TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/10 W174 2126036-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.02.2020
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Entscheidungsdatum

10.02.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W174 2126036-1/9E

IM NAMEN der republik!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Viktoria MUGLI-MASCHEK, als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 6.4.2016, Zl. 1032724403/140054530, nach einer mündlichen Verhandlung am 4.11.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

II. Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der damals minderjährige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 9.10.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab er im Wesentlichen an, aus Jalalabad und zu stammen, wo er von 2007 bis 2013 die Grundschule besucht habe, der Volksgruppe der Paschtunen und dem sunnitischen Glauben anzugehören sowie ledig zu sein. Der Vater sei verstorben, die Mutter sowie zwei Brüder (25 und 11 Jahre) und eine dreißigjährige Schwester befänden sich noch in Afghanistan.

Zu seinem Fluchtgrund brachte er vor, sein Bruder habe ca. 3 Jahre für Ausländer gearbeitet, weshalb die Taliban den Beschwerdeführer gewarnt und vor ca. vier Monaten seinen Bruder entführt und ihm selbst gedroht hätten, wenn er nicht mit ihnen zusammenarbeite, würde ihm das gleiche passieren wie seinem Bruder. Nun habe er Angst um sein Leben.

3. Am 14.3.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen und erklärte, aus dem Distrikt Rodad in der Provinz Nangarhar zu stammen und die letzten vier Monate vor der Ausreise in der Stadt Jalalabad gelebt zu haben.

Der Familie gehöre in seinem Geburtsort ein Haus auf einem Grundstück. Sein Vater sei vor fünfeinhalb Jahren eines natürlichen Todes gestorben, die Mutter sei Hausfrau. Urspünglich habe der Vater ein Teegeschäft gehabt und dieses später verkauft. Ein Jahr nach dem Tod des Vaters habe sein älterer Bruder begonnen, mit Ausländern zusammenzuarbeiten, zuerst als Dolmetscher, später bei einer afghanischen Firma, die sich um die Lebensmittelversorgung der Ausländer gekümmert habe. Er sei für die Versteuerung der Lebensmittel zuständig gewesen, seine Dienststelle habe sich in der Provinz Herat, in Torghondi befunden.

Der Beschwerdeführer selbst habe keinen Kontakt zur Familie, die Telefonnummer hätte er verloren und der Bruder sei von Taliban verschleppt worden.

Zu seinem Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer vor, die Taliban hätten von seinem Bruder die Herausgabe des Steuergeldes verlangt, was dieser verweigert habe. Als er für eine Woche auf Urlaub nach Hause gekommen sei, wäre er einmal einkaufen gegangen. Zurückgekehrt, habe er den Beschwerdeführer angerufen und aufgefordert, mit einer Schubkarre für die gekauften Lebensmittel herauszukommen. Vor dem Haus sei plötzlich ein Auto gestanden, ein paar Leute bzw. zwei Männer seien daraus ausgestiegen. Ob noch mehrere Personen im Auto gewesen seien, wisse der Beschwerdeführer nicht. Sein Bruder wäre gerade aus seinem Taxi ausgestiegen und diese Leute seien auf ihn zugekommen und hätten ihn aufgefordert, mitzukommen, weil sie was zu besprechen hätten. Sie seien unbewaffnet gewesen und der Bruder hätte sich in das Auto gesetzt. Dieser habe dem Beschwerdeführer gesagt, es gebe kein Problem, er habe mit diesen Leuten Allgemeines zu besprechen, der Beschwerdeführer solle Mutter ausrichten, dass er bald zurückkomme.

Drei Tage später seien die Taliban bzw. vier Männer wieder zum Beschwerdeführer nach Hause gekommen und hätten behauptetet, sein Bruder habe gesagt, dass der Beschwerdeführer das Geld, welches sie ursprünglich von ihm (dem Bruder) verlangt hätten, organisieren könne und auch die Unterlagen hätte. Sie würden ihm Zeit geben und wenn sie wiederkämen und das Geld nicht erhielten, würde es dem Beschwerdeführer ebenso ergehen wie seinem Bruder. Ab diesem Zeitpunkt habe der Beschwerdeführer diese Menschen nicht mehr gesehen und auch nicht mehr gesprochen und sei innerhalb von ein paar Tagen aus Afghanistan ausgereist. Dass es sich um Taliban gehandelt habe, hätte er an ihrer Ausdrucksweise erkannt. Er und seine Familie hätten keine Wahl gehabt, sie hätten das Geld nicht organisieren können, die Mutter habe die Schwester angerufen, die mit dem Schwager gekommen sei. Die Familie habe sich beraten, die Mutter sei sehr traurig gewesen, weil der Bruder weg gewesen sei und hätte es nicht verkraften können, wenn ihr auch noch der Beschwerdeführer genommen werden würde. Daher habe sie den Schwager gebeten, den Beschwerdeführer irgendwohin in Sicherheit zu bringen.

Er selbst sei noch sechs bis sieben Tage nach dem Vorfall zu Hause geblieben, die Familie habe das Haus verlassen und sei zu Verwandten des Schwagers gegangen, danach wäre der Beschwerdeführer mit einem gefälschten Pass nach Kabul gebracht worden und von dort in den Iran geflogen. Diese Vorkommnisse hätten sich in Jalalabad zugetragen, weil die Familie, nachdem die Taliban erfahren hätten, dass der Bruder mit den Ausländern zusammengearbeitet habe, vier Monate vor der Ausreise umgezogen sei, damit nichts passiere. Der Bruder sei deshalb ins Visier der Taliban geraten, weil die Familie wegen seiner Tätigkeit im Dorf aufgefallen sei. Insgesamt habe der Bruder ca. ein Jahr für die Ausländer gearbeitet. Sonst existiere keine Bedrohung oder Verfolgung.

4. In einer Stellungnahme der damaligen gesetzlichen Vertretung des Beschwerdeführers vom 25.3.2016 wurde im Wesentlichen dessen bisheriges Vorbringen wiederholt und dazu ausgeführt, dass der Vater vor fünfeinhalb Jahren eines natürlichen Todes gestorben sei. Zunächst habe die Familie vom Verkauf des Teegeschäftes gelebt, bevor der Bruder für diese Firma gearbeitetet hätte, die "Ausländer" mit Lebensmitteln versorgt habe und zwar zunächst als Dolmetscher, dann sei er für die Eintreibung der Steuergelder der gehandelten Ware verantwortlich gewesen, das für die Taliban Geld der Ungläubigen gewesen wäre. Da er deren Aufforderungen nicht nachgekommen sei, wäre er verschleppt worden. Drei Tage später hätten sie die Familie zuhause aufgesucht, um an die Gelder zu kommen und den Beschwerdeführer schließlich massiv bedroht. Dieser gehöre zur sozialen Gruppe der Familie im Sinne der GFK (VwGH 11.11.2009, Zl. 2008/23/0366, 26.2.2002 2000/20/0517). Zudem handle es sich um eine Verfolgung wegen seiner (unterstellten) politischen und/oder religiösen Gesinnung.

5. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 6.4.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 6.4.2017 erteilt.

Zum Spruchpunkt I. führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, bei der vom Beschwerdeführer namentlich genannten Firma handle es sich um ein afghanisches Transportunternehmen, das in unterschiedlichsten Bereichen tätig sei. Es sei insgesamt nicht nachvollziehbar, wieso die Familie aufgrund dieser Tätigkeit in ihrem Dorf aufgefallen sein soll, wenn der Bruder in einem großen afghanischen Transportunternehmen, das seinen Hauptsitz in Kabul und noch Standorte in weiteren acht größeren afghanischen Städten, darunter auch in Herat und Jalalabad, betreibe, gearbeitet habe und sein Dienstort laut den Angaben des Beschwerdeführers im ca. 770 km von Jalalabad entfernten Herat gewesen sei. Selbst wenn der Bruder tatsächlich aufgefallen wäre, wäre es naheliegender gewesen, wenn der Bruder seinen Wohnort nach Herat verlegt hätte, um der Gefahr von den Taliban gefunden zu werden, zu entgehen.

Nicht glaubhaft sei, dass der Beschwerdeführer nicht wisse, um welche Ausländer es sich gehandelt habe, bei denen sein Bruder gearbeitet habe. Die Arbeit bei Ausländern berge immer ein gewisses Gefahrenpotenzial, es sei nicht lebensnah, dass er mit seiner Familie nie darüber gesprochen habe.

Die geschilderte Entführung erscheine nicht als solche, der Bruder habe sich ohne Gewaltanwendung in das Auto gesetzt und selbst gesagt, es gebe keine Probleme und er komme bald wieder; es handle sich um eine Vermutung des Beschwerdeführers, dass diese Männer Taliban gewesen seien. Dass der Bruder sich ohne Weigerung oder Gegenwehr zu den Männern ins Auto gesetzt habe, lasse den Schluss zu, dass er diese Männer gekannt habe und es sich dabei um mögliche Geschäftspartner gehandelt haben könnte. Dafür spreche auch, dass diese Männer versucht haben sollen, das Geld bei der Familie einzutreiben. Es sei äußerst unlogisch, dass "Steuergelder" eines internationalen Transportunternehmens, das auch mit Europa und Zentralasien Geschäfte betreibe, von den Familienangehörigen eines Mitarbeiters irgendwie organisiert werden könnten. Da sein Bruder - wie vom Beschwerdeführer angegeben - hohe Geldbeträge, zum Beispiel die USD 16.000 für die Ausreise des Beschwerderführers - bei seinem Schwager hinterlegt haben soll, spreche vieles dafür, dass es sich dabei um Gelder aus diversen anderen Geschäften oder Tätigkeiten des Bruders gehandelt habe. Mögliche Probleme des Bruders mit eventuellen Geschäftspartnern seien nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

6. Gegen Spruchpunkt I. des genannten Bescheides wurde rechtzeitig Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben, in der im Wesentlichen das bisherige Vorbringen des Beschwerdeführers wiederholt und moniert wurde, dass die Behörde bei ihrer Beweiswürdigung nicht das Alter des minderjährigen Beschwerdeführers berücksichtigt habe. Zudem hätte die Behörde Ermittlungen unterlassen (eine Internetrecherche bestätige, dass die Firma Lebensmittel nach Europa und China liefere).

7. Im Rahmen seiner Beschwerdevorlage wies das Bundesamt darauf hin, dass es - wie der im Akt befindliche Internetausdruck zeige - sehr wohl bezüglich der Firma, bei der der Bruder des Beschwerdeführers gearbeitet haben soll, recherchiert habe.

8. Am 4.11.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Paschtu eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei nicht teilnahm.

Dabei legte der Beschwerdeführer diverse integrationsunterlagen vor und gab im Wesentlichen wie bisher an, in Jalalabad geboren, ledig, Paschtune und sunnitischer Moslem zu sein. Von der Geburt bis vier Monate vor der Ausreise habe er in seinem Heimatdorf in der Provinz Jalalabad (gemeint: Nangahar) im Distrikt Rodad gelebt, die letzten vier Monate vor der Ausreise in der Stadt Jalalabad. Es sei bekannt geworden, dass sein Bruder mit ausländischen Soldaten gearbeitet habe.

Der Beschwerdeführer habe sechs Jahre die Schule im Heimatdorf besucht, in Österreich die polytechnische Schule und daneben viele Deutschkurse gemacht.

Sein Vater habe damals einen Teegroßhandel betrieben und aus Indien und anderen Ländern Tee importiert. Die Familie hätte von dem in Jalalabad befindlichen Geschäft gelebt und nach dessen Verkauf durch den Vater noch von dessen Erlös. Vor ungefähr neun Jahren sei der Vater verstorben.

Der Beschwerdeführer sei mit gefälschtem Reisepass und Tazkira geflüchtet und anlässlich seines Besuchs bei seiner Familie in Pakistan im Jahr 2018 dann mit seiner Mutter in der Botschaft von Afghanistan gewesen, wo er eine Tazkira auf Basis der Tazkira seiner Mutter beantragt habe. Der weitere Prozess sei über das Innenministerium von Afghanistan erfolgt, wo dann die Tazkira ausgestellt worden sei, die sich jetzt bei seiner Mutter befinde. Seine Mutter halte sich derzeit in Afghanistan auf, habe keine eigene Bleibe und sei bei unterschiedlichen Verwandten - hauptsächlich in den Provinzen Nangahar, Laghman und Kabul - untergebracht und werde dort auch versorgt. Die Schwester sei schon verheiratet und lebe bei ihrer Familie, der jüngere Bruder sei bei der Mutter und nach dem Vorfall wüssten sie nicht, wo sich der ältere Bruder befinde und ob er noch lebe. Der Beschwerdeführer habe nur Kontakt zu seiner Mutter und zu seiner Schwester.

Ausgereist sei der Beschwerdeführer ca. im Juni 2014. Die 16.000 USD für die Flucht hätten seinem Bruder gehört, der dieses Geld bei seinem Schwager hinterlegt habe.

Der Vater des Beschwerdeführers sei ca. im Jahr 2010 verstorben, ungefähr ein Jahr danach habe der Bruder als Dolmetscher zu arbeiten begonnen. Er habe nie mitgeteilt, wo er genau gedolmetscht habe und der Beschwerdeführer wisse auch nicht, ob er durchgängig tätig gewesen sei. Die Tätigkeit bei jener näher genannten Firma, wegen der die Probleme entstanden seien, habe der Bruder ca. seit dem Jahr 2013 ausgeübt und auf jeden Fall dort mit Lebensmitteln, auch gekühlten Lebensmitteln, die für ausländische Unternehmen gekommen seien, zu tun gehabt. Wo sein Bruder währenddessen gewohnt habe, habe der Beschwerdeführer nicht hinterfragt, soweit er wisse, habe er in Herat, in Tor Ghondai gelebt.

Als der Bruder in das fremde Auto gestiegen sei, habe der Beschwerdeführer zwei Personen gesehen. Nachgefragt, wieso er bei der Einvernahme vor der Behörde im April 2016 zunächst angegeben habe, dass sein Bruder zuerst aus dem selben Auto ausgestiegen sei, wie die Männer, die ihn dann mitgenommen hätten und danach davon gesprochen habe, dass der Bruder mit einem Taxi zurückgekommen sei und die Männer sich in einem zweiten Wagen befunden hätten, in welchem sie dann den Bruder mitgenommen hätten, erwiderte der Beschwerdeführer, es stimme nicht, dass der Bruder aus dem selben Wagen ausgestiegen sei, in dem die Entführer gewesen wären. Die Wahrheit sei, dass sein Bruder Urlaub gehabt habe, nach Hause gekommen und einkaufen gewesen sei. Es habe sich um einen Großeinkauf gehandelt, weswegen er mit dem Taxi zurückgekommen wäre.

Weiters nachgefragt, ob er eine Erklärung dafür habe, dass der Bruder, als er zu diesen Männern ins Auto gestiegen sei, dem Beschwerdeführer aufgetragen habe, der Mutter auszurichten, sie brauche sich keine Sorgen zu machen und er komme bald wieder, erklärte der Beschwerdeführer, als es im Dorf bekannt geworden sei, habe seine Mutter begonnen, sich Sorgen zu machen. Wahrscheinlich hätte der Bruder dies deshalb so gesagt. Der Beschwerdeführer wisse auch nicht, ob der Bruder in Kenntnis davon gewesen sei, was diese Leute von ihm gewollt hätten oder nicht.

Nach der Entführung seines Bruders habe sich der Beschwerdeführer noch ungefähr sechs bis sieben Tage in der Heimat aufgehalten. Drei Tage, nachdem sein Bruder in ein fremdes Auto eingestiegen sei, seien diese Leute zu Ihnen nach Hause gekommen und sofort am nächsten Tag hätte die Familie (die Mutter, der kleinere Bruder und der Beschwerdeführer selbst, die Schwester sei bereits verheiratet gewesen) das Haus verlassen. Danach habe es weder Bedrohungen gegen den Beschwerdeführer noch seine Familie gegeben. Vor der Entführung des Bruders durch die Taliban seien weder die Familie noch der Beschwerdeführer selbst bedroht worden. Es seien vier Personen gewesen, die danach die Familie zu Hause aufgesucht und das Steuergeld verlangt hätten. Den Entschluss, dass der Beschwerdeführer ausreisen soll, habe seine Mutter gefasst, nachdem diese Leute sie aufgesucht hätten. Sie hätten sich dann vier bis fünf Tage bei einer Stieftante mütterlicherseits in Nangahar aufgehalten. In dieser Zeit habe der Schwager, der mit der Schwester des Beschwerdeführers im Heimatdorf der Familie gelebt habe, die Flucht organisiert.

Sie hätten sich wegen der Vorfälle nicht an die Polizei gewandt, weil es einerseits nichts gebracht hätte und diese selber Geld verlangen würde. Außerdem hätten diese Männer gedroht, wenn sie das Geld nicht zur Verfügung stellen würden, würden sie dem Beschwerdeführer das Gleiche antun, was sie seinem Bruder angetan hätten. Wenn er Geld sage meine er damit kein Privatgeld, sondern diese Steuer- bzw. Zollgelder. Wieso der Beschwerdeführer oder seine Mutter dazu in der Lage sein sollten, solche Steuer- oder Zollgelder zu bezahlen, wenn sie nicht bei dieser Firma tätig gewesen seien, könne er nicht sagen, weil er mit seinem Bruder nicht darüber sprechen habe können. Es sei deren Aussage gewesen und es könne auch nur ein Vorwand gewesen sein. An die Dorfältesten hätten sie sich nicht wenden können, weil sie es im Dorf nicht bekannt gemacht hätten, dass der Bruder für die Ausländer arbeite. Wahrscheinlich habe ihn jemand verraten, sodass es im Dorf überhaupt bekannt geworden sei. Vorgehalten, sie hätten ja vor den Dorfältesten bzw. der Polizei über die Arbeit des Bruders nichts erwähnen, sondern nur anzeigen müssen, dass der Bruder von fremden Männern mitgenommen worden und nicht zurückgekommen sei, gab der Beschwerdeführer an, er sei damals selbst ca. 14 oder 15 Jahre alt gewesen. In ihrer Gesellschaft würden jüngere Leute gar nicht ernst genommen.

Die letzten vier Monate vor der Ausreise des Beschwerdeführers sei die Familie deshalb aus dem Heimatdorf nach Jalalabad gezogen, weil im Dorf bekannt geworden sei, dass der ältere Bruder für die Ausländer arbeite und sie hätten kein Risiko eingehen wollen und Probleme befürchtet. Nachgefragt, wieso die Bewohner in seinem Heimatdorf mitbekommen haben sollen, dass der Bruder eine Arbeit bei einer Firma, die mit Ausländern tätig sei, habe, wenn dieser während seiner Beschäftigung die meiste Zeit über 700 km entfernt in Herat gelebt habe, erwiderte der Beschwerdeführer, sie selbst hätten es den Dorfleuten nicht gesagt. Es sei sicher über die Verwandten dazu gekommen und deswegen vertraue er auch niemandem, nicht einmal seinem jüngeren Bruder, weil er nicht wisse, mit welchen Verwandten dieser zu tun habe.

Wenn der Beschwerdeführer nach Afghanistan zurückkehren sollte, würde er auf jeden Fall seine Mutter benachrichtigen, auch seine Schwester und so können auch andere Verwandte in Erfahrung bringen, dass er wieder da sei und dadurch auch die Leute, die ihm gedroht hätten. Es wäre nur eine Frage der Zeit, wann sie ihn erwischen und töten würden. Sie hätten im Dorf auch nicht selber mitgeteilt, dass sein Bruder für Ausländer arbeite, sondern es sei irgendwie bekannt geworden und das gleiche würde dem Beschwerdeführer passieren.

Im Rahmen der Verhandlung wurde auf das Länderinformationsmaterial zur aktuellen Situation im Herkunftsstaat hingewiesen. Der Beschwerdeführer verzichtete auf Erstattung einer Stellungnahme.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem, für die Entscheidung maßgeblichem Sachverhalt aus:

1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der mittlerweile volljährige Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger. Er gehört der Volksgruppe der Paschtunen sowie dem sunnitischen Glauben an und stammt aus dem Distrikt Rodad in der Provinz Nangarhar. In der Heimat besuchte er sechs Jahre die Schule, in Österreich die polytechnische Schule und absolvierte Deutschkurse.

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, in Afghanistan wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie seines Bruders bzw. wegen seiner (unterstellten) politischen Überzeugung oder Religion von Verfolgung durch die Taliban bedroht zu sein.

Weitere Verfolgungsgründe wurden vom Beschwerdeführer im gesamten Verfahren nicht vorgebracht bzw. liegen keine diesbezüglichen Hinweise vor.

2. Zur Lage im Herkunftsland:

Das Bundesverwaltungsgericht trifft folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand: 4.6.2019:

"Länderspezifische Anmerkungen

Im Kapitel 3. "Sicherheitslage" wurde nicht auf den EASO-Bericht "Afghanistan Security Situation - Update" vom Mai 2018 verwiesen, da dieser zum Großteil auf den Informationen dieses LIBs beruht. Die Informationen des EASO-Berichts stammen somit aus zahlreichen Quellen, die ebenso von der Staatendokumentation des BFA zur Erstellung des Kapitels über die Sicherheitslage dieses LIBs verwendet wurden. Des Weiteren wurden Eingaben aus dem "peer review" von unterschiedlichen Mitgliedsstaaten in dieser Ausarbeitung berücksichtigt. Damit ergibt sich ein breiter und vor allem gemeinsamer Wissensstand bezüglich der Ereignisse und der aktuellen Lage in Afghanistan innerhalb der europäischen Asylbehörden.

[...]

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/ Rückkehr).

Politische Ereignisse: Friedensgespräche. Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

Anmerkung der Staatendokumentation: Zur besseren Ortung der oben beschriebenen Vorfälle folgt eine kartografische Darstellung der Staatendokumentation mit der Einteilung der Stadt Kabul in Polizeidistrikte: (Quelle: BFA 13.2.2019)

Rückkehr

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Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

[...]

3. Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

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(Darstellung Staatendokumentation beruhend auf den INSO-Zahlen aus den Jahren 2015, 2016, 2017).

Im Vergleich folgt ein monatlicher Überblick der sicherheitsrelevanten Vorfälle für die Jahre 2016, 2017 und 2018 in Afghanistan (INSO o.D.)

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO o.D.)

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan (UNGASC 27.2.2018); für das gesamte Jahr 2016 waren es 23.712 (UNGASC 9.3.2017). Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert (UNGASC 15.3.2016).

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNGASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)

Es folgt ein Jahresvergleich der sicherheitsrelevanten Vorfälle, die von der UN und der NGO

INSO in den Jahren 2015, 2016 und 2017 registriert wurden:

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(Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO (o.D.), UN GASC 15.3.2016, UNGASC 9.3.2017, UNGASC 27.2.2018)

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

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(Darstellung der Staatendokumentation)

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine

Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der USAmerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster: Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

* Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018).

* Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Karte Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

* Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

* Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

* Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

* Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

* In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

* Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

* Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).

* Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-e-Barchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

*

Zivilist/innen

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(UNAMA 2.2018)

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Seit 2012 wurde zum ersten Mal ein Rückgang verzeichnet: im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.200931.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von der UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken (UNAMA 2.2018). Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA 2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Für das Jahr 2018 wird ein neuer Trend beobachtet: Die häufigste Ursache für zivile Opfer waren IEDs und komplexe Angriffe. An zweiter Stelle waren Bodenoffensiven, gefolgt von gezielten Tötungen, Blindgängern (Engl. UXO, "Unexploded Ordnance") und Lufteinsätzen. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (UNAMA 12.4.2018).

Regierungsfeindlichen Gruppierungen wurden landesweit für das Jahr 2017 6.768 zivile Opfer (2.303 Tote und 4.465 Verletzte) zugeschrieben - dies deutet auf einen Rückgang von 3% im Vergleich zum Vorjahreswert von 7.003 zivilen Opfern (2.138 Tote und 4.865 Verletzte). Der Rückgang ziviler Opfer, die regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben werden, ist auf einen Rückgang ziviler Opfer, die durch Bodenkonfrontation, IED und ferngezündete Bomben zu Schaden gekommen sind, zurückzuführen. Im Gegenzug dazu hat sich die Anzahl ziviler Opfer aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken erhöht. Die Anzahl ziviler und nichtziviler Opfer, die aufgrund gezielter Tötungen durch regierungsfeindliche Elemente zu Schaden gekommen sind, ist ähnlich jener aus dem Jahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.4.2018).

Konkrete Informationen zu Zahlen und Tätern können dem Subkapitel "Regierungsfeindliche Gruppierungen" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Zu den regierungsfreundlichen Kräften zählten: ANDSF, Internationale Truppen, regierungsfreundliche bewaffnete Gruppierungen sowie nicht näher identifizierte regierungsfreundliche Kräfte. Für das Jahr 2017 wurden 2.108 zivile Opfer (745 Tote und 1.363 Verletzte) regierungsfreundlichen Kräften zugeschrieben, dies deutet einen Rückgang von 23% gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (2.731 zivile Opfer, 905 Tote und 1.826 Verletzte) an (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018). Insgesamt waren regierungsfreundliche Kräfte für 20% aller zivilen Opfer verantwortlich. Hauptursache (53%) waren Bodenkonfrontation zwischen ihnen und regierungsfeindlichen Elementen - diesen fielen 1.120 Zivilist/innen (274 Tote und 846 Verletzte) zum Opfer; ein Rückgang von 37% Gegenüber dem Vorjahreswert 2016 (UNAMA 2.2018). Luftangriffe wurden zahlenmäßig als zweite Ursache für zivile Opfer registriert (UNAMA 2.2018; vgl. HRW 26.1.2018); diese waren für 6% ziviler Opfer verantwortlich - hierbei war im Gegensatz zum Vorjahreswert eine Zunahme von 7% zu verzeichnen gewesen. Die restlichen Opferzahlen 125 (67 Tote und 58 Verletzte) waren auf Situationen zurückzuführen, in denen Zivilist/innen fälschlicherweise für regierungsfeindliche Elemente gehalten wurden. Suchaktionen forderten 123 zivile Opfer (79 Tote und 44 Verletzte), Gewalteskalationen 52 zivile Opfer (18 Tote und 34 Verletzte), und Bedrohungen und Einschüchterungen forderten 17 verletzte Zivilist/innen (UNAMA 2.2018).

Ein besonderes Anliegen der ANDSF, der afghanischen Regierung und internationaler Kräfte ist das Verhindern ziviler Opfer. Internationale Berater/innen der US-amerikanischen und Koalitionskräfte arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und ein Bewusstsein für die Wichtigkeit der Reduzierung der Anzahl von zivilen Opfern zu schaffen. Die afghanische Regierung hält auch weiterhin ihre viertel-jährliche Vorstandssitzung zur Vermeidung ziviler Opfer (Civilian Casualty Avoidance and Mitigation Board) ab, um u. a. Präventivmethoden zu besprechen (USDOD 12.2017). Die UNAMA bemerkte den Einsatz und die positiven Schritte der afghanischen Regierung, zivile Opfer im Jahr 2017 zu reduzieren (UNAMA 2.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 3.484 zivile Opfer (823 Tote und 2.661 Verletzte) im Rahmen von 1.845 Bodenoffensiven registriert - ein Rückgang von 19% gegenüber dem Vorjahreswert aus 2016 (4.300 zivile Opfer, 1.072 Tote und 3.228 Verletzte in 2.008 Bodenoffensiven). Zivile Opfer, die aufgrund bewaffneter Zusammenstöße zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Kräften zu beklagen waren, sind zum ersten Mal seit 2012 zurückgegangen (UNAMA 2.2018).

Im Jahr 2017 forderten explosive Kampfmittelrückstände (Engl. "explosive remnants of war", Anm.) 639 zivile Opfer (164 Tote und 475 Verletzte) - ein Rückgang von 12% gegenüber dem Jahr 2016. 2017 war überhaupt das erste Jahr seit 2009, in welchem ein Rückgang verzeichnet werden konnte. Der Rückgang ziviler Opfer ist möglicherweise u.a. auf eine Verminderung des indirekten Beschusses durch Mörser, Raketen und Granaten in bevölkerten Gegenden von regierungsfreundlichen Kräften zurückzuführen (UNAMA 2.2018).

Weiterführende Informationen zu den regierungsfreundlichen Gruppierungen können dem Kapitel 5. "Sicherheitsbehörden" entnommen werden; Anmerkung der Staatendokumentation.

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (USDOD 12.2017).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen (Khaama Press 13.8.2017). Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren (Xinhua 18.3.2018). Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet (AAN 17.3.2017).

Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde. Eine weitere Strategie der Behörden, um gegen Taliban und das Haqqani-Netzwerk vorzugehen, ist die Reduzierung des Einkommens selbiger, indem mit Luftangriffen gegen ihre Opium-Produktion vorgegangen wird (SIGAR 1.2018).

Außerdem haben Militäroperationen der pakistanischen Regierung einige Zufluchtsorte Aufständischer zerstört. Jedoch genießen bestimmte Gruppierungen, wie die Taliban und das Haqqani-Netzwerk Bewegungsfreiheit in Pakistan (USDOD 12.2017). Die Gründe dafür sind verschiedene: das Fehlen einer Regierung, das

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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