TE Vwgh Erkenntnis 1998/2/13 96/19/1080

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Veröffentlicht am 13.02.1998
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §63 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
ZustG §17 Abs3;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 96/19/1081

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerden 1.) des PJM jun., geboren 1986, sowie 2.) des PJM, geboren 1955, beide in Wien, der Erstbeschwerdeführer vertreten durch den Zweitbeschwerdeführer, beide vertreten durch Dr. Susanna Fuchs-Weißkircher, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Rabensteig 1, gegen die Bescheide des Bundesministers für Inneres vom 23. Oktober 1995, Zlen. 1.) 108.338/3-III/11/94 (betreffend den Erstbeschwerdeführer), sowie 2.) 108.338/2-III/11/94 (betreffend den Zweitbeschwerdeführer), jeweils betreffend die Zurückweisung einer Berufung in Angelegenheit einer Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführer (Vater und Sohn) beantragten jeweils am 5. November 1993 die Verlängerung ihrer bis 30. Oktober 1993 gültigen Wiedereinreisesichtvermerke. Der Landeshauptmann von Wien wies mit Bescheid vom 8. August 1994 den Antrag des Zweitbeschwerdeführers mangels eines gesicherten Lebensunterhaltes für die Geltungsdauer der Bewilligung sowie mangels eines alle Fristen abdeckenden Krankenversicherungsschutzes gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 2 des Fremdengesetzes (FrG) ab. Der Antrag des Erstbeschwerdeführers wurde mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 9. August 1994 gemäß § 4 Abs. 4 AufG mit der Begründung abgewiesen, daß der Antrag des Vaters des Erstbeschwerdeführers abgewiesen worden war.

Beide Bescheide wurden nach einem erfolglosen Zustellversuch am 16. August 1994 beim Zustellpostamt hinterlegt. Als Beginn der Abholfrist scheint der 17. August 1994 auf.

Die Beschwerdeführer erhoben (inhaltsgleich) eine als Einspruch bezeichnete Berufung, in der sie Belege hinsichtlich ihrer finanziellen Situation bzw. der abgeschlossenen Krankenversicherung vorlegten. Unter Punkt 4. der Berufung erklärten die Beschwerdeführer betreffend die nicht eingehaltene "Einspruchsfrist", daß sie sich in der Zeit vom 15. August 1994 bis 30. August 1994 im Ausland befunden und daher "das Schreiben" nicht zeitgerecht erhalten hätten. Zur Bestätigung der Richtigkeit der Aussagen betreffend die Abwesenheit der Beschwerdeführer wurden Reiseunterlagen (Rechnung des Reisebüros über eine Bahnreise nach Italien, Fahrkarten der entsprechenden Zugsverbindungen und einen Reservierungsausweis für den Schlafwagen) beigelegt.

Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden je vom 23. Oktober 1995 wurden die Berufungen gemäß § 66 Abs. 4 AVG zurückgewiesen. Die Begründungen der belangten Behörde lauten:

"Berufungen sind gemäß § 63 Abs. 5 AVG binnen zwei Wochen nach erfolgter Zustellung einzubringen. Da die Zustellung rechtswirksam am 17. August 1994 erfolgte und ihre Berufung erst am 6. September 1994 und daher verspätet eingebracht wurde, war spruchgemäß zu entscheiden."

Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher mit Beschluß vom 26. Februar 1996 die Behandlung der Beschwerden ablehnte und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzten Beschwerden aufgrund ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 17 Abs. 1 und 3 des Zustellgesetzes (ZustG) lauten:

"§ 17.(1) Kann die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden und hat der Zusteller Grund zur Annahme, daß sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, so ist das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt, in allen anderen Fällen aber beim zuständigen Gemeindeamt oder bei der Behörde, wenn sie sich in derselben Gemeinde befindet, zu hinterlegen.

...

(3) Die hinterlegte Sendung ist mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte."

Die Behörde hat amtswegig zu prüfen, ob die Zustellung des angefochtenen Bescheides ordnungsgemäß erfolgt ist. Kommen Hinweise hervor, welche den rechtmäßigen Zustellvorgang in Frage stellen, gibt dies jedenfalls zu behördlichen Erhebungen über die Rechtzeitigkeit oder Verspätung dieses Rechtsmittels Anlaß. Die Behörde hat nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes über diese Frage auf Grund von ihr festgestellter Tatsachen zu entscheiden (vgl. die in Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts5, 561 wiedergegebene

hg. Rechtsprechung).

Im gegenständlichen Fall haben die Beschwerdeführer bereits in der Berufung konkrete Ausführungen zur Ortsabwesenheit des Empfängers (hinsichtilch beider Sendungen der Zweitbeschwerdeführer) im Zeitpunkt der Zustellung und zur Rechtzeitigkeit der Berufungen erstattet und diese Behauptungen durch die Vorlage diverser Reiseunterlagen entsprechend belegt. Im Sinne der obgenannten Grundsätze wäre daher die belangte Behörde verpflichtet gewesen, die vorgelegten Beweismittel einer Beweiswürdigung zu unterziehen, gegebenenfalls von Amts wegen weitere Beweise aufzunehmen und darauf ihre Feststellungen zu stützen. Die Behörde hat sich jedoch im jeweils angefochtenen Bescheid mit den vorgelegten Unterlagen und dem diesbezüglichen Berufungsvorbringen der Beschwerdeführer in keiner Weise argumentativ auseinandergesetzt.

Es kann dem jeweils angefochtenen Bescheid daher auch nicht entnommen werden, ob die belangte Behörde die von den Beschwerdeführern vorgelegten Beweismittel überhaupt einer Beweiswürdigung unterzogen hat und welche Erwägungen einer allenfalls getroffenen Beweiswürdigung zugrundelagen. Der jeweils angefochtene Bescheid ist schon deshalb mangelhaft, weil ihm angesichts des Berufungsvorbringens eine nachvollziehbare Begründung für die von der belangten Behörde getroffene Feststellung der rechtswirksamen Zustellung der erstinstanzlichen Bescheide am 17. August 1994 gänzlich fehlt.

Diese Verletzung der Begründungspflicht des jeweiligen Bescheides hindert aber den Verwaltungsgerichtshof daran, die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide zu überprüfen. Hätte sich die belangte Behörde mit den von den Beschwerdeführern vorgelegten Beweismitteln auseinandergesetzt, hätte sie zum Ergebnis kommen können, daß infolge Ortsabwesenheit des Empfängers im Sinn des § 17 Abs. 3 ZustG die Bescheide der Behörde erster Instanz nicht als zugestellt galten. Die Zustellung wäre diesfalls an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag (das wäre nach dem Vorbringen der Beschwerdeführer der 31. August 1994) wirksam geworden. Die am 6. September 1994 bei der Behörde erster Instanz eingelangten Berufungen wären dann rechtzeitig innerhalb der Frist des § 63 Abs. 5 AVG erhoben worden; die Berufungsbehörde hätte diesfalls eine Sachentscheidung über die Berufung treffen müssen.

Da somit Verfahrensvorschriften außer acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu anderen Bescheiden hätte kommen können, waren die angefochtenen Bescheide gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994. Im Fall der Abtretung einer Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG gebührt dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren obsiegenden Beschwerdeführer kein Ersatz der Stempelgebühren, die er im vorangegangenen Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof entrichten mußte. Es war daher lediglich der Ersatz der Stempelgebühren für die Beschwerdeergänzung vor dem Verwaltungsgerichtshof (zweifach) zuzusprechen. Stempelgebührenersatz für die Vorlage des bekämpften Bescheides war nicht zuzusprechen, weil dieser schon im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof vorgelegt wurde; des weiteren waren die übrigen mit der Beschwerde vorgelegten Urkunden zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht erforderlich. Neben dem pauschalierten Ersatz des Schriftsatzaufwandes kann ein Ersatz weiterer Kosten unter dem Titel von Umsatzsteuer nicht angesprochen werden.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996191080.X00

Im RIS seit

03.04.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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