TE Bvwg Erkenntnis 2020/3/5 W279 2215026-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.03.2020
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Entscheidungsdatum

05.03.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W279 2215026-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX 2000, StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .01.2019, Zahl XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 08.01.2020, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (BF), ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach schlepperunterstützt unberechtigter Einreise am XXXX .10.2015 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Bei der Erstbefragung am Tag der Antragstellung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer an, er sei zwei Jahre lang zu Hause unterrichtet worden und vor seiner Ausreise als Hilfsarbeiter tätig gewesen. Seine Eltern, vier Brüder sowie zwei Schwestern würden nach wie vor in Afghanistan wohnen. In Österreich seien keine Angehörigen des BF aufhältig. Zu seinem Fluchtgrund führte der BF aus, dass die Taliban seine drei Onkel und seinen Großvater getötet hätten und die restlichen Familienmitglieder aufgefordert hätten, für sie zu kämpfen.

Nach Zulassung seines Verfahrens erfolgte am XXXX .10.2018 eine niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BF). Der Beschwerdeführer gab eingangs an, dass er Herzprobleme habe, aber keine Medikamente einnehme. Bei einer Untersuchung seien keine bestimmten gesundheitlichen Beschwerden festgestellt worden. Im Zuge der Erstbefragung habe der BF die iranische Dolmetscherin nicht gut verstanden.

Zu seinen persönlichen Daten befragt, gab der BF zu Protokoll, dass er aus einem Dorf in der Provinz Kunduz stamme und nach einem zweijährigen Schulbesuch als Hilfsarbeiter tätig gewesen sei. An das genaue Datum seiner Ausreise könne er sich nicht erinnern. Vor seiner Einreise in Europa habe er in einem Hotel in der Stadt Kunduz gewohnt und als Reinigungskraft gearbeitet. Die finanzielle Situation seiner Familie sei schlecht gewesen. Auf Nachfrage, wieso er aus Kunduz ausgereist sei, erklärte der BF, dass er krumme Geschäfte für einen Kommandanten erledigen hätte sollen und seinen Vater darüber informiert habe, der für ihn ein Flugticket organisiert und seine Flucht geplant habe. Befragt, an wen er sich in ihrer Heimat gewendet habe, wenn er im Heimatland Probleme gehabt hätte, entgegnete der BF, dass normalerweise die afghanische Armee zuständig sei, die Taliban aber auch immer wieder zu seiner Familie komme. Der BF habe in Afghanistan keine familiären Anknüpfungspunkte mehr, da seine Familie nunmehr im Iran aufhältig sei. Er habe in Österreich eine Freundin und einen jüngeren Bruder sowie einen Onkel. Die Fragen, ob er Strafrechtsdelikte begangen habe, in der Heimat von der Polizei, der Staatsanwaltschaft, einem Gericht oder einer sonstigen Behörde gesucht werde, bereits verhaftet worden sei, jemals Probleme mit den Behörden gehabt habe oder wegen seiner politischen Gesinnung, Religion oder Rasse verfolgt worden sei, wurden allesamt verneint.

Zum Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, dass sich sein Gebiet unter Kontrolle der Taliban befinde. Eines Tages seien die Taliban in seine Dorfmoschee gekommen und hätten alle Familien aufgefordert, einen ihrer Söhne in den Krieg zu schicken und hätten einige der Jugendliche entführt. Sowohl sein Bruder als auch sein Vater seien von diesen mitgenommen worden und ein Hirte habe seinen Vater außerhalb des Dorfes verletzt vorgefunden. Der Bruder des BF sei nach einem ihm gewährtem Heimaturlaub nicht mehr zu den Taliban zurückgekehrt, weshalb sie den Vater des BF wiederum die Einberufung eines weiteren Sohnes angedroht hätten, was den BF selbst betreffen würde. In weiterer Folge sei er von seiner Mutter zu einem Freund seines Vaters gebracht worden, bei dem er als Reinigungskraft in einem Restaurant tätig sein habe können. Eines Tages habe ein als Gast anwesender Kommandant das Angebot unterbreitet, bei ihm in einem Autohaus zu arbeiten und mehr Geld zu verdienen. Eines Abends habe ihn der Kommandant gebeten, in seinem Haus zu übernachten und habe ihn zudem auch gebeten, ihn zu einer Party zu begleiten. Nachdem er einen Joint sowie etwas zu trinken bekommen habe, sei der BF am nächsten Tag in einem versperrten Raum aufgewacht und der Kommandant habe ihm mit einer Pistole erklärt, dass er für ihn auf Veranstaltungen tanzen müsse. Auf einer Party in Kunduz habe er unter dem Vorwand, sich umzuziehen, in ein nahegelegenes Dorf fliehen können und seinen Vater über den Dorfältesten verständigen können, der in weiterer Folge den Kommandanten bei der Polizei anzeigen habe wollen. Da dieser jedoch ein einflussreicher und mächtiger Mann sei, habe keiner diese Anzeige aufnehmen wollen. Der erwähnte Kommandant habe überdies auch seine Familie bedroht und falsche Anschuldigungen gegen den BF verbreitet, weshalb von seinem Vater bereits seine Ausreise vorbereitet worden sei. Die Frage, ob er sein Vorbringen mit Beweismitteln untermauern könne, wurde vom BF verneint. Sein Vater und der besagte Freund hätten sich aufgrund der geschilderten Probleme zwar an örtliche Behörden gewandt, das Anliegen sei jedoch nicht ernst genommen worden. Der BF selbst habe sich vor der Rache des Kommandanten gefürchtet, weshalb er sich selbst nicht an staatliche Institutionen gewandt habe. Auf Aufforderung, den Tanz zu beschreiben, gab der BF zu Protokoll, dass afghanische Instrumente gespielt worden seien und er weiße afghanische Kleidung angezogen habe. Er sei lediglich ein einziges Mal zu einer Tanzaufführung gezwungen worden, sei jedoch an drei weiteren Partyabenden anwesend gewesen, die von Kommandanten organisiert worden seien. Nachgefragt, wieso er nicht gleich geflohen sei, als er erkannt habe, tanzen zu müssen, entgegnete der BF, dass es ihm nicht möglich gewesen sei, da er in einem versperrtem Raum gewesen sei. Auf Nachfrage, wieso er seinen Vater nicht sofort informiert habe, dass er an Veranstaltungen teilnehmen müsse, entgegnete der BF, dass er kein eigenes Handy gehabt habe. Da sein Vater auch kein Telefon besessen habe, habe er ihn nur über den Dorfältesten verständigen können. Zur Frage, für wen der Kommandant gearbeitet habe, erwiderte der BF, dass er früher für eine staatliche Behörde gearbeitet habe. Nachgefragt, wann er den Entschluss gefasst habe, Afghanistan zu verlassen, erklärte der BF, dass sein Vater den Entschluss vor dreieinhalb Jahren gefasst habe. Befragt, ob es einen konkreten Vorfall gegeben habe, wieso er sein Elternhaus verlassen habe, erwiderte der BF, dass die Taliban lediglich seinen Bruder mitgenommen hätten. Auf Nachfrage, ob es gegen seine Familie wegen ihm eine Bedrohung gegeben habe, entgegnete der BF, dass diese nur nach dem BF gefragt hätten, da sein Bruder bereits geflohen sei. Befragt, ob es eine konkrete Bedrohung seiner Familie wegen ihm selbst gegeben habe, erklärte der BF, dass die Taliban nur nach ihnen gefragt habe. Auf Vorhalt, ob es in Kunduz einen Vorfall mit den Taliban gegeben habe, entgegnete der BF, dass er sich die gesamte Zeit im Hotel aufgehalten habe. Zum weiteren Vorhalt, wieso er sich nicht in einer anderen Provinz niedergelassen habe, erklärte der BF, dass er damals erst 15 Jahre alt gewesen sei. Zur Frage, was der ausschlaggebende Moment für die Flucht gewesen sei, entgegnete der BF, dass ihn der erwähnte Kommandant überall gefunden hätte. Vorgehalten, dass er in der Erstbefragung angegeben habe, dass er befürchten würde, für die Taliban zu kämpfen, brachte der BF vor, dass ihm von der Dolmetscherin geraten worden sei, diese Angabe zu machen. Die Frage, ob er jemals Kontakt mit den Taliban gehabt habe, wurde vom BF verneint. Der BF sei aufgrund finanzieller Probleme zuvor bereits einmal mit seiner Familie aus Afghanistan geflohen und aus dem Iran wieder nach Afghanistan abgeschoben worden.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, gab der BF an, dass er von der Grundversorgung lebe und im Bundesgebiet den Hauptschulabschluss ablegen wolle. Seine Freundin habe der BF bereits vor über einem Jahr kennengelernt, sei jedoch erst vor drei Wochen mit dieser zusammengekommen.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurde vom BF eine Tazkira vorgelegt.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für seine freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Die Behörde stellte beweiswürdigend fest, dass die Angaben des BF in Gesamtbetrachtung und vor allem in Hinblick auf die angebliche Bedrohung sehr vage und keinesfalls nachvollziehbar oder belegbar gewesen seien. Seine selbstständige Darstellung dieser Ereignisse hätten sich grundlegend widersprochen und in wenig Eckpunkten erschöpft. Den Angaben des BF habe jegliche genaue Schilderung gefehlt und lediglich stereotype Antworten gegeben. Nachvollziehbare Details oder genaue Umstände zu einer Verfolgung seien nicht ansatzweise vorhanden gewesen, da in den Angaben auch jegliche persönliche Komponente gefehlt habe und das Vorbringen detail-und emotionslos geschildert worden sei. Bei dem Vorbringen des BF in der Einvernahme vor dem BFA handle es sich daher, verglichen mit dem der Erstbefragung um ein gesteigertes Vorbringen. In seiner Erstbefragung sei sein erstgenannter Grund für seine Flucht aus Afghanistan seine Furcht vor den Taliban gewesen und er habe die Angaben bezüglich der später vorgebrachten Probleme sowie seinen Einsatz als Tanzjunge nicht genannt. Für das BFA seien die genannten Widersprüche erste Indizien, dass keine Verfolgung seiner Person vorliege, da die Fluchtgründe gesteigert worden seien, um den Asylstatus zu erlangen. Vor dem BFA habe der BF eine konkrete, persönliche Bedrohung nicht ausreichend und detailliert zu Protokoll gegeben und habe nachgefragt erklärend angegeben, dass er nie einen Kontakt zu den Taliban gehabt habe und nur auf Anraten einer Dolmetscherin diesen Fluchtgrund vorgebracht habe. Diese Ausführung erscheine der Behörde vor allem deshalb nicht glaubhaft, weil er am Anfang der Niederschrift auch angegeben habe, dass er bisher immer die Wahrheit gesagt habe, aber gleichzeitig angegeben habe, die Dolmetscherin nicht gut verstanden zu haben. Die Behörde verkenne nicht, dass die Faktoren jugendliches Alter, eine allfällige Unreife sowie Bildung zu seinen Angaben zu berücksichtigen seien. Ebenso zu berücksichtigen sei, dass zwischen Einreise und Einvernahme vor der Behörde fast drei Jahre vergangen seien. Auch über die angebliche Bedrohung des Kommandanten mit der Pistole sei allgemein, emotionslos und ohne weitere Details berichtet worden. Aufgrund seinen schwammigen Schilderungen könne nicht davon ausgegangen worden, dass der BF Derartiges tatsächlich erlebt habe. Laut Anfragebeantwortung sei zu entnehmen, dass Buben an dem Alter von 10 Jahren oft mit Versprechen von ihren Familien fortgelockt werden würden, zu Tänzern ausgebildet und genötigt werden würden, vor Gruppen von Männern zu tanzen. Bei solchen Veranstaltungen könne es zu sexuellem Missbrauch kommen. Der BF sei, als er zu diesen Diensten genötigt worden sei, 15 Jahre alt gewesen und habe bereits damals einen gut entwickelten Bartwuchs besessen und somit sei dieser eigentlich nicht mehr als Tanzjunge interessant gewesen. Bei der Einvernahme habe der BF bereits einen Vollbart besessen, weshalb er-wenn überhaupt-als Tänzer und nicht als Tanzjunge einzustufen sei. Festzuhalten sei, dass die Verfolgungsgründe des BF weder beweisen noch belegt worden seien. Daher sei zur Beurteilung, ob die Verfolgungsgründe als glaubhaft gemacht anzusehen seien, auf die persönliche Glaubwürdigkeit und sein Vorbringen zu den Fluchtgründen abzustellen. Das BFA habe die vorgebrachte Fluchtgründe aufgrund vager und widersprüchlicher Angaben als nicht glaubhaft gewertet, womit eine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan nicht festzustellen gewesen sei und ihm somit der Status als Asylberechtigter zuzuerkennen gewesen sei.

4. Gegen diesen Bescheid brachte der Beschwerdeführer durch seine nunmehrige Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom XXXX .02.2019 eingelangt, fristgerecht Beschwerde ein. Begründend wurde vorgebracht, dass die belangte Behörde lediglich sehr allgemein gehaltene Länderberichte vorlege, die zu einem Großteil nichts mit dem Vorbringen bzw. der Situation des BF zu tun hätten. Es seien von "Bacha Bazi" keineswegs bloß Minderjährige betroffen. Bei einer hypothetischen Rückkehr bestehe Verfolgungsgefahr des BF wegen seiner Vergangenheit, da er einerseits als Teil einer sozialen Gruppe von Jungen und Männern, die als "Lustknaben" charakterisiert werden würden, mit großer Wahrscheinlichkeit erneut dazu gezwungen, sexuelle Handlungen mit seinen ehemaligen Tätern vornehmen zu müssen. Die Behörde hätte jedenfalls weitere Ermittlungen durchführen müssen bzw. die Länderfeststellungen um Berichte ergänzen müssen, um die Situation abschließend beurteilen zu können. Die Würdigung der belangten Behörde sei unrichtig und sie habe das Verfahren durch die Unterlassung von weiteren Ermittlungen mit Rechtswidrigkeit belastet. Den Ausführungen der belangten Behörde, dass der BF mit 19 Jahren nicht mehr als Tanzjunge interessant sei, würden zahlreiche Berichte widersprechen. Der BF verfüge über keine Familie in Afghanistan und es sei eine reine Mutmaßung, dass ihn seine Familie, welche in den Iran gefürchtet sei, finanziell unterstützen könnte, da die belangte Behörde die finanzielle Situation der illegal lebenden Familienmitglieder überhaupt nicht kenne. Die Begründung der Möglichkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative sei von der belangten Behörde nicht ausreichend begründet und nur oberflächlich gewürdigt worden. Soweit dem BF Verfolgung durch regierungsfeindliche Kräfte oder Dritte drohe, könne er daher auch nicht auf die Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit des afghanischen Staates bauen. Aus den Länderfeststellungen ergebe sich auch, dass sofern überhaupt gegen die Praxis des "Bacha Bazi" vorgegangen werde, es dann zumeist die "Tanzjungen" treffe, welche verhaftet und beschuldigt werden würden, außerehelichen Geschlechtsverkehr geplant zu haben. Diese Prüfung habe die belangte Behörde unterlassen bzw. würden die zwingenden Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht vorliegen. Der Spruchpunkt I sei somit aufgrund von erheblichen Verfahrensfehlern und Begründungsmängel erlassen worden und sei daher unzulässig. Eine Prüfung und Bewertung der Frage eines tatsächlichen und effizienten Schutzes im Heimatstaat finde im angefochtenen Bescheid ebenfalls nicht statt. Beantragt wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

5. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 08.01.2020 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen persönlichen Umständen und zu seinen Fluchtgründen befragt wurde.

Auf Aufforderung, seinen Lebenslauf schildern, führte der BF aus, dass er in der Provinz Kunduz im Norden Afghanistans geboren und aufgewachsen sei. Er sei gemeinsam mit seinem Vater als Landwirt tätig gewesen, Wassermelonen, Obst und Gemüse angebaut und habe keine offizielle Schule besucht. Befragt, weshalb er das Land verlassen habe, entgegnete der BF, dass er zuerst Probleme mit den Taliban bekommen habe und in die Stadt ziehen habe müssen. In weiterer Folge habe er jedoch weitere Probleme mit einem Kommandanten gehabt, weshalb ihm sein Vater die Ausreise nahegelegt habe.

Die Taliban seien in sein Heimatdorf gekommen und hätten von Jugendlichen verlangt, die Moschee zu besuchen, um dort ausgebildet zu werden und auf den Jihad vorbereitet zu werden. Nach einiger Zeit hätten sie seinen älteren Bruder gemeinsam mit anderen jungen Leuten aus dem Dorf rekrutiert und zwei Monate später seinen Vater mitgenommen. Einige Tage später habe ein Hirte den Vater des BF schwerverletzt in unmittelbarer Nähe des Dorfes aufgefunden und nach Hause gebracht. Danach habe die Familie erfahren, dass sich sein Bruder freigenommen habe, dieser sei jedoch weder nach Hause gekommen noch nach Ablauf des Urlaubs zu den Taliban zurückgekehrt. Sein Verbleib sei nach wie vor unbekannt. Aus diesem Grund hätten die Taliban der Familie des BF ein Ultimatum gestellt, entweder den erwähnten Bruder des BF zurückzubringen oder an seiner Stelle den BF selbst als Rekrut zur Verfügung zu stellen. Da die Eltern des BF gegen den Vorschlag gewesen seien, dass sich der BF den Taliban anschließe, hätten sie ihn zu einem Freund des Vaters, der in Kunduz ein Hotel besitze, geschickt und er sei dort auf Bitten seiner Mutter als Reinigungskraft angestellt worden. Einige Zeit später habe der BF einen Kommandanten im Hotel kennengelernt, der ihm ein Jobangebot unterbreitet und ihm eine bessere Entlohnung in Aussicht gestellt habe. Auf Nachfrage habe ihm der Kommandant erklärt, dass er ein Autohändler sei und der BF als Aushilfskraft tätig sein werde. Überdies habe der Mann vorgeschlagen, dass er bei ihm wohnen könne und ihn zu einer Abendveranstaltung mitgenommen, für die er dem BF eine afghanische Tracht anfertigen habe lassen. Auf diesen Partys hätten den BF die schlechte Atmosphäre und die anwesenden Gäste irritiert, der Kommandant habe ihn jedoch dazu gezwungen, diesen Veranstaltungen auch weiterhin beizuwohnen. Im Zuge des vorletzten Events habe ihm der Kommandant ein Glas mit einer ihm nicht bekannten Substanz verabreicht, der seinen Zustand erheblich beeinträchtigt habe. Nachdem ihm anschließend Cannabis angeboten worden sei, habe er die Erinnerung an diesen Abend verloren und sei am nächsten Tag in einem versperrtem Raum aufgewacht. Der BF habe an die Zimmertür geklopft und nach dem Kommandanten gefragt, unbekannte Personen hätten ihm jedoch erklärt, dass dieser gerade nicht anwesend sei. Nach dessen Rückkehr habe ihm der BF mitgeteilt, dass er an solchen fragwürdigen Partys nicht mehr teilnehmen wolle, was den Kommandanten jedoch verärgert habe und dieser eine Pistole auf den BF gerichtet habe. Einige Tage später habe der BF den Kommandanten erneut zu einer Veranstaltung begleitet, im Zuge derer sich der BF unter einem Vorwand wieder zum Auto begeben habe können. Da er dort niemanden angetroffen habe, sei er in weiterer Folge über eine Mauer gesprungen und in ein Dorf gelangt sei. Dort angekommen habe er an mehrere Türen geklopft und ein alter Mann habe ihn ins Haus gelassen. Zuerst habe dieser gedacht, dass der BF vor den Taliban geflohen sei, was der BF jedoch am nächsten Tag aufgeklärt habe, indem er ihm die Nummer des Dorfältesten überreicht habe. Wenig später sei sein Vater zur Familie gekommen, die den BF aufgenommen habe und den BF gerügt, dass er ohne Erlaubnis bei einem unbekannten Mann gearbeitet habe. Der Vater des BF habe beschlossen, den Kommandanten anzuzeigen. Da es sich bei diesem jedoch um einen mächtigen und einflussreichen Mann gehandelt habe, sei niemand bereit gewesen, die Anzeige anzunehmen, weshalb der BF zur Ausreise aufgefordert worden sei. Die Frage, ob sich das gesamte Geschehen rund um seine Verfolgung in der Provinz Kunduz ereignet habe, entgegnete der BF, wurde vom BF bejaht. Auf Nachfrage, ob er in Kontakt mit seinen Brüdern und Eltern stehe, replizierte der BF, dass er zu seinem älteren Bruder keinen Kontakt mehr habe. Er stehe jedoch zu seinen in Wien aufhältigen Bruder sowie seinen im Iran wohnhaften Brüdern und Eltern in Kontakt. Der BF sei in keiner Lebensgemeinschaft und habe bereits österreichische Freunde.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, gab der BF an, dass er Übersetzungstätigkeiten vornehme und bereits Freunde gefunden habe. Er beziehe Leistungen aus der Grundversorgung und habe bereits einen Deutschkurs auf dem Niveau A2 abgeschlossen.

Befragt, wie sein Leben in Afghanistan aussehen würde, brachte der BF vor, dass es dort keine Menschenrechte gebe und die Situation insgesamt schlecht sei. Zum Vorhalt, dass junge sowie arbeitsfähige Männer in größeren Städten Afghanistans leben könnten, erklärte der BF, dass der Kommandant über ein großes Netzwerk verfüge und den BF ausfindig machen könnte. Eine Rückkehr in größere Städte würde für ihn daher auch eine massive Gefährdung bedeuten. Nachgefragt, wieso er davon ausgehe, dass der Kommandant nach wie vor nach ihm suche, gab der BF an, dass er die Anschuldigungen leugne und dem BF Diebstahl unterstelle. Nur durch eine Vermittlung des Dorfältesten habe er von weiteren Drohungen gegen seine Familie abgesehen.

Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden vom BF drei Kursbesuchsbestätigungen vom XXXX .11.2017, XXXX .11.2017 sowie vom XXXX .01.2018 über die Teilnahme am Basisbildungskurs "Brückenkurs" der XXXX Volkshochschulen, eine Teilnahmebestätigung der XXXX Volkshochschulen über den Besuch des Kurses "Brückenkurs XXXX " vom XXXX .09.2017 bis XXXX .12.2017, ein Nachweis vom XXXX .12.2019 über das freiwillige Engagement für die Caritas vom XXXX .07.2019 bis zum XXXX .10.2019 und eine Schulbesuchsbestätigung einer Schule für Sozialbetreuungsberufe vom XXXX .07.2019 in Vorlage gebracht.

In einer Stellungnahme vom XXXX .01.2020 wurde vom bevollmächtigten Rechtsvertreter des BF ausgeführt, dass die gesamte Familie des BF Afghanistan bereits verlassen habe und im Iran lebe. Der jüngere Bruder des BF sowie sein Onkel würden in Wien leben und Asylstatus haben. Eine Neuansiedelung in den Großstädten Afghanistans sei mit erheblichen Schwierigkeiten bei der Arbeits-und Wohnsuche verbunden und sei nicht zumutbar. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe für den BF daher nicht. Ferner lebe der BF bereits seit über vier Jahren in Österreich und habe sich gut integriert, weshalb ihm eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen sei. Der Stellungnahme wurden mehrere Unterstützungsschreiben sowie ein Model-Release Vertrag vom XXXX .08.2018 und eine Tazkira des BF angeschlossen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und ist Muslim sunnitischer Ausrichtung. Er stammt aus einem Dorf in der Provinz Kunduz, hat vier Brüder sowie zwei Schwestern und war nach einem zweijährigen Grundschulbesuch als Feldarbeiter in der Landwirtschaft tätig. Die Eltern und zwei jüngeren Brüder sind im Iran wohnhaft und der BF steht mit diesen in regelmäßigen Kontakt. Einer seiner Brüder ist in Österreich wohnhaft.

Es ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter bedroht wäre.

Dem Verfahren wird nicht zugrunde gelegt, dass dem Beschwerdeführer wegen seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tadschiken Verfolgung in Afghanistan droht.

Es wird zugrunde gelegt, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Kunduz in Afghanistan ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung außerhalb seiner Heimatprovinz, insbesondere in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif, besteht für den Beschwerdeführer als alleinstehenden, gesunden leistungsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine solche Bedrohungssituation und liefe der Beschwerdeführer auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Der Beschwerdeführer ist seit seiner Antragstellung im Oktober 2015 durchgehend ausschließlich nur auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts während des Asylverfahrens rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Der Beschwerdeführer bestreitet seinen Lebensunterhalt ausschließlich aus Mitteln der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer hat an Bildungsangeboten der XXXX Volkshochschule teilgenommen, besuchte 2019 eine Schule für Sozialbetreuungsberufe und verrichtete freiwillige Hilfstätigkeiten für die Caritas. Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über familiäre Anknüpfungspunkte in Form eines Bruders. Wechselseitige Abhängigkeiten zwischen dem BF und dem erwähnten Verwandten bestehen jedoch nicht. Das Vorliegen einer insgesamt besonders berücksichtigungswürdigen Integration in Österreich kann in casu nicht festgestellt werden.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Es wird dem Verfahren nicht zugrunde gelegt, dass dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund einer Bedrohung durch einen Kommandanten oder die Taliban konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt droht.

Insbesondere droht dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine Gefahr als Tanzjunge (Bacha Bazi) missbraucht zu werden.

Es wird weiters dem Verfahren nicht zugrunde gelegt, dass der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat einer individuellen gegen ihn gerichteten Verfolgung ausgesetzt war oder im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer solchen ausgesetzt wäre. Überdies konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer ohne Hinzutreten weiterer wesentlicher individueller Merkmale mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder (von staatlichen Organen geduldet) durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit (Tadschike), Nationalität (Afghanistan), Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Familie) oder politischen Gesinnung zu erwarten hätte.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Im Falle der Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch einen Kommandanten noch aufgrund einer vorangegangenen Tätigkeit als Bacha Bazi.

Darüber hinaus gilt der Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass er sich in Europa aufgehalten hat, in Afghanistan nicht als westlich orientiert. Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan aufgrund seines Aufenthaltes in Europa keiner psychischen und/oder physischen Gewalt ausgesetzt.

Es kann weiters nicht festgestellt werden und es ist nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer bei einer allfälligen Rückkehr nach insbesondere Herat oder Mazar-e Sharif mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer ihn konkret betreffenden asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein würde, bzw. in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Niederlassung insbesondere in den Städten Herat oder in Masar -e Sharif, besteht für den Beschwerdeführer als jungen gesunden und arbeitsfähigen Mann im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf, keine berücksichtigungswürdige Bedrohungssituation, bzw. läuft dieser dort auch nicht in Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Die Städte Mazar-e Sharif und Herat sind von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug über internationale Flughäfen zu erreichen.

Das BFA hat ein insgesamt mängelfreies Verfahren durchgeführt. Die belangte Behörde ist im gegenständlichen Verfahren ihrer Ermittlungspflicht durch die Vornahme einer detaillierten Befragung nachgekommen und dem angefochtenen Bescheid ist ein im vorliegenden Verwaltungsakt dokumentiert umfassendes Ermittlungsverfahren vorangegangen. Der Sachverhalt wurde bereits unter schlüssiger Beweiswürdigung des Bundesamtes festgestellt und rechtlich korrekt durch das BFA gewürdigt.

In der Beschwerde konnten glaubhaft keine wesentlichen, bzw. verfahrensrelevant neuen Sachverhaltselemente glaubhaft bzw. substantiiert begründet dargelegt werden, welche geeignet wären, die von der belangten Behörde getroffenen Entscheidungen grundlegend in Frage zu stellen.

Das Bestehen von besonderen Gründen, die für ein Verbleiben des BF im Bundesgebiet sprechen, sind dem vorliegenden Verwaltungsakt nicht zu entnehmen.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Politische Ereignisse: Friedensgespräche. Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung. Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban. Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi. die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments. Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete. die Taliban hätten kein Interesse daran. Teil der aktuellen Regierung zu sein. und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel. einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an. betonte aber dennoch. dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen. um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil. was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen. das für Mitte April 2019 in Katar geplant war. zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban

beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der

Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019). Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (20.5.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (6.5.2019): Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail

- BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (13.2.2019): Kabul Police Districts Map, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf

- Heise (16.5.2019): Afghanistan: Wie viel Macht hat der Präsident?,

https://www.heise.de/tp/features/Afghanistan-Wie-viel-Macht-hat-der-Praesident-

4422023.html, Zugriff 3.6.2019

- IEC - Independent Electoral Commission via Facebook (14.5.2019): Press

Declaration 24/2/1398,

https://www.facebook.com/AfghanistanIEC/posts/2361637283896572? tn =-R,

Zugriff 4.6.2019

- IEC - Independent Electoral Commission (15.5.2019): Kabul - Wolesi Jirga Final Results, http://www.iec.org.af/results/en/home/finalresult_by_province/1/2. Zugriff

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- LWJ - Long War Journal (2.6.2019): Islamic State bombs bus, security personnel in western Kabul, https://www.longwarjournal.org/archives/2019/06/islamic-state-bombs- bus-security-personnel-in-western-kabul.php. Zugriff 3.6.2019

- Newsweek (21.5.2019): Russia Spy Chief warns 5,000 ISIS Foreign Fighters

Threaten Borders of Former Soviet Union, https://www.newsweek.com/russia-spy- chief-warns-5000-isis-foreign-fighters-threaten-borders-former-1431576. Zugriff

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- Tolonews (3.6.2019): Five Killed As Explosion Targets Govt Employees Bus In Kabul,

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- Tolonews (31.5.2019a): Taliban Wants An ,Inclusive Post-Peace Govt',

https://www.tolonews.com/afghanistan/taliban-wants-inclusive-post-peace-govt.

Zugriff 3.6.2019

- Tolonews (31.5.2019b): Concerns Mount Over Sharp Increase In Attacks In Kabul, https://www.tolonews.com/afghanistan/concerns-mount-over-sharp-increase-attacks-

%C2%A0kabul, Zugriff 3.6.2019

- Tolonews (31.5.2019c): Heavy Explosion Rocks Kabul; 4 Civilians Killed,

https://www.tolonews.com/afghanistan/heavv-explosion-rocks-kabul. Zugriff 3.6.2019

- Tolonews (27.5.2019a): Seven Members Of One Family Murdered in Kabul,

https://www.tolonews.com/afghanistan/seven-members-one-family-murdered-kabul.

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- TW - The Week (2.6.2019): Afghan officials: 3 bomb blasts in capital, 1 killed, https:// www.theweek.in/news/world/2019/06/02/afghan-officials-3-bomb-blasts-in-capital-1-

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- UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (24.4.2019): Quarterly Report on the Protection of Civilians in Armed Conflict: 1 January to 31 March 2019, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_protection_of_civilians_in_ar

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VOA - Voice of America (21.5.2019): Islamic State in Afghanistan Growing Bigger, More Dangerous, https://www.voanews.com/a/islamic-state-in-afghanistan-growing- bigger-more-dangerous/4927406.html. Zugriff 4.6.2019

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter

Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen,

konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer; 1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und

Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer

wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNAMA 24.2.2019).

Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen

Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4% gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück (UNAMA 24.2.2019).

Die verbleibenden 13% der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10%), durch Beschuss aus Pakistan (1%) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht (UNAMA 24.2.2019).

- BFA Staatendokumentation (20.02.2019a): kartografische Darstellung der

sicherheitsrelevanten Vorfälle Jänner-Dezember 2018, liegt im Archiv der Staatendokumentation vor

- BFA Staatendokumentation (20.02.2019b): grafische Darstellung der

sicherheitsrelevanten Vorfälle Q1 bis Q4, liegt im Archiv der Staatendokumentation vor

- SIGAR - Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (30.1.2019): Quarterly Report to the United States Congress, https://www.sigar.mil/pdf/quarterlyreports/2019-01-30qr.pdf. Zugriff 20.2.2019

- UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (24.2.2019): Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict, Annual report 2018, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/afghanistan_protection_of_civilians_a

nnual_report_2018_final_24_feb_2019_v3.pdf. Zugriff 25.2.2019

- UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (11.2018): Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict, Special report: 2018 elections violence, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/special_report_on_2018_elections_vi

olence_november_2018.pdf. Zugriff 20.2.2019

- UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (10.10.2018): Quarterly report on the protection of civilians in armed conflict: 1 January to 30 September 2018,

https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_protection_of_civilians_in_ar

med_conflict_3rd_quarter_report_2018_10_oct.pdf. Zugriff 20.2.2019

- UNGASC - United Nations General Assembly Security Council (7.12.2018): The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security, Report of the Secretary General, https://undocs.org/S/2018/1092. Zugriff 20.2.2019

Am Samstag dem 26.1.2019 endete die sechstägige Friedensgesprächsrunde in Doha, Katar, zwischen dem U.S.-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad und den Taliban-Vertretern (DP 28.1.2019; vgl. NYT 28.1.2019, CNN 27.1.2019, Tolonews 28.1.2019). Quellen zufolge wurde ein erster Vertragsentwurf ausgehandelt, wonach sich die Taliban dazu verpflichten würden, ausländische Terrororganisationen von Afghanistan fernzuhalten, und die USA würden im Gegenzug dazu ihren Truppenabzug aus Afghanistan innerhalb von 18 Monaten garantieren. Dieser sei jedoch an weitere Bedingungen gebunden, die noch genau besprochen werden müssen, wie die Ausrufung eines Waffenstillstands zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung sowie die Forderung von direkten Gesprächen zwischen diesen beiden Akteuren (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, FP 29.1.2019). Inoffiziellen Quellen zufolge wurde bei den Gesprächen u.a. die Schaffung einer Interimsregierung, in der auch die Taliban vertreten sein sollen, angedacht, was jedoch von Khalilzad dementiert wurde (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019). Die nächste Friedensgesprächsrunde wird voraussichtlich Ende Februar 2019 stattfinden (NYT 28.1.2019; FP 29.1.2019). Der afghanische Präsident Ashraf Ghani äußerte während einer Fernsehansprache am 28.1.2019 sein Unbehagen bzgl. eines voreiligen Abzugs der U.S.- Truppen aus Afghanistan und erinnerte an die dramatischen Auswirkungen des sowjetischen Abzuges Ende der 1980er Jahre, dem Anarchie und die Ermordung des ehemaligen Präsidenten Mohammad Najibullah folgten (NYT 28.1.2019). Ghani, der die Taliban mehrmals dazu aufgefordert hatte, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln, zeigte sich des Weiteren über den Ausschluss der afghanischen Regierung aus den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, IM 28.1.2019). Während sich einige Quellen hinsichtlich gründlicher Friedensgespräche und eines effizient

ausgehandelten Abkommens optimistisch zeigen (Internazionale 30.1.2019; vgl. WP 30.1.2019), fürchten andere, dass ein Abzug der amerikanischen Truppen den Zusammenbruch der afghanischen Regierung wegen der Taliban und vorhersehbarer Machtkämpfe zwischen den verschiedenen lokalen Akteuren zur Folge haben könnte (DP 28.1.2019; vgl. FP 29.1.2019).

Quellen:

- CNN - Cable News Network (27.1.2019): US-Taliban peace talks in Doha a 'significant step', https://edition.cnn.com/2019/01/27/asia/us-taliban-afghan-peace- talks-doha-intl/index.html, Zugriff 31.1.2019

- DP - Die Presse (28.1.2019): Afghanistan vor dramatischer Wende,

https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5570225/Afghanistan-vor-

dramatischer-Wende, Zugriff 31.1.2019

- FP - Foreign Policy (29.1.2019): Will Zalmay Khalilzad Be Known as the Man Who Lost Afghanistan?, https://foreignpolicy.com/2019/01/29/will-zalmay-khalilzad-be- known-as-the-man-who-lost-afghanistan-envoy-taliban/. Zugriff 31.1.2019

- IM - Il Messaggero (28.1.2019): Afghanistan, fonti Difesa: "Entro un anno via truppe

italiane". Moavero: "Apprendo ora". Lega: "Nessuna decisione",

https://www.ilfattoquotidiano.it/2019/01/28/afghanistan-entro-un-anno-ritiro-del-

contingente-italiano-moavero-lo-apprendo-ora-trenta-non-ne-ha-parlato-con-me/

4930395/, Zugriff 31.1.2019

- Internazionale (30.1.2019): La trattativa in Afghanistan arriva con 17 anni di ritardo, https://www.internazionale.it/opinione/gwvnne-dver/2019/01/30/trattativa-afghanistan-

ritardo, Zugriff 31.1.2019

- NYT - The New York Times (28.1.2019): U.S. and Taliban Agree in Principle to

Peace Framework, Envoy Says,

https://www.nvtimes.com/2019/01/28/world/asia/taliban-peace-deal-afghanistan.html.

Zugriff 31.1.2019

- Tolonews (28.1.2019): US Peace Envoy Visits Kabul To Consult On Talks With Taliban, https://www.tolonews.com/afghanistan/us-peace-envoy-visits-kabul-consult- talks-taliban, Zugriff 31.1.2019

- WP - The Washington Post (30.1.2019): The real challenge for Afghanistan isn't negotiating with the Taliban, https://www.washingtonpost.com/opinions/global- opinions/the-real-challenge-for-afghanistan-isnt-negotiating-with-the-taliban/

2019/01 /30/12229732-23ee-11 e9-ad53-824486280311 story.html?

noredirect=on&utm_term=.b049b43b3c79. Zugriff 31.1.2019

KI vom 23.11.2018, Anschläge in Kabul (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)

Bei einem Selbstmordanschlag in Kabul-Stadt kamen am 20.11.2018 ca. 55 Menschen ums Leben und ca. 94 weitere wurden verletzt (AJ 21.11.2018; vgl. NYT 20.11.2018, TS 21.11.2018, LE 21.11.2018). Der Anschlag fand in der Hochzeitshalle "Uranus" statt, wo sich Islamgelehrte aus ganz Afghanistan anlässlich des Nationalfeiertages zu Maulid an-Nabi, dem Geburtstag des Propheten Mohammed, versammelt hatten (AJ 21.11.2018; vgl. TS 21.11.2018, TNAE 21.11.2018, IFQ 20.11.2018, Tolonews 20.11.2018). Quellen zufolge befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion zwischen 1.000 und 2.000 Personen, darunter hauptsächlich Islamgelehrte und Mitglieder des Ulemarates, aber auch Mitglieder der afghanischen Sufi-Gemeinschaft und andere Zivilisten, in der Hochzeitshalle (AJ 21.11.2018; vgl. LE 21.11.2018, NYT 20.11.2018, DZ 20.11.2018, IFQ 20.11.2018). Gemäß einer Quelle fand die Detonation im ersten Stock der Hochzeitshalle statt, wo sich zahlreiche Geistliche der afghanischen Sufi-Gemeinschaft versammelt hatten. Es ist nicht klar, ob das

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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