TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/25 W110 2009617-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.02.2020
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Entscheidungsdatum

25.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1
AsylG 2005 §9 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W110 2009617-2/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Peter CHVOSTA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, Wattgasse 48/3 in 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.8.2018, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 9 Abs. 1 zweiter Fall AsylG 2005 stattgegeben und der angefochtene Bescheid in den Spruchpunkten I., III., IV., V. und VI. ersatzlos behoben.

II. In Erledigung der Beschwerde gegen den Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird dem Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung stattgegeben und die befristete Aufenthaltsberechtigung des XXXX als subsidiär Schutzberechtigter bis zum XXXX verlängert.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4-BVG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 17.1.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 7.5.2014 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) die niederschriftliche Ersteinvernahme des Beschwerdeführers zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates statt.

3. Mit Bescheid vom 24.6.2014 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100 (im Folgenden: AsylG 2005), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I. und II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach §§ 57 und 55 leg. cit. wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und nach § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 - 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt III.). In Spruchpunkt IV. wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 2 FPG ein auf die Dauer von einem Jahr befristetes Einreiseverbot erlassen.

4. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.7.2015, W202 2009617-1, wurde der fristgerecht gegen den ergangenen Bescheid erhobenen Beschwerde nach Zurückziehung des Rechtsmittels gegen Spruchpunkt I. stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 14.7.2016 erteilt.

5. Mit Bescheid vom 29.6.2016 verlängerte die belangte Behörde nach Antrag des Beschwerdeführers die ihm befristet zuerkannte Aufenthaltsberechtigung um weitere zwei Jahre.

6. Am 3.5.2018 stellte der Beschwerdeführer bei der belangten Behörde neuerlich einen Antrag auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.

7. Mit Schreiben vom 19.6.2018 wurde der Beschwerdeführer über die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens nach § 9 Abs. 3 AsylG 2005 in Kenntnis gesetzt und ihm Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme binnen einmonatiger Frist eingeräumt, wovon er mit Schreiben vom 26.6.2018 Gebrauch machte und unter Bezugnahme auf die aktuelle Berichtslage zu Afghanistan darauf hinwies, dass ihm - entgegen der Annahme der belangten Behörde - nach wie vor eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zur Verfügung stehe.

8. In seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 18.7.2018 gab der Beschwerdeführer an, dass sich seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts keinerlei Änderungen ergeben hätten und sein Vorbringen hinsichtlich seiner Fluchtgründe sowie seiner persönlichen und familiären Verhältnisse nach wie vor gleichbleibe. In Österreich sei er einige Monate lang als Arbeiter beschäftigt gewesen und habe einen Alphabetisierungskurs sowie einen Deutsch-Grundkurs besucht, den er jedoch nicht abgeschlossen habe. Abgesehen von seiner Vertrauensperson verfüge er über keine näheren Kontakte in Österreich. Einer Erwerbstätigkeit gehe der Beschwerdeführer derzeit nicht nach.

9. Mit Bescheid vom 31.8.2018 erkannte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer den ihm mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.7.2015 gewährten Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.) und entzog ihm gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 die befristet erteilte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter (Spruchpunkt II.). Weiters sprach die belangte Behörde aus, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkte III. - V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 - 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.). Nach Wiedergabe des Einvernahmeprotokolls traf die belangte Behörde Länderfeststellungen zur allgemeinen Situation in Afghanistan und stellte die Nationalität, Volksgruppenzugehörigkeit, Herkunft und die derzeitigen Verhältnisse des Beschwerdeführers in Österreich fest. Im Hinblick auf den subsidiären Schutzstatus des Beschwerdeführers ging die belangte Behörde davon aus, dass sich dessen subjektive Lage auf Grund der von ihm in Österreich und Afghanistan gesammelten Arbeitserfahrung sowie auf Grund seines aktuellen Lebensalters geändert habe. Dem Beschwerdeführer wäre es im "Bedarfsfall möglich", "notfalls auch selbständig" für seinen Lebensunterhalt zu sorgen. Neben seiner Arbeitserfahrung könne er bei der Arbeitssuche in Afghanistan vor allem von seinen in Österreich erworbenen Deutschkenntnissen profitieren. Für Rückkehrer nach Afghanistan gäbe es zudem besondere Betreuungsangebote und Unterstützung, die er für die neue Existenzgründung in Anspruch nehmen könne. Eine Rückkehrmöglichkeit des Beschwerdeführers in dessen Herkunftsprovinz schloss die belangte Behörde nach wie vor aus. Mangels besonderer Vulnerabilität und spezieller Gefährdungspotentiale stehe ihm jedoch eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative insbesondere in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif, wo die Sicherheits- und Versorgunglage stabil sei, zur Verfügung.

10. Mit Verfahrensanordnung vom 5.9.2018 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater für eine allfällige Beschwerdeerhebung zur Seite gestellt.

11. Gegen den erlassenen Bescheid richtete sich die vorliegende, rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und mangelhafter Beweiswürdigung. Der Beschwerdeführer brachte unter auszugsweiser Zitierung des angefochtenen Bescheids und umfassender Darstellung der Länderberichtslage zu Afghanistan vor, dass die belangte Behörde den maßgeblichen Sachverhalt weder vollständig ermittelt noch im angefochtenen Bescheid dargelegt habe, inwiefern sich die Lage in Afghanistan bzw. seine persönliche Situation im Vergleich zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus bzw. der Verlängerung der befristet erteilten Aufenthaltsberechtigung wesentlich und nachhaltig geändert habe und daher den Tatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 Asyl 2005 erfülle. Der Beschwerdeführer verfüge nach wie vor über kein tragfähiges Netzwerk in Afghanistan. Auch die Sicherheitslage habe sich - wie die dazu auszugsweise zitierten Länderberichte und ergänzend eingebrachten Beweisquellen zeigten - nicht verbessert, und die humanitäre Lage in den Städten sei nach wie vor prekär. Entgegen der Annahme der belangten Behörde stehe ihm daher eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative auch nach Mazar-e Sharif nicht zur Verfügung. Auf Grund seiner langjährigen Abwesenheit wäre es dem Beschwerdeführer unmöglich, auf dem ohnehin überstrapazierten Arbeitsmarkt in den Städten eine Anstellung zu finden. Als westlich orientierte Person ohne Fachausbildung und besondere Qualifikation und ohne Kenntnis der aktuellen Gegebenheiten sowie ohne ein familiäres oder soziales Auffangnetz sei er außer Stande, seine existenziellen Grundbedürfnisse zu sichern. Bei gesetzmäßiger Führung des Ermittlungsverfahrens, einer Auseinandersetzung mit der Begründung für die Gewährung des subsidiären Schutzes sowie einer mangelfreien Beweiswürdigung hätte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer daher den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht aberkennen dürfen. In Zusammenschau der vorliegenden Beweismittel und der persönlichen Situation des Beschwerdeführers sowie unter Berücksichtigung der Intensivierung seiner sozialen Kontakte in Österreich erweise sich damit auch die gegen ihn erlassene Rückkehrentscheidung als rechtlich verfehlt. Der Beschwerde war ein Konvolut von Unterlagen u.a. zum Nachweis der mittlerweile fortgeschrittenen Integration des Beschwerdeführers unter einem beigeschlossen.

12. Am 10.10.2018 legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt vor.

13. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 13.3.2019 wurde die vorliegende Rechtssache der Gerichtsabteilung W139 abgenommen und der Gerichtsabteilung W110 neu zugewiesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Folgender Sachverhalt steht fest:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört zur Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Er stammt aus dem Dorf XXXX im Distrikt XXXX der Provinz Kunduz und spricht Dari.

Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan drei Jahre lang die Schule besucht und danach mehrere Jahre lang als Schneider und schließlich als Koch gearbeitet.

Die Schwester des Beschwerdeführers und deren Ehemann leben nach wie vor in dessen Herkunftsprovinz. Es kann nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer darüber hinaus noch andere soziale oder familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan hat.

Der Beschwerdeführer befindet sich seit 17.1.2014 in Österreich.

Er leidet an einer Atemwegserkrankung, ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer war knapp über ein halbes Jahr in Österreich als Transitarbeitskraft beschäftigt und ist seither auf Arbeitssuche. Er hat in Österreich einen Alphabetisierungskurs besucht und besitzt Grundkenntnisse der deutschen Sprache.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.7.2015, W202 2009617-1, wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine Aufenthaltsberechtigung bis zum 14.7.2016 erteilt. Die befristete Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 29.6.2016, Zl. 1000648907 - 14034657, bis zum 14.7.2018 verlängert.

Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Beschwerdeführers und der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, insbesondere in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat, kann nicht festgestellt werden, dass sich die Umstände, die zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt haben, seit dem 14.7.2015 wesentlich und nachhaltig verändert haben. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer von diesen Umständen wesentlich weniger intensiv betroffen ist als im Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus bzw. der Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung.

1.2. Zur aktuellen Lage in Afghanistan und der Situation des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland wird festgestellt:

Sicherheitslage:

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Wegen einer Serie von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen in städtischen Zentren, die von regierungsfeindlichen Elementen ausgeführt wurden, erklärten die Vereinten Nationen (UN) im Februar 2018 die Sicherheitslage für sehr instabil (LIB 22.8.2018, S. 24).

Die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffe hatte sich von 1.6. - 20.11.2017 im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Vorjahres erhöht. In den ersten Monaten des Jahres 2018 wurden verstärkt Angriffe bzw. Anschläge durch die Taliban und den IS in verschiedenen Teilen Kabuls ausgeführt. Als Antwort auf die zunehmenden Angriffe wurden die Luftangriffe und Sicherheitsoperationen verstärkt, wodurch die aufständischen Gruppierungen in einigen Gegenden zurückgedrängt wurden. Landesweit haben Aufständische, inklusive der Taliban und des IS, in den Monaten vor Jänner 2018 ihre Angriffe auf afghanische Truppen und Polizisten intensiviert; auch hat die Gewalt Aufständischer gegenüber Mitarbeiter/innen von Hilfsorganisationen in den letzten Jahren zugenommen. Die Taliban verstärken ihre Operationen, um ausländische Kräfte zu vertreiben; der IS hingegen versucht, seinen relativ kleinen Einflussbereich zu erweitern. Die Hauptstadt Kabul ist in diesem Falle für beide Gruppierungen interessant. Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zusammenstöße zwischen diesen und den Taliban finden weiterhin statt (LIB 22.8.2018, S. 27f).

Für das Jahr 2017 registrierte die UN insgesamt 23.744 sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan; im gesamten Jahr 2016 waren es 23.712. Landesweit wurden für das Jahr 2015 insgesamt 22.634 sicherheitsrelevanter Vorfälle verzeichnet (LIB 22.8.2018, S. 25).

Afghanistan ist nach wie vor mit einem aus dem Ausland unterstützten und widerstandsfähigen Aufstand konfrontiert. Nichtsdestotrotz haben die afghanischen Sicherheitskräfte ihre Entschlossenheit und wachsenden Fähigkeiten im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand gezeigt. So behält die afghanische Regierung auch weiterhin Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, die wichtigsten Verkehrsrouten und den Großteil der Distriktzentren. Zwar umkämpften die Taliban Distriktzentren, sie konnten aber keine Provinzhauptstädte (bis auf Farah-Stadt) bedrohen (LIB 22.8.2018, S. 27).

Die Taliban und weitere aufständische Gruppierungen wie der Islamische Staat verübten "high-profile"-Angriffe, speziell im Bereich der Hauptstadt Kabul, mit dem Ziel, eine Medienwirksamkeit zu erlangen und damit ein Gefühl der Unsicherheit hervorzurufen und so die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben. Die Auflistung der high-profile Angriffe zeigt, dass die Anschläge in großen Städten, auch Kabul, hauptsächlich im Nahebereich von Einrichtungen mit Symbolcharakter (Moscheen, Tempel bzw. andere Anbetungsorte), auf Botschaften oder auf staatliche Einrichtungen stattfinden. Diese richten sich mehrheitlich gezielt gegen die Regierung, ausländische Regierungen und internationale Organisationen (LIB 22.8.2018, S. 28).

Im Jahr 2017 waren auch weiterhin bewaffnete Zusammenstöße Hauptursache (63%) aller registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle, gefolgt von IEDs (Sprengfallen/Unkonventionelle Spreng- oder Brandvorrichtung - USBV) und Luftangriffen. Für das gesamte Jahr 2017 wurden 14.998 bewaffnete Zusammenstöße registriert (2016: 14.977 bewaffnete Zusammenstöße). Im August 2017 stuften die Vereinten Nationen Afghanistan, das bisher als "Post-Konflikt-Land" galt, wieder als "Konfliktland" ein; dies bedeute nicht, dass kein Fortschritt stattgefunden habe, jedoch bedrohe der aktuelle Konflikt die Nachhaltigkeit der erreichten Leistungen (LIB 22.8.2018, S. 26).

Im dritten Quartal 2018 fanden Anschläge in Kabul mit zahlreichen Todesopfern statt. Die Kämpfe in den Provinzen Ghazni, Baghlan und Faryab wurden von den aufständischen Gruppierungen weiter intensiviert (LIB 22.8.2018, S. 11f, S. 29ff).

Zivile Opfer:

Im Jahr 2017 registrierte die UNAMA 10.453 zivile Opfer (3.438 Tote und 7.015 Verletzte) - damit wurde ein Rückgang von 9% gegenüber dem Vergleichswert des Vorjahres 2016 (11.434 zivile Opfer mit 3.510 Toten und 7.924 Verletzen) festgestellt. Im Vergleich zum Jahr 2016 ist die Anzahl ziviler Toter um 2% zurückgegangen, während die Anzahl der Verletzten um 11% gesunken ist. Seit 1.1.2009 - 31.12.2017 wurden insgesamt 28.291 Tote und 52.366 Verletzte von UNAMA registriert. Regierungsfeindliche Gruppierungen waren für 65% aller zivilen Opfer im Jahr 2017 verantwortlich; Hauptursache dabei waren IEDs, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attacken. Im Zeitraum 1.1.2018 - 31.3.2018 registriert die UNAMA 2.258 zivile Opfer (763 Tote und 1.495 Verletzte). Die Zahlen reflektieren ähnliche Werte wie in den Vergleichsquartalen für die Jahre 2016 und 2017. Die Bewohner der Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kandahar waren am häufigsten vom Konflikt betroffen (LIB 22.8.2018, S. 34).

Im Jänner 2018 waren 56.3% der Distrikte unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung, während Aufständische 14.5% der Distrikte kontrollierten bzw. unter ihrem Einfluss hatten. Die übriggebliebenen 29.2% der Distrikte waren umkämpft. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten, die von Aufständischen kontrolliert werden, waren mit Stand Jänner 2018 Uruzgan, Kunduz und Helmand. Alle Provinzhauptstädte befanden sich unter der Kontrolle bzw. dem Einfluss der afghanischen Regierung (LIB 22.8.2018, S. 35).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

Terroristische und aufständische Gruppierungen stellen Afghanistan und die Koalitionskräfte vor erhebliche Herausforderungen. Derzeit sind rund 20 terroristische Organisationen in Afghanistan zu finden: Das von außen unterstützte Haqqani-Netzwerk stellt nach wie vor die größte Gefährdung für afghanische und internationale Kräfte dar. Die Verflechtung von Taliban und Haqqani-Netzwerk ist so intensiv, dass diese beiden Gruppierungen als Fraktionen ein und derselben Gruppe angesehen werden. Wenn auch die Taliban öffentlich verkündet haben, sie würden zivile Opfer einschränken, so führt das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin Angriffe in bevölkerungsreichen Gegenden aus (LIB 22.8.2018, S. 36).

Im August 2017 wurde berichtet, dass regierungsfeindliche bewaffnete Gruppierungen - insbesondere die Taliban - ihre Aktivitäten landesweit verstärkt haben, dies trotz des Drucks der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft, ihren Aktivitäten ein Ende zu setzen. Auch sind die Kämpfe mit den Taliban eskaliert, da sich der Aufstand vom Süden in den sonst friedlichen Norden des Landes verlagert hat, wo die Taliban auch Jugendliche rekrutieren. Ab dem Jahr 2008 expandierten die Taliban im Norden des Landes. Diese neue Phase ihrer Kampfgeschichte war die Folge des Regierungsaufbaus und Konsolidierungsprozess in den südlichen Regionen des Landes. Darüber hinaus haben die Taliban hauptsächlich in Faryab und Sar-i-Pul, wo die Mehrheit der Bevölkerung usbekischer Abstammung ist, ihre Reihen für nicht-paschtunische Kämpfer geöffnet. Teil der neuen Strategie der Regierung und der internationalen Kräfte im Kampf gegen die Taliban ist es, die Luftangriffe der afghanischen und internationalen Kräfte in jenen Gegenden zu verstärken, die am stärksten von Vorfällen betroffen sind. Dazu gehören u.a. die östlichen und südlichen Regionen, in denen ein Großteil der Vorfälle registriert wurde (LIB 22.8.2018, S. 37).

Taliban:

Die Taliban führten auch ihre Offensive "Mansouri" weiter; diese Offensive konzentrierte sich auf den Aufbau einer "Regierungsführung" der Taliban (Engl. "governance") bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Gewalt gegen die afghanische Regierung, die ANDSF und ausländische Streitkräfte (LIB 22.8.2018, S. 37).

Im Jahr 2017 wurden den Taliban insgesamt 4.385 zivile Opfer (1.574 Tote und 2.811 Verletzte zugeschrieben. Aufgrund der Komplexität der in Selbstmord- und komplexen Anschlägen involvierten Akteure hat die UNAMA oft Schwierigkeiten, die daraus resultierenden zivilen Opfer spezifischen regierungsfreundlichen Gruppierungen zuzuschreiben, wenn keine Erklärungen zur Verantwortungsübernahme abgegeben wurden. Auch wenn sich die Taliban insgesamt zu weniger Angriffen gegen Zivilist/innen bekannten, so haben sie dennoch die Angriffe gegen zivile Regierungsmitarbeiter/innen erhöht; es entspricht der Linie der Taliban, Regierungsinstitutionen anzugreifen (LIB 22.8.2018, S. 38).

Schätzungen von SIGAR zufolge kontrollierten im Oktober 2017 und im Jänner 2018 die Taliban 14% der Distrikte Afghanistans. Die Taliban halten auch weiterhin großes Territorium in den nördlichen und südlichen Gegenden der Provinz Helmand (LIB 22.8.2018, S. 38).

Zur Lage in der Provinz Kunduz:

Kunduz zählt zu den relativ volatilen Provinzen Afghanistans, in der Aufständische aktiv sind. Sowohl im Jahr 2015 als auch 2016 fiel Kunduz-Stadt an Taliban-Aufständische, konnte jedoch von den afghanischen Streitkräften jeweils wieder zurückerobert werden. Während des Jahres 2017 sank auch in der Provinz Kunduz die Anzahl der zivilen Opfer in Folge von Bodenoffensiven. Ein Grund dafür war ein Rückgang von Militäroffensiven in von Zivilist/innen bewohnten Zentren durch die Konfliktparteien. Im Zeitraum vom 1.1.2017 bis 30.4.2018 wurden in der Provinz 225 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 22.8.2018, S. 137). Im gesamten Jahr 2017 wurden 377 zivile Opfer (93 getötete Zivilisten und 284 Verletzte) in der Provinz Kunduz registriert. Hauptursache waren Bodenangriffe, gefolgt von IEDs und gezielten Tötungen. Dies bedeutet einen Rückgang von 41% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016. Aufgrund von Terrorbekämpfungsoperationen in der Provinz sind zahlreiche Familien nach Kunduz-Stadt vertrieben worden (LIB 22.8.2018, S. 138).

In der Provinz kommt es nach wie vor zu Zusammenstößen zwischen den Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften. Talibankämpfer, insbesondere Mitglieder der "Red Unit", einer Taliban-Einheit, die in zunehmendem Ausmaß Regierungsstützpunkte angreift, sind in der Provinz Kunduz aktiv. Einige Distrikte, wie Atqash, Gultapa und Gulbad, sind unter Kontrolle der Taliban. Auch in Teilen der Distrikte Dasht-e-Archi und Chardarah sind umkämpft. Im ersten Halbjahr 2017 wurden in der Provinz zudem sicherheitsrelevante Vorfälle durch den IS registriert (LIB 22.8.2018, S. 139).

Kunduz-Stadt ist eine der größten Städte Afghanistans und war lange Zeit ein strategisch wichtiges Transportzentrum für den Norden des Landes. Kunduz ist durch eine Autobahn mit Kabul im Süden, Mazar-e Sharif im Westen, sowie Tadschikistan im Norden verbunden (LIB 22.8.2018, S. 136).

Zur Lage in der Provinz Balkh:

Die Provinz Balkh liegt in Nordafghanistan und gilt als wichtiges wirtschaftliches und politisches Zentrum (LIB 22.8.2018, S. 68).

Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri und ist ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar. In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen (LIB 22.8.2018, S. 68).

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans. Im Vergleich zu anderen Regionen sind weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen. Zusammenstöße zwischen Rebellengruppen und den afghanischen Sicherheitskräften, oder Angriffe auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte finden dennoch statt. Im Zeitraum vom 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im Jahr 2017 fielen 129 Zivilisten den bewaffneten Auseinandersetzungen zum Opfer (LIB 22.8.2018, S. 68f).

Regierungsfeindliche Gruppierungen sind in der Provinz Balkh nach wie vor aktiv. Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (LIB 22.8.2018, S. 70).

Kabul:

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul-Stadt. Es gibt etwa 60 anerkannte informelle Siedlungen, in denen 65.000 registrierte Rückkehrer/innen und innerstaatliche Flüchtlingen leben (LIB 22.8.2018, S. 49f).

Kabul verfügt über einen internationalen Flughafen (vgl. LIB 22.8.2018, S. 50).

Die einst als relativ sicher erachtete Hauptstadt ist von öffentlichkeitswirksamen (high-profile) Angriffen der Taliban betroffen, die darauf abzielen, die Autorität der afghanischen Regierung zu untergraben. Regierungsfeindliche, bewaffnete Gruppierungen einschließlich des IS und des Haqqani-Netzwerks versuchen in Schlüsselprovinzen und -distrikten, wie auch in der Hauptstadt Kabul, Angriffe auszuführen. Im Jahr 2017 und in den ersten Monaten des Jahres 2018 kam es zu mehreren "high-profile"-Angriffen in der Stadt Kabul; dadurch zeigte sich die Angreifbarkeit/Vulnerabilität der afghanischen und ausländischen Sicherheitskräfte. Im Zeitraum vom 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 410 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 22.8.2018, S. 50, 52).

Im Jahr 2017 war die höchste Anzahl ziviler Opfer Afghanistans in der Provinz Kabul zu verzeichnen, die hauptsächlich auf willkürliche Angriffe in der Stadt Kabul zurückzuführen waren; 16% aller zivilen Opfer in Afghanistan werden in Kabul registriert. Selbstmordangriffe und komplexe Attacken und sonstige Anschläge, in denen auch IEDs verwendet wurden, erhöhten die Anzahl ziviler Opfer in Kabul. Dieser öffentlichkeitswirksame (high-profile) Angriff im Mai 2017 war alleine für ein Drittel ziviler Opfer in der Stadt Kabul im Jahr 2017 verantwortlich (LIB 22.8.2018, S. 51)

Für den Zeitraum 1.1.2017 - 31.1.2018 wurden in der Provinz Kabul vom IS verursachte Vorfälle registriert (LIB 22.8.2018, S. 52).

Herat:

Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans und liegt im Westen des Landes. Provinzhauptstadt ist Herat-Stadt, welche sich im gleichnamigen Distrikt befindet und eine Einwohnerzahl von 506.900 hat. In der Provinz befinden sich zwei Flughäfen: ein internationaler in Herat-Stadt und ein militärischer in Shindand (LIB 22.8.2018, S. 104).

Herat gilt als relativ friedliche und entwickelte Provinzen. Dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv. Auch wenn die Provinz zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, hat sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert. Aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Präsenz von Aufständischen wurden die Distrikte Gulran und Shindand noch nicht von Minen geräumt. In der Provinz leben tausende afghanische Binnenflüchtlinge (LIB 29.06.2018, S. 105f).

Im Zeitraum vom 1.1.2017 - 30.4.2018 wurden in der Provinz 139 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Im gesamten Jahr 2017 wurden in der Provinz Herat 495 zivile Opfer (238 getötete Zivilisten und 257 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Selbstmordanschlägen, komplexen Attacken und gezielten Tötungen. Dies bedeutet eine Steigerung von 37% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (LIB 22.8.2018, S. 106).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt, um einige Gegenden von Aufständischen zu befreien. Auch werden Luftangriffe verübt; dabei wurden Taliban getötet. Zusammenstöße zwischen Sicherheitskräften und Aufständischen finden statt (LIB 22.8.2018, S. 106).

Medizinische Versorgung:

Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch den Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenzpersonal und Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan haben keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen daher privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf, wo sie die Behandlungskosten jedoch selbst tragen müssen. Auch die allgemeine Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (LIB 22.8.2018, S. 320).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden dennoch nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung gewährt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB 22.8.2018, S. 322).

Eine begrenzte Anzahl an staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. In öffentlichen Krankenhäusern in den größeren Städten Afghanistans können leichte und saisonbedingte Krankheiten sowie medizinische Notfälle behandelt werden (LIB 22.8.2018, S. 323).

Zur Wirtschafts- und Versorgungslage:

Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Dennoch ist das Land weiterhin arm und von Hilfeleistungen abhängig. Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188. Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (LIB 22.8.2018, S. 316).

Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet. In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (LIB 22.8.2018, S. 316f).

Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Die afghanische Regierung versucht im Rahmen von einzelnen Projekten die Entwicklung des Landes voranzutreiben und die Armut zu reduzieren. Dabei wird unter anderem der private Sektor unterstützt, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben (LIB 22.8.2018, S. 317f).

Die afghanische Regierung kooperierte mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung vulnerable Personen zu unterstützen, einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran, bleibt begrenzt und ist weiterhin auf die Hilfe der internationalen Gemeinschaft angewiesen (LIB 22.8.2018, S. 330).

Von den 2.1 Millionen Personen, die in informellen Siedlungen leben, sind 44% Rückkehrer/innen. Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer/innen die Unterstützung erhalten, die sie benötigen, und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer/innen und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig. Außerdem erhalten Rückkehrer/innen Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen NGOs. Dennoch scheint das Sozialkapital die wichtigste Ressource zu sein, die Rückkehrer/innen zur Verfügung steht, da keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer existieren und familiäre Unterbringungsmöglichkeiten für Rückkehrer/innen daher als die zuverlässigste und sicherste Möglichkeit erachtet werden. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellen die Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung, wo Rückkehrer/innen für maximal zwei Wochen untergebracht werden können (LIB 22.8.2018, S. 330f).

Die Organisationen IOM, IRARA, ACE und AKAH bieten Unterstützung und nachhaltige Begleitung bei der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Schulungen an. NRC bietet Rückkehrer/innen aus Pakistan, Iran und anderen Ländern Unterkunft sowie Haushaltsgegenstände und Informationen zur Sicherheit an und hilft bei Grundstücksstreitigkeiten. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) unterstützt Rückkehrer/innen dabei, ihre Familien zu finden. UNHCR ist bei der Ankunft von Rückkehrer/innen anwesend, begleitet die Ankunft und verweist Personen welche einen Rechtsbeistand benötigen an die zu hierfür zuständige Organisation (LIB 22.8.2018, S. 332).

Hilfeleistungen für Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung konzentrieren sich auf Rechtsbeistand, Arbeitsplatzvermittlung, Land und Unterkunft (LIB 22.8.2018, S. 333).

Ein fehlendes familiäres Netzwerk stellt eine Herausforderung für die Reintegration von Migrant/innen in Afghanistan dar. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere, wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen "professionellen" oder politischen Netzwerken (LIB 22.8.2018, S. 334).

Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind einige Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB 22.8.2018, S. 334f).

2. Diese Feststellungen gründen auf folgender Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Inhalt des Verwaltungsaktes sowie die vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen und ergänzend in das Verfahren eingebrachten Beweismittel. Ferner wurde das von der belangten Behörde dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.6.2018 einschließlich letzter Kurzinformation vom 22.8.2018 (kurz: LIB 22.8.2018) in das Verfahren einbezogen. Soweit sich die Feststellungen zur Lage in Afghanistan auf Quellen älteren Datums stützen, ist festzuhalten, dass die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums (u.a. der aktuelle EASO-Bericht vom Juni 2019 und die UNHCR-Richtlinien vom August 2018), nach wie vor die gebotene Aktualität aufweisen und daher zur Beurteilung der gegenwärtigen Situation herangezogen werden konnten.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Nationalität, Religions- und Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seinem Herkunftsort sowie dem Aufenthaltsort seiner Angehörigen gründen - soweit sie nicht bereits von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid festgestellt wurden - auf den insoweit unbedenklichen und gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren. Auch die Negativfeststellung zu seinen familiären und sozialen Anknüpfungspunkten in seinem Herkunftsland stützten sich auf seine bisherigen Aussagen (vgl. AS 99 sowie AS 424 des verwaltungsbehördlichen Verfahrensaktes der belangten Behörde - im Folgenden: Akt-BFA). Der Zeitpunkt der Einreise des Beschwerdeführers nach Österreich ergibt sich aus dem behördlichen Verwaltungsakt und der Niederschrift zur Erstbefragung (vgl. Akt-BFA, AS 9).

Die Feststellung zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers basiert auf seinen Angaben in der mündlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 18.7.2018 (vgl. Akt-BFA, AS 423) sowie auf dem von ihm unter einem mit der verfahrensgegenständlichen Beschwerde vorgelegten fachärztlichen Befund des näher bezeichneten Lungenfacharztes, dem zufolge der Beschwerdeführer an einer mittelgradigen chronisch obstruktiven Lungenerkrankung leidet (Akt-BFA, AS 699). Eine Zustandsänderung bzw. -besserung konnte der Beschwerdeführer nicht bestätigen (vgl. Akt-BFA, AS 423).

Aus den vom Beschwerdeführer unter einem mit der Stellungahme vom 26.6.2018 vorgelegten Unterlagen, insbesondere den übermittelten Lohnabrechnungen (vgl. Akt-BFA, AS 393 bis 409), ergibt sich in Zusammenschau mit dem von der belangten Behörde durchgeführten Auskunftsverfahren (vgl. Akt-BFA, AS 447) sowie den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Einvernahme vor der belangten Behörde die Feststellung zur Dauer und Art seiner Beschäftigung in Österreich und der derzeitigen Arbeitslosigkeit.

Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers gründet auf der amtswegig eingeholten Strafregisterauskunft.

Anlässlich seiner Einvernahme vor der belangten Behörde (vgl. Akt-BFA, AS 421ff) bestätigte der Beschwerdeführer, dass sich seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts keine Änderungen hinsichtlich seiner Fluchtgründe oder seiner sonstigen Umstände ergeben haben (vgl. Akt-BFA, AS 424).

Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen Anlass an den bisherigen Angaben des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.7.2015 sowie die Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid der belangten Behörde vom 29.6.2016 sind aktenkundig.

2.2. Die Feststellung, wonach sich die Umstände, die zur Gewährung des subsidiären Schutzstatus geführt haben, seit der Zuerkennung der subsidiären Schutzberechtigung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.7.2015 bzw. dem im darauffolgenden Jahr von der belangten Behörde erlassenen Verlängerungsbescheid nicht geändert haben, gründet auf einem Vergleich der individuellen Situation des Beschwerdeführers sowie der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistans im Zeitpunkt der rechtskräftigen Zuerkennung des subsidiären Schutzes mit der Situation im Zeitpunkt des angefochtenen Bescheids bzw. der vorliegenden Entscheidung.

2.3. Was die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers anbelangt, gelangte die belangte Behörde zur Auffassung, dass einer Rückkehr des Beschwerdeführers mangels Vulnerabilität oder sonstiger spezifischer Gefährdungspotentiale keinerlei Gründe entgegenstünden und er insbesondere in Mazar-e Sharif über eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative verfüge. Soziale und wirtschaftliche Benachteiligungen seien angesichts seiner Alters und der von ihm gesammelten Arbeitserfahrung sowie der erworbenen Sprachkenntnisse auszuschließen. Zudem profitiere der Beschwerdeführer von seiner überdurchschnittlichen Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit, die er durch seine "überkontinentale Reise" unter Beweis gestellt habe (Akt-BFA, AS 461, 578).

Damit greift die belangte Behörde jedoch keine Umstände auf, die sich seit der Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter im Jahr 2015 maßgeblich geändert haben, sondern bewertet lediglich einen im Wesentlichen unverändert gebliebenen Sachverhalt neu bzw. anders: Der Beschwerdeführer war bereits im damaligen Zeitpunkt volljährig und verfügte über Arbeitserfahrung in seinem Herkunftsland, so dass allein die Tatsache, dass er nunmehr vier Jahre älter geworden ist, keine relevante Änderung persönlicher Umstände begründet.

Auch zeigt die belangte Behörde nicht auf, welche tragfähigen Netzwerke dem Beschwerdeführer in Afghanistan nunmehr zur Verfügung stehen, die ihm im Jahr 2015 noch fehlten, zumal dies u.a. ausschlaggebend für die negative Bewertung des Zumutbarkeitskalküls durch das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative war. Eine Unterstützungsmöglichkeit seitens der nach wie vor in Afghanistan lebenden Familienangehörigen des Beschwerdeführers nimmt auch die belangte Behörde nicht an (vgl. Akt-BFA, AS 579). Wenn die belangte Behörde ins Treffen führt, dass dem Beschwerdeführer eine soziale Integration wegen seiner Kenntnis einer Landessprache und der gesellschaftlichen Strukturen in Afghanistan ungehindert möglich sei (Akt-BFA, AS 577f.), so greift sie damit keine geänderten Sachverhaltselemente, die nicht bereits im Zeitpunkt der Zuerkennung der subsidiären Schutzberechtigung bestanden, auf.

Das Bundesverwaltungsgericht geht nicht davon aus, dass die Berufstätigkeit des Beschwerdeführers in Österreich als Hilfsarbeiter für einige wenige Monate seine Existenzsicherungsmöglichkeiten bei einer Rückkehr nach Afghanistan maßgeblich verbessert hat. Die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers wurde auch vom Bundesverwaltungsgericht im Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht in Frage gestellt. Ein Hinzutreten besonderer Umstände ist nicht erkennbar, zumal der Beschwerdeführer in Österreich weder eine besondere schulische noch eine berufliche Ausbildung absolviert hat (vgl. Akt-BFA, AS 424f). Auch seine Deutschkenntnisse beschränken sich auf bloße Grundkenntnisse, die nicht über das Sprachniveau A1 hinausgehen. Einen Sprachkurs hat der Beschwerdeführer nie abgeschlossen (vgl. Akt-BFA, AS 424f). Welche Vorteile sich aus diesen (eingeschränkten) Sprachkenntnissen für den Beschwerdeführer im Hinblick auf die Beschäftigungsaussichten in seinem Herkunftsland ergäben, erschließt sich nicht. Allein aus dem allgemeinen Hinweis, dass es dem Beschwerdeführer auf Grund seiner Berufserfahrung, die er in Afghanistan und in Österreich erworben habe, und der erlernten Sprachkenntnisse offen stünde, "im Bedarfsfall" und "nötigenfalls auch selbständig" für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, können keine relevanten Änderungen der persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers abgeleitet werden (vgl. Akt-BFA, AS 579).

Soweit die belangte Behörde die von ihr konstatierte Änderung der subjektiven Situation des Beschwerdeführers darauf stützt, dass es für Rückkehrer nach Afghanistan besondere Betreuungsangebote und Unterstützung für die neue Existenzgründung gäbe (vgl. Akt-BFA, AS 579), ist festzuhalten, dass IOM bereits seit dem Jahr 2015 - somit schon zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts - eine Rückkehrhilfe und Unterstützung für Rückkehrer anbietet, um die Reintegration zu erleichtern (vgl. LIB 2015, S. 165).

2.4. Die Feststellung, dass sich die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan (insbesondere in den größeren Städten) nicht wesentlich und nachhaltig verändert hat, ergibt sich aus einem Vergleich der vom Bundesverwaltungsgericht im Erkenntnis vom 14.7.2015 herangezogenen Länderberichte (vgl. W202 2009617-1, OZ 13, Beilage./A bis ./C sowie Beilage./1) bzw. der Situation in Afghanistan im Zeitpunkt der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers mit Bescheid der belangten Behörde vom 29.6.2016, mit den im hier angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegten Länderberichten (LIB 22.8.2018; vgl. Akt-BFA, AS 462 bis AS 583).

Eine Rückkehrmöglichkeit des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Kunduz wurde angesichts der nach wie vor stark angespannten Sicherheitslage auch von der belangten Behörde ausgeschlossen (vgl. Akt-BFA, AS 581).

Im Hinblick auf die Sicherheits- und Versorgungslage und die humanitäre Situation in Afghanistan ist festzuhalten, dass die Berichte ein im Wesentlichen gleichbleibendes Bild zeichnen. Auch wenn punktuell Fortschritte zu erkennen sind, so fehlt es an den notwendigen Anhaltspunkten, um tatsächlich von einer nachhaltigen und dauerhaften Veränderung bzw. Verbesserung der Situation ausgehen zu können. Im Wesentlichen wird von einem unverändert anhaltenden innerstaatlichen Konflikt berichtet, von unveränderten Aktivitäten der Rebellen und von hohen Armuts- und Arbeitslosenraten. Aus der Gesamtbetrachtung der Länderberichtslage ergibt sich, dass die sozioökonomischen Verhältnisse und die Versorgungslage in Kabul, Herat und Mazar-e Sharif nach wie vor angespannt sind und notwendige Ressourcen nur sehr begrenzt zur Verfügung stehen. Eine "maßgebliche Besserung" der Umstände in Mazar-e Sharif vermag das Bundesverwaltungsgericht nicht zu erkennen. Auch aus den neuesten EASO-Berichten und der UNHCR-Richtlinien, die amtswegig zu berücksichtigen sind, ergibt sich keine derart wesentliche Veränderung, die eine Neubewertung der allgemeinen Lage insbesondere der allgemeinen Lage in Mazar-e Sharif nach sich ziehen würde.

2.5. Dazu im Einzelnen:

2.5.1. Dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.7.2015 lagen folgende Länderfeststellungen zur Sicherheitslage in Kabul zugrunde:

Infolge militärischer, überwiegend afghanisch geführter Operationen, starker Präsenz im Raum sowie politischer und wirtschaftlicher Maßnahmen konnte eine partielle Stabilisierung in Teilen Nord- und Westafghanistans, aber auch in der Hauptstadt Kabul erzielt werden. In diesen Gebieten ist die Sicherheitslage überwiegend unter Kontrolle (AA 4.6.2013).

Kabul ist unter jenen Gebieten, in denen infolge militärischer, überwiegend afghanisch geführter Operationen, starker Präsenz im Raum sowie politischer und wirtschaftlicher Maßnahmen eine partielle Stabilisierung erzielt werden konnte und die Sicherheitslage überwiegend unter Kontrolle ist (AA 4.6.2013). Die ANSF geht während dieser Angriffe professioneller im Kampf gegen die Rebellen vor als früher (AAN 2.6.2013). Kabul bleibt unter der Führung der ANSF die sicherste Gegend Afghanistans (USDOD 12.2012). Laut internationalen NGOs ist Kabul trotz der Vorfälle und Angriffe einer der wenigen Orte Afghanistans, wo die Sicherheitssituation relativ gut und stabil ist. Dem Internationalen Polizei-Koordinierungsausschuss zufolge gehören Kabul und andere große Städten in Afghanistan zu den Orten, wo die Afghanische Nationalpolizei (ANP) bei der Gewährleistung von Sicherheit gut funktioniert. Laut IOM ist Kabul trotz einiger Selbstmordanschläge, die das Leben der Bevölkerung beeinträchtigen, sicherer und stärker unter Kontrolle als andere Orte in Afghanistan. Die unabhängige Afghanistan Independent Human Rights Commission teilt diese Meinung (DIS 5.2012). Der Fokus des Terrors liegt nicht auf Kabul oder allgemein auf städtischen Zentren, sondern der Großteil der Gewalt passiert in ländlichen Gegenden (AAN 2.6.2013). Die Taliban, einschließlich des Haqqani-Netzwerks, führen jedoch weiterhin öffentlichkeitswirksame Angriffe in der afghanischen Hauptstadt durch und zeigen, dass sie überall im Land zuschlagen können und selbst den sog. "Stahlring" der afghanischen Sicherheitskräfte um die Zentren großer Städte überwinden. Dies zielt darauf ab, die Aufmerksamkeit internationaler Medien und damit möglicher "Financiers" zu erregen und Unsicherheit in der afghanischen Bevölkerung, der afghanischen Regierung und den afghanischen Streitkräften zu schüren (ACCORD 10.1.2014 vgl. AAN 2.6.2013).

Im April 2013 kündigten die Taliban ihre Frühlingsoffensive "Khalid ibn al-Walid" an. Größere Zwischenfälle in Kabul involvierten u.a. eine Explosion nahe des Verteidigungsministeriums in Kabul im März 2013, bei dem neun Zivilisten ums Leben kamen. Ein Beispiel für erfolgreiche Vereitelung war die Entdeckung eines größeren Waffenversteckes und die Festnahme von 5 Personen am 13. März (UNSC 13.6.2013).

Weitere größere, sicherheitsrelevante Vorfälle in Kabul:

Im Mai 2013 bekannte sich die Hezb-e Islami Gulbuddin zu einem Attentat in Kabul, bei dem neun Zivilisten, zwei ISAF Mitarbeiter und vier Mitarbeiter eines ausländischen Unternehmens getötet wurden und im Juni tötete ein Selbstmordanschlag auf den Supreme Court mindestens 17 Zivilisten (UNSC 13.6.2013). Im Juni 2013 gab es einige Anschläge der Taliban in schwerbewachten Gebiete Kabuls, in denen sich viele wichtige Gebäude befinden, wie zum Beispiel die NATO-Zentrale und der Präsidentenpalast (BBC 25.6.2013). Am 2. Juli 2013 kam es zu einem Anschlag nahe einer UN Einrichtung, bei dem 6 Personen getötet wurden. Insgesamt kam es im Berichtszeitraum zwischen 16. Mai und 15 August zu 7 Selbstmordanschlägen in Kabul. (UNSC 6.9.2013). Die Taliban attackierten mit Schüssen und einer Autobombe im Oktober 2013 einen Konvoi ausländischer Fahrzeuge in Kabul. Es war der erste größere Vorfall seit Juli (Reuters 18.10.2013). Agence France-Presse (AFP) berichtet, dass in den Monaten vor diesem Anschlag die afghanische Hauptstadt relativ friedlich gewesen ist, nachdem zuvor einige Selbstmordanschlägen und bewaffnete Angriffe stattgefunden hatten (AFP 18.10.2013). Am 16. November 2013 tötete ein Anschlag nahe einer Einrichtung, die für die Loya Jirga vorbereitet wurde 8 Zivilisten (UNSC 6.12.2013). Am 18. Jänner 2014 starben mindestens 24 Menschen bei dem Anschlag der Taliban auf ein unter Ausländern beliebtes und stark gesichertes Restaurant Restaurant in Kabul (FAZ 18.1.2014). Bei einem Selbstmordanschlag auf einen Bus der afghanischen Armee sind am 26.1.2014 in Kabul vier Menschen getötet worden, am 25.1.2014 wurden bei einer Explosion zwei Personen verletzt (FAZ 26.1.2014).

Dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.7.2015 lag das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 19.11.2014, letzte Kurzinformation eingefügt am 24.2.2015 (kurz: LIB 2015), zu Grunde. Was die Sicherheitslage in Mazar-e Sharif anbelangt, hielt das LIB 2015 fest:

Die Provinz Balkh zählt zu den relativ friedlichen Provinzen im Norden Afghanistans. Jedoch erhöhten regierungsfeindliche bewaffnete Gruppen in einer Anzahl von Bezirken ihre Aktivitäten gegen afghanische Sicherheitskräfte und Beamte. Die Stadt Mazar-e Sharif wird als eher ruhig bezeichnet. 2013 wurden 85 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (LIB 2015, S. 84).

Im Hinblick auf die Sicherheitslage in Herat wurde im LIB 2015 festgehalten:

Ende 2011 übernahmen die nationalen afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) die Hauptverantwortung für die Sicherheit der Provinz Herat und haben stufenweise den Rest der westlichen Region übernommen. Die Provinz Herat blieb auch aufgrund der relativen Stabilität der Provinzregierung während der Transitionsperiode sicher. Auch nach der Übergabe an die afghanischen Kräfte gab es keine große Veränderung. Die Einschätzung der Sicherheitslage in Herat stellt sich als schwierig dar. Einerseits, wird die Provinz Herat im Oktober 2014 zu den relativ friedlichen Provinzen im Westen Afghanistans gezählt, in der jedoch in letzter Zeit regierungsfeindliche bewaffnete Rebellengruppen ihre Aktivitäten in einer Anzahl von Distrikten erhöht haben. Andererseits wird im September 2014 berichtet, dass Herat zu den relativ volatilen Provinzen im Westen Afghanistans zählt, in der regierungsfeindliche bewaffnete Rebellengruppen in einer Anzahl von abgelegenen Bezirken aktiv sind (LIB 2015, S. 99f).

2.5.2. Im Bescheid der belangten Behörde vom 29.6.2016, mit welchem dem Beschwerdeführer die Verlängerung der ihm befristet auf Grund seines subsidiären Schutzstatus zuerkannten Aufenthaltsberechtigung gewährt wurde, wurde lediglich festgestellt, dass auf Grund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan iVm dem Vorbringen des Beschwerdeführers das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als glaubwürdig erachtet werden konnte. Mit diesem faktisch begründungslosen Bescheid wurde der dem Beschwerdeführer zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten verlängert, so dass unter Berücksichtigung seiner subjektiven Situation und der damaligen Lage in seinem Herkunftsland eine innerstaatliche Fluchtalternative offenkundig neuerlich ausgeschlossen wurde.

Dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 21.1.2016 (kurz: LIB 2016) war zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan u.a. Folgendes zu entnehmen:

Die Sicherheitsumgebung in Kabul ist momentan extrem herausfordernd, Koordinierte Angriffe auf Regierungsgebäude und auf ausländische Organisationen, ist auf einem Niveau, wie zuletzt im November 2014 beobachtet wurde. Die allgemeine Gewalt, Selbstmordattentate, Autobomben und magnetisch angebrachte IEDs (improvised explosive devices) befinden sich im Großen und Ganzen auf dem Niveau von 2014. Dieses Gewaltniveau wird scheinbar von einer größeren Strategie extremistischer Gruppen vorangetrieben (EI o.D.). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren. Innerhalb Kabuls gibt es verschiedene Viertel mit unterschiedlichen Sicherheitslagen (LIB 2016, S. 20f).

Die Stadt Mazar-e Sharif ist eine Art "Vorzeigeprojekt" Afghanistans für wichtige ausländische Gäste (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014). Balkh ist, in Bezug auf Angriffe der Taliban, zentralasiatischer Aufständischer oder IS-Kämpfer, die sicherste Provinz in Nordafghanistan (LIB 2016, S. 76).

Ende 2011 übernahmen die nationalen afghanischen Sicherheitskräfte (ANSF) die Hauptverantwortung für die Sicherheit der Provinz Herat und stufenweise den Rest der westlichen Region. Die Provinz Herat blieb auch aufgrund der relativen Stabilität der Provinzregierung während der Transitionsperiode sicher. Auch nach der Übergabe an die afghanischen Kräfte gab es keine große Veränderung. Die Einschätzung der Sicherheitslage in Herat stellt sich als schwierig dar. im September 2015 berichtet, dass Herat zu den relativ volatilen Provinzen im Westen Afghanistans zählt, in der regierungsfeindliche bewaffnete Rebellengruppen in einer Anzahl von abgelegenen Bezirken aktiv sind (LIB 2016, S. 101).

Die Provinz Balkh bzw. Mazar-e Sharif galt auch in den Jahren 2015 bzw. 2016 als relativ stabil mit einer nur geringen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen und Aktivitäten aufständischer Gruppen. Auch wenn die Gesamtschau des Länderberichtsmaterials - wie bereits bemerkt - keinen Zweifel daran lässt, dass in einigen Landesteilen positive Entwicklungen und gebietsbezogene Fortschritte bestehen, zeigt die Gegenüberstellung der Berichtslage dennoch deutlich, dass die wirtschaftliche und humanitäre Lage als weitgehend gleichbleibend zu bewerten ist.

2.6. Die Länderfeststellungen beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, das basierend auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger unbedenklicher Quellen einen in den Kernaussagen schlüssigen Überblick über die aktuelle Lage in Afghanistan gewährleistet, und offenkundig auch dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegt wurde. Unter Berücksichtigung der vom erkennenden Gericht ständig beachteten aktuellen Quellenlage zum Herkunftsland des Beschwerdeführers ergibt sich daher auch in diesem Punkt im Ergebnis nicht, dass sich seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.7.2015 eine für den gegenständlichen Fall maßgebliche Änderung bzw. Verbesserung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan ergeben hätte.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen der §§ 8 und 9 AsylG 2005 lauten auszugsweise wie folgt:

Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

[...]

(4) Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, ist vom Bundesamt oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesamt für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

[...]

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten

§ 9. (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;

2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder

3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn

1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;

2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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