungsteilen und Gardeeinsätzen (Repräsentation, protokollarische Verpflichtungen einschließlich Staatsakte, Kondukt u.Ä. zusätzlich zur Verwendung als Infanterieeinheit) wiederholt für Dehnungsübungen nutzen, um seine Beweglichkeit zu fördern.

Seit Ableistung des Grundwehrdienstes übt er wieder seinen Beruf als Balletttänzer (Oper XXXX ) ohne irgendeiner durch den Grundwehrdienst entstandenen Beeinträchtigung aus.

Ähnlich siehe auch der Doyen des Balletttanzens in Österreich, Michael B XXXX , der nach seinem damals sogar neunmonatigen Grundwehrdienst zum Ersten Solotänzer aufstieg.

Es muss daher ho. davon ausgegangen werden, dass die vom Rechtsvertreter des BF in der Beschwerde erfolgten Ausführungen ohne Sachwissen über die tatsächlichen Abläufe im österreichischen Bundesheer erfolgt sind."

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der vorliegende Sachverhalt ergibt sich aus dem im Punkt I dargestellten Verfahrensgang, insb. dem Antrag, dem angefochtenen Bescheid und den in der Beschwerde des BF angeführten Fakten. Die belangte Behörde hat keine Ermittlungen zum entscheidungsrelevanten Sachverhalt getätigt. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht nicht fest.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellung, dass die belangte Behörde keine Ermittlungen zur Klärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts angestellt hat, ergibt sich daraus, dass trotz Beweisangeboten und Anhaltspunkten in den durch den BF vorgelegten Unterlagen, sogar des Hinweises auf einen ähnlichen vom VwGH entschiedenen Fall (23.09.2014, 2012/11/0187) zu der behaupteten Unvereinbarkeit der Belastungen im Militärdienst mit der Ausbildung und Berufsausübung eines professionellen Balletttänzers, kein medizinisches Gutachten eingeholt sowie keine Sachverständigen für Ballett und Zeugen befragt wurden. Im Gegenteil versucht die belangte Behörde die notwendigen Ermittlungen auf das BVwG abzuwälzen, in dem es mit der Beschwerdevorlage anregt namentlich genannte ehemalige Balletttänzer, die den Wehrdienst geleistet haben, zu befragen und darauf hinweist, dass der BF hinsichtlich der behaupteten medizinischen Problemen einer Nachstellung unterzogen wird. Es ist zwar richtig, dass der BF erst mit der Beschwerde entsprechende Befunde bzw. Arztinformation vorgelegt hat, er hat aber bereits in seinem Antrag die Einholung eines medizinischen Gutachtens angeregt und auf die zu erwartenden Auswirkungen des Militärdienstes auf seine physischen Ballettfähigkeiten hingewiesen.

Als Ergebnis bleibt daher festzuhalten, dass die Behörde eine für den BF weitreichende Entscheidung getroffen hat, ohne dass sie über die dafür relevante Sachverhaltsgrundlage verfügt hat.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zulässigkeit und Verfahren

Gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde vier Wochen. Diese Frist wurde eingehalten und liegen auch sonst keine Gründe für eine Unzulässigkeit der Beschwerde vor.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichts (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 2013/10, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da das hier anzuwendende Wehrgesetz 2001 (WG 2001) keine Senatszuständigkeit vorsieht, ist im vorliegenden Fall eine Einzelrichterzuständigkeit gegeben.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG haben die Verwaltungsgerichte die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß Abs. 2 hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden nach Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Nach § 28 Abs 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, liegen die Voraussetzungen des Abs 2 nicht vor, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Gemäß § 31 Abs 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Gemäß § 24 Abs 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Im Falle der Stattgabe einer Beschwerde, anders als bei einer Abänderung, kann damit eine mündliche Verhandlung entfallen (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren 2013, § 24 VwGVG, Anm. 8). Letzteres ist hier der Fall.

Zu A)

3.2. Gesetzliche Grundlagen

Die fallbezogen maßgeblichen Bestimmungen des Wehrgesetzes 2001 (WG 2001) lauten (Auszug, Hervorhebungen durch BVwG):

"§ 10. (1) Alle österreichischen Staatsbürger männlichen Geschlechtes, die das 17. Lebensjahr vollendet und das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sind wehrpflichtig. [...]

§ 19. (1) Der Präsenzdienst ist zu leisten als

1. Grundwehrdienst [...]

Befreiung und Aufschub

§ 26. (1) Taugliche Wehrpflichtige sind, soweit zwingende militärische Erfordernisse nicht entgegenstehen, von der Verpflichtung zur Leistung eines Präsenzdienstes zu befreien

1. von Amts wegen, wenn und solange es militärische Rücksichten oder sonstige öffentliche Interessen erfordern, und

2. auf ihren Antrag, wenn und solange es besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche oder familiäre Interessen erfordern.

Als sonstige öffentliche Interessen gelten insbesondere gesamtwirtschaftliche oder familienpolitische Interessen sowie die Tätigkeiten von Fachkräften der Entwicklungshilfe nach § 15 des Entwicklungshelfergesetzes. Als familiäre Interessen gelten auch solche aus einer eingetragenen Partnerschaft. Eine Befreiung ist auch zulässig, wenn eine Voraussetzung nach Z 1 oder 2 während eines Präsenzdienstes eintritt. Befreiungen nach Z 1 hat der Bundesminister für Landesverteidigung und Sport zu verfügen.

(2) Anträge auf Befreiung nach Abs. 1 Z 2 dürfen beim Militärkommando eingebracht werden und darüber hinaus

1. hinsichtlich des Grundwehrdienstes auch im Stellungsverfahren bei der Stellungskommission und

2. während einer Präsenzdienstleistung auch bei jener militärischen Dienststelle, der der Wehrpflichtige zur Dienstleistung zugeteilt ist.

Bescheide nach Abs. 1 Z 1 sind, sofern es sich um eine Befreiung wegen einer beruflichen Tätigkeit handelt, dem Auftraggeber für diese berufliche Tätigkeit, insbesondere dem Arbeitgeber des Wehrpflichtigen, zur Kenntnis zu bringen.

(3) [...]

(4) Mit Erlassung eines Bescheides, durch den einem Wehrpflichtigen eine Befreiung oder ein Aufschub gewährt wurde, wird eine bereits rechtswirksam verfügte Einberufung für den Zeitraum dieser Befreiung oder dieses Aufschubes für ihn unwirksam."

Der VwGH hat in einem vergleichbaren Fall eines Balletttänzers folgende Aussagen getroffen (VwGH 23.09.2014, 2012/11/0187):

"Zur Wahrung seiner wirtschaftlichen Interessen ist der Wehrpflichtige gehalten, seine wirtschaftlichen Dispositionen so zu treffen, dass für den Fall seiner Einberufung zur Leistung des ordentlichen Präsenzdienstes voraussehbare Schwierigkeiten vermieden und nicht durch die Aufnahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit solche Schwierigkeiten erst geschaffen werden. Unterlässt es ein Wehrpflichtiger, seine wirtschaftlichen Angelegenheiten mit der Wehrpflicht zu harmonisieren, so können die daraus abgeleiteten wirtschaftlichen Interessen nicht als besonders rücksichtswürdig im Sinne der Bestimmungen des Wehrgesetzes angesehen werden. Ist dem Wehrpflichtigen nämlich bekannt, dass er seiner Präsenzdienstpflicht werde nachkommen müssen, so ist er gehalten, seine wirtschaftlichen Dispositionen so zu gestalten, dass er in der Lage ist, seiner Präsenzdienstpflicht nachzukommen. Diese Obliegenheit, die wirtschaftlichen Dispositionen mit der Präsenzdienstpflicht zu harmonisieren, besteht ab dem Zeitpunkt, ab dem vom Wehrpflichtigen verlangt werden kann, dass er nunmehr Handlungen unterlässt, die die Erfüllung der mit der Staatsbürgerschaft verbundenen Wehrpflicht vereiteln oder gefährden können (Hinweis E vom 18. November 2008, 2008/11/0096, mwN). Im vorliegenden Fall kann dem Wehrpflichtigen ein Verstoß gegen die zuvor umschriebene sog. Harmonisierungspflicht schon deshalb nicht zur Last gelegt werden, weil die von ihm behaupteten rücksichtswürdigen Gründe aus der Ballettausbildung resultieren, die er bereits mit seinem 7. Lebensjahr begonnen hat, somit zu einem Zeitpunkt, zu dem ihm eine Bedachtnahme auf den Grundwehrdienst noch nicht zumutbar war.

Es würde eine Beeinträchtigung des besonders rücksichtwürdigen wirtschaftlichen Interesses des Wehrpflichtigen iSd § 26 Abs. 1 Z 2 WehrG 2001 darstellen, wenn dieser seine seit der Kindheit (hier über eine Zeitraum von mehr als 11 Jahren) erlernten Ballettfertigkeiten nur deshalb beruflich nicht mehr verwerten könnte, weil diese Fertigkeiten durch die Leistung des Grundwehrdienstes - dauerhaft - beeinträchtigt würden (vgl. dazu das zur vergleichbaren Bestimmung des § 13 Abs. 1 Z 2 ZDG 1986 ergangene E vom 18. Mai 2010, 2008/11/0172, wonach besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche Gründe vorliegen, wenn durch das Ableisten des Zivildienstes die Möglichkeit zur Facharztausbildung dauerhaft genommen wäre).

Ein in seinem Umfang (angeblich) reduzierter Grundwehrdienst kann nicht Beurteilungsmaßstab für die Frage sein, ob durch einen solchen Grundwehrdienst besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche Interessen beeinträchtigt werden, da der Gesetzgeber, wenn er im WehrG 2001 den Begriff "Wehrdienst" verwendet, einen solchen Dienst vor Augen hat, der jedenfalls eine militärische Komponente im engeren Sinn, auf die sich auch die Ausbildung der Grundwehrdiener zu erstrecken hat, beinhaltet. Dies bringt die Anforderung mit sich, dass der Betreffende jedenfalls eine Waffe bedienen und ein gewisses Mindestmaß an Kraftanstrengung und Beweglichkeit entwickeln kann, um darüber hinaus auch die sonst bei der Leistung des Militärdienstes anfallenden Tätigkeiten und Übungen zu verrichten (Hinweis E vom 30. April 2014, Ro 2014/11/0021, mwN)."

Zur als Ausnahme zu verstehenden Möglichkeit der Aufhebung und Zurückverweisung hat der VwGH ausgeführt (VwGH 26.06.2014, Ro 2014/03/0063; 10.09.2014, Ra 2014/08/0005):

"Angesichts des in § 28 VwGVG 2014 insgesamt verankerten Systems stellt die nach § 28 Abs 3 zweiter Satz VwGVG 2014 bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs 3 VwGVG 2014 verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG 2014 insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden."

3.3. Beurteilung des konkreten Sachverhaltes

3.3.1. Der Gegenstand der Beschwerde ist, dass der seit seinem 11. Lebensjahr klassisches Ballett studierende BF nach seiner schulischen Ausbildung an der Ballettakademie am 20.05.2019, nur wenigen Tage nach Erhalt seines Einberufungsbefehls für den 08.07.2019, einen Arbeitsvertrag mit einem ausländischen Nationaltheater abgeschlossen hat, der ihm eine Anstellung als Solotänzer von 26.08.2019 bis 30.06.2020 garantiert. Er ist deshalb und weil er der Meinung ist, dass seine für seine berufliche Karriere erforderlichen körperlichen Fähigkeiten beim Militärdienst unwiederbringlich und dauerhaft verloren gingen, der Meinung, dass die Voraussetzungen für eine Befreiung vom Grundwehrdienst gemäß § 26 Abs 1 Z 2 WG 2001 (konkret "besonders rücksichtswürdige wirtschaftliche Interessen") vorlägen.

3.3.2. Die belangte Behörde teilt diese Ansicht nicht. Sie stützt sich in ihrer rechtlichen Beurteilung im Kern darauf, dass es keine Bevorzugung der Berufsgruppe der Balletttänzer geben dürfe und der BF gegen seine Harmonisierungspflicht verstoßen habe. Das vom BF zitierte Erkenntnis des VwGH 23.09.2014, 2012/11/0187 habe sich auf ein die konkrete Person bezogenes Fachgutachten bezogen und sei daher auf den Fall des BF nicht übertragbar.

3.3.3. Zum Beweis des dauerhaften Verlustes der Ballettfertigkeiten hat der BF die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens angeregt und eine diese Behauptung stützendes Schreiben seiner Professorin an der Ballettakademie vorgelegt. Darüber hat sich die belangte Behörde im Bescheid mit dem allgemeinen Hinweis auf Karrieren von Profisportlern, namentlich genannten Profitänzern (Dancing Stars), namentlich nicht genannten österreichischen Balletttänzern und das Vorhandensein einer Ballett-Kompanie der Russischen Armee hinweggesetzt.

Ein medizinisches Gutachten zur speziellen Situation des BF hat sie nicht eingeholt und auch keine Sachverständigen oder Zeugen aus dem Bereich des Balletts zu den dauerhaften Auswirkungen des militärischen Dienstes auf eine Karriere als Balletttänzer befragt.

Die belangte Behörde hat verkannt, dass gemäß dem zitierten VwGH-Erkenntnis vom 23.09.2014, dem BF keine Verletzung der Harmonisierungspflicht vorgeworfen werden kann, wenn die von ihm behaupteten rücksichtwürdigen Gründe aus der Ballettausbildung resultieren, die er bereits im Alter von 11 Jahren begann, also zu einem Zeitpunkt, zu dem ihm eine Bedachtnahme auf den Grundwehrdienst noch nicht zumutbar war.

Im Unterschied zu dem dem zitierten Erkenntnis des VwGH vom 23.09.2014 zugrundeliegenden Fall, lag dort ein Gutachten eines Amtssachverständigen vor, dass zum Ergebnis kam, dass die behaupteten Auswirkungen des Militärdienstes auf die Ballettfertigkeiten tatsächlich dauerhaft derart beeinträchtigt würden, dass dieser sie beruflich nicht mehr verwerten könne.

Indem die belangte Behörde die Klärung dieser entscheidungsrelevanten Frage im Gegenstand unterlassen hat (sie hat kein Sachverständigengutachten eingeholt und auch sonst keinerlei nachvollziehbarer und zielführende amtswegige Erhebungen dazu getätigt) hat sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet, weil nicht feststeht, ob beim BF (aufgrund seiner spezifischen psychischen und physischen Situation) nicht ebenfalls eine dauerhafte Beeinträchtigung seiner beruflichen Fähigkeiten bei Ableistung des Militärdienstes zu befürchten ist.

3.3.4. Die belangte Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren diese entscheidende Frage durch Einholung von Gutachten und Zeugenbefragungen zu klären haben. Die Vornahme der notwendigen Ermittlungen durch das BVwG selbst verbietet sich gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG und den oben dargestellten Ausführungen des VwGH und unter Effizienzgesichtspunkten. Die belangte Behörde kann aufgrund ihres unmittelbaren Zugriff auf ihr zur Verfügung stehende medizinische Amtssachverständige sowie die Namen und Ladungsadressen von bereits den Grundwehrdienst absolviert habender Balletttänzern, wesentlich rascher und kostengünstiger zu einer Entscheidung gelangen als das BVwG in einer Verhandlung. Sie hat sogar selbst angeführt, den BF bereits im Februar einer Nachstellung zur Klärung der medizinischen Fragen zuführen zu wollen.

Sollte sich aufgrund dieser Ermittlungen herausstellen, dass eine dauerhafte Beeinträchtigung des BF durch den Militärdienst zu befürchten ist, wird der BF für die Dauer seiner beruflichen Tätigkeit als Balletttänzer von der Leistung des Grundwehrdienstes gemäß § 26 Abs. 1 Z 2 WG 2001 zu befreien sein (vgl. dazu auch BVwG W136 2013382-1/4E vom 16.12.2014).

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Auf die oben dargestellte Judikatur des VwGH wird verwiesen.

Schlagworte

Balletttänzer Befreiungsantrag Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Sachverständigengutachten Wehrdienst

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W208.2222678.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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