TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/28 W251 2183278-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.02.2020
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Entscheidungsdatum

28.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W251 2183278-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 15.12.2017, Zl. 1102848305 - 160102130 und gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.01.2018, Zl. 1102848305 - 160102130, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 20.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Am 20.01.2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Beschwerdeführers statt. Dabei gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er als Dolmetscher für amerikanische Firmen gearbeitet habe und sein Leben immer von Taliban mit dem Tod bedroht gewesen sei. In Jalalabad habe die Gruppe der Dayesh den Beschwerdeführer töten wollen. Daher sei er aus Afghanistan geflüchtet.

3. Am 23.06.2017 fand eine Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) statt. Zu seinen Fluchtgründen gab er im Wesentlichen an, dass seine Tätigkeit als Dolmetscher sehr gefährlich gewesen sei. Von den Taliban sei der Beschwerdeführer bedroht worden und er habe auch einen Drohbrief erhalten.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.) und erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan unzulässig sei (Spruchpunkte IV und V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können bzw. dass er nicht aus in der GFK genannten Gründen verfolgt worden sei. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Der Beschwerdeführer sei ein gesunder, arbeitsfähiger Mann, der in seine Heimatregion Kabul zurückkehren könne, wo er über ein familiäres Netzwerk verfüge. Zudem könne er finanzielle Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen und würde somit bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht in eine ausweglose Situation geraten. Die Abschiebung nach Afghanistan sei jedenfalls zulässig. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

5. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 02.01.2018, wurde der Spruchpunkt V. des bekämpften Bescheides dahingehend berichtigt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei.

6. Der Beschwerdeführer erhob gegen beide Bescheide fristgerecht Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass das durchgeführte Ermittlungsverfahren mangelhaft gewesen sei. Die Länderfeststellungen seien mangelhaft, die Sicherheitslage und die Situation für Rückkehrer sei volatil, diesbezüglich wurden Länderinformationen vorgelegt. Auch habe das Bundesamt eine unschlüssige Beweiswürdigung und mangelhafte Sachverhaltsermittlung vorgenommen. Weiters wurde auf die UNHCR Richtlinien betreffend die Nichtgewährung von Asyl hingewiesen. Das Vorbingen des Beschwerdeführers sei glaubwürdigen. Zudem sei der Beschwerdeführer als westlich orientierter Mann bzw. als Rückkehrer aus dem Westen jedenfalls einer Verfolgung ausgesetzt. Überdies sei der Beschwerdeführer ein westlich orientierter Mann, der traditionelle und religiöse Moralvorstellungen ablehnt, weshalb ihm überdies Verfolgung drohe. Zudem sei dem Beschwerdeführer subsidiärer Schutz zu gewähren und sei ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar. Des Weiteren wurde angeregt an den EuGH die Frage nach der Auslegung des Art. 8 der Statusrichtlinie durch das Bundesverwaltungsgericht heranzutragen. Die erlassene Rückkehrentscheidung sei aufgrund der vorbildlichen Integration des Beschwerdeführers jedenfalls auf Dauer unzulässig.

7. Mit schriftlicher Stellungnahme vom 05.02.2018 legte der Beschwerdeführer eine Bestätigung der U.S.-Botschaft vom 24.01.2018 über die Echtheit der von ihm vorgelegten Beweismittel und Email-Korrespondenz vom 19.01.2018 vor. Mit schriftlicher Stellungnahme vom 06.11.2018 brachte der Beschwerdeführer ärztliche Unterlagen vom 17.07.2018 und vom 23.10.2018 zu seinem Gesundheitszustand in Vorlage. Mit Schriftsatz vom 11.02.2019 brachte der Beschwerdeführer ein Zeugnis über die am 18.01.2019 absolvierte Integrationsprüfung auf dem Niveau B1 in Vorlage.

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 25.02.2019 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die Sprache Dari und im Beisein des Beschwerdeführers und seines Rechtsvertreters eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Im Zuge dieser mündlichen Verhandlung hat der Beschwerdeführer Unterstützungsschreiben sowie weitere Beweismittel vorgelegt.

9. Mit Schreiben vom 04.03.2019 und 04.04.2019 ersuchte das Bundesverwaltungsgericht die U.S.-Botschaft bekanntzugeben auf welche Dokumente konkret sich die Botschaft in ihrem Schreiben vom 24.01.2018 bezogen habe. Eine diesbezügliche Stellungnahme ist nicht ergangen.

10. Mit Parteigehör vom 21.11.2019 brachte das Bundesverwaltungsgericht das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in das Verfahren ein und forderte den Beschwerdeführer allfällige Neuerungen, die sich seit der letzten Verhandlung ergäben hätten, vorzubringen. Der Beschwerdeführer ist den eingebrachten Länderinformationen nicht substantiiert entgegengetreten. Er verwies mit Schriftsatz vom 05.12.2019 auf die EASO-Guidelines und die UNHCR-Richtlinien. Aufgrund der langen Abwesenheit sei ihm eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat oder Mazar-e Sharif nicht zumutbar. Der Beschwerdeführer legte Integrationsunterlagen, insbesondere über ehrenamtliche Tätigkeiten, vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt in Österreich den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben (AS 11, AS 53; Verhandlungsprotokoll vom 25.02.2019 = OZ 10, S. 7).

Der Beschwerdeführer wurde in der Stadt Kabul geboren (OZ 10, S. 7; AS 11 und AS 53). Der Beschwerdeführer ist bei seinem Onkel mütterlicherseits und dessen Familie aufgewachsen. Der Beschwerdeführer ist in Jalalabad und Kabul aufgewachsen. Bis zur 6. Klasse hat er mit der Familie seines Onkels mütterlicherseits in Jalalabad gelebt, von der 7. bis zur 12. Klasse, sowie ein weiteres Jahr hat der Beschwerdeführer mit der Familie seines Onkels mütterlicherseits in Kabul gelebt. Danach übersiedelte der Beschwerdeführer mit der Familie seines Onkels wiederum nach Jalalabad (OZ 10, S. 13).

Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan bis zur 12. Klasse die Schule besucht. Danach hat er drei Jahre lang Englisch-, Mathematik-, Trigonometrie- und Algebrakurse besucht (OZ 10, S. 7; AS 57 ff;).

Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder (OZ 10, S. 7; AS 11, 13 und 55).

Der Beschwerdeführer ging in Afghanistan einer beruflichen Tätigkeit nach, er hat jedoch niemals als Dolmetscher für amerikanische Firmen, das amerikanische Militär oder eine NGO gearbeitet. Die tatsächliche berufliche Tätigkeit des Beschwerdeführers in Afghanistan konnte nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer hat zudem Berufserfahrung als Hilfsarbeiter auf Baustellen gesammelt (OZ 10, S. 21).

Der Beschwerdeführer ist im Jahr 2013 legal mit einem afghanischen Reisepass und einem iranischen Visum ausgereist (AS 15 und AS 59). Der Beschwerdeführer hat in weiterer Folge zwei Jahre im Iran und mehrere Monate in Griechenland gelebt und gearbeitet (AS 17 und 65). Der Beschwerdeführer ist unter Umgehung der Grenzkontrollen, schlepperunterstützt nach Österreich eingereist und hält sich zumindest seit seiner Asylantragstellung am 20.01.2016 durchgehend in Österreich auf. Er ist in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig (AS 15 ff).

Der Beschwerdeführer wurde nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Die Eltern des Beschwerdeführers sind bereits verstorben (AS 13). Der Beschwerdeführer hat sechs Onkel väterlicherseits, von den zwei verstorben oder verschollen sind. Der Beschwerdeführer hat fünf Tanten väterlicherseits, zwei Onkel mütterlicherseits und drei Tanten mütterlicherseits. Zwei Onkel väterlicherseits leben in Österreich. Ein Onkel mütterlicherseits, bei dem der Beschwerdeführer aufgewachsen ist, lebt gemeinsam mit dessen Familie in Nangarhar in der Stadt Jalalabad. Der Onkel mütterlicherseits hat eine Ehefrau, fünf Töchter und drei Söhne. Eine Tante mütterlicherseits lebt in Kabul (OZ 10, S. 13 ff; AS 53).

Dem Onkel mütterlicherseits geht es finanziell gut, er hat für den Beschwerdeführer gesorgt und verfügt in Jalalabad über ein Eigentumshaus (OZ 10, S. 8 und S. 15; AS 7 und 53). Der Beschwerdeführer hat Kontakt zu seinem Onkel mütterlicherseits, der in Jalalabad lebt (OZ 10, S. 14; AS 53).

Der Beschwerdeführer spricht als Muttersprache Dari, er spricht zudem Paschtu, Urdu und Englisch (AS 11 und 51). Der Beschwerdeführer hat grundlegende Deutschkenntnisse (OZ 10, S. 15 f).

Der Beschwerdeführer hat vom 15.02.2016 bis 21.12.2016 einen Deutschkurs auf dem Niveau A1, sowie von März 2016 bis Juni 2017 einen weiteren Deutschkurs besucht (Beilage ./I; Beilage ./J; Beilage ./Q). Von 09.01.2017 bis 29.03.2017 hat der Beschwerdeführer regelmäßig an einem Deutschkurs auf dem Niveau A2 teilgenommen (Beilage ./S). Von Februar bis Mai 2017 hat der Beschwerdeführer einen Deutsch- und Basisbildungskurs im Ausmaß von 8 Wochenstunden besucht (Beilage ./N). Von September 2018 bis Februar 2019 hat der Beschwerdeführer regelmäßig an zweimal wöchentlich stattfindenden Deutschkursen auf dem Niveau B1 teilgenommen (Beilage ./P). Der Beschwerdeführer hat eine Integrationsprüfung auf dem Niveau B1 am 18.01.2019 absolviert (OZ 9).

Der Beschwerdeführer hilft einer Bekannten des Öfteren bei Gartenarbeiten (Beilage ./C), einem weiteren Bekannten bei Arbeiten im Haushalt oder Garten und erledigt für diesen auch Einkäufe (Beilage ./E). Von 06.07.2016 bis 29.03.2017 hat der Beschwerdeführer ehrenamtlich als Dolmetscher bei einer gemeinnützigen Lebensmittelausgabeinitiative mitgearbeitet (Beilage ./G). Im Jahr 2019 war der Beschwerdeführer für eine Gemeinde ehrenamtlich tätig (OZ 16). In der Pfarre seiner Wohnsitzgemeinde hilft der Beschwerdeführer zwei bis drei Mal monatlich bei der Kleiderausgabe an Flüchtlinge mit (Beilage ./H; Beilage ./T; Beilage ./U). Im Jahr 2016 war der Beschwerdeführer gemeinnützig bei der Pflege des Grünraums seiner Wohnsitzgemeinde tätig (Beilage ./L). Seit Jänner 2018 unterstützt der Beschwerdeführer einmal wöchentlich ein Hilfsprojekt seiner Wohnsitzgemeinde, indem er bei Gesprächen mit Asylwerbern übersetzt (Beilage ./O).

Der Beschwerdeführer wird von seinen Bekannten, Lehrern und Freunden in Österreich aufgrund seiner Hilfsbereitschaft, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und fleißigen, anständigen, aufgeschlossenen, herzlichen und wissbegierigen Art besonders geschätzt (Beilage ./C; Beilage ./E; Beilage ./F; Beilage ./M; Beilage ./P; Beilage ./R; Beilage ./U).

Der Beschwerdeführer lebt von Leistungen aus der Grundversorgung (Beilage ./III). Der Beschwerdeführer spielt in seiner Freizeit Fußball (OZ 10, S. 17). Er ist kein Mitglied in einem Verein (OZ 10, S. 17). Der Beschwerdeführer pflegt in Österreich freundschaftliche Kontakte (OZ 10, S. 18).

Der Beschwerdeführer besucht einmal monatlich seine beiden in Österreich lebenden Onkel, eine wirtschaftliche Abhängigkeit besteht nicht (OZ 10, S. 18). Darüber hinaus verfügt der Beschwerdeführer weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen (Kinder, Ehefrau, etc.) in Österreich (OZ 10, S. 18).

Der Beschwerdeführer hat sich von 20.06.2018 bis 23.10.2018 in medizinischer Behandlung wegen Belastungsatemnot und Durchschlafstörungen befunden und Medikamente eingenommen, es wurde 2018 eine mäßige Form des Asthmas beim Beschwerdeführer diagnostiziert (OZ 7; OZ 10, S. 17). Der Beschwerdeführer leidet derzeit an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten. (OZ 10, S. 5 und S. 17). Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig und arbeitsfähig, er kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen (OZ 10, S. 17).

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (Beilage ./III).

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Das vom Beschwerdeführer ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.2.1. Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan nicht als Dolmetscher für amerikanische Firmen oder das amerikanische Militär bzw. die US Army gearbeitet.

1.2.2. Der Beschwerdeführer wurde niemals von den Taliban oder anderen Personen, Organisationen oder regierungsfeindlichen Truppen gesucht oder bedroht. Der Beschwerdeführer hat keinen Drohbrief von den Taliban erhalten.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Mitglieder der Taliban, durch Aufständische oder durch andere Personen.

1.2.3. Ebenso wenig droht dem Beschwerdeführer die konkrete und individuelle Gefahr einer zwangsweisen Rekrutierung durch die Taliban in Afghanistan.

1.2.4. Dem Beschwerdeführer droht wegen seiner ethnisch-religiösen Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Sunniten oder zur Volksgruppe der Tadschiken konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt in Afghanistan. Ebenso wenig konnte festgestellt werden, dass Angehörige der Religionsgemeinschaft der Sunniten oder der Volksgruppe der Tadschiken in Afghanistan allein aufgrund der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt sind.

1.2.5. Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer aufgrund seines in Österreich ausgeübten Lebensstils oder seinem Aufenthalt in einem europäischen Land in Afghanistan weder psychischer noch physischer Gewalt ausgesetzt.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer würde bei einer Rückkehr in die Provinz Nangarhar aufgrund der dort herrschenden allgemeinen Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.

Der Beschwerdeführer kann sich jedoch aufgrund der dort herrschenden Sicherheitslage in den Städten Kabul, Herat sowie Mazar-e Sharif niederlassen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif kann der Beschwerdeführer jedoch grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Der Beschwerdeführer kann von seinem Onkel mütterlicherseits bei einer Rückkehr nach Afghanistan zumindest vorübergehend finanziell unterstützt werden. Darüber hinaus kann der Beschwerdeführer auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Zudem hat der Beschwerdeführer auch eine Tante in Kabul, weshalb er auch bei dieser - zumindest anfänglich - Unterkunft nehmen kann. Es ist dem Beschwerdeführer ebenfalls möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 (LIB),

- UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR)

- EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO)

- Arbeitsübersetzung Landinfo Report "Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom 23.08.2017 (Landinfo 1) und

- Arbeitsübersetzung Landinfo Report "Afghanistan: Rekrutierung durch die Taliban" vom 29.06. 2017 (Landinfo 2) und

- EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Stand Jänner 2018

- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Behandlungsmöglichkeit von Asthma in Kabul und Uruzgan vom 03.10.2017

1.5.1. Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 3).

1.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 21).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses Systemfunktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 21).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Städte die Möglichkeit von "Teehäusern", die mit 30 Afghani (das sind ca. ? 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. ? 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. "Teehäuser" werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Kapital 4.2.).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

1.5.3. Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 22).

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar (LIB, Kapitel 22.1).

Leichte bis mittlere Formen von Asthma sind in Afghanistan behandelbar. Asthmasprays sind in großen Apotheken in größeren Städten erhältlich (Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Behandlungsmöglichkeiten von Asthma in Kabul und Uruzgan vom 30.10.2017).

1.5.4. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 17).

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan, sie macht etwa 27-30% der afghanischen Gesellschaft aus und hat deutlichen politischen Einfluss im Land. In der Hauptstadt Kabul ist sie knapp in der Mehrheit. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten, sie sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert. Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt (LIB, Kapitel 17.2).

1.5.5. Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 16).

1.5.6. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 11).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.5.7. Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 19.1).

1.5.8. Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

Taliban:

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges, oder Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer "feindlicher" Regierungen, Kollaborateure oder Auftragnehmer der afghanischen Regierung oder des ausländischen Militärs, oder Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperationen an die Taliban zu binden. Diese Personen können einer "Verurteilung" durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlich "feindseligen" Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen. (Landinfo 1, Kapitel 4)

Rekrutierung durch die Taliban:

Menschen schließen sich den Taliban zum einen aus materiellen und wirtschaftlichen Gründen zum anderen aus kulturellen und religiösen Gründen an. Die Rekruten sind durch Armut, fehlende Chancen und die Tatsache, dass die Taliban relativ gute Löhne bieten, motiviert. Es spielt auch die Vorstellung, dass die Behörden und die internationale Gemeinschaft den Islam und die traditionellen Standards nicht respektieren würden, eine zentrale Rolle, wobei sich die Motive überschneiden. Bei Elitetruppen sind beide Parameter stark ausgeprägt. Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junger Männer, deren Motiv der Wunsch nach Rache, Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind (Landinfo 2, Kapitel 4.1). Die Billigung der Taliban in der Bevölkerung ist nicht durch religiöse Radikalisierung bedingt, sondern Ausdruck der Unzufriedenheit über Korruption und Misswirtschaft (Landinfo 2, Kapitel 4.1.1).

Die Taliban sind aktiver als bisher bemüht Personen mit militärischem Hintergrund sowie mit militärischen Fertigkeiten zu rekrutieren. Die Taliban versuchen daher das Personal der afghanischen Sicherheitskräfte auf ihre Seite zu ziehen. Da ein Schwerpunkt auf militärisches Wissen und Erfahrungen gelegt wird, ist mit einem Anstieg des Durchschnittsalters zu rechnen Landinfo 2, Kapitel 3). Durch das Anwerben von Personen mit militärischem Hintergrund bzw. von Mitgliedern der Sicherheitskräfte erhalten Taliban Waffen, Uniformen und Wissen über die Sicherheitskräfte. Auch Personen die über Knowhow und Qualifikationen verfügen (z.B. Reparatur von Waffen), können von Interesse für die Taliban sein (Landinfo 2, Kapitel 5.1).

Die Mehrheit der Taliban sind Paschtunen. Die Rekrutierung aus anderen ethnischen Gruppen ist weniger üblich. Um eine breitere Außenwirkung zu bekommen, möchte die Talibanführung eine stärkere multiethnische Bewegung entwickeln. Die Zahl der mobilisierten Hazara ist unerheblich, nur wenige Kommandanten der Hazara sind mit Taliban verbündet. Es ist für die Taliban wichtig sich auf die Rekruten verlassen zu können (Landinfo 2, Kapitel 3.3).

Die Taliban waren mit ihrer Expansion noch nicht genötigt Zwangsmaßnahmen zur Rekrutierung anzuwenden. Zwangsrekrutierung ist noch kein herausragendes Merkmal für den Konflikt. Die Taliban bedienen sich nur sehr vereinzelt der Zwangsrekrutierung, indem sie männliche Dorfbewohner in von ihnen kontrollierten Gebieten, die mit der Sache nicht sympathisieren, zwingen, als Lastenträger zu dienen (Landinfo 2, Kapitel 5.1). Die Taliban betreiben eine Zwangsrekrutierung nicht automatisch. Personen die sich gegen die Rekrutierung wehren, werden keine rechtsverletzenden Sanktionen angedroht. Eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis steht auch den im Pashtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen) enthaltenen fundamentalen Werten von Familie, Freiheit und Gleichheit entgegen. Es kommt nur in Ausnahmefällen und nur in sehr beschränktem Ausmaß zu unmittelbaren Zwangsrekrutierungen durch die Taliban. Die Taliban haben ausreichend Zugriff zu freiwilligen Rekruten. Zudem ist es schwierig einen Afghanen zu zwingen, gegen seinen Willen gegen jemanden oder etwas zu kämpfen (Landinfo 2, Kapitel 5.1).

Im Kontext Afghanistans verläuft die Grenze zwischen Jungen und Mann fließend. Ausschlaggebend für diese Beurteilung sind Faktoren wie Pubertät, Bartwuchs, Mut, Unabhängigkeit, Stärke und die Fähigkeit die erweiterte Familie zu repräsentieren. Der Familienälteste ist das Oberhaupt, absolute Loyalität gegenüber getroffenen Entscheidungen wird vorausgesetzt. Kinder unterstehen der Obrigkeit der erweiterten Familie. Es stünde im Widerspruch mit der afghanischen Kultur, würde man Kinder gegen den Wunsch der Familie und ohne entsprechende Entscheidung des Familienverbandes aus dem Familienverband "herauslösen" (Landinfo 2, Kapitel 6).

1.5.9. Provinzen und Städte

Kabul:

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, sie hat 5.029.850 Einwohner. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB, Kapitel 3.1). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB Kapitel 3.1 und Kapitel 3.35).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 3.1).

Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB, Kapitel 3.1).

Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB, Kapitel 21).

Nangarhar:

Nangarhar liegt im Osten Afghanistans. Die Bevölkerung besteht hauptsächlich aus Paschtunen, gefolgt von Pashai, Arabern und Tadschiken. Mitglieder der Sikh- und Hindu-Gemeinschaft leben in der Provinz Nangarhar. Die Provinz hat 1.668.481 Einwohner (LIB, Kapitel 3.22).

Nangarhar ist eine volatile Provinz, in der die Taliban und der ISKP aktiv sind. Diese kontrollieren manche Gebiete der Provinz. Durch staatliche Sicherheitskräfte werden Luft- und Bodenoperationen durchgeführt, bei denen Talibanaufständische und ISKP-Mitglieder getötet wurden. Immer wieder kommt es auch zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Mitgliedern der Taliban und des ISKP. Im Jahr 2018 gab es 1.815 zivile Opfer. Dies entspricht einer Steigerung von 111% gegenüber 2017. Die Hauptursachen dafür waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von IEDs und Bodengefechten. Die Zahl der zivilen Opfer durch IEDs vervierfachte sich (LIB, Kapitel 3.22).

Die Provinz Nangarhar - mit Ausnahme der Stadt Jalalabad - zählt zu jenen Provinzen, wo willkürliche Gewalt ein derart hohes Ausmaß erreicht, dass erhebliche Gründe für die Annahme sprechen, dass ein in diese Provinz zurückgekehrter Zivilist allein aufgrund seiner Anwesenheit auf dem Gebiet dieser Provinz einer realen Gefahr ausgesetzt wäre, einen ernsthaften Schaden im Sinne von Art. 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Die Hauptstadt von Nangarhar ist Jalalabad. Diese Stadt zählt zu jenen Landesteilen Afghanistans, in denen eine "bloße Präsenz" in dem Gebiet nicht ausreicht, um ein ernstes Risiko für ernsthafte Schäden gemäß Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie festzustellen. Es wird dort jedoch ein hohes Maß an willkürlicher Gewalt erreicht, und dementsprechend ist ein geringeres Maß an Einzelelementen erforderlich, um die Annahme zu begründen, dass ein Zivilist, der dieses Gebiet zurückgekehrt ist, einem realen Risiko eines ernsthaften Schadens im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie ausgesetzt ist (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 3.5).

Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 22).

Herat Stadt:

Herat-Stadt ist die Provinzhauptstadt der Provinz Herat. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen. Sie hat 556.205 Einwohner (LIB, Kapitel 3.13).

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen sicher und legal erreichbar (LIB, Kapitel 3.13). Der Flughafen Herat (HEA) liegt 13 km südlich der Stadt im Distrikt Gozara. Die Straße, welche die Stadt mit dem Flughafen verbindet wird laufend von Sicherheitskräften kontrolliert. Unabhängig davon gab es in den letzten Jahren Berichte von Aktivitäten von kriminellen Netzwerken, welche oft auch mit Aufständischen in Verbindung stehen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten auszuüben. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB, Kapitel 21).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Herat, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Herat besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Herat haben Zugang zu Elektrizität (80 %), zu erschlossener Wasserversorgung (70%) und zu Abwasseranlagen (30%). 92,1 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen und 81,22 % zu besseren Wasserversorgungsanlagen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

1.5.10. Situation für Rückkehrer/innen

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 kehrten insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 23).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 23).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 23).

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 23).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 23).

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 23).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 23).

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt, insbesondere durch Einsicht in die vorgelegten Unterlagen, und durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.

Dem Erkenntnis werden die EASO Country Guidance Afghanistan sowie die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender zugrunde gelegt (OZ 10, S. 22).

Die Feststellungen basieren auf den in den Klammern angeführten Beweismitteln.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

2.1.1. Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und zu seinem Lebenslauf (sein Aufwachsen sowie seine familiäre Situation in Afghanistan, seine Schulbildung, sein Familienstand) gründen sich auf seine diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Hinsichtlich der beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers waren seine Angaben nicht glaubhaft. Dazu wird auf Punkt II.2.2. verwiesen. Die tatsächlich vom Beschwerdeführer in Afghanistan ausgeübte berufliche Tätigkeit konnte mangels glaubhafter Angaben nicht festgestellt werden. Da der Beschwerdeführer jedoch Afghanistan erst im Alter von ca. 25 Jahren verlassen hat, geht das Gericht davon aus, dass er in Afghanistan seinen Lebensunterhalt erwirtschaftet hat und er daher einer Arbeit nachgegangen ist und über Berufserfahrung verfügt. Dafür spricht auch die Tatsache, dass sich der Beschwerdeführer seinen eigenen Angaben zufolge die Kosten für seine Reise nach Europa selbst erwirtschaftet hat.

Dass der Beschwerdeführer während seines mehrjährigen Aufenthaltes im Iran und in Griechenland gearbeitet hat, war aufgrund seiner eigenen Angaben vor dem Bundesamt festzustellen. Die Feststellung hinsichtlich der Berufserfahrung als Bauhilfsarbeiter war aufgrund der diesbezüglich plausiblen Angaben in der Beschwerdeverhandlung zu treffen.

Die Feststellungen zur Einreise und zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus den unwiderlegt gebliebenen Angaben des Beschwerdeführers sowie aus dem unstrittigen Akteninhalt.

Dass der Beschwerdeführer mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut ist, ergibt sich daraus, dass er in Afghanistan geboren ist und den Großteil seines bisherigen Lebens dort gelebt hat. Der Beschwerdeführer ist im Umfeld seiner afghanischen Familie aufgewachsen und wurde entsprechend der afghanischen Kultur und den afghanischen Gepflogenheiten sozialisiert.

Dass Familienangehörige des Beschwerdeführers nach wie vor in Afghanistan leben und der Beschwerdeführer Kontakt zu seinem Onkel mütterlicherseits hat, war aufgrund seiner diesbezügliche schlüssigen und widerspruchsfreien Angaben festzustellen. Ebenso waren die Feststellungen zur finanziellen Situation der Familie seines Onkels aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers zu treffen.

Die Feststellung zur Muttersprache des Beschwerdeführers ergibt sich aufgrund seiner eigenen Angaben. Die weiteren Sprachkenntnisse des Beschwerdeführers waren aufgrund seiner eigenen Angaben im Verfahren festzustellen (AS 11 und 51). Dass der Beschwerdeführer grundlegende Deutschkenntnisse hat, konnte vom Gericht festgestellt werden, da der Beschwerdeführer in der Verhandlung die auf Deutsch gestellten und nicht übersetzten Fragen zum Großteil verstanden hat und beantworten konnte (OZ 10, S. 15 f).

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich (zum Leistungsbezug aus der Grundversorgung, zu seinen Deutschkursen und der Deutschprüfung, zu seiner Integration) stützen sich auf die Aktenlage (vgl. insbesondere den Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem), auf die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und die im Rahmen der Verhandlung vorgelegten Unterlagen (Beilagen ./C bis ./U; AS 83).

Die Feststellungen zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers und zu seinen sozialen Bindungen in Österreich waren aufgrund der von ihm vorgelegten Unterlagen und seiner Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung zu treffen. Dass der Beschwerdeführer einmal monatlich seine in Österreich lebenden Onkel und deren Familie besucht und keine wirtschaftliche Abhängigkeit besteht, war aufgrund seiner eigenen Angaben festzustellen (OZ 10, S. 18). Es haben sich keine über typische im Alltagsleben aufgrund des Aufenthalts in Österreich hinausgehende enge soziale Bindungen ergeben (OZ 10, S. 17 f).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den Aussagen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung. Der Beschwerdeführer gab Eingangs der Verhandlung an, dass er gesund sei. Würde daher beim Beschwerdeführer aktuell eine schwere oder lebensbedrohliche Erkrankung vorliegen, so hätte er dies wohl bereits zu Beginn der Verhandlung auf die explizite Frage des Gerichts angegeben. Hinsichtlich des gering ausgeprägten Asthmas wurden keine aktuellen Befunde vorgelegt, eine ernsthafte oder lebensbedrohliche Erkrankung konnte nicht festgestellt werden (OZ 10, S. 5 und 17; OZ 7). Hinsichtlich der behaupteten Schmerzen im Arm (OZ 10, S. 17) wurden keinerlei medizinische Unterlagen vorgelegt, weshalb das Gericht davon ausgeht, dass der Beschwerdeführer an keinerlei schwerwiegenden Erkrankung leidet.

Dass der Beschwerdeführer grundsätzlich anpassungsfähig ist, ergibt sich daraus, dass er in Österreich ehrenamtlich tätig ist und er sich in Österreich an sich zurechtfindet. Es sind im Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die gegen eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit des Beschwerdeführers sprechen. Der Beschwerdeführer konnte sowohl im Iran als auch in Griechenland Fuß fassen, sodass von einer hohen Anpassungsfähigkeit auszugehen ist. Dass der Beschwerdeführer grundsätzlich arbeitsfähig ist und einer regelmäßigen Arbeit nachgehen kann, ergibt sich daraus, dass im Verfahren keine Umstände hervorgekommen sind, die gegen eine Arbeitsfähigkeit sprechen. Der Beschwerdeführer selbst hat zudem angegeben, aufgrund seines besonderen Engagements und Fleißes bald arbeiten zu wollen (AS 293; OZ 10, S. 17).

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Soweit der Beschwerdeführer vorbrachte, ihm drohe Lebensgefahr, da er in Afghanistan für amerikanische Firmen oder das amerikanische Militär gearbeitet habe und von den Taliban bzw. anderen Personen, Organisationen oder regierungsfeindlichen Truppen gesucht oder bedroht sei kommt seinem Vorbringen aus nachfolgenden Gründen keine Glaubhaftigkeit zu:

2.2.1. Zunächst ist festzuhalten, dass das Gericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und aufgrund des persönlichen Eindrucks des Beschwerdeführers davon ausgeht, dass ihm hinsichtlich seines Fluchtvorbringens keine Glaubwürdigkeit zukommt. Der Beschwerdeführer wurde zu Beginn der Verhandlung angehalten, sein Vorbringen von sich aus abschließend und möglichst umfassend, detailliert, sowie wahrheitsgemäß darzulegen. Diesen Anforderungen ist der Beschwerdeführer jedoch nicht gerecht geworden.

Der Beschwerdeführer präsentierte sowohl beim Bundesamt als auch vor Gericht eine bloße Rahmengeschichte, die er selbst auf mehrfaches Nachfragen kaum mit Details ergänzen konnte. Die Angaben des Beschwerdeführers waren wenig detailreich und betreffend seine Fluchtgeschichte waren etliche Unplausibilitäten und Widersprüche enthalten, die seine Angaben unglaubhaft scheinen lassen. Der Beschwerdeführer

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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