TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/4 W251 2186995-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.03.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

04.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W251 2187012-1/23E

W251 2187017-1/23E

W251 2186995-1/23E

W251 2187009-1/23E

W251 2187005-1/29E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Angelika SENFT als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX alias XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX alias XXXX , 4.) XXXX , geb. XXXX sowie 5.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Afghanistan und vertreten durch RA Mag. Irene OBERSCHLICK, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1.) vom 15.01.2018, Zl. 1097333010 - 151883455, 2.) vom 12.01.2018, Zl. 1097333108 - 151883710, 3.) vom 11.01.2018 Zl. 1097333206 - 151883825, 4.) vom 20.12.2017, Zl. 1097333304 - 151883892 und 5.) vom 11.01.2018, Zl. 1097333500 - 151883914, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer, alle Staatsangehörige Afghanistans, reisten gemeinsam in das Bundesgebiet ein und stellten am 26.11.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer.

2. Die niederschriftliche Erstbefragung der Beschwerdeführer fand am 27.11.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt.

Die Beschwerdeführer gaben zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen befragt an, dass die Zweitbeschwerdeführerin im Jahr 2005 einen Mann geheiratet habe, der Mitglied der Taliban sei. Dieser habe die Zweitbeschwerdeführerin immer misshandelt und geschlagen, weshalb die Zweitbeschwerdeführerin auch eine Fehlgeburt erlitten habe. Die Erstbeschwerdeführerin habe die Zweitbeschwerdeführerin ca. zwei Jahre vor der Erstbefragung zu sich zurückgeholt, woraufhin deren Ehemann die Familie massiv unter Druck gesetzt habe. Der Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin habe die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer rekrutieren wollen als diese erwachsen geworden seien. Er habe von einem heiligen Kampf (Tschihad) gesprochen, an dem alle Moslem teilnehmen müssten. Da er schließlich Mitglieder der Taliban geschickt habe um die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer zu rekrutieren, seien die Beschwerdeführer aus Afghanistan ausgereist.

3. Am 21.11.2017 wurden die Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sowie der Fünftbeschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen.

Die Beschwerdeführer gaben zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater der Zweitbeschwerdeführerin von deren Ehemann gezwungen worden sei ihm die Zweitbeschwerdeführerin zu verheiraten. Die Zweitbeschwerdeführerin sei von ihrem Ehemann misshandelt und geschlagen worden. Sie sei dann schwer krank geworden ( XXXX , XXXX ), weshalb ihr Ehemann sie zur ihrer Familie zur Pflege gebracht habe, wo sie ca. zwei Jahre bis zur Ausreise aus Afghanistan gelebt habe. Der Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin habe diese immer wieder zuhause bei ihrer Familie besucht und ihre Brüder - die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer - unter Druck gesetzt sich den Taliban anzuschließen. Da sich diese geweigert hätten, seien sie mit dem Tod bedroht worden. Der Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin habe vorgehabt die Familie woanders hinzubringen, weshalb die Beschwerdeführer schließlich Afghanistan verlassen hätten.

Die Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin führten auch aus, dass der Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin dem Viertbeschwerdeführer eine Handgranate hingeworfen habe, weil sich dieser nicht den Taliban angeschlossen habe, weshalb er am Bein verletzt worden sei. Zudem gab die Erst- und der Fünftbeschwerdeführer an, dass der Fünftbeschwerdeführer durch eine Ohrfeige vom Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin am Ohr verletzt worden sei.

4. Die niederschriftliche Einvernahme des Dritt- und des Viertbeschwerdeführers fand am 19.12.2017 vor dem Bundesamt statt. Der Dritt- und der Viertbeschwerdeführer gaben an, dass für sie dieselben Fluchtgründe wie für den Fünftbeschwerdeführer gelten würden.

5. Das Bundesamt wies die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz mit oben genannten Bescheiden sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab und erteilte den Beschwerdeführern keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungs-würdigen Gründen (Spruchpunkt III.). Gegen die Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt IV. und V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Fluchtgründe als gänzlich unwahr festgestellt worden seien. Selbst bei Wahrunterstellung stehe den Beschwerdeführern eine innerstaatliche Fluchtalternative offen. Es drohe den Beschwerdeführern auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Die Beschwerdeführer würden in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehe, verfügen.

6. Die Beschwerdeführer erhoben gegen oben genannte Bescheide fristgerecht Beschwerde und brachten im Wesentlichen vor, dass das Ermittlungsverfahren des Bundesamtes mangelhaft gewesen sei. So habe sich das Bundesamt nicht mit Zwangsverheiratung und den Möglichkeiten einer Scheidung sowie geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen in Afghanistan auseinandergesetzt sowie die Konsequenzen des Davonlaufens vom Ehegatten nicht beleuchtet und sich nicht mit der Situation von Frauen ohne Ehegatten oder den Rechten von Frauen und der Möglichkeit der Durchsetzung befasst. Zudem sie bei der Einvernahme beim Bundesamt ein Dolmetscher des anderen Geschlechts anwesend gewesen, weshalb die Zweitbeschwerdeführerin vor Scham nicht ausgeführt habe, dass es während ihrer Ehe zu zahlreichen Vergewaltigungen durch ihren Ehemann gekommen sei. Es wurde deshalb gemäß § 20 AsylG verlangt, die Einvernahme und das Dolmetschen vor dem Bundesverwaltungsgericht durch eine Person gleichen Geschlechts durchzuführen. Die Zweitbeschwerdeführerin sei in Afghanistan einer asylrelevanten Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der afghanischen Frauen, denen moralische Vergehen vorgeworfen werden oder jener von geschlechtsspezifischer Gewalt direkt betroffener Frauen, ausgesetzt. Das Bundesamt habe seine Ermittlungspflicht auch verletzt, indem es den Dritt- und den Viertbeschwerdeführer nicht explizit zu ihren Fluchtgründen befragt habe. Es habe sich auch weder mit den Konsequenzen für Familienmitglieder auseinandergesetzt, die einer verheirateten Frau zur Flucht verhelfen und sohin die Ehre des Ehegatten verletzen noch mit Zwangsrekrutierung durch die Taliban. Das Bundesamt habe auch wesentliche Länderberichte nicht berücksichtigt. Das Bundesamt hätte aufgrund des Alters der Erstbeschwerdeführerin und ihres unklaren Gesundheitszustandes überprüfen müssen, ob die medizinische Versorgung im Herkunftsstaat gewährleistet sei und ob die Erstbeschwerde-führerin die Strapazen einer Rückkehr ohne gravierende gesundheitliche Folgen überstehen würde. Es wurde deshalb der Antrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigen-gutachtens zur Abklärung des Gesundheitszustandes der Erstbeschwerdeführerin sowie deren Überstellbarkeit nach Afghanistan beantragt. Die Erstbeschwerdeführerin sei in Afghanistan asylrelevanter Verfolgung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Familie von Zwangsrekrutierung Betroffener sowie ihrer Unterstützung ihrer Tochter bei der Flucht vor dem Ehemann, betroffen. Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer seien in Afghanistan asylrelevanter Verfolgung wegen Zwangsrekrutierung durch die Taliban und aufgrund von Rache wegen der Unterstützung der Flucht ihrer Schwester, ausgesetzt. Zudem existiere keine innerstaatliche Fluchtalternative. Darüber hinaus habe der innerstaatliche Konflikt in der Herkunftsregion der Beschwerdeführer ein Ausmaß erreicht, dass Zivilisten allein durch ihre Anwesenheit die Gefahr eines ernsthaften Schadens drohe, weshalb ihnen jedenfalls subsidiärer Schutz zuzuerkennen sei. Es liege auch eine schützenswertes Privat- und Familienleben vor, das das Bundesamt aufgrund einer mangelhaften Interessensabwägung verkannt habe.

7. Mit Schreiben vom 17.06.2019, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 25.06.2019, welches als "Urkundenvorlage und Beschwerdeergänzung" tituliert ist, wurde vorgebracht, dass Recherchen die Angaben der Zweitbeschwerdeführerin bestätigt hätten und es das Bundesamt unterlassen habe sich mit dem konkreten Vorbringen und der Situation der Frauen in Afghanistan auseinanderzusetzten. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei aufgrund des Netzwerkes der Taliban in ganz Afghanistan ausgeschlossen. Eine Zuflucht in die Städte Herat und Mazar-e Sharif sei mangels Zugangs zu Arbeit und - damit in Zusammenhang stehend - zu einer nicht schwer gesundheitsschädlichen Unterkunft, medizinischer Notfall- und Grundversorgung, sauberem Trinkwasser sowie ausreichenden Nahrungsmitteln, nicht zumutbar. Untereinem wurde die Arbeitsübersetzung des Landinfo-Berichts "Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" sowie Unterlagen betreffend die Integration der Beschwerdeführer in Österreich vorgelegt.

8. Mit Urkundenvorlage vom 27.08.2019 wurden zahlreiche Unterlagen betreffend die Integration der Beschwerdeführer in Österreich vorgelegt.

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 04.09.2019 sowie am 10.10.2019 in Anwesenheit einer Dolmetscherin sowie im Beisein der Rechtsvertreterin der Beschwerdeführer eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. Am 04.09.2019 nahm auch ein Vertreter des Bundesamtes an der mündlichen Verhandlung teil. Die Verfahren der Beschwerdeführer wurden zur gemeinsamen Verhandlung verbunden.

10. Mit Parteigehör vom 21.11.2019 wurden den Beschwerdeführer aktuelle Länderinformationen übermittelt. Die Beschwerdeführer wurden aufgefordert allfällige Neuerungen, die seit der letzten Verhandlung eingetreten sind, dem Gericht bekannt zu geben.

Mit Stellungnahme vom 04.12.2019 brachten die Beschwerdeführer vor, dass Zwangsheiraten in Afghanistan vorkommen und dies auch mit den Länderberichten in Einklang zu bringen sei, sodass das Vorbringen glaubhaft sei. Die BF2 habe die Ehre des Ehemannes verletzt und damit gegen das Pashtunwali verstoßen. Taliban seien zudem in der Lage Personen in ganz Afghanistan ausfindig zu machen. Die Beschwerdeführer setzen mehrere Integrationsschritte. Die Familie habe auch immer im Familienverband gelebt. Es würden keine Bindungen mehr zu Afghanistan bestehen und sei daher bei einer Rückkehrentscheidung ein unzulässiger Eingriff in das Privat- und Familienleben gegeben. Es wurde ein Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 07.06.2017 zu Blutrache und Blutfehde vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

1.1.1. Die Erstbeschwerdeführerin führt in Österreich den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Die Erstbeschwerdeführerin hat keine Schule besucht, sie ist Analphabetin (Verwaltungsakt der Erstbeschwerdeführerin - BF 1 AS 62; Verhandlungsprotokoll vom 04.09.2019 = VP 1, S. 10). Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer.

Die Zweitbeschwerdeführerin führt in Österreich den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX alias XXXX . Die Zweitbeschwerdeführerin hat zwei Jahre lang die Koranschule besucht (Verwaltungsakt der Zweitbeschwerdeführerin - BF 2 AS 50 f; VP 1, S. 13, 22). Sie hat in Afghanistan als Schneiderin gearbeitet (BF 2 AS 51 f; VP 1, S. 22).

Der Drittbeschwerdeführer führt in Österreich den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX alias XXXX . Er hat fünf Jahre die Grundschule in Afghanistan besucht (VP 1, S. 12, 34). Der Drittbeschwerdeführer hat eine Lehre als Schweißer absolviert und danach selbständig als Schweißer in Afghanistan gearbeitet. Er hat im Monat zwischen 10.000 bis 15.000 Afghani verdient (VP 1, S. 34 f, 40).

Der Viertbeschwerdeführer führt in Österreich den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er hat zwei Jahre die Koranschule besucht (Verwaltungsakt des Viertbeschwerdeführers - BF 4 AS 108; VP 1, S. 43). Der Viertbeschwerdeführer hat zunächst zwei Jahre als Schweißer mit dem Drittbeschwerdeführer gearbeitet und danach die Mechanikerlehre in einer Autowerkstätte absolviert (VP 1, S. 43 f).

Der Fünftbeschwerdeführer führt in Österreich den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Das tatsächliche Alter des Viertbeschwerdeführers kann nicht festgestellt werden. Er wurde spätestens am XXXX geboren. Das wahrscheinliche Alter des Fünftbeschwerdeführers zum Antragszeitpunkt am 26.11.2015 betrug XXXX Jahre. Er hat sechs Monate die Koranschule besucht (Verwaltungsakt des Fünftbeschwerdeführers - BF 5 AS 68; VP 1, S. 49). Der Fünftbeschwerdeführer hat als sein Vater noch lebte in der Landwirtschaft mitgeholfen. Danach hat er sich im Haus der Familie ein Lebensmittelgeschäft eingerichtet und im Monat Waren im Wert von ca. 7.000 bis 10.000 Afghani verkauft (VP 1, S. 49).

Die Beschwerdeführer sind afghanische Staatsangehörige, gehören der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennen sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben. Die Beschwerdeführer sprechen Dari als Muttersprache (BF 1 AS 5, 62, 65; BF 2 AS 1, 50, 59; Verwaltungsakt des Drittbeschwerdeführers - BF 3 AS 1, 65, 70; BF 4 AS 1, 107, 111; BF 5 AS 1, 68, 72; VP 1, S. 9, 22, 34, 42 f, 49).

1.1.2. Die Beschwerdeführer lebten gemeinsam in der Provinz Herat in der unmittelbaren Umgebung der Stadt Herat in einem Eigentumshaus. Die Beschwerdeführer lebten nicht in dem Dorf XXXX (beim Bundesamt auch " XXXX " geschrieben). Es kann nicht festgestellt werden, in welchem konkreten Dorf die Beschwerdeführer in der Provinz Herat lebten. Die Zweitbeschwerdeführerin lebte durchgehend mit ihrer Familie in deren Eigentumshaus.

1.1.3. Es kann nicht festgestellt werden, wann der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin bzw. der Vater der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer gestorben ist. Bis zu dessen Tod ist auch dieser für den Lebensunterhalt der Familie aufgekommen indem er eine eigene Landwirtschaft mit Nutztieren betrieben hat (BF 1 AS 63; VP 1, S. 10, 25, 43). Die Erstbeschwerdeführerin hat nach dem Tod ihres Ehemannes das Grundstück sowie die Nutztiere verkauft. Nach dem Tod des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin bzw. dem Vater der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer sind die Beschwerdeführer gemeinsam für ihren Lebensunterhalt aufgekommen. Die Erstbeschwerdeführerin hat die gesamten Finanzen der Familie verwaltet. Die Erstbeschwerdeführerin hat mit ihrer Tätigkeit als Schneiderin und Teppichknüpferin schon zum Unterhalt der Familie beigetragen als ihr Ehemann noch lebte (VP 1, S. 10).

Die Beschwerdeführer verfügten in Afghanistan über zwei Eigentumshäuser, ein altes Lehmhaus sowie ein Ziegelhaus, in dem die Familie wohnte. Die Familie hat die Eigentumshäuser vor ihrer Ausreise aus Afghanistan um insgesamt 100.000 Afghani verkauft. Die Beschwerdeführer hatten - abgesehen vom Erlös aus dem Verkauf der Eigentumshäuser - Ersparnisse in Höhe von 600.000 Afghani (VP 1, S. 15, 25, 35, 45, 51 f; BF 1 AS 63, 66; BF 2 AS 51, 58; BF 3 AS 68; BF 4 AS 110).

1.1.4. Die Beschwerdeführer sind unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und stellten am 26.11.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz in Österreich.

1.1.5. Die Eltern und Geschwister der Erstbeschwerdeführerin sind bereits verstorben. Ein Neffe der Erstbeschwerdeführerin - der Sohn ihres Bruders - lebt in der Stadt Herat. Er war zum Zeitpunkt der ersten Verhandlung ca. 35 Jahre alt, hat zwei Töchter und arbeitet als Obstverkäufer (VP 1, S. 11 f). Die Beschwerdeführer haben Kontakt zum Neffen der Erstbeschwerdeführerin.

Die Beschwerdeführer haben keine weiteren Verwandten in Afghanistan.

1.1.6. Die Erstbeschwerdeführerin leidet an XXXX und XXXX an XXXX ( XXXX ) sowie an einem XXXX ( XXXX an der XXXX ). Sie weist auch XXXX und eine XXXX auf. Zudem wurde bei ihr eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert (Ambulanzbericht XXXX vom 16.04.2019 [Beilage zu OZ 14]). Die Erstbeschwerdeführerin bedarf derzeit folgende Medikamente: einen XXXX ( XXXX ), ein Arzneimittel aus der Gruppe der XXXX , die den XXXX beeinflussen ( XXXX [ XXXX ]), ein Arzneimittel zur XXXX ( XXXX ), Arzneimittel aus der Gruppe der XXXX (bei XXXX [ XXXX ]) und ein Arzneimittel aus der Gruppe der Psychopharmaka ( XXXX ) sowie bei Bedarf ein schmerzlinderndes Arzneimittel ( XXXX ) (Beilage ./Y). Der Erstbeschwerdeführerin war ihre XXXX erkrankung sowie ihre psychische Belastung bereits in Afghanistan bekannt. Sie stand deswegen in Afghanistan bereits in ärztlicher Behandlung und nahm die entsprechenden Medikamente ein (BF 1 AS 67). Die Erstbeschwerdeführerin ist arbeitsfähig (BF 1 AS 66; VP 1, S. 17).

Die Zweitbeschwerdeführerin befand sich von 07.08.2017 bis 10.08.2017 in Österreich aufgrund ihrer XXXX ( XXXX ) in stationärer Behandlung und es erfolgte ein operativer Eingriff (BF 2 AS 25-35; Beilage ./i und ./J; vorläufiger Entlassungsbrief XXXX vom 10.08.2017 [Beilage zu OZ 14]). Sie bedarf diesbezüglich keiner weiteren ärztlichen Behandlung oder Medikation. Die Zweitbeschwerdeführerin leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten. Sie weist eine rezidivierende depressive Störung ( XXXX ) auf (Ambulanzbericht XXXX vom 18.07.2019 [Beilage zu OZ 14]). Sie nimmt derzeit ein Antidepressivum ( XXXX ), ein Beruhigungsmittel ( XXXX ), einen XXXX ( XXXX ) und die XXXX sowie bei Bedarf ein Arzneimittel gegen Übelkeit ( XXXX ) (Beilage ./H und ./Z). Der Zweitbeschwerdeführerin war ihre psychische Belastung bereits in Afghanistan bekannt. Sie hat in Afghanistan auch entsprechende Medikamente erhalten und war diesbezüglich ärztlicher Behandlung (BF 2 AS 55, 61). Die Behandlungen in Afghanistan haben der Zweitbeschwerdeführerin geholfen (VP 2, S. 15). Sie ist arbeitsfähig (VP 1, S. 30).

Der Fünftbeschwerdeführer wurde am 04.10.2018 einer XXXX Operation unterzogen (Anwesenheitsbestätigung vom 06.08.2019 [Beilage zu OZ 14]). Er bedarf diesbezüglich keiner weiteren ärztlichen Behandlung oder Medikation. Die Ditt- und der Viertbeschwerdeführer leiden an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, sie sind gesund und arbeitsfähig (Verhandlungsprotokoll vom 10.10.2019 = VP 2, S. 22, 33). Der Beschwerdeführer leidet seit einiger Zeit an Rückenschmerzen und erhält manchmal eine schmerzstillende Spritze, ansonsten ist er gesund. Er leidet an keiner lebendbedrohlichen oder schwerwiegenden Krankheit. Der Fünftbeschwerdeführer ist arbeitsfähig (VP2, S. 42).

1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Das von den Beschwerdeführern ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

1.2.1. Die Zweitbeschwerdeführerin wurde nicht an einen Angehörigen der Taliban (im Folgenden als "vermeintlicher Ehemann der Zweitbeschwerdeführerin" bezeichnet") zwangsverheiratet.

Die Vorfälle, wonach eine Feindschaft zwischen dem Vater der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer und einer anderen Familie bestanden habe, wonach die Zweitbeschwerdeführerin unter Zwang verheiratet worden sei und der Vater gezwungen worden sei diese zu verheiraten, wonach die Zweitbeschwerdeführerin von ihrem vermeintlichen Ehemann misshandelt und geschlagen worden sei und wonach diese vom vermeintlichen Ehemann und vom vermeintlichen Schwager vergewaltigt worden sei, haben sich nicht ereignet. Die Zweitbeschwerdeführerin war in Afghanistan nicht verheiratet.

Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer wurden in Afghanistan nicht aufgefordert sich den Taliban anzuschließen.

Die Beschwerdeführer wurden in Afghanistan niemals konkret bedroht und waren keiner Verfolgung durch die Taliban, staatliche Organe oder sonstige Personen ausgesetzt. Die Beschwerdeführer haben Afghanistan weder aus Furcht vor konkreten Eingriffen in ihre körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.

1.2.2. Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan droht den Beschwerdeführern weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch die Taliban, staatliche Organe oder durch andere Personen.

Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Dritt-, dem Viert- und dem Fünftbeschwerdeführer keine Zwangsrekrutierung.

Die Beschwerdeführer werden in Afghanistan nicht gesucht und auch nicht beschuldigt oder verdächtigt gegen die Scharia oder islamische Bräuche verstoßen zu haben. Diese sind bei einer Rückkehr nach Afghanistan weder eine Blutfehde noch einer Blutrache ausgesetzt.

1.2.3. Die Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin sind in Afghanistan allein aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

Bei der Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich nicht um auf Eigenständigkeit bedachte Frauen, die in ihrer persönlichen Wertehaltung und in ihrer Lebensweise an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als westlich bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert sind. Die Erstbeschwerdeführerin spricht (faktisch) kein Deutsch. Sie kümmert sich in Österreich primär um den Haushalt. Die Zweitbeschwerdeführerin verfügt lediglich über geringe Deutschkenntnisse. Sie erbringt zwar Remunerationstätigkeiten, kümmert sich in ihrer Freizeit jedoch ebenfalls um den Haushalt und kocht und backt für ihre Familie. Die Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin bewegen sich hauptsächlich in ihrem räumlichen Nahebereich und haben in Österreich Kontakte zu ihren Nachbarn, Betreuern und Deutschlehrerinnen.

Der Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin droht in Afghanistan keine Zwangsheirat.

1.2.4. Die Beschwerdeführer sind wegen ihres Aufenthalts in einem westlichen Land oder wegen ihrer Wertehaltung bei einer Rückkehr nach Afghanistan keinen psychischen oder physischen Eingriffen in ihre körperliche Integrität ausgesetzt. Die Beschwerdeführer haben sich in Österreich keine Lebenseinstellung angeeignet, die einen nachhaltigen und deutlichen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt. Es liegt keine westliche Lebenseinstellung bei den Beschwerdeführern vor, die wesentlicher Bestandteil ihrer Persönlichkeit geworden ist, und die sie in Afghanistan exponieren würde.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat:

Den Beschwerdeführern sind anpassungsfähig und arbeitsfähig. Die Beschwerdeführer sind mit den Gepflogenheiten in Afghanistan vertraut. Der Dritt-, Viert- und Fünftbeschwerdeführer sind junge, gesunde, erwerbsfähige Männer, die sich sowie die Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin versorgen können. Die Beschwerdeführer können auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Die Beschwerdeführer können sich wieder in ihrem Heimatdorf, dass in der Nähe von Herat-Stadt liegt, ansiedeln. Die Dörfer in der Umgebung der Stadt Herat sind ausreichend sicher und durch den Flughafen in Herat auch sicher erreichbar. Die Bevölkerung ist dort zumindest grundlegend versorgt.

Den Beschwerdeführern ist es zudem möglich sich in der Stadt Herat anzusiedeln. Die Beschwerdeführer können in der Stadt Herat ihre grundlegenden und notwendigen Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft für sich befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Die Beschwerdeführer können kurzfristig beim Neffen der Erstbeschwerdeführerin bzw. Cousin der Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer wohnen. Zudem kann dieser die Beschwerdeführer insbesondere bei der Arbeitssuche, der Suche nach einer Unterkunft und der Verpflegung unterstützen. Den Beschwerdeführern ist diese Stadt auch bekannt, sie haben dort Ortskenntnisse. Die Beschwerdeführer können für ihr Auskommen und Fortkommen sorgen.

Die Beschwerdeführer können sich auch in der Stadt Mazar-e Sharif ansiedeln. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Mazar-e Sharif können die Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Sie können selbst für ihr Auskommen und Fortkommen sorgen und in Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Es ist den Beschwerdeführern somit möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Rückkehr nach Afghanistan und der Ansiedelung in ihrem Heimatdorf, oder in der Stadt Herat oder in der Stadt Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.4. Zum (Privat)Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

Die Beschwerdeführer sind unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich eingereist und halten sich seit zumindest 26.11.2015 durchgehend in Österreich auf.

Die Beschwerdeführer werden von den Bewohnern ihrer Wohngemeinde, ihren Betreuern und Bekannten in Österreich sehr geschätzt (Beilage ./A bis ./D, ./L und ./M; Schreiben von XXXX , vom 11.02.2018 [Beilage zu OZ 9]; Bestätigung Mithilfe bei Kirchenrenovierung, Pfarre XXXX vom 22.11.2018, Empfehlungsschreiben XXXX vom 27.07.2019, Bestätigung ehrenamtliche Arbeit XXXX vom 13.08.2019 [Beilagen zu OZ 14]). Sie stehen zu keinem in einem Abhängigkeitsverhältnis.

Der Aufenthalt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet war zu keiner Zeit geduldet. Sie waren weder Zeuge noch Opfer von Gewalt oder anderen strafbaren Handlungen in Österreich, ihre Anwesenheit ist nicht zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen erforderlich. Es wurde nie eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen; es lag nie ein Sachverhalt vor, auf Grund dessen eine einstweilige Verfügung hätte erlassen werden können.

1.4.1. Die Erstbeschwerdeführerin:

Die Erstbeschwerdeführerin hat Alphabetisierungskurse besucht (BF 1 AS 33-35; Beilage ./V), sie verfügt über keine Deutschkenntnisse (OZ 10, S. 33). Sie hat an einem Werte- und Orientierungskurs (Beilage zu OZ 14) sowie an einem Gesundheitspräventionskurs (BF 1 AS 31) teilgenommen.

Die Erstbeschwerdeführerin geht keiner beruflichen Tätigkeit nach und lebt von der Grundversorgung (VP 1, S. 17; Beilage ./I). Die Erstbeschwerdeführerin hat sich an ehrenamtlichen Aktivitäten beteiligt und besucht regelmäßig Integrationsveranstaltungen (Beilagen zu OZ 14).

Die Erstbeschwerdeführerin ist weder Mitglied in einem Verein noch hat sie, abgesehen von Deutschkursen, sonstige Ausbildungsangebote in Anspruch genommen.

Sie hat in Österreich freundschaftliche Kontakte zu ihren Nachbarn und Bewohnern ihrer Wohngemeinde sowie zur Deutschlehrerin ihrer Kinder geknüpft (VP 1, S. 19).

Die Erstbeschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (Beilage ./I).

1.4.2. Die Zweitbeschwerdeführerin:

Die Zweitbeschwerdeführerin hat Alphabetisierungs- und Deutschkurse besucht (BF 2 AS 19-21; Beilage ./K) und die ÖSD Deutschprüfung für die Stufe A1 gut bestanden (Beilage zu OZ 9). Sie verfügt über geringe Deutschkenntnisse (VP 1, S. 28 f). Sie hat an einem Werte- und Orientierungskurs (Beilage zu OZ 14), an einem Gesundheitspräventionskurs (BF 2 AS 23) sowie an einem Erste-Hilfe-Grundkurs (Bescheinigung vom 26.09.2018 [Beilage zu OZ 14]) und einem Kurs an der Volkshochschule (Kursbestätigung vom 17.07.2019 [Beilage zu OZ 14]) teilgenommen. Sie hat die Qualifizierung zur Gastronomiefachkraft erfolgreich absolviert (Zertifikat vom 21.09.2018 [Beilage zu OZ 10]).

Die Zweitbeschwerdeführerin geht keiner beruflichen Tätigkeit nach und lebt von der Grundversorgung (VP 1, S. 29; Beilage ./I). Die Zweitbeschwerdeführerin hat sich an ehrenamtlichen Aktivitäten beteiligt (Konvolut Nachweise über freiwilliges/ehrenamtliches Engagement [Beilagen zu OZ 14]) und Remunerationstätigkeiten für ihre Wohngemeinde erbracht (Konvolut Antrag um Bewilligung zur Beschäftigung von Asylwerbenden [Beilagen zu OZ 14]). Sie besucht auch regelmäßig Integrationsveranstaltungen (Beilage zu OZ 14).

Sie hat in Österreich freundschaftliche Kontakte zu ihren Nachbarinnen und Deutschlehrerinnen geknüpft (VP 1, S. 31).

Die Zweitbeschwerdeführerin ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (Beilage ./I).

1.4.3. Der Drittbeschwerdeführer

Der Drittbeschwerdeführer hat Deutschkurse besucht (BF 3 AS 43-47, 53; Beilage ./T und ./U) und die ÖSD Deutschprüfungen für die Stufen A1 gut (Beilage zu OZ 9) und A2 bestanden (Beilage zu OZ 14). Der Drittbeschwerdeführer verfügt über geringe Deutschkenntnisse (VP 2, S. 21 f).

Der Drittbeschwerdeführer besucht einen Kurs zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses (Beilage ./F und ./X). Er hat an einem Werte- und Orientierungskurs (Beilage zu OZ 14), an einem Gesundheitspräventionskurs (BF 3 AS 55) sowie an einem Erste-Hilfe-Grundkurs (Bescheinigung vom 26.09.2018 [Beilage zu OZ 14]) und einem Brückenkurs der Volkshochschule (Kursbestätigung vom 30.07.2019 [Beilage zu OZ 14]) teilgenommen. Er hat die Qualifizierung zur Gastronomiefachkraft erfolgreich absolviert (Zertifikat vom 21.09.2018 [Beilage zu OZ 10]).

Der Drittbeschwerdeführer geht keiner beruflichen Tätigkeit nach und lebt von der Grundversorgung (VP2, S. 22; Beilage ./I). Er hat sich an ehrenamtlichen Aktivitäten beteiligt (Konvolut Nachweise über freiwilliges/ehrenamtliches Engagement, Bestätigung XXXX vom 30.07.2019 [Beilagen zu OZ 14]) und Remunerationstätigkeiten für seine Wohngemeinde erbracht (Konvolut Antrag um Bewilligung zur Beschäftigung von Asylwerbenden [Beilagen zu OZ 14]). Er besucht auch regelmäßig Integrationsveranstaltungen (Beilage zu OZ 14).

Er hat in Österreich freundschaftliche Kontakte zu Personen in seinem Wohnort und aus den Nachbarorten geknüpft (VP 2, S. 24).

Der Drittbeschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (Beilage ./I).

1.4.4. Der Viertbeschwerdeführer:

Der Viertbeschwerdeführer hat Deutschkurse besucht (BF 4 AS 99; Beilage ./P und ./Q) und die ÖSD Deutschprüfungen für die Stufen A1 (Beilage zu OZ 9) und A2 bestanden (Beilage zu OZ 14). Der Viertbeschwerdeführer verfügt über geringe Deutschkenntnisse (VP 2, S. 32).

Er hat an einem Werte- und Orientierungskurs (Beilage zu OZ 14), an einem Gesundheitspräventionskurs (BF 4 AS 99) sowie an einem Erste-Hilfe-Grundkurs (Bescheinigung vom 26.09.2018 [Beilage zu OZ 14]) teilgenommen. Er hat die Qualifizierung zur Gastronomiefachkraft erfolgreich absolviert (Zertifikat vom 21.09.2018 [Beilage zu OZ 10]).

Der Viertbeschwerdeführer geht keiner beruflichen Tätigkeit nach und lebt von der Grundversorgung (VP2, S. 33; Beilage ./I). Er hat sich an ehrenamtlichen Aktivitäten beteiligt (Konvolut Nachweise über freiwilliges/ehrenamtliches Engagement [Beilagen zu OZ 14]) und Remunerationstätigkeiten für seine Wohngemeinde erbracht (Konvolut Antrag um Bewilligung zur Beschäftigung von Asylwerbenden [Beilagen zu OZ 14]). Er besucht auch regelmäßig Integrationsveranstaltungen (Beilage zu OZ 14).

Der Viertbeschwerdeführer war 2016 und 2017 Mitglied des österreichischen Bundesfachverband für XXXX (Beilage ./G und ./O)

Er hat in Österreich freundschaftliche Kontakte zum Besitzer einer Autowerkstatt und Personen in seinem Wohnort geknüpft (VP 2, S. 35).

Der Viertbeschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (Beilage ./I).

1.4.5. Der Fünftbeschwerdeführer:

Der Fünftbeschwerdeführer hat Deutschkurse besucht (BF 5 AS 23-27; Beilage ./R und ./S) und die ÖSD Deutschprüfungen für die Stufe A1 bestanden (Beilage zu OZ 9); für die Stufe A2 jedoch nicht bestanden (VP 2, S. 41). Der Fünftbeschwerdeführer verfügt über ausreichende Deutschkenntnisse (VP 2, S. 40 f).

Der Fünftbeschwerdeführer besucht einen Kurs zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses (Beilage ./E und ./W). Er hat an einem Werte- und Orientierungskurs (Beilage zu OZ 14), an einem Gesundheitspräventionskurs (BF 5 AS 35) sowie an einem Erste-Hilfe-Grundkurs (Bescheinigung vom 26.09.2018 [Beilage zu OZ 14]) und zwei Kursen der Volkshochschule (Kursbestätigung vom 17.07.2019 und vom 30.07.2019 [Beilage zu OZ 14]) teilgenommen. Er hat die Qualifizierung zur Gastronomiefachkraft erfolgreich absolviert (Zertifikat vom 21.09.2018 [Beilage zu OZ 10]).

Der Fünftbeschwerdeführer geht keiner beruflichen Tätigkeit nach und lebt von der Grundversorgung (Beilage ./I). Er hat sich an ehrenamtlichen Aktivitäten beteiligt (Konvolut Nachweise über freiwilliges/ehrenamtliches Engagement [Beilagen zu OZ 14]) und Remunerationstätigkeiten für seine Wohngemeinde erbracht (Konvolut Antrag um Bewilligung zur Beschäftigung von Asylwerbenden [Beilagen zu OZ 14]). Er besucht auch regelmäßig Integrationsveranstaltungen (Beilage zu OZ 14).

Er hat in Österreich freundschaftliche Kontakte zu afghanischen Personen aus dem Pflichtschulabschlusskurs sowie zu Nachbarn geknüpft (VP 2, S. 42).

Der Fünftbeschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten (Beilage ./I).

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 (LIB),

- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 mit Kurzinformation vom 04.06.2019,

- UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR),

- EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO),

- Arbeitsübersetzung Landinfo Report "Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom 23.08.2017 (Landinfo 1),

- Arbeitsübersetzung Landinfo Report "Afghanistan: Rekrutierung durch die Taliban" vom 29.06. 2017 (Landinfo 2),

- Bericht ACCORD, Sicherheitslage und die soziökonomische Lage in Herat und in Masar-e Scharif vom 15.01.2020 (ECOI Herat und Masar-e Sharif),

- EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Stand Jänner 2018,

- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Frauen in urbanen Zentren 18.09.2017,

- Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Kinderehen, Zangsehen vom 03.05.2019,

- Analyse der Staatendokumentation, Informationen zu sozioökonomischen Faktoren der Provinz Herat auf Basis von Interviews im Zeitraum November 2018 bis Jänner 2019

1.5.1. Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).

Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 3).

1.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 21).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses Systemfunktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 21).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Städte die Möglichkeit von "Teehäusern", die mit 30 Afghani (das sind ca. ? 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. ? 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. "Teehäuser" werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V). Man muss niemanden kennen, um eingelassen zu werden (EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Kapital 4.2.).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

1.5.3. Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common Analysis: Afghanistan, V).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 22).

Innerhalb der afghanischen Bevölkerung leiden viele Menschen an unterschiedlichen psychischen Erkrankungen, rund 50% der Bevölkerung leiden an psychische Symptome wie Depression, Angststörungen oder posttraumatische Belastungsstörung. In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen oder psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet und von der Familie versorgt, von der Gesellschaft werden diese jedoch oftmals stigmatisiert.

Zwar sind psychosoziale Beratungsstellen innerhalb der Gemeindegesundheitszentren vorgesehen, jedoch ist die Versorgung der Bevölkerung mit psychiatrischen oder psychosozialen Diensten aufgrund des Mangels an ausgebildeten Psychiatern, Psychologen, psychiatrisch ausgebildeten Krankenschwestern und Sozialarbeitern schwierig.

Eine stationäre Unterbringung in Krankenhäusern ist grundsätzlich nur möglich, wenn Patienten durch Familienangehörige oder Bekannte mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln versorgt werden. So werden Patienten bei stationärer Behandlung in psychiatrischen Krankenhäusern in Afghanistan nur in Begleitung eines Verwandten aufgenommen. Die Begleitung durch ein Familienmitglied ist in allen psychiatrischen Einrichtungen Afghanistans aufgrund der allgemeinen Ressourcenknappheit bei der Pflege der Patienten notwendig. Aus diesem Grund werden Personen ohne einen Angehörigen selbst in Notfällen in psychiatrischen Krankenhäusern nicht stationär aufgenommen.

Die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - findet, abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt. Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam. In Mazar-e Sharif gibt es ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik. Landesweit bieten alle Provinzkrankenhäuser kostenfreie psychologische Beratungen an, die in manchen Fällen sogar online zur Verfügung stehen. Mental erkrankte Menschen können beim Roten Halbmond, in entsprechenden Krankenhäusern und auch von Organisationen behandelt werden (LIB, Kapitel 22).

1.5.4. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 17).

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan, sie macht etwa 27-30% der afghanischen Gesellschaft aus und hat deutlichen politischen Einfluss im Land. In der Hauptstadt Kabul ist sie knapp in der Mehrheit. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten, sie sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB, Kapitel 17.2). Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt.

1.5.5. Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 16).

1.5.6. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 11).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.5.7. Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 19.1).

1.5.8. Regierungsfeindliche Gruppierungen

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).

Taliban:

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).

Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).

Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel - die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).

Rekrutierung durch die Taliban:

Menschen schließen sich den Taliban zum einen aus materiellen und wirtschaftlichen Gründen zum anderen aus kulturellen und religiösen Gründen an. Die Rekruten sind durch Armut, fehlende Chancen und die Tatsache, dass die Taliban relativ gute Löhne bieten, motiviert. Es spielt auch die Vorstellung, dass die Behörden und die internationale Gemeinschaft den Islam und die traditionellen Standards nicht respektieren würden, eine zentrale Rolle, wobei sich die Motive überschneiden. Bei Elitetruppen sind beide Parameter stark ausgeprägt. Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junger Männer, deren Motiv der Wunsch nach Rache, Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind (Landinfo 2, Kapitel 4.1). Die Billigung der Taliban in der Bevölkerung ist nicht durch religiöse Radikalisierung bedingt, sondern Ausdruck der Unzufriedenheit über Korruption und Misswirtschaft (Landinfo 2, Kapitel 4.1.1).

Die Taliban sind aktiver als bisher bemüht Personen mit militärischem Hintergrund sowie mit militärischen Fertigkeiten zu rekrutieren. Die Taliban versuchen daher das Personal der afghanischen Sicherheitskräfte auf ihre Seite zu ziehen. Da ein Schwerpunkt auf militärisches Wissen und Erfahrungen gelegt wird, ist mit einem Anstieg des Durchschnittsalters zu rechnen Landinfo 2, Kapitel 3). Durch das Anwerben von Personen mit militärischem Hintergrund bzw. von Mitgliedern der Sicherheitskräfte erhalten Taliban Waffen, Uniformen und Wissen über die Sicherheitskräfte. Auch Personen die über Knowhow und Qualifikationen verfügen (z.B. Reparatur von Waffen), können von Interesse für die Taliban sein (Landinfo 2, Kapitel 5.1).

Die Mehrheit der Taliban sind Paschtunen. Die Rekrutierung aus anderen ethnischen Gruppen ist weniger üblich. Um eine breitere Außenwirkung zu bekommen, möchte die Talibanführung eine stärkere multiethnische Bewegung entwickeln. Die Zahl der mobilisierten Hazara ist unerheblich, nur wenige Kommandanten der Hazara sind mit Taliban verbündet. Es ist für die Taliban wichtig sich auf die Rekruten verlassen zu können (Landinfo 2, Kapitel 3.3).

Die Taliban waren mit ihrer Expansion noch nicht genötigt Zwangsmaßnahmen zur Rekrutierung anzuwenden. Zwangsrekrutierung ist noch kein herausragendes Merkmal für den Konflikt. Die Taliban bedienen sich nur sehr vereinzelt der Zwangsrekrutierung, indem sie männliche Dorfbewohner in von ihnen kontrollierten Gebieten, die mit der Sache nicht sympathisieren, zwingen, als Lastenträger zu dienen (Landinfo 2, Kapitel 5.1). Die Taliban betreiben eine Zwangsrekrutierung nicht automatisch. Personen die sich gegen die Rekrutierung wehren, werden keine rechtsverletzenden Sanktionen angedroht. Eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis steht auch den im Pashtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen) enthaltenen fundamentalen Werten von Familie, Freiheit und Gleichheit entgegen. Es kommt nur in Ausnahmefällen und nur in sehr beschränktem Ausmaß zu unmittelbaren Zwangsrekrutierungen durch die Taliban. Die Taliban haben ausreichend Zugriff zu freiwilligen Rekruten. Zudem ist es schwierig einen Afghanen zu zwingen, gegen seinen Willen gegen jemanden oder etwas zu kämpfen (Landinfo 2, Kapitel 5.1).

Im Kontext Afghanistans verläuft die Grenze zwischen Jungen und Mann fließend. Ausschlaggebend für diese Beurteilung sind Faktoren wie Pubertät, Bartwuchs, Mut, Unabhängigkeit, Stärke und die Fähigkeit die erweiterte Familie zu repräsentieren. Der Familienälteste ist das Oberhaupt, absolute Loyalität gegenüber getroffenen Entscheidungen wird vorausgesetzt. Kinder unterstehen der Obrigkeit der erweiterten Familie. Es stünde im Widerspruch mit der afghanischen Kultur, würde man Kinder gegen den Wunsch der Familie und ohne entsprechende Entscheidung des Familienverbandes aus dem Familienverband "herauslösen" (Landinfo 2, Kapitel 6).

Einschüchterungskampagnen:

Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges, oder Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer "feindlicher" Regierungen, Kollaborateure oder Auftragnehmer der afghanischen Regierung oder des ausländischen Militärs, oder Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperationen an die Taliban zu binden. Diese Personen können einer "Verurteilung" durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlich "feindseligen" Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen. (Landinfo 1, Kapitel 4)

Im Grunde genommen steht jeder auf der schwarzen Liste, der (aus Sicht der Taliban) ein 'Übeltäter' ist und dessen Identität und Anschrift die Taliban ausfindig machen können. Diese Details sind wesentlich, denn nach den Regeln der Taliban, muss ein Kollaborateur gewarnt werden und Gelegenheit erhalten, auf den richtigen Weg zurückzukehren, bevor er auf die schwarze Liste gesetzt wird. Damit die Einschüchterungstaktiken der Taliban funktionieren, hängen sie also davon ab, dass ihre Informanten Angaben zu den potenziellen Zielpersonen liefern. Die Taliban behaupten jedoch, dass sie, dank ihrer Spione bei der Grenzpolizei am Flughafen Kabul und auch an vielen anderen Stellen, überwachen können, wer in das Land einreist. Sie geben an, dass sie regelmäßig Berichte darüber erhalten, wer neu ins Land einreist.

Als das System der Taliban Gestalt annahm und ihre Verhaltenskodizes ausgefeilter wurden, wurden auch Regeln eingeführt, die vorschreiben, dass die Taliban Kollaborateure mindestens zweimal warnen müssen, bevor sie gegen sie vorgehen. Dieses Verfahren gilt wohl seit 2009/2010. Von der Regel ausgenommen sind lediglich "große Kriminelle/Verbrecher", wie führende Persönlichkeiten in der Regierung. Daher gilt folgendes Verfahren für das Vorgehen gegen einen bestimmten Kollaborateur:

1. Person identifizieren;

2. Kontaktdaten herausfinden (Adresse oder Telefonnummer);

3. Person mindestens zweimal warnen;

4. verhören und vor Taliban-Gerichte stellen;

5. Person auf die schwarze Liste setzen, wenn sie sich weigert, den Anordnungen der Taliban Folge zu leisten;

6. Günstige Gelegenheit abwarten, um zuzuschlagen. (Landinfo 1)

1.5.9. Provinzen und Städte

Provinz Herat:

Herat liegt im Westen Afghanistans. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Die Provinz hat 2.095.117 Einwohner. Die Provinz ist über einen Flughafen in der Nähe von Herat-Stadt zu erreichen (LIB, Kapitel 3.13).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, in dem die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen. Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte. Im Jahr 2018 gab es 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 3.13).

In der Provinz Herat - mit Ausnahme in der Stadt Herat - kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

In den Distrikten rund um die Stadt Herat gibt es kaum sicherheitsrelevante Vorfälle. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Die meisten sicherheitsrelevanten Vorfälle ereignen sich im Distrikt Shindand (LIB 04.06.2019, S. 146; LIB 13.11.2019, Kapitel 3.13).

Stadt Herat:

Herat-Stadt ist die Provinzhauptstadt der Provinz Herat. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen. Sie hat 556.205 Einwohner (LIB, Kapitel 3.13).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten