TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/30 W204 2164382-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.01.2020
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Entscheidungsdatum

30.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W204 2164382-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Esther SCHNEIDER als Einzelrichterin über die Beschwerde von S XXXX , geb. am XXXX 1994, Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx und dessen Obmann Dr. Lennart Binder, Pulverturmgasse 4/2/R01, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.07.2017, Zl. 1125611206/161097775/BMI-BFA_STM_AST_01, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste in das Bundesgebiet ein und stellte am 08.08.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.2. Am 09.08.2016 wurde der BF durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Burgenland niederschriftlich erstbefragt. Zu seinen Fluchtgründen führte der BF aus, in Afghanistan bestünden Feindschaften, aufgrund derer sein Vater getötet worden sei. Der BF sei deswegen mit seiner Familie aus Afghanistan geflohen.

I.3. Am 13.06.2017 wurde der BF von der zur Entscheidung berufenen Organwalterin des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari unter anderem zu seinem Gesundheitszustand, seiner Identität, seinen Lebensumständen in Afghanistan, seinen Familienangehörigen und seinen Lebensumständen in Österreich befragt. Nach den Gründen befragt, die den BF bewogen, seine Heimat zu verlassen, gab er an, sein Vater sei aufgrund innerfamiliärer Grundstücksstreitigkeiten von dessen Cousins, die den Taliban angehörten, getötet worden.

I.4. Mit Bescheid vom 03.07.2017, dem BF am 06.07.2017 zugestellt, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte die Behörde in den Feststellungen aus, der BF habe Afghanistan aufgrund der vorgebrachten Grundstücksstreitigkeiten verlassen, sei davon jedoch persönlich nicht betroffen gewesen. Gegen ihn habe keine derartige Verfolgung stattgefunden, dass er gezwungen gewesen wäre, sein Heimatland zu verlassen, weswegen ihm der Status eines Asylberechtigten nicht gewährt werden könne. Hierzu führte das BFA in der Beweiswürdigung mit näherer Begründung aus, warum das Vorbringen des BF nicht glaubhaft gewesen sei, sodass ihm deshalb der Status eines Asylberechtigten nicht gewährt werden könne. Aus dem Vorbringen des BF und der allgemeinen Situation lasse sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan auch keine unmenschliche Behandlung oder eine im gesamten Herkunftsstaat vorliegende extreme Gefährdungslage erkennen. Der BF könne aufgrund der allgemeinen Situation zwar nicht in seine Heimatprovinz zurückkehren, jedoch in Kabul zumutbare Lebensbedingungen vorfinden. Gemäß § 57 AsylG sei auch eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht zu erteilen, da die Voraussetzungen nicht vorlägen. Letztlich hätten auch keine Gründe festgestellt werden können, wonach bei einer Rückkehr des BF gegen Art. 8 Abs. 2 EMRK verstoßen werde, weswegen auch eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.

I.5. Mit Verfahrensanordnung vom 04.07.2017 wurde dem BF amtswegig ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

I.6. Am 11.07.2017 erhob der BF durch seinen (damaligen) Vertreter Beschwerde und beantragte, dem BF den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, in eventu ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, in eventu die Rückkehrentscheidung aufzuheben, in eventu dem BF einen Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen, in eventu den Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückzuverweisen und eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.

Nach Wiederholung des Vorbringens des BF wurde ausgeführt, dem BF sei es nicht zumutbar abzuwarten, bis auch er von Verwandten angegriffen werde. Vielmehr sei ihm aufgrund seines glaubhaften Vorbringens Asyl zu gewähren. Unabhängig davon sei ihm mangels sozialer oder familiärer Anknüpfungspunkte in Afghanistan, wozu das BFA keine Ermittlungen getätigt habe, subsidiärer Schutz zu gewähren.

I.7. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 14.07.2017 vorgelegt.

I.8. Am 02.08.2017 wurde eine für den BF erteilte Beschäftigungsbewilligung vorgelegt.

I.9. Am 11.09.2017 zeigten die im Spruch genannten Vertreter ihre Bevollmächtigung an und brachten am 22.09.2017 eine Beschwerdeergänzung ein, in der der Beweiswürdigung des BFA entgegengetreten wurde. Unter Zitierung der UNCHR-Richtlinien wurde vorgebracht, der BF sei aufgrund seines langjährigen Aufenthalts in Österreich und seines "westlichen" Lebensstils einer weiteren asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Zudem sei ihm aufgrund des fehlenden adäquaten sozialen Auffangnetzes jedenfalls subsidiärer Schutz zu gewähren, wie sich aus mehreren Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und der aktuellen Offensive der Taliban ergebe.

I.10. Am 23.08.2018 langte ein Ersuchen um Anberaumung eines Verhandlungstermins ein, dem ein Schreiben eines aktiven Mitglieds der Zeugen Jehovas beigelegt war. Darin wurde bestätigt, dass der BF die Gemeinschaft regelmäßig besuche, er zu einem "ungetauften Verkündiger" ernannt worden sei und die Taufe bald vollzogen werde. Am 02.05.2019 langte ein weiteres Schreiben ein, dem die Bestätigungen der Taufe des BF als Zeuge Jehovas und des Austritts aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich angeschlossen waren.

I.11. Am 07.11.2019 langte ein undatierter Antrag eines nur für diesen Antrag bevollmächtigten Rechtsanwaltes auf Fristsetzung gemäß § 38 VwGG beim Bundesverwaltungsgericht ein.

I.12. Am 28.11.2019 nahm der BF durch seinen Vertreter zu den zuvor übermittelten aktuellen Länderinformationen Stellung und führte im Wesentlichen aus, dass aus den Länderberichten die Verfolgung, derer der BF im Fall einer Abschiebung ausgesetzt wäre, deutlich ersichtlich sei. Die Asylrelevanz ergebe sich einerseits aus dem Glaubensabfall des BF und andererseits aus seiner "westlichen" Lebensausrichtung.

I.13. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 03.12.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an der der BF und sein Vertreter teilnahmen. Das BFA verzichtete mit der Beschwerdevorlage auf die Durchführung und Teilnahme an einer Verhandlung. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurde der BF im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari u.a. zu seiner Identität und Herkunft, zu den persönlichen Lebensumständen, seinen Familienangehörigen, seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen sowie zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich und seiner Konversion ausführlich befragt. Zur Konversion des BF wurden überdies zwei Zeugen einvernommen. Dem BF wurde zudem das Ergebnis des Auskunftsersuchens an seine Betreuungsperson vorgehalten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

- Einsicht in den den BF betreffenden und dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des BFA, insbesondere in die Befragungsprotokolle;

- Einholung einer Auskunft bei der Unterkunftsbetreuerin;

- Befragung des BF und zweier Zeugen sowie Vorhalt der Auskunft der Betreuerin im Rahmen einer öffentlich mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 03.12.2019;

- Einsicht in die in das Verfahren eingeführten Länderberichte zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat und in die vom BF vorgelegten Unterlagen und Stellungnahmen;

- Einsicht in das ZMR, das Strafregister und das Grundversorgungssystem.

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zum BF und seinen Fluchtgründen:

Die Identität des BF steht mangels Vorlage unbedenklicher Identitätsnachweise nicht fest. Der BF ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Er ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari. Außerdem beherrscht er etwas Paschtu und Englisch.

Der BF ist im Dorf F XXXX im Distrikt F XXXX in der Provinz Takhar geboren und aufgewachsen. Er hat dort zusammen mit seinen Eltern, zwei Schwestern und zwei Brüdern sowie seinem Onkel und dessen Familie auf der familieneigenen Landwirtschaft gelebt. Sein Vater hat die Landwirtschaft, bestehend aus etwa 80 Jirib Land, auf denen Weizen und verschiedene Obstsorten angebaut wurden, betrieben und zusätzlich Holz verkauft. Sein etwa Mitte dreißigjähriger Bruder hat seinen Vater in der Landwirtschaft unterstützt und hauptsächlich als Fahrer gearbeitet.

Der BF hat zwölf Jahre lang die Schule in seiner Heimatprovinz besucht und diese mit Matura abgeschlossen. Ab der zehnten Klasse hat der BF zusätzlich für etwa eineinhalb Jahre als Hilfskraft im Bereich der Elektrotechnik gearbeitet. Nach seiner Matura zog der BF nach Kabul, wo er etwa drei Jahre lang lebte und Sozialwissenschaften beziehungsweise Gesellschaftswissenschaft studierte. Die Hälfte seines Aufenthalts wohnte der BF in einem gemieteten Privatzimmer in Kabul, die andere Hälfte wohnte er in einem Studenteninternat. Die gesamten Kosten seines Studiums und seines Aufenthalts wurden von seinem Vater und seinem Bruder übernommen, die weiterhin in der Heimatprovinz des BF lebten und arbeiteten. Der BF arbeitete in Kabul nicht, sondern besuchte die Universität und zusätzliche Englischkurse.

Die engere Familie des BF lebt derzeit im Iran. Der BF hat Kontakt zu ihr. Die Familie verfügt nach wie vor - gemeinsam mit dem Onkel und der Tante des BF väterlicherseits - über den landwirtschaftlichen Besitz in der Heimatprovinz des BF. Dieser wird derzeit vom Onkel betrieben oder ist verpachtet.

Der Vater des BF wurde nicht von seinen Cousins aufgrund von Grundstücksstreitigkeiten erschossen. Die Cousins des Vaters des BF sind keine Angehörigen der Taliban. Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine Verfolgung aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung.

Der BF hatte in Afghanistan kein Interesse an der Religion und ist nur gelegentlich in die Moschee gegangen, um das Gebet zu verrichten. Darüber hinaus hat er nicht gebetet. Er hatte deswegen in Afghanistan keine Probleme und war keinen Bedrohungen ausgesetzt. Seit September 2016 bis zumindest Juni 2017 besuchte der BF ein wöchentlich stattfindendes Begegnungscafé in der Katholischen Pfarre M XXXX , an dem auch der Diakon der Pfarre teilgenommen hat. Auch derzeit hilft der BF gelegentlich bei Veranstaltungen der katholischen Pfarre aus.

Der BF kam das erste Mal nach der Zustellung des angefochtenen negativen Bescheids (06.07.2017) mit den Zeugen Jehovas in Kontakt. Seit etwa zwei Jahren besucht er regelmäßig Veranstaltungen der Zeugen Jehovas. Im Juli 2018 wurde er zu einem "ungetauften Verkündiger" ernannt. Er ist am 02.10.2018 durch Erklärung vor der Bezirkshauptmannschaft aus der Islamischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten. Am XXXX 11.2018 wurde er in S XXXX als Zeuge Jehovas getauft und ist derzeit Mitglied der Versammlung in M XXXX . Die Taufvorbereitung fand größtenteils auf Farsi statt. Der BF bezeichnet sich selbst nicht als Zeuge Jehovas, sondern als Christ. Der BF hat die Werte der Zeugen Jehovas nicht übernommen. In der vom BF zu den regelmäßigen Zusammenkünften mitgenommenen und laut seinen Angaben dabei regelmäßig seit zwei Jahren verwendeten Farsi-Bibel wurden erst einige wenige Seiten am Beginn des Buches gelesen. Der BF hat keine Vorbehalte gegenüber einer möglichen Operation und insbesondere nicht gegen etwaige notwendige Bluttransfusionen.

Der BF wohnt in einem Heim zusammen mit weiteren Afghanen, die nicht Zeugen Jehovas und teils keine Christen sind. Der BF hat mit seinen Mitbewohnern keine Probleme und versucht nicht, diese für den Glauben der Zeugen Jehovas zu missionieren. Der BF führt keine Missionarstätigkeiten durch, sondern führt lediglich vereinzelte Gespräche mit Dari sprechenden Leuten, die zuvor für ihn vereinbart worden sind.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der christliche Glaube wesentlicher Bestandteil der Identität des BF geworden ist. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF seinem derzeitigen Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan weiter nachkommen wird. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF sein derzeitiges Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nach außen zur Schau tragen wird. Es kann nicht festgestellt werden, dass die afghanischen Behörden und/oder das persönliche Umfeld des BF von dessen Glaubenswechsel und christlichem Engagement aktuell Kenntnis haben oder bei einer Rückkehr nach Afghanistan Kenntnis erlangen werden. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines Interesses für den christlichen Glauben psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt ist. Der BF hat im Jahr 2019 den Ramadan eingehalten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr in seinen Heimatort oder in die Städte Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif Gefahr läuft, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose beziehungsweise existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann von seinen Familienmitgliedern aus dem Iran - seiner engeren Familie, der Familie seiner verheirateten Schwester oder seiner Tante mütterlicherseits - finanziell unterstützt werden und verfügt über ein soziales Netzwerk am Heimatort und in Kabul.

Der BF hatte sich in Afghanistan beim Sport am linken Knie verletzt. Er ist dadurch im Alltag nicht eingeschränkt und es ist keine Operation geplant.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

Der BF hat im Bundesgebiet Deutschkurse bis zum Niveau A1 und ein Jugendcollege besucht. Für den BF wurde eine Beschäftigungsbewilligung als Bäckerlehrling erteilt, er trat diese Lehrstelle jedoch nicht an. Der BF hat einen Werte- und Orientierungskurs besucht. Er hat in einer Fahrradwerkstatt, einem Jugendzentrum und im städtischen Bauhof ehrenamtlich gearbeitet.

Der BF ist strafrechtlich unbescholten und bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.

II.1.2. Zur Situation im Herkunftsland:

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (Länderinformationsblatt für Afghanistan vom 13.11.2019 - LIB 13.11.2019, S. 12).

Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (LIB 13.11.2019, S. 18). Diese ist jedoch regional und sogar innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89ff; LIB 13.11.2019, S. 18ff).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung. Die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, sodass Engpässe entstehen. Dadurch können manchmal auch Kräfte fehlen um Territorium zu halten. Die Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, S. 19).

Für das gesamte Jahr 2018 gab es gegenüber 2017 einen Anstieg in der Gesamtzahl ziviler Opfer und ziviler Todesfälle. Für das erste Halbjahr 2019 wurde eine niedrigere Anzahl ziviler Opfer registrierten, im Juli, August und September lag ein hohes Gewaltniveau vor. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren 2018 am stärksten vom Konflikt betroffen (LIB 13.11.2019, S. 24).

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion, weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele (High Profile Angiffe - HPA) aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind jedoch stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, S. 25).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, S. 26).

Taliban: Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, S. 26; S. 29).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, S. 27).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, S. 27).

Haqani-Netzwerk: Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida. Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt und ist für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich (LIB 13.11.2019, S. 27).

Islamischer Staat (IS/DaesH) - Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP): Die Stärke des ISKP variiert zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern bzw. ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Der IS ist seit Sommer 2014 in Afghanistan aktiv. Durch Partnerschaften mit militanten Gruppen konnte der IS seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan stärken. Er ist vor allem im Osten des Landes in der Provinz Nangarhar präsent (LIB 13.11.2019, S. 27f).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab. Die Taliban und der IS sind verfeindet. Während die Taliban ihre Angriffe überwiegend auf Regierungszeile bzw. Sicherheitskräfte beschränken, zielt der IS darauf ab konfessionelle Gewalt zu fördern und Schiiten anzugreifen (LIB 13.11.2019, S. 29).

Der ISKP, auch IS, hat eine eingeschränkte territoriale Reichweite und diese Übergriffe stehen zumeist mit einer vorgeworfenen Solidarität mit dem Iran und der Bekämpfung des IS in Syrien in Zusammenhang (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 61f).

Al-Qaida: Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB 13.11.2019, S. 29).

Kabul:

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 (LIB 13.11.2109, S. 36). Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB 13.11.2109, S. 38). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB 13.11.2109, S. 37; S. 237).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 38ff).

In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB 13.11.219, S. 41).

Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB 13.11.2109, S. 335f).

Alle Distrikte Kabuls sind unter der Kontrolle der Regierung oder unbestimmt (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 101).

Balkh:

Die Provinzhauptstadt von Balkh ist Mazar-e Sharif. Die Provinz Balkh liegt im Norden Afghanistan und ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Es leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in Mazar-e Sharif (LIB 13.11.2019, S. 61).

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. In den letzten Monaten versuchten Aufständische der Taliban die Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren (LIB 13.11.2019, S. 62). Im Jahr 2018 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh dokumentiert. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 63). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Provinz Balkh sowie in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89; S. 92f).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen. Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) zu erreichen (LIB 13.11.2019, S. 61; S. 336).

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB 13.11.2019, S. 347).

Herat:

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und ist eine der größten Provinzen Afghanistans. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (LIB 13.11.2019, S. 105). Die Provinz verfügt über 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen (LIB 13.11.2019, S. 106).

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen erreichbar (LIB 13.11.2019, S. 106).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. In der Stadt Herat steigt die Kriminalität und Gesetzlosigkeit (LIB 13.11.2019, S. 106). Im Jahr 2018 gab es mit 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat einen Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen. Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften. Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LIB 13.11.2019, S. 108f). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89, S. 99f).

Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB 13.11.2019, S. 336).

Takhar:

Die Provinz Takhar liegt im Nordosten Afghanistans und grenzt im Norden an Tadschikistan. Die Nachbarprovinzen sind im Osten Badakhshan, im Süden und Südwesten Panjshir und Baghlan und im Westen Kunduz. Die Provinz ist in folgende Distrikte unterteilt: Baharak, Bangi, Chahab, Chal, Darqad, Dasht-e-Qala, Eshkamesh, Farkhar, Hazar Sumuch, Kalafgan, Khwaja Bahawuddin, Khwaja Ghar, Namak Ab, Rustaq, der Provinzhauptstadt Taluqan (Taloqan), Warsaj und Yangi Qala (LIB 13.11.2019, S. 207).

Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Takhar für den Zeitraum 2019-20 auf 1.073.319 Personen (CSO 2019). Sie besteht hauptsächlich aus Usbeken, Tadschiken, Paschtunen, Hazara, Gujari, Pashai und Arabern (LIB 13.11.2019, S. 207).

Eine Autobahn von Kunduz über Takhar nach Badakhshan führt durch die Distrikte Kalafgan, Taloqan und Bangi (LIB 13.11.2019, S. 207).

Die ansonsten relativ friedliche nördliche Region hatte in den letzten Jahren mit Gewalt zu kämpfen, nachdem die afghanischen Sicherheitskräfte Aufständische aus den südlichen und östlichen Regionen verdrängten. So zählt auch Takhar zu den volatilen Provinzen in Nordafghanistan - Aufständische der Taliban und anderer Gruppierungen sind in einer Anzahl von Distrikten aktiv. Es sind auch kleine Ansammlungen des ISKP und weitere islamistische Gruppierungen in der Provinz aktiv (LIB 13.11.2019, S. 208).

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Takhar in der Verantwortung des 217. ANA-Korps, das unter der Führung deutscher Streitkräfte der NATO-Mission Train Advise Assist Command-North (TAAC-N) untersteht (LIB 13.11.2019, S. 208).

Der folgenden Tabelle kann die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle bzw. Todesopfer für die Provinz Takhar gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für das Jahr 2018 und die ersten drei Quartale 2019 entnommen werden (LIB 13.11.2019, S. 208f):

Tabelle kann nicht abgebildet werden

Für das Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 113 zivile Opfer (26 Tote und 87 Verletzte) in der Provinz Takhar. Dies entspricht einer Steigerung von 15% gegenüber 2017. Die Hauptursachen für Vorfälle waren Bodenkämpfe gefolgt von IEDs und Drohungen, Einschüchterungen und Drangsalen (LIB 13.11.2019, S. 209).

Immer wieder kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und afghanischen Sicherheitskräften, bei denen es zu Todesopfern auf beiden Seiten kommt. Bei manchen sicherheitsrelevanten Vorfällen kamen Zivilisten zu Schaden (LIB 13.11.2019, S. 209f).

In der Provinz leben mehrere hunderttausende Binnenvertriebene, die größtenteils aus der Provinz Takhar selbst stammen (LIB 13.11.2019, S. 210). Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Provinz so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 89, S. 117).

Sicherheitsbehörden:

Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police) (LIB 13.11.2019, S. 249).

Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Das Verteidigungsministerium hat die Stärke der ANA mit 227.374 autorisiert (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA (LIB 13.11.2019, S. 250). Die Afghan Local Police (ALP) wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB 13.11.2019, S. 251).

Bewegungsfreiheit:

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung schränkt die Bewegung der Bürger gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB 13.11.2019, S. 327).

Meldewesen:

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB 13.11.2019, S. 328).

Allgemeine Menschenrechtslage:

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB 13.11.2019, S. 264).

Medizinische Versorgung:

Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren. Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Alle Staatsbürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt (LIB 13.11.2019, S. 344).

Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. 90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden (LIB 13.11.2019, S. 345).

Wirtschaft:

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig (LIB 13.11.2019, S. 333).

Am Arbeitsmarkt müssten jährlich 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen, wobei Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen können. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB 13.11.2019, S. 334f).

Es gibt lokale Webseiten, die offene Stellen im öffentlichen und privaten Sektor annoncieren. Die meisten Afghanen sind unqualifiziert und Teil des informellen, nicht-regulierten Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt besteht Großteiles aus manueller Arbeit ohne Anforderungen an eine formelle Ausbildung und spiegelt das niedrige Bildungsniveau wieder. In Kabul gibt es öffentliche Plätze, wo sich Arbeitssuchende und Nachfragende treffen. Viele bewerben sich, nicht jeder wird engagiert. Der Lohn beträgt für Hilfsarbeiter meist USD 4,3 und für angelernte Kräfte bis zu USD 14,5 pro Tag (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, S. 29 - 30).

In Kabul und im Umland sowie in Städten stehen Häuser und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul-City sind jedoch höher als in den Vororten oder in den anderen Provinzen. Die Lebenshaltungskosten sind für den zentral gelegenen Teil der Stadt Kabul höher als In ländlichen Gebieten (LIB 13.11.2019, S. 359).

Es ist auch möglich an Stelle einer Wohnung ein Zimmer zu mieten, da dies billiger ist. Heimkehrer mit Geld können Grund und Boden erwerben und langfristig ein eigenes Haus bauen. Vertriebene in Kabul, die keine Familienanbindung haben und kein Haus anmieten konnten, landen in Lagern, Zeltsiedlungen und provisorischen Hütten oder besetzen aufgelassene Regierungsgebäude. In Städten gibt es Hotels und Pensionen unterschiedlichster Preiskategorien. Für Tagelöhner, Jugendliche, Fahrer, unverheiratete Männer und andere Personen, ohne permanenten Wohnsitz in der jeweiligen Gegend, gibt es im ganzen Land Angebote geringerer Qualität, sogenannte chai khana (Teehaus). Dabei handelt es sich um einfache große Zimmer in denen Tee und Essen aufgetischt wird. Der Preis für eine Übernachtung beträgt zwischen 0,4 und 1,4 USD. In Kabul und anderen großen Städten gibt es viele solche chai khana und wenn ein derartiges Haus voll ist, lässt sich Kost und Logis leicht anderswo finden. Man muss niemanden kennen um dort eingelassen zu werden (EASO Afghanistan Netzwerke aus Jänner 2018, S. 31).

Rückkehrer:

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 sind insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB 13.11.2019, S. 353).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB 13.11.2019, S. 354).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 13.11.2019, S. 354).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB 13.11.2019, S. 355).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB 13.11.2019, S. 355).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB 13.11.2019, S. 355).

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB 13.11.2019, S. 356).

Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück (LIB 13.11.2019, S. 356).

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB 13.11.2019, S. 358).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB 13.11.2019, S. 362).

Ethnische Minderheiten:

In Afghanistan leben zwischen 32-35 Millionen Menschen. Es sind ca. 40-42% Pashtunen, rund 27-30% Tadschiken, ca. 9-10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB 13.11.2019, S. 287f).

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan, sie machen etwa 27-30% der afghanischen Gesellschaft aus und hat deutlichen politischen Einfluss im Land. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten, sie sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB 13.11.2019, S. 289f).

Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt.

Religionen:

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80-89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB 13.11.2019, S. 277).

Sunniten sind allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt.

Christen - Konvertiten:

Ausländische Christen und die wenigen Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. (LIB 13.11.2019, S. 281).

Religiöse Freiheit für Christen in Afghanistan existiert; gemäß der afghanischen Verfassung ist es Gläubigen erlaubt, ihre Religion in Afghanistan im Rahmen der Gesetze frei auszuüben. Dennoch gibt es unterschiedliche Interpretationen zu religiöser Freiheit, da konvertierte Christen im Gegensatz zu originären Christen vielen Einschränkungen ausgesetzt sind. Religiöse Freiheit beinhaltet nicht die Konversion (LIB 13.11.2019, S. 281).

Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam. Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum der Abtrünnigen konfiszieren und deren Erbrecht einschränken. Konvertiten vom Islam zum Christentum werden von der Gesellschaft nicht gut behandelt, weswegen sie sich meist nicht öffentlich bekennen. In den meisten Fällen versuchen die Behörden Konvertiten gegen die schlechte Behandlung durch die Gesellschaft zu unterstützen, zumindest um potenzielles Chaos und Misshandlung zu vermeiden. Missionierung sind illegal. Die öffentliche Meinung stehe Christen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber (LIB 13.11.2019, S. 281f).

Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber. Es gibt keine Berichte zu staatlicher Verfolgung aufgrund von Apostasie oder Blasphemie (LIB 13.11.2019, S. 282).

Apostasie, Blasphemie, Konversion:

Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht. Es gibt keine Berichte über die Verhängung der Todesstrafe aufgrund von Apostasie oder der Strafverfolgung bei Blasphemie. Gefahr bis hin zur Ermordung droht Konvertiten hingegen oft aus dem familiären oder nachbarschaftlichen Umfeld. Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden. Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, sind Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren. Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (LIB 13.11.2109, S. 285f).

II.2. Beweiswürdigung

II.2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und dem Verfahrensakt des Bundesverwaltungsgerichts.

II.2.2. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit sowie zur Volksgruppenzugehörigkeit des BF legte bereits das BFA aufgrund der glaubhaften Angaben des BF seiner Entscheidung zugrunde. Da der BF diese anlässlich der Beschwerdeverhandlung noch einmal bestätigte (S. 5 VP), besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, daran zu zweifeln. Die Identität des BF kann mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente nicht festgestellt werden.

Die Feststellungen zu den Sprachkenntnissen sowie zu seiner Herkunftsprovinz beruhen auf den das ganze Verfahren über gleichbleibenden Angaben des BF (AS 5, 89, S. 7, 11 VP). Auf diesen gleichbleibenden, glaubhaften Aussagen beruhen auch die Feststellungen zu den Lebensumständen des BF in Afghanistan, seiner Schul- und Berufsbildung, der Unterstützung durch die Familie während seines Studiums und zu seinem Leben in Kabul (AS 89, 91, S. 7 VP).

Ebenso gleichbleibend waren die Angaben des BF, wonach sich seine Familie wie auch seine Tante väterlicherseits im Iran aufhält, sodass eine entsprechende Feststellung erfolgen konnte. Der weiteren Behauptung des BF, er habe seit neun Monaten keinen Kontakt mehr zu seiner Familie (S. 8 VP), kann jedoch nicht gefolgt werden. Insbesondere betonte der BF selbst, wie gut er sich mit seiner älteren, verheirateten und nicht mehr im Haushalt mit den Eltern lebenden Schwester verstehe. Da er wusste, dass diese ihn versteht, habe er mit ihr über seine Konversion sprechen können (S. 9 VP). Folglich ist kein Grund ersichtlich, weshalb der BF nicht nach wie vor zu ihr Kontakt haben sollte. Als Grund für den abgebrochenen Kontakt zur gesamten Familie machte der BF nämlich alleine seine angebliche Konversion geltend (S. 8 VP). Da es dem BF jedoch nicht gelungen ist, seine Konversion glaubhaft zu machen (siehe unten), ist schon aus diesem Grund von einem aufrechten Kontakt zur Familie auszugehen. Darüber hinaus spricht auch die Aussage des Zeugen XXXX (Z1) für einen bestehenden Kontakt des BF zu seiner Familie. Dieser wich zwar erst den Fragen der Richterin aus, gab dann aber an, dass der BF, soweit es irgendwie möglich sei, nach wie vor in Kontakt zu seiner Familie stehe, er wisse jedoch nicht über Einzelheiten Bescheid, da es den BF emotional sehr aufwühle (S. 20 VP). Keinen Beitrag zur Wahrheitsfindung leisten konnte dagegen der Zeuge XXXX (Z2), der zum Verhältnis des BF zu dessen Familie keine Angaben machen konnte (S. 25 VP). Es war daher festzustellen, dass der BF nach wie vor Kontakt zu seiner Familie hat, weil dies auch der afghanischen Tradition entspricht. Neben dem Kontakt zu seiner Schwester ist auch davon auszugehen, dass der BF über soziale Medien zumindest nach wie vor mit seinem Bruder in Kontakt steht und dieser Kontakt nicht zuletzt zehn Monate vor der Verhandlung stattfand. Es ist auch nicht nachvollziehbar, dass der BF keinen Kontakt zu seinem Onkel haben sollte (S. 9f VP), zumal er beziehungsweise sein Vater und sein Bruder mit diesem jahrelang zusammengelebt und -gearbeitet haben (AS 93). Es ist daher entgegen der Aussage des BF davon auszugehen, dass der BF auch zu seinem Onkel - wenn auch möglicherweise nur über seinen Bruder (S 10 VP) - Kontakt hat.

Der BF gab weiter an, dass er nicht wisse, was mit dem landwirtschaftlichen Besitz der Familie passiert sei, weil sie nach den vorgebrachten Vorfällen um die Ermordung des Vaters geflohen seien. Seine Ausführungen sind jedoch aus den folgenden Gründen wenig lebensnah und nicht plausibel, sodass es sich dabei um Schutzbehauptungen handeln muss. Abgesehen davon, dass bereits der angebliche innerfamiliäre Streit um die Grundstücke und die angebliche Ermordung seines Vaters vom BF nicht glaubhaft gemacht werden konnten (siehe dazu sogleich unten), ist auch nicht nachvollziehbar, warum der BF bei einer derartigen Bedrohungslage zeitlich nach der Beerdigung von Kabul in sein Heimatdorf zurückkehrt und er und seine Familie gemäß den - insoweit vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht übereinstimmenden - Angaben des BF noch über einen Monat problemlos im Heimatdorf leben und während dieser Zeit ihr Haus in der Stadt zu einem sehr guten Preis verkaufen konnten (AS 97, S. 11 VP). Wenig verständlich ist dabei, dass es ihnen gleichzeitig nicht möglich gewesen sein soll, sich auch um ihren landwirtschaftlichen Besitz zu kümmern bzw. zumindest zu wissen, was mit diesem geschah.

Da der BF nicht angegeben hat, dass die Familie diesen Besitz ebenfalls verkauft hat und vor der geregelten Abreise der Familie in den Iran genügend Zeit zur Verfügung stand, um sich darum zu kümmern, ist davon auszugehen, dass der landwirtschaftliche Grund nach wie vor im Besitz der Familie steht. Insbesondere hatte der BF vor dem BFA überhaupt noch ausgeführt, dass sein Onkel in Afghanistan lebe (AS 91). In der Beschwerdeverhandlung gab er zudem an, sein älterer Bruder halte mit diesem den Kontakt (S. 10 VP). Folglich ist weder davon auszugehen, dass der BF nicht weiß, wo der Onkel ist, noch kann dem in der Verhandlung neu getätigten Vorbringen gefolgt werden, dass der Onkel Afghanistan bereits vor der Familie des BF verlassen haben soll. Es war daher festzustellen, dass dieser landwirtschaftliche Betrieb, der im gemeinsamen Eigentum der Familie des BF sowie seines Onkels und seiner Tante väterlicherseits steht, vom Onkel weitergeführt oder zumindest dieser landwirtschaftliche Besitz derzeit verpachtet ist, wie dies von zahlreichen seiner in den Iran emigrierten Landsleute ebenfalls vorgenommen wurde. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass die Familie des BF dadurch anteilsmäßige Einnahmen erzielt.

II.2.3. Dem Fluchtvorbringen des BF, wonach sein Vater von dessen Cousins aufgrund von Grundstücksstreitigkeiten ermordet worden sei, kann ebenfalls nicht gefolgt werden. Die Angaben des BF dazu sind nicht lebensnahe, nicht plausibel und widersprüchlich sowie teilweise gesteigert. In Verbindung mit dem gewonnenen persönlichen Eindruck des BF ist es ihm daher aus den folgend näher dargestellten Gründen nicht gelungen, seine Angaben zum Fluchtgrund auch nur annähernd glaubhaft zu machen.

Zunächst erscheint es vor dem Hintergrund der für Afghanistan überdurchschnittlichen Bildung des BF nicht nachvollziehbar, dass dieser keinerlei Angaben zum Todeszeitpunkt seines Vaters machen konnte. Der BF war nicht einmal in der Lage, die Ermordung ungefähr zeitlich anhand der Jahreszeiten einzuordnen, obwohl die gesamte Familie Landwirte waren (S. 10 VP) und damit gerade die Jahreszeiten eine besondere Rolle innerhalb der Familie spielten. Seine auf Vorhalt erfolgte vage Angabe, es sei keinesfalls im Winter passiert, da in der Landwirtschaft gearbeitet worden sei (S. 10 VP), ist jedoch nicht in Einklang mit seinen übrigen zeitlichen Angaben zu bringen. So gab er in seiner Erstbefragung am 09.08.2016 an, dass er vor achteinhalb Monaten den Entschluss zu seiner Ausreise gefasst beziehungsweise das Land verlassen habe (AS 9, 11). Auch wenn man nun den Zeitraum, den er nach der Ermordung seines Vaters noch in seinem Heimatdorf verbracht haben will, miteinberechnet, müsste sich die Ermordung seines Vaters daher im November / Dezember 2015 und damit entgegen seiner Aussage in den kalten Monaten zugetragen haben. Insofern sind daher auch die weiteren Angaben des BF, wonach sein Vater während der Arbeiten in der Landwirtschaft durch einen Schuss in den Rücken (AS 93) von einem Cousin des Vaters ermordet worden sein soll, nicht glaubhaft.

Ebenso widersprüchlich sind die Angaben des BF zum angeblichen Wohnort der Cousins des Vaters des BF. So gab er vor dem BFA noch an, dass diese zwanzig Minuten entfernt vom BF in einem großen Dorf gelebt hätten (AS 97). Dagegen gab er vor dem Bundesverwaltungsgericht zwar ebenfalls an, dass die Cousins des Vaters fünfzehn bis zwanzig Minuten entfernt gewohnt hätten, allerdings hätten diese nunmehr im selben Dorf wie der BF und seine Familie gewohnt (S. 12 VP). Damit wiederum im Widerspruch gab der BF auch an, dass sich diese Verwandten vor den Sicherheitsbehörden der Regierung in den Bergen verstecken würden (AS 95, S. 31 VP), während er an anderer Stelle hervorhob, dass jeder dieser fünf Männer wiederum mindestens fünf Kinder habe und im Dorf lebe (S. 12 VP).

Der BF steigerte seine Angaben auch, wenn er vor dem Bundesverwaltungsgericht erstmals angab, sein Onkel sei direkt nach dem Mord am Vater des BF geflohen, da auch er hätte umgebracht werden sollen (S. 12 VP), während er eine derartige Bedrohung vor dem BFA noch mit keinem Wort erwähnte. Dort machte er vielmehr nur seine eigene Bedrohung und die seines Bruders geltend (AS 93ff). Dem BF ist somit auch der Vorwurf einer unzulässigen Steigerung zu machen. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass der BF seine Aussage zudem erheblich steigerte, wenn er vor dem BFA stets nur behauptete, dass er und sein Bruder bedroht worden seien (AS 95), während er vor dem Bundesverwaltungsgericht erstmals angab, dass seine Mutter bedroht worden sei (S. 31 VP).

Ebenso gab der BF erstmals vor dem Bundesverwaltungsgericht an, dass seine Mutter eine Gruppe von Leuten beobachtet habe, die beim Grundstück der Familie vorbeigegangen sei, und dass er von Freunden aus dem Dorf erfahren habe, dass er auf der Liste der Cousins seines Vaters stehe und er von ihnen getötet werden solle (S. 30f VP). Auch Derartiges hatte er vor dem BFA mit keinem Worte erwähnt, was jedoch zu erwarten gewesen wäre, wenn der BF den Vorfall und die Bedrohung danach tatsächlich selbst erlebt hätte. Vielmehr zeigt die mehrmalige Steigerung der angeblichen Bedrohung durch den BF, dass es sich dabei um ein Konstrukt zur Asylerlangung handeln muss, das jedoch nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht.

Es macht zudem, wie bereits das BFA zu Recht festhielt, wenig Sinn, dass sich die Bedrohung vor allem gegen den BF gerichtet haben soll, weil er Student gewesen sei (S. 31 VP). Das Ziel der Cousins des Vaters des BF sollen nämlich die im Eigentum seines Vaters, seines Onkels und deren Schwester stehenden landwirtschaftlichen Grundstücke gewesen sein, sodass wohl davon ausgegangen werden müsste, dass sich die Bedrohung vorrangig gegen die Eigentümer bzw. jene richtet, die die Landwirtschaft bewirtschafteten,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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