TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/20 W186 2127123-1

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Veröffentlicht am 20.02.2020
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Entscheidungsdatum

20.02.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4

Spruch

W186 2127123-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Judith PUTZER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.05.2016, Zl. 1066993600 - 150453792, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.10.2019, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird als unbegründet abgewiesen.

III. Der Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und VI. wird stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist. Dem Beschwerdeführer wird gemäß §§ 54 Abs. 1 Z 2 und Abs. 2, 58 Abs. 2 iVm 55 Abs. 2 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung " für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein volljähriger, männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 04.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am Folgetag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Dabei gab er zum seinem Fluchtgrund befragt an, dass seine Familie aus dem Iran abgeschoben worden sei. Er habe sich illegal im Iran befunden. In Afghanistan würden viele Hazara von der ISIS getötet werden. Aus Angst um sein Leben sei er geflüchtet. Zudem sei ein Bekannter von ihm in Afghanistan inhaftiert worden, weil er christliche Bücher und Zeitschriften in das Land geschmuggelt habe. Der Bekannte habe der Polizei mitgeteilt, dass der BF ihm dabei geholfen hätte. Daraufhin sei die Polizei zum BF nach Hause gekommen und habe nach ihm gesucht.

3. Am 19.01.2016 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) zu seiner Asylantragsstellung niederschriftlich einvernommen.

Zu seinem Fluchtgrund befragt führte der BF aus, dass er neben seinem Job als Schneidergehilfe im Iran noch etwas dazu verdienen habe wollen, nachdem seine Eltern nach Afghanistan abgeschoben worden seien. Der BF habe christliche Bücher und Zeitschriften bis zur iranisch-afghanischen Grenze gebracht. Dort hätten zwei weiterer Personen diese Bücher und Zeitschriften weiter nach Kabul transportiert. Sie seien daraufhin in Kabul verhaftet worden, wobei sie den Namen des BF gegenüber der Polizei genannt hätten. Die Polizei sei daraufhin nach der Rückkehr der Eltern des BF in deren Haus gewesen und hätten nach dem BF gesucht. Sie hätten gedroht, den BF im Falle seiner Rückkehr zu verhaften.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid, der dem BF am 04.05.2016 durch Hinterlegung zugestellt wurde, wies das Bundesamt den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab, erteilte dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG und wies den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan aus (Spruchpunkt III.). Unter einem wurde festgestellt, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist zur freiwilligen Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV).

Mit Verfahrensanordnung vom 02.05.2016, die dem BF mit dem angefochtenen Bescheid zugestellt wurde, wurde dem BF der VEREIN MENSCHENRECHTE ÖSTERREICH als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

5. Der Beschwerdeführer erhob, vertreten durch seinen im Spruch genannten Vertreter, fristgerecht Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 02.05.2016.

Neben der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde beantragt, dass Bundesverwaltungsgericht möge in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und zur neuerlichen Erlassung eines Bescheides an die erste Instanz zurückverweisen; in eventu dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen, die gegen ihn ausgesprochene Rückkehrentscheidung aufheben und dem BF einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilten, allenfalls feststellen, dass die Abschiebung nach Afghanistan unzulässig ist, sowie eine mündliche Verhandlung anberaumen und einen landeskundigen Sachverständigen beauftragen.

6. Das Bundesamt legte den Akt am 27.05.2016, hg. eingelangt am 01.06.2016, dem Bundesverwaltungsgericht vor.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 21.10.2019 eine mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, ein Dolmetscher für die Sprache Dari, der Vertreter des BF sowie ein länderkundiger Sachverständiger teilnahmen. Das Bundesamt blieb der Verhandlung entschuldigt fern.

Die Verhandlung gestaltete sich im Wesentlichen wie folgt:

R: Woher genau aus Afghanistan kommen Sie?

BF: Ich komme aus dem Dorf XXXX , Distrikt Jaghuri, Provinz Ghazni.

R: Welche Schulbildung haben Sie?

BF: Ich habe sechs Jahre im Iran die Schule besucht, weil ich dort gelebt habe. Es war eine

afghanische Schule und keine iranische. D

R: Wo war das?

BF: In Teheran, im Viertel Yafdabad.

R: Können Sie lesen und schreiben?

BF: Ja.

R: Was haben Sie in der Schule gelernt?

BF: Ich habe dort den Koran lesen gelernt. Es wurden dort Theologie, die Sprache Farsi,

Mathematik und andere Fächer unterrichtet.

SV: War das eine staatliche Schule, ein Gymnasium? Welche "Form" hatte die Schule?

BF: Es war eine afghanische Privatschule. Wir wurden von jenen Personen, die gebildet waren,

unterrichtet. Es war keine richtige staatliche Schule. Diese Schule war in einem Gebäude aus

einer Moschee, einem Hamam und einem Schulhaus. Es waren nur Buben in der Schule, es

waren ca. 40 Schüler dort.

RI: Wie alt waren Sie als Sie aus der Schule gegangen sind?

BF: Ca. 12 Jahre.

RI: Was haben Sie dann gemacht?

BF: Ich habe in der Schneiderei gearbeitet.

RI: Haben Sie eine Lehre gemacht?

BF: Ich war zunächst ca. ein Jahr Schneidergehilfe. Nach einem Jahr habe ich selber genäht.

RI: Haben Sie in Teheran mit Ihren Eltern gelebt?

BF: Ja, ich war mit meiner Familie im Iran. Während ich gearbeitet habe, habe ich auf meinem

Arbeitsplatz geschlafen. Ich bin nur am Wochenende nachhause gefahren.

RI: Haben Sie Geschwister?

BF: Ja, ich habe drei Schwestern und einen Bruder, eine Schwester lebt in Österreich.

RI: Wie heißt diese Schwester und seit wann ist Sie in Österreich?

BF: Sie heißt Azizeh Aziza. Sie ist seit ca. fünf Jahren in Österreich.

RI: Wissen Sie, welchen Aufenthaltstitel Ihre Schwester hat?

BF: Sie ist anerkannter Flüchtling.

BF legt in Handyfotografie ein Dokument der Schwester vor (Flüchtlingspass zur Zl. K

1290531).

RI: Wissen Sie, wo Ihre Schwester Asyl bekommen hat? Beim BVwG oder beim BFA?

BF: Beim BFA, glaube ich.

RI: Wo leben Ihre anderen Geschwister?

BF: Meine andere Schwester namens Nadera lebt, glaube ich, in Indonesien. Die anderen zwei

Geschwister sind bei meinen Eltern. Sie wurden zuletzt nach Afghanistan abgeschoben. Ich

glaube, dass sie wieder in den Iran zurückgegangen sind, ich bin mir aber nicht sicher. Ich habe

seit einem Jahr keinen Kontakt mehr.

RI: Sie sind Schiit?

BF: Ja.

RI: Haben Sie mit anderen Religionen Kontakt gehabt?

BF: Ich habe sehr viele Freunde, die Christen sind. Ich bin auch einige Male in die Kirche

gegangen. Ich habe auch mit meinen christlichen Freunden sehr lange diskutiert. Mein bester

Freund ist afghanischer Christ.

RI: Ist der bester Freund in Österreich Christ geworden?

BF: Ja.

SV: Hat Ihr Freund keine Angst, dass Sie ihn verraten könnten, weil er Christ geworden ist?

BF: Nein. Er ist ein guter Mensch. Seitdem ich ihn kenne ist er ein Christ, ich kenn ihn seit drei

Jahren.

RI: Wo lebt Ihr Freund?

BF: Er lebt auch im Burgenland in der Nähe von Oberwart.

RI: Wie oft sehen Sie ihn?

BF: Wir sehen uns jeden Tag, wir sind in der gleichen Schule.

RI: Was machen Sie in Österreich?

BF: Ich besuche die Pflichtschule. Es geht um den Hauptschulabschluss.

RI: Wie lange brauchen Sie noch für den Abschluss?

BF: Man sagte uns, dass wir bis zum Sommer lernen müssen und danach die Prüfung ablegen

werden (2020).

RI: Was wollen Sie nach der Hauptschule machten?

BF: Ich habe mit meinem Schwager (Mann meiner Schwester) gesprochen. Wir werden danach

ein Schneidergeschäft aufmachen.

SV: Erwächst aus der Freundschaft mit Ihrem konvertierten Freund als Moslem kein Problem

für Sie?

BF: Nein. Ich mag auch das Christentum gerne, weil unser Prophet gesagt hat, dass die besten

Freunde der Moslems die Christen sind. Ich habe auch meinem Freund geholfen.

SV: Was würden Ihre Eltern sagen, wenn Sie mit einem Christen befreundet sind? Was sagen

andere Moslems in Ihrem Umfeld dazu?

BF: Es ist ein paar Mal vorgefallen, dass die Leute uns gegenüber sich anders verhalten haben.

Betroffen war mein Freund, sie haben ich nicht gemocht. Mittlerweile sind diese Personen

nicht mehr in diesem Heim.

RI wiederholt die Frage.

BF: Nein, ich habe sehr viele konvertierte Freunde hier. Von meinen Eltern kann ich nichts

sagen, da ich ein Jahr keinen Kontakt mehr habe. Meine Schwester ist eine frei denkende Frau,

sie hat kein Problem damit. Meine Schwester weiß nicht viel über meine konvertierten

Freunde. Wenn sie es wüsste, würde sie keine Schwierigkeiten machen.

RI: Warum sind Sie aus Afghanistan bzw. dem Iran geflüchtet und nach Österreich gekommen?

BF: Meine Eltern wollten zur Hochzeit meiner Cousine nach Varamin (anderen Viertel von

Teheran) fahren. Sie wurden von der Polizei kontrolliert. Sie haben sich illegal aufgehalten und

hatten keine Dokumente. Sie wurden nach Afghanistan abgeschoben. Ich war damals nicht

mit ihnen zusammen, weil ich gearbeitet habe. Während ich im Iran geblieben bin, musste ich

meine Familie finanziell unterstützen und ich habe Geld gebraucht. Ein Freund von mir namens Ali hat mir einen Vorschlag gemacht. Er sagte, dass er für mich eine Arbeit habe und

ich dabei gut verdienen könne. Ich habe christliche Zeitungen und Zeitschriften bis zur Grenze

nach Zabul gebracht und zwei anderen Personen übergeben, die diese nach Kabul gebracht

haben. Diese zwei Personen wurden in Kabul festgenommen. Ich musste meinem Vater Geld

schicken, weil er an Diabetes und Bluthochdruck gelitten hat.

SV: Sie wissen, dass im Iran die Todesstrafe auf solche Aktion verhängt wird? Das ist im Iran

gefährlicher als in Afghanistan.

BF: Damals wusste ich davon nichts, weil ich zu jung war.

RI: Warum sind Ihre Eltern in den Iran ausgewandert/geflüchtet?

BF: Ich weiß nicht, warum sie in den Iran gegangen sind. Ich war ein Kind. Ich habe sie nie

danach gefragt. Ich weiß nur, dass mein Vater für die Behörde, die für den Haj und die

Pilgerfahrt zuständig ist, gearbeitet hat. Er war kein Mullah.

RI: Welchen Beruf hatte Ihr Vater?

BF: Er hat im Büro gearbeitet und hat denjenigen geholfen, die eine Pilgerreise machen

wollten. Das war noch in Afghanistan.

RI: Wovon hat er im Iran gelebt?

BF: Er hat in einem Steinmetz gearbeitet, sie haben Platten für Tische und andere Sachen

hergestellt.

RI: Hat Ihr Vater und Ihre Mutter lesen und schreiben gelernt?

BF: Ja, aber meine Mutter sehr wenig.

RI: Sind Sie Hazara?

BF: Ja.

RI: Von welchem Stamm sind Sie?

BF: Ich weiß, dass wir aus Jaghuri, Ghazni stammen.

SV: Wie alt waren Sie, als Sie diese Zeitschriften nach Zabul gebracht haben?

BF: Ca. 14 Jahre.

SV: Haben Sie mit Ihrem Vater im Steinmetz gearbeitet oder anderswo, als Sie ca. 14 Jahre alt

waren?

BF: Ich habe in dieser Schneiderei gearbeitet.

SV: Haben Sie gehört, dass Afghanen auf Grund bestimmter Delikte im Iran aufgehängt

werden?

BF: Ja, damals. Drogenschmuggler wurden damals aufgehängt.

RI: Was waren das für christliche Schriften?

BF: Sie waren verpackt. Ich weiß nur, dass es Zeitschriften waren, sie waren aber zugeschnürt.

RI: Haben Sie gewusst, dass es christliche Zeitschriften sind?

BF: Ja.

SV: Aber Sie wussten nicht, dass es eine Straftat ist?

BF: Ich wusste nicht, dass das problematisch ist, aber es hat mir persönlich nichts ausgemacht,

weil ich der Meinung war, dass jeder diese Zeitschriften lesen sollte.

RI: Warum?

BF: Jeder sollte Informationen über andere Religionen haben. Zumindest sollte man ein

bisschen über alle Religionen wissen. Ich habe selber mit Christen auch diskutiert.

RI: Das war ja viel später.

BF: Ich habe auch im Iran ein christliches Buch gelesen. Ich habe einen Mann gebeten, es mir

zu bringen. Ich habe die Bibel in "Injil Mata" gelesen. Als ich dann nach Griechenland war,

habe ich auch Kirchen besucht. Dort waren Afghanen, die sich ausgekannt haben. In dieser

Injil Mata habe ich viel über das Leben von Jesus und seine Taten gelesen.

SV: Wenn Sie im Iran schon die Bibel gelesen haben, wie konnten Sie nicht wissen, dass darauf

die Todesstrafe steht. Moslems lernen seit Ihrem 6. Lebensjahr, dass sie den Islam nicht

verlassen dürfen, dass darauf die Todesstrafe steht.

BF: Es gibt im Iran viele Kirchen. Es gibt dort auch im Viertel Qiam Dasht einen christlichen

Friedhof. Es sind sehr viele Leute, die Christen sind. Es gibt die Volksgruppe der Armenier, die

seit tausenden von Jahren Christen sind und dort leben. Ich bin seit meiner Kindheit nicht in der Moschee gewesen. Ich bin kein religiöser Moslem und wusste nichts davon, auch nicht,

dass es so eine harte Strafe gibt.

RI: Wovor würden Sie sich fürchten, wenn Sie theoretisch nach Afghanistan zurückkehren

müssten?

BF: Ich habe noch nicht alles fertig erzählt. Die beiden Personen, die in Kabul festgenommen

wurde, kannten meine Anschrift und Adresse in Kabul, damit meine ich damals aktuelle

Adresse meiner Eltern. Ich habe Pakete meinem Vater geschickt. Sie sind darauf gekommen

und haben nach mir gefragt. Meine Eltern wurden mehrmals von der Polizei einvernommen.

Mein Vater hat daraufhin mit mir Kontakt aufgenommen und hat gefragt, was ich getan habe,

weil die Polizei bei ihnen gewesen ist. Ich habe gesagt, ich weiß nicht, was ich getan haben

soll, ich bin ja nicht bei euch. Mein Vater hat über seine Freunde, mit denen er damals bei der

Hadsch-Behörde gearbeitet hat, nachgefragt. Manche von ihnen hatten Kontakte zur Polizei.

Sie haben herausgefunden, dass Freunde von mir festgenommen worden sind, für die ich die

christlichen Zeitungen geschickt habe.

RI: In welchem Jahr war das?

BF: 2013.

SV: Wie viele Kilo waren das, wenn Sie Pakete geschickt haben?

BF: Meinem Vater habe ich Medikamente geschickt. Die Zeitschriften waren in Paketen von

ca. 6 Kilo.

RI: Wie oft war das?

BF: Das war im Monat drei- viermal. Das habe ich ca. sechs Monate gemacht.

SV: Wo hat Ihr Vater das abgeholt in Kabul?

BF: Meinem Vater habe ich nur Medikamente geschickt. Die Zeitschriften habe ich nach Zabul

gebracht und die wurden von anderen Personen übernommen. Wir waren zu dritt, wenn wir

die Zeitschriften dorthin gebracht haben.

RI: Wo sind Ihre Eltern jetzt?

BF: Vor ca. einem Jahr habe ich mit ihnen Kontakt gehabt. Da waren sie in Afghanistan.

RI: Weiß Ihre Schwester vielleicht mehr?

BF: Meine Schwester hat auch keinen Kontakt zu ihren Eltern.

SV: Ihr Vater ist ja bekannt, als Mitglied einer wichtigen Behörde (Hadsch). Das sind sicher

religiöse Leute, die dort arbeiten. Hat eine solche Person, wie ihr Vater, die Polizei nicht davon

überzeugen können, dass sein Sohn noch dazu als sehr junger Mensch so "etwas" nicht

macht?

BF: Mein Vater hat vor seiner Ausreise damals in den Iran für die Pilgerbehörde gearbeitet.

Nach dem er aus dem Iran zurückgekehrt ist, hat er als ein einfacher Taglöhner auf der Straße

auf eine Arbeit gewartet.

RI: Ich habe Sie vorher gefragt, wovor Sie sich bei einer Rückkehr nach Afghanistan fürchten.

BF: Ich kann nicht mehr nach Afghanistan zurückkehren, weil mein Leben dort in Gefahr ist.

Die Polizei weiß, was ich getan habe. Unsere Nachbarn in Afghanistan wissen auch davon.

Soweit ich weiß, besteht für das, was ich getan habe, 20 Jahre Haft bzw. droht mir die

Steinigung. Die Steinigung, die auch Fakhunda passiert ist, als sie am Tag von Personen

gesteinigt und verbrannt wurde, weil sie angeblich nicht an den Koran geglaubt hat. Das war

in Kabul. Soweit ich weiß, wurde vor vier Jahren auch eine afghanische Konvertitenfamilie, die

aus Italien nach Afghanistan gereist ist, festgenommen. Schließlich mussten einige Anwälte

aus Italien einfliegen, um die Familie frei zu bekommen.

RI: Sie waren damals 14. Es gibt sicher nicht viele Informationen über sie und ihre Nachbarn

sind wahrscheinlich auch nicht mehr da. Es ist schließlich über sieben Jahre her, warum

glauben Sie, dass Sie im Blickfeld einer Verfolgung sind?

BF: Als ich im letzten Jahr mit meinem Vater gesprochen habe, sagte er, dass die Nachbarn

alle wissen, was ich getan habe und alle behaupten, dass ich Christ geworden sei. Mein Vater

war sehr aufgebracht und hat gesagt, dass auch "ein Ei von mir faul geworden ist." (dass sein

Kind vom Islam abgefallen ist), dass er meinetwegen diese Probleme hatte. Wie ich schon

gesagt habe, habe ich auch mit der Polizei dort Probleme bekommen.

RI: Meinen Sie die Nachbarn in Kabul oder in Jaghuri?

BF: Die Nachbarn in Kabul, in Dasth-e Barchi.

RI: Warum haben Sie keinen Kontakt mehr zu Ihrem Vater?

BF: Mein Vater hat den Kontakt zu mir abgebrochen, weil er behauptet hatte, dass ich Christ

geworden bin und meinetwegen Probleme bekommen hat. Ich glaube, dass ich nichts Schlechtes gemacht habe. Ich habe Zeitungen geschickt, damit Leute darüber erfahren. Jeder

soll etwas über Religion wissen und darüber entscheiden können.

RI: Sie waren aber 14 als Sie das gemacht haben und erst vor einem Jahr hat Ihr Vater mit

Ihnen "gebrochen". Wie kommt das?

BF: Vorher hatte ich schon Kontakt zu meiner Familie und habe auch mit meiner Mutter

gesprochen. Vor einem Jahr hat er mir dann gesagt, dass alle Nachbarn dort von mir wissen

und dass ich sie entehrt hätte und er meinetwegen sein Gesicht verloren hätte.

RI: Wovon leben Sie in Österreich?

BF: Ich besuche den Hauptschulabschlusskurs. Ich habe mehrere Arbeitsstellen gefunden. Ich

wollte arbeiten, aber habe vom AMS und anderen Stellen Absagen bekommen, weil ich nicht

durfte. Derzeit wohne ich in einem Heim und bekomme staatliche Unterstützung von 49 ? pro

Woche. Soweit ich durfte, habe ich auch bei der Gemeinde gearbeitet. Ich habe mich

erkundigt, ich darf im Monat bis zu 120 ? verdienen. Ich habe auch bei Privaten gearbeitet.

RI: Wie gut können Sie Deutsch? Haben Sie eine Prüfung gemacht?

BF (auf Deutsch): Ich habe nur A1, weil wir zwei Jahre im Dorf keinen Kurs hatten. Das Dorf ist

zu weit entfernt von einem Kurs.

RI: Können Sie eine Zeitung in Deutsch lesen?

BF (auf Deutsch): Nicht so gut, ich kann im Dorf nicht so viel sprechen, weil zu wenig Kontakt.

RI stellt fest, dass der BF sich verständlich ausdrücken kann, wenngleich er nicht fließend

Deutsch spricht.

RI: Zu wem haben Sie Kontakt in Ihrem Dorf?

BF: Zu den beiden, die mit mir mitgekommen sind. Ich kenne auch eine Frau Edith in

Redllschlag (6 Kilometer von Bernstein entfernt, keine Busverbindung, BF muss viel zu Fuß

gehen, um in die "Zivilisation" zu kommen).

Bei den anwesenden Vertrauenspersonen handelt es sich um Frau Ursula PAMMERMUNGITSCH

und Gabriel PAMMER.

RI: Gehen Sie manchmal in eine christliche Kirche im Burgenland?

BF: Ich bin einige Male dort gewesen. Ich gehe dort meine konvertierten Freunde treffen.

RI: Haben Sie schon einmal überlegt, ob Sie Christ werden wollen oder sind Sie nicht derart

religiöser Mensch?

BF: Ich habe einige Male darüber nachgedacht, aber ich möchte mich weiterhin informieren.

RI an BFV: Haben Sie Fragen an den BF?

BFV: Nein, danke.

RI: Ich habe im Akt gesehen, dass Sie in Griechenland ziemliche lange im Gefängnis waren.

Warum?

BF: Ja, wegen illegaler Einreise. Sie sind der Meinung, dass sie jemanden bis zu 18 Monate

festhalten können. Ich war mit einigen anderen Personen acht Monate in Haft. Es gab dann

einen Wechsel des Premierministers, eine Gesetzesänderung und ich bin letztlich freigelassen

worden, aber war noch zwei Monate danach in Haft.

RI: Trifft es zu, dass Sie so wie aus dem Akt ersichtlich, in Afghanistan keine "Wurzeln" haben?

BF: Ja, das ist richtig. Ich habe in Afghanistan nie gelebt, ich kenne mich mit den Menschen

dort nicht aus. Wie Sie wissen, ist es dort unsicher und es kommen viele Leute ums Leben. Die

UNO hat einen Bericht veröffentlicht dem zu Folge letztes Jahr ca. 2.500 Zivilisten in

Afghanistan zu Tode gekommen sind. Vor drei Tagen sind 63 Tote und mehrere Verletzte

verzeichnet worden.

RI: Abgesehen von den acht Monaten Haft, können Sie sich erinnern, wann Sie aus dem Iran

geflüchtet und wie lange Sie in Europa sind?

BF: Den Iran habe ich vor ca. fünfeinhalb Jahren verlassen. Ich habe vom Iran bis nach

Österreich ein Jahr gebraucht. Ich war auch einen Monat in Haft in der Türkei.

RI: Können Sie mir den Namen Ihres Freundes sagen, der konvertiert ist?

BF: Ibrahim GHAFARI. Ich kann auch andere nennen, Jafar SULTANI, Said Reza HOSSEINI, er

lebt in Eisenstadt.

RI: Weiß Ihre Schwester, dass Sie heute hier sind?

BF: Ja. Meine Schwester wollte kommen, aber da ihr Mann in der Arbeit war, musste sie die

Kinder in den Kindergarten bringen und konnte nicht."

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige BF führt den im Spruch genannten Namen und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an, bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben und spricht Dari. Er ist ledig und hat keine Kinder.

Der BF wurde in Kabul, Dashte Barchi, geboren. Mit 1,5 Jahren verließ der BF mit seinen Eltern Afghanistan und zog in den Iran, wo er sich bis zu seiner Ausreise nach Europa aufhielt.

Der BF besuchte im Iran sechs Jahre lang die Grundschule und kann lesen und schreiben. Er arbeitet im Iran in einer Schneiderei.

Die Eltern des BF sowie zwei weitere Geschwister halten sich mittlerweile wieder in Afghanistan auf. Der BF hält seit einem Jahr keinen Kontakt mehr zu ihnen.

Eine Schwester des BF hält sich mit ihren Kindern und ihrem Ehemann als anerkannter Flüchtling im Bundesgebiet auf.

Der BF bezieht im Bundesgebiet Leistungen aus der Grundversorgung. Er absolviert aktuell den Pflichtschulabschluss an der VHS Burgenland.

Der BF ist im Bundesgebiet strafgerichtlich unbescholten. Er übernahm des Öfteren Hilfsarbeiten bei seiner Wohnsitzgemeinde wahr.

Darüber hinaus absolvierte der BF den Werte- und Orientierungskurs des ÖIF, sowie das ÖSD Zertifikat der Niveaustufe A1.

Der BF hat zahlreiche private und soziale Kontakte in der österreichischen Gesellschaft geschlossen.

Er ist gesund und leidet an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Es konnte vom BF nicht glaubhaft vermittelt werden, dass konkret er in seinem Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt war oder im Falle der Rückkehr ausgesetzt wäre:

1.2.1. Der BF wird im Herkunftsstaat nicht aufgrund des Umstandes, dass er christliche Schriften und Bücher zur iranisch-afghanische Grenze gebracht hat, von den afghanischen Behörden verfolgt.

1.2.2. Eine Verfolgung aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit zu den Hazara hat der BF ebenfalls nicht glaubhaft dargelegt.

1.2.3. Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret der Beschwerdeführer auf Grund der Tatsache, dass er lange Zeit im Iran gelebt hat, in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Dem BF würde bei einer Rückkehr in die Provinz Kabul ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Der BF hat jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass ihm im Fall einer Rückkehr in Stadt Mazar-e Sharif ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde oder er Gefahr liefe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine auswegslose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der BF ist ein junger, gesunder Mann im erwerbsfähigen Alter. Dass sein allgemeiner Gesundheitszustand erheblich beeinträchtigt wäre, hat der BF im Verfahren weder behauptet, noch ist es dem erkennenden Gericht sonst bekannt geworden. Es ist daher anzunehmen, dass der BF im Herkunftsstaat in der Lage sein wird, sich notfalls mit Hilfstätigkeiten ein ausreichendes Auskommen zu sichern und daher nicht in eine hoffnungslose Lage zu kommen, zumal er über langjährige Schulbildung verfügt und Arbeitserfahrung in einer Schneiderei hat. Auch aufgrund seiner familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan ist anzunehmen, dass er nicht in eine existenzgefährdende Situation geraten wird.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

1.4.1. Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundes-verwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 04.06.2019, wiedergegeben:

Politische Lage

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und im Jahr 2004 angenommen (BFA Staatendokumentation 7.2016; vgl. Casolino 2011). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahr 1964. Bei der Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015). Nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2014 einigten sich die beiden Kandidaten Ashraf Ghani und Abdullah Abdullah Mitte 2014 auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) (AM 2015; vgl. DW 30.9.2014). Mit dem RNE-Abkommen vom 21.9.2014 wurde neben dem Amt des Präsidenten der Posten des CEO (Chief Executive Officer) eingeführt, dessen Befugnisse jenen eines Premierministers entsprechen. Über die genaue Gestalt und Institutionalisierung des Postens des CEO muss noch eine loya jirga [Anm.: größte nationale Versammlung zur Klärung von wichtigen politischen bzw. verfassungsrelevanten Fragen] entscheiden (AAN 13.2.2015; vgl. AAN o.D.), doch die Einberufung einer loya jirga hängt von der Abhaltung von Wahlen ab (CRS 13.12.2017).

Die afghanische Innenpolitik war daraufhin von langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Regierungslagern unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah geprägt. Kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 wurden schließlich alle Ministerämter besetzt (AA 9.2016)

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus dem Unterhaus, auch wolesi jirga, "Kammer des Volkes", genannt, und dem Oberhaus, meshrano jirga auch "Ältestenrat" oder "Senat" genannt. Das Unterhaus hat 250 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz im Unterhaus reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 20.4.2018, USDOS 15.8.2017, CRS 13.12.2017, Casolino 2011). Die Mitglieder des Unterhauses haben ein Mandat von fünf Jahren (Casolino 2011). Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von ca. 25% im Unterhaus (AAN 22.1.2017).

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze (IPU 27.2.2018). Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für behinderte Personen bestimmt. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 20.4.2018; vgl. USDOS 15.8.2017).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leider die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 5.2018).

Die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen konnten wegen ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden. Daher bleibt das bestehende Parlament weiterhin im Amt (AA 9.2016; vgl. CRS 12.1.2017). Im September 2016 wurde das neue Wahlgesetz verabschiedet und Anfang April 2018 wurde von der unabhängigen Wahlkommission (IEC) der 20. Oktober 2018 als neuer Wahltermin festgelegt. Gleichzeitig sollen auch die Distriktwahlen stattfinden (AAN 12.4.2018; vgl. AAN 22.1.2017, AAN 18.12.2016).

Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 15.8.2017). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (AE o.D.). Der Terminus "Partei" umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren, denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf strukturelle Elemente (wie z.B. das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9.2016). Ein hoher Grad an Fragmentierung sowie eine Ausrichtung auf Führungspersönlichkeiten sind charakteristische Merkmale der afghanischen Parteienlandschaft (AAN 6.5.2018).

Mit Stand Mai 2018 waren 74 Parteien beim Justizministerium (MoJ) registriert (AAN 6.5.2018).

(...)

Friedens- und Versöhnungsprozess:

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews 16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3. "Sicherheitslage").

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000 Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH 10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).

Sicherheitslage

Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (UNGASC 27.2.2018).

Für das Jahr 2017 registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) landesweit 29.824 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahresvergleich wurden von INSO 2016 landesweit 28.838 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert und für das Jahr 2015 25.288. Zu sicherheitsrelevanten Vorfällen zählt INSO Drohungen, Überfälle, direkter Beschuss, Entführungen, Vorfälle mit IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und andere Arten von Vorfällen (INSO o.D.).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/ Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße) (USDOD 12.2017). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen (UN) Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (UNGASC 10.8.2017).

Die Zahl der Luftangriffe hat sich im Vergleich zum Jahr 2016 um 67% erhöht, die gezielter Tötungen um 6%. Ferner hat sich die Zahl der Selbstmordattentate um 50% erhöht.Östlichen Regionen hatten die höchste Anzahl an Vorfällen zu verzeichnen, gefolgt von südlichen Regionen. Diese beiden Regionen zusammen waren von 55% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle betroffen (UNGASC 27.2.2018). Für den Berichtszeitraum 15.12.2017 - 15.2.2018 kann im Vergleich zum selben Berichtszeitraum des Jahres 2016, ein Rückgang (-6%) an sicherheitsrelevanten Vorfällen verzeichnet werden (UNGASC 27.2.2018).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren (USDOD 12.2017). Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt; vgl. AAN 6.6.2018) bedrohen - ein signifikanter Meilenstein für die ANDSF (USDOD 12.2017; vgl. UNGASC 27.2.2018); diesen Meilenstein schrieben afghanische und internationale Sicherheitsbeamte den intensiven Luftangriffen durch die afghanische Nationalarmee und der Luftwaffe sowie verstärkter Nachtrazzien durch afghanische Spezialeinheiten zu (UNGASC 27.2.2018).

Die von den Aufständischen ausgeübten öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe in städtischen Zentren beeinträchtigten die öffentliche Moral und drohten das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Trotz dieser Gewaltserie in städtischen Regionen war im Winter landesweit ein Rückgang an Talibanangriffen zu verzeichnen (UNGASC 27.2.2018). Historisch gesehen gehen die Angriffe der Taliban im Winter jedoch immer zurück, wenngleich sie ihre Angriffe im Herbst und Winter nicht gänzlich einstellen. Mit Einzug des Frühlings beschleunigen die Aufständischen ihr Operationstempo wieder. Der Rückgang der Vorfälle im letzten Quartal 2017 war also im Einklang mit vorangegangenen Schemata (LIGM 15.2.2018).

Anschläge bzw. Angriffe und Anschläge auf hochrangige Ziele

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat (IS) verübten auch weiterhin "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben (USDOD 12.2017; vgl. SBS 28.2.2018, NZZ 21.3.2018, UNGASC 27.2.2018). Möglicherweise sehen Aufständische Angriffe auf die Hauptstadt als einen effektiven Weg, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu untergraben, anstatt zu versuchen, Territorium in ländlichen Gebieten zu erobern und zu halten (BBC 21.3.2018).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht (USDOD 12.2017). In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt (AJ 24.2.2018; vgl. Slate 22.4.2018). Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch Aufständische in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden (BBC 21.3.2018); auch wurden in der Hauptstadt verstärkt Spezialoperationen durchgeführt, wie auch die Bemühungen der US-Amerikaner, Terroristen zu identifizieren und zu lokalisieren (WSJ 21.3.2018).

Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert (TG 29.1.2018; vgl. BBC 29.1.2018); auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen (The Guardian 24.1.2018). Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant (AP 30.1.2018).

Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (AJ 22.5.2018; AD 20.5.2018).

Registriert wurde auch eine Steigerung öffentlichkeitswirksamer gewalttätiger Vorfälle (UNGASC 27.2.2018), von denen zur Veranschaulichung hier auszugsweise einige Beispiele wiedergegeben werden sollen (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste enthält öffentlichkeitswirksame (high-profile) Vorfälle sowie Angriffe bzw. Anschläge auf hochrangige Ziele und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit).

* Selbstmordanschlag vor dem Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung (MRRD) in Kabul: Am 11.6.2018 wurden bei einem Selbstmordanschlag vor dem Eingangstor des MRRD zwölf Menschen getötet und 30 weitere verletzt. Quellen zufolge waren Frauen, Kinder und Mitarbeiter des Ministeriums unter den Opfern (AJ 11.6.2018). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (Reuters 11.6.2018; Gandhara 11.6.2018).

* Angriff auf das afghanische Innenministerium (MoI) in Kabul: Am 30.5.2018 griffen bewaffnete Männer den Sitz des MoI in Kabul an, nachdem vor dem Eingangstor des Gebäudes ein mit Sprengstoff geladenes Fahrzeug explodiert war. Bei dem Vorfall kam ein Polizist ums Leben. Die Angreifer konnten nach einem zweistündigen Gefecht von den Sicherheitskräften getötet werden. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Angriff (CNN 30.5.2018; vgl. Gandhara 30.5.2018)

* Angriff auf Polizeistützpunkte in Ghazni: Bei Taliban-Anschlägen auf verschiedene Polizeistützpunkte in der afghanischen Provinz Ghazni am 21.5.2018 kamen mindestens 14 Polizisten ums Leben (AJ 22.5.2018).

* Angriff auf Regierungsbüro in Jalalabad: Nach einem Angriff auf die Finanzbehörde der Provinz Nangarhar in Jalalabad kamen am 13.5.2018 mindestens zehn Personen, darunter auch Zivilisten, ums Leben und 40 weitere wurden verletzt (Pajhwok 13.5.2018; vgl. Tolonews 13.5.2018). Die Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (AJ 13.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich der Islamische Staat (IS) zum Angriff (AJ 13.5.2018).

* Angriff auf Polizeireviere in Kabul: Am 9.5.2018 griffen bewaffnete Männer jeweils ein Polizeirevier in Dasht-e-Barchi und Shar-i-Naw an und verursachten den Tod von zwei Polizisten und verwundeten sechs Zivilisten. Auch wurden Quellen zufolge zwei Attentäter von den Sicherheitskräften getötet (Pajhwok 9.5.2018). Der IS bekannte sich zum Angriff (Pajhwok 9.5.2018; vgl. Tolonews 9.5.2018).

* Selbstmordangriff in Kandahar: Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Konvoi der NATO-Truppen in Haji Abdullah Khan im Distrikt Daman der Provinz Kandahar sind am 30.4.2018 elf Kinder ums Leben gekommen und 16 weitere Menschen verletzt worden; unter den Verletzten befanden sich u.a. rumänische Soldaten (Tolonews 30.4.2018b; vgl. APN 30.4.2018b, Focus 30.4.2018, IM 30.4.2018). Weder der IS noch die Taliban reklamierten den Anschlag für sich (Spiegel 30.4.2018; vgl. Tolonews 30.4.2018b).

* Doppelanschlag in Kabul: Am 30.4.2018 fand im Bezirk Shash Derak in der Hauptstadt Kabul ein Doppelanschlag statt, bei dem Selbstmordattentäter zwei Explosionen verübten (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Die erste Detonation erfolgte in der Nähe des Sitzes des afghanischen Geheimdienstes (NDS) und wurde von einem Selbstmordattentäter auf einem Motorrad verübt; dabei wurden zwischen drei und fünf Menschen getötet und zwischen sechs und elf weitere verletzt (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b); Quellen zufolge handelte es sich dabei um Zivilisten (Focus 30.4.2018). Die zweite Detonation ging von einem weiteren Selbstmordattentäter aus, der sich, als Reporter getarnt, unter die am Anschlagsort versammelten Journalisten, Sanitäter und Polizisten gemischt hatte (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018b, Pajhwok 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Dabei kamen u.a. zehn Journalisten ums Leben, die bei afghanischen sowie internationalen Medien tätig waren (TI 1.5.2018; vgl. AJ 30.4.2018, APN 30.4.2018a,). Bei den beiden Anschlägen sind Quellen zufolge zwischen 25 und 29 Personen ums Leben gekommen und 49 verletzt worden (AJ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a, DZ 30.4.2018, Tolonews 30.4.2018a). Der IS bekannte sich zu beiden Angriffen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a). Quellen zufolge sind Geheimdienstmitarbeiter das Ziel des Angriffes gewesen (DZ 30.4.2018; vgl. APN 30.4.2018a).

* Angriff auf die Marshal Fahim Militärakademie: Am 29.1.2018 attackierten fünf bewaffnete Angreifer einen militärischen Außenposten in der Nähe der Marshal Fahim Militärakademie (auch bekannt als Verteidigungsakademie), die in einem westlichen Außendistrikt der Hauptstadt liegt. Bei dem Vorfall wurden mindestens elf Soldaten getötet und 15 weitere verletzt, bevor die vier Angreifer getötet und ein weiterer gefasst werden konnten. Der IS bekannte sich zu dem Vorfall (Reuters 29.1.2018; vgl. NYT 28.1.2018).

* Bombenangriff mit einem Fahrzeug in Kabul: Am 27.1.2018 tötete ein Selbstmordattentäter der Taliban mehr als 100 Menschen und verletzte mindestens 235 weitere (Reuters 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018). Eine Bombe - versteckt in einem Rettungswagen - detonierte in einem schwer gesicherten Bereich der afghanischen Hauptstadt (TG 27.1.2018; vgl. TG 28.1.2018) - dem sogenannten Regierungs- und Diplomatenviertel (Reuters 27.1.2018).

* Angriff auf eine internationale Organisation (Save the Children - SCI) in Jalalabad: Am 24.1.2018 brachte ein Selbstmordattentäter ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug am Gelände der Nichtregierungsorganisation (NGO) Save The Children in der Provinzhauptstadt Jalalabad zur Explosion. Mindestens zwei Menschen wurden getötet und zwölf weitere verletzt; der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 24.1.2018; vgl. Reuters 24.1.2018, TG 24.1.2018).

* Angriff auf das Hotel Intercontinental in Kabul: Am 20.1.2018 griffen fünf bewaffnete Männer das Luxushotel Intercontinental in Kabul an. Der Angriff wurde von afghanischen Truppen abgewehrt, nachdem die ganze Nacht um die Kontrolle über das Gebäude gekämpft worden war (BBC 21.1.2018; vgl. DW 21.1.2018). Dabei wurden mindestens 14 Ausländer/innen und vier Afghan/innen getötet. Zehn weitere Personen wurden verletzt, einschließlich sechs Mitglieder der Sicherheitskräfte (NYT 21.1.2018). 160 Menschen konnten gerettet werden (BBC 21.1.2018). Alle fünf Angreifer wurden von den Sicherheitskräften getötet (Reuters 20.1.2018). Die Taliban bekannten sich zu dem Angriff (DW 21.1.2018).

* Selbstmordattentat mit einem mit Sprengstoff beladenen Tanklaster: Am 31.5.2017 kamen bei einem Selbstmordattentat im hochgesicherten Diplomatenviertel Kabuls mehr als 150 Menschen ums Leben, mindestens 300 weitere wurden schwer verletzt (FAZ 6.6.2017; vgl. AJ 31.5.2017, BBC 31.5.2017; UN News Centre 31.5.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (FN 7.6.2017).

Angriffe gegen Gläubige und Kultstätten

Registriert wurde eine steigende Anzahl der Angriffe gegen Glaubensstätten, religiöse Führer sowie Gläubige; 499 zivile Opfer (202 Tote und 297 Verletzte) waren im Rahmen von 38 Angriffen im Jahr 2017 zu verzeichnen. Die Anzahl dieser Art Vorfälle hat sich im Gegensatz zum Jahr 2016 (377 zivile Opfer, 86 Tote und 291 Verletzte bei 12 Vorfällen) verdreifacht, während die Anzahl ziviler Opfer um 32% gestiegen ist (UNAMA 2.2018). Auch verzeichnete die UN in den Jahren 2016 und 2017 Tötungen, Entführungen, Bedrohungen und Einschüchterungen von religiösen Personen - hauptsächlich durch regierungsfeindliche Elemente. Religiösen Führern ist es nämlich möglich, durch ihre Predigten öffentliche Standpunkte zu verändern, wodurch sie zum Ziel von regierungsfeindlichen Elementen werden (UNAMA 7.11.2017). Ein Großteil der zivilen Opfer waren schiitische Muslime. Die Angriffe wurden von regierungsfeindlichen Elementen durchgeführt - hauptsächlich dem IS (UNAMA 7.11.2017; vgl. UNAMA 2.2018). Es wurden aber auch Angriffe auf sunnitische Moscheen und religiöse Führer ausgeführt (TG 20.10.2017; vgl. UNAMA 7.11.2017)

Diese serienartigen und gewalttätigen Angriffe gegen religiöse Ziele, haben die afghanische Regierung veranlasst, neue Maßnahmen zu ergreifen, um Gebetsstätten zu beschützen: landesweit wurden 2.500 Menschen rekrutiert und bewaffnet, um 600 Moscheen und Tempel vor Angriffen zu schützen (UNGASC 20.12.2017).

Zur Veranschaulichung werden im Folgenden auszugsweise einige Beispiele von Anschlägen gegen Gläubige und Glaubensstätten wiedergegeben (Anmerkung der Staatendokumentation: Die folgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit)

* Angriff auf Treffen der Religionsgelehrten in Kabul: Am 4.6.2018 fand während einer loya jirga zwischen mehr als 2.000 afghanischen Religionsgelehrten, die durch eine Fatwa zur Beendigung der Gewalt aufriefen, ein Selbstmordanschlag statt. Bei dem Angriff kamen 14 Personen ums Leben und weitere wurden verletzt (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 5.6.2018). Quellen zufolge bekannte sich der IS zum Angriff (Reuters 5.6.2018; vgl. RFE/RL 5.6.2018).

* Angriff auf Kricket-Stadion in Jalalabad: Am 18.5.2018, einem Tag nach Anfang des Fastenmonats Ramadan, kamen bei einem Angriff während eines Kricket-Matchs in der Provinzhauptstadt Nangarhars Jalalabad mindestens acht Personen ums Leben und mindestens 43 wurden verletzt (TRT 19.5.2018; vgl. Tolonews 19.5.2018, TG 20.5.2018). Quellen zufolge waren das direkte Ziel dieses Angriffes zivile Zuschauer des Matchs (TG 20.5.2018; RFE/RL 19.5.2018), dennoch befanden sich auch Amtspersonen unter den Opfern (TNI 19.5.2018). Quellen zufolge bekannte sich keine regierungsfeindliche Gruppierung zum Angriff (RFE/RL 19.5.2018); die Taliban dementierten ihre Beteiligung an dem Anschlag (Tolonews 19.5.2018; vgl. TG 20.5.2018) .

* Selbstmordanschlag während Nowruz-Feierlichkeiten: Am 21.3.2018 (Nowruz-Fest; persisches Neujahr) kam es zu einem Selbstmordangriff in der Nähe des schiitischen Kart-e Sakhi-Schreins, der von vielen afghanischen Gemeinschaften - insbesondere auch der schiitischen Minderheit - verehrt wird. Sie ist ein zentraler Ort, an dem das Neujahrsgebet in Kabul abgehalten wird. Viele junge Menschen, die tanzten, sangen und feierten, befanden sich unter den 31 getöteten; 65 weitere wurden verletzt (BBC 21.3.2018). Die Feierlichkeiten zu Nowruz dauern in Afghanistan mehrere Tage und erreichen ihren Höhepunkt am 21. März (NZZ 21.3.2018). Der IS bekannte sich auf seiner Propaganda Website Amaq zu dem Vorfall (RFE/RL 21.3.2018).

* Angriffe auf Moscheen: Am 20.10.2017 fanden sowohl in Kabul, als auch in der Provinz Ghor Angriffe auf Moscheen statt: während des Freitagsgebets detonierte ein Selbstmordattentäter seine Sprengstoffweste in der schiitischen Moschee, Imam Zaman, in Kabul. Dabei tötete er mindestens 30 Menschen und verletzte 45 weitere. Am selben Tag, ebenso während des Freitagsgebetes, griff ein Selbstmordattentäter eine sunnitische Moschee in Ghor an und tötete 33 Menschen (Telegraph 20.10.2017; vgl. TG 20.10.2017).

* Tötungen in Kandahar: Im Oktober 2017 bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Tötung zweier religiöser Persönlichkeiten in der Provinz Kandahar. Die Tötungen legitimierten die Taliban, indem sie die Getöteten als Spione der Regierung bezeichneten (UNAMA 7.11.2017).

* Angriff auf schiitische Moschee: Am 2.8.2017 stürmten ein Selbstmordattentäter und ein bewaffneter Schütze während des Abendgebetes die schiitische Moschee Jawadia in Herat City; dabei wurden mindestens 30 Menschen getötet (BBC 3.8.2017; vgl. Pajhwok 2.8.2017). Insgesamt war von 100 zivilen Opfer die Rede (Pajhwok 2.8.2017). Der IS bekannte sich zu diesem Vorfall (BBC 3.8.2017).

* Entführung in Nangarhar: Die Taliban entführten und folterten einen religiösen Gelehrten in der Provinz Nangarhar, dessen Söhne Mitglieder der ANDSF waren - sie entließen ihn erst, als Lösegeld für ihn bezahlt wurde (UNAMA 7.11.2017).

* In der Provinz Badakhshan wurde ein religiöser Führer von den Taliban entführt, da er gegen die Taliban predigte. Er wurde gefoltert und starb (UNAMA 7.11.2017).

Angriffe auf Behörden zur Wahlregistrierung:

Seit der Ankündigung des neuen Wahltermins durch den afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani im Jänner 2018 haben zahlreiche Angriffe auf Behörden, die mit der Wahlregistrierung betraut sind, stattgefunden (ARN 21.5.2018; vgl. DW 6.5.2018, AJ 6.5.2018, Tolonews 6.5.2018, Tolonews 29.4.2018, Tolonews 22.4.2018). Es folgt eine Auflistung der größten Vorfälle:

* Bei einem Selbstmordanschlag auf ein für die Wahlregistrierung errichtetes Zelt vor einer Moschee in der Provinz Khost kamen Quellen zufolge am 6.5.2018 zwischen 13 und 17 Menschen ums Leben und mindestens 30 weitere wurden verletzt (DW 6.5.2018; vgl. Tolonews 6.5.2018, AJ 6.5.2018).

* Am 22.4.2018 kamen in der Nähe einer Behörde zur Wahlregistrierung in Pul-e-Khumri in der Provinz Baghlan sechs Menschen ums Leben und fünf weitere wurden verletzt; bisher bekannte sich keine Gruppierung zum Anschlag (Tolonews 22.4.2018; vgl. NZZ 22.4.2018).

* Am 22.4.2018 kamen vor einer Behörde zur Wahlregistrierung in Kabul 60 Menschen ums Leben und 130 wurden verletzt. Der Angriff fand im mehrheitlich aus ethnischen Hazara bewohnten Kabuler Distrikt Dacht-eBarchi statt. Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zum Anschlag, der gegen die "schiitischen Apostaten" gerichtet war (USIP 24.4.2018; vgl. Slate 22.4.2018).

* Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestel

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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