Entscheidungsdatum
04.03.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W279 2214290-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX .1990, StA. Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .01.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 07.01.2020, zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am XXXX .12.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016BF.
2. Bei der mit einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes durchgeführten Erstbefragung des Beschwerdeführers führte dieser zu seinem Fluchtgrund befragt zusammenfassend aus, dass er im Iran aufgewachsen sei, seine Familie jedoch im Jahr 2004 nach Afghanistan zurückgekehrt sei. Sowohl sein Bruder als auch er selbst seien bei der afghanischen Armee aufgenommen worden und der BF sei sechs Monate bei der Militärakademie der Nationalarmee in Kabul intensiv ausgebildet worden. Mitte 2015 hätten die Taliban im Zuge einer Militäroperation die Stadt Kunduz erobert und beabsichtigt, auch Bagalan einzunehmen. Da die Taliban gezielt Mitarbeiter der afghanischen Regierung sowie Soldaten und Offiziere der Armee gejagt hätten, sei sein Bruder erfolgreich vor diesen geflohen. Der BF selbst habe sich nach Kabul begeben und auf Anraten seiner Mutter das Land verlassen. Bei einer Rückkehr in seine Heimat fürchte der BF, von den Taliban aufgespürt und getötet zu werden. Es gebe jedoch keine konkreten Hinweise, dass er mit irgendwelchen Sanktionen zu rechnen habe. Zu seinen persönlichen Umständen befragt, gab der BF an, dass er schiitischer Hazara sei und von 2003 bis 2010 die Grundschule besucht habe. Anschließend habe er die Armeeausbildung absolviert und sei Unteroffizier bei der afghanischen Nationalarmee gewesen. Neben seiner Mutter würden nach wie vor seine Schwester und sein Bruder in Afghanistan aufhältig seien.
3. Am XXXX .05.2018 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" genannt), im Asylverfahren niederschriftlich einvernommen. Dabei führte er zusammenfassend zunächst zu seinem Gesundheitszustand befragt aus, dass er gesund sei und keine Behandlung benötige. Er habe im Zuge der Erstbefragung der Wahrheit entsprechende Angaben getätigt.
Zu seinen Lebensumständen im Herkunftsstaat befragt, führte der BF aus, dass er schiitischer Hazara sei und im Iran geboren worden sei. Im Herkunftsstaat würden in Kabul nach wie vor seine Mutter, sein Bruder sowie seine beiden Schwestern wohnen. Zudem habe er im Iran sieben Jahre die Grundschule besucht. Anschließend sei er in Kabul im Jahr 2013 sechs Monate in einem Ausbildungszentrum als Militärperson für die Einheit " XXXX " eingeschult worden. In Herat sei er für eine Raketenkompanie, ein Bataillon sowie eine Brigade zuständig gewesen. Auf Nachfrage, um welche Raketen es sich dabei genau gehandelt habe, entgegnete der BF, dass es sich um Waffen vom Typus DSHK oder so ähnlich gehandelt habe. Auf Aufforderung, seine nächste Dienststelle zu benennen, erwiderte der BF, dass er für etwa eineinhalb Jahre in Bagdhis für die Artilleriekompanie, 3. Brigade, 207, Division Zafar eingesetzt worden sei. Genaue Zeitangaben zu seinen jeweiligen Diensteinsätzen könne der BF jedoch nicht machen. Auf Vorhalt, weshalb er die Daten nicht im afghanischen Kalender angeben könne, replizierte der BF, dass er mittlerweile den westlichen Kalender gewohnt sei.
Auf Aufforderung, einen Lebenslauf zu schildern, führte der BF aus, dass er im Iran in der Stadt Qom geboren worden sei und dort bis zur siebenten Klasse die Schule besucht habe. Anschließend habe er drei Jahre in einer Ziegelei gearbeitet und sei danach als Tagelöhner im Baubereich tätig gewesen. In weiterer Folge sei er mit seiner Familie zurück nach Afghanistan gegangen, wo er in der Landwirtschaft sowie als Tagelöhner tätig gewesen sei. 2012 sei er mit seiner Familie nach Kabul übersiedelt, da sein Bruder bei der Nationalarmee tätig gewesen sei und die Sicherheitslage in Pol e-Chomri nicht gut gewesen sei. Sein Bruder sei nach wie vor bei der Armee beschäftigt. Auf Nachfrage, wie es möglich gewesen sei, dass sein Bruder seine Stationierung nach Kabul verlegen habe können, entgegnete der BF, dass er je nach Einsatz auch in Mazar e-Sharif und in Jalalabad stationiert gewesen sei. Da ihr Dorf in Pol e-Chomri von Regierungsgegnern umgeben worden sei, hätten sie den Wohnort gewechselt. Nach einer längeren Arbeitslosigkeit habe er sich bei Armee registriert und in Kabul im XXXX eine Ausbildung absolviert. Insgesamt sei er ungefähr zwei Jahre lang bei der Armee gewesen. Nachgefragt, wie seine wirtschaftliche Situation gewesen sei, entgegnete der BF, dass er monatlich ungefähr 11850 Afghani verdient habe und seine Gesamtsituation gut gewesen sei. Befragt, welche Aufgaben und welchen Dienstgrad sein Bruder gehabt habe, erklärte der BF, dass er bei einer Spezialeinheit sei und mit ausländischen Streitkräften zu tun habe. Der BF wisse lediglich, dass er bei dem fünften Kommandobataillon sei, detaillierte Angaben zu dessen Aufgaben könne er jedoch nicht machen. Die Frage, ob seine Familie nach wie vor in ihrem alten Haus in Kabul wohnhaft sei, wurde vom BF bejaht. Seine Mutter habe ein Grundstück in Bamiyan. Auf die Frage, ob er mit seinen Freunden und Bekannten noch in Kontakt stehe, erklärte der BF, dass er mit seinen Cousins Kontakt habe und der Kontakt zu seinem Bruder vor zwei oder drei Monaten abgerissen sei. Die Sicherheitslage in Kabul sei zwar schlecht, seiner Familie gehe es jedoch sowohl gesundheitlich sowie auch finanziell gut. Zur Frage, ob es neben der allgemein schlechten Sicherheitslage Gründe gebe, die gegen seine Rückkehr nach Afghanistan sprechen würden, gab der BF zu Protokoll, dass Hazara und Schiiten ganz allgemein in Afghanistan verfolgt werden würden.
Zum Fluchtgrund befragt, gab der BF zu Protokoll, dass er aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara bei seiner Ausbildung als Soldat und Unterleutnant diskriminiert worden sei und ihm nicht dieselben Rechte wie den Anderen zugestanden worden seien. Der BF sei jedoch selbst nie persönlich verfolgt oder bedroht worden. Auf die Frage, was der konkrete Anlass für seine Ausreise gewesen sei, erwiderte der BF, dass die Sicherheitslage in seinem Land so schlecht gewesen sei, dass sie vom Begräbnis seiner Tante nur mit großen Schwierigkeiten abreisen hätten können. Zum Vorhalt, dass er gesagt habe, sich zu überlegen, ob er zum Christentum konvertieren wolle, entgegnete der BF, dass er dies beabsichtige, da er seit seiner Kindheit erhebliche Schwierigkeiten gehabt habe. Er habe sich jedenfalls bei einer kirchlichen Einrichtung angemeldet, ansonsten jedoch noch keine weiteren Schritte in Richtung des geplanten Glaubenswechsels unternommen.
Die Fragen, ob er in seiner Heimat von der Polizei, einer Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht werde, in seiner Heimat angehalten, festgenommen oder verhaftet worden sei oder sonst Probleme mit den Behörden gehabt habe, wurden vom BF allesamt verneint. Er sei auch kein Mitglied einer politischen Gruppierung oder Partei gewesen und sei niemals wegen seiner politischen Gesinnung, Rasse, Religion, Nationalität oder seiner Volksgruppenangehörigkeit verfolgt worden. Er gehöre keiner sozialen Randgruppe an und würde deswegen daher auch bei einer Rückkehr keine Probleme haben. Die Frage, ob es gegen ihn jemals irgendwelche Übergriffe gegeben habe oder an ihn jemand herangetreten sei, wurde vom BF ebenfalls verneint. Bei einer Rückkehr würde er jedoch einerseits erneut diskriminiert werden, andererseits habe er seine Familie über seinen beabsichtigten Glaubenswechsel informiert, woraufhin diese mit ihm den Kontakt abgebrochen habe. Probleme mit der Polizei oder anderen Behörden hätte er im Falle seiner Rückkehr jedoch nicht. Auf Vorhalt, wieso er nicht in einen anderen Landesteil Afghanistans gezogen sei, entgegnete der BF, dass die Lage für Hazara überall gleich gewesen sei.
Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, gab der BF an, dass er gemeinnützige Arbeiten verrichte und via YouTube die deutsche Sprache erlerne. In seiner Freizeit spiele er Volleyball oder Fußball und beabsichtige, in naher Zukunft in der Baubranche zu arbeiten. Die Frage, ob er in Österreich eine Schule, Kurse oder sonstige Ausbildungen absolviert habe, wurde vom BF verneint. Er sei kein Mitglied in einem Verein oder einer sonstigen Organisation und habe keine Familienangehörigen in Österreich.
Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom BF mehrere Tazkira, eine Bankomatkarte, ein Dienstausweis der afghanischen Nationalarmee, eine Flüchtlingskarte aus dem Iran, eine Todesurkunde seines Vaters aus dem Iran, gerichtliche Bestätigungen der Obsorge der Mutter des BF sowie Schulzeugnisse aus dem Iran in Vorlage gebracht.
4. Mit Schreiben des BFA vom XXXX .12.2018 wurde dem BF die Möglichkeit gewährt, binnen einer Frist von drei Wochen zu einem angeschlossenen Fragenkatalog Stellung zu nehmen.
In weiterer Folge wurde der Fragenkatalog vom BF mit Schreiben vom XXXX .12.2018 beantwortet und eine Arbeitsbestätigung über eine Beschäftigung beim Stadtmagistrat XXXX , eine Bestätigung des österreichischen Roten Kreuzes vom XXXX .01.2017 über einen absolvierten "Erste Hilfe" Kurs vom XXXX .01.2017, eine Teilnahmebestätigung vom XXXX .06.2017 über die erfolgreiche Teilnahme eines Deutschkurses zwischen XXXX .07.2016 und XXXX .03.2017, eine Teilnahmebestätigung vom 02.09.2016 über die Teilnahme an der Kompetenzanalyse der XXXX Sozialen Dienste sowie die bereits vorgelegten Unterlagen übermittelt.
5. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß §§ 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. (Spruchpunkt III.) Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei. (Spruchpunkt V.). Weiters wurde innerhalb des Spruches ausgeführt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage. (Spruchpunkt VI.)
Zusammenfassend führte das BFA aus, dass der BF zu seinen angeblichen Ausreisegründen und seiner Rückkehrsituation voneinander abweichende, in sich selbst wenig plausible, kaum nachvollziehbare und teilweise widersprüchliche Angaben gemacht. Wie sich nicht zuletzt aus seinen wirren und mit einem offensichtlich gefälschten Beweismittel unterfütterten Angaben zu seiner militärischen Tätigkeit bei der Nationalarmee ergebe, sei sein gesamtes Verhalten auf eine Aufenthaltserlangung bzw. Verhinderung einer Außerlandesbringung gerichtet. Auch seine Angaben zu seiner religiösen Einstellung würden zueinander wie auch zur allgemeinen Lebenserfahrung im Widerspruch stehen. Die Feststellung, dass sich der BF auch weiterhin zum schiitischen Islam bekenne und eine tiefgreifende, ernsthafte Gewissensentscheidung bezüglich einer Konversion nicht vorliege, beruhe auf den eigenen diesbezüglichen Angaben im Zuge der Einvernahme und weiteren Faktoren. Das bloße Interesse an einem fremden Glauben reiche naturgemäß nicht aus, sondern müsse diesem vorangehend oder zumindest gleichzeitig eine innere Abwendung vom bisherigen Glauben erfolgen. Auf die konkrete Frage der Behörde, zu welcher Religion er sich zum Zeitpunkt der Einvernahme bekenne, habe der BF spontan und unverzüglich angegeben, Muslim schiitischen Bekenntnisses zu sein. Auch seine weiteren Angaben hinsichtlich seines angeblichen Interesses am Christentum lasse eine, selbst bloß geringe Ernsthaftigkeit seiner angeblichen Konversionsabsichten nicht erkennen. Hinzu trete, dass er auch im Bereich seiner Integration in Österreich keinerlei Angaben gemacht habe, welche darauf schließen lassen würden, dass der BF in seiner Pfarrgemeinde, die Diözese oder einen sonstigen Personenkreis integriert wäre, der christlich geprägt wäre. Die negative Feststellung seines angeblichen Militärdienstes beruhe auf seinen eigenen inkohärenten, unklaren und teils widersprüchlichen Angaben hierzu sowie auf der vom BF vorgelegten offensichtlichen Fälschung eines Dienstausweises der afghanischen Nationalarmee. Die Inkohärenz und mangelnde Plausibilität finde ihren Beginn in der Tatsache, dass er trotz mehrfacher Aufforderung nicht in der Lage gewesen sei, die maßgeblichen Eckdaten seines angeblichen Dienstes nur im gregorianischen Kalender angeben habe können. Letztendlich hätten auch die Angaben zur Bewaffnung seiner ersten Dienststelle, welche der BF als die "Raketenkompanie" des ersten Bataillons der dritten Brigade in Herat bezeichnet habe, mangels technischer Korrektheit nicht überzeugen können. Insgesamt ergebe sich also, dass der BF erfolglos versucht habe, der Behörde eine Tätigkeit als Soldat der afghanischen Nationalarmee vorzuspiegeln. Seine diesbezüglichen, erkennbar aus verfahrenstaktischen Gründen konstruierten Behauptungen, in Zusammenschau mit der Vorlage eines offensichtlich gefälschten Beweismittels, hätten die Glaubwürdigkeit des BF nachhaltig beschädigt. In Einklang mit den aktuellen Länderfeststellungen und dem Dossier der Staatendokumentation vom Juli 2016 müsse angeführt werden, dass eine landesweite Verfolgung der Hazara nicht stattfinde. Auch die Konfession der Schiiten unterliege weiterhin gesellschaftlicher Diskriminierung, allerdings habe sich auch deren Lage im vergangenen Jahrzehnt erheblich verbessert.
6. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die erhobene Beschwerde, welche fristgerecht beim BFA einlangte. In dieser wird zusammenfassend insbesondere ausgeführt, dass der BF aufgrund der Tätigkeit für die afghanische Armee ins Blickfeld der mächtigen Taliban geraten sei. Der Grund für die Verfolgung liege im Wesentlichen in der, dem BF von der Taliban zugeschriebenen oppositionellen politischen Gesinnung, die darauf beruhe, dass der BF aus deren Sicht für Ungläubige gearbeitet habe. Deshalb habe er aus Angst um sein Leben beschlossen, sein Heimatland zu verlassen. In Anbetracht der tatsächlichen Situation würden in Afghanistan faktisch keine effizienten Schutzmechanismen für Bürger existieren, sich effektiv vor Übergriffen militanter und terroristischer Gruppierungen zu schützen. Die schiitischen Hazara seien in Afghanistan bekanntlich immer noch massiver ethischer sowie religiöser Verfolgung durch verschiedenste nichtstaatliche Akteure ausgesetzt und würden immer wieder gezielten Attacken, Verfolgungen und Ermordungen zum Opfer fallen. Den getroffenen Länderfeststellungen zur aktuellen Lage in Afghanistan sei zu entnehmen, dass die Sicherheitslage instabil sei. Eine Rückkehr des BF nach Afghanistan sei in Zusammenschau seiner gesamten Lebensumstände nicht zumutbar, da er aufgrund seiner persönlichen Situation sowie der derzeitigen Sicherheitslage in Afghanistan in eine ausweglose Situation geraten würde. Bezüglich der Integration in Österreich wolle der BF vorbringen, dass er sich bisher sehr bemüht habe, die Sprache zu erlernen und der BF mittlerweile auch gut Deutsch spreche. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am XXXX .01.2020 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen persönlichen Umständen und seinen Fluchtgründen befragt wurde. Ein Vertreter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hat an der Verhandlung nicht teilgenommen; die Verhandlungsschrift wurde der Erstbehörde übermittelt. Mit dem Beschwerdeführer wurden die Situation aufgrund der vorliegenden Länderfeststellungen besprochen und ihm ausführlich Gelegenheit eingeräumt, hierzu Stellung zu nehmen.
Auf Aufforderung, einen Lebenslauf wiederzugeben, brachte der BF vor, dass er im Iran aufgewachsen sei und nach der siebenten Klasse nach Afghanistan zurückgekehrt sei. Bis 2012 habe er in Pol e Khomri gelebt und sei anschließend mit seiner Familie nach Kabul gezogen. Sein Vater sei bereits im Iran verstorben, ansonsten bestehe seine Familie aus seinem Bruder, der verheiratet sei und zwei Kinder habe sowie seiner Schwester und seiner Mutter. Auf Nachfrage, wann sein Vater genau verstorben sei, entgegnete der BF, dass er sich an das genaue Datum nicht erinnern könne. Der BF sei im Zeitraum von 2013 bis 2015 bei der Nationalarmee tätig gewesen. Befragt, welche Berufe er in Afghanistan noch ausgeübt habe, erklärte der BF, dass er sowohl als Taxifahrer als auch als Freiberufler im Bereich der Landschaft gearbeitet habe. Auf die Frage, wieso er Afghanistan verlassen habe, erklärte der BF, dass in Afghanistan ethische Konflikte vorherrschen würden und es darüber hinaus Unterdrückungen gegeben habe. Aufgrund optischer Merkmale habe man ihm Ungläubigkeit unterstellt. Befragt, ob er aufgrund dessen auch persönliche Gewalt erlebt habe, gab der BF an, dass er keine Gewalt erlebt habe, da er selbst kein gewalttätiger Mensch sei, aber ein herabwürdigendes Verhalten anderer Menschen erkannt habe. Die Frage, ob er in Afghanistan oder in Europa mit dem Gesetz in Konflikt gekommen oder verdächtigt worden sei, wurde vom BF verneint. Auf Vorhalt, ob er jemals einen Pfefferspray eingesetzt habe oder Opfer einer Pfeffersprayattacke geworden sei, wurde vom BF verneint. Nach seiner Einreise in Österreich sei er jedoch selbst Opfer einer Pfeffersprayattacke geworden. Auf Nachfrage, was damals passiert sei, entgegnete der BF, dass er in einer Bar gesessen sei und ihn ein Mann zum Verlassen des Lokals aufgefordert habe. Nachdem der BF die Bar verlassen habe, sei er vom erwähnten Mann mit einem Pfefferspray attackiert worden.
Zur Frage, wie derzeit sein Alltag in Österreich aussehe, erwiderte der BF, dass er bis mittags für die Gemeinde im Bereich der Gartenpflege tätig sei und einen Deutschkurs besuche. Überdies spiele er in seiner Freizeit gerne Fußball oder gehe in ein Fitnessstudio. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan könnte er seinen christlichen Glauben nicht weiter ausüben. Auf Nachfrage, wie viele Mal er am Tag beten würde, erklärte der BF, dass er jeden Sonntag zur Kirche gehe. Befragt, wie die zehn Gebote lauten würden, gab der BF an, dass man Gott lieben und seinen Namen verehren, man den Tag des Herrn heiligen, man Vater und Mutter ehren, keine anderen Götter haben, nicht töten, stehlen, keinen unehelichen Sex haben, keine falsche Aussagen tätigen und nicht das Gut des Nächsten begehren soll. Zur Frage, was die Dreifaltigkeit sei, brachte der BF vor, dass es sich um den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes handle. Auf die Frage, wie viele Götter es im Christentum gebe, replizierte der BF, dass es neben Gott Jesus gebe, welcher der Sohn Gottes und mit diesem in unmittelbaren Zusammenhang stehe. Nachgefragt, aus welchem Grund er Christ geworden sei, erklärte der BF, dass der Weg, den Jesus gehe, gleichzeitig einen Weg der Liebe und der Menschlichkeit repräsentiere. Ein Jahr nach seiner Ankunft in Österreich habe er von diesen Menschen Liebe und Menschlichkeit sowie Akzeptanz und Toleranz füreinander erfahren, weswegen er eine zentrale Lebensentscheidung getroffen und einen Neuanfang für eine bessere Zukunft mit Liebe begonnen habe. Da er vor seinen afghanischen und iranischen Freunden den Wunsch geäußert habe, Christ werden zu wollen, hätten sie dem BF dem anwesenden Zeugen vorgestellt. Zur weiteren Frage, wie er vom Christentum erfahren habe, erklärte der BF, dass er mitbekommen habe, dass andere afghanische und iranische Freunde bereits konvertiert seien und er deren positiven Lebenswandel wahrgenommen habe. Darüber hinaus habe er auch andere Menschen innerhalb der Gesellschaft beobachtet, die ihm dabei geholfen hätten, die richtige Entscheidung zu treffen. Nachgefragt, welche Veränderungen er bei seinen Freunden gesehen habe, entgegnete der BF, dass diese plötzlich hoffnungsvoller gewesen seien und mehr Toleranz und Akzeptanz füreinander empfunden hätten. Dieses positive Verhalten sei für ihn ein Zeichen gewesen, dass er seine Hoffnung auf ein schönes Leben wiedererlangt hätte. Auf Nachfrage, welche positiven Veränderungen er im Konkreten meine, erwiderte der BF, dass man sich selbst akzeptieren und andere respektieren müsse. Nur wenn man Liebe gebe, könne diese auch erwidert werden. Befragt, was er unter einem schönen Leben verstehe, erklärte der BF, dass ein schönes Leben für ihn bedeute, an Jesus zu glauben und einen Neuanfang zu erleben, da der Glaube eine gewisse Erlösung darstelle, indem man positive Eigenschaften wie Toleranz oder Vergebung von Jesus übernehme. Auf den Vorhalt, ob er Christ geworden sei, um seinen Aufenthalt zu verlängern, brachte der BF vor, dass eine positive Bescheinigung seines Aufenthalts nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit seinem Glauben stehe, da Gott für einen "positiven Bescheid" im Innersten stehe.
Der BF stehe nur in unregelmäßigen Kontakt mit seiner Mutter, da diese den Kontakt aufgrund der Konvertierung des BF ablehne. Auf die Frage des Rechtsvertreters, ob er seine neue Religion bei einer Rückkehr nach Afghanistan leugnen würde, entgegnete der BF, dass seine Aufgabe sei, Menschen zu bekehren und ihnen den Weg zur Erlösung aufzeigen. Befragt, wie viele Sakramente die katholische Kirche kenne, gab der BF an, dass sie insgesamt sieben Sakramente hätten. Das erste Sakrament sei die Taufe, das zweite Sakrament die Firmung, das dritte Sakrament die Buße, das vierte Sakrament die Eucharistie, das fünfte die Eheschließung, die sechste die Krankensalbung und die letzte sei die Priesterweihe. Auf die weitere Frage, was der Unterschied zwischen dem Christentum und dem Islam sei, führte der BF aus, dass Mohammad im Islam lediglich die Botschaften Gottes weitergebe, währenddessen Gott der christlichen Religion zufolge bereits unter uns lebe.
Im Rahmen einer Zeugeneinvernahme gab der einvernommene Zeuge an, dass er Theologe und für die Sektenberatung zuständig sei. Befragt, wie oft er wahrgenommen habe, ob der BF sonntags zur Kirche gehe, erwiderte der BF, dass seine fallweisen Kontrollen und auch die Rücksprache mit dem Pfarrer gut funktioniert habe. Der BF sei öfter als der Durchschnitt anwesend gewesen und habe sich auch im Zuge von Glaubensgesprächsgruppen betätigt.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden vom BF eine Praktikumsbestätigung der XXXX vom XXXX .01.2020 über eine absolvierte Tätigkeit im Bereich der Pflege der Parkanlagen, ein Empfehlungsschreiben vom XXXX .01.2020, eine Bestätigung eines Pfarrprovisors vom XXXX .12.2019 über die regelmäßige Teilnahme des BF am Sonntagsgottesdienst, ein Zeugnis über eine absolvierte Integrationsprüfung, eine Teilnahmebestätigung vom XXXX .08.2017 über die Teilnahme am Deutschkurs auf dem Niveau A1 zwischen dem XXXX .04.2017 und dem XXXX .07.2017, ein Zertifikat vom XXXX .07.2019 über die Absolvierung eines Deutschkurses vom 08.10.2018-05.07.2019, ein Zeugnis über eine absolvierte Integrationsprüfung am XXXX .07.2019, ein Taufschein einer römisch-katholischen Pfarre vom XXXX .06.2019, eine Bestätigung einer Diözese über die regelmäßige Teilnahme des BF am Glaubenskurs vom XXXX .06.2018 bis XXXX .05.2019, eine Bestätigung des österreichischen Roten Kreuzes vom XXXX .01.2017 über die Absolvierung des Roten-Kreuz-Kurses "Erste Hilfe" in Vorlage gebracht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an, bekennt sich zum schiitisch-muslimischen Glauben und spricht Dari und Farsi als Muttersprachen.
Der Beschwerdeführer wurde im Iran geboren und hat dort sieben Jahre die Grundschule besucht. Im Jahr 2004 zog er mit seiner Familie zurück in die Provinz Pol-e Chomri und war anschließend von 2012 bis 2015 in Kabul wohnhaft. Er war in Kabul als Taxifahrer sowie als Freiberufler tätig. Dem Verfahren wird nicht zugrunde gelegt, dass der BF für die afghanische Nationalarmee tätig war. Seine Mutter, seine beiden Schwestern und sein Bruder wohnen nach wie vor in Kabul und der BF steht mit diesen gelegentlich in Kontakt.
Der Beschwerdeführer hat ein Praktikum für die österreichischen XXXX im Bereich der Gartenpflege, einen "Erste-Hilfe" Kurs für das Rote Kreuz, mehrere Deutschkurse und eine Integrationsprüfung auf dem Niveau A2 absolviert, bezieht jedoch Leistungen aus der Grundversorgung. Er verfügt in Österreich über keine Verwandten, hat keine sonstigen engen familienähnlichen Bindungen zu sich in Österreich aufhältigen Personen, bzw. ist das Vorliegen eines besonders zu berücksichtigenden Nahe - bzw. Abhängigkeitsverhältnisses zu Personen im Bundesgebiet nicht dargelegt worden.
Der Beschwerdeführer leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, er ist gesund.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend der zu Protokoll gegebenen Fluchtgründe ist als nicht asylrelevant zu qualifizieren.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Afghanistan aufgrund einer glaubwürdigen, ihn unmittelbar persönlich treffenden asylrelevanten Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verlassen hat.
Nicht festgestellt werden kann, dass dem Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara Verfolgung in Afghanistan droht.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der Nichtwahrnehmung aus dem Islam resultierender religiöser Pflichten psychischer und/oder physischer Gewalt mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in allen Landesteilen Afghanistans ausgesetzt wäre.
Der Beschwerdeführer wuchs als Angehöriger der muslimischen Religion schiitischer Ausrichtung auf. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vom religionsfeindlich oder gar spezifisch gegen den Islam auftritt. Der Beschwerdeführer interessiert sich zwar seit 2018 für den christlichen Glauben und besucht sonntags regelmäßig den Gottesdienst und hat von XXXX .Juni 2018 bis XXXX .Mai 2019 an einem Glaubenskurs teilgenommen. Er wurde am XXXX .06.2019 getauft.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der christliche Glaube wesentlicher Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden ist. Es kann weder festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer seinem derzeitigen Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan weiter nachkommen würde, noch, dass er sein derzeitiges Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nach außen zur Schau tragen würde.
Es kann nicht festgestellt werden, dass die afghanischen Behörden von seinem in Österreich an den Tag gelegten Interesse am Christentum bei einer Rückkehr nach Afghanistan Kenntnis erlangen würden.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seines Interesses für den christlichen Glauben psychischer oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Niederlassung in einer der größeren Städte von Afghanistan wie Kabul, Masar -e Sharif und Herat besteht für den Beschwerdeführer als arbeitsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine berücksichtigungswürdige Bedrohungssituation, bzw. läuft dieser dort auch nicht in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:
Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
Politische Ereignisse: Friedensgespräche. Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung. Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban. Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi. die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments. Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete. die Taliban hätten kein Interesse daran. Teil der aktuellen Regierung zu sein. und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).
Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel. einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an. betonte aber dennoch. dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen. um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil. was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen. das für Mitte April 2019 in Katar geplant war. zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).
Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).
Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).
Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).
Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der
Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019). Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).
Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).
Anschläge in Kabul-Stadt
Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).
Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).
Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).
Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).
Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).
Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)
US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).
Rückkehr
Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).
Quellen:
- 1 TV NEWS (30.5.2019): At least six killed in suicide blast near military academy in
Kabul, http://www.1tvnews.af/en/news/afghanistan/38366-breaking-blast-rocks-
kabul, Zugriff 3.6.2019
- AAN - Afghanistan Analysts Network (17.5.2019): The Results of Afghanistan's 2018
Parliamentary Elections: A new, but incomplete Wolesi Jirga,
https://www.afghanistan-analysts.org/the-results-of-afghanistans-2018-parliamentary-
elections-a-new-but-incomplete-wolesi-jirga/. Zugriff 22.5.2019
- AJ - Al Jazeera (30.5.2019): Suicide bomber targets Afghan military training centre in
Kabul, https://www.aljazeera.com/news/2019/05/suicide-bomber-targets-afghan-
military-training-centre-kabul-190530082719388.html. Zugriff 3.6.2019
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (3.6.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (20.5.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (6.5.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail
- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (13.2.2019): Kabul Police Districts Map, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf
- Heise (16.5.2019): Afghanistan: Wie viel Macht hat der Präsident?,
https://www.heise.de/tp/features/Afghanistan-Wie-viel-Macht-hat-der-Praesident-
4422023.html, Zugriff 3.6.2019
- IEC - Independent Electoral Commission via Facebook (14.5.2019): Press
Declaration 24/2/1398,
https://www.facebook.com/AfghanistanIEC/posts/2361637283896572? tn =-R,
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- IEC - Independent Electoral Commission (15.5.2019): Kabul - Wolesi Jirga Final Results, http://www.iec.org.af/results/en/home/finalresult_by_province/1/2. Zugriff
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- LWJ - Long War Journal (2.6.2019): Islamic State bombs bus, security personnel in western Kabul, https://www.longwarjournal.org/archives/2019/06/islamic-state-bombs- bus-security-personnel-in-western-kabul.php. Zugriff 3.6.2019
- Newsweek (21.5.2019): Russia Spy Chief warns 5,000 ISIS Foreign Fighters
Threaten Borders of Former Soviet Union, https://www.newsweek.com/russia-spy- chief-warns-5000-isis-foreign-fighters-threaten-borders-former-1431576. Zugriff
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- Tolonews (3.6.2019): Five Killed As Explosion Targets Govt Employees Bus In Kabul,
https://www.tolonews.com/afghanistan/explosion-targets-govt-bus-kabul. Zugriff
3.6.2019
- Tolonews (31.5.2019a): Taliban Wants An ,Inclusive Post-Peace Govt',
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%C2%A0kabul, Zugriff 3.6.2019
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- Tolonews (27.5.2019b): 10 Wounded As Blast Targets Govt Employees Bus In Kabul, https://www.tolonews.com/afghanistan/10-wounded-blast-targets-govt-employees-
bus-kabul, Zugriff 3.6.2019
- TW - The Week (2.6.2019): Afghan officials: 3 bomb blasts in capital, 1 killed, https:// www.theweek.in/news/world/2019/06/02/afghan-officials-3-bomb-blasts-in-capital-1-
killed.html, Zugriff 3.6.2019
- UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (24.4.2019): Quarterly Report on the Protection of Civilians in Armed Conflict: 1 January to 31 March 2019, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_protection_of_civilians_in_ar
med_conflict_-_first_quarter_report_2019_english_.pdf. Zugriff 3.4.2019
- VOA - Voice of America (21.5.2019): Islamic State in Afghanistan Growing Bigger, More Dangerous, https://www.voanews.com/a/islamic-state-in-afghanistan-growing- bigger-more-dangerous/4927406.html. Zugriff 4.6.2019
KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft).
Anschläge in Kabul-Stadt
Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul-Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019).
Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).
Überflutungen und Dürre
Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN OCHA) zufolge waren mit Stand 19.3.2019 in der Provinz Herat die Distrikte Ghorvan, Zendejan, Pashtoon Zarghoon, Shindand, Guzarah und Baland Shahi betroffen (UN OCHA 19.3.2019). Die Überflutungen folgten einer im April 2018 begonnen Dürre, von der die Provinzen Badghis und Herat am meisten betroffen waren und von deren Folgen (z.B. Landflucht in die naheliegenden urbanen Zentren, Anm.) sie es weiterhin sind. Gemäß einer Quelle wurden in den beiden Provinzen am 13.9.2018 ca. 266.000 IDPs vertrieben: Davon zogen 84.000 Personen nach Herat-Stadt und 94.945 nach Qala-e-Naw, wo sie sich in den Randgebieten oder in Notunterkünften innerhalb der Städte ansiedelten und auf humanitäre Hilfe angewiesen sind (IFRCRCS 17.3.2019).
Friedensgespräche
Kurz nach der Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und Vertretern der USA in Katar Ende Jänner 2019 fand Anfang Februar in Moskau ein Treffen zwischen Taliban und bekannten afghanischen Politikern der Opposition, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehrere "Warlords", statt (Qantara 12.2.201). Quellen zufolge wurde das Treffen von der afghanischen Diaspora in Russland organisiert. Taliban-Verhandlungsführer Sher Muhammad Abbas Stanaksai wiederholte während des Treffens schon bekannte Positionen wie die Verteidigung des "Dschihad" gegen die "US-Besatzer" und die gleichzeitige Weiterführung der Gespräche mit den USA. Des Weiteren verkündete er, dass die Taliban die Schaffung eines "islamischen Regierungssystems mit allen Afghanen" wollten, obwohl sie dennoch keine "exklusive Herrschaft" anstrebten. Auch bezeichnete er die bestehende afghanische Verfassung als "Haupthindernis für den Frieden", da sie "vom Westen aufgezwungen wurde"; Weiters forderten die Taliban die Aufhebung der Sanktionen gegen ihre Führer und die Freilassung ihrer gefangenen Kämpfer und bekannten sich zur Nichteinmischung in Angelegenheiten anderer Länder, zur Bekämpfung des Drogenhandels, zur Vermeidung ziviler Kriegsopfer und zu Frauenrechten. Diesbezüglich aber nur zu jenen, "die im Islam vorgesehen seien" (z.B. lernen, studieren und sich den Ehemann selbst auswählen). In dieser Hinsicht kritisierten sie dennoch, dass "im Namen der Frauenrechte Unmoral verbreitet und afghanische Werte untergraben würden" (Taz 6.2.2019).
Ende Februar 2019 fand eine weitere Friedensgesprächsrunde zwischen Taliban und US-Vertretern in Katar statt, bei denen die Taliban erneut den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan forderten und betonten, die Planung von internationalen Angriffen auf afghanischem Territorium verhindern zu wollen. Letzterer Punkt führte jedoch zu Meinungsverschiedenheiten: Während die USA betonten, die Nutzung des afghanischen Territoriums durch "terroristische Gruppen" vermeiden zu wollen und in dieser Hinsicht eine Garantie der Taliban forderten, behaupteten die Taliban, es gebe keine universelle Definition von Terrorismus und weigerten sich gegen solch eine Spezifizierung. Sowohl die Taliban- als auch die US-Vertreter hielten sich gegenüber den Medien relativ bedeckt und betonten ausschließlich, dass die Friedensverhandlungen weiterhin stattfänden. Während es zu Beginn der Friedensgesprächsrunde noch Hoffnungen gab, wurde mit Voranschreiten der Verhandlungen immer klarer, dass sich eine Lösung des Konflikts als "frustrierend langsam" erweisen würde (NYT 7.3.2019).
Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (Reuters 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019). Beispielsweise erklärte US-Unterstaatssekretär David Hale am 18.3.2019 die Beendigung der Kontakte zwischen US-Vertretern und dem afghanischen nationalen Sicherheitsberater Hamdullah Mohib, nachdem dieser US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen öffentlich kritisiert hatte (Reuters 18.3.2019).
Quellen:
AJ - Al Jazeera (21.3.2019): Blasts in Afghan capital Kabul kill six during new year festival, https://www.aljazeera.com/news/2019/03/blasts-afghan-capital-kabul-kill-6-year-festival-190321064823472.html, Zugriff 26.3.2019
AJ - Al Jazeera (8.3.2019): Death toll rises to 11 in attack on Shia gathering in Kabul, https://www.aljazeera.com/news/2019/03/death-toll-rises-11-afghan-capital-attack-shia-gathering-190308102222870.html, Zugriff 26.3.2019
NYT - The New York Times (7.3.2019): U.S. Peace Talks With Taliban Trip Over a Big Question: What Is Terrorism?, https://www.nytimes.com/2019/03/07/world/asia/taliban-peace-talks-afghanistan.html, Zugriff 26.3.2019
IFRCRCS - International Federation of Red Cross and Red Crescent Societies (17.3.2019): Emergency Appeal Afghanistan: Drought and Flash Floods, https://reliefweb.int/report/afghanistan/afghanistan-drought-and-flash-floods ,ua.
Kommentar:
Die Lage vor Ort wird weiterhin beobachtet und gegebenenfalls wird mit weiteren Kurzinformationen reagiert. Weiterführende Informationen zu der Friedensgesprächsrunde von Jänner 2019 können der KI vom 31.1.2019 entnommen werden.
KI vom 1.3.2019, Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2018 (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)
Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).
Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).
Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).
Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).
Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).
Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert. Durch die folgende kartografische Darstellung der Staatendokumentation soll die Verteilung des Konflikts landesweit veranschaulicht werden.
(BFA Staatendokumentation 20.02.2019a
In der folgenden Grafik der Staatendokumentation wird das Verhältnis zwischen den vier Quartalen des Jahres 2018 anhand der registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle für den Zeitraum 1.1.2018 - 31.12.2018 veranschaulicht.
Zivile Opfer
Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer; 1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).
Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).
Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bi