TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/18 W251 1416882-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.02.2020
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Entscheidungsdatum

18.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W251 1416882-3/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Mag. Martin SAUSENG, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.01.2019, Zl. 800518610 - 190062229, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkte I. bis VI. wird abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. wird insofern stattgegeben, als dieser zu lauten hat:

"Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wird ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen."

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 15.06.2010 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.11.2010 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen und der Beschwerdeführer nach Afghanistan ausgewiesen. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an den Asylgerichtshof.

3. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 16.12.2013 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde. Es wurde dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthalstberechtigung erteilt. Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde damit begründet, dass der Beschwerdeführer an einer psychogenen Depression bzw. an Depressionen durch eine Anpassungsstörung leide. Aufgrund eines Suizidversuchs, sei er in stationärer Behandlung gewesen. Er benötige psychotherapeutische Begleitung und medikamentöse Behandlung. Da weder der Beschwerdeführer noch seine Familie über ausreichende finanzielle Ressourcen verfügen, könne aufgrund der schlechten medizinischen Versorgungslage (im Bereich der psychischen Erkrankungen) in Afghanistan nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer tatsächlich Zugang zu einer adäquaten medizinischen Versorgung hätte. Der Beschwerdeführer sei im Falle einer Rückkehr von der schlechten Sicherheitslage sowie der schlechten (medizinischen) Versorgungslage aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung stark betroffen, sodass eine existentielle Bedrohung des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr vorliege.

4. Nach entsprechenden Anträgen des Beschwerdeführers wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung jeweils verlängert, zuletzt mit Bescheid des Bundesamtes vom 09.01.2017 bis zum 15.12.2018.

5. Der Beschwerdeführer wurde am 25.02.2016 sowie am 21.06.2017 von einem Landesgericht wegen Straftaten verurteilt.

6. Am 04.09.2018 brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 abs 4 AsylG ein.

7. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 24.01.2019 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt (Spruchpunkt I.). Der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde abgewiesen (Spruchpunkt II.). Es wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkte II.-V). Es wurde eine Frist von 14 Tage für die freiwillige Ausreise festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Es wurde ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

8. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass das Ermittlungsverfahren des Bundesamtes sowohl hinsichtlich des Privatlebens des Beschwerdeführers in Österreich als auch hinsichtlich aktueller und vollständiger Länderinformationen mangelhaft sei. Auch die Beweiswürdigung sei mangelhaft, da keine ausreichenden Erhebungen zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich durchgeführt worden seien. Es habe sich seitdem Erkenntnis des Asylgerichtshofes die Sicherheitslage in Afghanistan nicht gebessert. Der Beschwerdeführer verfüge nach wie vor über keine Verwandten oder anderen Personen die ihn in Afghanistan unterstützen könnten, sodass keine Grundlage für eine Aberkennung bestehe. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über ein schützenswertes Familien- und Privatleben. Der Beschwerdeführer sei zwar straffällig geworden, er habe die Strafe jedoch verbüßt und befolge gewissenhaft seine Bewährungsauflagen. Es habe daher keine Rückkehrentscheidung erlassen werden können. Zudem sei das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers nicht derart schwerwiegend, dass die Verhängung eines Einreiseverbotes in Höhe von "drei" Jahren als notwendig und verhältnismäßig zu erachten wäre.

Der Beschwerdeführer erstattete eine Beschwerdeergänzung und legte Integrationsunterlagen vor.

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 29.01.2020 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt in Österreich den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und spricht Dari als Muttersprache (Verhandlungsprotokoll vom 29.01.2020, OZ 13, S. 7). Der Beschwerdeführer spricht gut Deutsch. Er versteht Dari gut, antwortet mittlerweile aber automatisch auf Deutsch bzw. sind teilweise deutsche Begriffe in den Angaben des Beschwerdeführers auf Dari enthalten (OZ 13, S. 27). Er kann sich jedoch wieder an seine Muttersprache anpassen. Der Beschwerdeführer spricht zudem Paschtu, Urdu und etwas Türkisch (AS 433; AS 658).

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Kunduz, in der Stadt Kunduz geboren. Dort ist er gemeinsam mit seinen Eltern seinen Brüdern und seinen Schwestern aufgewachsen (OZ 13, S. 9). Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan zwei Jahre lang eine Schule besucht (AS 161). Er hat als Kind den Beruf des Schneiders erlernt und diesen Beruf mehrere Jahre in Afghanistan ausgeübt. Ca. Anfang 2010 ist der Beschwerdeführer in den Iran gegangen, dort hat er mit anderen Afghanen zusammengelebt und auf Baustellen gearbeitet (OZ 13, S. 8, S. 11).

Der Beschwerdeführer ist nicht verheiratet, er hat keine Kinder (OZ 13, S. 7).

Der Beschwerdeführer wurde nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, er ist gesund. Er nimmt seit mehreren Jahren keine Medikamente mehr und benötigt derzeit keine Therapie (OZ 13, S. 16-17).

1.2. Zum (Privat)Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

Der Beschwerdeführer ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und hält sich seit zumindest 15.06.2010 durchgehend in Österreich auf. Er ist in Österreich aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der Beschwerdeführer verfügt über gute Deutschkenntnisse auf dem Niveau B2 (OZ 16; Beilage ./B). Der Beschwerdeführer hat in Österreich eine Lenkerberechtigung, Klasse B (PKW), erworben (OZ 13, S. 13).

Der Beschwerdeführer ist seit 01.10.2019 bei einer Autoreinigung angestellt und verdient brutto EUR 1.870,00 pro Monat (Beilage ./D; Beilage ./i). Davor war der Beschwerdeführer teilweise nur geringfügig beschäftigt, teilweise selbständig und teilweise bezog er Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe. So bezog der Beschwerdeführer vom 01.06.2017 bis 26.08.2017 Arbeitslosengeld. Vom 09.08.2017 bis 13.09.2018 bezog der Beschwerdeführer Notstandshilfe bzw. 8 Tage lag Krankengeld. Vom 14.09.2018 bis zum 01.10.2018 hatte der Beschwerdeführer eine Arbeit bei einem Transportunternehmen, vom 02.10.2018 bis zum 04.03.2019 bezog der Beschwerdeführer wieder Notstandshilfe (Beilage ./D)

Der Beschwerdeführer geht keiner ehrenamtlichen oder gemeinnützigen Arbeit nach. Er ist kein Mitglied in einem Verein (OZ 13, S. 12).

Der Beschwerdeführer konnte in Österreich Freundschaften knüpfen, manche Freundschaften bestehen bereits seit 8 bzw. 9 Jahren (OZ 13, S. 15f). Der Beschwerdeführer hat seit 31.07.2017 eine Beziehung zu einer Österreicherin. Der Beschwerdeführer und seine Freundin leben nicht im selben Haushalt, die Freundin lebt noch bei ihren Eltern. Es gibt derzeit keine konkreten Heiratspläne oder konkrete Pläne eine gemeinsame Wohnung zu nehmen. Der Beschwerdeführer übernachtet unter der Woche fast jeden Tag bei seiner Freundin. Am Wochenende übernachtet die Freundin meistens beim Beschwerdeführer. Der Beschwerdeführer bekommt derzeit keine finanzielle Unterstützung von seiner Freundin, er unterstützt seine Freundin derzeit finanziell auch nicht (OZ 13, S. 15ff, S. 22ff).

Der Beschwerdeführer hat in Österreich keine Verwandten.

Der Beschwerdeführer wird aufgrund seiner Hilfsbereitschaft, Verlässlichkeit und wegen seines Fleißes von seinen Nachbarn, seinem derzeitigen Arbeitgeber und seinen Freunden in Österreich geschätzt (Beilage ./A; ./B; ./E).

Der Beschwerdeführer wurde am 25.02.2016 von einem Landesgericht wegen Vergehen und Verbrechen nach dem Suchtmittelgesetz (§ 28 Abs 1 erster Fall SMG und § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 11 Monaten, die unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden, verurteilt.

Der Beschwerdeführer hat am 03.12.2013 447,7g Cannabiskraut mit dem Vorsatz besessen, dieses in Verkehr zu bringen. Der Beschwerdeführer hat zudem im Jahr 2011 sowie von Oktober 2012 bis Dezember 2013 insgesamt 765g Cannabiskraut mehreren Abnehmern, teils durch gewinnbringenden Verkauf, überlassen.

Der Beschwerdeführer wurde am 21.06.2017 von einem Landesgericht wegen dem Vergehen der gefährlichen Körperverletzung und dem Vergehen der gefährlichen Drohung (§§ 107 Abs 1, 83 Abs 1 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten, die unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, verurteilt. Die Probezeit betreffend das Urteil eines Landesgerichts vom 25.02.2016, wurde auf fünf Jahre verlängert.

Der Beschwerdeführer hat am 01.02.2017 seine Ex-Freundin gefährlich mit einer Verletzung am Körper bedroht, indem er dieser nachstehende WhatsApp-Nachrichten mit folgendem Inhalt übermittelt:

"... Ich dreh eh durch. Morgen komme ich in deine Arbeit. Pass auf jetzt. Pass auf jetzt. Mit mi spielt keiner. O.k. Du kannst jemandem andren Spielen. Ich ficke dich und ich ficke die Jenny. ..." und

"... Ich ficke dich eh. Ich ficke das was du hast. Verstehst du das net. Du kannst mit jemandem anderen spielen. Aber net mit mir. Verstehst du das net ...".

Der Beschwerdeführer hat am 19.02.2017 seine Ex-Freundin in einem Lokal am Körper verletzt, indem er ihr im Zuge eines Streits einen Schlag gegen den Hinterkopf und einen Stoß versetzte, sodass diese stürzte und mit dem Hinterkopf gegen eine Glaskante schlug, wodurch sie zumindest eine Schädelprellung erlitt.

Der Beschwerdeführer übernimmt die Verantwortung für seine Straftaten aus der letzten Verurteilung nicht und ist nicht einsichtig. Er zeigt keine Reue.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

1.3.1. Dem Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr in die Provinz Kunduz aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

1.3.2. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedlung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif droht dem Beschwerdeführer, individuell und konkret, weder psychische noch physische Gewalt.

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land weder psychischer noch physischer Gewalt ausgesetzt.

Der Beschwerdeführer ist sunnitischer Moslem und bekennt sich zu diesem Glauben. Der Beschwerdeführer betet und fastet aktuell nicht, er ist derzeit wenig religiös interessiert. Er ist jedoch nicht vom Islam abgefallen. Er tritt auch nicht spezifisch gegen den Islam oder gar religionsfeindlich auf. Es droht ihm bei einer Rückkehr nach Afghanistan diesbezüglich weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität.

1.3.3. Die Eltern, Geschwister, Tanten und Onkeln des Beschwerdeführers wohnen noch in Afghanistan (AS 163). Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu seinen Familienangehörigen.

Die Familie des Beschwerdeführers besitzt ein Eigentumshaus sowie landwirtschaftliche Grundstücke. Auf den landwirtschaftlichen Grundstücken werden Weintrauben angebaut. Die Familie des Beschwerdeführers beschäftigt Landarbeiter, die dieses Land bewirtschaften (AS 163). Die finanzielle Situation der Familie des Beschwerdeführers ist durchschnittlich (AS 163).

Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

Der Beschwerdeführer kann von seiner Freundin und den Eltern seiner Freundin in Österreich finanzielle Unterstützung bei einer Rückkehr nach Afghanistan erhalten. Die Freundin des Beschwerdeführers verdient pro Monat EUR 800-900. Diese zahlt weder Miete noch Betriebskosten (OZ 13, S. 25-26). Der Beschwerdeführer kann auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Der Beschwerdeführer hat in der Stadt Kunduz gelebt, ihm sind städtische Strukturen bekannt (OZ 13, S. 7).

Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig und konnte sich sowohl in Afghanistan, als auch im Iran sowie in Österreich zurechtfinden. Er kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

1.3.4. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif kann der Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Herat oder Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.4. Zum bisherigen Verfahrensablauf:

Der Beschwerdeführer stellte am 15.06.2010 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.11.2010 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze abgewiesen. Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an den Asylgerichtshof.

Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 16.12.2013 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs 1 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde. Es wurde dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthalstberechtigung erteilt.

Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde wie folgt begründet:

"Der Beschwerdeführer wurde im Jahr 2011 wegen "Depressionen psychogen" medizinisch/medikamentös behandelt und wurde im Februar 2013 aufgrund eines Suizidversuchs stationär medizinisch behandelt. Es wurde die Diagnose "F43.0: Akute Belastungsreaktion" gestellt und eine weitere nervenärztliche Observanz als notwendig erachtet. Laut eines Befundberichtes eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 26.09.2013 liegt beim Beschwerdeführer die Diagnose "Depression bei Anpassungsstörung" vor und wird die weitere psychotherapeutische Begleitung und medikamentöse Behandlung empfohlen." (AS 447)

"Diese Sicherheitslage in der Provinz Kunduz bzw. die Rückkehrsituation ist mit den individuellen und persönlichen Umständen und Lebensbedingungen des Beschwerdeführers in Beziehung zu setzen. Dazu ist festzuhalten, dass die psychische Gesundheit des Beschwerdeführers beeinträchtigt ist, was bereits einen Suizidversuch zur Folge hatte, und aus fachärztlicher Sicht auch aktuell eine medikamentöse/therapeutische Behandlung des Beschwerdeführers empfohlen wird. Da nicht ersichtlich ist, dass der Beschwerdeführer (bzw. dessen Familie) über größere finanzielle Ressourcen verfügen würden, kann aufgrund der schlechten medizinischen Versorgungslage (im Bereich der psychischen Erkrankungen) in Afghanistan nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer tatsächlich Zugang zu einer adäquaten medizinischen Versorgung hätte. Für den Beschwerdeführer in seiner spezifischen Lage bedeutet dies, dass er im Falle seiner Rückkehr von der schlechten Sicherheitslage in Kunduz sowie der (auch dort) schlechten (medizinischen) Versorgungslage aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung stark betroffen sein würde. Im Zusammenhang dieser Umstände ergeben sich bei der gebotenen Gesamtschau stichhaltige Gründe für die Annahme einer existentiellen Bedrohung des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr und damit die reale Gefahr einer Verletzung des Art 3 EMRK." (AS 465-466)

Nach entsprechenden Anträgen des Beschwerdeführers wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung jeweils verlängert, zuletzt mit Bescheid des Bundesamtes vom 09.01.2017 bis zum 15.12.2018.

Am 04.09.2018 brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 abs 4 AsylG ein.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 24.01.2019 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt (Spruchpunkt I.). Der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde abgewiesen (Spruchpunkt II.).

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat wurden folgende Länderinformationen zu Grunde gelegt:

- im Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 (LIB)

- UNHCR Richtlinien vom 30.08.2018 (UNHCR)

- EASO Country Guidance zu Afghanistan vom Juni 2019 (EASO)

- Bericht EASO, Afghanistan Netzwerke, Jänner 2018 (Beilage ./III)

- Anfragebeantwortung ACCORD, Sicherheitslage und die soziökonomische Lage in Herat und in Mazar-e Scharif vom 15.01.2020 (Beilage ./IV)

- ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Situation von 1) vom Islam abgefallenen, Personen (Apostaten), 2) christlichen KonvertitInnen, 3) Personen, die Kritik am Islam äußern, vom 01.06.2017 (Beilage ./VI)

- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Afghanistan, Christen Konvertiten, Abtrünnige in Afghanistan, vom 12.07.2017 (Beilage ./VII)

1.5.1. Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B)

Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF - Afghan National Defense and Security Forces) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die Afghanische Nationalarmee (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die Afghan National Police (ANP) gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die Afghan Local Police (ALP) wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus. (LIB, Kapitel 3)

1.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).

Am Arbeitsmarkt müssten jährlich 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen, wobei Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen können. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB Kapitel 21).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Common Analysis Afghanistan, Kapitel V).

Nach einer Zeit mit begrenzten Bankdienstleistungen, entstehen im Finanzsektor in Afghanistan schnell mehr und mehr kommerzielle Banken und Leistungen. Die kommerziellen Angebote der Zentralbank gehen mit steigender Kapazität des Finanzsektors zurück. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen (LIB, Kapitel 21).

Über Jahrhunderte hat sich eine Form des Geldaustausches entwickelt, welche Hawala genannt wird. Dieses System, welches auf gegenseitigem Vertrauen basiert, funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich. Hawala wird von den unterschiedlichsten Kundengruppen in Anspruch genommen: Gastarbeiter, die ihren Lohn in die Heimat transferieren wollen, große Unternehmen und Hilfsorganisationen bzw. NGOs, aber auch Terrororganisationen (LIB, Kapitel 21).

Laut Daten der ALCS von 2016 bis 2017 sind 44,6% der afghanischen Bevölkerung - das sind 13 Millionen Menschen - sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können gemäß der Definition von UN-Habitat als Slums eingestuft werden. Der Bericht über den Zustand afghanischer Städte stellte fest, dass der Zugang zu angemessenem Wohnraum für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung darstellt. Armut und Ungleichheit sind die harte Realität für etwa ein Drittel aller städtischen Haushalte (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Städte die Möglichkeit von "Teehäusern", die mit 30 Afghani (das sind ca. ? 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. ? 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. "Teehäuser" werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

1.5.3 Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 22).

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar. (LIB, Kapitel 22.1)

1.5.4 Ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben zwischen 32 - 35 Millionen Menschen. Es sind ca. 40-42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 17).

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan, sie machen etwa 27-30% der afghanischen Gesellschaft aus und hat deutlichen politischen Einfluss im Land. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten, sie sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB, Kapitel 17.2). Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt.

1.5.5 Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 16).

Es gibt viele Personen die freitags nicht beten oder während des Ramadans nicht fasten. Dies ist eine heiklere Angelegenheit in den ländlichen Gebieten, als in den städtischen Gebieten. Für das Nichtbeten des Freitagsgebetes werden solche Personen nicht bestraft und von den staatlichen Behörden nicht angewiesen, dies zu tun. Für das Nichtfasten während des Ramadans würden staatliche Behörden bzw. die Gesellschaft dem Nichtfastenden-des-Ramadan anraten und anweisen den Ramadan einzuhalten. Die Gesellschaft behandelt dies als kleine Vergehen (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Christen, Konvertiten, Abtrünnige in Afghanistan, 12.07.2017, S. 5f).

Für gebürtige Muslime ist ein Leben in der afghanischen Gesellschaft möglich, ohne, dass sie den Islam praktizieren würden und auch dann, wenn sie Apostaten oder Konvertiten sind. Solche Personen sind dann in Sicherheit, wenn diese Stillschweigen bewahren. Es kann zu einer Gefährdung kommen, wenn öffentlich bekannt wird, dass diese aufgehört haben an den Islam zu glauben (Anfragebeantwortung von ACCORD zur Situation von Apostaten, christlichen Konvertiten, Personen, die Kritik am Islam äußern, 01.06.2017, Beilage ./VI, S. 7).

Apostasie und Blasphemie stellen Kapitalverbrechen dar, bei denen Todesstrafe droht. In beiden Fällen haben die Betroffenen vor Gericht drei Tage Zeit um ihre "Tat" zu widerrufen (Beilage ./VI, S. 14).

1.5.6 Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 11).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.5.7 Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung schränkt die Bewegung der Bürger gelegentlich aus Sicherheitsgründen ein. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 19.1).

1.5.8 Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

1.5.9 Herkunftsregion des Beschwerdeführers

Kunduz:

Kunduz liegt im Norden Afghanistans. Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Usbeken, Tadschiken, Turkmenen, Hazara, Aymaq und Pashai. Die Provinz hat 1.113.676 Einwohner (LIB, Kapitel 3.19).

Die Sicherheitslage der Provinz hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Einige Distrikte stehen weitgehend oder vollständig unter der Kontrolle der Taliban. In den vergangenen Monaten sind Zellen der Islamischen Staates in der nördlichen Provinz Kunduz aufgetaucht. In Kunduz kommt es regelmäßig zu Sicherheitsoperationen durch die afghanischen Sicherheitskräfte. Bei diesen werden unter anderem auch Aufständische getötet und Luftangriffe durchgeführt. Es kam auch zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den Sicherheitskräften (LIB, Kapitel 3.19).

Kunduz zählt zu jenen Provinzen, in denen eine "bloße Präsenz" in dem Gebiet nicht ausreicht, um ein ernstes Risiko für ernsthafte Schäden gemäß Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie festzustellen, es wird dort jedoch ein hohes Maß an willkürlicher Gewalt erreicht, und dementsprechend ist ein geringeres Maß an Einzelelementen erforderlich, um die Annahme zu begründen, dass ein Zivilist, der dieses Gebiet zurückgekehrt ist, einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie ausgesetzt ist (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Im Jahr 2018 gab es 337 zivile Opfer (105 Tote und 232 Verletzte) in der Provinz Kunduz. Dies entspricht einem Rückgang von 11% gegenüber 2017. Die Hauptursachen für Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von Luftangriffen und IEDs (LIB, Kapitel 3.19).

1.5.10 Situation für Rückkehrer/innen

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 kehrten insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 23).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 23).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 23).

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 23).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 23).

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 23).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 23).

1.5.11 Urbane Zentren in Afghanistan:

Mazar-e Sharif:

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 3.5).

Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 "minimal" (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 "stressed" eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwenigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI, Kapitel 3.1)

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 22).

Herat-Stadt:

Herat-Stadt ist die Provinzhauptstadt von Herat. Sie hat 556.205 Einwohner. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen (LIB, Kapitel 3.13).

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen sicher und legal erreichbar (LIB, Kapitel 3.13). Der Flughafen Herat (HEA) liegt 13 km südlich der Stadt im Distrikt Gozara. Die Straße, welche die Stadt mit dem Flughafen verbindet wird laufend von Sicherheitskräften kontrolliert. Unabhängig davon gab es in den letzten Jahren Berichte von Aktivitäten von kriminellen Netzwerken, welche oft auch mit Aufständischen in Verbindung stehen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB, Kapitel 21).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Herat, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Herat besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Herat haben Zugang zu Elektrizität (80 %), zu erschlossener Wasserversorgung (70%) und zu Abwasseranlagen (30%). 92,1 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen und 81,22 % zu besseren Wasserversorgungsanlagen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Herat ist im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 als IPC Stufe 2 klassifiziert (IPC - Integrated Phase Classification). In Phase 2, auch "stressed" genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentlich, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI, Kapitel 3.1.).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung, durch Einvernahme der Freundin des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und durch Einsichtnahme in die vorgelegten Urkunden (OZ 13, OZ 8).

Die Feststellungen basieren auf den in den Klammern angeführten Beweismitteln.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zum Namen des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die Feststellungen zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus dem eingeholten Altersfeststellungsgutachten (AS 47ff). Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Familienstand, seiner Schulbildung, Berufsausbildung und Berufserfahrung gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Feststellungen zu seinen jetzigen Sprachkenntnissen ergeben sich aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung sowie aus den Angaben der Dolmetscherin (OZ 13, S. 27). Die Dolmetscherin gab nachvollziehbar an, dass der Beschwerdeführer Dari gut versteht, dieser jedoch - aus Gewohnheit - oft auch deutsche Begriffe verwendet. Der Beschwerdeführer gab bei der Einvernhame vor dem Bundesamt am 14.01.2019, auf die Frage welche Sprache er am besten spreche, an: "Dari, Paschtu, Urdu, bisschen Türkisch und Deutsch." (AS 658). Der Beschwerdeführer nannte auf die Frage nach seinen besten Sprachkenntnisse, zuerst Dari. Da der Beschwerdeführer anpassungsfähig ist und er seine Muttersprache nicht verlernt hat, geht das Gericht davon aus, dass er sich auch wieder an die sprachlichen Gegebenheiten in Afghanistan anpassen kann.

Das Gericht geht davon aus, dass der Beschwerdeführer ca. im Jahr 2010 Afghanistan verlassen hat und nicht bereits im Alter von 15 Jahren. Der Beschwerdeführer gab bei der Erstbefragung am 15.06.2010 an, dass er zwei Monate zuvor Afghanistan verlassen habe, er sei drei Wochen im Iran geblieben (AS 15). Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261). Das Gericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer nur einige Wochen im Iran verbracht hat und er daher erst im Jahr 2010 Afghanistan verlassen hat. Aufgrund des durchgeführten Altersfeststellungsgutachtens (AS 47) wurde das Mindestgeburtsdatum des Beschwerdeführers mit XXXX festgesetzt. Der Beschwerdeführer hat Afghanistan daher verlassen als er bereits volljährig war.

Dass der Beschwerdeführer mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut ist, ergibt sich daraus, dass er in Afghanistan mit seiner afghanischen Familie aufgewachsen ist, er ist dort zur Schule gegangen, hat dort eine Ausbildung zum Schneider gemacht und dort auch als Schneider gearbeitet. Er hat auch im Iran mit anderen Afghanen gearbeitet. Er hat Afghanistan erst verlassen, als er bereits volljährig war, sodass er nach den afghanischen Gepflogenheiten sozialisiert wurde. Es ist für das Gericht kein Grund ersichtlich, dass diese Gepflogenheiten beim Beschwerdeführer in Vergessenheit geraten seien sollen. Zudem hat der Beschwerdeführer immer noch Kontakt zu seiner Familie in Afghanistan.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers gründen sich auf seine Angaben in der mündlichen Verhandlung (OZ 13, S. 16-17, S. 4).

2.2. Zu den Feststellungen zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich stützen sich auf die Aktenlage, auf die Angaben des Beschwerdeführers und seiner Freundin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie auf die von ihm in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen.

Das Gericht geht jedoch davon aus, dass derzeit keine konkreten Pläne beim Beschwerdeführer und seiner Freundin bestehen, zusammen zu ziehen. Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung an, dass er und seine Freundin gerade eine gemeinsame Wohnung im Zentrum von XXXX suchen würden (OZ 13, S. 14). Die Freundin gab jedoch an, dass sie die derzeitige Wohnaufteilung (am Wochenende beim Beschwerdeführer und unter der Woche bei der Freundin) sehr gut finde (OZ 13, S. 25) und, dass es noch keine konkreten Pläne betreffend eine gemeinsame Wohnung bestehen würden, es wäre für die Freundin sogar eine Option in XXXX zu bleiben (OZ 13, S. 25). Es sind daher für das Gericht keine konkreten Wohnungspläne erkennbar.

Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen ergeben sich aus der Einsicht in das Strafregister sowie aus den im Akt erliegenden Urteilen der Strafgerichte.

Das Gericht geht aufgrund des persönlichen Eindrucks über den Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass er keine Verantwortung für die von ihm zuletzt begangenen Straftaten übernimmt und er diesbezüglich auch keine Reue zeigt. Der Beschwerdeführer stritt mehrfach ab, dass er seine Ex-Freundin verletzt habe, die Verurteilung sei zu Unrecht geschehen. Auch hinsichtlich der Drohnachrichten betonte der Beschwerdeführer mehrmals, dass dies keine Drohungen seien. Auf Vorhalt des Gerichts, ob er den von ihm verfassten Text, aus Sicht einer Frau, nicht doch bedrohlich finde, gab der Beschwerdeführer nur ausweichend an, dass er sich vor Gericht ohnedies entschuldigt habe. Der Beschwerdeführer machte nachstehende Angaben in der mündlichen Verhandlung:

R: Hatten Sie sonst noch Probleme mit der Polizei?

BF: Ja, einmal schon noch.

R: Was ist passiert?

BF: Ich wurde angezeigt, weil jemand behauptet hat, ich hätte ihn bedroht, ich habe niemanden bedroht. Ich habe auch nichts gemacht. Meine Ex-Freundin hat mich angezeigt.

(...)

R: Haben Sie Ihrer Ex-Freundin keine WhatsApp-Nachrichten geschickt?

BF: Doch.

R: Ist Ihnen bewusst, dass Sie auch verurteilt wurden, weil Sie bedrohliche WhatsApp-Nachrichten an Ihre Ex-Freundin geschickt haben?

BF: Ich habe sie nicht bedroht, ich habe Nachrichten geschickt. Ich wollte nicht mit ihr streiten. Ihre ganze Familie, ihre Onkel sind Anwälte und Polizisten, ich habe mich auch bei ihr entschuldigt. Ich habe mich auch vor Gericht bei ihr und ihrer Familie entschuldigt. Ich wollte auch nicht mehr streiten. Es war mein Fehler.

R: Haben Sie Ihrer Ex-Freundin einen Schlag gegen den Hinterkopf gegeben?

BF: Nein. Das habe ich nicht. Ich wollte mir zuerst einen Anwalt nehmen, der mich beschützt, aber ich wollte dann vor Gericht nicht mehr streiten. Wer schlägt eine Frau?

R: Haben Sie der Frau XXXX am 01.02.2017 die in OZ12 genannte WhatsApp-Nachricht geschickt?

BF: Ja, das habe ich so geschickt, aber das ist keine Bedrohung, ich habe niemanden bedroht.

R: Finden Sie nicht, dass das eine Bedrohung ist, wenn Sie einer Frau den Text: "Ich fick dich und ich fick die XXXX . Ich fick dich eh, ich fick das was du hast." schicken?

BF: Ich habe mich vor Gericht entschuldigt. Es war mein Fehler. Ich war unter Stress." (OZ 13, S. 17-18)

Für das Gericht ist hier keine Reue oder Einsicht erkennbar. Die abschließende und ausweichende Angabe, er habe sich vor Gericht entschuldigt und er habe einen Fehler gemacht, erfolgte erst auf mehrfachen Vorhalt des Gerichts und macht nicht den Eindruck, als würde beim Beschwerdeführer tatsächlich Einsicht oder Reue vorliegen.

2.3. Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

2.3.1. Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Kunduz ergeben sich aus den oben angeführten Länderberichten.

2.3.2. Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung an, dass er nicht nach Afghanistan zurückkehren könne, da er nicht wisse wo seine Eltern seien, es gebe Krieg und er wisse nicht, wo er hingehen soll (OZ 13, S. 21). Aus diesen Angaben ist nicht ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan konkret und individuell Lebensgefahr oder ein Eingriff in seine körperliche Integrität drohen würde.

Es ist für das Gericht auch nicht ersichtlich, dass sich der Beschwerdeführer einen "westlicher Lebensstil" angeeignet hätte. Aufgrund des vom Beschwerdeführer in der Beschwerdeverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks ist nach Ansicht des Gerichts nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer eine westliche Lebenseinstellung in einer ihn in Afghanistan exponierenden Intensität übernommen hätte. Es ist auch nicht erkennbar, warum gerade der Beschwerdeführer gegenüber hunderttausend anderen Rückkehrern in eine derart exponierte Lage geraten soll, dass er auf Grund seines Lebensstils oder auf Grund seines Aufenthaltes in einem westlichen Land psychischer oder physischer Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt wäre.

Es ist weder den Angaben des Beschwerdeführers noch den beigezogenen Länderberichten zu entnehmen, dass Rückkehrer aus Europa in besondere Form von Gewalt und Bedrohung betroffen wären, sodass auch eine generelle (Gruppen-)Verfolgung von Rückkehrern aus Europa nicht festgestellt werden konnte.

Der Beschwerdeführer gab selber an, dass er sunnitischer Moslem ist (OZ 13, S. 7). Der Beschwerdeführer ist daher nicht vom Islam abgefallen. Der Beschwerdeführer gab zwar auf Befragung durch seinen Vertreter an, dass er nicht fasten und nicht beten würde, daraus lässt sich jedoch kein Abfall vom Islam oder eine gegen den Islam gerichtete Haltung erkennen - sondern lediglich ein geringes Interesse an der Religion. Die diesbezüglich fehlende Verfolgungsgefahr ergibt sich aus den Länderberichten.

2.3.3. Die Feststellungen zum Aufenthaltsort, zu den Eigentums- und Vermögensverhältnissen sowie zur finanzielle Situation der Familie des Beschwerdeführers in Afghanistan ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers beim Bundesasylamt und dem Asylgerichtshof. Auch hier geht das Gericht davon aus, dass den zeitlich näher zur Ausreise gelegenen Angaben ein höherer Wahrheitsgehalt zukommt. Der Beschwerdeführer gab bei der Erstbefragung an, dass er zwei Schwestern und zwei Brüder habe. Bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 21.09.2010 und vor dem Asylgerichtshof gab der Beschwerdeführer ebenfalls an, dass er zwei Brüder und zwei Schwestern habe (AS 161; AS 431). Dass der Beschwerdeführer in der Verhandlung angab sieben Brüder und drei Schwestern zu haben, ist nicht nachvollziehbar (OZ 13, S. 9). Der Beschwerdeführer gab in der Einvernahme beim Bundesasylamt an, dass die finanzielle Lage seiner Familie durchschnittlich gewesen sei, seine Familie habe eine Landwirtschaft gehabt und Weintrauben angebaut und Landarbeiter angestellt (AS 163). Der Beschwerdeführer gab auch in der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof an, dass seine Familie Grundstücke und ein Eigentumshaus hat und von der Landwirtschaft lebt (AS 431), sodass dies den Feststellungen zugrunde gelegt wurde.

Das Gericht geht davon aus, dass der Beschwerdeführer noch Kontakt zu seiner Familie hat. Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof an, dass er seine Familie mit dem Telefon kontaktieren kann (As 431). Dies steht im Widerspruch zu seinen Angaben in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt, wonach er keinen Kontakt mit seiner Familie habe, da diese kein Telefon besitzen würde (As 163). Die Familie des Beschwerdeführers lebt zudem in der Provinzhauptstadt Kunduz. In urbanen Zentren in Afghanistan sind (Mobil)Telefonnetzwerke vorhanden. Die Angaben des Beschwerdeführers sind nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer gab in der Einvernahme vor dem Bundesamt am 14.01.2019 an, dass seine

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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