TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/2 W119 2162148-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.03.2020
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Entscheidungsdatum

02.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch

W119 2162148-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Volksrepublik China, vertreten durch den Verein We move together - Beratung und Hilfe für MigrantInnen, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.5.2017, Zahl: IFA 1022367302 + VZ 14743232, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und § 46, 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Volksrepublik China, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 26.6.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

In einer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag brachte die Beschwerdeführerin zu den Gründen befragt, warum sie ihr Herkunftsland verlassen habe, im Wesentlichen vor, dass das Haus, in dem sie aufgewachsen sei, enteignet worden wäre. Bereits im letzten Sommer habe man ihr die geplante Enteignung mitgeteilt. Am 19.12.2013 sei das Gebäude zwangsmäßig abgerissen und der Beschwerdeführerin letztendlich eine Entschädigung von 100.000.- RMB gewährt worden.

Die Beschwerdeführerin stamme aus einem Dorf im Kreis XXXX in der Stadt XXXX in der Provinz Shandong, sei ledig und konfessionslos, gehöre der Volksgruppe der Han an, habe in ihrem Heimatdorf von 1998 bis 2003 die Grundschule besucht und sei Arbeiterin gewesen. In der Volksrepublik China habe sie keine Kontakte, sie sei bei der Großmutter väterlicherseits aufgewachsen und wisse nicht, ob sie Geschwister habe.

Am 18.3.2016 wurde die Beschwerdeführerin niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) einvernommen. Dabei gab sie zunächst an, gesund zu sein. Sie habe keine Kenntnis darüber, ob ihre Eltern noch am Leben wären, es bestehe seit ihrer KIndheit kein Kontakt zu ihnen, die Beschwerdeführerin sei bei der Großmutter väterlicherseits aufgewachsen. Von den Eltern habe sie nur gehört, dass diese zum Arbeiten weggegangen wären, ansonsten hätte sie keine Ahnung, was mit ihnen passiert sei, es hätte sie auch nie interessiert. Als die Beschwerdeführerin vierzehn Jahre alt gewesen sei, sei ihre Großmutter an einer Krankheit verstorben und sie habe dann im Heimatdorf in einer Fabrik gearbeitet, in der Füchse gezüchtet worden seien und dort das Futter verteilt. Die Häute seien dann verkauft worden. Es sei ein Familienbetrieb und die Beschwerdeführerin die einzige Arbeiterin außerhalb der Familie gewesen.

An ihrer Heimatadresse habe sie von Geburt an bis zum Jahr 2013 gewohnt. Es sei ein kleiner Bauernhof mit Hühnern und Enten gewesen, den Acker hätte ihre Großmutter "gemietet" und sie selbst die Pacht nach deren Tod gekündigt. Bis zu ihrer Ausreise habe die Beschwerdeführerin als Verkäuferin in einem Damenmodengeschäft in ihrer Heimatgemeinde monatlich ca. 800.- RMB verdient und dies sei für ihren Lebensunterhalt ausreichend gewesen.

In Österreich habe die Beschwerdeführerin vergangenes Jahr in einem Laufhaus gearbeitet, wegen einer Lungenentzündug damit aufgehört, sei nun aber wieder gesund.

Zu ihrem Fluchtgrund brachte sie vor, es hätte einen Konflikt mit der Behörde, die Zwangsabrisse durchgeführt habe, gegeben, weswegen sie mit dem Tode bedroht worden sei. Am 19.12.2013 habe man sie verständigt, dass ihr Bauernhof abgerissen werde und am 20.12.3013 sei sie von der Arbeit zurückgekehrt, um die Demolierung zu beenden. Die Leute hätten ihr gesagt, sie würden ihr 100.000.- RMB geben, was zu wenig wäre. Die Beschwerdeführerin habe dann verlangt, dass der Abriss gestoppt werde, der Direktor habe sie daran gehindert, dann sei es zu einer Rauferei gekommen, ein Stein und Schutt wären auf ihn gefallen und er zugeschüttet worden. Jemand hätte die Beschwerdeführerin gewarnt und sie sei dann in der Kreis XXXX geflohen. Telefonisch habe sie um 16:00 desselben Tages von ihrer Nachbarin erfahren, dass der Vorsteher im Krankenhaus liege und die Polizei gekommen sei, um sie festzunehmen. Danach hätte sie sich umgehört und - ebenfalls von der Nachbarin - erfahren, dass die Mitarbeiter der Baugesellschaft die "schwarze Gesellschaft" bitten wollten, die Beschwerdeführerin zu töten. Später habe sie nochmals mit dem Dorfvorsteher telefoniert, der ihr mitgeteilt hätte, der Verletzte werde stationär behandelt.

Der Bauernhof habe vermutlich ihrer Großmutter oder ihrem Vater gehört. Im Sommer habe man immer wieder gehört, dass ein Zwangsabriss geplant wäre, die Verständigung darüber hätte sie erst am 19.12.2013 von einem Nachbarn erhalten. Grund für den Abriss sei ein geplanter Straßenbau gewesen, zudem habe man Öl entdeckt, das man habe fördern wollen.

An dem betreffenden Tag sei die Beschwerdeführerin um 7:00 Uhr weggegangen und drei Stunden später zurückgekehrt. Bei ihrer Ankunft gegen 10:00 Vormittag wäre ihr Haus schon halb abgerissen gewesen, sonst in ihrer Reihe nur mehr das Gebäude des Nachbarn gestanden und bereits sechs Häuser komplett demoliert gewesen. Man habe sie daran gehindert, ihre Sachen zu holen, die Auseinandersetzung hätte eine Weile gedauert. Dann sei der Vorsteher des Abrissbüros gekommen und habe ihr gesagt, sie solle sich mit 100.000.- RMB begnügen.

Am 29.9.2016 langte beim Bundesamt eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin zu den damals aktuellen Länderberichten ein.

Mit dem gegenständlichen, im Spruch angeführten, Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Volksrepublik China abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 57 Asylgesetz nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG in die Volksrepublik China zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

Dagegen wurde in vollem Umfang Beschwerde erhoben.

Am 12.10.2017 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerdeergänzung ein, in der vorgebracht wurde, die Beschwerdeführerin hätte auf einer Farm gearbeitet, in der auch Füchse gezüchtet worden seien. Es habe sich um einen Familienbetrieb gehandelt, der Hof sei dann von einem Zwangsabriss betroffen gewesen und die Beschwerdeführerin in den Streit mit den Behörden hineingezogen worden. In Österreich habe sie eine Lungenentzündung durchlitten und sich einer Operation unterziehen müssen.

Am 10.12.2018 langte beim Bundesverwaltungsgericht ein Schriftsatz der Beschwerdeführerin ein, dem drei Empfehlungsschreiben, die Stellungnahme einer Sozialarbeiterin sowie das Protokoll einer kriminalpolizeilichen Zeugenvernehmung der Beschwerdeführerin vom 11.11.2016 angefügt wurden. Einer Anmerkung am Ende des Protokolls ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin wiederholt auf die österreichische Gesetzeslage bezüglich Opferbetreuung aufmerksam gemacht und ihr die Möglichkeit eingeräumt wurde, von LEFÖ IBF betreut und in das soziale Netzwerk Österreichs eingegliedert zu werden sowie ihr die Zuführung zu Deutschkursen und zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Sie bleibe weiterhin bei ihren Aussagen und gebe an, sie wäre kein Opfer des Menschenhandels, führe ihre jetzige Tätigkeit als Prostituierte freiwillig aus und brauche keine Unterstützung. Laut dem Schriftsatz vom 10.12.2018 sei die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Zeugenvernehmung geschockt und traumatisiert gewesen und habe sich nach einiger Zeit an eine weitere Organisation, die sich Opfern von Menschenhandel und Prostitution annehme, gewandt. Sie werde seit Längerem psychologisch betreut, sei allerdings nach wie vor schwer traumatisiert und es falle ihr naturgemäß schwer, über viele Begebenheiten ihres Lebens zu sprechen. Im Zuge der Therapie sei ihr allerdings auch erst klargeworden, zu welchem Grad sie tatsächlich ein Opfer sei. Vor allem mit Hilfe der MitarbeiterInnen des betreffenden Vereins finde sie Möglichkeiten, ehrenamtlich zu arbeiten und Deutsch zu lernen. Sie sei sehr beliebt.

Am 13.1.2020 hielt das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Chinesisch eine öffentliche mündliche Verhandlung ab, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei entschuldigt nicht teilnahm.

Zunächst gab die Beschwerdeführerin an, gesund und in einem näher genannten Dorf im Bezirk XXXX , im Kreis XXXX , in der Stadt XXXX und in der Provinz Sandong in China geboren worden zu sein. An diesem Ort habe sie gelebt, bis sie 15 Jahre alt gewesen sei und dann dort in der Nähe gearbeitet. Fünf Jahre lang habe sie die Grundschule besucht und anschließend ihre kranke Oma gepflegt. Woran diese erkrankt sei, wisse die Beschwerdeführerin nicht, sie habe sehr stark gehustet und danach nicht mehr aufstehen können. Im Jahr 2006 sei die Großmutter gestorben, die Beschwerdeführerin sei damals 14 Jahre alt gewesen.

Ihre Großmutter habe ihr etwas hinterlassen und die Beschwerdeführerin habe auch im Dorf einen Vogel gefüttert, wofür sie etwas Geld bekommen hätte. Im Alter von 15 Jahren habe sie das Dorf verlassen, um zu arbeiten und zwar zunächst in einer Schuhfabrik, in einem Restaurant und auch als Verkäuferin. Ihre Aussage beim Bundesamt vorgehalten, dass sie in einem Familienbetrieb beschäftigt gewesen sei, der Füchse gezüchtet habe, erwiderte sie: "Ja, das war im Dorf." Nachgefragt, warum sie das nicht erwähnt habe, erklärte sie: "Die Frage war nicht, dass ich außerhalb des Dorfes gearbeitet habe." Auf Vorhalt, gefragt worden zu sein, welche Tätigkeiten sie ab dem 15. Lebensjahr ausgeübt habe, antwortete sie: "Ja, das ist diese Fütterung." Nachgefragt, ob sie die Fütterung von Vögeln meine, erklärte die Beschwerdeführerin, auf das Fell der Jacke zeigend, sie bearbeite solche Stücke, das sei kein Vogel, sondern ein Tier. Drei Monate nach dem Tod der Großmutter habe sie mit der Fütterung angefangen und habe diese Arbeit weniger als ein Jahr lang ausgeführt. Auf Vorhalt, beim Bundesamt gesagt zu haben, dass sie diese Tätigkeit zwei Jahre gemacht hätte, gab die Beschwerdeführerin an, sich nicht daran erinnern zu können. Vor ihrer Ausreise habe sie Kleider verkauft.

Zu ihrer Rückkehrbefürchtung befragt, brachte die Beschwerdeführerin zunächst vor, keinen Meldezettel und keinen chinesischen Ausweis zu haben. Nachgefragt, ob sie keine weiteren Befürchtungen hätte, antwortete sie: "Ich weiß nicht, ob dem mit dem ich einen Konflikt hatte, etwas passiert ist oder nicht. Ich weiß es nicht." Dabei habe es sich um den Leiter gehandelt, der ihr Haus abgerissen hätte. Aufgefordert, diesen Konflikt zu beschreiben, brachte die Beschwerdeführerin vor, man habe in ihrem Dorf etwas machen und ihr Haus abreißen wollen. Sie hätte keinen Bescheid bekommen, ihr Nachbar habe sie angerufen und von dem Haus sei schon die Hälfte abgerissen gewesen. Sie sei zurückgegangen und habe sich mit den Leuten geschlagen. Einer, konkret der Leiter, sei von einem Stein getroffen worden, der sich oberhalb der Türe befunden hätte, wofür der Beschwerdeführerin die Schuld gegeben worden sei. Als sie sich in Peking befunden habe, habe sie jemand vom Dorf angerufen und sie vorgewarnt, nicht mehr zurück zu kehren, weil sie sie töten würden. Nachgefragt, warum sie davon nichts bei der Einvernahme erzählt habe, erwiderte sie, sie hätte es erzählt. Telefoniert habe sie mit einer Nenntante, die neben ihr gewohnt habe. Nach dem Konflikt sei die Beschwerdeführerin zuerst in die Stadt XXXX gegangen und dann mit dem Bus nach Peking gefahren.

Abgesehen von diesem Leiter sei sie keinen Bedrohungen in China ausgesetzt gewesen. Vorgehalten, sie habe beim Bundesamt angegeben, vor der schwarzen Gesellschaft Angst zu haben, antwortete die Beschwerdeführerin: "Sie haben Kontakt." Der Leiter könne jemanden anrufen, der für ihn etwas erledige. Er sei verletzt gewesen und habe gesagt, er werde jemanden suchen, der die Beschwerdeführerin töte. Das wisse sie von der "Tante" vom Nachbarn und auch vom Dorfvorsteher, den sie angerufen habe, um zu erfahren, wie schwer der Leiter verletzt gewesen sei. Seitens der erkennenden Richterin nachgefragt, wie schwer die Verletzungen gewesen wären, erwiderte die Beschwerdeführerin, es nicht gesehen zu haben, weil sie schon gegangen sei. Nochmals nachgefragt, ob ihr niemand davon erzählt habe, erwiderte sie, man habe ihr bei ihrem Anruf gesagt, er sei im Spital. Ob er schwer oder weniger schwer verletzt sei, habe man ihr nicht gesagt.

Auf die Frage der Beschwerdeführervertreterin, was die Konsequenzen wären, wenn man in China keine ID Karte habe, antwortete die Beschwerdeführerin, man könne keine Bankomatkarte beantragen und keine Versicherung abschließen. Dies sei der Stand vor ihrer Ausreise gewesen, jetzt dürfe man überhaupt nichts mehr machen und könne auch keine Fahrkarte kaufen. Weiters seitens der Beschwerdeführervertreterin nachgefragt, wie schwierig es sei, eine ID Karte zu bekommen, erklärte die Beschwerdeführerin, es nicht versucht zu haben. Sie kenne ihre Eltern überhaupt nicht und bevor ihre Oma gestorben sei, habe sie auch nicht gewusst, ob sie solche Dokumente habe oder nicht. Jetzt könne man ohne ID Karte keiner legalen Arbeit mehr nachgehen.

In Österreich habe die Beschwerdeführerin den Kurs A1 in der Volkshochschule besucht und in ihrem Verein von einem Lehrer Deutsch gelernt. Zudem habe sie bei einem weiteren Verein einen Deutschkurs besucht. Zeugnis habe sie keines, sondern nur Kursbestätigungen. Die Beschwerdeführerin sei gerade jetzt dabei, den Einzelunterricht der deutschen Sprache zu besuchen, im März gebe es eine Prüfung für A2. Weitere Kurse absolviere sie nicht. Sie habe keinen Partner in Österreich. Im Verein habe sie Kinder betreut und helfe dort auch bei Veranstaltungen aus. Früher (bis Anfang 2017) habe sie im Studio gearbeitet und, weil es ihr sowohl körperlich als auch geistig nicht gut gegangen sei, damit aufgehört. Sie habe einen Tinnitus gehabt und deshalb auch weniger geschlafen.

Auf der Flucht nach Österreich sei sie von zwei Männern mehrfach vergewaltigt worden, habe diese aber seit ihrer Ankunft nicht mehr gesehen.

Vor der Zeugenvernehmung der Beschwerdeführerin beim Bundeskriminalamt habe es laut Beschwerdeführervertreterin einen Großeinsatz gegeben, bei dem mehrere Bordelle an einem Tag von der Polizei aufgesucht worden seien. Die Beschwerdeführerin hätte zu diesem Zeitpunkt gerade geschlafen, als ein Polizist in ihr Zimmer gekommen wäre. Seitdem sei sie sehr traumatisiert und es habe sich auch um den Auslöser dafür gehandelt, mit der Arbeit aufzuhören. Die Einvernahme selbst sei ebenfalls schwer traumatisierend für die Beschwerdeführerin gewesen, weil die Polizeibeamten dabei auch nicht zimperlich gewesen sein sollen. Es gebe keine Verfahren, in denen die Beschwerdeführerin weiterhin als Zeugin aussagen müsse, die Verfahren seien abgeschlossen. Damals seien 21 oder 22 Menschenhändler festgenommen worden, das genaue Ergebnis wisse die Beschwerdeführervertreterin nicht.

Die Beschwerdeführerin bestätigte, dass der Mann, über den man sie befragt habe, auch wegen Menschenhandels verurteilt worden sei. Die Beschwerdeführerin hätte ihn als Freund verstanden und bis zu seiner Festnahme ca. ein halbes Jahr lang eine Beziehung zu ihm gehabt. In ihrem Bordell wäre er nicht tätig gewesen.

Die Beschwerdeführerin habe diese Person dann noch oft im Gefängnis besucht, sie habe es nicht glauben können, dass er wegen Menschenhandels rechtskräftig verurteilt worden sei.

Beim Verein LEFÖ habe sie an Veranstaltungen teilgenommen, sei jedoch dort kein Mitglied. Sie besuche einen Deutschkurs, der von ihrem Verein empfohlen worden sei. Bei diesem erhalte sie Kleidung und eine Wohnmöglichkeit. Alle, die ihr helfen, seien ihre Freunde geworden. Der Verein sei wie ihr Zuhause.

In psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung sei sie momentan nicht, habe jedoch früher ein Krisenzentrum aufgesucht.

Im Rahmen dieser Verhandlung wurde eine Sozialarbeiterin als Zeugin einvernommen. Während der Sozialarbeit habe sie auch Studios und Bordelle besucht und die Beschwerdeführerin im Jahr 2016 in einem Studio kennengelernt. Ein oder zwei Wochen später sei diese bei ihr im Büro aufgetaucht. Vordergründig habe sie einen Deutschkurs gewollt, sei aber bei ihr im Büro völlig zusammengebrochen, habe geweint und dann erzählt, dass kurz davor in ihrem Bordell eine Razzia stattgefunden und in deren Rahmen ihr einer der WEGA Beamten eine Pistole an den Kopf gehalten hätte. Dieses traumatische Erlebnis habe dazu geführt, dass sie zwei Wochen später ihr Baby verloren habe. Sie sei im Krankenhaus gewesen und habe bis heute schwere Albträume. Mit Einverständnis der Beschwerdeführerin habe die Zeugin das Bundeskriminalamt angerufen und mit dem zuständigen Mann gesprochen. Der Polizist habe bestätigt, dass die Beschwerdeführerin ein Opfer von Menschenhandel sei. Diese habe das zu dem Zeitpunkt im Jahr 2016 nicht so gesehen und mit dem Begriff nichts anfangen können. Im weiteren Verlauf sei sie kurz danach aus der Prostitution ausgestiegen und von ihrem Verein unterstützt worden. Die Zeugin sei auch Traumatherapeutin und habe die Beschwerdeführerin von Anfang 2017 bis zum Sommer 2017 behandelt. Sie gehe davon aus, dass die Beschwerdeführerin in der letzten Sitzung realisiert habe, ein Opfer von Menschenhandel zu sein. In China habe man ihr einen guten Job in Europa, wie zum Beispiel Babysitten, versprochen und es habe hier in der Prostitution geendet. Die Beschwerdeführerin habe auch einen Deutschkurs begonnen und die Zeugin sei erstaunt gewesen, in welch kurzer Zeit sie schon unglaublich viel erfassen und sprechen habe können. Aufgrund ihrer komplett unsicheren Situation, sei die Beschwerdeführerin nicht mehr in der Lage gewesen, sich zu konzentrieren und die Deutschkurse fortzuführen. Die Zeugin glaube, wenn sie eine Zukunftsperspektive für ihr persönliches Leben habe, werde sie in der Lage sein, Deutsch zu lernen. Sie spreche perfekt Englisch und sei in der Familie der Zeugin integriert.

Die Zeugin habe die Beschwerdeführerin damals in der Traumazentrum geschickt, damit sie Medikamente bekomme. Diese habe dort jedoch nicht wirklich Vertrauen gefasst.

Nachgefragt, wie sie die Beziehung der Beschwerdeführerin zu einem Mann, der wegen Menschenhandels verurteilt worden sei, gesehen habe, erklärte die Zeugin, sie hätten sie nicht fortlaufend behandelt und sie als Therapeutin könne das nicht kommentieren. Sie glaube jedoch, dass es keine Beziehung mehr sei. Dazu gab die Beschwerdeführerin an, dass diese Person nicht an der Reise beteiligt gewesen wäre. Die Zeugin erklärte, sie vermute wegen seiner Festnahme, dass es sich bei ihm um einen Teil des Netzwerks handle. Dass die Beschwerdeführerin ihn bis Februar 2018 sehr regelmäßig im Gefängnis besucht habe begründete die Zeugin folgendermaßen: ""Loverboy" ist ein fixer Begriff in der Szene, das sind junge Männer die Beziehungen mit Frauen anfangen und die Frauen dann immer abhängiger werden und dann in das reingeraten und sich ausbeuten lassen. Die Frauen sind oft nicht bereit auszusagen, weil sie mit den Tätern verbunden sind."

Die Beschwerdeführervertreterin gab dazu an, auch seit zwei Jahren mit Menschen im Menschenhandel tätig zu sein. Die Opfer würden den Täter zum besten Freund machen und nicht bereit sein, gegen ihn auszusagen.

Der Beschwerdeführervertreterin wurden die in das Verfahren eingeführten Länderberichte übergeben und eine Frist von zwei Wochen zur Abgabe einer Stellungnahme gewährt.

Am 28.1.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht die Stellungnahme der Beschwerdeführerin zu den im Rahmen der mündlichen Verhandlung eingebrachten Länderberichten ein, der ein Unterstützungsschreiben ihres Vereins angefügt wurde, laut dem sie sich ihre guten Englischkenntnisse großteils selbst angeeignet und längere Zeit die Kinderbetreuung für Klientinnen während Beratungsgesprächen übernommen habe und ihr das Deutschlernen im Kurskontext leichtfalle.

In der Stellungnahme selbst wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin keine Identitätsdokumente besitze. Sie habe keine Geburtsurkunde und sowohl die Identität als auch der Aufenthalt ihrer Eltern sei unbekannt. Sie sei bei der Großmutter aufgewachsen und diese bereits verstorben Die Beschwerdeführerin könne also keine Geburtsurkunde erlangen. Ohne ID-Karte sei es unmöglich, ein normales Leben in China zu führen. Weiters sei die Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Erlebnisse als Opfer von Menschenhandel zum Zweck der Zwangsprostitution schwer traumatisiert. Angehängt wurde die Beantwortung einer Anfrage an die Staatendokumentation zum Thema Menschenhandel, allerdings bezogen auf Nigeria. Die chinesische Menschenhandelsmafia unterscheide sich von der nigerianischen in der Hinsicht, dass die Menschenhändler ein sehr freundschaftlich orientiertes Abhängigkeitsverhältnis aufbauen und daher chinesische Opfer kaum gegen ihre Menschenhändler aussagen würden. Engmaschig überwacht würden die Frauen anschließend nach Europa gebracht und hier wieder in eine verletzliche Situation, in welcher oft ein "zufälliger" chinesischer Passant zum sogenannten Retter werde. Dieser führe dann das Opfer schrittweise in die Prostitution ein. Die diesbezüglichen Methoden basierten ebenso auf einem, von den Menschenhändlern vorgespielten und von den Opfern tief empfundenen, Gefühl der Freundschaft. Mit diesem Hintergrund sei es auch zu erklären, dass der "Menschenhändler" der Beschwerdeführerin verneint habe, eine Beziehung mit ihr gehabt zu haben und im Gegensatz dazu die Beschwerdeführerin von einer romantischen und sexuellen Beziehung gesprochen hätte. Weil sie ihn als ihren Beziehungspartner und Freund betrachtet habe, habe sie ihn auch über einen langen Zeitraum im Gefängnis besucht. Bis heute sei es ihr nicht begreiflich, dass diese Person ein Menschenhändler sein soll. Alle Handlungen im Zuge des Menschenhandels basierten auf anscheinend "freiwilligen" Entscheidungen der Opfer. Das mache es für die Opfer besonders schwer, ihren Opferstatus anzuerkennen. Die Beschwerdeführerin habe inzwischen anerkannt, dass sie ein Opfer sei und dass sie einen geschützten Rahmen brauche, um sich wieder in ein normales Leben einfinden zu können. Nach wie vor befinde sich die Beschwerdeführerin in einem Ausnahmezustand hinsichtlich ihrer Traumatisierung und es bedürfe weiterer Hilfe zur gänzlichen Heilung.

Der Stellungnahme angehängt waren eine Kursbesuchsbestätigung Deutsch Integrationskurs A1 Teil eins und zwei von vier, ein Teilnahmezertifikat an einem Deutsch Konversationskurs B 1 und die Bestätigung eines Kriseninterventionszentrums darüber, dass die Beschwerdeführerin am 19.12.2016, am 28.12.2016 und am 11.1.2017 Beratungsgespräche in Anspruch genommen hat. Ebenfalls angefügt waren Spitalsunterlagen aus dem Jahr 2016.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige der Volksrepublik China, stammt aus dem Kreis XXXX in der Stadt XXXX in der Provinz Shandong, ist konfessionslos und gehört der Volksgruppe der Han an.

Sie reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 26.6.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

In der Heimat besuchte die Beschwerdeführerin mindestens von 1998 bis 2003 die Schule und war dort unter anderem in einer Schuhfabrik, in einem Restaurant und auch als Verkäuferin für Damenmoden tätig. Nach eigenen Angaben vor der belangten Behörde verfügte sie über ein ausreichendes Einkommen. Die Beschwerdeführerin leidet an keiner schweren Erkrankung und ist arbeitsfähig. Die Beschwerdeführerin ist in der Lage, durch eigene Erwerbstätigkeit in China ihren Unterhalt zu sichern.

Die Beschwerdeführerin konnte nicht glaubhaft machen, in der Heimat ernsthaft von Verfolgung bedroht zu sein.

Es sind keine Verfahren (mehr) offen, in denen die Beschwerdeführerin Zeugin oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel ist.

Die Beschwerdeführerin hat in Österreich weder Verwandte oder Familienangehörige noch einen Partner.

Die Beschwerdeführerin besuchte einen Deutsch-Integrationskurs A1 Teil eins und zwei von vier sowie einen Deutsch-Konversationskurs B1 und erwarb Englischkenntnisse, konnte jedoch keine ÖSD oder ÖIF-Zertifikate vorlegen. Ansonsten absolvierte sie keine weiteren Ausbildungen im Bundesgebiet.

Die Beschwerdeführerin war in Österreich legal als Prostituierte tätig, erwirtschaftet mittlerweile jedoch kein eigenes Einkommen.

In Ihrem Verein ist sie gut integriert und hilft ehrenamtlich bei der Kinderbetreuung sowie bei diversen Veranstaltungen. Sie besitzt österreichische Freunde.

Feststellungen zur Situation in der Volksrepublik China:

(Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 16. 12. 2019)

Politische Lage

Die Volksrepublik China ist mit geschätzten 1,385 Milliarden Einwohnern (Stand Juli 2018) und einer Fläche von 9.596.960 km² der bevölkerungsreichste Staat der Welt (CIA 20.11.2019).

China ist in 22 Provinzen, fünf Autonome Regionen der nationalen Minderheiten Tibet, Xinjiang, Innere Mongolei, Ningxia und Guangxi, sowie vier regierungsunmittelbare Städte (Peking, Shanghai, Tianjin, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungsregionen (Hongkong, Macau) untergliedert (AA 3.2019a). Hongkong hat seit dem Souveränitätsübergang vom Vereinigten Königreich auf die Volksrepublik China zum 1. Juli 1997 den Status einer Sonderverwaltungsregion (Special Administrative Region - SAR). Grundlage für den Souveränitätsübergang ist die von den beiden Regierungschefs am 19. Dezember 1984 in Peking unterzeichnete ?Gemeinsame Erklärung'. Nach dem dort verankerten Prinzip 'Ein Land, zwei Systeme' kann Hongkong für 50 Jahre sein marktwirtschaftliches Wirtschaftssystem aufrechterhalten und genießt einen hohen Grad an politischer und rechtlicher Autonomie. Zum 1. Juli 1997 trat auch das Hongkonger "Basic Law" in Kraft und löste die koloniale Verfassung ab. Macau wurde nach einem ähnlichen Abkommen am 20. Dezember 1999 von Portugal an die Volksrepublik China zurückgegeben. Die Vereinigung mit Taiwan zur "Wiederherstellung der nationalen territorialen Integrität" bleibt eines der erklärten Kernziele chinesischer Politik (AA 3.2019a).

Gemäß ihrer Verfassung ist die Volksrepublik China ein "sozialistischer Staat unter der demokratischen Diktatur des Volkes, der von der Arbeiterklasse geführt wird und auf dem Bündnis der Arbeiter und Bauern beruht" (AA 3.2019a). China ist ein autoritärer Staat, in dem die Kommunistische Partei (KP) verfassungsmäßig die höchste Autorität ist. Beinahe alle hohen Positionen in der Regierung sowie im Sicherheitsapparat werden von Mitgliedern der KP gehalten (USDOS 13.3.2019). Die KP ist die allbestimmende politische Kraft. Der 19. Parteitag hat im Oktober 2017 ein neues Zentralkomitee (ZK) gewählt, dem alle wichtigen Entscheidungsträger in Staat, Regierung, Armee und Gesellschaft angehören. Xi Jinping ist seit 2012 Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas. Das Zentralkomitee wiederum wählt das Politbüro (25 Mitglieder) und den Ständigen Ausschuss des Politbüros (derzeit 7 Mitglieder). Letzteres ist das ranghöchste Parteiorgan und gibt die Leitlinien der Politik vor. Die Personalvorschläge für alle diese Gremien werden zuvor durch die Parteiführung erarbeitet, wobei über das genaue Verfahren und dessen Grad der Formalisierung keine Klarheit besteht (AA 3.2019a vgl. USDOS 13.3.2019).

Xi Jinping ist zudem Vorsitzender der Zentralen Militärkommission (ZMK) der Kommunistischen Partei Chinas und Oberkommandierender der Streitkräfte, die seit 1997 direkt der Kommunistischen Partei Chinas unterstellt sind. Der 2018 erneut gewählte Ministerpräsident Li Keqiang leitet den Staatsrat, die eigentliche Regierung. Er wird von einem "inneren Kabinett" aus vier Stellvertretenden Ministerpräsidenten und fünf Staatsräten unterstützt. Der Staatsrat fungiert als Exekutive und höchstes Organ der staatlichen Verwaltung (AA 3.2019a).

Der 3.000 Mitglieder zählende Nationale Volkskongress (NVK) wird durch subnationale Kongresse für fünf Jahre gewählt (FH 2.2019a). Er wählt formell den Staatspräsidenten für fünf Jahre und bestätigt den Premierminister, der vom Präsidenten nominiert wird (FH 1.2017a). Der Nationale Volkskongress (NVK) ist formal das gesetzgebende Organ der VR China. Er tagt als Plenum einmal jährlich und beschließt mit einer Legislaturperiode von fünf Jahren nationale Gesetze (LVAk 9.2019). Der NVK ist jedoch vor allem eine symbolische Einrichtung (FH 1.2017a). Nur der Ständige Ausschuss trifft sich regelmäßig, der NVK kommt einmal pro Jahr für zwei Wochen zusammen, um die vorgeschlagene Gesetzgebung anzunehmen (FH 2.2019a). Eine parlamentarische Opposition zur KPCh gibt es nicht (AA 14.12.2018). Es gibt weitere acht kleine "demokratische Parteien", die auch im Nationalen Volkskongress, aber vor allem in der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes vertreten sind. Deren Vorsitzender ist Wang Yang. Das Gremium unter Führung der KP Chinas hat lediglich beratende Funktion (AA 3.2019a).

Der Nationale Volkskongress hat mit seiner ersten Sitzung der 13. Legislaturperiode (5. - 20. März 2018) Xi Jinping erneut zum Staatspräsidenten gewählt (AA 3.2019a). Xi Jinping ist Vorsitzender der Zentralen Militärkommission (ZMK) der Kommunistischen Partei Chinas und Oberkommandierender der Streitkräfte (AA 3.2019a). Er hält damit die drei einflussreichsten Positionen (USDOS 13.3.2019). Präsident Xi Jinping hat seine Absicht bekundet, auf unbestimmte Zeit zu regieren, nachdem die chinesische Legislative im März 2018 die Verfassung geändert hatte, um die Amtszeit für die Präsidentschaft zu verkürzen (HRW 17.1.2019). Vorrangige Ziele der chinesischen Führung sind die Entwicklung des "Sozialismus chinesischer Prägung im neuen Zeitalter" und die Verwirklichung des "chinesischen Traums vom großartigen Wiederaufstieg der chinesischen Nation". Die Wahrung der politischen und sozialen Stabilität unter Führung der Partei gilt als wichtigstes Ziel der KP Chinas. Die strenge Führung durch die Partei soll dabei in allen Bereichen der Gesellschaft durchgesetzt werden. Gleichzeitig laufen Kampagnen zur inneren Reform und Stärkung der Partei. Schwerpunkte sind der Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft sowie die Stärkung der zentralen Kontrolle der Parteiführung.

Die von Deng Xiaoping im Jahr 1978 verkündete Ära von "Reform und Öffnung" hat China eine lange Phase anhaltend hohen Wachstums gebracht. Vor dem 40-jährigen Jubiläum von "Reform und Öffnung" im Dezember 2018 scheinen die wirtschaftlichen Reformanstrengungen jedoch weitgehend zum Erliegen gekommen zu sein. Angesichts der dramatischen Herausforderungen durch den demografischen Wandel, die Umweltbelastungen und die weiter zunehmende soziale Ungleichheit erscheint eine Fortsetzung der Reformagenda umso dringlicher. (AA 3.2019a).

Quellen:

?AA - Auswärtiges Amt (3.2019a): China - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/china-node/-/200846, Zugriff 26.9.2019

?AA - Auswärtiges Amt (14.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China, https://www.ecoi.net/en/file/local/1456146/4598_1547112750_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-volksrepublik-china-stand-oktober-2018-14-12-2018.pdf, Zugriff 6.12.2019

?CIA - Central Intelligence Agency (20.11.2019): The World Factbook - China, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ch.html, Zugriff 20.11.2019

?FH - Freedom House (2.2019a): Freedom in the World 2019 - China, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002611.html, Zugriff 21.10.2019

?FH - Freedom House (1.2017a): Freedom in the World 2017 - China, http://www.ecoi.net/local_link/339947/483077_de.html, Zugriff 21.10.2019

?HRW - Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 - China, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002248.html, Zugriff 22.10.2019

?LVAk - Landesverteidigungsakademie (9.2019): Buchas, Peter/Feichtinger, Walter/Vogl, Doris (Hg.): Chinas Grand Strategy im Wandel, Militärwissenschaftliche Publikationsreihe der Landesverteidigungsakademie, 1.2019, S.190

?USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), https://www.ecoi.net/de/dokument/2004237.html , Zugriff 14.10.2019

Sicherheitslage

Proteste auf lokaler Ebene haben in ganz China auch 2018 zugenommen. Sie richten sich vor allem gegen steigende Arbeitslosigkeit und Vorenthaltung von Löhnen, hauptsächlich von Wanderarbeitern. Bei den bäuerlichen Protesten auf dem Land geht es meistens um die (entschädigungslose oder unzureichend entschädigte) Enteignung von Ländereien oder die chemische Verseuchung der Felder durch Industriebetriebe oder Umweltkatastrophen. Nachdem die Anzahl sogenannter "Massenzwischenfälle" über Jahre hinweg mit großer Geschwindigkeit zunahm, werden hierzu seit 2008 (> 200.000 Proteste) keine Statistiken mehr veröffentlicht. Zwei Aktivisten, die seit 2013 durch eigene, über Twitter veröffentlichte Statistiken diese Lücke zu schließen versuchten, wurden im Juni 2016 verhaftet, einer von ihnen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Die lokalen Behörden verfolgen in Reaktion zumeist eine Mischstrategie aus engmaschiger Kontrolle, die ein Übergreifen nach außen verhindern soll, gepaart mit einem zumindest partiellen Eingehen auf die Anliegen (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 14.12.2018)

China hat anhand der Vorkommnisse der späten 1980er Jahre gelernt, dass soziale Spannungen zu einer ernsthaften Gefährdung des Systems führen können. Infolgedessen wurde ein engmaschiges Kontroll- und Regulierungssystem (z.B. Social Credit System) sowohl in urbanen Kerngebieten als auch in den peripheren Siedlungsgebieten der Minderheiten aufgebaut (LVAk 9.2019).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (14.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China, https://www.ecoi.net/en/file/local/1456146/4598_1547112750_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-volksrepublik-china-stand-oktober-2018-14-12-2018.pdf, Zugriff 6.12.2019

?LVAk - Landesverteidigungsakademie (9.2019): Buchas, Peter/Feichtinger, Walter/Vogl, Doris (Hg.): Chinas Grand Strategy im Wandel, Militärwissenschaftliche Publikationsreihe der Landesverteidigungsakademie, 1.2019, S.228

?USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), https://www.ecoi.net/de/dokument/2004237.html , Zugriff 14.10.2019

Rechtsschutz / Justizwesen

Die Führung unternimmt Anstrengungen, das Rechtssystem auszubauen (AA 14.12.2018). Dem steht jedoch der Anspruch der Kommunistischen Partei auf ungeteilte Macht gegenüber (FH 2.2019a). Gewaltenteilung und Mehrparteiendemokratie werden abgelehnt. Von der Verwirklichung rechtsstaatlicher Normen und einem Verfassungsstaat ist China noch weit entfernt. Im Alltag sind viele Chinesen weiterhin mit Willkür und Rechtlosigkeit konfrontiert, neben sozialer Not eine der Hauptquellen von Unzufriedenheit in der chinesischen Gesellschaft (AA 3.2019a). Eine unabhängige Strafjustiz existiert in China folglich nicht. Strafrichter und Staatsanwälte unterliegen der politischen Kontrolle von staatlichen Stellen und Parteigremien (AA 14.12.2019). Die Kontrolle der Gerichte durch politische Institutionen ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip (ÖB 11.2019). Die KP dominiert das Rechtssystem auf allen Ebenen und erlaubt Parteifunktionären, Urteile und Verurteilungen zu beeinflussen. Die Aufsicht der KP zeigt sich besonders in politisch heiklen Fällen durch die Anwendung sogenannter "Leitlinien". Während Bürger in nicht-politischen Fällen ein gewisses Maß an fairer Entscheidung erwarten können, unterliegen solche, die politisch sensible Fragen oder die Interessen mächtiger Gruppen berühren, diesen "Leitlinien" der politisch-juristischen Ausschüsse (FH 2.2019a). Seit dem vierten Jahresplenum des 18. Zentralkomitees 2014 betont die Führung die Rolle des Rechts und ergriff Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität gerichtlicher Verfahren und zum Aufbau eines "sozialistisches Rechtssystem chinesischer Prägung" unter dem Motto "den Gesetzen entsprechend das Land regieren". Echte Rechtsstaatlichkeit im Sinne der Achtung des Legalitätsprinzips in der Verwaltung und der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit wird dabei aber dezidiert abgelehnt. Das in den Beschlüssen reflektierte Verständnis von Recht soll die Macht des Staates, d.h. der Kommunistischen Partei (KP), keinesfalls einschränken, sondern vielmehr stärken (ÖB 11.2019).

Die wichtigste Einrichtung der KP zur Kontrolle des Rechtssystems ist die Kommission des Zentralkomitees für Politik und Recht (ZKPR). Das ZKPR ist in unterschiedlichen Unter-Formaten auf jeder gerichtlichen Ebene verankert, wobei die jeweiligen Ebenen der übergeordneten Ebene verantwortlich sind. Die Macht des Komitees, das auf allen Ebenen auf Verfahren Einfluss nimmt, wurde auch seit den Beschlüssen des Vierten Plenums der KP im Oktober 2014 bewusst nicht angetastet (ÖB 11.2019).

Die Richter-Ernennung erfolgt auf Provinzebene durch Rechtskomitees, welchen hochrangige Partei-Funktionäre angehören und welche von einem KP-Inspektorat überwacht werden. Richter sind verpflichtet, über Einflussnahme seitens lokaler Politiker auf Verfahren Bericht zu erstatten. Es ist für Richter schwierig, zwischen "Unabhängigkeit" von lokalen politischen Einflüssen, und Loyalität zur KP-Linie (welche regelmäßig miteinander und mit einflussreichen Wirtschafts- und Privatinteressen verbunden sind) zu navigieren. Trotz laufender Reformbemühungen gibt es - vor allem auf unterer Gerichtsebene - noch immer einen Mangel an gut ausgebildeten Richtern (ÖB 11.2019).

Ein umfassender Regelungsrahmen unterhalb der gesetzlichen Ebene soll "Fehlverhalten" von Justizbeamten und Staatsanwälten in juristischen Prozessen unterbinden. Das Oberste Volksgericht (OVG) und die Oberste Staatsanwaltschaft haben wiederholt gefordert, "Falschurteile" der Gerichte zu verhindern, die Richterschaft an das Verfassungsverbot von Folter und anderen Zwangsmaßnahmen bei Vernehmungen zu erinnern und darauf hinzuweisen, dass Verurteilungen sich nicht allein auf Geständnisse stützen dürfen. Die Regierung widmet zudem sowohl der juristischen Ausbildung als auch der institutionellen Stärkung von Gerichten und Staatsanwaltschaften seit mehreren Jahren verstärkte Aufmerksamkeit (AA 14.12.2018).

Das umstrittene System der "Umerziehung durch Arbeit" ("laojiao") für Drogenabhängige wurde aufgrund entsprechender Beschlüsse des 3. Plenums des Zentralkomitees (ZK) im November 2013 offiziell am 28. Dezember 2013 abgeschafft. Es liegen jedoch Erkenntnisse vor, wonach die entsprechenden Haftanstalten lediglich in "legal education centers" umbenannt wurden (AA 14.12.2018).

Mit der letzten großen Novellierung 2013 sieht die Strafprozessordnung genaue Regeln für Festnahmen vor, führt die "Hochachtung und der Schutz der Menschenrechte" an und verbietet Folter und Bedrohung bzw. Anwendung anderer illegaler Methoden zur Beweisermittlung. Es besteht jedoch eine teilweise erhebliche Divergenz zwischen den Rechtsvorschriften und deren Umsetzung, und werden diese zum Zwecke der Unterdrückung von politisch unliebsamen Personen instrumentalisiert. Laut Strafprozessordnung müssen auch im Falle einer Festnahme wegen Terrorismus, der Gefährdung der Staatssicherheit oder der schwerwiegenden Korruption die Angehörigen von in Untersuchungshaft sitzenden Personen innerhalb von 24 Stunden über die Festnahme informiert werden, nicht jedoch über den Grund der Festnahme oder über den Aufenthaltsort. Zudem besteht diese Informationspflicht nicht, wenn durch diese Information die Ermittlungen behindert würden - in diesen Fällen müssen Angehörige erst nach 37 Tagen informiert werden. Was eine "Behinderung der Ermittlung" bedeutet, liegt im Ermessen der Polizei, es gibt kein Rechtsmittel dagegen. Da Verdächtige sich formell in Untersuchungshaft befinden, muss der Ort der Festhaltung laut Gesetz auch in diesen Fällen eine offizielle Einrichtung sein. Das Strafprozessgesetz sieht zudem vor, dass Verdächtige, die die staatliche Sicherheit gefährden, an einem "designierten Ort" bis zu 6 Monate unter "Hausarrest" gestellt werden können. Dieser Aufenthaltsort kann auch außerhalb offizieller Einrichtungen liegen. Diese Möglichkeit wurde mit der Strafprozessnovelle 2012 eingeführt und von Rechtsexperten wie dem Rapporteur der UN-Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances wegen des inhärenten Folterrisikos als völkerrechtswidrig kritisiert (ÖB 11.2019).

Die Staatsorgane greifen verstärkt auf den "Hausarrest an einem festgelegten Ort" zurück - eine Form der geheimen Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt, die es der Polizei erlaubt, eine Person für die Dauer von bis zu sechs Monaten außerhalb des formellen Systems, das die Inhaftierung von Personen regelt, und ohne Zugang zu einem Rechtsbeistand der eigenen Wahl, zu Familienangehörigen oder anderen Personen der Außenwelt festzuhalten. Dadurch wurden diese Personen der Gefahr ausgesetzt, gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Diese Inhaftierungspraxis dient dazu, die Tätigkeit von Menschenrechtsverteidigern - einschließlich der von Rechtsanwälten, politisch engagierten Bürgern und Angehörigen von Religionsgemeinschaften - zu unterbinden (ÖB 11.2019; vgl. AA 14.12.2018, AI 22.2.2018).

Im Zusammenhang mit verwaltungsstrafrechtlich bewehrten rechtswidrigen Handlungen kann die Polizei zudem "Verwaltungsstrafen" verhängen. Diese Strafen reichen von Ermahnungen über Geldbußen bis hin zu einer "Verwaltungshaft" (ohne richterliche Entscheidung) von bis zu 15 Tagen. Der Aufenthalt in den offiziell nicht existenten "schwarzen Gefängnissen" kann zwischen wenigen Tagen und in einigen Fällen langjährigen Haftaufenthalten variieren (AA 14.12.2018).

Das am 1. Januar 2013 in Kraft getretene revidierte Strafverfahrensgesetz verbessert vor allem die Stellung des Verdächtigen/Angeklagten und des Verteidigers im Strafprozess; die Umsetzung steht aber in der durch Behördenwillkür und Intransparenz geprägten Praxis in weiten Teilen noch aus. Auch der Zeugenschutz wird gestärkt. Chinesische Experten gehen davon aus, dass die Durchsetzung dieser Regeln viele Jahre erfordern wird (AA 14.12.2018).

Seit 2014 wurden schrittweise Reformen zur Verbesserung der Justizleistung unter Wahrung der Parteivormachtstellung durchgeführt. Die Änderungen konzentrierten sich auf die Erhöhung der Transparenz, Professionalität und Autonomie gegenüber den lokalen Behörden (FH 2.2019a).

Das chinesische Strafgesetz hat die früher festgeschriebenen "konterrevolutionären Straftaten" abgeschafft und im Wesentlichen durch "Straftaten, welche die Sicherheit des Staates gefährden" (Art. 102-114 chin. StGB) ersetzt. Danach können vor allem Personen bestraft werden, die einen .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 16 von 60

politischen Umsturz/Separatismus anstreben oder das Ansehen der VR China beeinträchtigen. Gerade dieser Teil des Strafgesetzes fällt durch eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe auf (AA 14.12.2018). Die Regierung hat weitere Gesetze zur nationalen Sicherheit ausgearbeitet und verabschieden lassen, die eine ernste Gefahr für den Schutz der Menschenrechte darstellen. Das massive landesweite Vorgehen gegen Menschenrechtsanwälte und politisch engagierte Bürger hielt das ganze Jahr 2017 über an (AI 22.2.2018). Prozesse, bei denen die Anklage auf Terrorismus oder "Verrat von Staatsgeheimnissen" lautet, werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Was ein Staatsgeheimnis ist, kann nach chinesischer Gesetzeslage auch rückwirkend festgelegt werden. Angeklagte werden in diesen Prozessen weiterhin in erheblichem Umfang in der Wahrnehmung ihrer Rechte beschränkt. Unter anderem wird dem Beschuldigten meist nicht erlaubt, Verteidiger seiner Wahl zu beauftragen; nur in seltenen Ausnahmefällen wird vom Gericht überhaupt eine Verteidigung bestellt (AA 14.12.2018).

Auch 2018 setzten sich die Übergriffe der Behörden auf Menschenrechtsanwälte das ganze Jahr hindurch mit Verhaftungen und strafrechtlicher Verfolgung fort (FH 2.2019a). Anwälte, Mitarbeiter von Kanzleien und Aktivisten, droht bei öffentlicher Kritik am System Festnahme und Haft (AI 1.10.2019; vgl. ZO 29.1.2019, DP 19.1.2018). Von Schikanösen Maßnahmen können auch Familienangehörige betroffen sein (AI 1.10.2019; vgl. TAZ 29.3.2016).

Seit der offiziellen Abschaffung des Systems der "Umerziehung durch Arbeit" werden Menschenrechtsaktivisten nicht mehr in administrativer Haft angehalten, sondern systematisch auf Basis von Strafrechtstatbeständen wie Staatsgefährdung, Separatismus, Volksverhetzung, oder gemeiner Vergehen oder Verbrechen verurteilt, womit der Anschein der Rechtsstaatlichkeit erweckt werden soll. Aufgrund der vagen Tatbestände, des Zusammenhalts der einzelnen Institutionen und des Mangels an unabhängiger engagierter anwaltlicher Vertretung, kann ein strafrechtlich relevanter Sachverhalt relativ leicht "geschaffen" werden (ÖB 11.2019). Häufig wurden Anklagen wegen "Untergrabung der staatlichen Ordnung", "Anstiftung zum Separatismus" oder "Terrorismus", "Anstiftung zu Subversion" oder "Weitergabe von Staatsgeheimnissen", wie auch "Streitsucht und Unruhestiftung" erhoben und langjährige Gefängnisstrafen verhängt (ÖB 11.2019; vgl. AI 22.2.2018).

Wegen der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz wählen viele Betroffene von Behördenwillkür den Weg der Petition bei einer übergeordneten Behörde (z.B. Provinz- oder Zentralregierung). Petitionen von Bürgern gegen Rechtsbrüche lokaler Kader in den Provinzen nehmen zu. Chinesischen Zeitungsberichten zufolge werden pro Jahr landesweit ca. 10 Millionen Eingaben [Petente] eingereicht. Petenten, die Vergehen von lokalen Behörden und Kadern anzeigen wollen, werden häufig von angeheuerten Schlägertrupps aufgegriffen und ohne Kontakt zur Außenwelt in Gefängnissen festgehalten. Diese Art des Verschwindenlassens ist eine weit verbreitete, von der Regierung aber stets verleugnete Methode, um unliebsame Personen aus dem Verkehr zu ziehen. Zwischen Februar und April 2014 wurden verschiedene Reformen des Petitionssystems verabschiedet, die eine schnellere Bearbeitung und Umstellung auf mehr Online-Plattformen beinhaltet. Das 4. Plenum des Zentralkomitees der KP hat im Oktober 2014 weitere Schritte zur Regelung des Petitionswesens getroffen, deren Umsetzung aber 2018 noch aussteht (AA 14.12.2018).

Quellen:

?AA - Auswärtiges Amt (3.2019a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html#doc334570bodyText5, Zugriff 27.9.2019

?AA - Auswärtiges Amt (14.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China, https://www.ecoi.net/en/file/local/1456146/4598_1547112750_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-volksrepublik-china-stand-oktober-2018-14-12-2018.pdf, Zugriff 6.12.2019

?AI - Amnesty International (1.10.2019): Sippenhaft in China, https://www.amnesty.de/informieren/aktuell/china-sippenhaft-china, Zugriff 20.11.2019

?AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - China, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424999.html , Zugriff am 23.10.2019

?DP - Die Presse (19.1.2018): Haft für Anwalt: China setzt Verfolgungswelle gegen Kritiker fort, https://www.diepresse.com/5356720/haft-fur-anwalt-china-setzt-verfolgungswelle-gegen-kritiker-fort, Zugriff 20.11.2019

?FH - Freedom House (2.2019a): Freedom in the World 2019 - China, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002611.html, Zugriff 21.10.2019

?ÖB Peking (11.2019): Asylländerbericht Volksrepublik China

?TAZ - Die Tageszeitung (29.3.2016): Peking setzt auf Sippenhaft, https://taz.de/Neue-Stufe-der-Repression-in-China/!5291032/, Zugriff 20.11.2019

?ZO - Zeit Online (29.1.2019): Bürgerrechtsanwalt zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-01/tianjin-buergerrechtsanwalt-china-viereinhalb-jahre-haft, Zugriff 21.10.2019

Sicherheitsbehörden

Zivile Behörden haben die Kontrolle über Militär- und Sicherheitskräfte (USDOS 13.3.2019). Die Zentrale Militärkommission (ZMK) der Partei leitet die Streitkräfte des Landes (AA 3.2019a). Xi Jinping, der Vorsitzende der ZMK der Kommunistischen Partei Chinas, ist Oberkommandierender der Streitkräfte, welche seit 1997 direkt der Kommunistischen Partei Chinas unterstellt sind (AA 3.2018a). Die Ausgaben für die innere Sicherheit sind in allen Provinzen und Regionen im Zeitraum von 2007 bis 2016 um 215 Prozent angestiegen und erhöhten sich 2018 insbesondere in sensiblen Minderheitenregionen wie Xinjiang und Tibet weiter (DFAT 3.10.2019).

Sicherheitsbehörden sind das Ministerium für Staatssicherheit, das Ministerium für Öffentliche Sicherheit, und die Bewaffnete Volkspolizei (BVP) der Volksbefreiungsarmee. Das Ministerium für Staatssicherheit soll vor Staatsfeinden, Spionen und konterrevolutionären Aktivitäten zur Sabotage oder dem Sturz des chinesischen sozialistischen Systems schützen. In die Zuständigkeit dieses Ministeriums fallen auch der Inlands- und Auslandsgeheimdienst. Die BVP ist in 45 Divisionen unterteilt, bestehend aus Innensicherheitspolizei, Grenzüberwachung, Regierungs- und Botschaftsbewachung, sowie Funk- und Kommunikationsspezialisten. Ein wesentlicher Anteil der in den letzten Jahren vorgenommenen Truppenreduktionen in der Volksbefreiungsarmee war in Wahrheit eine Umschichtung von den Linientruppen zur BVP. Darüber hinaus beschäftigen zahlreiche lokale Kader u.a. entlassene Militärangehörige in paramilitärischen Schlägertrupps. Diese Banden gehen häufig bei Zwangsaussiedlung im Zuge von Immobilienspekulation durchaus auch im Zusammenspiel mit der BVP gegen Zivilisten vor. Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit beaufsichtigt alle innerstaatlichen Aktivitäten der zivilen Sicherheitsbehörden (außer derjenigen, die in die Zuständigkeit des Staatssicherheitsministeriums fallen), sowie die BVP. Konkret umfassen seine Aufgaben innere Sicherheit, Wirtschaft und Kommunikationssicherheit, neben der Zuständigkeit für Polizeieinsätze und Gefängnisverwaltung. Die Organisationseinheit auf niedrigster Ebene sind die lokalen Polizeikommissariate, die für den alltäglichen Umgang mit der Bevölkerung verantwortlich sind und die Aufgaben von Polizeistationen erfüllen (ÖB 11.2019).

Im Juni 2017 wurde mit dem Aufklärungsgesetz ("Intelligence Law", 2017; geändert 2018), durch das Ständige Komitee des Nationalen Volkskongresses Chinas, ein neues Gesetz erlassen, welches über die staatlichen Sicherheitsbehörden hinaus jedes einzelne Mitglied der chinesischen Gesellschaft aufruft, zur nationalen Aufklärungsarbeit beizutragen und nachrichtendienstlich relevante Informationen über Dritte, die an Aktivitäten beteiligt sind, welche der nationalen Sicherheit Chinas oder seinen Interessen schaden können, an die Behörden weiterzugeben (DFAT 3.10.2019). Darüber hinaus besteht ein enges Netz an lokalen Partei-Büros welche mittels freiwilliger "Blockwarte" die Bewegungen der Bewohner einzelner Viertel überwachen und mit der Polizei zusammenarbeiten (ÖB 11.2019).

Die Behörde für Staatssicherheit kann seit Mitte April 2017 Beträge zwischen 10.000 und 500.000 Yuan (etwa 68.000 Euro) für nützliche Hinweise an Informanten auszahlen, welche durch ihre Mitarbeit bei der Enttarnung von ausländischen Spionen helfen. Informationen können über eine speziell eingerichtete Hotline, Briefe oder bei einem persönlichen Besuch bei der Behörde gegeben werden. So sich die Hinweise als zweckdienlichen herausstellen, soll der Informant das Geld erhalten (FAZ 11.4.2017).

Quellen:

?AA - Auswärtiges Amt (3.2019a): China - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Innenpolitik_node.html%20-%20doc334570bodyText5, Zugriff 27.9.2019

?AA - Auswärtiges Amt (14.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China, https://www.ecoi.net/en/file/local/1456146/4598_1547112750_deutschland-auswaertiges-

.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 19 von 60

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?DFAT - Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade (3.10.2019): DFAT Country Information Report China, https://www.ecoi.net/ en/file/local/2019379/country- information-report-china.pdf, Zugriff 22.11.2019

?FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (11.4.2017): Peking belohnt Bürger für Enttarnung ausländischer Spione, http://www.faz.net/aktuell/politik/china-bezahlt-buerger-fuer-enttarnung-auslaendischer-spione-14967307.html, Zugriff 21.10.2019

?ÖB Peking (11.2019): Asylländerbericht Volksrepublik China

?USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), https://www.ecoi.net/de/dokument/2004237.html , Zugriff 14.10.2019

Folter und unmenschliche Behandlung

China ratifizierte bereits 1988 die UN-Konvention gegen Folter. Nach Art. 247 und 248 StGB wird Folter zur Erzwingung eines Geständnisses oder zu anderen Zwecken in schweren Fällen mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe, in besonders schweren Fällen mit bis zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe oder Todesstrafe geahndet (AA 14.12.2018). In den letzten Jahren wurden außerdem einige Verordnungen erlassen, die formell für Tatverdächtige im Ermittlungsverfahren einen besseren Schutz vor Folter bieten sollen. Ein großes Problem bleibt jedoch die mangelnde Umsetzung dieser Rechtsinstrumente, die Sicherheitsbehörden genießen weiterhin auch aufgrund des Mangels an Kontrolle und Transparenz einen großen Handlungsspielraum. Sicherheitskräfte setzen sich routinemäßig über rechtliche Schutzbestimmungen hinweg. Für die Polizei stellt Straflosigkeit im Falle von Brutalität und bei verdächtigen Todesfällen in Gewahrsam die Norm dar (ÖB 11.2019; vgl. FH 2.2019a).

Menschenrechtsanwälte äußern Besorgnis darüber, dass Rechtsanwälte und Aktivisten weiterhin nach Inhaftierung verschiedenen Formen von Folter, Misshandlung oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt sind. Angehörige der ethnischen Minderheit der Uiguren berichten von systematischer Folter und anderer erniedrigender Behandlung durch im Strafvollzug und in den Internierungslagern beschäftigte Beamte (USDOS 13.3.2019).

Die chinesische Führung erklärte am 4. Parteiplenum 2014 zum Ziel, die Rechtsstaatlichkeit zu verbessern und Folter, Misshandlungen und Missstände in der Justiz zu verhindern. Gleichzeitig wird radikal gegen unabhängige Rechtsanwälte, Menschenrechtsverteidiger, und Medien vorgegangen, sodass das Ziel einer Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit in Frage gestellt wird. Neben politischen Absichtserklärungen und einigen wenigen "Vorzeigefällen", in denen Fehlurteile - etwa nach vollzogener Todesstrafe posthum - revidiert wurden, oder einzelne Polizisten nach tödlicher Folter (und öffentlicher Empörung) entlassen werden, ist jedoch nicht bekannt, dass strukturelle Maßnahmen getroffen werden, um das Risiko von Folter und Misshandlungen zu vermindern (ÖB 11.2019; vgl. AI 22.2.2018).

.BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 20 von 60

Das revidierte Strafverfahrensrecht verbietet die Verwendung von Geständnissen und Zeugenaussagen, die unter Folter oder anderweitig mit illegalen Mitteln zustande gekommen sind (neuer Art. 53), sowie sonstiger illegal erlangter Beweismittel (Art. 54) im Strafprozess. Trotzdem soll Folter in der Untersuchungshaft häufiger vorkommen als in regulären Gefängnissen (AA 14.12.2018). Die Anwendung von Folter zur Erzwingung von Geständnissen ist nach wie vor weit verbreitet und wird eingesetzt, um Geständnisse zu erhalten oder politische und religiöse Dissidenten zu zwingen, ihre Überzeugungen zu widerrufen (FH 2.2019a). Von Medien, Menschenrechtsgruppen, Mitgliedern der internationalen Gemeinschaft und Uiguren wird über die Anwendung von Gewalt und Folter gegen Uiguren in Umerziehungszentren berichtet (DFAT 3.9.2019).

Soweit die chinesische Regierung und die staatlich gelenkte Presse Folterfälle einräumen, stellen sie diese als vereinzelte Übergriffe "unterer Amtsträger" dar, gegen die man energisch vorgehe (AA 14.12.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt (14.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Volksrepublik China, https://www.ecoi.net/en/file/local/1456146/4598_1547112750_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-volksrepublik-china-stand-oktober-2018-14-12-2018.pdf, Zugriff 6.12.2019

-AI - Amnesty International (22.2.2018): Amnesty International Report 2017/18 - The State of the World's Human Rights - China, https://www.ecoi.net/de/dokument/1424999.html , Zugriff am 23.10.2019

-DFAT - Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade (3.10.2019): DFAT Country Information Report China, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019379/country-information-report-china.pdf, Zugriff 22.11.2019

-FH - Freedom House (2.2019a): Freedom in the World 2019 - China, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002611.html, Zugriff 21.10.2019

-ÖB Peking (11.2019): Asylländerbericht Volksrepublik China

-USDOS - US Department of State (13.3.2019): Country Reports on Human Rights Practices 2016 - China (includes Tibet, Hong Kong, and Macau), https://www.ecoi.net/de/dokument/2004237.html , Zugriff 14.10.2019

Korruption

Korruption stellt nach wie vor ein großes Problem im Land dar (USDOS 13.3.2019). China scheint im Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index) von Transparency International (TI) für das Jahr 2018 mit einer Bewertung von 39 (von 100) (0 sehr korrupt, 100 kaum korrupt) auf dem 87. Rang von 180 Staaten auf (TI 2019). 2017 wurde China mit 41 Punkten (Rang 77 von 180 Staaten) bewertet (TI 2018). Trotz diverser Anti-Korruptionsmaßnahmen bewirken Korruption und deren Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes, nach wie vor deutliche Zeichen von Unzufriedenheit in der Bevölkerung (LVAk 9.2019). Die weitest verbreiteten Formen von Korruption in China sind Bestechung, Veruntreuung öffentlicher Gelder und Günstlingswirtschaft durch Regierungsvertreter. Korruption, politische Einmischung und Vermittlungsleistungen sind beim .BFA Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Seite 21 von 60

Erwerb öffentlicher Dienstleistungen und im Umgang mit dem Rechtssystem üblich (DFAT 3.10.2019). Gemäß der Auswertung des Globalen Korruptions-Barometers für China zum Jahre 2017, haben 26 Prozent der Befragten Vermittlungszahlungen geleistet, um Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, einschließlich Bildung, Leistungen im Gesundheitswesen und der Strafverfolgungsbehörden zu erhalten (TI 2.3.2017). Auch die von der Regierung stark regulierten Bereichen wie Landnutzung, Immobilien, Bergbau und Entwicklung der Infrastruktur sind anfällig für Betrug, Bestechung und Schmiergeldzahlungen. (USDOS 13.3.2019).

Bei seinem Amtsantritt startete Präsident Xi eine landesweite Anti-Korruptionskampagne (DFAT 3.10.2019; vgl. FH 2.2019a). Ziel dieser Kampagne war, hochrangige und niederrangige korrupte Beamte zu fassen. 2013 wurden von den Behörden 172.000 Anti-Korruptionsuntersuchungen durchgeführt, im Jahre 2015 waren es 330.000. 2017 wurden 527.000 Untersuchungen durchgeführt und im im ersten Halbjahr 2017 waren es 302.000 Untersuchungen (DFAT 3.10.2019). Mehr als eine Million Beamte wurden nach offiziellen Angaben bisher überprüft und bestraft (FH 2.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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