TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/4 W159 2182915-1

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Veröffentlicht am 04.03.2020
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Entscheidungsdatum

04.03.2020

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W159 2182915-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.12.2017, Zl. XXXX zu Recht erkannt:

A)

1. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

2. Hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird der Beschwerde stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 34 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

3. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 04.03.2021 erteilt.

4. Der Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte IV. bis VI. wird stattgegeben und diese ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine afghanische Staatsangehörige, der Volksgruppe der Hazara zugehörig, schiitische Muslima, volljährig und verheiratet gelangte mit ihrem Ehemann und dem mj. Sohn (spätestens) am 01.11.2015 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 04.12.2015 erfolgte die Erstbefragung durch die Abteilung Fremdenpolizei und Anhaltevollzug, XXXX .

Sie gab befragt zu ihrem Fluchtgrund an, sie habe Afghanistan wegen der schlechten Sicherheitslage verlassen. Das Dorf sei von den Taliban besetzt worden. Die Taliban hätten sie nicht in Ruhe gelassen. Ihr Mann habe dort nicht arbeiten können. Die Taliban würden grundlos Leute töten. Deswegen seien sie in den Iran geflüchtet. Im Iran seien sie illegal aufhältig gewesen. Ihr Mann hätte nicht arbeiten können, deswegen seien sie weiter geflüchtet.

Am 29.11.2017 erfolgte die Niederschrift im Verfahren vor der belangten Behörde. Die Beschwerdeführerin gab befragt zu ihrem Leben in Afghanistan an, sie habe sich um den Haushalt und die Nutztiere gekümmert. In Österreich würde sie sich genauso um den Haushalt kümmern und zusätzlich einen Deutschkurs besuchen. Ihr Mann würde den Einkauf besorgen, oder sie würde nur mit ihrem Mann außer Haus gehen. Sie würde nicht alleine außer Haus gehen, sie wolle das nicht.

Mit dem im Spruch angeführten Bescheid von 06.12.2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § Abs. 8 abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Zif. 3 Asyl wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die Abschiebung nach Afghanistan sei zulässig. Es bestehe eine zweiwöchige Frist für eine freiwillige Ausreise.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, sie hätte keine Verwestlichung der Beschwerdeführerin feststellen können. Ihr Ehemann und ihre Kinder würden ebenfalls mit demselben Datum eine Rückkehrentscheidung erhalten.

In der Beschwerde, vertreten durch den XXXX , welche fristgerecht am 28.12.2017 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte, wurde der Bescheid zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften, insbesondere wegen Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, in Folge einer mangelhaften Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten.

Die Beschwerdeführerin habe mit ihrer Familie Afghanistan verlassen, weil ihr Ehemann Grundstücksstreitigkeiten mit seinen Nachbarn, der ein Taliban gewesen sei, gehabt hätte. Dies habe die belangte Behörde nicht näher hinterfragt und sei damit der Pflicht gem § 18 Abs. 1 AsylG nicht ausreichend nachgekommen. Bei der Prüfung betreffend der Zuerkennung von subsidiären Schutz sei eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen seien, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK vestoßenden Behandlung drohe. Hier sei die volatile Sicherheitslage in Afghanistan nicht beachtet worden.

An der öffentlich mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 22.01.2020 nahmen die Beschwerdeführerin, ihr Ehemann und ihrer Kinder, alle als Beschwerdeführer, ihre Rechtsvertretung und eine Dolmetscherin teil. Ein Vertreter der belangten Behörde ist entschuldigt nicht erschienen.

Die Beschwerdeführerin erschien relativ traditionell gekleidet mit einem bunten Kopftuch. Sie hielt die Beschwerde und das bisheriges Vorbringen aufrecht. Sie gab an, sie sei afghanische Staatsangehörige, gehöre der Volksgruppe der Hazara und dem Stamm der Sayed an und sei schiitische Muslima. Sie lebe jenes, was sie von ihren Eltern gelehrt worden sei. Sie gab an, sie und ihr Mann hätten etwa 20 Jahre im Iran gelebt. Ihre Kinder seien dort geboren worden.

In Afghanistan hätte ihr Ehemann seine eigene Landwirtschaft gehabt. Wegen Problemen seien sie von dort weggegangtn. Ihr Ehemann hätte im Iran gearbeitet. Sie hätte gerne einen Kurs besucht, dies sei ihr nicht erlaubt worden. Sie sei immer nur Hausfrau gewesen.

Sie könne im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan, nicht zu ihren Geschwistern, welche teilweise noch in Afghanistan seien, diese könnten aufgrund des Krieges, gerade sich und ihre Familien versorgen. Sie hätte auch fast keinen Kontakt mehr nach Hause. Sie hätte keine persönlichen Probleme mit staatlichen Behördenorganen oder bewaffneten Gruppierungen wie den Taliban oder Privatpersonen in Afghanistan gehabt. Sie hätte hauptsächlich Angst vor den Personen gehabt, mit welchen ihr Ehemann Probleme gehabt hätte. Sie hätten Afghanistan, auch wegen der Probleme ihres Ehemanns verlassen. Sie hätten legal im Iran gelebt, jedoch hätten sie von Seiten der Iraner nichts tun dürfen.

Die Familie hätte den Iran verlassen, weil ihr Sohne viele Probleme in der Schule gehabt hätte. Die Lehrer hätten ihn in der Schule nicht geschätzt. Er hätte immer schlecht Noten bekommen, weil er Afghane sei. Ihr Sohn habe es nicht länger ausgehalten und habe alleine das Land verlassen.

Ihre Tochter und ihre Familie würden in der gleichen Flüchtlingsunterkunft wohnen. Jeder stehe auf den eigenen Füßen.

Sie persönlich, hätte eine positive A1-Prüfung abgelegt und sich für den Deutsch A1 Kurs angemeldet. Sie möchte genug Deutsch lernen um arbeiten gehen zu können. Sie müsse einmal für den Lebensunterhalt sorgen, denn ihr Mann könnte wohl grundsätzlich für den Lebensunterhalt sorgen, sei aber derzeit krank.

Zu ihrem Leben befragt gab die Beschwerdeführerin (BF2) an:

"VR: Gehen Sie alleine einkaufen?

BF2: Ja.

VR: Gehen Sie allein in den Deutschkurs?

BF2: Ja.

VR: Wie stellt sich Ihr Tagesablauf dar?

BF2: In der Früh gehe ich in den Deutschkurs, dann bereite ich das Essen für die Kinder, am Nachmittag mache ich meine Hausaufgaben.

VR: Was machen Sie in Ihrer Freizeit?

BF2: Da ich keine Bildung in Dari habe, bitte ich meine Kinder mich bei den Hausaufgaben zu unterstützen, ich spiele auch mit meinen Enkelkindern, ich betreibe Sport und gehe spazieren.

VR: Was für einen Sport betreiben Sie?

BF2: Zu Hause haben wir einen Hometrainer, darauf trainiere ich.

VR: Können Sie Radfahren?

BF2: Ja, hier in Österreich habe es gelernt, zuvor konnte ich es nicht. Ich gehe auch spazieren.

VR: Haben Sie ein Fahrrad?

BF2: Ja. Ein neues Fahrrad konnte ich mir nicht kaufen, ein gebrauchtes habe ich bekommen.

VR: Können Sie schwimmen?

BF2: Nein.

VR: Waren Sie schon einmal im Sommer baden?

BF2: Die Kinder gehen schwimmen, ich gehe mit, aber ich habe Angst, ins Wasser zu gehen.

VR: Hat sich Ihr Leben durch Ihren Aufenthalt in Österreich wesentlich verändert?

BF2: Ja, ich kann überall alleine hingehen, ich kann etwas lernen. Hier ist nichts schwierig, man kann alles machen.

VR: Möchten Sie in Österreich erwerbstätig sein oder weiter Hausfrau bleiben?

BF2: Ich möchte arbeiten.

VR: Was möchten Sie arbeiten?

BF2: Ich muss noch den B1-Kurs machen, ich muss schauen, wie weit ich mit meiner Bildung komme, dann werde ich mir eine Arbeit suchen. Zurzeit kann ich nur Reinigungsarbeiten machen, es macht mir Freude, wenn ich etwas saubermachen kann.

VR: Was sagt Ihr Mann zu den Veränderungen in Ihrem Leben?

BF2: Es gibt viele gute Veränderungen, aber mein Mann sagt nichts dazu.

VR: Fühlen Sie sich nach wie vor der afghanischen Lebensweise und der afghanischen Tradition verbunden und wollen Sie diese weiterführen?

BF2: Wenn man woanders hingeht, kommt es zu Veränderungen, es war genauso als wir von Afghanistan in den Iran gegangen sind, da hat sich auch vieles verändert.

VR: Haben Sie Kontakte zu Österreichern?

BF2: Ich habe sehr viele Bekannte und Freunde, darunter Monika, Agnes, Marisa, Susanne, Elisa, Annette.

VR: Was würde geschehen, wenn Sie nach Afghanistan zurückkehren würden?

BF2: Wegen der Probleme meines Mannes können wir auf keinen Fall zurückkehren. Meine Kinder sind im Iran geboren, sie können nicht nach Afghanistan. In Afghanistan habe ich keine Zukunft. In Afghanistan hatte ich eine Verbrennung an meiner Handfläche. Ich habe keine Behandlung bekommen, zwei Jahre lang habe ich mit diesen Verbrennungen und Narben zu Hause verbringen müssen. Ich war sehr klein, als ich in einem Backofen, mit offenen Feuer gefallen bin. Es gab weder einen Arzt, noch wurden mir Medikamente gegeben, gar nichts gab es, ich habe die Schmerzen zu Hause ausgehalten.

BF2 zeigt ihre Verbrennungen an der rechten Hand.

VR: Sie haben Verwandte in Afghanistan, könnten Sie sich nicht mit Ihrer Familie in Herat oder Mazar-e Sharif niederlassen?

BF2: Nein, die Brüder können nur für sich selbst sorgen, sie können uns nicht unterstützen."

In der übermittelten Stellungnahme vom 04.02.2020 würde auf die prekäre Situation in Afghanistan hingewiesen.

Die Beschwerdeführerin ist nicht strafrechtlich verurteilt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin und zum Leben in Österreich:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara und dem Stamm der Sayed an, ist volljährig, verheiratet und schiitische Muslima. Sie ist spätestens am 01.11.2015 mit ihrem Mann und mj. Sohn in das Bundesgebiet eingereist und hat gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Es besteht ein familiärer Zusammenhalt, sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in einem Haushalt. Die Beschwerdeführerin lebte etwa 21 Jahre mit ihrem Mann legal im Iran, nachdem sie aus Afghanistan geflohen sind.

Die Beschwerdeführerin ist bemüht Deutsch zu lernen und sich in die österreichische Gesellschaft, soweit es ihr innerhalb ihrer von den Eltern übermittelten Traditionen möglich ist, zu integrieren. Sie hat die Deutschprüfung A1 positiv abgeschlossen. Wie aus dem Protokoll der Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ersichtlich ist, hat sie das westliche Bild einer Frau nicht ausreichend angenommen, wenn auch gewisse Integrationsschritte nicht übersehen werden.

Ihr Ehemann ist laut vorliegenden Befunden schwer krank. Neben einer Nierenerkrankung kann aufgrund der Symptome der erkrankten Mundschleimhaut Morbus Paget (=Osteodystrophia) nicht ausgeschlossen werden. Des weiterem besteht ein tubuläes Adenom und der Verdacht auf Morbus Bahcet eine chronische autoimmun bedingte Entzündung der Gefäße. Er benötigt eine laufende, umfassende ärztliche Behandlung und Medikation.

Ihr Ehemann ist bemüht die deutsche Sprache zu lernen. Er hat während seines Aufenthalts in Österreich laufend ehrenamtlich einerseits in seiner ehemaligen Aufnahmegemeinde und beim Roten Kreuz gearbeitet. Der Beschwerdeführer ist bemüht sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren und hat auch österreichische Freunde gefunden.

Ihre Ehemann ist arbeitswillig, wäre jedoch nicht in der Lage, das Lebensnotwendige durch Erwerbsarbeit in Afghanistan zu erwirtschaften, ebensowenig wie die Beschwerdeführerin. Er hat auch kein familiäres Unterstützungsnetz in Afghanistan.

Die Beschwerdeführerin ist nicht strafrechtlich verurteilt lt. Strafregisterauszug.

Beweis wurde erhoben durch Einvernahmen der Beschwerdeführerin

- durch Erstbefragung der Abteilung Femdenpolizei und Anhaltevollzug am 04.12.2015

- durch Einvernahme durch das BFA, Regionaldirektion Kärnten am 29.11.2017

- durch Befragung der Beschwerdeführerin, ihres Ehemanns und ihrer Söhne im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 22.01.2020 sowie durch Vorhalt des aktuellen Länderinformationsblattes zu Afghanistan (soweit verfahrensrelevant) durch das Bundesverwaltungsgericht.

2. Beweiswürdigung:

Dem Ehemann der Beschwerdeführerin wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

In Anbetracht der Gewährung von subsidiären Schutz im Familienverfahren war es nicht notwendig eigene Länderfeststellungen zu treffen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen.

Zu A):

1. Zu Spruchpunkt I.:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes [Statusrichtlinie] verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat. Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Beschwerdeführer außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Eingriffe in ihre vom Staat zu schützende Sphäre müssen in einem erkennbaren zeitlichen Zusammenhang zur Ausreise aus seinem Heimatland liegen. Die fluchtauslösende Verfolgungsgefahr bzw. Verfolgung muss daher aktuell sein (VwGH 26.06.1996, Zl. 96/20/0414). Die Verfolgungsgefahr muss nicht nur aktuell sein, sie muss auch im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen (VwGH 05.06.1996, Zl. 95/20/0194).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dass als Fluchtgründe unter dem Gesichtspunkt der Schwere des Eingriffes nur solche Maßnahmen in Betracht kommen, die einen weiteren Verbleib im Heimatland aus objektiver Sicht unerträglich erscheinen lassen (VwGH vom 16.09.1992, 92/01/0544, VwGH vom 07.10.2003, 92/01/1015, 93/01/0929, u.a.). Es sei weiters betont, dass die Glaubwürdigkeit des Vorbringens die zentrale Rolle für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylgewährung einnimmt (VwGH vom 20.06.1990, 90/01/0041).

Im vorliegenden Fall flüchtete die Beschwerdeführerin mit ihrem Ehemann in den Iran und lebte mit ihm etwa 21 Jahre dort. Ihre Kinder wurden im Iran geboren, gingen zur Schule und ihr Ehemann versorgte die Familie, die Beschwerdeführerin widmete sich dem Haushalt und ihrer Familie. Die Auslöser für die Flucht in den Iran lagen beim Ehemann der Beschwerdeführerin und waren nicht asylrelevant.

Etwaige unwürdige Behandlung im Iran ist nicht asylrelevant. Die Furcht vor Verfolgung in einem Land, das nicht das Heimatland ist, kann nämlich dadurch abgewendet werden, dass man den Schutz des Heimatlandes in Anspruch nimmt (VwGH 08.11.1989, 89/01/0338). Eine Abweisung eines Antrags auf Asyl ist nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn sich die vom Asylwerber konkret geschilderten, seine betreffenden Fluchtgründe nicht auf eine Bedrohung in seinem Herkunftsstaat beziehen, sodass insofern keine Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat behauptet wurde (VwGH 02.03.20016, 2004/20/020).

Auch das Bundesverwaltungsgericht konnte keine Anhaltspunkte für eine asylrelevante Gefährdung im Herkunftsstaat ableiten. Eine Verfolgung wegen einer westlichen Orientierung der Beschwerdeführerin konnte nicht festgestellt werden und sie hat diese vor dem Bundesverwaltungsgericht auch nicht ausreichend vorgebracht. Jedenfalls hat sie während ihres mehr als 4-jährigen Aufenthalts in Österreich keine Lebensweise angenommen, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten Werten in Afghanistan darstellen würde (siehe auch BVwG vom 17.02.2020, W137 2135766-1/32E), mögen auch auch gewisse Integrationsschritte gesetzt worden sein.

Für die Beschwerdeführerin war dementsprechend auch keine Furcht vor Verfolgung aus den Gründen, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannt sind, fassbar. Daher war der Beschwerdeführerin der Status des Asylberechtigten nicht zuzuerkennen und die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.

2. und 3. Zu Spruchpunkt II. und III.:

§ 34 Abs. 1 AsylG 2005 lautet:

Dem Asylwerber ist gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, "wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde". Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 zu verbinden (Abs. 2 leg. cit.).

§ 8 AsylG 2005 beschränkt den Prüfungsrahmen auf den "Herkunftsstaat" des Asylwerbers. Dies ist dahingehend zu verstehen, dass damit derjenige Staat zu bezeichnen ist, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist (VwGH 22.40.1999, 98/20/0561; 20.05.1999, 98/20/0300).

Nach der (zur Auslegung der Bestimmungen zum subsidiären Schutz anwendbaren) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 8 AsylG 1997 iVm § 57 FremdenG 1997 ist Voraussetzung einer positiven Entscheidung nach dieser Bestimmung, dass eine konkrete, den Asylwerber betreffende, aktuelle, durch staatliche Stellen zumindest gebilligte oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von dieser nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung vorliege. Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, eine positive Entscheidung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, 98/01/0122; 25.01.2001, 2001/20/0011).

"Stellt ein Familienangehöriger (§ 2 Z 22) von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist; einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder einem Asylwerber einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes."

Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 122/2009 hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3); die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7 AsylG 2005).

Familienangehörige sind gemäß § 2 Z 22 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 135/2009, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

Bei dem Begriff "Familienleben im Sinne des Art. 8 MRK" handelt es sich nach gefestigter Ansicht der Konventionsorgane um einen autonomen Rechtsbegriff der Konvention (vgl. EGMR, Urteil v. 13.6.1997, Fall MARCKX, Ser. A, VOL. 31, Seite 14, § 31).

Nach dem oben zitierten EGMR-Urteil sind sowohl die Beziehungen der Eltern untereinander, als auch jeweils jene zu den Kindern durch Art. 8 MRK geschützte familiäre Bande. Bei einer diesbezüglichen Familie ergeben sich die von der MRK-Rechtsprechung zusätzlich geforderten engen Bindungen der Familienmitglieder untereinander aus ihrem alltäglichen Zusammenleben, gemeinsamer Sorge und Verantwortung füreinander, sowie finanzieller und anderer Abhängigkeit.

Die Unmöglichkeit der Fortsetzung des Familienlebens in einem anderen Staat wird in der Regel dann gegeben sein, wenn kein anderer Staat ersichtlich ist, der dem Asylberechtigten und seinem Angehörigen Asyl oder eine dem Asylrecht entsprechende dauernde Aufenthaltsberechtigung gewährt.

Mit ihrem Ehemann führt die Beschwerdeführerin ein Familienleben. Sie und ihr Ehemann sind Familienangehörige gemäß § 2 Z 22 AsylG 2005. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte, wonach der Beschwerdeführerin ein Familienleben getrennt von ihrem Mann in einem anderen Staat zumutbar ist oder möglich wäre.

Die Beschwerdeführerin wäre zweifelsohne nicht in der Lage das Überlebensnotwendige in Afghanistan zu erwirtschaften, ebensowenig wie ihr Ehemann, da sie über ein tragfähiges soziales Netzwerk in Afghanistan nicht verfügt.

Die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann würden vor dem Hintergrund der dargelegten Erkenntnisquellen unter Berücksichtigung der sie betreffenden individuellen Umstände bei einer Rückkehr nach Afghanistan die reale Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung drohen, wobei eine innerstaatliche Fluchtalternative aus den dargelegten Erwägungen nicht in Betracht kommt, zumal er dort kein normales Leben ohne unangemessene Härten führen kann (VwGH vom 23.01.2018, Ra 2018/18/001).

Es ist damit dargetan, dass ihre Abschiebung eine Verletzung in ihren Rechten nach Art. 3 EMRK darstellen würde (siehe auch BVwG vom 04.09.2019, Zahl: W246 2183379-1/11E und mündlich verkündetes Erkenntnis des BVwG vom 24.06.2019, W252 2155351-1/E.

Ausschlussgründe nach § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil sie einerseits nicht hervorgekommen sind (§ 9 Abs. 2 Z 1 und 2 AsylG 2005) und der BF andererseits unbescholten ist (Z 3 leg.cit.).

Der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides war stattzugeben, da dem Ehemann der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt wurde. Dementsprechend ist der Beschwerdeführerin, gemäß § 34 AsylG wie oben bereits ausgeführt, der Status eines subsidiär Schutzberechtigten, gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005, in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen.

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 war der Beschwerdeführerin daher auch eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter in der Dauer von einem Jahr zu erteilen.

4. Behebung Spruchpunkte IV. bis VI. des angefochtenen Bescheides:

Auf Grund der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten waren die Spruchpunkte IV. - VI. des angefochtenen Bescheides- gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG (vgl. VwGH vom 04.08.2016, Ra 2016/21/0162) - ersatzlos zu beheben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

befristete Aufenthaltsberechtigung Familienverfahren Glaubhaftmachung Herkunftsstaat mangelnde Asylrelevanz subsidiärer Schutz Verfolgungsgefahr westliche Orientierung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W159.2182915.1.00

Im RIS seit

28.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

28.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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