TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/2 W166 2169868-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.03.2020
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Entscheidungsdatum

02.03.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W166 2169876-1/13E

W166 2169861-1/14E

W166 2169865-1/12E

W166 2169868-1/12E

W166 2169880-1/12E

W166 2169877-1/12E

W166 2169872-1/12E

W166 2217643-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX (BF3), StA. Afghanistan, vertreten durch seine gesetzlichen Vertreter XXXX (Mutter) und XXXX (Vater), diese nunmehr vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.12.2019, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX (BF4), StA. Afghanistan, vertreten durch seine gesetzlichen Vertreter XXXX (Mutter) und XXXX (Vater), diese nunmehr vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.12.2019, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX (BF5), StA. Afghanistan, vertreten durch seine gesetzlichen Vertreter XXXX (Mutter) und XXXX (Vater), diese nunmehr vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.12.2019, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX (BF6), StA. Afghanistan, vertreten durch seine gesetzlichen Vertreter XXXX (Mutter) und XXXX (Vater), diese nunmehr vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.12.2019, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX (BF7), StA. Afghanistan, vertreten durch seine gesetzlichen Vertreter XXXX (Mutter) und XXXX (Vater), diese nunmehr vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.12.2019, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX (BF8), StA. Afghanistan, vertreten durch seine gesetzlichen Vertreter XXXX (Mutter) und XXXX (Vater), diese nunmehr vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.12.2019, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX (BF1), StA. Afghanistan, nunmehr vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.12.2019, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für ein Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Carmen LOIBNER-PERGER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX (BF2), StA. Afghanistan, nunmehr vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.12.2019, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Zweitbeschwerdeführer (im Folgenden: BF2) und die Erstbeschwerdeführerin (BF1) - afghanische Staatsangehörige - reisten am 01.08.2015 gemeinsam mit ihren minderjährigen Kindern, dem Dritt- bis Sechstbeschwerdeführern (BF3 bis BF6), unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am gleichen Tag die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

Am 01.08.2015 wurde der BF2 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu seinen Fluchtgründen erstmals befragt und gab an, dass sein Vater Kommandant bei einer islamischen Partei gewesen sei und deswegen die Regierung seine Familie gejagt habe. Vor ungefähr fünf Monaten habe es einen Angriff auf ihn und seine Familie gegeben, weshalb sie zunächst in den Iran und später aufgrund der schwierigen Lage für Afghanen im Iran nach Europa geflüchtet seien.

Der BF2 sei in Kapisa in Afghanistan geboren und mit ungefähr 15 Jahren in den Iran ausgewandert, wobei er mit seiner Famile vor drei Jahren nach Kabul gezogen sei, wovon aus sie später ihre Flucht nach Österreich gestartet hätten. Er sei muslimischer Tadschike, seine Muttersprache sei Dari und er habe für fünf Jahre eine Grundschule in Afghanistan besucht. Er sei traditionell und standesamtlich mit der BF1 verheiratet und habe mit ihr vier Söhne (BF3-BF6). Seine Eltern seien noch am Leben und er habe drei Schwestern sowie drei Brüder, wovon einer als anerkannter Flüchtling in Österreich lebe.

Am gleichen Tag fand ebenso die Erstbefragung der BF1 statt, wobei sie angab, dass sie in der Provinz Kapisa geboren sei und als Kind dort gelebt habe, bis sie mit ihrer Familie in den Iran gezogen sei. Vor ungefähr drei Jahren sei sie mit ihrem Ehemann und ihren Kindern wieder nach Afghanistan, nach Kabul, zurückgekehrt, wobei sie von dort wiederum vor ungefähr fünf Monaten hätten flüchten müssen. Der Vater des BF2 sei Kommandant gewesen, weshalb sie und ihre Familie angegriffen worden seien. Ihre Kinder, die BF3 bis BF6, hätten immer bei ihr gelebt und haben dieselben Fluchtgründe.

Am 15.04.2016 wurde der Siebtbeschwerdeführer (BF7) in Österreich geboren. Am 10.05.2016 stellte die BF1 als Erziehungsberechtigte für das neugeborene Kind einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren.

Mit Schreiben vom 19.10.2016 gab Rechtsanwalt Mag. Wolfgang Auner bekannt, dass er von den Beschwerdeführern zur Rechtsvertretung in diesem Verwaltungsverfahren bevollmächtigt wurde und ersuchte um einen Termin zur Einvernahme.

In der am 08.02.2017 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" oder "belangte Behörde") vorgenommenen Einvernahme des BF2 äußerte dieser ergänzend, dass er sunnitischer Muslim sei und sein Bruder, zu dem er regelmäßig Kontakt habe, seit neun Jahren in Österreich lebe. In Afghanistan habe er nur mehr zwei Cousinen und vier Cousins als Familienangehörige. Er habe sich im Iran legal aufgehalten, nachdem er mit seinen Eltern, seinen vier Brüdern und drei Schwestern im Alter von ungefähr 15 Jahren dahin geflohen sei. Er habe eine Tazkira besessen, die jedoch auf der Flucht nach Europa vom Schlepper weggeworfen worden sei. Der BF2 legte zudem eine Heiratsurkunde vor, die von seiner Schwiegermutter aus dem Iran zu ihm geschickt worden sei.

Zu seinen Fluchtgründen führte der BF2 weiters aus, dass sein Vater Kommandant der Hezb-e Islami gewesen sei und sie deshalb fliehen hätten müssen, als die Taliban im Heimatdorf XXXX (Distrikt Kapisa) die Kontrolle übernommen hätten und der Vater eine Zusammenarbeit mit diesen verweigert habe. Nach 13 Jahren im Iran und dem Sturz der Taliban sei er mit seinen Eltern, seinem Bruder, seiner Frau sowie seinen drei Kindern nach Afghanistan zurückgekehrt. Im Heimatdorf angekommen, sei die Familie von Kommandanten der regierungsfeindlichen Gruppe der Jamiat-e-Islami aufgrund der früheren Tätigkeit seines Vaters mehrmals bedroht und aufgefordert worden, das Dorf zu verlassen. Nach ungefähr zwei Monaten im Heimatdorf sei eine Handgranate in ihr Haus geworfen worden, wobei dabei die BF1, der BF3 und BF4 verletzt worden seien. Noch am selben Tag sei die Familie nach Kabul und danach in den Iran geflüchtet.

Die BF1 führte bei ihrer Einvernahme am 08.02.2017 ergänzend aus, dass sie ungefähr 12 Jahre alt gewesen sei, als sie erstmals Afghanistan verlassen habe und dass sie keine Schule besucht habe. Ihre Angehörigen lebten alle legal im Iran, sie habe keine Familie mehr in Afghanistan. Die Familie sei in die Heimatprovinz Kapisa in Afghanistan für ungefähr drei Monate zurückgekehrt, da die Taliban-Regierung beendet worden sei. Sie haben fliehen müssen, da der BF2 wegen der früheren Tätigkeit seines Vaters als Kommandant bedroht und auf ihr Haus nachts eine Handgranate geworfen worden sei. Sie sowie ihre Söhne XXXX und XXXX seien dabei verletzt worden.

Mit Verfahrensanordnung vom 08.02.2017 wurde der Name des BF2 aufgrund der Vorlage einer Heiratsurkunde von XXXX auf XXXX geändert.

Am 16.02.2017 bezog der rechtliche Vertreter der Beschwerdeführer schriftlich Stellung zu den bei der Einvernahme vorgelegten Länderberichten.

Am 23.06.2017 wurde der BF2 ergänzend zu der vorgelegten Heiratsurkunde befragt, da dessen Echtheit bezweifelt wurde. BF2 gab dazu an, dass er 10.12.2003 in der afghanischen Botschaft im Iran geheiratet habe. Die Heiratsurkunde sei erst zwei oder drei Jahre nach Eheschließung ausgestellt worden und sie sei ihm von seinem Schwager im Iran per Post zugeschickt worden. Die Heiratsurkunde sei echt und er könne sich die widersprüchlichen Angaben im Dokument nicht erklären.

Die BF1 wurde am gleichen Tag zusätzlich einvernommen und gab an, dass sie im Haus ihrer Eltern im Iran geheiratet habe und vor der Hochzeit XXXX geheißen habe. Sie habe die vom BF2 vorgelegte Heiratsurkunde, die von der afghanischen Botschaft im Iran ausgestellt worden sei, selbst in ihrer Tasche mit nach Österreich genommen. Die Behörden hätten ihren Namen und das Geburtsdatum ihres Mannes auf der Heiratsurkunde falsch angegeben, die Heiratsurkunde sei jedoch ein echtes Dokument, das sie selbst von der Botschaft geholt habe.

Am 10.07.2017 bezog der rechtliche Vertreter der Beschwerdeführer zu den Widersprüchlichkeiten hinsichtlich der Heirat schriftlich Stellung. Die Hochzeit habe zunächst zuhause stattgefunden und nachher sei man zur ordnungsgemäßen Eheschließung zur Botschaft in Teheran gefahren. Die BF1 habe bei ihrer Einvernahme die Dokumente verwechselt, sie habe auf der Reise nach Österreich die Tazkira des BF2 in ihrer Tasche gehabt und nicht die Heiratsurkunde. Zusätzlich brachte der rechtliche Vertreter die westliche Orientierung der BF1 vor.

Mit den nunmehr bekämpften Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.08.2017 wurden betreffend BF1 bis BF7 gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Mit den bekämpften Bescheiden wurde den oben Genannten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 52 Abs 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Weiters stellte die belangte Behörde mit den bekämpften Bescheiden fest, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) beträgt.

Begründend führte das BFA aus, dass das Vorbringen des BF2 hinsichtlich der Verfolgung in Afghanistan aufgrund der Tätigkeit seines Vaters sowie zur Rückkehr nach Afghanistan wegen Widersprüchen in den Angaben vor der Behörde unglaubwürdig sei. Es habe sich um keine gegen die Beschwerdeführer gerichtete individuelle Bedrohung gehandelt. Die anderen Beschwerdeführer haben im gesamten Verfahren keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht. Die Ungereimtheiten bzw. Widersprüchlichkeiten betreffend das Heiratsbuch haben zusätzlich der Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführer geschadet.

Eine Rückkehr in die Gegend in die Heimatprovinz könne zwar nicht zugemutet werden, aber es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul. Der BF2 sei arbeitsfähig, habe fünf Jahre die Grundschule besucht und habe schon Arbeitserfahrung, weshalb es ihm möglich sei, für sich und seine Familie eine Existenz in Kabul aufzubauen. Sowohl BF1 als auch BF2 haben mehrere Jahre ihres Lebens in Afghanistan verbracht, sie finden zudem ein familiäres Netzwerk in Kabul vor und die Familie kenne sich in Kabul, das per Flugroute gut zu erreichen sei, aufgrund voriger Aufenthalte aus. Die Familie könne zusätzlich die Rückkehrhilfe der IOM in Anspruch nehmen, damit die Reintegration in Afghanistan gut funktioniere. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei daher zumutbar.

Die Beschwerdeführer (BF1 bis BF7) erhoben gegen diese Bescheide mit Schriftsatz ihres Rechtsvertreters vom 28.08.2017 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde wegen Verfahrensmängel, mangelhafter Bescheidbegründung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung.

Die Beschwerden samt den Verwaltungsakten wurden dem Bundesverwaltungsgericht von der belangten Behörde am 06.09.2017 vorgelegt.

Am 25.11.2018 wurde der Achtbeschwerdeführer (BF8) in Österreich geboren. Am 30.01.2019 stellten der BF2 und die BF1 als Erziehungsberechtigte für den neugeborenen Sohn einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren.

Mit 18.03.2019 erließ das BFA den hier gegenständlichen Bescheid, der den Antrag auf internationalen Schutz des BF8 zur Gänze abweist und hinsichtlich aller Spruchpunkte gleichlautend ist mit jenen der anderen Beschwerdeführer.

Dagegen erhob der BF8 mit Schriftsatz seiner nunmehrigen Vertretung, ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, vom 11.04.2019 rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde.

Am 10.04.2019 setzte der Rechtsvertreter der Beschwerdeführer, Rechtsanwalt Mag. Wolfgang AUNER, das Gericht davon in Kenntnis, dass seine Vollmacht für dieses Verfahren aufgelöst wurde.

Die mündliche Verhandlung fand am 10.12.2019, unter Beisein der Beschwerdeführer sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari und einer Rechtsvertreterin statt. In der mündlichen Verhandlung wurde der maßgebliche Sachverhalt ermittelt und es wurden der BF2 sowie die BF1 eingehend zu ihren Fluchtgründen befragt. Ihnen wurde auch Gelegenheit gegeben, zu den im Verfahren herangezogenen Länderfeststellungen Stellung zu nehmen.

Die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführer brachte in der mündlichen Verhandlung eine ergänzende Stellungnahme zu den Länderberichten ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu den Personen der Beschwerdeführer:

Der BF2, die BF1 und ihre minderjährigen Kinder (BF3 bis BF8) sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Tadschiken an und sind sunnitisch muslimischen Glaubens.

Die BF1 bis BF6 reisten unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 01.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren. Für den BF7 wurde am 10.05.2016, für den BF8 am 30.01.2019 ein Antrag auf internationalen Schutz im Familienverfahren von den Eltern (BF1 und BF2) gestellt.

Die Identität der BF1 bis BF6 steht lediglich mit der für das Verfahren ausreichenden Sicherheit fest. Die Identität der BF7 und BF8 steht fest.

Der BF2 und die BF1 sind traditionell verheiratet. Die Ehe bestand bereits vor der unrechtmäßigen Einreise in das österreichische Bundesgebiet.

Der BF2 und die BF1 sind beide in der Provinz Kapisa in Afghanistan geboren und gingen beide im jugendlichen Alter mit ihren jeweiligen Familien in den Iran. Sie haben im Jahr 2003 im Iran geheiratet. Der BF2 ging im Iran einer Arbeit nach und die BF1 kümmerte sich um ihren kranken Vater, bis dieser verstarb. BF1 und BF2 sind mit ihren Kindern BF3 bis BF5 wieder nach Afghanistan und danach wieder zurück in den Iran gegangen.

Es kann nicht festgestellt werden, wann genau die Beschwerdeführer vom Iran nach Afghanistan und wieder zurück in den Iran gegangen sind, und es kann auch nicht festgestellt werden wie lange sie sich in Afghanistan in den Städten Kapisa und Kabul bzw. wie lange sie sich nach ihrer Rückkehr aus Afghanistan im Iran aufgehalten haben.

Der BF2 hat einen Bruder, der in Österreich lebt, und entfernte Verwandte die in Afghanistan leben. Die BF 1 hat ebenfalls Geschwister die in Österreich leben, wobei nicht festgestellt werden konnte, ob es sich dabei um zwei Brüder oder einen Bruder und eine Schwester handelt. BF1 und BF2 haben keinen intensiven Kontakt zu den in Österreich lebenden Geschwistern. BF1 und BF2 haben - bis auf die entfernten Verwandten des BF2 zu welchen kein Kontakt besteht - keine Familienangehörigen mehr in Afghanistan, die Familienangehörigen leben im Iran.

Der BF2 hat drei Jahre lang eine Grundschule besucht, die BF1 verfügt jedoch über keine Schulbildung. Der BF3 und der BF4 besuchten zunächst die Volksschule und gehen nun in die Neue Mittelschule. Der BF5 besucht die Volksschule und der BF6 den Kindergarten.

Die Muttersprache der Beschwerdeführer ist Dari. Der BF2 und die BF1 besuchen regelmäßig Deutschkurse, sie weisen jedoch nur äußerst rudimentäre Sprachkenntnisse auf. Deutschprüfungen haben BF1 und BF2 nicht abgelegt.

Der BF2 und die BF1 absolvierten beide einen Werte- und Orientierungskurs in Österreich. Der BF2 tätigte für eine Marktgemeinde in den Jahren 2016 und 2017 regelmäßig Hilfsarbeiten und erledigte in der Zeit, in der die Familie im Flüchtlingsheim " XXXX " lebte, im Flüchtlingsheim diverse Elektrik-, Tischler- oder Installationsarbeiten. Der BF2 engagierte sich auch ehrenamtlich als Unterstützer des Platzwarts.

Die Beschwerdeführer beziehen Grundversorgung, sind allesamt gesund und in Österreich strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen:

Mit ihren Angaben zeigen die Beschwerdeführer asylrelevante Gründe für das Verlassen Afghanistans nicht auf. Die Beschwerdeführer konnten keine asylrelevante Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen. Diese waren im Herkunftsstaat nicht einer asylrechtlich relevanten Verfolge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt: weder aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung.

Die unmündigen minderjährigen BF3 bis BF8 haben dieselben Fluchtgründe wie die gesetzlichen Vertreter BF1 und BF2.

1.3. Zu einer Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat:

Insgesamt konnten die Beschwerdeführer nicht glaubhaft vermitteln, dass sie im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen ausgesetzt wären. Den Beschwerdeführern wird im Herkunftsstaat eine asylrelevante Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen.

Es sind weder konkret die Beschwerdeführer als Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken sowie als sunnitische Moslems, noch jeder Angehörige der Volksgruppe der Beschwerdeführer sowie der Glaubensrichtung der Beschwerdeführer in Afghanistan psychischer bzw. physischer Gewalt ausgesetzt.

Weder sind die BF1 bis BF6 konkret aufgrund der Tatsache, dass sie sich zuletzt in Europa aufgehalten haben noch sind die BF7 und BF8 aufgrund der Tatsache, dass sie in Europa geboren sind, in Afghanistan psychischer bzw. physischer Gewalt ausgesetzt.

Die BF1 wäre im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht auf Grund einer "westlichen Orientierung" in Afghanistan physischer bzw. psychischer Gewalt ausgesetzt.

Die BF1 gab zu ihrem Tagesablauf in Österreich befragt in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll, dass sie um 6 Uhr aufstehe, Frühstück mache, ihre Kinder anziehe und diese in die Schule bringe. Danach gehe sie einkaufen und mache das Mittagessen. Am Nachmittag mache sie mit ihren Kindern die Hausaufgaben und danach gehe sie spazieren. Befragt dazu, gab sie auf Dari an, in erster Linie den Haushalt zu machen und sich um ihre Familie zu kümmern, aber sie gehe auch zweimal die Woche zu einem Deutschkurs. Sie wolle Deutsch lernen, tue sich aber schwer, weil sie Analphabetin sei. Es sei sehr schwierig und es habe bis jetzt keinen Deutschkurs gegeben. Sie wolle irgendwann als Köchin in Österreich arbeiten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF1 während ihres Aufenthalts in Österreich eine Lebensweise verinnerlicht hätte, aufgrund derer sie einer Bedrohung oder Verfolgung in Afghanistan ausgesetzt wäre.

Im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan würden die BF jedoch ernsthaft Gefahr laufen ihre grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft, für sich und ihre sechs minderjährigen Kinder nicht in ausreichendem Maße befriedigen zu können. Die BF würde daher in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten. Die BF haben in Afghanistan auch keine Wohnmöglichkeit oder familiäre Unterstützung durch Familienangehörige, da die Familien der BF - mit Ausnahmen der Geschwister die in Österreich leben - allesamt im Iran leben.

1.4. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat Afghanistan:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019:

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).

Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018

Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).

Parteienlandschaft und Opposition

Nach zweijährigen Verhandlungen unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.1.2017), das letzterer Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtete sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.9.2016). Das Abkommen beinhaltete unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für den historischen Anführer der Hezb-e-Islami, Gulbuddin Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.1.2017). Tatsächlich wurde dieser im Februar 2017 von der Sanktionsliste des UN-Sicherheitsrates gestrichen (AAN 3.5.2017). Am

4.5.2017 kehrte Hekmatyar nach Kabul zurück (AAN 4.5.2017). Die Rückkehr Hekmatyars führte u.a. zu parteiinternen Spannungen, da nicht alle Fraktionen innerhalb der Hezb-e Islami mit der aus dem Friedensabkommen von 2016 erwachsenen Verpflichtung sich unter Hekmatyars Führung wiederzuvereinigen, einverstanden sind (AAN 25.11.2017; vgl. Tolonews 19.12.2017, AAN 6.5.2018). Der innerparteiliche Konflikt dauert weiter an (Tolonews 14.3.2018).

Ende Juni 2017 gründeten Vertreter der Jamiat-e Islami-Partei unter Salahuddin Rabbani und Atta Muhammad Noor, der Jombesh-e Melli-ye Islami-Partei unter Abdul Rashid Dostum und der Hezbe Wahdat-e Mardom-Partei unter Mardom Muhammad Mohaqeq die semi-oppositionelle "Coalition for the Salvation of Afghanistan", auch "Ankara Coalition" genannt. Diese Koalition besteht aus drei großen politischen Parteien mit starker ethnischer Unterstützung (jeweils Tadschiken, Usbeken und Hazara) (AB 18.11.2017; vgl. AAN 6.5.2018).

Unterstützer des weiterhin politisch tätigen ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai gründeten im Oktober 2017 eine neue politische Bewegung, die Mehwar-e Mardom-e Afghanistan (The People's Axis of Afghanistan), unter der inoffiziellen Führung von Rahmatullah Nabil, des ehemaligen Chefs des afghanischen Geheimdienstes (NDS). Später distanzierten sich die Mitglieder der Bewegung von den politischen Ansichten Hamid Karzais (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 11.10.2017).

Anwarul Haq Ahadi, der langjährige Anführer der Afghan Mellat, eine der ältesten Parteien Afghanistans, verbündete sich mit der ehemaligen Mujahedin-Partei Harakat-e Enqilab-e Eslami-e Afghanistan. Gemeinsam nehmen diese beiden Parteien am New National Front of Afghanistan teil (NNF), eine der kritischsten Oppositionsgruppierungen in Afghanistan (AAN 6.5.2018; vgl. AB 29.5.2017).

Eine weitere Oppositionspartei ist die Hezb-e Kongara-ya Melli-ye Afghanistan (The National Congress Party of Afghanistan) unter der Führung von Abdul Latif Pedram (AB 15.1.2016; vgl. AB 29.5.2017).

Auch wurde die linksorientierte Hezb-e-Watan-Partei (The Fatherland Party) wieder ins Leben gerufen, mit der Absicht, ein wichtiges Segment der ehemaligen linken Kräfte in Afghanistan zusammenzubringen (AAN 6.5.2018; vgl. AAN 21.8.2017).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Am 28. Februar 2018 machte Afghanistans Präsident Ashraf Ghani den Taliban ein Friedensangebot (NYT 11.3.2018; vgl. TS 28.2.2018). Die Annahme des Angebots durch die

Taliban würde, so Ghani, diesen verschiedene Garantien gewähren, wie eine Amnestie, die Anerkennung der Taliban-Bewegung als politische Partei, eine Abänderung der Verfassung und die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Anführer (TD 7.3.2018). Quellen zufolge wird die

Annahme bzw. Ablehnung des Angebots derzeit in den Rängen der Taliban diskutiert (Tolonews

16.4.2018; vgl. Tolonews 11.4.2018). Anfang 2018 fanden zwei Friedenskonferenzen zur Sicherheitslage in Afghanistan statt: die zweite Runde des Kabuler Prozesses [Anm.: von der afghanischen Regierung ins Leben gerufene Friedenskonferenz mit internationaler Beteiligung] und die Friedenskonferenz in Taschkent (TD 24.3.2018; vgl. TD 7.3.2018, NZZ 28.2.2018). Anfang April rief Staatspräsident Ghani die Taliban dazu auf, sich für die Parlamentswahlen im Oktober 2018 als politische Gruppierung registrieren zu lassen, was von diesen jedoch abgelehnt wurde (Tolonews 16.4.2018). Ende April 2018 kam es in diesem Zusammenhang zu Angriffen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich des IS, aber auch der Taliban) auf mit der Wahlregistrierung betraute Behörden in verschiedenen Provinzen (vgl. Kapitel 3.

"Sicherheitslage").

Am 19.5.2018 erklärten die Taliban, sie würden keine Mitglieder afghanischer Sicherheitskräfte mehr angreifen, wenn diese ihre Truppen verlassen würden, und gewährten ihnen somit eine "Amnestie". In ihrer Stellungnahme erklärten die Aufständischen, dass das Ziel ihrer Frühlingsoffensive Amerika und ihre Alliierten seien (AJ 19.5.2018).

Am 7.6.2018 verkündete Präsident Ashraf Ghani einen Waffenstillstand mit den Taliban für den Zeitraum 12.6.2018 - 20.6.2018. Die Erklärung erfolgte, nachdem sich am 4.6.2018 über 2.000

Religionsgelehrte aus ganz Afghanistan in Kabul versammelt hatten und eine Fatwa zur

Beendigung der Gewalt aussprachen (Tolonews 7.6.2018; vgl. Reuters 7.6.2018, RFL/RL 5.6.2018). Durch die Fatwa wurden Selbstmordanschläge für ungesetzlich (nach islamischem

Recht, Anm.) erklärt und die Taliban dazu aufgerufen, den Friedensprozess zu unterstützen (Reuters 5.6.2018). Die Taliban selbst gingen am 9.6.2018 auf das Angebot ein und erklärten einen Waffenstillstand von drei Tagen (die ersten drei Tage des Eid-Fests, Anm.). Der Waffenstillstand würde sich jedoch nicht auf die ausländischen Sicherheitskräfte beziehen; auch würden sich die Taliban im Falle eines militärischen Angriffs verteidigen (HDN 10.6.2018; vgl. TH

10.6.2018, Tolonews 9.6.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):

Taliban

Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).

Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o.D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).

Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).

Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).

Haqqani-Netzwerk

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (CRS 12.2.2019). Benannt nach dessen Begründer, Jalaluddin Haqqani (AAN 1.7.2010; vgl. USDOS 19.9.2018; vgl. CRS 12.2.2019), einem führenden Mitglied des antisowjetischen Jihad (1979-1989) und einer wichtigen Taliban-Figur; sein Tod wurde von den Taliban im September 2018 verlautbart. Der derzeitige Leiter ist dessen Sohn Serajuddin Haqqani, der seit 2015, als stellvertretender Leiter galt (CTC 1.2018).

Als gefährlichster Arm der Taliban, hat das Haqqani-Netzwerk, seit Jahren Angriffe in den städtischen Bereichen ausgeführt (NYT 20.8.2019) und wird für einige der tödlichsten Angriffe in Afghanistan verantwortlich gemacht (CRS 12.2.2019).

Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)

Erste Berichte über den Islamischen Staat (IS, auch ISIS, ISIL oder Daesh genannt) in Afghanistan gehen auf den Sommer 2014 zurück (AAN 17.11.2014; vgl. LWJ 5.3.2015). Zu den Kommandanten gehörten zunächst oft unzufriedene afghanische und pakistanische Taliban (AAN 1.8.2017; vgl. LWJ 4.12.2017). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000 (USDOS 18.9.2018), bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern (UNSC 13.6.2019). Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen. Auch soll der Islamische Staat vom zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan sowie von aus Syrien geflohenen Kämpfern profitieren (BAMF 3.6.2019; vgl. VOA 21.5.2019).

Berichten zufolge, besteht der ISKP in Pakistan hauptsächlich aus ehemaligen Teherik-e Taliban Mitgliedern, die vor der pakistanischen Armee und ihrer militärischen Operationen in der FATA geflohen sind (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). Dem Islamischen Staat ist es gelungen, seine organisatorischen Kapazitäten sowohl in Afghanistan als auch in Pakistan dadurch zu stärken, dass er Partnerschaften mit regionalen militanten Gruppen einging. Seit 2014 haben sich dem Islamischen Staat mehrere Gruppen in Afghanistan angeschlossen, z.B. Teherik-e Taliban Pakistan (TTP)-Fraktionen oder das Islamic Movement of Uzbekistan (IMU), während andere ohne formelle Zugehörigkeitserklärung mit IS-Gruppierungen zusammengearbeitet haben, z.B. die Jundullah-Fraktion von TTP oder Lashkar-e Islam (CTC 12.2018).

Der islamische Staat hat eine Präsenz im Osten des Landes, insbesondere in der Provinz Nangarhar, die an Pakistan angrenzt (CRS 12.2.2019 ;vgl. CTC 12.2018). In dieser sind vor allem bestimmte südliche Distrikte von Nangarhar betroffen (AAN 27.9.2016; vgl. REU 23.11.2017; AAN 23.9.2017; AAN 19.2.2019), wo sie mit den Taliban um die Kontrolle kämpfen (RFE/RL 30.10.2017; vgl. AAN 19.2.2019). Im Jahr 2018 erlitt der ISKP militärische Rückschläge sowie Gebietsverluste und einen weiteren Abgang von Führungspersönlichkeiten. Einerseits konnten die Regierungskräfte die Kontrolle über ehemalige IS-Gebiete erlangen, andererseits schwächten auch die Taliban die Kontrolle des ISKP in Gebieten in Nangarhar (UNSC 13.6.2019; vgl. CSR 12.2.2019). Aufgrund der militärischen Niederlagen war der ISKP dazu gezwungen, die Anzahl seiner Angriffe zu reduzieren. Die Gruppierung versuchte die Provinzen Paktia und Logar im Südosten einzunehmen, war aber schlussendlich erfolglos (UNSC 31.7.2019). Im Norden Afghanistans versuchten sie ebenfalls Fuß zu fassen. Im August 2018 erfuhr diese Gruppierung Niederlagen, wenngleich sie dennoch als Bedrohung in dieser Region wahrgenommen wird (CSR 12.2.2019). Berichte über die Präsenz des ISKP könnten jedoch übertrieben sein, da Warnungen vor dem Islamischen Staat laut einem Afghanistan-Experten "ein nützliches Fundraising-Tool" sind: so kann die afghanische Regierung dafür sorgen, dass Afghanistan im Bewusstsein des Westens bleibt und die Auslandshilfe nicht völlig versiegt (NAT 12.1.2017). Die Präsenz des ISKP konzentrierte sich auf die Provinzen Kunar und Nangarhar. Außerhalb von Ostafghanistan ist es dem ISKP nicht möglich, eine organisierte oder offene Präsenz aufrechtzuerhalten (UNSC 13.6.2019).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit (CSR 12.2.2019; vgl. UNAMA 24.2.2019; AAN 24.2.2019; CTC 12.2018; UNGASC 7.12.2018; UNAMA 10.2018). Im Jahr 2018 war der ISKP für ein Fünftel aller zivilen Opfer verantwortlich, obwohl er über eine kleinere Kampftruppe als die Taliban verfügt (AAN 24.2.2019). Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt (UNAMA 24.2.2019), nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (UNAMA 30.7.2019).

Der ISKP verurteilt die Taliban als "Abtrünnige", die nur ethnische und/oder nationale Interessen verfolgen (CRS 12.2.2019). Die Taliban und der Islamische Staat sind verfeindet. In Afghanistan kämpfen die Taliban seit Jahren gegen den IS, dessen Ideologien und Taktiken weitaus extremer sind als jene der Taliban (WP 19.8.2019; vgl. AP 19.8.2019). Während die Taliban ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte beschränken (AP 19.8.2019), zielt der ISKP darauf ab, konfessionelle Gewalt in Afghanistan zu fördern, indem sich Angriffe gegen Schiiten richten (WP 19.8.2019).

Al-Qaida und ihr verbundene Gruppierungen

Al-Qaida sieht Afghanistan auch weiterhin als sichere Zufluchtsstätte für ihre Führung, basierend auf langjährigen und engen Beziehungen zu den Taliban. Beide Gruppierungen haben immer wieder öffentlich die Bedeutung ihres Bündnisses betont (UNSC 15.1.2019). Unter der Schirmherrschaft der Taliban ist al-Qaida in den letzten Jahren stärker geworden; dabei wird die Zahl der Mitglieder auf 240 geschätzt, wobei sich die meisten in den Provinzen Badakhshan, Kunar und Zabul befinden. Mentoren und al-Qaida-Kadettenführer sind oftmals in den Provinzen Helmand und Kandahar aktiv (UNSC 13.6.2019).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen. Des Weiteren fungieren al-Qaida-Mitglieder als Ausbilder und Religionslehrer der Taliban und ihrer Familienmitglieder (UNSC 13.6.2019).

Im Rahmen der Friedensgespräche mit US-Vertretern haben die Taliban angeblich im Jänner 2019 zugestimmt, internationale Terrorgruppen wie Al-Qaida aus Afghanistan zu verbannen (TEL 24.1.2019).

Kapisa

Die Provinz Kapisa liegt im zentralen Osten Afghanistans, umgeben von den Provinzen Panjshir im Norden, Laghman im Osten, Kabul im Süden und Parwan im Westen (UNOCHA 4.2014). Kapisa ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Alasai, Hissa-e-Awali Kohistan, Hissa-e-Duwumi Kohistan, Koh Band, Mahmood Raqi, Nijrab und Tagab. Mahmood Raqi ist die Provinzhauptstadt von Kapisa (CSO 2019; vgl. IEC 2018).

Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Kapisa für den Zeitraum 2019-20 auf 479.875 Personen (CSO 2019). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in Kapisa sind Tadschiken, Paschtunen und Nuristani (FP 11.11.2014; vgl. NPS o.D.), wobei die Tadschiken als größte Einzelgruppe hauptsächlich im nördlichen Teil der Provinz leben (AAN 6.4.2015). Eine Hauptstraße verbindet die Provinzhauptstadt Mahmood Raqi mit Kabul (iMMAP 19.9.2017).

Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Kapisa 2018 nicht zu den zehn wichtigsten afghanischen Provinzen, die Schlafmohn anbauen. Die Größe der Anbaufläche verringerte sich 2018 im Vergleich zu 2017 um 60%. Schlafmohn wurde hauptsächlich in den Distrikten Tagab und Alasai angebaut (UNODC/MCN 11.2018).

Kapisa hat strategische Bedeutung: für Aufständische ist es einfach, die Provinzhauptstadt von Kapisa und die benachbarten Provinzen zu erreichen (AAN 24.4.2012). Die Taliban sind in entlegeneren Distrikten der Provinz aktiv und versuchen oft, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung oder Sicherheitskräfte durchzuführen (KP 23.5.2019); wie z.B. im zentral gelegenen Distrikt Nijrab (AN 21.5.2019). Im März 2019 konnten sie beispielsweise drei Dörfer - Afghania, Pachaghan und Ghin Dara - in Kapisa erobern (AT 24.3.2019).

Aufseiten der Regierungskräfte liegt Kapisa in der Verantwortung des 201. ANA Corps (USDOD 6.2019; vgl. FRP 5.1.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - East (TAAC-E) untersteht, welche von US-amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019).

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 139 zivile Opfer (39 Tote und 100 Verletzte) in Kapisa. Dies entspricht eine

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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