Entscheidungsdatum
07.02.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W153 2143329-3/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Christoph KOROSEC als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.11.2019, Zl: 1095245104-190345492, beschlossen:
A)
Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 4 VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (BF), ein Staatsangehöriger Afghanistan, stellte am 03.04.2019 (neuerlich) einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde in der Betreuungsstelle Ost (im Folgenden: BS Ost) im Rahmen der Grundversorgung untergebracht.
Aus einer Vorfallsmeldung vom 10.06.2019 geht hervor, dass der BF am 09.06.2019 um 22:10 Uhr gegen die Nachtruhebestimmung der Hausordnung verstoßen habe.
Aus einer weiteren Vorfallsmeldung vom 16.06.2019 geht hervor, dass der BF erneut gegen die Nachtruhezeiten verstoßen habe und der Verdacht auf gerichtlich strafbare Handlungen gegen Leib und Leben bestehe. Der BF habe einem anderen Asylwerber nach einer verbalen Auseinandersetzung mit der Faust ins Gesicht geschlagen.
Dem Bericht der PI Traiskirchen vom 16.06.2019 zufolge habe sich der BF mit einem anderen Asylweber gestritten und diesen beschuldigt, den Rucksack des BF an sich genommen und versteckt zu haben. Es sei zu einer verbalen Auseinandersetzung gekommen und der BF habe den anderen Asylwerber mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Dieser habe eine leichte Verletzung unterhalb des linken Auges erlitten. Gegen den BF sei ein Betretungsverbot gemäß § 38a SPG für das gesamte Areal der BS Ost ausgesprochen worden. Nach Abschluss der Erhebungen wurde der Staatsanwaltschaft Anzeige erstattet.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) erließ am 17.06.2019 einen Mandatsbescheid. Damit wurde dem BF aufgrund des Grundversorgungsgesetz-Bund 2005 (GVG-B) die bisher gewährte Versorgung gemäß § 2 Abs. 4 GVG-B iVm § 57 Abs. 1 AVG entzogen und festgehalten, dass der Zugang zur medizinischen Notversorgung weiterhin gegeben sein.
Mit Schreiben vom 26.06.2019 erhob der BF das Rechtsmittel der Vorstellung.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem BF die aufgrund des GVG-B idgF. bisher gewährte Versorgung gemäß § 2 Abs. 4 GVG-B mit 17.06.2019 entzogen.
Gegen diesen Bescheid wurde Beschwerde eingebracht und u.a. ausgeführt, dass gemäß § 2 Abs. 6 GVG-B vor der Entscheidung, die Versorgung zu entziehen, eine Anhörung des Betroffenen stattzufinden habe, was offenbar unterlassen worden sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Zu A) Behebung des Bescheides und Zurückverweisung:
Gemäß § 28 Abs. 4 VwGVG hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden, wenn es nicht gemäß Abs. 2 in der Sache selbst zu entscheiden hat und wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Gemäß Art. 130 Abs. 3 B-VG liegt Rechtswidrigkeit nicht vor, soweit das Gesetz der Verwaltungsbehörde Ermessen einräumt und sie dieses im Sinne des Gesetzes geübt hat. Es ist demnach Aufgabe des Verwaltungsgerichtes zu überprüfen, ob sich die Entscheidung der Behörde als Ermessensübung im Sinne des Gesetzes erweist, und zwar - mangels Indizien für eine Abweichung von Fällen mit "gebundener" Entscheidung - vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehenden Sach- und Rechtslage. Bejahendenfalls ist die Beschwerde - ohne dass das Verwaltungsgericht befugt wäre, in eine eigene Ermessenentscheidung einzutreten - abzuweisen. Erst wenn sich die behördliche Ermessensübung im Ergebnis als nicht im Sinne des Gesetzes erfolgt erweist - was insb. auch der Fall wäre, wenn die für die Übung des Ermessens maßgeblichen Umstände nicht frei von Verfahrensmängeln oder unvollständig festgestellt wurden - wäre das Verwaltungsgericht befugt, bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Entscheidung in der Sache selbst (§ 28 Abs. 2 VwGVG 2014), gegebenenfalls nach Ergänzung des Ermittlungsverfahrens eigenes Ermessen zu üben (nur bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen für eine Entscheidung in der Sache selbst wäre nach § 28 Abs. 4 VwGVG 2014 vorzugehen) (vgl. VwGH 26.07.2018, Ra 2017/11/0294).
Das GVG-B 2005 ermächtigt im § 2 Abs. 4 Z 2 die Behörde dazu, die Versorgung von Asylwerbern, welche gemäß § 38a SPG aus der Betreuungseinrichtungen weggewiesen werden, einzuschränken oder unter Auflagen zu gewähren oder zu entziehen.
Durch die Formulierung "kann von der Behörde eingeschränkt, unter Auflagen gewährt oder entzogen werden" wird verdeutlicht, dass im gegebenen Zusammenhang Ermessen der Behörde besteht.
Bei der Ermessensübung kommt aus den verba legalia des § 2 Abs. 4 GVG-B 2005 als Wille des Gesetzgebers als Sanktion für im § 2 genannten einem Asylwerber anzulastenden Taten hervor, dass die Behörde wählen kann zwischen Einschränkung der Versorgung, Versorgungsgewährung unter Auflagen oder Entzug der Versorgung. In casu war die anzulastende Tat die Wegweisung des BF, der das oben näher beschriebene Verhalten des BF voranging.
"Ermessen" ist eine vom Gesetzgeber der Behörde eingeräumte Entschlussfreiheit (Antoniolli/Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht1986, S. 251) und ist Voraussetzung für die rechtmäßige Ausübung des Ermessens, dass der maßgebliche Sachverhalt in den für die Ermessensübung maßgebenden Punkten ordnungsgemäß und hinreichend vollständig ermittelt und subsumiert wurde. Bei der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts unter den Tatbestand hat die Behörde zu prüfen und zu begründen, wie sie den im Gesetz normierten Ermessensspielraum ausschöpft. So wird die Partei in die Lage versetzt, das von der Behörde vorgenommene Ermessen nachvollziehen zu können und in ihrem Rechtsmittel aufzeigen zu können, worin ihre Bedenken hinsichtlich des ausgeübten Ermessens liegen
(vgl VwGH 2.6.2016, 2015/08/0030).
Gegenüber dem BF wurde von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 15.06.2019 die Wegweisung und das Betretungsverbot beginnend am 15.06.2019 ab 23:30 Uhr für den räumlichen Schutzbereich "gesamtes Areal der BS Ost" sowie einer Schutzzone im "Umkreis von 50 Metern - gemessen von den Außengrenzen des Schutzobjektes" ausgesprochen. Aufgrund dessen, dass der BF gemäß § 38a SPG aus der Betreuungseinrichtungen weggewiesen wurde, erfüllte der BF die Voraussetzung dafür, dass die belangte Behörde ermessen durfte, ob sie seine Versorgung einschränkt oder unter Auflagen gewährt oder entzieht.
Erweist sich die Ermessensübung durch die belangte Behörde im Ergebnis als nicht iSd Gesetzes - was insb. auch der Fall wäre, wenn die für die Übung des Ermessens maßgeblichen Umstände nicht frei von Verfahrensmängeln oder unvollständig festgestellt wurden - wäre das Verwaltungsgericht befugt, bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Entscheidung in der Sache selbst (§ 28 Abs. 2 VwGVG) - gegebenenfalls nach Ergänzung des Ermittlungsverfahrens - eigenes Ermessen zu üben (nur bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen für eine Entscheidung in der Sache selbst wäre nach § 28 Abs. 4 VwGVG 2014 vorzugehen); VwGH 26.04.2016, 2015/03/0038).
Im Beschwerdeschriftsatz wird mit dem Hinweis auf § 2 Abs. 6 GVG-B 2005 vorgebracht, dass eine Anhörung des BF unterlassen worden sei. Dazu ist zu sagen, dass jener Bescheid, gegen welchen sich die Vorstellung mit den unten näher behandelten Vorbringen des BF richtete, ein Mandatsbescheid nach § 57 AVG war.
§ 57 Abs. 1 AVG berechtigt die Behörde zur Erlassung eines Bescheids ohne vorausgegangenes Ermittlungsverfahren (Mandatsbescheid) ua. bei Gefahr im Verzug, wenn es sich um unaufschiebbare Maßnahmen handelt. Gefahr im Verzug ist dann anzunehmen, wenn sich das Entstehen eines Schadens bereits abzeichnet bzw. wenn es wahrscheinlich ist, dass bei Unterlassung einer Maßnahme ein Schaden unmittelbar zu gewärtigen ist. Da Mandatsbescheide ohne vorangegangenes Ermittlungsverfahren ergehen, ist die Anhörung des Betroffenen nach Erhebung der Vorstellung tunlich, um ihm Gehör vor der belangten Behörde zu verschaffen.
Die verba legalia des § 2 Abs. 6 GVG-B 2005 lauten dahingehend, dass bei der Entscheidung, die Versorgung nach Abs. 4 einzuschränken oder zu entziehen, eine Anhörung des Betroffenen vorzunehmen ist, soweit dies ohne Aufschub möglich ist. Die belangte Behörde kann hier eine zeitliche Komponente mit berücksichtigen, weil die Anhörung dann vorzunehmen ist, wenn dies ohne Aufschub möglich ist.
Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts hat es die Behörde verabsäumt, ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren zu führen. Im gegenständlichen Fall hätte es, wie im Gesetz vorgesehen, einer Anhörung des BF bedurft.
Der BF brachte in seiner Vorstellung vor, dass es sich um einmalige Vorkommnisse handle, welche er zutiefst bedauere. Die in der Vorstellung ins Treffen geführten Argumente des BF spiegeln sich auch im Verhalten des BF in Natura wieder. So liegen dem Bundesverwaltungsgericht keine Informationen über weitere Verstöße oder (sogar) strafrechtliche Verurteilung des BF vor.
Vor dem Hintergrund des Sachverhalts in der Zeitspanne der Vorstellung bis zur Erlassung des bekämpften Bescheids wäre die belangte Behörde aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts möglicherweise zu einer anders lautenden Annahme gelangt.
Insgesamt wird daher vom Bundesverwaltungsgericht in der unterbliebenen Anhörung der gerügte Verfahrensfehler erblickt, welcher einen wesentlichen Ermittlungsmangel darstellt. Vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehenden Sach- und Rechtslage erweist sich die Ermessensübung durch die belangte Behörde daher im Ergebnis als dem Sinne des GVG-B 2005 widersprechend.
Die Behörde wird daher im fortgesetzten Verfahren den BF gemäß § 2 Abs. 6 GVG-B anzuhören haben.
Dass eine unmittelbare Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist im konkrete Fall nicht ersichtlich. Verwiesen wird diesbezüglich auch auf die Entscheidung des VwGH vom 25.10.2018 zu Ra 2018/20/0014-6, in der festgestellt wird, dass sich die Behörde nicht offenkundig notwendiger Erhebungen entledigen und diese auf das BVwG übertragen kann.
Da der maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Unterlassung notwendiger Ermittlungen seitens der belangten Behörde im gegenständlichen Fall nicht feststeht, hat das Bundesverwaltungsgericht in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen und auch vor dem Hintergrund verwaltungsökonomischer Überlegungen und den Effizienzkriterien des § 39 Abs. 2 AVG von dem ihm in § 28 Abs. 4 VwGVG eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, zumal aufgrund der Aktenlage feststeht, dass die mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25 Absatz 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF., hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgekommen.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Einvernahme Ermittlungspflicht Kassation mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W153.2143329.3.00Im RIS seit
28.07.2020Zuletzt aktualisiert am
28.07.2020