TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/13 G308 2177220-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.02.2020
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Entscheidungsdatum

13.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G308 2177224-1/20E

G308 2177226-1/21E

G308 2177217-1/20E

G308 2177220-1/23E

G308 2177222-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin über die Beschwerde 1.) des XXXX, geboren am XXXX, 2.) der XXXX, geboren am XXXX, 3.) des XXXX, geboren am XXXX, 4.) des XXXX, geb. XXXX, sowie 5.) der minderjährigen XXXX, geboren am XXXX, alle Staatsangehörigkeit: Irak, die minderjährige Beschwerdeführerin (5.) gesetzlich vertreten durch die Mutter (2.), alle vertreten durch die ARGE-Rechtsberatung - Diakonie Flüchtlingshilfe gem. GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 20.10.2017, Zahlen: zu 1.) XXXX, zu 2.) XXXX, zu 3.) XXXX, zu 4.) XXXX sowie zu 5.) XXXX, betreffend die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 22.10.2019, zu Recht:

A)

I. Der Antrag auf Einholung eines länderspezifischen Sachverständigengutachtens sowie der Antrag auf "Konkretisierung der Länderberichte" wird als unbegründet abgewiesen.

II. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 sowie XXXX und mj. XXXXjeweils gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.

III. Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 kommt XXXX und mj. XXXX jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter für drei Jahre zu.

IV. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXXund mj. XXXX damit kraft Gesetzes jeweils die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

V. In Erledigung der Beschwerden werden die jeweiligen Spruchpunkte II. bis VI. der angefochtenen Bescheide ersatzlos aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführer stellten damals als Ehepaar am 25.09.2015 für sich und ihre damals allesamt noch minderjährigen drei Kinder (den Drittbeschwerdeführer, den Viertbeschwerdeführer und die nach wie vor minderjährige Fünftbeschwerdeführerin) die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz gemäß

§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005.

2. Am 04.10.2015 fanden vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftlichen Erstbefragungen des Erstbeschwerdeführers, der Zweitbeschwerdeführerin sowie des jeweils mündigen minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführers im Asylverfahren statt.

Der Erstbeschwerdeführer brachte zu seinen Fluchtgründen befragt zusammengefasst vor, er sei irakischer Schiit und wolle nicht mit den Milizen gegen die IS-Truppen kämpfen. Im gesamten Irak würden ethnische Konflikte herrschen und würden immer wieder Frauen und Kinder entführt werden. Er habe Angst um sein Leben und das seiner Familie.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab zu ihren Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, sie sei Schiitin und würden im ganzen Irak ethnische Konflikte herrschen. Immer wieder würden Frauen und Kinder entführt und habe sie Angst um das Leben ihrer Familie und um ihr eigenes. Außerdem könnten ihre Kinder nicht mehr in die Schule gehen und wolle ihr Ehemann nicht im Krieg kämpfen.

Der bei der Erstbefragung noch mündig-minderjährige Drittbeschwerdeführer gab auf Befragen zu seinen Fluchtgründen an, es herrsche im Irak Krieg und fürchte man sich sogar in der eigenen Wohnung vor einem Anschlag. Weiters sei er geflüchtet, weil dies sein Vater so entschieden habe und die Familie nicht alleine im Irak zurückbleiben könne.

Schließlich gab der bei der Erstbefragung noch mündig-minderjährige Viertbeschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen an, den Irak verlassen zu haben, da sein Vater (der Erstbeschwerdeführer) das so entschieden habe und die Familie nicht alleine im Irak zurückbleiben könne. Weiters habe er in seiner Heimat keine Zukunft.

3. Die niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, fand hinsichtlich des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin am 20.07.2017, hinsichtlich des inzwischen volljährigen Drittbeschwerdeführers am 21.07.2017 statt.

Zu seinen Fluchtgründen befragt brachte der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen vor, der Führer seines Stammes habe von ihm und in weiterer Folge auch von seinem älteren Sohn (dem Drittbeschwerdeführer) verlangt, dass sie sich entweder der schiitischen Miliz Asa-ib Ahl al-Haqq (im Folgenden: AAH) im Kampf gegen den IS, dem irakischen Militär oder der Polizei anschließen müssen. Der Erstbeschwerdeführer habe sich geweigert, da er an keinen Kampfhandlungen teilnehmen habe wollen und deswegen bereits den Militärdienst umgangen sei. Der Stammesführer habe auch dem Vater des Erstbeschwerdeführers mitgeteilt, dass er seinem Sohn ausrichten solle, er müsse entweder die Befehle des Stammes befolgen oder würde aus dem Stamm ausgeschlossen werden. Nach einem Gespräch mit dem Vater habe er sich mit seiner Frau entschieden, gemeinsam mit den Kindern den Irak zu verlassen. Während der Vorbereitungszeit für die Ausreise habe er sich in einer leerstehenden Wohnung eines Freundes versteckt. Er habe vier Tage später, am 08.08.2015, von der Zweitbeschwerdeführerin einen Anruf erhalten, wonach zwei vermummte und bewaffnete, den Beschwerdeführern unbekannte, Männer zu ihnen nach Hause gekommen wären und nach dem Erstbeschwerdeführer sowie dem Drittbeschwerdeführer gefragt hätten. Nachdem die Zweitbeschwerdeführerin ihnen mitgeteilt hätte, dass beide nicht zuhause seien, wären die Männer gegangen, hätten jedoch gemeint, sie würden wiederkommen. Aus Furcht, dass sie zurückkehren würden, habe sie deswegen den Drittbeschwerdeführer am nächsten Tag zeitig in der Früh zum Vater des Erstbeschwerdeführers gebracht, wo er dann geblieben sei und sich der Erstbeschwerdeführer auch mehrmals mit der Familie getroffen habe. Persönlich habe der Erstbeschwerdeführer mit den Männern keinen Kontakt mit dem Stammesführer oder diesen beiden unbekannten Männern gehabt. Er habe Reisepässe für alle besorgt, die sie am 01.09.2015 jeweils persönlich bei der Behörde hätten entgegennehmen müssen. Unmittelbar nach Erhalt der Reisepässe hätten sie auch ein Visum für die Türkei erhalten und wären am 12.09.2015 auf dem Luftweg von Bagdad in die Türkei ausgereist. Sein Vater habe ihm inzwischen mitgeteilt, dass die Männer nach der Ausreise der Beschwerdeführer bei ihm gewesen seien und gesagt hätten, der Erstbeschwerdeführer sei zwar nun ausgereist, aber sollte er jemals zurückkehren, würde er getötet werden. Weiters sei der Erstbeschwerdeführer nach der Ausreise von seinem Fleischhauer, einem Freund seines Stammes, über soziale Medien bedroht worden. Dies seien alle Fluchtgründe.

Im Zuge der Einvernahme legte der Erstbeschwerdeführer nachfolgende Unterlagen/Beweismittel vor:

- irakischer Personalausweis im Original Erstbeschwerdeführer (AS 151/Teil I Erstbeschwerdeführer);

- irakischer Staatsbürgerschaftsnachweis im Original Erstbeschwerdeführer (AS 155/Teil I Erstbeschwerdeführer);

- irakische Lebensmittelkarte (AS 153/Teil I Erstbeschwerdeführer);

- irakische Meldekarte des Erstbeschwerdeführers (AS 149/Teil I Erstbeschwerdeführer);

- irakischer Arbeitsausweis des Erstbeschwerdeführers (AS 149/Teil I Erstbeschwerdeführer);

- Türkische Visa der Zweitbeschwerdeführerin, des Drittbeschwerdeführers, der Viertbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführerin, gültig für 30 Tage im Zeitraum von 12.09.2015 bis 09.03.2016 (AS 91 ff/Teil I Erstbeschwerdeführer);

- Kopien griechischer und serbischer Dokumente der Familie (AS 99 ff/Teil I Erstbeschwerdeführer);

- Schreiben des Kardinals XXXX über die Zulassung des Erstbeschwerdeführers zu den Sakramenten der Eingliederung vom 02.03.2017 (AS 65/Teil I Erstbeschwerdeführer);

- Deutschkurs-Bestätigungen Niveau A1 vom 07.01.2016 und 04.08.2016 für den Erstbeschwerdeführer (AS 67 & 79/Teil I Erstbeschwerdeführer);

- Deutschkurs-Bestätigung Niveau A2+ vom 20.12.2016 für den Erstbeschwerdeführer (AS 81/Teil I Erstbeschwerdeführer);

- Teilnahmebestätigung "Richtiges Verhalten im Notfall" vom 04.03.2016 für den Erstbeschwerdeführer (AS 69/Teil I Erstbeschwerdeführer);

- Teilnahmebestätigungen für diverse Integrationsveranstaltungen vom 13.02.2017, 24.04.2017, 17.07.2017, für den Erstbeschwerdeführer (AS 71 ff/Teil I Erstbeschwerdeführer);

- Teilnahmebestätigung "Werte und Orientierung" vom 03.10.2016 für den Erstbeschwerdeführer (AS 77/Teil I Erstbeschwerdeführer);

- "Arbeitszeugnis" des XXXXfür den Erstbeschwerdeführer über dessen gemeinnützige Tätigkeiten vom 17.07.2017 und vom 27.03.2017 (AS 83 & 85/Teil I Erstbeschwerdeführer);

- Unterstützungsschreiben der Flüchtlingsunterkunft der Beschwerdeführer vom 12.06.2017 (AS 87 ff/Teil I Erstbeschwerdeführer);

- Konvolut medizinischer Unterlagen des Erstbeschwerdeführers, wonach er an behandlungsbedürftigem Diabetes mellitus Typ 2 (E11.9), Hyperglykämie (Blutzuckerentgleisung; R73.9), essentieller primärer Hypertonie (I10), Hyperlipidämie (E78.5), Vitamin D-Mangel (E55.9) leidet; datiert zwischen 08.08.2016 und 23.10.2017 (AS 113 ff/Teil I Erstbeschwerdeführer);

Die Zweitbeschwerdeführerin brachte zu ihren Fluchtgründen befragt vor, dass sie hauptsächlich wegen den Problemen des Erstbeschwerdeführers geflüchtet sei. Dieser habe Probleme mit seinem Stamm, denn der Stammesführer habe enge Verbindungen zu den schiitischen Milizen und hätten diesen den Stammesführer eingesetzt, um Männer aus der Zivilbevölkerung für die Milizen zu rekrutieren. Bei einem Treffen seines Stammes sei es tatsächlich dazu gekommen, dass der Erstbeschwerdeführer aufgefordert worden sei, sich der "Hashd Al Shaabi" anzuschließen, was dieser abgelehnt habe, zumal er auch den Militärdienst nicht geleitstet habe. Fünf Tage nach der Ablehnung durch den Erstbeschwerdeführer habe der Stammesführer den Schwiegervater angerufen. Der Schwiegervater habe dann den Erstbeschwerdeführer angerufen und ihm mitgeteilt, dass der Stammesführer ihn mit dem Ausschluss aus dem Stamm bedrohe und das bedeute, dass der Erstbeschwerdeführer getötet werde. Am nächsten Tag hätte der Erstbeschwerdeführer seine Arbeit gekündigt, alle persönlichen Dokumente mitgenommen, die gemeinsame Wohnung verlassen und sei zu einem Freund gegangen. Die Zweitbeschwerdeführerin habe ihn darum gebeten, sich um Dokumente für sie und die Kinder zu kümmern. Etwa zwei Tage nachdem der Erstbeschwerdeführer die Familienwohnung verlassen habe, habe es an der Türe geklopft. Es seien zwei ihr unbekannte Männer vor der Tür gestanden und hätten nach dem Erstbeschwerdeführer gefragt. Sie hätte gesagt, er sei bei der Arbeit und, dass sie nicht genau wüsste, wann er nach Hause komme. Daraufhin hätten die Männer gesagt, sie solle dem Erstbeschwerdeführer ausrichten, er solle zu ihnen kommen, andernfalls würden sie den Drittbeschwerdeführer mitnehmen. Nachdem die Männer gegangen seien, habe sie den Erstbeschwerdeführer angerufen und ihm erzählt, was passiert sei. Sie habe den Drittbeschwerdeführer zu ihren Eltern gebracht, die im Haus gegenüber gewohnt hätten. Am nächsten Tag in der Früh hätte sie dann den Drittbeschwerdeführer zu seinem Großvater väterlicherseits (dem Schwiegervater der Zweitbeschwerdeführerin) gebracht, wo er bis zur Ausreise geblieben sei. Der Erstbeschwerdeführer habe in der Zwischenzeit die Dokumente besorgt. Die Zweitbeschwerdeführerin selbst sei nie bedroht worden. Da die Fünftbeschwerdeführerin nur mit Kopftuch aus dem Haus gehe, seien sie einmal belästigt worden. Es habe einen Vorfall gegeben, bei dem die Zweitbeschwerdeführerin traumatisiert worden sei. Es seien Milizen zur Nachbarin gekommen und hätten deren Ehemann verlangt, der aber nicht da gewesen sei. Es sei zu einer Auseinandersetzung gekommen, bei welcher die Nachbarin von den Milizangehörigen erschossen worden sei. Es seien weder die Zweitbeschwerdeführerin noch ihre Familie in den Vorfall involviert gewesen, aber sie hätten es mitbekommen. Sie habe Angst um ihr Leben und das ihrer Familie. Sonst habe sie keine weiteren Fluchtgründe.

Zu den Fluchtgründen der zum Zeitpunkt der Einvernahme vor dem Bundesamt noch minderjährigen Kindern, dem Viertbeschwerdeführer und der Fünftbeschwerdeführerin, gab die Zweitbeschwerdeführerin an, diese hätten keine eigenen Fluchtgründe und das Familienverfahren solle sich auf das Verfahren der Zweitbeschwerdeführerin beziehen.

Im Zuge der Einvernahme legte die Zweitbeschwerdeführerin nachfolgende (sofern nicht bereits vom Erstbeschwerdeführer vorgelegte) Unterlagen/Beweismittel vor:

- irakische Personalausweise im Original der Zweitbeschwerdeführerin, des Viertbeschwerdeführers und der Fünftbeschwerdeführerin (AS 79 ff/Teil I Zweitbeschwerdeführerin);

- irakische Staatsbürgerschaftsnachweise im Original der Zweitbeschwerdeführerin, des Viertbeschwerdeführers und der Fünftbeschwerdeführerin (AS 83 ff/Teil I Zweitbeschwerdeführerin);

- Deutschkurs-Bestätigung für einen Deutschkurs auf Alphabetisierungs-Niveau vom 13.06.2017 für die Zweitbeschwerdeführerin (AS 67 ff/Teil I Zweitbeschwerdeführerin);

- Teilnahmebestätigung für eine Integrationsveranstaltung (Erziehung von Kindern in Österreich; Kinderrechte) vom 07.11.2016 für die Zweitbeschwerdeführerin (AS 63/Teil I Zweitbeschwerdeführerin);

- Teilnahmebestätigung "Richtiges Verhalten im Notfall" vom 09.03.2016 für die Zweitbeschwerdeführerin (AS 65/Teil I Zweitbeschwerdeführerin);

- Psychiatrischer Befundbericht Dris. XXXX vom 29.06.2017 für die Zweitbeschwerdeführerin, wonach dies an einer Depression bei Belastungsreaktion (296.1) und einer Angststörung leidet, ihr diverse Medikamente verordnet wurden und eine Psychotherapie in der Muttersprache sowie Verlaufskontrollen empfohlen wurden (AS 59/Teil I Zweitbeschwerdeführerin);

- Bestätigung von XXXX, vom 05.07.2017, wonach sich die Zweitbeschwerdeführerin in Psychotherapie befindet (AS 61/Teil I Zweitbeschwerdeführerin);

- Schülerblatt der Neuen Mittelschule des Viertbeschwerdeführers (AS 73/Teil I Zweitbeschwerdeführerin);

- Schulbesuchsbestätigung einer Polytechnischen Schule über den außerordentlichen Schulbesuch des Viertbeschwerdeführers, Schuljahr 2016/2017 (AS 75/Teil I Zweitbeschwerdeführerin);

- Schulbesuchsbestätigung einer Neuen Mittelschule über den außerordentlichen Schulbesuch der Fünftbeschwerdeführerin, Schuljahr 2016/2017 (AS 77/Teil I Zweitbeschwerdeführerin);

Der inzwischen volljährige Drittbeschwerdeführer brachte im Zuge seiner Einvernahme vor, die Familie sei auf Wunsch seines Vaters (des Erstbeschwerdeführers) aus dem Irak ausgereist. Damals habe er noch nicht gewusst, warum. Nach der Ankunft in Österreich hätte ihm der Vater erklärt, dass er seitens des Stammesführers bedroht worden sei und, dass man den Drittbeschwerdeführer an seiner Stelle für Kampfeinsätze bei der schiitischen Miliz "Al Hashd al Shaabi" eingezogen hätte. Weiters habe der Erstbeschwerdeführer erklärt, dass das Leben der Familie wegen seiner Weigerung seitens des Stammes gefährdet worden wäre. Weitere Details habe der Vater aber nicht erzählt und sei der Drittbeschwerdeführer persönlich nicht bedroht worden.

Im Zuge der Einvernahme legte der Drittbeschwerdeführer nachfolgende (sofern nicht bereits vom Erstbeschwerdeführer oder der Zweitbeschwerdeführerin vorgelegte) Unterlagen/Beweismittel vor:

- irakischer Personalausweis im Original des Drittbeschwerdeführers (AS 47 ff/Teil I Drittbeschwerdeführer);

- irakischer Staatsbürgerschaftsnachweis im Original des Drittbeschwerdeführers (AS 49/Teil I ff Drittbeschwerdeführer);

- Teilnahmebestätigung des Drittbeschwerdeführers am "XXXX", einem schulanalogen Bildungsprojekt mit werktäglichem Unterricht von 13:00 Uhr bis 17:00 Uhr (20 Wochenstunden) bei Anwesenheitspflicht und den Kernfächern Deutsch (derzeitige Einstufung A2.2), Mathematik und "Kritische Partizipation" (AS 51 ff/Teil I Drittbeschwerdeführer);

- Bestätigung über die Einschreibung des Drittbeschwerdeführers im Schuljahr 2015/2016 als außerordentlicher Schüler einer HTL für Informationstechnologie (AS 55/Teil I Drittbeschwerdeführer);

- Teilnahmebestätigungen für Integrationsveranstaltungen vom 08.09.2016, 01.09.2016 und 18.08.2016 für den Drittbeschwerdeführer (AS 61/Teil I Drittbeschwerdeführer);

4. Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes vom 20.10.2017 wurden die gegenständlichen Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen, den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürden Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gegen die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.) sowie den Beschwerdeführern eine Frist zur freiwilligen Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG von vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung eingeräumt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die insbesondere vom Erstbeschwerdeführer geschilderten Fluchtgründe, er wäre von seinem Stammesführer aufgefordert worden, sich entweder der Polizei, dem Militär oder der schiitischen Miliz anzuschließen, andernfalls der Drittbeschwerdeführer zwangsrekrutiert werden würde, nicht glaubwürdig seien. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführer einer konkreten persönlichen asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung im Irak ausgesetzt gewesen sei oder eine solche zukünftig zu befürchten hätte. Das Fluchtvorbringen entbehre jeder Logik und sei es unglaubwürdig, dass die zum Erstbeschwerdeführer nach Hause geschickten Männer unverrichteter Dinge wieder abgezogen seien. Es sei weiters nicht nachvollziehbar, dass sie innerhalb des Monats, in welchem sich die Beschwerdeführer noch im Irak befunden hätten, sie nicht ein weiteres Mal aufgesucht worden seien. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin hätten andere fluchtauslösende Ereignisse explizit verneint und der Viertbeschwerdeführer sowie die Fünftbeschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht. Die Behandlung der Erkrankungen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin sei auch im Irak möglich. Die Beschwerdeführer hätten ihr überwiegendes Leben im Irak verbracht, dort eine Schulbildung absolviert und nach wie vor bestehende familiäre Bindungen, sodass mit Unterstützung durch Angehörige bei der Rückkehr zu rechnen sei. Der Erstbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführer seien weiters arbeitsfähig und -willig. Eine Rückkehr wäre zumutbar, zumal alle Beschwerdeführer von einer Rückkehrentscheidung betroffen wären und somit kein Eingriff in ihr Familienleben vorläge.

Zudem traf die belangte Behörde umfangreiche Länderfeststellungen zur allgemeinen Lage im Irak.

5. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer mit am 17.11.2017 beim Bundesamt einlangenden, offensichtlich fälschlich mit "30.07.2017" datierten Schriftsatz ihrer damaligen und gemeinsamen bevollmächtigten Rechtsvertretung das Rechtsmittel der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den Beschwerdeführern die Flüchtlingseigenschaft oder allenfalls subsidiären Schutz zusprechen; in eventu die angefochtenen Bescheide beheben und zur Ergänzung des Verfahrens an die erste Instanz zurückverweisen; einen landeskundlichen Sachverständigen beauftragen, der sich mit der aktuellen Situation im Irak befasse und eine mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumen; in eventu eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklären und den Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen; in eventu feststellen, dass eine Abschiebung in den Irak unzulässig ist.

Begründend wurde im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass die Beschwerdeführer als Fluchtgründe Verfolgung aus religiösen und politischen Gründen bzw. wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe geltend gemacht hätten. Sie seien aufgrund ihrer Stammeszugehörigkeit und der Weigerung des Erstbeschwerdeführers, sich am Bürgerkrieg bewaffnet zu beteiligen, von radikalen schiitischen Milizen mit dem Umbringen bedroht worden. Weiters befürchte die Zweitbeschwerdeführerin Verfolgung aus geschlechtsspezifischen Gründen aufgrund ihrer mit der streng-islamischen Ordnung im Irak unvereinbaren westlichen Lebenseinstellung und weitere Verfolgungshandlungen durch die schiitischen Milizen, ebenso wie der Erstbeschwerdeführer, der in Österreich zum Christentum konvertiert sei. Entgegen der Ansicht des Bundesamtes hätten die Beschwerdeführer sehr konkrete und genaue Angaben zu den Vorfällen gemacht. Die Beweiswürdigung sei nicht nachvollziehbar und hätten das Bundesamt die Lage im Herkunftsstaat Irak nicht ausreichend bzw. richtig berücksichtigt, zumal sich daraus eine zunehmende Eskalation des interkonfessionellen Bürgerkrieges im Irak ergebe. Es wäre dem Bundesamt auch unbenommen gewesen, im Zuge des Ermittlungsverfahrens konkrete Recherchen im Herkunftsstaat der Beschwerdeführer durchzuführen. In Anbetracht der von Erstbeschwerdeführer vorgelegten Unterlagen hätte das Bundesamt ihn zu seiner Konversion näher befragen müssen, anstatt ihm die Glaubwürdigkeit abzusprechen. Die Beschwerdeführer wären konkreten Verfolgungshandlungen im Irak ausgesetzt gewesen und bestehe dafür keine innerstaatliche Fluchtalternative. Der irakische Staat sei diesbezüglich zudem weder schutzfähig noch schutzwillig. Die geschlechtsspezifische Verfolgung der Zweitbeschwerdeführerin sei gänzlich unberücksichtigt geblieben. Dazu werde auf die UNHCR-Richtlinien verwiesen. Die westliche Lebenseinstellung widerspreche der islamischen Gesellschaftsordnung im Irak und wäre die Zweitbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in ihren fundamentalen Menschenrechten eingeschränkt. Die allgemein vorherrschende Lage im Irak rechtfertige jedenfalls die Zuerkennung von subsidiärem Schutz.

Unter einem wurden (sofern nicht bereits aktenkundig) nachfolgende Unterlagen vorgelegt:

- Bestätigung über gemeinnützige Tätigkeit des Erstbeschwerdeführers ("Arbeitszeugnis") vom 17.07.2017 und 03.11.2017 (AS 345 und 381/Teil I Erstbeschwerdeführer);

- Deutschkursbestätigung auf Niveau A2 des Erstbeschwerdeführers vom 16.09.2016 und vom 25.10.2016 (AS 357 ff/Teil I Erstbeschwerdeführer);

- Deutschkursbestätigung Zweitbeschwerdeführerin vom 13.06.2017 (AS 369/Teil I Erstbeschwerdeführer);

- Praktikumsbeurteilung der Fünftbeschwerdeführerin (AS 379/Teil I Erstbeschwerdeführer);

- Teilnahmebestätigungen für den Viertbeschwerdeführer (vom 24.10.2017) und den Drittbeschwerdeführer (vom 17.07.2017) über deren Teilnahme am "XXXX" (AS 375 ff/Teil I Erstbeschwerdeführer);

6. Die gegenständlichen Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 21.11.2017 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

7. Mit Schreiben der damals noch gemeinsamen bevollmächtigten Rechtsvertretung der Beschwerdeführer vom 26.12.2017, beim Bundesverwaltungsgericht am 29.12.2017 einlangend, legten die Beschwerdeführer nachfolgende Integrationsunterlagen (sofern nicht bereits aktenkundig) vor:

- Foto des Erstbeschwerdeführers mit dem Kardinal (AS 17/Teil II Erstbeschwerdeführer);

8. Mit Schreiben der damals noch gemeinsamen bevollmächtigten Rechtsvertretung der Beschwerdeführer vom 02.01.2018, beim Bundesverwaltungsgericht am 05.01.2018 einlangend, legte die Beschwerdeführer eine kaum leserliche Kopie eines arabischen Schreibens vom 21.07.2017 sowie eine beglaubigte Übersetzung aus dem Arabischen vom 27.12.2017 vor, wonach der Erstbeschwerdeführer und die beiden Söhne (der Dritt- und der Viertbeschwerdeführer) aus dem Stamm des Erstbeschwerdeführers wegen der Konversion des Erstbeschwerdeführers zum Christentum und wegen der Weigerung, sich am Jihad zu beteiligen und den Terrorismus im Irak zu bekämpfen, am 21.07.2017 ausgeschlossen wurden (AS 21 f/Teil II Erstbeschwerdeführer).

9. Am 09.05.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine mit 08.05.2018 datierte Urkundenvorlage der damaligen gemeinsamen Rechtsvertretung der Beschwerdeführer ein, mit welcher eine Kopie des Taufscheines des Erstbeschwerdeführers über seine Taufe und Firmung in der römisch-katholischen Kirche am 31.03.2018 vorgelegt wurde (AS 31 f/Teil II Erstbeschwerdeführer).

10. Am 03.06.2019 langte die mit 24.05.2019 datierte Beschwerdeergänzung des Erstbeschwerdeführers mit Schriftsatz seiner nunmehrigen bevollmächtigten Rechtsvertretung beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wurde ein neues Tatsachenvorbringen dahingehend erstattet, dass der Erstbeschwerdeführer bisexuell sei und daher eine von der heterosexuellen Norm abweichende sexuelle Orientierung aufweise. Er fühle sich größtenteils zu Männern hingezogen, selten auch zu Frauen. Dieser Umstand sei ihm bereits seit dem Teenageralter bewusst, nachdem er damals bereits im Irak erste sexuelle Erfahrungen mit Männern gemacht habe. Den gesellschaftlichen Konventionen entsprechend habe er eine Frau (die Zweitbeschwerdeführerin, Anm.) geheiratet, welche bis dato nichts von der sexuellen Orientierung des Erstbeschwerdeführers wisse. Es sei bereits im Irak zu Beziehungsproblemen zwischen den Ehepartner gekommen. Trotz aufrechter Ehe habe der Erstbeschwerdeführer sich im Irak auch heimlich mit Männern getroffen, mit welchen er sexuelle Beziehungen eingegangen sei. Aufgrund des familiären Drucks sei eine Trennung des Erstbeschwerdeführers von der Zweitbeschwerdeführerin de facto nicht in Frage gekommen. Bei der Flucht nach Österreich habe der Erstbeschwerdeführer nichts über die Rechtslage von LGBTIQ-Personen in Österreich gewusst. Zudem habe er bei der Erstbefragung im Asylverfahren nicht über seine Sexualität sprechen wollen, da der für alle Übersetzungen zuständige Dolmetscher in der Flüchtlingsunterkunft womöglich der Zweitbeschwerdeführerin davon erzählt hätte und weiters auch andere Bewohner von seiner sexuellen Orientierung erfahren hätten. Auch bei der Einvernahme vor dem Bundesamt habe der Erstbeschwerdeführer noch kein Wissen über die gesetzliche Lage hinsichtlich LGBTIQ-Personen in Österreich gehabt, weshalb er seine sexuelle Orientierung auch dort nicht angesprochen habe. Zufällig habe er einen homosexuellen Bekannten aus dem Irak in Österreich wiedergetroffen. Von diesem und noch einem Bekannten habe er schließlich von der Organisation Queer Base und erst durch die dortige Beratung über seine Rechte und Diskriminierungsschutz in Österreich Kenntnis erlangt, sodass er nunmehr seine sexuelle Orientierung als für das Asylverfahren relevante Tatsache vorbringe. Weiters sei er aus dem Stamm wegen der Konversion zum Christentum verstoßen worden. Würde nunmehr auch seine bi-/homosexuelle Orientierung seiner Familie bekannt werden, würden sie dies überall bekannt machen, ihn misshandeln und letztlich ermorden oder ermorden lassen. Von der Zweitbeschwerdeführerin sei der Erstbeschwerdeführer nach traditionellem islamischen Recht geschieden, nur aus finanziellen Gründen sei eine standesamtliche Scheidung noch nicht erfolgt. In Österreich habe der Erstbeschwerdeführer inzwischen bereits mehrere sexuelle Beziehungen mit Männern gehabt. Unter Verweis insbesondere auf die Entscheidungen des VwGH vom 29.07.2015, Ra 2015/18/0036, sowie des EuGH vom 02.12.2014, Rs C-148/13 bis C-150/13, A, B, C gegen die Niederlande, liege gegenständlich kein Verstoß gegen das Neuerungsverbot gemäß § 20 BFA-VG vor. Aufgrund der durch angeführte Berichte näher dargelegten Lage von LGBTIQ-Personen im Irak und näher zitierten Entscheidungen des BVwG, des VwGH, des VfGH und des EuGH liege dort eine asylrelevante Gruppenverfolgung von Homosexuellen vor. Dem Erstbeschwerdeführer würden somit mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen, wenn er im Irak offen homosexuell leben würde. Seine Angst vor Verfolgung aufgrund eines Konventionsgrundes sei somit begründet. Es sei ihm daher der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.

Neben dem bereits aktenkundigen Brief seines Stammes wurden auch drei Unterstützungsbriefe jeweils vom 24.04.2019 für den Erstbeschwerdeführer vorgelegt (AS 83 ff/Teil II Erstbeschwerdeführer).

11. Das Bundesverwaltungsgericht beraumte für 27.08.2019 eine mündliche Beschwerdeverhandlung an. Gemeinsam mit den Ladungen wurde den Beschwerdeführern ein Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak mit Stand 09.04.2019, eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 12.02.2019 zur Behandelbarkeit von psychischen Erkrankungen und Verfügbarkeit von Antidepressiva und Antipsychotika im Irak, eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 06.02.2019 zur Lage von Homosexuellen in Bagdad (Sanktionen, innerstaatliche Fluchtalternative) sowie eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 23.11.2018 zum Einfluss der Stämme und Verstößen gegen Stammesvorgaben im Irak vorab übermittelt.

12. Per E-Mail vom 10.09.2019, beim Bundesverwaltungsgericht am 11.09.2019 einlangend, wurde seitens des, den Erstbeschwerdeführer in Österreich bis zur Taufe begleitenden, Pfarrers, XXXX, eine mit 04.09.2019 datierte schriftliche Stellungnahme zur Bestätigung der Authentizität der Konversion des Erstbeschwerdeführers übermittelt.

13. Infolge mehrfacher Vertreterwechsel führte das Bundesverwaltungsgericht schließlich am 22.10.2019 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher die Beschwerdeführer, die bevollmächtigte Rechtsvertretung der Zweit- und Fünftbeschwerdeführerin und der Dritt- und Viertbeschwerdeführers und ein Dolmetscher für die arabische Sprache teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung. Weiters wurden XXXX (Z1) und Pfarrer XXXX (Z2) in der mündlichen Verhandlung als Zeugen vernommen.

Auf Befragen durch die erkennende Richterin gaben der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vorweg an, sie seien nach traditionellem islamischen Recht bereits geschieden und würden bereits nicht mehr im gemeinsamen Haushalt leben. Standesamtlich seien sie jedoch nach wie vor verheiratet.

Sodann gab der Erstbeschwerdeführer neuerlich zu seinen Fluchtgründen befragt zusammengefasst an, dass der Hauptgrund für seine Flucht aus dem Irak sei, dass er sexuelle Beziehungen mit Männern gehabt habe. Seiner bi-/homosexuellen Neigungen sei er sich bereits seit dem Teenageralter bewusst und habe er damals eine sechsjährige Beziehung mit einem Jugendfreund namens XXXX (im Folgenden: H.) gehabt. Im Laufe der Zeit habe sich der Erstbeschwerdeführer einer Gruppe Gleichgesinnter angeschlossen. H. habe über einen Freund namens XXXX (im Folgenden: A.) eine Wohnung organisiert, wo sich Männer und Frauen getroffen hätten. Er selbst sei jedoch nur an den Männern interessiert gewesen, habe auf Ersuchen des A. jedoch auch mit den dort anwesenden Frauen Geschlechtsverkehr gehabt. Irgendwann habe der Bruder des H. von der Beziehung mit dem Erstbeschwerdeführer erfahren und ihm gesagt, er solle die Finger von H. lassen, was er nicht geschafft habe. A. sei irgendwann weggezogen und so sei auch die Beziehung zu H. abgebrochen. Sein Vater habe von den außerehelichen Beziehungen des Erstbeschwerdeführers erfahren, nicht jedoch, dass er auch Beziehungen zu Männern gehabt habe. Sein Vater habe ihn dann gezwungen, die Zweitbeschwerdeführerin, eine Tochter eines Freundes des Vaters, zu heiraten. Weiters sei er in der Folge gezwungen gewesen, den Dritt- und Viertbeschwerdeführer sowie die Fünftbeschwerdeführerin zu zeugen. Während der Ehe hätte er wieder Kontakt mit A. aufgenommen und ihn um Vermittlung homosexueller Männer gebeten. Durch Zufall habe er dann XXXX (im Folgenden: M.) kennengelernt, der in derselben Straße wie seine Schwiegereltern gelebt hätte. Nachdem er nahe der Schwiegerfamilie ein eigenes Haus gebaut habe, sei es ihm möglich geworden, mit M. zwischen 2005 und 2014 eine Parallelbeziehung neben seiner Ehe zur Zweitbeschwerdeführerin zu führen, die davon nie etwas bemerkt habe. Da sich M. irgendwann auch mit anderen Männern getroffen habe, sei Ende des Jahres 2014 herausgekommen, dass M. homosexuell sei. Auch schiitische Milizen hätten davon erfahren und der Bruder des M. habe sich auf die Suche nach jenen Männern begeben, mit denen M. Geschlechtsverkehr gehabt habe. Dadurch sei der Erstbeschwerdeführer aus Angst, seine eigene Bi- bzw. Homosexualität würde öffentlich werden, zu M. auf Distanz gegangen und habe ein der Folge über den Zeugen Z1 neue männliche Kontakte knüpfen können. Irgendwann sei jedoch der Bruder des M. beim Erstbeschwerdeführer aufgetaucht und habe ihn nach seiner Beziehung zu M. gefragt, die der verleugnet habe. Es sei damals viele Männer getötet worden, weil sie gleichgeschlechtliche Beziehungen eingegangen seien. Eines Tages sei M. beim Erstbeschwerdeführer aufgetaucht. Sie hätten gerade gemeinsam gegessen, als der Bruder des M. sie dabei erwischt habe. Der Erstbeschwerdeführer habe unter Verweis auf seine Ehe und Kinder eine gleichgeschlechtliche Beziehung zu M. neuerlich verleugnet. M. sei am nächsten Tag von seinem Bruder öffentlich an einen Strommast gebunden und vor den Augen aller Nachbarn erschossen worden, um die Familienehre wiederherzustellen. Danach hätte der Bruder des M. den Erstbeschwerdeführer indirekt verfolgt, indem er etwa Leute zu seinem Arbeitsplatz geschickt und die Herausgabe von gratis Baumaterialien gefordert habe, was von ihm abgelehnt worden sei. Dann habe er immer wieder Drohungen erhalten. Der Bruder des M. habe Gerüchte verbreitet und die Milizen sowie den Stamm des Erstbeschwerdeführers über seine Homosexualität informiert. Schließlich sei er am 31.07.2015 vor den Stammesführer in eine Stammesversammlung mit vielen anwesenden Stammesmitgliedern zitiert worden. Man habe ihm gesagt, er habe nur zwei Möglichkeiten: entweder er stelle dem Bruder von M. Baumaterialien zur Verfügung und zahle ihm aus den Einnahmen seines Arbeitgebers monatlich USD 1.000,00, oder er müsse mit den Milizen kämpfen. Hintergrund sei dabei gewesen, dass der Erstbeschwerdeführer im Zuge von Kampfhandlungen sehr wahrscheinlich getötet worden wäre. Beides habe er abgelehnt. Es sei ihm eine fünftägige Entscheidungsfrist eingeräumt worden und dennoch sei er bei der Ablehnung geblieben. Nach den fünf Tagen habe ihn der Stammesführer angerufen und gedroht, er müsse genau aufpassen, wenn er nicht mitwirke. Danach habe er sich nicht mehr getraut, zu Hause zu bleiben und sei in die Wohnung des A. gegangen. Von dort aus habe er dann versucht, für die Kinder Reisedokumente zu besorgen. Dazu sei er von einem anderen Freund unterstützt und gefahren worden. Während er sich bei A. aufgehalten habe, seien zwei bewaffnete und vermummte Männer zu den Beschwerdeführern nach Hause gekommen und hätten nach ihm und dem Drittbeschwerdeführer gesucht. Sie hätten zur Zweitbeschwerdeführerin gesagt, das nächste Mal hätten sie den Befehl, in das Haus einzudringen und jeden im Haus mitzunehmen. Sie seien dann wieder gegangen. Am 16.08.2015 habe er die Reisepässe für die Kinder beantragt, welche er erst am 01.09.2015 erhielt. In dieser Zeit hätten sie den Drittbeschwerdeführer bei seinem Vater versteckt, bis es ihnen am 12.09.2015 gelungen sei, den Irak auf dem Luftweg von Bagdad in die Türkei zu verlassen. Er hätte für die Asa-ib Ahl al-Haqq (im Folgenden: AAH) und für die Al Badr-Miliz kämpfen sollen. Der Stamm des Erstbeschwerdeführers gehöre der AAH an.

Die Zweitbeschwerdeführerin und die Fünftbeschwerdeführerin würden bis heute nichts von seiner Bi-/Homosexualität wissen, obwohl er das Gefühl habe, die Zweitbeschwerdeführerin würde etwas ahnen. Den Söhnen habe er es mitgeteilt, nachdem diese gesehen hätten, wie er in ein entsprechend bekanntes Lokal der LGBTIQ-Szene gegangen sei. Sie würden es akzeptieren. Als der Erstbeschwerdeführer offiziell zum Empfang der Sakramente zur Initiation im März 2017 zugelassen worden sei, habe die Zweitbeschwerdeführerin beschlossen, dass sie sich vom Erstbeschwerdeführer scheiden lassen wolle, da sie die Konversion ablehne. Seit September 2017 würden sie nicht mehr im gemeinsamen Haushalt wohnen.

Auf Befragen, wie es zur Konversion zum Christentum gekommen sei, gab der Erstbeschwerdeführer an, es sei ihm auf dem Weg von der Türkei nach Griechenland ein Geist erschienen, der ihm Mut gemacht habe. Er habe sich nach seiner Ankunft in Österreich immer gefragt, wer das gewesen sein könnte. Beim Spazieren sei ihm eines Tages ein Buch in die Hand gedrückt worden, auf dem sich das Bild des Geistes befunden habe, dass der ihm in der Türkei erschienen sei. Er habe dann erfragt, dass es sich dabei um Jesus Christus handle und er in der XXXXkirche nähere Informationen auf Arabisch erhalten könne. Er sei dann zu einem Treffen gegangen und habe sich dort überzeugen lassen. Dann habe er die Vorbereitungen zur Taufe begonnen. Die Zweitbeschwerdeführerin sei von Anfang an dagegen gewesen und habe ihn immer wieder davon abbringen wollen. Er habe sich jedoch durchgesetzt und gemeint, dass sie jetzt in Europa leben würden und er hier ein neues Leben beginnen wolle. Die Kirchengemeinde wisse nichts über seine Homosexualität, er sei sich aber sicher, dass es ihm nicht nachgetragen werden würde, da das Christentum alle Sünden verzeihe. Er sei am 31.03.2018 getauft worden. Er bete jeden Sonntag und treffe sich montags immer mit der Gruppe von Menschen, die ihn mit der Konversion unterstützt hätten und beteilige sich an deren Aktivitäten.

Im Falle einer Rückkehr in den Irak fürchte er, nach wie vor verfolgt oder gar getötet zu werden. Auch in einem anderen Landesteil des Irak, wo ihn die Leute nicht kennen, würde er insbesondere seine Sexualität nicht frei ausleben, sondern unterdrücken und immer fürchten müssen, wieder aufgedeckt und in der Folge getötet zu werden. In Österreich lebe er in einer Wohngemeinschaft mit drei weiteren Homosexuellen. Er habe viele Bekanntschaften und besuche einschlägige Bars und Lokale. Monatlich besuche er auch eine Sauna für Homosexuelle.

Neben den bereits aktenkundigen Unterlagen wurde vom Erstbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung weiters noch ein Bestätigungsschreiben des ihn betreuenden LGBTIQ-Vereins vom 16.10.2019 vorgelegt, in welchem bestätigt wird, dass der Erstbeschwerdeführer regelmäßig Beratungen in Anspruch nimmt und seine Sexualität in Österreich ohne Furcht auslebt und in die LGBTIQ-Szene integriert ist.

Sodann wurde der Z1 einvernommen. Er gab zusammengefasst an, den Erstbeschwerdeführer bereits aus der Homosexuellenszene im Irak zu kennen. Er habe ihn 2014 in Bagdad kennengelernt. Der Z1 sei im Irak als Homosexueller bekannt gewesen und habe immer geheime Treffen organisiert. Die Gruppe habe sich stetig vergrößert. Nachdem man seine Kinder getötet hätte, hätten die von ihm organisierten Treffen abgenommen. Er habe auch wegen seiner christlichen Mutter mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Im gesamten Irak sei Homosexualität ein Tabu und würde man als Homosexueller diskriminiert. Er habe den Irak 2015 verlassen, nachdem seine Kinder getötet und er selbst verletzt worden sei. Er habe eine Niere dabei verloren. Er sei anerkannter Flüchtling und verfüge über einen österreichischen Konventionspass. Den Erstbeschwerdeführer habe er durch Zufall in Österreich in der Kirche wieder getroffen. Er leite viele Initiativen für Homosexuelle und sei ebenfalls zum Christentum konvertiert.

Weiters wurde der Pfarrer des Erstbeschwerdeführers, der Z2, einvernommen. Er habe ihn beim Taufunterricht begleitet und ihn schließlich getauft. Nach der Zulassungsfeier sei es zu Konflikten in der Familie gekommen, weil die Zweitbeschwerdeführerin mit einer Taufe nicht einverstanden gewesen sei. Er sehe den Erstbeschwerdeführer wöchentlich, der in der christlichen Gemeinde bzw. der Gruppe "XXXX" sehr aktiv sei. Die Gruppe übernehme die Taufvorbereitung auf Arabisch, einen Besuchsdienst in der Gemeinde, in deren Rahmen auch der Erstbeschwerdeführer andere christliche Familien vor allem aus Syrien und dem Irak besuche, und habe der Erstbeschwerdeführer inzwischen weiters das offizielle Amt des Kassenführers der Gruppe inne. Es sei das Anliegen des Z2, zu bestätigen, dass der Erstbeschwerdeführer aufrichtig konvertiert sei. Der häufig stattfindende Missbrauch der Konversion zur Erlangung eines Asylstatus könne er aus fester Überzeugung ausschließen, die er insbesondere anhand des Engagements des Erstbeschwerdeführers in der christlichen Gemeinde beurteile.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab zu ihren Fluchtgründen und der Situation im Falle einer Rückkehr in den Irak befragt im Wesentlichen an, dass der Erstbeschwerdeführer dort große Probleme habe, da er sich dem Stammesführer gegenüber geweigert habe, sich den Milizen anzuschließen und sich an Kämpfen zu beteiligen. Der Stammesführer sei deswegen auch an ihren Schwiegervater herangetreten. Abgesehen davon hätten sie vom Erstbeschwerdeführer verlangt, dass er in seiner Firma veruntreue. Sie habe weiters den Irak verlassen, da auch der Drittbeschwerdeführer mitrekrutiert hätte werden sollen. Sie selbst sei weiters bereits seit 1994 eine bekannte Dichterin und Autorin im Irak und habe viel über das System im Irak geschrieben. Sie habe im Irak jedoch nie etwas veröffentlicht. Am 29.08.2019 habe sie in Österreich ein Buch veröffentlicht, das im Zuge ihrer Psychotherapie entstanden sei. Thema sei darin, wie sehr das Volk im Irak unter dem dort herrschenden System leide. Sie sei sich sicher, dass das Buch weiterveröffentlicht werde und so die Menschen im Irak davon erfahren würden. Außerdem sei sie im Irak eine ganz bekannte Schriftstellerin. Zum Grund für die traditionelle Scheidung befragt, gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass sowohl sie als auch der Erstbeschwerdeführer seit der Eheschließung unglücklich seien. Ihr Vater habe sie aufgrund der Freundschaft zum Schwiegervater an den Erstbeschwerdeführer verschenkt.

Seitens der Zweitbeschwerdeführerin wurde zudem nachfolgende (sofern nicht bereits aktenkundige) Unterlagen vorgelegt:

- Teilnahme-Bestätigung für einen wöchentlichen Deutsch-Konversationskurs von 02.10.2018 bis 28.01.2019 für die Zweitbeschwerdeführerin;

- Teilnahmebestätigungen für Integrationsveranstaltungen vom 11.08.2016, 01.09.2016, 08.09.2016, 28.11.2016 für die Zweitbeschwerdeführerin;

- Teilnahmebestätigungen der Zweitbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführerin an der Veranstaltung "Christliche Kulturen" am 30.06.2019;

- Abschlussbericht des XXXX vom 27.09.2018 samt Beilagen für den Drittbeschwerdeführer, wonach er insbesondere Deutschkenntnisse auf Niveau B1 besitzt;

- ÖIF-Integrationsprüfungszeugnis auf Niveau B1 des Drittbeschwerdeführers vom 15.11.2018;

- Jahreszeugnis des Drittbeschwerdeführers über den (negativen) Abschluss des ersten Jahrganges (9. Schulstufe) an der HTL für Informationstechnologie im Schuljahr 2015/2016 sowie Schulnachricht für das erste Semester 2015/2016;

- Bestätigung der Teilnahme des Drittbeschwerdeführers am Übergangslehrgang des wirtschaftlichen Bundesgymnasiums für Berufstätige vom 28.06.2019 sowie Anmeldebestätigung für den Übergangslehrgang; Überblick der im Übergangslehrgang im Schuljahr 2018/2019 erbrachten Leistungen;

- Teilnahmebestätigungen der TU XXXX, Fakultät für Informatik, jeweils vom 25.06.2018 über den erfolgreichen Abschluss des Kurses Einführung in die Informatik durch den Drittbeschwerdeführer und den Viertbeschwerdeführer;

- Deutsch-Sprachzertifikat auf Niveau B1 des Viertbeschwerdeführers vom 21.06.2019;

- Detailergebnis über die nicht bestandene Integrationsprüfung des Viertbeschwerdeführers vom 18.07.2019;

- Schulbesuchsbestätigung und Schulnachricht einer Neuen Mittelschule über den außerordentlichen Schulbesuch des Viertbeschwerdeführers, Schuljahr 2015/2016;

- Teilnahmebestätigung des XXXX vom 05.04.2019 samt Beilagen für den Viertbeschwerdeführer, wonach er insbesondere Deutschkenntnisse auf Niveau B1 besitzt;

- Schulbesuchsbestätigung des Viertbeschwerdeführers über den Schulbesuch als außerordentlicher Schüler an der Abend-AHS im Wintersemester 2019/2020;

- Teilnahmebestätigung der Fünftbeschwerdeführerin an einer Workshopreihe mit Gesprächsrunden zum Thema "psychosoziale Gesundheit" vom 04.09.2017;

- Schulbesuchsbestätigung einer Neuen Mittelschule über den außerordentlichen Schulbesuch der Fünftbeschwerdeführerin, Schuljahr 2015/2016 sowie Beurteilungsschreiben des Klassenvorstandes und Deutschlehrers vom 07.12.2017;

- Jahres- und Abschlusszeugnis der Fünftbeschwerdeführerin einer Polytechnischen Schule im Schuljahr 2018/2019;

- Schulbesuchsbestätigung der Schule HTBLA für Mode und wirtschaftliche Berufe für die Fünftbeschwerdeführerin im Schuljahr 2019/2020;

- Bestätigung über gemeinnützige Arbeit der Fünftbeschwerdeführerin im August 2019 vom 17.09.2019;

- "Ausbildungsbestätigung" über die Unterweisung der Zweitbeschwerdeführerin im traditionellen Handwerk des Perlenknüpfens und -fädelns vom Oktober 2019;

- Unterstützungsschreiben vom 17.10.2019;

- Unterstützungsschreiben der Flüchtlingsunterkunft vom 30.08.2019;

- Bestätigung über die gemeinnützigen Arbeiten des Erstbeschwerdeführers vom 05.09.2019;

- Deutsch-Kursbestätigung Niveau B1 des Erstbeschwerdeführers vom 29.06.2018;

- Teilnahmebestätigungen für diverse Integrationsveranstaltungen vom 11.11.2015, 25.11.2015, 16.12.2015, 01.09.2016, 08.09.2016 und 07.11.2016 für den Erstbeschwerdeführer;

- Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs des Erstbeschwerdeführers vom 03.10.2016;

- Beratungsbestätigung vom 24.09.2019 des Aus- und Weiterbildungszentrums AWZ XXXX für den Erstbeschwerdeführer;

- Teilnahmebestätigung der AIDS-Hilfe XXXX über LGBTIQ-Beziehungen und Rechte in Österreich des Erstbeschwerdeführers vom 25.09.2019;

- Konvolut medizinischer und psychologischer Befundberichte für die Zweitbeschwerdeführerin, datiert zwischen 29.06.2017 und Oktober 2019 über die anhaltende Behandlungsbedürftigkeit ihrer psychischen Erkrankungen;

Der Drittbeschwerdeführer gab auf Befragen an, er habe den Irak verlassen müssen, da er sonst zwangsrekrutiert worden wäre, um mit den Milizen zu kämpfen. Die Zweitbeschwerdeführerin habe ihm von den vermummten Männern erzählt, die zuhause aufgetaucht wären und nach ihm und dem Erstbeschwerdeführer verlangt hätten. Da er inzwischen älter als 18 Jahre sei, würde er im Falle einer Rückkehr in den Irak entweder gleich rekrutiert oder getötet werden. Insbesondere vom eigenen Stamm würde er bezüglich der Rekrutierung unter Druck gesetzt werden. Abgesehen davon beruhige sich die allgemeine Lage im Irak nie. Man lebe immer in Gefahr.

Der Viertbeschwerdeführer gab an, er sei bei der Flucht aus dem Irak noch ein kleines Kind gewesen und habe einfach mitreisen müssen. Inzwischen sei er erwachsen. Im Irak würde es keine Sicherheit geben und selbst wenn es ihm gelingen würde, sich dort eine Zukunft aufzubauen, müsste er immer damit rechnen, rekrutiert zu werden.

Die Fünftbeschwerdeführerin gab an, ebenfalls als kleines Kind nach Österreich gekommen zu sein. Hier habe ihr Leben begonnen. Sie wisse nicht, wie sie im Irak leben würde, wenn sie zurückkehren müsste. Abgesehen davon wolle sei bei ihrer Familie leben, egal wo sich diese befindet.

Sodann erfolgte eine Erörterung der im Akt einliegenden Feststellungen und Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat. Die Rechtsvertretung der Beschwerdeführer nahm dazu zusammengefasst insofern Stellung, als ausgeführt wurde, dass die Informationen zur Sicherheitslage im Irak, insbesondere in Bagdad, aufgrund der Ereignisse der letzten Monate (va. die Unruhen und Proteste in Bagdad) als nicht mehr aktuell anzusehen seien. Ebenfalls müsse dem wieder aufflammenden Krieg in Nordsyrien Beachtung geschenkt werden, da ein Übergreifen des Konfliktes auf Kurdistan nicht auszuschließen sei. Aus der Anfragebeantwortung von ACCORD zur Behandlung von PTBS [a-10861] gehe eindeutig hervor, dass insbesondere die schwere Form von PTBS, an welcher die Zweitbeschwerdeführerin leide, im Irak nicht adäquat behandelt werden könne. Sie würde nicht von der Krankenkasse bezahlt und seien keine Behandlungszentren für PTBS vorhanden. Die wenigen vorhandenen Dienste könnte die große Nachfrage nicht decken und sei die Behandlungsqualität gering. Die Anfragebeantwortung zum Einfluss der Stämme stütze das Vorbringen der Beschwerdeführer. Zu den Berichten über die Lage von LGBTIQ-Personen im Irak werde zuerst auf die SOGI Richtlinien des UNHCR (Richtlinien zum internationalen Schutz Nr. 9, Anträge auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund der sexuellen Orientierung und/oder der geschlechtlichen Identität im Zusammenhang mit Art. 1 Abs. 2 des Abkommens von 1951 bzw. des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung von Flüchtlingen), insbesondere auf Rz 66 zur Verfügbarkeit von Herkunftsländerinformationen, verwiesen. Eine schwache Quellenlage dürfe nicht zum Schluss verleiten, dass der Antrag unbegründet sei oder es keine Verfolgung von LGBTIQ-Personen gibt. Die Berichte der Organisation "IRAQUEER" seien derart glaubwürdig, dass diese in das aktuelle Positionspapier des UNHCHR zum Irak Eingang gefunden hätten. Darüber hinaus würde die Anfragebeantwortung das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers und des Z1 zur tatsächlichen Verfolgung von LGBTIQ-Personen im Irak bestätigen.

Schließlich werde auf die Entscheidung des VfGH vom 11.06.2019, E 291/2019, wonach eine asylrelevante Verfolgung von LGBTIQ-Personen im Irak vorliegt, sowie auf die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.07.2019, G312 2206191-1, sowie auf das Erkenntnis G304 2175413-1 verwiesen, wo in gleichgelagerten Fällen von einer asylrelevanten Verfolgung ausgegangen worden sei.

Die Verkündung der Entscheidung entfiel gemäß § 29 Abs. 3 VwGVG.

14. Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 30.12.2019 wurde den Beschwerdeführern und dem Bundesamt das nunmehr aktuelle Länderinformationsblatt zum Irak vom 20.11.2018 samt eingefügter Kurzinformation vom 30.10.2019 sowie die UNHCR-Richtlinien zum Schutzbedarf von Personen die aus dem Irak fliehen (Mai 2019) zur Stellungnahme binnen einer Frist von zwei Wochen übermittelt.

Die Stellungnahme langte am 24.01.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, die vorgelegten Berichten seien bereits wieder veraltet. Es wurde zur aktuellen Sicherheitslage bezogen auf den Iran, die USA und die schiitischen Milizen im Irak Zeitungsberichte vorgelegt. Weiters wurden unter anderem ergänzende Anfragebeantwortungen zur Behandelbarkeit von Depressionen und posttraumatischen Störungen im Irak vom 22.12.2017 sowie von paranoider Schizophrenie und PTSD vom 08.06.2017, die SOGI-Richtlinien vom 23.10.2012 hinsichtlich der vorgebrachten Homosexualität des Erstbeschwerdeführers vorgelegt und die Länderberichte der Staatendokumentation in einigen Punkten, auch zur vorgebrachten Verfolgung durch die schiitischen Milizen kommentiert oder zitiert. Einige Berichte wurden zudem neuerlich vorgelegt und waren bereits aktenkundig.

Darüber hinaus wurde dem Bundesverwaltungsgericht ebenfalls am 24.01.2020 einlangend, von der bevollmächtigten Rechtsvertretung der Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX zur Zahl XXXX vorgelegt, wonach die Ehe des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin nunmehr im Einvernehmen geschieden wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführer führen die im Spruch jeweils angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und sind Staatsangehörige des Irak sowie Angehörige der Volksgruppe der Araber. Ihre Muttersprache ist arabisch und bekennen sich die Zweitbeschwerdeführerin, der Drittbeschwerdeführer, der Viertbeschwerdeführer sowie die minderjährige Fünftbeschwerdeführerin zum moslemischen Glauben schiitischer Ausrichtung. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind nach traditionellem islamischen Recht sowie auch standesrechtlich geschieden. Aus dieser Ehe stammen der inzwischen volljährige Drittbeschwerdeführer, der volljährige Viertbeschwerdeführer sowie die minderjährige Fünftbeschwerdeführerin. Die Beschwerdeführer stammen aus Bagdad, wo sie auch bis zur Ausreise aus dem Irak gelebt haben. Seit September 2017 lebt der Erstbeschwerdeführer in Österreich nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit seiner Ehefrau und den Kindern (vgl Erstbefragungen vom 04.10.2015, AS 9 ff/Teil I Erstbeschwerdeführer, AS 9 ff/Teil I Zweitbeschwerdeführerin, AS 9 ff/Teil I Drittbeschwerdeführer, AS 9 ff/Teil I Viertbeschwerdeführer; aktenkundige Kopien der irakischen Personalausweise, AS 151/Teil I Erstbeschwerdeführer, AS 79 ff/Teil I Zweitbeschwerdeführerin, AS 47/Teil I Drittbeschwerdeführer; im Akt einliegende irakische Reisepässe der Beschwerdeführer im Original, AS 33/Teil I Erstbeschwerdeführer, AS 41/Teil I Zweitbeschwerdeführerin, AS 30/Teil I Drittbeschwerdeführer, AS 23/Teil I Viertbeschwerdeführer und AS 15/Teil I Fünftbeschwerdeführerin; aktenkundige Kopien der irakischen Staatsbürgerschaftsnachweise, AS 155/Teil I Erstbeschwerdeführer, AS 83 ff/Teil I Zweitbeschwerdeführerin, AS 49/Teil I Drittbeschwerdeführer; Niederschriften Bundesamt vom 20.07.2017, AS 169 ff/Teil I Erstbeschwerdeführer und AS 51 ff/Teil I Zweitbeschwerdeführerin; Niederschrift Bundesamt vom 21.07.2017, AS 41 ff/Teil I Drittbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 22.10.2019, S 3 ff; Beschluss über die Scheidung im Einvernehmen, BG XXXX).

Die Beschwerdeführer verließen den Irak am 12.09.2015 legal auf dem Luftweg und flogen von Bagdad nach Istanbul in die Türkei. Von Izmir in der Türkei reisten sie weiter schlepperunterstützt nach Griechenland und über nicht näher feststellbare Länder, jedenfalls aber Serbien und Kroatien, gemeinsam mit dem Flüchtlingsstrom bis nach Österreich, wo sie am 25.09.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellten. Seit ihrer Einreise in das Bundesgebiet halten sich die Beschwerdeführer ununterbrochen im Bundesgebiet auf (vgl die Aus- und Einreisestempel in den aktenkundigen originalen irakischen Reisepässen der Beschwerdeführer; türkische Visa der Beschwerdeführer, AS 91 ff/Teil I Erstbeschwerdeführer; Kopien griechischer und serbischer Verfahrensunterlagen der Beschwerdeführer, AS 99 ff/Teil I Erstbeschwerdeführer; Erstbefragungen vom 04.10.2015, AS 9 ff/Teil I Erstbeschwerdeführer, AS 9 ff/Teil I Zweitbeschwerdeführerin, AS 9 ff/Teil I Drittbeschwerdeführer, AS 9 ff/Teil I Viertbeschwerdeführer; Niederschriften Bundesamt vom 20.07.2017, AS 170/Teil I Erstbeschwerdeführer und AS 54 /Teil I Zweitbeschwerdeführerin; Niederschrift Bundesamt vom 21.07.2017, AS 43/Teil I Drittbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 22.10.2019, S 7; Auszüge aus dem Zentralen Melderegister vom 29.01.2020).

Der Erstbeschwerdeführer ist in Bagdad geboren und aufgewachsen. Er hat dort sechs Jahre die Grundschule, sechs Jahre ein Gymnasium und ein Jahr eine Krankenpflegeschule besucht, welche er aber nicht abgeschlossen hat. Nach Abbruch der Ausbildung in der Krankenpflegeschule hat er eine Ausbildung im Bereich Datenverarbeitung abgeschlossen und in diesem Beruf mit Unterbrechungen auch gearbeitet. Er war unter anderem für ein türkisches Bauunternehmen in Bagdad im Bereich Verwaltung und Kommunikation tätig, wo er monatlich rund USD 1.400,-- verdiente. Zuletzt war er bei einem in den Vereinigten Arabischen Emiraten ansässigen Bauunternehmen in Bagdad tätig, wo sein monatliches Einkommen etwa USD 1.200,-- betrug. Mit seinem Einkommen war er in der Lage, den Lebensunterhalt der Beschwerdeführer zu sichern. Sein Vater sowie mehrere Onkel und Tanten leben nach wie vor in Bagdad. Die Mutter und ein Bruder des Erstbeschwerdeführers sind bereits verstorben. Der zweite Bruder des Erstbeschwerdeführers ist Asylwerber in Schweden, seine Schwester lebt als anerkannter Flüchtling in Finnland. Im Irak hat der Erstbeschwerdeführer nur mehr mit dem Vater Kontakt über WhatsApp (vgl Erstbefragung vom 04.10.2015, AS 9 ff/Teil I Erstbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 20.07.2017, AS 171 ff/Teil I Erstbeschwerdeführer; Kopie irakischer Arbeitsausweis, AS 149/Teil I Erstbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 22.10.2019, S 6 ff).

Der Erstbeschwerdeführer leidet an behandlungsbedürftigem, nicht primär insulinabhängigem Diabetes mellitus Typ II (E11.9), essentieller (primärer) Hypertonie (Bluthochdruck, I10) und Hyperlipidämie (erhöhte Cholesterinwerte, E78.5). Ihm wurden 2017 deswegen nachfolgende Medikamente verordnet: Atorvastatin 40 mg, Lipcor 200 mg, Metformin 1000 mg und Diamicron MR 30. Er ist in Österreich nach wie vor regelmäßig in entsprechender medizinischer Behandlung. Darüber hinaus liegen keine weiteren Erkrankungen vor und ist der Erstbeschwerdeführer arbeitsfähig. Dass der Erstbeschwerdeführer an einer lebensbedrohlichen Erkrankung im Endstadium leidet, die im Irak nicht behandelbar wäre, konnte nicht festgestellt werden (vgl Niederschrift Bundesamt vom 20.07.2017, AS 170/Teil I Erstbeschwerdeführer; aktenkundiges Konvolut medizinischer Befunde, AS 113 ff/Teil I Erstbeschwerdeführer).

Die Zweitbeschwerdeführerin stammt genauso wie der Erstbeschwerdeführer aus Bagdad, wo sie sechs Jahre eine Grundschule und etwa ein bis zwei Jahre eine Mittelschule besucht hat. Eine Ausbildung hat sie nicht absolviert, sie war im Irak Hausfrau. Die Zweitbeschwerdeführerin hat insgesamt zwölf Geschwister, jeweils sechs Brüder und sechs Schwestern. Die beiden Eltern und vier Schwestern mit ihren Familien leben nach wie vor im Irak, in Bagdad und in XXXX/Provinz Babylon. Ein Bruder ist mit seiner Familie als Asylwerber in Österreich. Das Verfahren wurde negativ beschieden und befindet sich derzeit in Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Zweitbeschwerdeführerin hat mit ihren Eltern und Geschwistern im Irak Kontakt, mit den Eltern regelmäßig monatlich über Messenger (vgl Erstbefragung vom 04.10.2015, AS 9 ff/Teil I Zweitbeschwerdeführerin; Niederschrift Bundesamt vom 20.07.2017, AS 53 ff/Teil I Zweitbeschwerdeführerin; Verhandlungsprotokoll vom 22.10.2019, S 6 ff und 23).

Die Zweitbeschwerdeführerin leidet an einer generalisierten Angststörung, einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie an einer rezidivierenden schweren depressiven Störung mit zwischenzeitlich auftretenden suizidalen Gedanken und psychosomatisch bedingten diffusen Körperschmerzen. Aktuell nimmt die Zweitbeschwerdeführerin die Medikamente PREGAMID 25mg und MIRTAZAPIN 15mg mehrmals täglich ein. Sie ist seit Juni 2017 regelmäßig und durchgehend in psychiatrischer und klinisch-psychologischer Behandlung. Ein Zeitpunkt für einen Abschluss der Behandlung ist nicht absehbar. Darüber hinaus konnte nicht festgestellt werden, dass die Zweitbeschwerdeführerin an einer lebensbedrohlichen Erkrankung im Endstadium leidet, die im Irak nicht behandelbar wäre (vgl aktenkundiges Konvolut medizinischer und psychologischer Befunde ab Juni 2017, AS 59 ff/Teil I Zweitbeschwerdeführerin; insbesondere aber im Zuge der mündlichen Verhandlung am 22.10.2019 vorgelegtes Konvolut von Befunden, darunter der klinisch-psychologische Befundbericht Dris. XXXX vom 04.09.2019 und der psychiatrische Befundbericht Dris. XXXX vom 15.10.2019).

Sowohl der Drittbeschwerdeführer als auch der Viertbeschwerdeführer sind inzwischen volljährig. Der Drittbeschwerdeführer, der Viertbeschwerdeführer und die noch minderjährige Fünftbeschwerdeführerin sind jeweils ledig, gesund und arbeitsfähig und haben keine Kinder. Sie sind alle drei in Bagdad geboren und haben dort jeweils ihrem Alter entsprechend die Schule besucht. Der Drittbeschwerdeführer hat sechs Jahre eine Grundschule und drei Jahre eine Mittelschule, der Viertbeschwerdeführer sechs Jahre eine Grundschule und ein Jahr eine Mittelschule und die Fünftbeschwerdeführerin fünf Jahre eine Grundschule im Irak besucht. Sie leben mit der Zweitbeschwerdeführerin auch in Österreich nach wie vor im gemeinsamen Haushalt. Der Drittbeschwerdeführer kontaktiert über Messenger nach wie vor Freunde und Sch

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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