Entscheidungsdatum
28.02.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W279 2188395-1/19E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX 1984, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .01.2018, Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.11.2019, zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am XXXX .11.2016 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016BF.
2. Bei der mit einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung des Beschwerdeführers führte dieser zu seinem Fluchtgrund befragt zusammenfassend aus, dass sein Bruder von den Taliban nach einer vorangehenden Bedrohung ermordet worden sei. Daraufhin sei seine Mutter krank geworden. Der BF habe befürchtet, dass ihm dasselbe Schicksal wie seinem Bruder drohen könnte, da er ebenfalls als TV Mechaniker tätig gewesen sei und mit Receivern gehandelt habe. Bei einer Rückkehr befürchte er, ebenfalls von den Taliban getötet zu werden. Zu seinen persönlichen Daten brachte der BF vor, dass sein Vater bereits verstorben sei und seine Mutter und seine Schwester in Pakistan leben würden.
3. Am XXXX .12.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" genannt), im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Dabei führte er zusammenfassend aus, dass er Diabetiker sei und einer ärztlichen Weisung zufolge drei Tabletten täglich einnehmen müsse. Er sei mehrmals nach Pakistan gezogen und habe sich von dort wieder zurück nach Afghanistan begeben. Die Frage nach Familienangehörigen im Heimatstaat wurde vom BF verneint. Befragt, welche Berufstätigkeiten er ausgeübt habe, entgegnete der BF, dass er ca. vier bis fünf Jahre als Hilfsarbeiter in einem Goldgeschäft tätig gewesen sei und ungefähr 14-15 Jahre als Fernsehtechniker gearbeitet habe. Die Familie des BF oder der BF selbst habe im Heimatland weder Firmen und Geschäfte noch eine eigene Landwirtschaft. Zur Frage, wie seine Familie ihren Lebensunterhalt verdient habe, erklärte der BF, dass seine Mutter von ihrem Schwiegersohn und seiner Schwester Unterstützung erhalte. Die finanzielle Lage seiner Familie im Herkunftsland sei mittelmäßig gewesen, der BF habe jedenfalls von seinem Einkommen leben können. Auf die Frage, in welchen Städten Afghanistans er sich bereits aufgehalten habe, gab der BF an, dass er bereits in Herat und in Helmand gewesen sei. In Herat sei er ca. sechs oder sieben Jahre beruflich tätig gewesen, da er dort Fernsehkabel installiert habe.
Zum Fluchtgrund befragt, gab der BF zu Protokoll, dass Männer zu ihm gekommen seien und gegen Zahlung einer Geldsumme die Übermittlung von Daten verlangt hätten. Der BF habe vermutet, dass diese auch seinen Bruder umgebracht hätten. Er habe vorgegeben, ihre Anweisungen zu befolgen, was er jedoch nicht getan habe. Nach dem Tod seines Bruders habe er das Land verlassen. Auf Nachfrage, welche konkreten Daten die Männer von ihm verlangt hätten, erwiderte der BF, dass es sich dabei um Aufnahmen von Sicherheitskameras gehandelt habe und er jene Daten bearbeitet habe, die aus den Kameras ermittelt worden seien. Befragt, ob es geheime Daten gewesen seien, erklärte der BF, dass die Kameras bei der Polizei und in Gefängnissen sowie am Flughafen montiert gewesen seien, wo auch amerikanische Soldaten anwesend gewesen seien. Auf die Frage, ob er vermutet habe, dass es ihm ähnlich wie seinem Bruder ergehen könnte, replizierte der BF, dass ihn auch seine Freunde davor gewarnt hätten, die erwähnten Aufträge anzunehmen. Die Frage, ob er direkt bedroht worden sei, wurde vom BF jedoch verneint. Er sei aufgrund der Ermordung seines Bruders nach Pakistan gezogen. Zum Vorhalt, wieso er nicht in einen anderen Landesteil Afghanistans wie beispielsweise Kabul gezogen sei, entgegnete der BF, dass er als Schiite nirgends sicher sei. Die Frage, ob seine Familie (Mutter, Schwester) bedroht worden sei, wurde vom BF ebenfalls verneint. Zur Frage, ob er den Vorfall bei der Polizei gemeldet habe oder ob er den Dorfältesten aufgesucht habe, gab der BF an, dass ihn die Polizei lediglich ausgelacht habe und gefragt habe, ob sein Bruder die einzige Person sei, die in Afghanistan getötet worden sei. Die Dorfältesten hätten mit ihm jedenfalls die Polizeistelle aufgesucht. Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat fürchte er sich vor den Taliban und vor den Daesh.
Die Fragen, ob er jemals politisch tätig gewesen sei, es jemals eine konkrete Verfolgung seiner Person aufgrund seiner Religionszugehörigkeit, seiner Rassenzugehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe gegeben habe oder er je Probleme mit Behörden, der Polizei oder Gerichten gehabt habe, wurden vom BF allesamt verneint. Er sei auch nicht vorbestraft und es würden gegen ihn keine staatlichen Fahndungsmaßnahmen bestehen.
Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, brachte der BF vor, dass er zweimal in der Woche einen Deutschkurs besuche und für eine Gemeinde ehrenamtlich tätig gewesen sei. Die Fragen, ob er Mitglied in einem Verein sei oder regelmäßig eine Moschee besuche, wurden vom BF verneint.
Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom BF ein Befundbericht eines Krankenhauses vom XXXX .07.2017 mit der Diagnose "Diabetes Mellitus" mit einer angeordneten Medikation und einer Kontrolle in sechs Monaten, ein Teilbefund eines Labors vom XXXX .12.2016, ein Diabetesprotokoll, eine Bestätigung der Volkshochschule vom XXXX .12.2017 über den Besuch eines Deutschkurses für Asylwerbende vom XXXX .08.2017 bis zum XXXX .12.2017, zwei weitere Bestätigungen über einen Kursbesuch (Deutsch für Asylwebende A1/1 sowie Alphabetisierung 1), eine Teilnahmebestätigung am " XXXX " vom XXXX .12.2017 sowie ein Zertifikat vom XXXX .12.2017 über die erfolgreiche Absolvierung eines ÖSD Zertifikat auf dem Niveau A1 in Vorlage gebracht.
4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß §§ 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. (Spruchpunkt III.) Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. (Spruchpunkt V.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. (Spruchpunkt VI.)
Zusammenfassend führte das BFA aus, dass die gesamten Ausführungen des BF hinsichtlich ihrer Glaubwürdigkeit stark in Zweifel gezogen werden würden. Die beiden Aussagen bewertend, müsse angeführt werden, dass der BF seine, im Gegensatz zur Erstbefragung gemachten Angaben vor dem BFA erheblich gesteigert habe. Während er in der Erstbefragung lediglich von einem Vorfall betreffend seinen Bruder erzählt habe, der dazu geführt habe, dass er mit seiner Familie nach Pakistan ausgereist sei, habe er vor dem BFA erklärt, bereits im Jahr 2014 nach Pakistan ausgereist zu sein. Zusätzlich habe er in der Einvernahme noch seine Angaben gesteigert und angeführt, dass ihn Männer aufgefordert hätten, Daten aus Sicherheitskameras für diese zu besorgen. Der BF habe vermutet, dass es dieselben Männer gewesen seien, die auch seinen Bruder getötet hätten. Erst auf Nachfrage habe der BF einen eigenen Fluchtgrund dargestellt und behauptet, dass auch er selbst von den Männern zur Datenermittlung und Übergabe angesprochen worden sei. Vergleiche man seine Ausführungen in der Erstbefragung und der nachfolgenden Einvernahme, müsse auch zur seinerseits erfolgten Aufforderung zur Datenermittlung festgestellt werden, dass diese Angaben unglaubwürdig seien. Anfangs habe er noch angegeben, als Fernsehtechniker gearbeitet und dabei auch Receiver verkauft zu haben. Jedoch bereits die Aussage, kein "richtiger Moslem" zu sein, weil er Receiver verkauft habe, sei nicht plausibel, da in Afghanistan ein lebhafter Mediensektor bestehe und nicht bekannt sei, dass es Moslems in Afghanistan verboten wäre, Receiver zu verkaufen. Zusätzlich habe er seine beruflichen Angaben in der Einvernahme gesteigert und angegeben, im Sicherheitsbereich wie Polizei, Gefängnissen und Flughäfen Kameras installiert zu haben. Gleichzeitig werde angemerkt, dass es absolut unschlüssig sei, derart wichtige Fakten, welche eine besondere persönliche Betroffenheit und Bedrohung auslösen würden, anlässlich seiner Erstbefragung nicht einmal ansatzweise zu erwähnen. Unglaubwürdig sei zudem, dass der BF aufgrund einer aktuellen Bedrohung seiner Person geflüchtet sei. Hätte es tatsächlich eine solche Bedrohung und eine aktuelle Gefahr gegeben, hätte er keine Zeit verschwendet und nicht noch Reisepässe für seine Familie besorgt, um damit nach Pakistan reisen zu können. Insgesamt werde vom Bundesamt festgestellt, dass es sich um eine nicht plausible Darstellung von Fluchtgründen handle. Den Schilderungen des BF fehle jene Komprimierung an Bedrohungsmomenten, die für die Glaubwürdigkeit einer ernstzunehmenden und existenten Bedrohung gegen ihn erforderlich wäre. Aufgrund konkreter, aktueller fehlender Bedrohungsszenarien hinsichtlich dieser vom BF vorgebrachter Fluchtgründe lasse sich auch keine mögliche Gefährdung seinerseits bei einer Rückkehr in sein Heimatland ermitteln. Aus den gesamten Ausführungen und den vom BFA geführten Ermittlungen sowie den daraus gezogenen negativen Schlüssen sei festzustellen, dass von einem unglaubwürdigen Vorbringen seines Fluchtgrundes und einem gesteigertem Fluchtvorbringen auszugehen sei. Angesichts der gesamten Schilderungen fehle es diesen Ausführungen an einer notwendigen Glaubwürdigkeit, um eine Furcht vor Verfolgung begründen zu können.
6. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die erhobene Beschwerde, welche fristgerecht beim BFA einlangte. In dieser wird zusammenfassend insbesondere ausgeführt, dass die belangte Behörde Ermittlungen bezüglich des Unternehmens des BF sowie seiner Aufträge und seiner Auftraggeber einholen hätte müssen, um sein Fluchtvorbringen entsprechend beurteilen zu können. Eine Steigerung des Fluchtvorbringens liege im Fall des BF nicht vor. Wenn der BF angebe, selbst niemals direkt bedroht worden zu sein, so sei dies kein Indiz dafür, dass keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung im Herkunftsland bestehe. Entgegen der Annahme der belangten Behörde habe der BF die entsprechenden Qualifikationen für die Installation von Kameras im Sicherheitsbereich aufgewiesen. Die in der Beweiswürdigung angeführten Argumente seien nicht geeignet, die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des BF in Zweifel zu ziehen. Es gebe auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Verfolgungsinteresse der Taliban gering ausgeprägt und regional beschränkt sei. Der BF verfüge lediglich über wenige Bekannte in Afghanistan. Diese seien nicht in der Lage oder nicht gewillt, dem BF bei einer Neuansiedelung zu unterstützen. Auch wäre von der belangten Behörde abzuklären gewesen, ob der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan über die notwendigen finanziellen Ressourcen verfügen würde, um sich die durchschnittlichen, monatlichen Behandlungskosten für Diabetes in Höhe von 40,00,- Euro leisten zu können und nicht in eine lebensbedrohliche Situation geraten würde. Entgegen der Ansicht der Behörde drohe dem BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan die reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung. Das Ermittlungsverfahren der belangten Behörde sei mangelhaft gewesen, da im Hinblick auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht erhoben worden sei. Der BF halte sich nachweislich seit mehr als einem Jahr durchgängig im Bundesgebiet auf und sein Aufenthalt sei immer rechtmäßig gewesen. Er sei äußerst bemüht, sich zu integrieren, besuche zwei Mal in der Woche einen Deutschkurs, dolmetsche für andere Asylwerber und gehe gemeinnützigen Tätigkeiten nach. Im Fall des BF bestehe ein schützenswertes Privat-und Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK in Österreich. Die belangte Behörde habe eine mangelhafte Interessensabwägung vorgenommen und sei daher zu Unrecht zum Schluss gelangt, dass die Verhängung einer Rückkehrentscheidung zulässig wäre. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 25.11.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen persönlichen Umständen und seinen Fluchtgründen befragt wurde. Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hat an der Verhandlung nicht teilgenommen; die Verhandlungsschrift wurde der Erstbehörde übermittelt. Mit dem Beschwerdeführer wurden die Situation aufgrund der vorliegenden Länderfeststellungen besprochen und ihm ausführlich Gelegenheit eingeräumt, hierzu Stellung zu nehmen.
Zur Frage, wie er sich gesundheitlich fühle, gab der BF zu Protokoll, dass er an Diabetes leide und Probleme mit seinem Ohr habe. Überdies habe er aufgrund der diagnostizierten Diabetes Sehbeschwerden und Tinnitus. Mangels Arbeitserlaubnis sei er im Bundesgebiet bislang noch keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen, sei jedoch als Volontär für die Gemeinde tätig gewesen.
Befragt, welches Religionsbekenntnis er derzeit habe, erklärte der BF, dass er seit Juli 2016 Christ sei, da ihm in Pakistan ein katholischer Christ ermöglicht habe, bei ihm zu wohnen. Aufgrund der Nächstenliebe dieses Mannes habe er sich dem Christentum zugewandt und in einer Kirche freiwillig ausgeholfen. Zur Frage, ob er in Pakistan zur Kirche gegangen sei, erwiderte der BF, dass er für die Kirche freiwillige Hilfsarbeiten wie diverse Reparaturarbeiten verrichtet habe. Er habe in Quetta gelebt, da diese Stadt nicht weit von Kandarhar entfernt gewesen sei. Befragt, wie lange er in Quetta gelebt habe, entgegnete der BF, dass er im Alter von drei oder vier Jahren nach Pakistan ausgewandert sei und anschließend bis 2003 oder 2004 dort gelebt habe. Da bei einem Anschlag 140 Personen ums Leben gekommen seien, sei der BF 2006 mit seiner Mutter, seinem Bruder sowie seiner Schwester nach Afghanistan zurückgekehrt. Auf die Frage, ob er von 2006 bis 2014 in Afghanistan gelebt habe, entgegnete der BF, dass er sich nicht durchgehend in Afghanistan aufgehalten habe und sowohl in Pakistan als auch in Afghanistan gelebt habe, da Quetta nicht weit von Afghanistan weg gewesen sei. Befragt, in welche Kirche er in Quetta gegangen sei, erwiderte der BF, dass die Kirche "St. Marie" geheißen habe, auch eine Schule dieser angeschlossen gewesen sei und der BF dort oftmals gearbeitet habe. Auf Nachfrage, ob er in Afghanistan eine Kirche besucht habe, erklärte der BF, dass er weder in Kandarhar noch in Mazar e-Sharif eine Kirche gesehen habe. Auf die Frage, in welche Kirche er in Griechenland gegangen sei, replizierte der BF, dass er dort nicht regelmäßig in die Kirche gegangen sei, obwohl es in Athen eine gegeben habe. Er sei dort jedoch von einem Amerikaner getauft worden, wisse aber nicht, ob dieser Katholik oder Orthodox gewesen sei. Er selbst sei Katholik. Nachgefragt, was der Unterschied zwischen dem katholischen Glauben und der Orthodoxie sei, brachte der BF vor, dass er sich zwar nicht eingelesen habe, aber er nur wisse, dass es einige Divergenzen zwischen diesen Glaubensrichtungen gebe. Auf die weitere Frage, was der Unterschied zwischen dem katholischen Glauben und dem Protestantismus sei, entgegnete der BF, dass er die Antwort auf diese Frage nicht wisse, er jedoch bei jeder Krankheit zu einem katholischen Krankenhaus in Quetta gegangen sei. Erst jetzt sei ihm bewusst, dass man zwischen Protestanten und Orthodoxen unterscheide.
Auf Aufforderung, den Ablauf seiner Taufe zu schildern, führte der BF aus, dass durch die Taufe seine Sünden beseitigt worden seien. Überdies habe er einen Kurs über das Christentum besucht, obwohl er wegen Probleme mit seinem Ohr nichts habe hören können. Auf Nachfrage, wie seine Taufe im Konkreten ausgesehen habe, gab der BF an, dass man ihm erklärt habe, im Namen des Heiligen Geistes getauft zu werden und er diesen Vorschlag bejaht habe. Er könne seine Taufe auch durch die Vorlage eines Videos belegen. Befragt, wann das Video aufgenommen worden sei, gab der BF an, dass es vor drei Jahren aufgenommen worden sei und die Taufe in Athen stattgefunden habe. Den genauen Standort der Taufe wisse der BF jedoch nicht. Er könne auch nicht angeben, zu welcher Kirche der im Video aufscheinende Mann namens "Jonathan" gehöre. Derzeit besuche der BF eine Kirche namens " XXXX " in XXXX , der Name des Pfarrers der Kirche sei dem BF jedoch nicht bekannt. Auf die Frage, was das Thema des Unterrichts am Montag gewesen sei, erklärte der BF, dass aus der Bibel vorgelesen worden sei und erklärt worden sei, welche Pflichten ein Christ habe. Befragt, wie der Lehrer heiße, entgegnete der BF, dass die anwesende Zeugin sowie ein Dolmetscher in der Kirche gewesen sein. Zur Frage, ob er sich den österreichischen Behörden gegenüber vom Islam abgemeldet habe, erwiderte der BF, dass er dazu nicht beraten worden sei. Auf Aufforderung, die 10 Gebote zu nennen, führte der BF aus, dass man nicht lügen und im Herzen rein sein sollte. Ansonsten habe er sich keine weiteren Gedanken über das Christentum gemacht. Obwohl er von umgeben sei, habe er noch nicht viele Informationen über diese Religion gelernt. Auf Nachfrage, ob er das "Vater Unser" vollständig aufsagen könne, gab der BF zu Protokoll, dass er es lediglich auf Urdu, aber nicht auf Deutsch oder Englisch wiedergeben könne. Befragt, worin der Unterschied zwischen dem Islam und dem Christentum bestehe, gab der BF an, dass es im Christentum keine Bestrafung, sondern Erbarmen gebe. Man habe im Gegensatz zur islamischen Religion, die nur Angst schüre, die Hoffnung, dass Missetaten vergeben werden würden. Jesus Christus habe die Sünden der Menschen auf sich genommen, im Islam werde man hingegen für jeden einzelnen Fehler zur Verantwortung gezogen. Auf die Frage der Vertretung, wie sich der Glaube auf sein alltägliches Leben auswirke, erklärte der BF, dass er sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan im Gegensatz zu Österreich seinen Glauben verschleiern habe müssen. In Österreich habe er die Möglichkeit, ein neues Leben zu beginnen und als Mensch mit Rechten wahrgenommen zu werden. Befragt, ob er in Afghanistan seinen Glauben ausleben könnte, gab der BF an, dass er bei einer Rückkehr mit Schwierigkeiten konfrontiert werden würde. Der Mullah, der seinen Bruder getötet habe, würde ihn selbst auch töten, da er einer großen Gruppe angehöre. Er würde sich in Afghanistan zudem nicht zum Christentum bekennen können, ohne getötet zu werden. Zum Vorhalt, wie ihn der Mullah in Mazar e-Sharif, Herat oder Kabul finden könnte, brachte der BF vor, dass er ihn sogar in Pakistan finden könnte, da dieser ein umfassendes Netzwerk an unterschiedlichen Personen kenne und zahlreiche Handlanger habe. Auf weiteren Vorhalt, dass er sowohl im November 2016 und im Dezember 2017 gegenüber der Polizei angegeben habe, dass er Schiit sei und auf die Frage, wieso er nicht bereits zu diesen Zeitpunkten erwähnt habe, dass er Christ sei, gab der BF an, dass er nicht ausreichend über seine Rechte aufgeklärt worden sei und nicht gewusst habe, wie seine genaue Bezeichnung nach seiner Taufe sei. Sein Gesundheitszustand sei überdies äußerst schlecht gewesen. Auf weiteren Vorhalt, dass er sich auch beim BFA als Schiit ausgegeben habe, replizierte der BF, dass er zu diesem Zeitpunkt keine Beweismittel vorweisen habe können.
Eine im Rahmen der mündlichen Verhandlung einvernommene Zeugin führte aus, dass sie den BF über Bekannte kennengelernt habe. Sie gehe in die XXXX Kirche und sei im Pfarrgemeinderat aktiv, wo sie mit einer Kollegin Flüchtlinge unterrichte. Auf die Frage, wann der BF getauft werden könnte, entgegnete die Zeugin, dass der BF bereits getauft sei und alle weiteren Schritte reine Formsache seien. Der BF besuche fast jeden Montag die Kirche und bete mit diesem häufig das "Vater Unser". Auf die Frage der Rechtsvertretung, ob sie beurteilen könne, ob sich der BF aus innerer Überzeugung dem Christentum zugewandt habe, erwiderte die Zeugin, dass dieser von Anfang an betont habe, als Christ glücklich zu sein, da er mit dem Islam schlechte Erfahrungen gemacht habe.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden vom BF eine Bestätigung der Volkshochschule vom XXXX .11.2019 über die Absolvierung des Abendkurses im Rahmen des Pflichtschulabschlusses, eine Bestätigung für ein freiwilliges Engagement für die Lebenshilfe XXXX , eine Arbeitsbestätigung vom XXXX .02.2019 über die Verrichtung gemeinnütziger Tätigkeiten für die Stadtgemeinde XXXX , ein Teilnahmezertifikat sowie eine Teilnahmebestätigung über den Besuch einer 12-teiligen Dialogreihe " XXXX " vom XXXX .11.- XXXX .12.2017, eine Genehmigung vom XXXX .07.2019 über die Wahrnehmung einer gemeinnützigen Beschäftigung beim Seniorenwohnhaus XXXX , ein Befundbericht vom XXXX .08.2018 mit der Diagnose "Diabetes mellitus" sowie "Hyperlipidämie" unter Anordnung einer entsprechenden Medikation, ein Labor-Kumulativbefund vom XXXX .08.2018, ein fachärztliches Attest vom XXXX .11.2019 mit den Diagnosen "mittelgradige Hypakusis mit Hörgeräteversorgung beidseits seit 11/2019" sowie "chronisch dekompensierter Tinnitus beidseits" und "Nikotinabusus", Schreiben vom XXXX .07.2019 über eine verpflichtende Thoraxröntgenkontrolle am XXXX .07.2019, ein "Certificate of Baptism" vom XXXX .07.2016 in Athen mitsamt einem Empfehlungsschreiben von " XXXX " in englischer Sprache und ein absolviertes ÖSD Zertifikat vom XXXX .07.2019 auf dem Niveau A2 in Vorlage gebracht.
In einer Stellungnahme der bevollmächtigten Vertreterin vom XXXX .12.2019 wurde ausgeführt, dass der BF in einer Gesamtbetrachtung im Rahmen der mündlichen Verhandlung darlegen habe können, dass er aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert sei und dieser Schritt von Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit getragen sei. Die aktive Teilnahme an Gottesdiensten, sein Vorbereitungskurs zur Taufe sowie der regelmäßige Besuch von Gottesdiensten seien durch die Zeugin unter Wahrheitspflicht bestätigt worden. Es sei nicht anzunehmen, dass der BF seinen christlichen Glauben in seiner Heimat Afghanistan verleugnen würde. Aus dem neuen Länderinformationsblatt ergebe sich eine hohe Gefährdungslage für Personen, die vom Islam abgefallen seien, unabhängig davon, ob diese zu einer anderen Religion konvertieren oder sich dem Atheismus zuwenden. Zur Abkehr vom Islam wurde auf die aktuellen UNHCR-Richtlinien sowie auf den EASO Bericht vom Juni 2019 verwiesen, woraus auch abzuleiten sei, dass von Schutzsuchenden nicht erwartet werden könne, ihren Glauben aufzugeben bzw. sich als "Muslim" auszugeben. Aus dem Länderinformationsblatt 2019 ergebe sich, dass eine Neuansiedlung in Kabul, Mazar e-Sharif und Herat nur dann zumutbar sein könne, wenn es starke familiäre oder soziale Netzwerke gebe, die bei der Arbeitsplatzsuche oder sonstigen ökonomischen Problemen unterstützend beistehen könnten. Der Stellungnahme wurden mehrere Fotos von der Taufe des BF sowie die Geburtsurkunde des BF angeschlossen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen sowie dem schiitisch-muslimischen Glauben an und spricht Dari als Muttersprache.
Der Beschwerdeführer wurde in der Stadt Kandarhar geboren und ist in Pakistan aufgewachsen. Von 2006 bis 2014 hat er sowohl in Pakistan als auch in Afghanistan gewohnt. Er hat in Pakistan acht Jahre die Schule besucht und zuletzt als Fernsehtechniker gearbeitet. Der Beschwerdeführer hat in einem Mietshaus mit seiner Mutter, seinem Bruder sowie seiner Schwester gewohnt und ist beruflich auch mehrere Jahre in Herat tätig gewesen. Seine Eltern und sein Bruder sind bereits verstorben. Die Schwester des BF ist mit ihrem Ehemann in Pakistan aufhältig.
Der Beschwerdeführer ist unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und hält sich seit zumindest XXXX .11.2016 durchgehend in Österreich auf (AS 3 ff).
Der Beschwerdeführer absolviert an der Volkshochschule in einem Abendkurs den Pflichtschulabschluss, ist als freiwilliger Mitarbeiter für die Lebenshilfe XXXX tätig, hat gemeinnützige Arbeiten für die Stadtgemeinde XXXX verrichtet und bereits Deutschkurse besucht sowie zwei Prüfungen auf dem Niveau A1 und A2 bestanden. Der Beschwerdeführer hat an einer Dialogreihe über die österreichische Werteordnung teilgenommen, bezieht jedoch Leistungen aus der Grundversorgung. Er verfügt in Österreich über keine Verwandten, hat keine sonstigen engen familienähnlichen Bindungen zu sich in Österreich aufhältigen Personen, bzw. ist das Vorliegen eines besonders zu berücksichtigenden Nahe - bzw. Abhängigkeitsverhältnisses zu Personen im Bundesgebiet nicht dargelegt worden.
Der Beschwerdeführer leidet an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten. Der BF leidet an Diabetes mellitus sowie Hyperlipidämie (erhöhter Cholesterinspiegel), einer mittelgradigen Hypakusis (Schwerhörigkeit) beidseits sowie einem chronisch dekompensierter Tinnitus beidseits und Nikotinabusus und benötigt aufgrund dieser Erkrankungen ärztliche Betreuung und Medikation, welche ihm auch in Afghanistan zur Verfügung steht. Es gibt keine Anhaltspunkte dahingehend, dass der BF eine Behandlung der erwähnten gesundheitlichen Beschwerden nicht auch im Herkunftsstaat fortsetzen kann. Eine Verschlechterung seines Zustandes ist nicht zu erwarten.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen, von Privatpersonen aufgrund seiner Tätigkeit als Fernsehtechniker unter Druck gesetzt worden zu sein, wird dem Verfahren nicht zugrunde gelegt.
Es wird dem Verfahren ebenfalls nicht zugrunde gelegt, dass der Beschwerdeführer Afghanistan aufgrund einer glaubwürdigen, ihn unmittelbar persönlich treffenden asylrelevanten Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen hat.
Der Beschwerdeführer wurde als schiitischer Moslem erzogen. Aufgrund der Nächstenliebe eines katholischen Freundes interessiert sich der Beschwerdeführer seit 2014 für das Christentum. Der Beschwerdeführer besucht regelmäßig die XXXX Kirche in XXXX . Am XXXX .07.2016 wurde der Beschwerdeführer in Griechenland getauft.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vom religionsfeindlich oder gar spezifisch gegen den Islam auftritt. Der Beschwerdeführer interessiert sich zwar für den christlichen Glauben und besucht regelmäßig den Gottesdienst sowie einen Glaubenskurs.
Es wird dem Verfahren jedoch zugrunde gelegt, dass der christliche Glaube nicht wesentlicher Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden ist. Der Beschwerdeführer würde seinem derzeitigen Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nicht weiter nachkommen. Er würde sein derzeitiges Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nicht nach außen zur Schau tragen. Die afghanischen Behörden und/oder das persönliche Umfeld des Beschwerdeführers würden von dessen Glaubenswechsel und christlichem Engagement bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine Kenntnis erlangen. Der Beschwerdeführer würde im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines Interesses für den christlichen Glauben nicht psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt sein.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die afghanischen Behörden von seinem in Österreich an den Tag gelegten Interesse am Christentum bei einer Rückkehr nach Afghanistan Kenntnis erlangen würden.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines Interesses für den christlichen Glauben psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Niederlassung in einer der größeren Städte von Afghanistan wie Kabul, Masar -e Sharif und Herat besteht für den Beschwerdeführer als arbeitsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine berücksichtigungswürdige Bedrohungssituation, bzw. läuft dieser dort auch nicht in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der BF war in Herat bereits mehrere Jahre beruflich tätig.
1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
Politische Ereignisse: Friedensgespräche. Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung. Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban. Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi. die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments. Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete. die Taliban hätten kein Interesse daran. Teil der aktuellen Regierung zu sein. und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).
Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel. einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an. betonte aber dennoch. dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen. um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil. was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen. das für Mitte April 2019 in Katar geplant war. zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).
Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).
Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).
Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).
Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der
Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019). Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).
Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).
Anschläge in Kabul-Stadt
Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).
Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).
Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).
Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).
Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).
Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)
US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).
Rückkehr
Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).
Quellen:
- 1 TV NEWS (30.5.2019): At least six killed in suicide blast near military academy in
Kabul, http://www.1tvnews.af/en/news/afghanistan/38366-breaking-blast-rocks-
kabul, Zugriff 3.6.2019
- AAN - Afghanistan Analysts Network (17.5.2019): The Results of Afghanistan's 2018
Parliamentary Elections: A new, but incomplete Wolesi Jirga,
https://www.afghanistan-analysts.org/the-results-of-afghanistans-2018-parliamentary-
elections-a-new-but-incomplete-wolesi-jirga/. Zugriff 22.5.2019
- AJ - Al Jazeera (30.5.2019): Suicide bomber targets Afghan military training centre in
Kabul, https://www.aljazeera.com/news/2019/05/suicide-bomber-targets-afghan-
military-training-centre-kabul-190530082719388.html. Zugriff 3.6.2019
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (3.6.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (20.5.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (6.5.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail
- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (13.2.2019): Kabul Police Districts Map, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf
- Heise (16.5.2019): Afghanistan: Wie viel Macht hat der Präsident?,
https://www.heise.de/tp/features/Afghanistan-Wie-viel-Macht-hat-der-Praesident-
4422023.html, Zugriff 3.6.2019
- IEC - Independent Electoral Commission via Facebook (14.5.2019): Press
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https://www.facebook.com/AfghanistanIEC/posts/2361637283896572? tn =-R,
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- IEC - Independent Electoral Commission (15.5.2019): Kabul - Wolesi Jirga Final Results, http://www.iec.org.af/results/en/home/finalresult_by_province/1/2. Zugriff
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- LWJ - Long War Journal (2.6.2019): Islamic State bombs bus, security personnel in western Kabul, https://www.longwarjournal.org/archives/2019/06/islamic-state-bombs- bus-security-personnel-in-western-kabul.php. Zugriff 3.6.2019
- Newsweek (21.5.2019): Russia Spy Chief warns 5,000 ISIS Foreign Fighters
Threaten Borders of Former Soviet Union, https://www.newsweek.com/russia-spy- chief-warns-5000-isis-foreign-fighters-threaten-borders-former-1431576. Zugriff
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- Tolonews (3.6.2019): Five Killed As Explosion Targets Govt Employees Bus In Kabul,
https://www.tolonews.com/afghanistan/explosion-targets-govt-bus-kabul. Zugriff
3.6.2019
- Tolonews (31.5.2019a): Taliban Wants An ,Inclusive Post-Peace Govt',
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- TW - The Week (2.6.2019): Afghan officials: 3 bomb blasts in capital, 1 killed, https:// www.theweek.in/news/world/2019/06/02/afghan-officials-3-bomb-blasts-in-capital-1-
killed.html, Zugriff 3.6.2019
- UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (24.4.2019): Quarterly Report on the Protection of Civilians in Armed Conflict: 1 January to 31 March 2019, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_protection_of_civilians_in_ar
med_conflict_-_first_quarter_report_2019_english_.pdf. Zugriff 3.4.2019
- VOA - Voice of America (21.5.2019): Islamic State in Afghanistan Growing Bigger, More Dangerous, https://www.voanews.com/a/islamic-state-in-afghanistan-growing- bigger-more-dangerous/4927406.html. Zugriff 4.6.2019
KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft).
Anschläge in Kabul-Stadt
Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).
Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).
Überflutungen und Dürre
Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).
Friedensgespräche
Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).
Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US-Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).
Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).
Quellen:
AJ - Al Jazeera (21.3.2019): Blasts in Afghan capital Kabul kill six during new year festival, https://www.aljazeera.com/news/2019/03/blasts-afghan-capital-kabul-kill-6-year-festival-190321064823472.html, Zugriff 26.3.2019
AJ - Al Jazeera (8.3.2019): Death toll rises to 11 in attack on Shia gathering in Kabul, https://www.aljazeera.com/news/2019/03/death-toll-rises-11-afghan-capital-attack-shia-gathering-190308102222870.html, Zugriff 26.3.2019
NYT - The New York Times (7.3.2019): U.S. Peace Talks With Taliban Trip Over a Big Question: What Is Terrorism?, https://www.nytimes.com/2019/03/07/world/asia/taliban-peace-talks-afghanistan.html, Zugriff 26.3.2019
IFRCRCS - International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies (17.3.2019): Emergency Appeal Afghanistan: Drought and Flash Floods, https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-drought-and-flash-floods ,ua.
Kommentar:
Die Lage vor Ort wird weiterhin beobachtet und gegebenenfalls wird mit weiteren Kurzinformationen reagiert. Weiterführende Informationen zu der Friedensgesprächsrunde von Jänner 2019 können der KI vom 31.1.2019 entnommen werden.
KI vom 1.3.2019, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2018 (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)
Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).
Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).
Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).
Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).
Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).
Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Durch die folgende kartografische Darstellung der Staatendokumentation soll die Verteilung des Konflikts landesweit veranschaulicht werden.
(BFA Staatendokumentation 20.02.2019a
In der folgenden Grafik der Staatendokumentation wird das Verhältnis zwischen den vier Quartalen des Jahres 2018 anhand der registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle für den Zeitraum 1.1.2018 - 31.12.2018 veranschaulicht.
Zivile Opfer
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer; 1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).
Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um